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Der Grüne Stein

- ein Märchen -
von

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Akt 5

Die Anhörung
 

„Komm schon, Heela, du musst aufwachen!“, seit einiger Zeit versuchte Lola nun schon, Heela aus ihren Träumen zu reißen, doch das Mädchen wollte und wollte nicht aufwachen, „So, du hast es nicht anders gewollt!“

Hämisch grinsend, packte Lola den Wasserkrug und ergoss das kalte Nass über Heelas Kopf. Diese fuhr erschrocken auf und fragte hell wach: „Was?“

„Wir müssen los!“, entgegnete Lola, stellte den Krug beiseite und zog Heela auf die Beine.

„Aber warum denn? Es ist noch stockfinster!“

„Ja, deshalb ja! Du musst zu deiner zweiten Prüfung!“

„Hä? Ach so…ja, ich komme.“, sagte sie mürrisch und zwängte sich ein weiteres Mal in ihr enges weinrotes Kleid.

„Dann lass uns gehen!“, Lola nickte und griff nach der Fackel, die an der Wand hing.

Flink schlichen sie durch die dunkle Burg. Nirgends brannte auch nur ein Licht, es schienen alle zu schlafen. Am Geheimgang, den sie schon am Vortag genutzt hatten, stahlen sie sich hinaus und eilten den Weg zur Hauptstraße entlang. Es dauerte nicht lange und sie hatten das Waldstück erreicht, wo Tias Hütte stand. Gekonnt nutzte Lola ihre Kräfte die Tür zu öffnen, Tia war heute nicht anwesend, und trat ein. Tatsächlich war das Häuschen leer, doch im Kamin knisterte noch ein kleines Feuer.

„Es kann nicht lange her sein, seit dem sie gegangen ist…“, überlegte Lola und lief zu einem kleinen Schrank, holte dort ein Büchlein heraus und reichte es Heela, „…hier, schlage Seite 234 auf…du kannst doch lesen, oder?“

Heela nickte stumm, blätterte kurz und überflog mit schnellen Blicken die Seite. Ein Bild eines Grünen Drachen nahm die gegenüberliegende Seite vollständig in Anspruch.

„Ein Drachen?“, fragte sie verwundert.

Doch Lola wehrte ab, „Nein, du sollst dir nicht das Bild ansehen, sondern den Text auf der anderen Seite durchlesen!“

„Den ganzen Text?“, stöhnte Heela, überdachte ihre Aussage aber noch einmal und lächelte, hatte sie sich doch schon immer nach neuen, anderen Geschichten gesehnt.

Aber wieder verneinte Lola, „Nicht doch, nur das Großgeschriebene!“

„Na gut.“, sagte Heela und begann zu lesen:

„DER GRÜNE KODEX:

ES GIBT DREI HAUPTREGELN; DIE EIN SEHER BEFOLGEN MUSS:

1.NUR MIT HILFE DES STEINS IST AUCH VOLLSTÄNDIGE

ZAUBERKRAFT GARANTIERT

2.BEFOLGT IMMER DIE REGELN; ODER IHR WERDET AUSGESTOßEN

AUS DEM ORDEN DER SEHER

3.VERTRAUT EURER KRAFT DES SEHENS UND VERLEUGNET

KEINE VISIONEN; GEFÜHLE

„Was nun?“, fragte Heela verwirrt, blickte fragend zu Lola.

„Lerne diese Regeln!“, sagte sie Schulter zuckend.

„Warum?“

„Warum?“, wiederholte Lola aufgebracht, drehte sich zu ihr um und starrte ihr tief in die Augen, „Es ist der Kodex! Die Gesetzte verlangen, dass du ihn kennst!“

„Beruhige dich Lola. Es war ja nur eine Frage!“, versuchte sie ihre Freundin zu besänftigen.

„Ja, aber logisch gesehen, hättest du es wissen müssen. Es steht doch sogar drüber!“

Heela wurde rot im Gesicht, „Kann sein… aber ich kann nicht gut auswendig lernen.“

„Mh“, entgegnete Lola gereizt, „egal, lern es einfach!“ So wie die sich hat, wundert es mich ehrlich, dass sie jünger ist als ich, dachte Heela und ging die Regeln noch einmal durch.

„Es ist doch wirklich nicht viel.“, sagte Lola etwas ruhiger und ließ sich auf einem Hocker nieder, „Selbst ich habe sie gelernt!“

„Ach“, Heela hob ihren Blick von dem Buch, „was ich dich noch fragen wollte…“

„Ja?“

„…woher weiß Gil von dem ganzen Hexenkrams?“

Nun stieg Lola die Röte ins Gesicht, „Von mir natürlich!“

„Aha“, nickte Heela und konzentrierte sich wieder auf den Text.
 

