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Worte in Schwarz-Weiß

von

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Titel: Worte in Schwarz-Weiß

Autor: Shiva aka Seraluna

Email: shiva.moon@web.de

Songfic: Christina Stürmer - Worte in Schwarz-Weiß (Ja, Songfics haben immer so kreative Titel)

Warnung: Keine, zum Schluss wohl etwas sap... D'oh T_T

Rating: PG

Inhalt: Ken trifft Schuldig auf dem Sportplatz. Und diese Begegnung soll nicht ohne Folgen bleiben.

Kommentar: Dieses Lied schrie förmlich nach einer Songfic zu Weiß Kreuz. *snicker*

Gruß, Kuss und Dank geht an meine Beta Zoe, an mein allerliebstes Schaefchen *wuschel* und die Leser dieser FF.
 

Disclaimer: Ich missbrauche die Charas, die nicht mir gehören, doch wenigstens bekomme ich kein Geld dafür und gebe sie auch unbeschadet, wenn auch nicht immer jungfräulich, zurück. XD

Auch das Lied gehört nicht mir, ich singe es nur gelegentlich unter der Dusche oder auf dem Nachhauseweg. Geld gibt's dafür nicht, wär ja auch noch schöner.
 

"Wörtliche Rede"

*Schuldigs Gedankensprache*

SONGTEXT (Gilt auch, wenn in wörtlicher Rede vorkommend)
 

_________________________
 


 

Regen prasselte hart und kalt gegen die Fensterscheibe von Hidaka Ken.

Die Vergangenheit klopfte im Gleichklang mit diesem Geräusch an seine mentale Tür. Obwohl das Fenster geschlossen war, wurden seine Wangen feucht.
 

"Guten Morgen!" flötete der ehemalige Fußballspieler durch den Blumenladen.

"Tut mir leid!" Er hatte verschlafen und sich nur schnell im Vorbeigehen einen Löffel Misosuppe hineingeschaufelt, um seinen knurrenden Magen zu beruhigen. Der Rest ihrer Assasinengruppe, ja selbst Yohji, war bereits anwesend. Aya warf ihm nur einen grimmigen Blick über die Schulter zu, sagte aber nichts.
 

Omi dagegen kam gleich zu ihm gelaufen.

"Ken-kun?" fragte der Junge mit besorgtester Stimme. "Deine Augen sind ganz rot. Was ist los?"

Ken lachte und strubbelte Ihrem Jüngsten durch das Haar. "Ich habe wohl einen Zug bekommen. Nachher gehe ich in die Apotheke und hole mir ein paar Augentropfen."

"Na schön, Ken-kun. Dann ist es ja in Ordnung."
 

Nichts war in Ordnung, absolut nichts. Es würde nie wieder in Ordnung sein. Doch diese Tatsache, die seit Jahren innerlich an Ken nagte, verschwieg er, verdrängte er tief in die hintersten Ecken seines Bewusstseins, von wo aus sie nur gelegentlich hervorkrochen und ihn daran erinnerten, was er für ein Mensch war.
 

Wirklich frei und unbefangen fühlte er sich nur beim Fußballspielen. In der letzten Zeit flüchtete er sich häufig in diese Freizeitaktivität, vermutlich auch, weil in letzter Zeit vermehrt Aufträge erfüllt werden mussten. Er hatte nie Zeit, auch nur eine Woche komplett zur Ruhe zu kommen. Wie die anderen, vor allem der kleine Omi, das aushielten, war ihm ein Rätsel.

Doch Ken wusste genau, auch wenn er die anderen nicht weinen sah, so hieß das nicht, dass sie nicht genauso an ihren Taten verzweifelten.
 

Und nun war er wieder hier, um zu vergessen, auf dem Fußballplatz einer Junior Highschool, wo er gelegentlich mit einigen Schülern von hier Fußball spielte. Er saß auf einem der beiden Zuschauerrängen, die komplett leer waren. Ken warf einen Blick zur Seite, wo eine Horde hochgewachsener Männer auf dem Platz direkt gegenüber, der lediglich durch einen Maschendrahtzaun abgegrenzt war, Streetball spielten und sich gegenseitig den Ball abjagten.
 

Nachdenklich drehte er seinen Fußball in den Händen, wiegte ihn hin und her. Keiner von seinen kleinen Schülern war gerade da. Sicher, die Sommerferien hatten begonnen, doch er hätte nicht damit gerechnet, dass wirklich alle verreist waren.
 

Abermals schielte er hinüber zu den Basketballern und er überlegte, ob er es nicht vielleicht damit versuchen sollte. Im Prinzip lief es genau wie Fußball: man rannte einem Ball hinterher und versuchte, ihn dem Gegner ins Netz zu pfeffern.

Nun gut, da waren "minimale" Unterschiede in den Regeln und die nicht zu verachtende Tatsache, dass man Basketball mit den oberen Extremitäten spielte, doch Schnelligkeit war sicher auch da von Vorteil.
 

DU BIST DA WENN ICH REDEN WILL

DU BIST DA UND DIE WELT STEHT STILL
 

"Da wird wohl jemand seinem Lieblingssport abtrünnig? Ich dachte, du spielst Fußball?" Eine Stimme kalt wie Stahl schnitt sich durch Kens Gehörgang und direkt in sein Gehirn hinein.
 

Für einen Moment waren die Naturgesetze der Zeit außer Kraft gesetzt. Für einen Herzschlag lang hatte die Welt aufgehört, sich zu drehen. Ken war unfähig zu jeder Bewegung. Abgesehen von seiner Kinnlade, die ihm nach untern klappte, ohne dass er es hätte kontrollieren können.
 

"Wohl noch nie einen Menschen gesehen?!" fragte Schuldig gereizt.

Ken schluckte. Das war jetzt doch ein bisschen viel für ihn. Vor ihm stand Schuldig, wohlbemerkt sein Todfeind. Selbiger lauschte mal eben so in seine Gedanken rein und hatte dabei nichts besseres zu tun als sich über Sport zu unterhalten?

Kein "Du bist des Todes" oder schlichtweg "Stirb", sondern ein normaler Smalltalk? Die Paradoxie wurde durch Schuldigs Aussehen noch verstärkt.
 

Die langen orange leuchtenden Haare zu einem hohen Zopf gebunden, einen Basketball in der Hand, ein gelbes, eng anliegendes Shirt mit der Aufschrift "Go for it" und eine weite schwarze Baggyhose ließen den Deutschen... sagen wir... ungewöhnlich aussehen.
 

"Danke. Ich habe dich auch noch nie ohne deine Fliegerbrille und deine braune Lederjacke gesehen. Ken blickte an sich herab und begutachtete seine schlichtblaue Trainingshose und sein weites weißes T-Shirt mit blauen Nahtumschlägen. Nun gut, zugegebenermaßen musste auch er ein ungewöhnliches Bild abgeben. Zumindest im Kontrast zu dem, was Schuldig von ihm gewohnt war.

Doch das tat jetzt nichts zur Sache.

"Hör damit auf!"

"Womit?" kam es unverblümt von Schuldig zurück.

"Ich will nicht, dass du meine Gedanken liest."

Schuldig zuckte mit den Schultern. "Wenn ich das könnte, würde ich es tun, Doch deine Gedanken sind laut. Besonders die von unten."

"Von unten?" Ken blickte an sich hinab und überlegte für einen Sekundenbruchteil, ob es wirklich stimmte, dass Männer zwei Gehirne hatten.
 

Schuldig lachte, was bei Ken eine ausgewachsene Gänsehaut verursachte.

"Nicht das, was du denkst." Schlagartig wurde er wieder ernst. "Vom Unterbewusstsein. Das ist auch der Grund, warum ich dich nicht hier und jetzt dazu bringe, dich vor das nächstbeste Auto zu werfen. Glaub mir, ich würde es tun."
 

"Daran hege ich keinen Zweifel", spie Ken ihm entgegen. "Was hält dich davon ab?"

"Du leidest. Du willst reden. Doch du kannst es nicht, weil die anderen genug Probleme mit sich selbst haben."

Ken erstarrte. Wie konnte er das wissen? Daran hatte er doch gerade gar nicht gedacht.
 

"Jaja, das Unterbewusstsein ist so eine Sache Ken-chan."