Einige Zeit darauf meinte sie: „Ich glaube, ich kann ihn nun!“

„Gut“, erwiderte Lola und nahm ihr das Buch aus den Händen, „Wie lauten die Regeln?“

„Ähm: Nur mit Hilfe des Steins ist auch vollständige Zauberkraft garantiert… befolgt immer die Regeln, oder Ihr werdet ausgestoßen aus dem Orden der Seher…vertraut Eurer Kraft des Sehens und verleugnet keine Visionen, Gefühle…!“

„Hey, das war richtig gut!“, lobte Lola erstaunt, „Hattest du nicht gesagt, Auswendiglernen fiele dir schwer?“

„Ja“, Heela zuckte mit den Achseln, „es gibt immer Ausnahmen! Was nun?“

„Nun müssen wir uns am Hexenplatz einfinden, auf dem Weg dorthin erkläre ich dir noch den Rest, den du wissen musst!“

„Dann kann das ja nicht all zuviel sein.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher!“, entgegnete Lola und hob die Klappe zum Tunnel.

„Och nein, nicht schon wieder.“, stöhnte Heela und kletterte widerwillig hinab.

„Keine Angst, Spinnen und jegliche andere Krabbeltiere habe ich entfernt.“, sie grinste.

„Oh, wie aufbauend.“

Unten angekommen, schloss Lola die Falltür wieder und murmelte den Spruch, um ihr Umfeld zum Leuchten zu bringen. Rasch hatte sich das ganze Tunnelsystem mit Licht gefüllt. Erst jetzt erkannte Heela die eigentlichen Ausmaße dieser Unterführung.

„Wa, wie riesig ist denn dies alles?“

„Siehst du doch!“, entgegnete Lola und trieb Heela zum Weitergang an, „Es kann lediglich von Magiern betreten und gesehen werden. Es wurde ausschließlich durch Zauberei errichtet!“

„Wenn die Zauberei soviel kann, könnte sie dann auch Tiere mit erlesenem Hafer füttern?“

„Natürlich, warum?“

„Ach, nur so.“, Heela zuckte mit den Achseln.

Sie liefen weiter, „Du wolltest mir doch noch was über den ganzen Hexenkram erzählen.“

„Nenn es nicht immer so abfällig!“, fuhr Lola sie an.

„Ist ja schon gut. Also, was ist nun?“

„Es gibt fünf verschiedene Orden, jedes Mitglied ist an seiner Farbe erkennbar, wir gehören dem Grünen an, dies sind die Seher, wir haben die Gabe des Sehens, wie du dir sicher denken kannst. Es gibt außerdem noch die Gelben, die Geister…merkwürdige Leute, sie können sich unsichtbar machen und schweben. Man sieht sie kaum, trifft sie nur selten an. Gut, der nächste Orden ist der weiße, er beinhaltete die weisen Mächte, dies sind einfach die Magier, die aus ihrer Stufe entwichen sind und zu etwas Höherem auserwählt worden. Es ist auch der kleinste Orden. Die Königin gehört ihm unter anderen an. Dann gibt es noch die Roten, sie sind reine Kämpfernaturen. Man muss schließlich für den Notfall vorgesorgt haben. Man könnte sagen, sie sind unsere kleine Armee. Der letzte Orden ist der Blaue. Dies sind die Hüter, sie bewachen jeden wichtigen und heiligen Ort der Magier.“ Sie seufzte.

„Was ist?“, fragte Heela und sah, dass Tränen über Lolas blasse Wangen rannen

„Meine Mutter war eine solche, aber sie wurde von den dunklen Mächten überrannt,“ Sie wandte sich Heela zu, „sie haben sie hinterrücks ermordet, genau wie meinen Vater und den Rest meiner Familie…“

„Wer?“, fragte Heela leise, mitfühlende Trauer schwang in ihrer Stimme mit.

„…die, die der schwarzen Magie verfallen sind…“, hauchte das Mädchen.

„Was meinst du damit?“

„Es gibt nicht nur die Orden, die ich dir genannt habe. Es gibt noch einen, einen letzten.“

Sie schwieg für einen kurzen Moment und fuhr dann fort, während sie weitergingen, „Der schwarze Orden. Er will der mächtigste sein, doch sind in ihm nur die Magier, die vom wahren Weg abgekommen sind, Magier die mehr wollten, als nur die Magie. Sie wollten Macht, ihre Herrschsucht brachte unsere Welt oft in Kriege und schwer ausartende Konflikte.“

„Aber ihr seid stärker, oder? Ihr seid doch in der Überzahl…“

„Ja…noch, aber WIR wissen nicht mehr wie lange. Wenn sie noch mehr Anhänger finden und unsere eigenen Leute nicht diese Gefahr erkennen wollen, sieht es schlecht für uns aus.“

Heela nickte, „Verstehe.“

„Deshalb brauchen wir jeden einzelnen Zauberschüler, solche wie dich, die von Natur aus begabt sind…“

„Na ja, ich weiß zwar nicht, aber wenn du meinst!“

Endlich gelangten sie unter der Falltür an, worunter noch immer eine Leiter platziert war. Rasch hatte Lola sie erklommen und die Klappe geöffnet.

„Komm!“, rief sie Heela zu.
 

„Nun ist es nicht mehr weit!“, sagte Lola und lief voran.

Das Licht aus dem Tunnel hatte sich nun, gleich einem großen Nebel in konstanten Abstand um Lola ausgebreitet. Heela konnte nur staunen. Jetzt durften sie nicht erwischt werden.

„Ich frage mich…“, begann sie, „…ob sich die Edelleute von heut Mittag nicht wundern, warum ihre Kutsche wieder ganz war!?“

Lola nickte, „die haben das gewiss nicht vollends realisiert…“

Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich um, auch Heela hatte abrupt gestoppt und sah sich um. Rundherum war unheimliche Finsternis, nur Lolas Schein brachte die nähere Umgebung ins Licht.

„Irgendetwas beobachtet uns…“, warnte Lola leise.

„Ich spüre es auch, es ist dasselbe Gefühl, wie bei dem Pfeil…“

Überrascht wandte sich Lola zu ihr um, „Der war echt?“

„Klar, was dachtest du denn, woher ich den hatte?“, fragte Heela leise.

„Wir sollten uns lieber Gedanken darüber machen, wie wir der fremden Macht entkommen können! Kannst du die Richtung orten?“, fragte Lola.

„Nein, leider nicht, nur das es ungefähr links von uns im Wald ist!“

„Gut, bleibe immer in meiner Nähe, wir versuchen uns langsam zum Hexenplatz durch zu schlagen.“

Heela nickte und folgte der anderen, als plötzlich etwas durch die Luft schnellte und kurz vor Heelas Füßen in der weichen Erde der Straße stecken blieb. Es war ein Pfeil, wie er schon einmal auf sie geschossen worden war. Kurz entschlossen kniete sie sich zu ihm nieder und rollte, unbemerkt von Lolas Augen, einen Zettel ab, stand wieder auf und reichte den Pfeil an Lola weiter.

„Merkwürdig!“, sagte diese und musterte ihn von allen Seiten. „Was hat das alles zu bedeuten?“

Heela zuckte unwissend mit den Schultern, „Du bist doch die Hexe von uns beiden!“

„Mh“, murmelte sie und schob den Pfeil unter ihren Gürtel, „kann ja nicht schaden an Deoha weiter zu reichen.“

Heela nickte zustimmend. „Eigenartig, das Signal des Fremden ist verschwunden.“, bemerkte sie.

„Du hast recht, lass uns unseren Weg fortsetzen.“

Bald darauf kamen sie an die Gabelung und wählten, wie beim ersten Mal, den rechten Weg. Sie schoben das Gestrüpp beiseite und drängten sich an Bäumen und Büschen vorbei, bis sie die Lichtung erblicken konnten. Noch war es stockfinster, doch schon kurz darauf zeigten sich erste helle Streifen am Horizont, soweit man ihn durch den Wald erkennen konnte. Lola wartete diesmal am Rande der Wiese und ließ Heela allein bis zu den Felsen vordringen. Die Hüterin Kaya stand schon abwartend auf einer schwebenden Steinplatte und winkte das Mädchen herbei.

„Kommt, Ihr werdet bereits erwartet!“ Sie deutete mit einer Hand hinter sich und eine weitere Fläche hob sich an, beide strahlten in demselben himmlischen Blau, das den Anschein erweckte, der Tag sei schon angebrochen.