Der Angesprochene zuckte bei der Koseform seines Namens zusammen. Etwas krampfte sich in ihm zusammen. Er wünschte, der Mann von Schwarz würde aufhören.
 

"Je weiter du dessen schmerzhaften Inhalt von dir schiebst, desto lauter wird es sich zurückmelden." Schuldig hatte eine Hand lässig in die Hüfte gestützt und grinste ihn an.

Ken versuchte sich auf das ursprüngliche Thema zu besinnen.

"Was hat das alles damit zu tun, dass du mich nicht umbringst?"
 

Über diese Frage musste Schuldig ernsthaft nachdenken. Er schwieg für eine kurze Weile und antwortete dann.

"Vielleicht weil ich nicht im Dienst bin? Oder weil ich keine Lust dazu habe? Oder vielleicht auch", und bei diesen Worten trat er näher zu Ken, der sich zwang, nicht vor dem anderen zurückzuweichen, "weil ich Lust habe, eine Wildkatze zu zähmen."
 

"Leider habe ich meine Krallen nicht dabei", bemerkte Ken trocken, "sonst würde ich sie dir hier und jetzt in den Magen rammen."

Schuldig schüttelte gespielt betroffen seine orangefarbene Mähne. "Tztztz. Genau das meine ich. Du bist immer so brutal."

"Das sagt der Richtige. Du hast Omis Schwester getötet."

"Falsch, das war Farfarello. Leider habe ich dafür den Golfschläger in die Fresse bekommen."

"Selbst wenn, das ändert auch nichts daran, dass du ein Schwarz bist."
 

"Richtig. So wie du zu Weiß gehörst. Doch wir haben scheinbar auch ein Leben außerhalb unseres blutigen Berufs, sonst wären wir ja nicht hier, oder? Obwohl ich es auch nicht verachten würde, mich beruflich mit dir zu messen. Ich habe bisher nicht bemerkt, wie interessant du wirklich bist. Das rothaarige Rehlein oder euer Chibi haben mich bisher zu stark von dir abgelenkt."
 

"Lass mich in Ruhe!" Ken funkelte den größeren Mann wütend an.

"Nicht doch, jetzt wird es doch erst lustig. Was hältst du von einem fairen Wettkampf? Ich bin sogar bereit, mich auf dein Fachgebiet Fußball zu wagen. Wenn ich gewinne, darf ich mit dir spielen."
 

Ken malte sich diverse Szenarien aus, die Schuldigs Begriff von "spielen" entsprechen könnten. Keines davon war erheiternd.

"Und wenn du verlierst?"
 

"Wenn ich verliere, darf ich auch mit dir spielen, aber ich werde dich im Anschluss daran nicht umbringen." Schuldig grinste ununterbrochen. Diese schnarrende Stimme ging Ken durch Mark und Bein.
 

"Das ist ein Deal, bei dem ich nur verlieren kann", meinte er trocken.

"Würde ich nicht so sagen. Wenn du gewinnst, lasse ich dich am Leben. Solltest du wirklich gewinnen, was ich nicht glaube, bin ich sogar bereit, dich komplett in Ruhe zu lassen. Also lass uns eine Runde Fußball spielen."
 

Ken hatte schon Lust, die schwarz-weiße Kugel zu treten, allerdings nicht mit -dem-. Andererseits würde der andere nicht so leicht gegen einen ehemaligen J-League Spieler gewinnen können. Er überlegte hin und her.

"Ich lasse mich nicht auf so etwas ein."
 

DU WEIßT IMMER GANZ GENAU, WAS MIR FEHLT
 

"Schade, ich bin recht gut im Fußball, auch wenn ich Basketball bevorzuge." Er nahm Ken den Ball aus den Händen und kickte ihn ein paar Mal über Knie und Knöchel in die Höhe.
 

Zugegeben, so ganz laienhaft sahen Schuldigs Bewegungen nicht aus, vielleicht würde er, Ken, einmal einer richtigen Herausforderung gegenüberstehen, so etwas hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Ken ergab sich schließlich seinem Spieltrieb und nahm Schuldigs Angebot an.

"Unter einer Bedingung: Keine Gedankenspielchen, keine Ablenkung. Sollte ich dich dabei erwischen, hast du verloren."
 

Schuldigs kehliges Lachen erklang. "Ich wusste, du würdest früher oder später nachgeben. Fußball bedeutet dir zu viel, um einfach die Gelegenheit, dich mit einem würdigen Gegner zu messen, sausen zu lassen. Fehlt dir die Herausforderung?"
 

Ken zuckte mit den Schultern. "Nun ja, meine Mitspieler sind meistens nicht älter als 12."

Ein saphirblaues Auge wurde neckisch zugekniffen. "Ich bin mehr als doppelt so alt, reicht das?"
 

Ken lächelte. Es war zwar ein verhaltenes und von Misstrauen durchtränktes Lächeln, doch er konnte es sich dennoch nicht verkneifen. "Ich denke schon. Wie spielen wir? Elfmeter oder einen gegen einen?"

"Letzteres. Wer zuerst ein Tor drin hat, verliert."

"Du -wirst- verlieren, Schuldig."

Siegesgewiss blickte der Größere ihm in die Augen. "Wir werden sehen."

"Da ich einer von den Guten bin, gewähre ich dir den ersten Anstoß."
 

"Glaub mir, den werde ich mir auch nehmen", erwiderte Schuldig mit einem lasziven Grinsen. Ken brauchte eine Weile, bis er den Zusammenhang verstand, den Schuldig offensichtlich hineininterpretiert hatte. Der Fußballer wurde rot und versuchte zu überspielen. "Fang schon an."
 

"Zu Befehl", kicherte der Ältere, nahm den Fußball unter einen Arm und begab sich damit zur Mittellinie.

Ken beobachtete den Mann mit dem orangenen Pferdeschwanz, sah, wie dessen Blicke suchend über das Spielfeld wanderten, eine Strategie ausheckend, um seine Abwehr zu durchdringen und auf das ungeschützte Tor zu schießen.
 

Alle Muskeln Kens spannten sich an, als Schuldig den Ball trat. Er rannte auf seinen Gegner zu, attackierte wie von selbst, und wich den Sturmattacken des anderen geschickt aus. Ein flüchtiger Blick in Schuldigs Gesicht zeigte ihm, dass dieser überrascht war.
 

Schuldig war schnell, das war keine Frage. Er durfte ihn nicht mit dem Ball davon kommen lassen, sonst würde er mit Sicherheit ein Tor kassieren. Also ging Ken in die Offensive, griff an und kickte den Ball zwischen Schuldigs Beinen hindurch auf dessen Spielfeldseite.
 

Jetzt hieß es, der Kugel hinterher zu stürmen, bevor Schuldig sie erreichte. Und während der Deutsche noch verdattert nach dem gestohlenen Ball suchte, war Ken schon um ihn herum ihn gelaufen und rannte mit dem Leder in Richtung Tor.
 

DU BIST DA, GIBST MIR LEICHTIGKEIT
 

Ken lief, als gelte es sein Leben. Schnell wie der Wind glitt er über das Fußballfeld. Das Gefühl der Freiheit, das Gefühl zwischen höchster Körperkontrolle, der Macht, alles tun zu können und einer Art animalisch-natürlichen Reflexes, der ihn sich automatisch bewegen ließ, pulsierte wie eine Droge durch seine Adern.
 

Er fühlte sich leicht, frei und unbeschwert, wie zu der Zeit, als er noch professionell das Rasenspiel ausgeübte. Ken war sich sicher, dass es nichts Besseres auf der Welt gab.
 

Doch darüber dachte er im Moment nicht nach. Sein Denken war ausgeschaltet. Er fühlte instinktiv, was er tun musste. Er funktionierte einfach.

Mit der Gewissheit des Verfolgers im Nacken stürmte er auf das gegnerische Tor zu. Kurz bevor er den Strafraum erreicht hatte, war Schuldig bereits dicht hinter ihm. Er registrierte den Opponenten mit einem Blick aus dem Augenwinkel, holte aus und schoss mit einem kräftigen Tritt auf Schuldigs Tor.

Der konnte dem nichts mehr entgegensetzen, sah nur noch, wie der Ball an die 20 Meter durch die Luft flog, um anschließend im Netz rotierend sein Ende zu finden.
 