Die zweite, ebenso schlanke und hoch gebaute Frau kam nun näher an Heela herangeschwebt und sagte traurig: „Euer Stein ist fort, aber wir werden Euch trotzdem der Prüfung unterziehen. Sie wird nicht so hart sein, da die Suche allein in Euren Händen liegen wird. Ihr könnt mithilfe Eurer neu erworbenen Fähigkeiten die Suche ohne Probleme antreten.“

Damit faltete sie ihre zarten Hände und verschwand mit einem grellen Blitz. Nun wandte sich Kaya ihr wieder zu, „Heela, wie lauten die Regeln, des Grünen Kodex?“

Das Mädchen überlegte kurz und begann: „Nur mit Hilfe des Steins ist auch vollständige Zauberkraft garantiert… befolgt immer die Regeln, oder Ihr werdet ausgestoßen aus dem Orden der Seher…vertraut Eurer Kraft des Sehens und verleugnet keine Visionen, Gefühle…“

Sie blickte hoffnungsvoll zu der geisterhaften Frau auf, deren Gestalt nur noch schemenhaft erkennbar war. Verwirrt sah sie zu Lola, diese nickte ihr aufmunternd zu.

„Nun, Heela. Seid Ihr Euch auch bewusst, vor welchem Orden Ihr Euch schützen müsst?“, schallte die eisig klingende Stimme Kayas über den Platz.

Heela nickte, „Vor dem schwarzen Orden, da dort die dunklen Magier handeln!“

„Gewiss, und in welchem Orden ist die Königin vertreten?“ Heela dachte erneut nach, dieses Mal fiel es ihr weit schwerer, die Frage einzuordnen, doch schließlich erinnerte sie sich und sagte: „Zu dem weißen Orden!“

Wieder nickte Kaya zufrieden. „Bis hier her, habt Ihr die Prüfung bestanden, Heela. Es ist ein weiter Weg, Hexe zu werden und Ihr werdet vielen Gefahren begegnen, doch solltet Ihr immer Eure Angst in Zaum halten. Sonst könnte Euch Eure Zukunft Probleme bereiten!“

Was auch immer die Hüterin damit aussagen wollte, Heela nickte und trat einen Schritt zurück, da auch Kaya sich in Luft auflöste.

Sie kämpfte sich zurück zu Lola und meinte: „Komische Leute, verschwinden ohne auch nur einen Ton davon zusagen!“

Lola lächelte bei diesen Worten und nahm Heela am Arm, „Pass auf dich auf!“

„Warum denn? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“

Doch Lola blieb ihr die Antwort schuldig.

Sie winkte sie herbei, „Komm, lass uns zurück gehen!“

„Nun gut, wenn du meinst!“
 

*
 

Am nächsten Morgen wurden die Mädchen schon ganz früh aus den Betten gescheucht. Jemand klopfte wild an die Türe.

„Kommt schon, aufwachen, ihr werdet benötigt!“

„Mh?“, fragte Heela mürrisch und stützte sich auf.

Lola war schon aufgesprungen und zur Tür geeilt.

„Wir kommen.“, sagte sie und blickte zu Heela, „Komm es gibt eine Menge zu tun!“

„Hmpf“, stöhnte Heela und ließ sich zurück auf ihr weiches Kissen fallen. „Ich mag nicht!“

„Tja, wir werden nicht drum herumkommen.“, Lola zog dem anderen Mädchen die Decke weg und meinte: „Jetzt beeil dich ein bisschen, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“

„Mh, na gut.“, schwerfällig erhob sie sich aus ihrem Bett und zog sich abermals das weinrote Kleid an. „Wie früh am Morgen ist es eigentlich?“, fragte sie derweilen.

„Sehr früh“, entgegnete Lola und wartete, „du musst mit deiner Müdigkeit klar kommen, solche Nacht und Nebelaktionen könnten öfters vorkommen!“

Heela stöhnte erneut und sagte: „Fertig, wir können!“

Lola nickte und trat in den Gang, Heela folgte ihr bis in die Haupthalle, dort wurden sie getrennt.

„Lola?“, rief Gil ihr zu, „komm, ich weiß wo du gebraucht wirst!“

Sie lächelte und winkte Heela zu, auf eigene Anweisungen zu warten.

Endlich kam auch auf sie jemand zu und sagte: „Magd?“

Sie nickte, konnte ihren Ärger gerade noch im Zaum halten, sie hasste es, wie ein Gegenstand behandelt zu werden, „Komm, mir wurde eine Dienstmagd versprochen, doch habe ich bis jetzt noch niemanden erhalten…“

„Ja, ja, ich komm ja schon.“

Die schlanke älter wirkende Frau sah sie skeptisch an, „kenne ich dich?“

Heela schüttelte abweisend den Kopf, „nicht, dass ich wüsste!“

„Gut, komm!“ Wie oft will die das denn noch sagen?, dachte Heela und lächelte falsch.

„Gewiss doch!“

Sie liefen die Treppe hinauf, wechselten öfters die Richtung, bis sie vor einer Tür halt machten. Die Frau wies Heela an, einzutreten. Sie musterte sie verwirrt und öffnete die Tür. Die geräumige Kammer wirkte weder unaufgeräumt, noch dreckig. Was sollte sie denn hier machen. Doch dann fiel ihr Blick auf einen jungen Mann, der am Schreibtisch saß.

Er wandte sich nicht zu ihnen um, während er sprach: „Guten Tag, ich bin Sir Sean Philip von Hohenstalle und hätte einen kleinen Auftrag für dich.“

Heela starrte ihn fassungslos an, versuchte allerdings ihr Gesicht vor ihm zu verbergen. War ihr so etwas überhaupt gestattet – Aufträge für eine normale Magd? Jetzt erkannte sie auch die Frau, es handelte sich um Seans Mutter, der sie ebenfalls am Vortag begegnet waren.

„Was soll ich tun?“, fragte Heela leise, wobei sie ihre Stimme verstellte.

Nun wandte sich Sean ihr zu, sie vergrub ihr Gesicht unter ihren langen Haaren und sah nicht auf.

„Ich suche eine junge Frau“, begann er, „ich kenne weder ihren Namen, noch weiß ich ihr genaues Aussehen!“

Er stand auf und schritt langsam auf sie zu, „Sie hat blonde, oder dunkelblonde Haare. Ihre Augenfarbe kenne ich nicht, sie trug ein rötliches Kleid, ähnlich deinem und Bänder im Haar und an der Hüfte. Sie sagte mir, sie lebe hier, doch weiß ich nicht, ob es der Wahrheit entsprach!“

Er starrte für einen Moment schweigend zu Boden. Die ältere Frau hatte unterdessen den Raum verlassen und sich in ihre eigene Kammer zurückgezogen.

Was für ein arrogantes und verzogenes Muttersöhnchen!, dachte Heela grimmig, veränderte aber nicht ihre ausdruckslose Miene.

„Bitte, du musst sie finden!“, Sean klopfte ihr auf die Schulter, „wenn du es schaffst, und sie hier her bringst, garantiere ich dir ein besseres Leben!“

Heela zögerte, ehe sie eine Antwort wagte, „Sehr wohl mein Herr, doch was ist, wenn ich sie nicht finde?“

„Dann weiß ich auch nicht weiter, auf alle Fälle wirst du bestraft!“, er hatte sich nun bedrohlich nahe zu ihr hinab gebeugt, wich anschließend zurück und drehte sich um.

„So nun geh!“

Heela machte einen kurzen Knicks und eilte aus der Kammer. Sie musste sich mit Lola in Kontakt setzen, doch hatte sie keinerlei Ahnung, wo sie sich aufhalten könnte. Was hatte der Grüne Kodex noch einmal besagt? Vertraue deiner Kraft des Sehens!, sie nickte und lief los. Kurz entschlossen ließ sie sich auf einer leeren Bank nieder und versuchte sich zu konzentrieren. Erschöpft gab sie es nach einer Weile auf.

„Es hat ja doch keinen Sinn!“, stöhnte sie traurig. „Ich kann es noch nicht!“

Doch plötzlich kam Gil um die Ecke, neben ihm Lola. Aufgeregt sprang Heela auf, eilte ihnen entgegen.

„Was ist los?“, fragte Lola sofort.

„Sean sucht mich…“

„Wie bitte?“, hakte der Knappe nach und stemmte seine Hände in die Seite, „Was sollte der denn von dir wollen?“

„Keine Ahnung, ich will es auch nicht wissen, aber ich glaube er hält mich für eine Edeldame!“

Lola zuckte mit den Schultern, „Na und!? Soll er doch, kann uns doch egal sein.“

Heela starrte sie fassungslos an, „Heißt das, ihr wollt mir nicht helfen?“

„Warum denn, hier findet er dich doch eh nicht!“

„Du verstehst nicht…er hat mich – als Magd – beauftragt mich – als Edeldame – zu finden!“

„Du“, Gil sah sie halb erstaunt, halb belustigt an, „sollst dich selbst finden?“

Heela nickte.

„Oh Mann!“, stöhnte Lola und ließ sich auf der Bank nieder. „Hat jemand eine Idee, wie wir sie da rausholen können?“

Sie wechselte ihren Blick von Heela zu Gil und wieder zurück.