"Scheiße", entwich es ungläubig aus dem Mund des Geschlagenen. Das war wirklich unfassbar. Nicht nur, dass dieser Junge nicht nachdachte, sondern einfach handelte - es war ja nicht so, dass Schuldig tatsächlich versucht hatte, fair zu spielen - er war auch noch verdammt schnell.
 

Schuldig war nur ein paar Sekunden in Ballbesitz gewesen, da hatte der andere ihm die Pille schon abgejagt und innerhalb eines kurzen Augenblicks bis zum Strafraum gedribbelt.
 

Ken erwachte aus seiner hypnotischen Trance, in die das Adrenalin des Spiels ihn stets versetzte und grinste Schuldig nun an, der da stand wie ein begossener Pudel.

"Du hast verloren."
 

"Hm", brummte Schuldig. Damit hatte er nicht gerechnet. Sonst drangen immer Strategieüberlegungen der Gegner in sein Hirn und entsprechend konnte er reagieren. Bei Ken war es anders. Dieser Junge reagierte instinktiv, ohne zu überlegen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte Ken seine stärkste Waffe gegen Schuldig eingesetzt.
 

"Bist du bereit, deine Strafe zu empfangen?"

Strafe... bei diesem Wort kam Schuldig fast das Kotzen. "Hey, davon war nicht die Rede!"

"Gleiches Recht für alle", entgegnete Ken.
 

Schuldig sparte es sich, in Kens Kopf nachzulesen, er würde ihm eh gleich verraten, was er tun sollte und die unschönen Details wollte er sich nicht geben.

Also zuckte er mit den Schultern.

Ken würde schon noch merken, dass man bei ihm ohnehin nicht viel erreichen kann, wenn er gegen seinen Willen geht.
 

Dinge wie Regenwürmer essen oder ähnliches ließ er ja noch über sich ergehen. Aber alles, was über seine Grenzen hinausging, würde er sich nicht gefallen lassen und das Weite suchen.
 

DU BIST DA, BIST MEIN ZEITVERTREIB
 

"Ich möchte, dass du ab heute jede Woche mit mir und den Jungs Fußball spielst. Und zwar bis der Winter kommt." Diese Zeitspanne war angesichts des warmen Hochsommers noch recht lang.
 

Schuldig war doch tatsächlich überrascht. Dieses Gefühl hatte er selten aufgrund seiner Fähigkeit.

"Das soll eine Strafe sein? Wie willst du wissen, ob ich auch wiederkomme?"

"Sieh es als eine Chance zur Bewährung." Kens Blick war ernst.

Schuldig sah ihn an. Undefinierbar war, welche Gefühle sich in diesen Augen, so blau wie ein tiefer Gebirgssee, widerspiegelten. "Dafür ist es bei mir zu spät."
 

DU BIST DA UND DOCH SO WEIT WEG
 

Ken schwieg. Schuldig schwieg. Sie standen nur da und sahen sich an. So war es still, bist auf den Gesang der Vögel und das leise Rauschen der entfernten Schnellstraße.

"Ähm ok", brach Schuldig nach einer Weile das Schweigen, das sie wie ein Bann endlose Augenblicke lang gefangen gehalten hatte. "Ich... muss dann los."

Doch er bewegte sich nicht.

"Bis nächste Woche. Selbe Zeit, selber Ort", erinnerte Ken.
 

"Natürlich", sagte Schuldig mit gesenkter Stimme. Sie standen dicht beieinander, doch die Kluft zwischen ihnen war zu weit, als dass sie sie mit Worten überbrücken könnten.

Jetzt endlich setzte Schuldig sich in Bewegung. "Bis nächste Woche", sagte er, ging vom Feld und klemmte sich seinen Basketball unter den Arm. Einmal noch hob er zum Gruß die Hand, jedoch ohne sich umzusehen.
 

Ken blickte ihm nach, bis er hinter dem angrenzenden Buschwerk verschwunden war. Als der Schwarz außer Sicht war, fiel die Spannung von Ken ab und er ließ sich zu Boden plumpsen. Was hatte er da gerade getan?
 

UND ICH WEIß NICHT, WIE WEIT DAS GEHN KANN
 

Er hatte einen Schwarz herausgefordert, sich mit ihm gemessen und gewonnen. Er hatte mit dem Feuer gespielt und war den Flammen entkommen.

Sich dessen bewusst werdend, wie gefährlich die Angelegenheit gewesen war - und in Anbetracht eines Wiedersehens in der nächsten Woche - wieder sein würde.
 

Was, wenn Schuldig Schwarz darüber informieren würde und ihm dort gemeinsam mit den anderen auflauern würde? Sollte er seinen Leuten nicht auch Bescheid geben? Nein, er durfte sie nicht die Suppe auslöffeln lassen, die er sich allein eingebrockt hatte.

Sich all dessen bewusst werdend begann er zu zittern. Es schüttelte ihn, ohne dass er es hätte kontrollieren können.

Er würde nächste Woche wieder hier sein. Und sollte Schwarz noch zehnmal hier auf ihn warten. Er würde hier sein, nicht mit einer Waffe, sondern mit einem Fußball in der Hand. Er war bereit.
 

Mit dieser Gewissheit stand er auf und ging nach hause.

Er hätte nie gedacht, dass er zu einem solchen Leichtsinn in der Lage war, wusste nicht, dass er so weit gehen würde, für ein einziges gutes Spiel.
 


 

Eine Woche später saß Ken auf den Zuschauerrängen des Fußballplatzes. Nervös sah er sich um. Was würde geschehen?

Von Schwarz war nichts zu sehen oder zu hören, hätten sie ihm aufgelauert, dann hätten sie vermutlich bereits zugeschlagen, schließlich saß er schon seit über 15 Minuten hier. Auch von seinen kindlichen Kumpels war wie die Woche zuvor auch keine Spur. Waren die vielleicht auf Klassenfahrt?
 

Wieder fiel sein Blick auf seine Armbanduhr, vermutlich zum zehnten Mal in dieser Viertelstunde. Schuldig hatte noch viel Zeit, um hier aufzutauchen, es war zwanzig vor vier. Ken schüttelte unwillig den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben. Da Schwarz nicht hier auf ihn gewartet hatte, würde wohl gar nichts passieren.
 

Nein, Schuldig würde hier sicher nicht aufkreuzen. Warum war er dann also so aufgeregt? Hoffte er etwa, dass der Andere wirklich herkam? Glaubte er so sehr an den Schwarz und an einen winzig kleinen Funken Menschlichkeit unter dessen orangener Mähne?

Erneut suchte er die nähere Umgebung des Fußballplatzes ab, soweit nicht von Büschen und Sträuchern verdeckt.
 

"Es ist schön, wenn man so ungeduldig erwartet wird", erklang eine herbe Stimme direkt neben seinem Ohr. Er erkannte sie sofort, und sprang instinktiv auf. Dabei rutschte er auf einer herumliegenden Plastiktüte aus und fiel rückwärts in Richtung Erde.

Doch statt der Kante einer harten Holzbank gebot etwas weicheres seinem Fall Einhalt.
 

"Als Sportler solltest du besser auf deinen Körper acht geben", meinte Schuldig, in dessen Armen er nun lag. Mit ein paar hektischen Bewegungen gelang es Ken, sich freizustrampeln und sich wieder ordentlich auf die Füße zu stellen.
 

"Was soll das, dich so anzuschleichen", blaffte Ken. Wut stieg in ihm auf. Wut war gut, besser als sich einzugestehen, dass er beim Klang von Schuldigs Stimme einen Moment lang wirklich Angst hatte.
 

Schuldig hob beschwichtigend die Hände. "Ruhig Blut, Kleiner, ich tu dir schon nichts. Außerdem hab ich mich nicht angeschlichen, ich kam nur aus einer anderen Richtung."
 

Er hatte es schon wieder getan. Ken ärgerte sich. Dieser verfluchte Telepath hatte schon wieder in seinen Gedanken herumgewühlt.
 

WEIß NICHT MAL, OB ICH DIR AUCH VERTRAUN KANN
 

"Du vertraust mir nicht."

Ken war über diese Aussage Schuldigs überrascht, kam sie doch so trocken und entrüstet bei ihm an. Wütend blickte er zu dem Deutschen hinauf, der einen Rang höher stand als er selbst.

"Natürlich nicht", sagte er, aufgebracht darüber, dass Schuldig diese Möglichkeit wirklich in Betracht zog. "Wie auch? Du hast die Kontrolle, kannst jederzeit zuschlagen, in meinen Kopf eindringen und mich Dinge tun lassen, die ich nicht will, so wie du es mit Sakura-chan gemacht hast."
 

Schuldig blickte ihn ernst an. Sein Gesicht zeigte keine Regung, nur sein Mund bewegte sich, um die Worte zu formen. "Sie war schwach. Du bist es nicht."

Er trat eine Stufe herunter, stellte sich mit ihm auf eine Ebene.
 

Ken wusste darauf nichts zu erwidern. Stimmt, er hatte Schuldig im Spiel besiegt, doch wie würde ein Kampf auf Leben und Tod verlaufen?

Als der Killer von Schwarz ins Koneko eingedrungen war, hatte er selbst mit Yohji zusammen nichts gegen ihn ausrichten können. Andererseits war der Eindringling sofort wieder abgehauen, noch bevor sie in die Vollen gehen konnten.
 

"Warum bist du hier?" spie Ken seinem Gegenüber entgegen, um diese Gedanken zu vertreiben, die er nicht wollte.

"Ich habe das Spiel letzte Woche verloren", erwiderte Schuldig kühl. "Das war doch meine Strafe, oder?"
 

Doch das war es nicht, worauf Ken hinauswollte. "Du weißt so gut wie ich, dass du nicht hättest herkommen müssen. Du hättest mir mit Schwarz auflauern können oder einfach wegbleiben können. Also was ist der wahre Grund deiner Anwesenheit?"

"Du hast doch selbst gesagt, ich soll es an Bewährungsprobe sehen", grinste Schuldig.

"SAG'S MIR!" schrie Ken ihn an.
 

Das Grinsen auf Schuldigs Gesicht erlosch. Er sah ruhig auf den Kleineren herab, doch er musste seinen Blick bald von den tiefen, blaugrünen Augen ablenken, die ihn mit ihrer Wut einzusaugen schienen.

"Weil ich es wollte", sagte er schlicht.
 

Eine gute Antwort. Kens Herz machte einen unwillkürlichen Freudensprung. Sein Vertrauen in das Gute im Menschen wurde dieses Mal nicht enttäuscht.

Doch sein Verstand ermahnte ihn erneut zur Vorsicht. Zwar mochte es sein, dass Schuldig hier sein wollte. Doch diese Absicht konnte verschiedene Gründe haben. Unter anderem auch, ihn zu töten.
 

"Lass uns jetzt spielen", forderte Schuldig ihn auf und warf ihm den Ball zu. Ken war so verdattert, dass die Lederkugel kurz von seiner Brust abprallte, bevor er sie fing.

"O... Ok."

"Doch dieses Mal wirst du verlieren", grinste Schuldig triumphal.
 

Ken erwiderte dieses Grinsen. "Du weißt aber, dass du dich mit einem J-League Spieler anlegst?"

"-Ehemaligen- J-League Spieler, Ken. Ehemalig."
 

HAB NUR WORTE IN SCHWARZ-WEIß

DOCH DU HAST IHNEN LEBEN EINGEHAUCHT
 

Selbst die Wortwechsel zwischen ihnen glichen einem Wettstreit, einem Kampf. Sie beide waren ewige Gegensätze wie Feuer und Wasser, Nacht und Tag, Schwarz und Weiß.
 

Diese elektrisierende Spannung zwischen ihnen kam nicht von ungefähr. Sie war ihnen vorbestimmt und wollte im Kampf entladen werden.

Doch obwohl sie Todfeinde waren, obwohl sie sich bis aufs Blut bekämpfen sollten, konnten sie hier einem friedlichen Fußballspiel nachgehen und die blutigen Grenzen von Schwarz und Weiß hinter sich lassen.
 

WEIß NICHT MAL, WIE DU WIRKLICH HEIßT
 

Hier war er nun und spielte Fußball mit Schuldig, einem Mann, dessen wahren Namen er nie erfahren würde.

Vielleicht gab es ja doch noch mehr? Mehr als die Gruppenzugehörigkeit mehr als die Fraktion, die gebot, die gegnerische zu zerstören?
 

Ken beobachtete Schuldig, wie er im Laufen seine langen, orangenen Haare zusammennahm, ein Haargummi vom Handgelenk seines sehnigen Armes rollte und damit geschickt einen Zopf knotete.

Dabei wandte er dem Weiß den Rücken zu, als wäre es das Normalste von der Welt, mit ihm hier Fußball zu spielen. Er selbst war darauf bedacht, den anderen nicht aus den Augen zu lassen.
 

"Ich bin fertig", sagte Schuldig zu Ken, der ihn die ganze Zeit angestarrt hatte. Genauer gesagt hatte er dieses orange Haar angestarrt, das in der Sonne wie Feuer glühte.

Sie standen nun gemeinsam im Anstoßkreis.

"Dann fang an", gab Ken trocken zurück.

"Du hast den Ball."

"Oh." Das stimmte ja sogar. Ken reichte ihm den Fußball hin, doch Schuldig wehrte ab.
 

"Diesmal bist du dran."

Ken hob eine Augenbraue. "Du wolltest aber schon noch eine Chance haben?"

Schuldig griente ihn an und meine dazu nur: "Sei nicht so überheblich und fang an."
 

Ken zuckte die Achseln und setzte den Ball auf die Mittellinie. "Dann beschwer dich aber auch nicht hinterher." Er stieß an und dribbelte dann zügig in Schuldigs Spielfeldseite, wo er bereits erwartet wurde.

Sein Gegner rannte ihm entgegen und machte Anstalten, ihm den Ball zwischen den Füßen wegzutreten, indem er sich mit viel Schwung auf dem eigenen Hosenboden zu Ken schlitterte.
 

Doch Ken erkannte Schuldigs Absicht bereits in der Art wie selbiger Anlauf für diesen Gleitflug nahm und sprang mitsamt Ball über den Angreifer hinweg.
 

Schuldig hatte ihn zwar bei diesem ersten Angriff verfehlt, doch daraufhin hatte er seine Hände tief in den weichen Rasen geschlagen und die Fliehkraft seines eigenen Körpers ausgenutzt, um seine untere Hälfte wie einen Zirkel zu drehen und Ken dadurch die Füße vom Boden und zugleich den Ball wegzutreten.
 

So landete Ken unsanft auf seinem Hintern, zudem noch des Balls beraubt, den Schuldig nun auf sein Tor zutrieb.

Sofort nahm der Braunhaarige knurrend die Verfolgung auf und Schuldig grinsend dessen Unmut zur Kenntnis.
 

Ken war schnell und so hatte er Schuldig bald eingeholt, der ausweichend Haken schlug. Kens Gefühle wanderten zwischen Freude über einen angemessenen Gegner und Erstaunen hin und her? Wann war Schuldig so ein guter Spieler geworden?
 

*Ich bin eben ein Naturtalent*, erklang es in seinem Kopf. *Aber jetzt konzentrier dich gefälligst wieder, sonst langweilst du mich noch.*

"Raus aus meinem Kopf!" brüllte Ken und die Wut gab ihm einen zusätzlichen Geschwindigkeitsschub.
 

Damit hatte Schuldig nicht gerechnet. Er musste das Tor treffen, bevor Ken in unmittelbare Reichweite des Balls kam, denn er wusste, dass er gegen seine Abwehr nicht viel ausrichten konnte. J-League Spieler kannten hunderte von Tricks, um dem Gegner den Ball abzujagen. Tricks, denen er als Hobbysportler nichts entgegensetzen konnte.
 

So probierte er es, er hatte nichts zu verlieren. Mit aller Kraft, die er besaß, schoss er auf das gegnerische Tor. Allzu weit war es nicht mehr, er könnte es schaffen.

Wenn nicht Ken auf die Idee gekommen wäre, sich mitten in die Flugbahn zu werfen.

Der Ball prallte von Kens Schulter ab und wurde, angetrieben von dem Anschnitt, dem Kens Körper ihm verpasst hatte, in die Höhe katapultiert.
 