Dann blitzten ihre Augen, „Ich weiß, wie wir es machen können!“

Sie stand auf und packte die beiden am Arm, zog sie in ihre Kammer.

„Was hast du vor?“, fragte Heela, als sie im Zimmer ankamen.

Hektisch sah sich Lola um, öffnete dann ihren Schrank und griff nach einem Kleid. Sie zog es heraus, wobei eine Menge Staub aufwirbelte, dabei Gil und Heela zum Niesen brachte.

„So.“, sagte sie und reichte es Heela, diese nahm es verwirrt entgegen, musterte es von oben bis unten.

„Und nun?“, fragte sie.

Lola seufzte und meinte: „Natürlich anziehen!“

„Ich?“

„Ja, du!“, entgegnete das jüngere Mädchen genervt und blickte zu Gil, der kichernd neben ihr stand.

„Was?“, fragte sie barsch.

„Es wirkt etwas groß!“, gab er zu Bedenken.

„Stimmt, aber das lässt sich leicht ändern!“, versicherte Lola und holte ihren Grünen Stein hervor.

Sie hielt ihn fest im Griff und flüsterte kaum verständliche Sätze. Heela und Gil wechselten kurze fragende Blicke, zuckten anschließend mit den Schultern.

Plötzlich schoss grelles Licht aus Lolas Stein, umhüllte Heela, als schwebe sie in einer großen Blase. Lola sah nicht auf, sie hatte ernsthafte Schwierigkeiten damit, den Stein unter Kontrolle zu behalten, er versuchte seinem Licht zu folgen und drängte danach, ihr zu entgleiten. Doch sie ließ ihn nicht los, spannte ihre Muskeln an und konzentrierte sich alleinig auf ihre leisen Sprüche, die sie nur noch unter enormer Anstrengung hervorbringen konnte. Schweiß lief ihr die Stirn hinab, sammelte sich zu einem schmalen Rinnsaal, das ihr als kleine Tropfen von der Nase perlte. Gil beobachtete das Schauspiel mit offenem Mund, gewahrte einen sicheren Abstand zu Lola und dem gleißenden Licht, das sich bald in ein trübes Gelb wandelte und erlosch. Erschöpft sank Lola zu Boden, der Stein hatte aufgehört zu Glühen und lag matt auf ihrer Brust. Mit einem dumpfen Schlag fiel auch Heela auf die Holzdielen. Unruhig sah Gil zu Lola, dann zu Heela, entschloss sich aber erst um seine Freundin zu kümmern, die in einem tiefen Schlaf lag. Er nahm sie auf die Arme und legte sie auf ihr Bett. Dann machte er dasselbe mit Heela, deren Äußeres sich auffallend geändert hatte. Lange sah er sie an, eine ernste Miene hatte die, ihrer verspielten eingenommen und ihre kindliche Schönheit, hatte den Platz mit der einer jugendlichen Anmut getauscht. Ihr gesamtes Erscheinungsbild brachte Gil aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Doch ein gequältes Ächzen Lolas holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Rasch tränkte er ein sauberes Tuch mit kühlem Wasser und tupfte damit Lolas erhitzte Stirn ab. Sie öffnete die Augen. Ihre grüne Farbe erinnerte ihn an den Stein, der dies alles bezweckt hatte. Dieser lag noch immer auf Lolas Brust, an der feinen goldenen Kette, die zerbrechlich und gleichzeitig unzerreißbar wirkte. Gil legte eine Hand auf ihn, umfasste ihn, voll Wut. Zorn brodelte in ihm. Aber schmale, zarte Finger berührten seine verkrampfte Faust. Er sah zu Lola, deren Blick nun so weich und traurig wirkte. Sie schob ihre kleine Mädchenhand unter die seine, wobei er von dem Stein enthoben wurde. Sein Hass verwandelte sich in Trauer. Wie oft hatte diese verfluchte Magie Lola schon verletzt, wie oft war sie dem Tod schon so nahe gewesen, wie oft hatte er schon um sie gebangt. Aber er hatte nie aufgegeben. Er war trotzdem nicht von ihrer Seite gewichen, er hatte zu ihr gehalten und wollte das noch immer. Doch bald würde sie fortgehen müssen, sie würde eine Hexe sein, er könnte ihr nicht in ihr Reich folgen. Ach, wie hasste er doch die Magie, verfluchte sie stumm. Lola kniff ihre Augen wieder zusammen, Schmerzen durchzogen ihren gesamten Körper, schienen regelrecht ihr die Lebensenergie zu entziehen. Sie biss die Zähne aufeinander, versuchte die Krämpfe unter Kontrolle zu halten. Ein plötzlicher Schauer lief ihr über den Rücken und ließ sie zusammenzucken. Gil umschloss ihre zitternde Hand nun noch fester, nahm seine zweite dabei zu Hilfe. Er starrte sie verzweifelt an. Ihr Zittern übertrug sich auch auf seinen Körper, doch er widerstand der Versuchung, ihm nach zugeben. Seine Augen brannten, er konnte sie nicht von dem Mädchen abwenden. Selbst kurzes Blinzeln half nicht, Tränen aus ihnen zu vertreiben. Er drückte seine Lippen mit aller Kraft zusammen, dass es fast schon schmerzte. All seine Gefühle stiegen nun in ihm hoch, er konnte sie nur mit Schwierigkeiten beherrschen. Hass, Angst, Trauer und Liebe vereinten sich, perlten als kaum unterdrückte Tränen aus seinen Augen. Wieder zuckte Lola, doch erschlaffte ihr Körper unter der enormen Anstrengung, sie im Bewusstsein zu halten. Sie entschwand in eine dunkle, aber dennoch vertraute Welt. Gil saß über sie gebeugt, war sich noch immer unsicher über seine Gedanken, und gab ihr einen sanften Kuss auf den Handrücken. Er wollte bei ihr bleiben, bis sie wieder zu sich kommen würde.