Sofort richtete Ken sich wieder auf, und auch Schuldig war zur Stelle, um den herabfallenden Ball in Empfang zu nehmen.

Einen Sekundenbruchteil lang streiften sich ihre Blicke. Dies würde ein Kopfballduell werden.

Ken hatte dabei die schlechteren Karten, war er doch nicht unwesentlich kleiner als Schuldig. Doch er würde so hoch springen, wie er nur konnte, um den Größenunterschied auszugleichen.
 

Der Ball kam herunter, sie sprangen, gerieten aneinander, kämpften um die wertvolle schwarz-weiße Kugel.

Schuldig erreichte sie, versetzte ihr einen kräftigen Kopfstoß. Der Ball flog ins Tor und Schuldig auf Ken.
 

Nun lag der Orangehaarige auf Ken und grinste ihn an. "Tor."

Ken drehte den Kopf zur Seite und betrachtete den Ball, der sich wie selbstverständlich ins Netz kuschelte.

"Hmpf", brachte Ken nur hervor, mehr fiel ihm gerade nicht ein, um sein Missfallen auszudrücken.
 

WAS HAST DU VOR MIT MIR?!
 

Schuldig betrachtete den Mann unter sich, wie er gedankenverloren den Ball im Tor, das Zeichen seiner Niederlage betrachtete.

Tiefblaue Augen, schön geschwungene Brauen, fester, drahtiger Körperbau und im Innern ein unbezwingbarer Wille, geleitet von der ewigen Suche nach der Gerechtigkeit, die er nicht finden würde.

Der Schmerz, der aus Kens Innern zu ihm herausquoll, überwältigte ihn und er verspürte das unbändige Bedürfnis, ihm nahe zu sein.

Zart strich er über eine feuchte Wange, bevor er sein Gesicht senkte und ihn auf die Lippen küsste.
 

Ken war viel zu überrascht, um zu reagieren, selbst als eine fremde Zunge in seinen Mund eindrang, war er nur zu schwacher Gegenwehr imstande. Erst Schuldigs Hand, die sich sanft um seinen Hals legte, rüttelte ihn auf. Schrecksekunde der Todesangst. Leicht könnte Schuldig ihn erwürgen.

"Nein!" Er stieß ihn von sich, doch seine Kraft hatte nicht gereicht, um den anderen von sich herunterzuschubsen und so saß Schuldig immer noch auf seinem Becken, nun jedoch aufrecht.
 

"Was sollte das?" blaffte Ken ihn an.

"Kriegt der Sieger keinen Kuss?" fragte Schuldig mit einem seiner patentierten Grinsen.

"Du bist doch irre! Oder pervers! Oder beides!" Kens Stimme wurde stetig lauter. Verzweifelt versuchte er nun unter Schuldig wegzukrabbeln, jedoch ohne Erfolg.
 

Der Auftragsmörder von Schwarz fasste ihn an den Schultern und drückte Kens Oberkörper daran wieder zu Boden. Kens Boxhiebe in seine Seiten ignorierte er und beugte sich wieder über ihn.

"Was hast du vor mit mir?" Kens Stimme zitterte gegen seinen Willen.
 

Schuldig ignorierte die Frage. "Du hast Angst."

"Nicht vor dir!" spie Ken ihm entgegen. Das war nicht mal gelogen. Diese Behauptung des Deutschen machte ihn wütend und vertrieb so die Furcht in seinem Innern.
 

TRIFFST MICH TIEFER
 

"Ich hätte ja kein Problem damit, wenn du mich als Person fürchten würdest, aber es ist die Tatsache, dass ich ein Schwarz bin, die dir Angst macht.

Du weißt, welche Kräfte Schwarz hat. Du weißt, dass selbst ich allein dich jederzeit erledigen kann. Du hast sogar damit gerechnet, dass ich dich verrate, dir auflauere und dich hinterrücks umlege. Und trotzdem bist du heute hierher gekommen."
 

Kens Blick wurde starr ob der Wahrheit, die er ihm eiskalt vorführte und ihn in die Seele schnitt, jedes Wort ein bisschen mehr.
 

"Du kommst mit dir selbst nicht klar und deswegen wäre es dir nur zu recht, wenn dir jemand die Entscheidung über Leben und Tod abnehmen würde. Aber ich werde dir diesen Gefallen bestimmt nicht tun, wenn ich nicht muss. Warum sollte ich deine Feigheit noch unterstützen?"
 

TIEFER
 

Schuldig sagte dies ohne Spott, ohne Überheblichkeit. Dieser Blick aus seinen strahlend blauen Augen war wie Eis. Es war in Kens Innern so kalt geworden, dass er zu keiner Bewegung fähig war.
 

"Dich leiden zu sehen macht doch viel mehr Spaß", zischte der Gedankenleser sarkastisch in Kens Ohr.

Dieser Satz ließ die heiße Glut des Zorns wieder aufkochen, holte den alten Ken zurück.
 

TIEFER
 

Er schlug nach Schuldigs Gesicht. Dessen Besitzer jedoch wich aus und fing den Schlag mit einem festen Griff um Kens Handgelenk ab, die er dann über seinem Kopf zu Boden drückte.
 

"Oh, habe ich da etwa einen wunden Punkt getroffen? Das ist es doch, was du von mir hältst. Du glaubst doch, dass ich immer nur auf eine gute Gelegenheit warte, dich umzubringen. Und insgeheim wartest du doch nur darauf."

Dieses arrogante Gehabe kotzte Ken an und so holte er mit dem Knie aus, um einen viel empfindlicheren Teil des Telepathen zu treffen.
 

"Keine Chance, du kleine Wildkatze", knurrte Schuldig, der auch diesen Angriffsversuch vereitelt hatte. Der größere Mann beugte sich nun dicht über ihn und kam mit seinem Gesicht gefährlich nahe. Heißer Atem streifte Kens Wange.
 

"Geh nicht so leichtfertig mit deinem Leben um", murmelte er ihm ins Ohr, bevor er Ken losließ und aufstand. Die Hand, die er Ken reichte, wurde ignoriert, der Fußballer richtete sich allein auf.
 

"Menschen umzubringen ist keine schöne Sache. Doch im Gegensatz zu uns killt ihr nicht -jeden- für Geld ab. Sieh's also positiv. Du bist ein besserer Mensch als ich."
 

"Das ist ja auch nicht schwer", gab Ken trocken zurück.

"Ich mein es ernst. Du bist kein schlechter Mensch. Also hasse dich nicht für das, was du tust."

"Als ob du gut und schlecht unterscheiden könntest." Für Schuldig hatte er nicht mehr als einen abfälligen Blick übrig.
 

"Doch das kann ich." Das Grinsen hatte Schuldigs Lippen wiedergefunden. Es war jedoch getrübt, wirkte gezwungen. "Aber im Unterschied zu dir macht es mir nichts aus, einer von den Bösen zu sein."
 

ES IST SCHLIMMER, SCHLIMMER,

WENN MAN GAR NICHT WEIß, WAS ES MIT DIR ZU LEBEN HEIßT
 

Was war das eben? Konnte man den selbstbewussten Telepathen wirklich mit Worten verletzen?

Ken konnte machen, was er wollte, er würde diesen Menschen nie verstehen. Das warme Leuchten dieser orangeroten Haare passte überhaupt nicht zu den kalten Worten, die er von sich gab.

Davon mal abgesehen wollte er auch gar nicht wissen, was in Schuldig vorging. ... Oder?
 

Schuldig hatte wieder seine Gedanken gelesen, das konnte er an seinem Gesicht erkennen, in dem leicht die Augen zusammengekniffen wurden. War dies seine ,Gedankenleser-Miene'?
 

Augenblicklich veränderte sich Schuldigs Ausdruck zu einem ärgerlichen Stirnrunzeln.

"Ich mag es nicht, wenn man mich analysiert."

"Ich mag es nicht, wenn man meine Gedanken liest. Und ich will dich nie wieder sehen. Fass mich noch einmal an und du bist tot."
 

"Tu nicht so, als hätte es dir nicht gefallen. Ich weiß besser, was in dir vorgeht als jeder andere. Ja, vielleicht sogar als du selbst. Dir ist es doch egal, wer dich hält, weil du dich nicht selbst aushalten kannst."
 