*

Heela lag auf ihrem Bett, als sie erwachte. Sie blinzelte, um sich ihrer Selbst wieder bewusst zu werden. Dann stand sie auf und blickte sich um. Gil kniete an Lolas Bett und hatte seinen Kopf auf deren Bauch gelegt, eine seiner Hände ruhte auf der ihren. Die andere diente ihm als Kissen. Langsam rutschte Heela von ihrem Bett und taumelte, noch ganz benommen, zu den anderen beiden. Sie berührte Gil sachte an der Schulter, er schien jedoch tief zu schlafen, sodass sie ihn in Ruhe ließ. Sie tapste zu dem Spiegel und gab ein ersticktes Kreischen von sich.

„Was ist mit mir passiert?“, fragte sie sich selbst und musterte ihr Äußeres.

Das viel zu große, einst vergilbte weiße, Kleid hatte sich in ein glitzerndes helles Ballkleid gewandelt und ihre struppigen Haare waren, trotz des ungewollten Schlafes, zu einem eleganten Zopf gebunden, der mit Hilfe einiger Silbernadeln hochgesteckt worden war. Ein zartes Diadem prangte auf ihrem Kopf und war von unzähligen Edelsteinen und Kristallen besetzt. Sie betastete ihre weiche geschminkte Haut und fuhr sich über den samtenen Stoff des Kleides. Es war wie ein Traum. Doch dann fiel ihr Blick, durch den Spiegel, zurück auf ihre Freunde. Heela musste sich unbedingt versichern, dass es beiden gut ging und fühlte ihre Herzschläge.

„Alles normal.“, flüsterte sie erleichtert und strich Lola über die warme Stirn.

Ein klammes Tuch lag neben ihrem Kopf und schien sie eine Weile gekühlt zu haben. Kurz entschlossen tauchte Heela es wieder in das Wasser und legte es auf Lolas Stirn. Diese erwachte schlagartig und starrte Heela aus verwirrten Augen an.

„Alles in Ordnung?“, fragte Heela und lächelte.

Lola sah sie noch immer an, das Lächeln ihrer älteren Freundin hatte sich verändert. Es hatte nichts mehr, von dem eines jungen Mädchens, eher von dem einer Frau.

„Guten Morgen.“, brachte Lola ächzend hervor und musterte Gil, dessen Kopf noch immer auf ihrem Bauch ruhte.

„Bleibt hier liegen und vor allem, rede nicht so viel Lola! Ich hole rasch etwas zu Essen!“

„Aber…“

Doch Heela schnitt ihr das Wort ab, „Keine Widerrede, ich will dich nicht verlieren. Ruh dich aus!“

Lola nickte, was sollte sie auch sonst tun?!

Daraufhin kehrte Heela ihnen den Rücken zu und eilte in den Gang. Es musste noch sehr früh am Morgen sein, denn es kamen ihr keine Dienstboten entgegen. Rasch hatte sie gemerkt, dass das Rennen mit einem Ballkleid und eleganten Schuhen sehr problematisch war und so fiel sie in einen schnellen Schritt. Sie bog in die Küche ein, sah sich ein paar Frauen gegenüber, die sie mit großen Augen ansahen.

„My Lady!“, sagte eine und machte einen Knicks, „Was bringt uns in die Ehre Eures Besuches?“

Erst blickte Heela verwundert in die Runde, setzte dann aber einen ernsten Blick auf und meinte: „Ich wollte mir nur etwas zu Essen holen!“

Die Frauen sahen sich verwirrt an. „Aber das steht doch schon längst in der Großen Halle“, meinte eine weiter entfernt Sitzende.

„Oh, natürlich. Aber ich wollte es aus erster Hand!“, sie lächelte und sog den angenehmen Duft frischen Brotes ein, der durch die ganze Küche zog.

„Mh!“, hauchte sie und schloss für einen Moment ihre Augen. „Kann ich mir ein Laib Brot mitnehmen?“

„Natürlich, Herrin!“, entgegnete ein junges Mädchen, das sie noch nie zuvor gesehen hatte.

Sie musste neu sein.

Heela griff nach dem Laib und schenkte allen Frauen einen aufmunternden Blick, „Dies Brot ist wahrhaft köstlich.“

Als sie die Küche wieder verlassen hatte, hörte sie zufriedenes Plaudern der Frauen.

*

„Lola?“, fragte Heela leise und schlich zu dem Mädchen.

Sie hatte sich etwas aufgesetzt und bereits ihre Rückkehr erwartet.

„Du hast ja keine Ahnung, wie hungrig ich eigentlich bin!“, sagte sie lächelnd.

„Das ist gut, denn ich habe ein ganzes Brot erbeutet!“

Lola starrte sie an, „Erbeutet?“

„Na ja…“

„Sie haben es dir doch freiwillig gegeben!“

Heela nickte, sie spürte, wie sich ihre Wangen rötlich färbten.

„Egal!“, setzte Lola noch hinzu und nahm gierig ein Stück entgegen.

„Schläft er noch?“

Lola grinste, „Ja, ich glaube er war ganz schön lange wach gestern!“

„Mh, wahrscheinlich!“

Bald darauf hatten die Mädchen sich satt gegessen und für Gil den Rest bei Seite gelegt.

„Wir werden bald arbeiten müssen!“, stellte Lola bedauernd fest.

„Aber du bist noch viel zu schwach…“

„Das ist denen doch egal.“

„Mir aber nicht, ich werde schon irgendwie dafür sorgen, dass sie dich in Ruhe lassen! Aber sag mir noch eines, warum hast du das gemacht?“, fragte Heela.

„Was gemacht?“

„Du weißt es ganz genau.“, versetzte sie.

„Ja, also…ich wollte dir helfen!“

„Das ist mir schon klar, aber warum auf diese Weise, warum geht es dir jetzt so schlecht?“

Lola seufzte, „Jede Hexe hat nur einen gewissen Anteil an Kraft, er nimmt mit deinen Kenntnissen und Stellungen zu. Aber wenn du deine Kraft bis fast zum Schluss, nur mit einem Zauber ausschöpfst, kann so etwas schon mal passieren!“

Heela nickte nachdenklich, „Also ist dieser Zauber eigentlich viel zu schwierig für dich?“

„Könnte man sagen.“, entgegnete Lola und musterte Gil.

Dieser bewegte sich auffällig und drehte sein Gesicht ihr zu. Er öffnete langsam die Augen.

„Guten Morgen.“, murmelte er schläfrig.

Lola lächelte und strich ihm sanft über die Wange.

Er hob seinen Kopf, „Bin ich tatsächlich eingeschlafen?“, fragte er aufgebracht.

Lola und Heela fielen augenblicklich in ein schallendes Gelächter und verstummten erst wieder, als sich Gil gefangen hatte.

Er rieb sich über seinen Bauch und meinte: „Ich habe sehr, sehr, sehr starken Hunger!“

Heela reichte ihm lächelnd das Brot und sagte: „Ich werde mich erst einmal darum kümmern, dass ihr nicht zu Arbeit herangezogen werdet und dann werde ich mir mal Sean vorknöpfen“, sie ballte ihre Hände zu Fäusten.

Gil nickte, „Gut, aber ich könnte arbeiten!“

Heela schüttelte abweisend mit dem Kopf, „Nein, lass mal. Lola braucht dich, du solltest sie nicht allein lassen!“

„Na gut!“, er zuckte mit den Schultern und stand auf.



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