"Halt den Mund!" Ken schlug ihm ins Gesicht und traf, weil Schuldig sich treffen lassen wollte. "Halt deinen verdammten Mund, du Teufel!"

Dem nächsten Hieb allerdings wich Schuldig aus. "Ja, vielleicht bin ich ein Teufel. Doch du bist derjenige, der sich mit ihm einlässt."
 

Ken wusste darauf nichts zu erwidern. Er stand nur da, allein mit seiner Wut, die Fäuste geballt, zum Zerreißen gespannt.

Schuldig trat neben ihn und blickte an ihm vorbei, während er sprach. "Du hast das Spiel begonnen, Ken. Also spiel es auch weiter und beklag dich nicht, wenn du verlierst."

"Von Vergewaltigung und Psychoterror war aber keine Rede."

"Noch habe ich dich nicht vergewaltigt. Und du wusstest genau, dass es nicht nur beim Fußballspielen bleiben würde."

Ken konnte noch die orangeroten Haare sehen, die an ihm vorbeiwehten, als Schuldig an ihm vorüberschritt.

"Bis nächste Woche", hörte er die sich entfernende Stimme des Telepathen.
 

Ken würgte den dicken Kloß in seinem Hals herunter. Himmel, was war das eben? Dieser Mistkerl hatte sich eindeutig zu weit vorgewagt. Oder war er derjenige, der zu weit gegangen war? Egal, wer angefangen hatte, spielte letztendlich keine Rolle mehr. Wichtig war nur, dass sie sich nicht wieder sehen würden. Jedenfalls nicht privat.
 

So hielt sich Ken in der nächsten Woche vom Fußballplatz fern. Ebenso die Woche danach. Und die Woche darauf. Wenn er das Spiel begonnen hatte, dann könnte er es auch beenden, soviel war er sich sicher. Die Jungs, die mit ihm Fußball spielen wollten und bettelnd in den Blumenladen kamen, wimmelte er ab, indem er wichtige Aufträge vorschob.

In der Tat flüchtete er sich in die Arbeit, machte freiwillig alle Auslieferungen und Kundenbesuche, so dass Omi und Yohji schon hinter seinem Rücken anfingen zu tuscheln. Doch das war ihm herzlich egal, so lange er von den Gedanken an einen gewissen Telepathen abgelenkt wurde.
 

Langsam fand er zu sich selbst zurück, dieses Kribbeln der Ungewissheit, die Furcht gemischt mit angenehmem Nervenkitzel ging langsam aber sicher zurück, wenn er an den Telepathen von Schwarz dachte. Zudem dachte er immer seltener an ihn und nach eineinhalb Monaten hatte er ihre Begegnungen auf dem Sportplatz schon so weit verdrängt, dass sie ihn nicht mehr bis in seine Träume verfolgten.
 

Doch sein ruhiges Leben fand ein jähes Ende, als beim Ausliefern von ein paar Blumengestecken auf einem Friedhof Schuldigs orangefarbener Haarschopf vor seinen Augen aufleuchtete, als er um die Ecke bog.

Selbiger stand an einem frisch ausgehobenen Grab und blickte gerade in dem Moment auf, als Ken sich heimlich aus dem Staub machen wollte.

"Wen haben wir denn da?" höhnte der größere Mann über die 20 Meter hinweg, die sie trennten.
 

Entgeistert ließ Ken das Gesteck fallen und rannte los. Nur weg von ihm. Nein, er wollte ihn nicht sehen, sich nicht auf ihn einlassen. Er hörte Schritte hinter sich, Schuldig verfolgte ihn. Ken rannte, als gelte es sein Leben und das war auch gut möglich, trug Schuldig doch den schwarzen Mantel, den er auch auf Missionen zu tragen pflegte.
 

An einer Gabelung sah Ken sich panisch um und wählte den Weg, der ihm am Dunkelsten erschien, vielleicht konnte er im angrenzenden Dickicht Schutz finden.

Die Schritte hinter ihm entfernten sich. Hatte er den Verfolger abgeschüttelt? Um sicher zu gehen lief er noch weiter, bog um diverse Ecken und durchkreuzte Unterholz, bis er völlig die Orientierung verloren hatte.
 

Heftig atmend machte er an einem großen Ginkobaum halt und lehnte sich an. Was für ein Schock. Wegen dieses Mistkerls war er jetzt irgendwo im ältesten Teil dieses riesigen Friedhofs verschollen und wusste nicht mehr, wie er zurückkehren konnte, um das bestellte Gesteck auf das Grab ihres Auftraggebers zu setzen.
 

Ein Knacken eines Astes ließ ihn aufhorchen, doch er konnte nicht mehr reagieren, als schon von Schuldigs kräftigen Händen seine Oberarme packten und gegen den Baumstamm drückten.

"Du hast mir gefehlt", murmelten schmale Lippen rasch, bevor sie sich gewaltsam auf Kens senkten.
 

Mit einem erstickten Protestlaut wand sich Ken in der Umklammerung des anderen. Die freche Zunge Schuldigs war so weich, warm und angenehm in seinem Mund, dass er sich zusammenreißen musste, um den leidenschaftlichen Kuss nicht zu erwidern. Verdammt, es gefiel ihm - Diese Tatsache musste er sich schlussendlich eingestehen - und das machte die Situation noch abartiger.
 

Mit einer ruckartigen Bewegung drehte er den Kopf und schaffte es so, seinen Mund wieder von dem anderen zu trennen und ihm ein gehässiges "Lass mich los" entgegenzuzischen.

Den Händen, die sich schmerzhaft wie ein Schraubstock um seine Oberarme schlossen, konnte er sich jedoch nicht entwinden.
 

"Nein", hauchte Schuldig als einzige Erwiderung an sein Ohr und ließ seine Zunge anschließend in die Furchen von Kens Ohrmuschel eintauchen.

Gänsehaut überzog Kens ganzen Körper und er verstärkte seine Bemühungen, sich zu befreien, bevor seine Gegenwehr zum Erliegen kommen würde.
 

Er drehte Schuldig wieder den Kopf zu und ließ sich von ihm küssen, die Zunge des anderen tief eindringen und mit der seinen spielen. Schuldig löste seinen Griff und schlang seine Arme um Kens Taille. Der legte eine Hand an Schuldigs Wange und griff mit der anderen den Nacken des Telepathen.

Bevor dieser sein Vorhaben erkennen konnte, presste Ken seine Fingernägel in Schuldigs Wange und kratze mit einer heftigen Bewegung tiefe, blutige Striemen hinein.

Mit einem wütenden Grollen riss sich Schuldig von ihm los und fluchte. "Verdammte Wildkatze." Er löste sein gelbes Stirnband und presste es gegen die blutende Wunde.

Ken wich schwer atmend zurück und fürchtete sich bereits vor der Rache des Verletzten. Doch der machte keine Anstalten zum Gegenangriff.

"Was sollte das?" fragte er nur.

"Selbst schuld, wenn du so mich herfällst", entgegnete Ken ärgerlich. "Was machst du überhaupt hier?"
 

OB DU MEINE NEUGIER STILLST

ODER DICH IN SCHWEIGEN HÜLLST
 

"Unsere derzeitigen Auftraggeber werden von einer Gruppe Irrer bedroht, die ihre Gegner bei lebendigem Leibe vergräbt. Wir spielen also mal wieder Bodyguard. Ich bin hier, um nachzuprüfen, ob die Leiche in dem kürzlich verscharrten Sarg auch wirklich tot ist."

Ken blickte ihn halb erstaunt, halb ungläubig an.

"Er ist tot", meinte Schuldig nur, kramte in seiner Manteltasche nach einer Schachtel Zigaretten und zündete sich eine Golden American Filter an. "Und morgen lassen wir die Bande hochgehen, die Leute lebendig begräbt."

Ken war ein wenig verblüfft, hatte ihm Schuldig doch einen recht tiefen Einblick in sein (Arbeits-)Leben gewährt. Er hätte erwartet, dass der andere sich zu dieser Frage ausschweigen oder vom Thema abweichen würde.
 

OB DU MEIN VERTRAUEN VERDIENST

MICH BELÜGST
 

Andererseits könnte der Auftragsmörder von Schwarz auch lügen, darin war er bekanntlich gut.

"Ich habe seit meiner Geburt nicht ein einziges Mal gelogen", antwortete Schuldig grinsend auf diesen Gedankengang und paffte Ken eine Rauchschwade ins Gesicht.

"Du lügst doch, wenn du nur den Mund aufmachst", gab Ken zurück.

Schuldig zuckte mit den Schultern. "Die grauen Zellen in meinem präfrontaler Kortex[1] sind wohl nicht so gut ausgebildet."

Ken zog eine Augenbraue in Unverständnis hoch, ließ es aber dabei bewenden.
 

OB DU DIR GEDANKEN MACHST

ODER ÜBER MICH NUR LACHST
 

"Ich bin dann weg", sagte er nur.

Schuldig stellte sich ihm in den Weg. "Nicht so schnell."

Ken schoss ein Satz Schuldigs in den Kopf, der bei ihrem letzten Treffen gefallen war und fortan in seinem Hirn rumort hatte. "Noch habe ich dich nicht vergewaltigt." Das hieß, dass er es vielleicht noch vor hatte? Vielleicht jetzt gleich? Die Nötigung zum Kuss von eben gerade zeigte schon gute Ansätze dazu.

Schuldig lachte. "Keine Angst, ich werde dich nicht mit Gewalt nehmen, das macht doch nur halb so viel Spaß."

Er fasste Ken unter sein Kinn und hob seinen Kopf an, so dass er den Deutschen ansehen musste. "Du sollst freiwillig zu mir kommen. Und glaub mir, du bist nicht mehr weit davon entfernt."

Ärgerlich schlug Ken die Hand weg. "Das hättest du wohl gern. Für wen hältst du mich eigentlich?"

"Ja, das habe ich mich auch schon in den letzten Wochen gefragt. Offensichtlich bist du immer wieder für eine Überraschung gut. Jetzt gerade spüre ich große Unsicherheit bei dir, auch ohne, dass ich deine Gedanken lesen muss.

Richtig, Ken war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch dem anderen zu vertrauen und der Angst davor.

"Verdammt, was soll ich denn noch machen, damit du diese ablehnende Haltung ablegst?"

"Da kannst du nichts machen. Du bist mein Feind und..."

Ken wurde harsch unterbrochen.

"Sind wir grade auf Mission? Stehen wir uns im Kampf gegenüber? Nein! Und trotzdem kannst du nicht ein Mal wie einen normalen Menschen behandeln, obwohl es dir gefällt, von mir berührt zu werden! Was zur Hölle ist den Problem?!"
 

Ken schnaubte vor Wut. "Du hast gut reden. Wenn du mal ein normaler Mensch wärst. Du dringst in meinen Kopf ein, liest meine intimsten Gedanken und hast mich völlig in der Hand. WAS IST, WENN DU NUR MIT MIR SPIELST?" Ken schrie ihn an.

"Was dann?" fragte er, nun leise. Jetzt war es raus. Der größte Stein, der auf seinem Herzen lastete, war ausgesprochen. Der Telepath wusste schon lange vor ihm, dass Ken ihm schon lange erlegen war, es jedoch nicht zulassen konnte, eben aufgrund dieses Zweifels.

"Was soll ich tun?" wollte Schuldig wissen und seiner Stimme schwang tatsächlich so etwas wie Wehmut mit. "Ich bin nun einmal so wie ich bin. Was kann ich tun, damit du mir vertraust."
 

ES WIRD ZEIT, DEIN GESICHT ZU KENNEN

ES WIRD ZEIT, DICH BEIM NAMEN ZU NENNEN
 

"Deinen richtigen Namen zu erfahren, wäre ein guter Anfang. Du heißt doch sicher nicht wirklich Schuldig, oder?"

"Nein...." erwiderte Schuldig zögerlich.

"Soll ich dich Schuschu nennen?" [2]

"Alles, bloß das nicht."

"Also?" Ken hatte wartend die Arme verschränkt.

Schuldig senkte betreten den Kopf, als müsste er angestrengt darüber nachdenken und überlegen, wie er doch gleich noch geheißen hatte. Schließlich hatte er seine Antwort gefunden. "Das ist eine Sache, über die ich nicht sprechen möchte. Noch nicht."
 

Ken zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. "Da haben wir es. Du durchleuchtest mich bis auf das kleinste Detail, gibst aber nichts von dir Preis. Ich gehe. Und ich will dich nicht wiedersehen, bis du nicht bereit bist, dich auch mir gegenüber zu öffnen."
 

"Warum musst du mich auch gerade das fragen, worauf ich keine Antwort geben will?"

"Du klaubst ja auch Dinge aus meinem Innern zusammen, über die ich nicht sprechen will. Denk mal darüber nach."

Damit drehte sich Ken um und ging davon, um den Weg zurück zu suchen.

*Wenn ich bereit bin, darüber zu sprechen, werde ich dich aufsuchen*, schickte Schuldig ihm telepathisch hinterher und seine geistige Stimme klang verletzt.

Doch das rührte Ken kein bisschen.

"KOMM DOCH!" schrie er über die Schulter. "Ich bin nicht zuhause."
 

Ken war aufgewühlt nach ihrer Begegnung auf dem Friedhof. Er war wütend und schmollte. Er ging zwar wieder zum Sportplatz, um mit den Jungs Fußball zu spielen, doch Schuldig tauchte wochenlang nicht auf.
 

Es wurmte ihn, dass der Telepath nicht auch mal über sich sprach. Er wollte mehr über ihn wissen, ihn wirklich kennen. Denn - wie er sich zu Missfallen eingestehen musste - war er dem feindlichen Assassinen unrettbar verfallen. Dauernd musste er an ihn denken, nicht mal die Arbeit konnte ihn noch ablenken.

Nun, da er diese Tatsache nicht mehr leugnete, schwand seine Unsicherheit, seine Wut auf sich selbst und sein schlechtes Gewissen dagegen stiegen proportional an.
 

Schuldig war immer noch ihr Gegenspieler, auch wenn Schwarz ihnen im Moment nicht in die Quere kam und Weiß' Missionen zuwiderhandelte.

Wenn Ken sich mit dem Feind einließe, was inzwischen tatsächlich eine Option für ihn darstellte, so beging er einen Verrat an seinen Freunden.

Hatte er das Recht, sich von Schuldig trösten zu lassen, während die anderen weiter vor sich hin litten? Durfte er sie das Kreuz von Weiß allein tragen lassen?
 

Sicher, Aya begann, sich mehr und mehr zu öffnen, und das war zum Großteil Omis Verdienst, der sich überdurchschnittlich um ihn bemühte. Oft sah man ihren Jüngsten in Ayas Zimmer verschwinden, und Ken hoffte für beide, dass sie sich durch ihre Gespräche gegenseitig stützen würden. Und auch über die Takatoris sprachen, schließlich war Omi ein Teil der Familie, die Aya so sehr hasste. Vielleicht würde Aya irgendwann seinen Frieden finden. Und Omi war noch jung, er würde dank seines heiteren Gemüts seinen Weg schon finden.
 

Mehr Sorgen machte ihm Yohji. Der blondgelockte Playboy ging so gut wie jeden Abend aus und kam erst nach Morgengrauen wieder zurück. Ken begrüßte es jedoch, dass er seit einiger Zeit nicht mehr vollstramm schwankend, sondern gut gelaunt nach Hause kam. Denn so die Wahrscheinlichkeit sank, dass er ihm wieder in die Schuhe kotzte, die aufgereiht im Eingangsbereich mehr als einmal ein gutes Ziel für seinen Mageninhalt gegeben hatten.
 

Vielleicht hatte er ja eine feste Freundin gefunden. Und würde Ken Birman nicht besser kennen, würde er auf sie tippen, da Yohji sie in letzter Zeit nur allzu intensiv anflirtete. Doch da der Frauenheld stets schroff abgewiesen wurde - Manx musste ihr Tipps gegeben haben - verwarf Ken diesen Gedanken wieder.
 

DU BIST DA, DU KOMMST ZU MIR

UND DIE LUFT IST VOLL VON DIR
 

*Wenn du auch keine Gedanken lesen kannst, so hast du doch einen ausgezeichneten Riecher für die Verhältnisse im Hause Weiß.*

"Schuldig!" rief Ken erschrocken aus, hielt jedoch gleich erschreckt die Luft an. Omis Zimmer grenzte direkt an seines. Er sah, wie ein orange schimmernder Haarschopf vor seinem Fenster zum Vorschein kam.

Ken fühlte sich unbehaglich ob der Präsenz des anderen. Es erschreckte ihn, den anderen hier in seine eigenen vier Wände hinein zu lassen, schließlich war dies seine Privatsphäre, sein Rückzugsort, seine Zuflucht.

Dennoch nahm er eilig das Alpenveilchen aus seiner Fensterbank und öffnete das Fenster.
 

Da er nichts sagte, fuhr Schuldig fort, während er in den Raum kletterte.

"Du hast sehr recht mit deinen Beobachtungen. Yohji-kun fährt jede Nacht zu dieser Frau. Und was euren Chibi angeht - er besucht Aya nicht nur, um mit ihm zu reden, wenn ich es höflich ausdrücken soll. Du siehst also, auch die anderen haben ihre Geheimnisse."
 

Ken war wenig überrascht, dass sich seine Vermutungen bestätigten, aber dennoch schämte er sich jetzt dafür, dass die Geheimnisse der anderen nun keine mehr für ihn waren. Doch das sagte er nicht laut.

"Ja", erwiderte er statt dessen, "nur verkehren sie nicht heimlich mit einem widerlich grinsenden Telepathen der Gegengruppe."

"Wie nett du wieder bist. Doch insgeheim ist es dir schon längst egal, wen du damit verletzt."
 

ICH MÖCHTE ÜBER ALLEM STEHN UND MICH VERLIERN
 

Ja, Schuldig hatte Recht, es wäre ihm egal, wenn nicht dieses schlechte Gewissen an ihm nagte. Doch das konnte und wollte er jetzt beiseite schieben und sich der Verführung dieser strahlend blauen Augen ergeben.

Schuldig trat näher an ihn heran. "Erlaubst du mir einen Kuss?"

"Bisher hast du auch nicht gefragt." Mit seiner Antwort packte er Schuldig an den langen Haaren und zog ihn zu sich herunter. Mit Wohlwollen beobachtete, wie sich die Augen des Telepathen überrascht weiteten, als Ken ihn zum ersten Mal von sich aus küsste.
 

KOMM, ERZÄHL WER DU BIST

UND VERGISS BITTE NICHT,

ZU SAGEN WAS DIR WICHTIG IST
 

"Warum bist du hier?" wollte Ken wissen, als er sich von ihm löste.

"Ich sagte doch, dass ich zu dir komme, wenn du deine Antwort bekommen kannst."

Ken sah ihn wartend an und schwieg.

"Ich habe lange überlegt, wie ich es dir klar machen kann, warum ich meinen alten Namen nie wieder laut aussprechen werde. Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen, dass nichts anderes als die ganze Geschichte dich überzeugen wird."

"Gute Entscheidung", meinte Ken anerkennend.

Schuldigs Tonfall war ernst, aber ruhig und gelassen.

"Du hast mich mit deiner Forderung an ein paar unschöne Dinge erinnert, Ken. Meine Kindheit war alles andere als rosig. Aufgrund meiner Fähigkeit wurde wie ein Monster behandelt - auch von meinen Eltern. Also habe ich als halbwüchsiger Junge beschlossen, den Weg eines Monsters einzuschlagen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung quasi. Ich habe mich so verhalten, wie meine Eltern es von mir erwarteten.

Doch eines Tages bin ich zu weit gegangen."

Ken hatte nicht bemerkt, dass er gebannt die Luft angehalten hatte. "Was hast du getan?" hauchte er mit der letzten Luft aus seinen Lungen.
 

Schuldig atmete hörbar tief aus. Seine Augenbrauen zogen sich angestrengt zusammen. "Weißt du, was mein derzeitiger Name bedeutet?"

Ken schüttelte den Kopf. Natürlich nicht, er konnte kein Deutsch.

Also übersetzte der Mann von Schwarz.
 

"Er bedeutet ,schuldig'. Ich habe etwas Unverzeihliches getan." Der größere Mann stockte und wirkte plötzlich so hilflos. Doch Ken konnte sich nicht rühren, nichts sagen, sondern lauschte nur stumm.
 

"Ich war zehn Jahre alt. Meine Mutter lag in der Badewanne mit meiner kleinen Schwester im Arm. Sie war ein ganz normales 3 Monate altes Baby. Meine Eltern liebten sie über alles, während sie mich verabscheuten. Und deswegen hasste ich sie, meine Schwester.

Ich war an jenem Tag so wütend, dass ich meine Gabe benutzte, um meine Mutter in der Wanne einschlafen zu lassen. Sie konnte also meine Schwester nicht mehr festhalten und die Kleine glitt ins Wasser. Ich... habe dabei zugesehen, wie sie um ihr Leben strampelte. Ich habe zugesehen, wie sie ertrank.

Seither habe ich meinen Namen nie mehr ausgesprochen."
 

Ken starrte ihn an, unfähig, auch nur ein Wort zu sprechen. Was für eine Geschichte. Grausam, sehr grausam, aber zugleich wohl das größte und intimste Geheimnis, das Schuldig ihm anvertrauen konnte.

Nach einer endlos scheinenden Zeit fand Ken die Sprache wieder. "Du wusstest nicht, was du tust! Du warst doch noch ein Kind!"
 

"Oh doch, das wusste ich sehr genau. Es war mein erster, eiskalt geplanter Mord.

Doch hinterher wurde mir klar, was ich getan habe. Ich habe meine Schwester getötet. Einen unschuldigen, kleinen Säugling, der nichts dafür konnte, dass sie geliebt wurde und ich nicht. Wenn ich vorher nicht der Teufel war, für den mich alle hielten, dann bin ich an jenem Tag dazu geworden.

Ich habe mich schuldig gemacht, indem ich das Reinste und Unschuldigste auf der Welt getötet habe. Und damit habe ich mir meinen Namen verdient."
 

Wieder schwieg Ken. Er musste das alles erst mal verarbeiten. Wie konnte Schuldig nur damit leben? Wie konnte er die ganze Geschichte so ruhig vor ihm ausbreiten? Ken setzte sich auf sein Bett. Schuldig lehnte sich ihm gegenüber an die Wand.
 

KOMM, LASS MICH RATEN, WAS DU VON MIR DENKST,

OB DU MICH KENNST
 

"Was denkst du jetzt über mich?" fragte der Deutsche. Das ließ Ken verwundert aufblicken.

"Schau doch nach, wie du es sonst tust", forderte Ken ihn auf.

Doch der stehende Mann schüttelte den Kopf.

"Ich trau mich nicht." Er grinste schief. Kein fieses Grinsen, wie sonst, sondern ein gezwungenes, schmerzverzerrtes.

"Dann lass mich raten, was du von mir denkst", meinte Ken. "Du glaubst, ich verabscheue dich dafür, und will dich jetzt rauswerfen und nie wieder sehen, außer um dich umzubringen."

Ken machte ein ärgerliches Gesicht und seine Stimme klang bedrohlich. Nein, in diesen Kopf wollte er jetzt bitte nicht hineinblicken. Schuldig konnte diesem Blick nur mit Mühe standhalten und nickte stumm.
 

Ken seufzte ergeben. "Gut, da hast du vollkommen Recht. Das ist es, was ich am Liebsten tun würde." Sein Gesichtsausdruck veränderte sich in ein verhaltenes Lächeln. "Doch ich tu's nicht. Dass du deine Tat bereust, zeigt mir, dass du ein Mensch bist, der zumindest den Ansatz eines Gewissens besitzt. Das gibt dir Pluspunkte. Weitere gibt's dafür, dass du mir all das erzählt hast."
 

"Ken!" rief Schuldig aus, sprang ihn an und umarmte ihn heftig, als wollte er ihn nie wieder loslassen. So saßen sie da und hielten sich gegenseitig.

Ken blickte über Schuldigs Schulter. "Sag mir, wer du bist, Schuldig. Ich will es wissen. Ich will dich wirklich kennen."

Schuldig näherte sich Kens Ohr und wisperte etwas hinein.
 

HAB NUR WORTE IN SCHWARZ-WEIß,

DOCH DU HAST IHNEN LEBEN EINGEHAUCHT

ICH WEIß JETZT, WIE DU WIRKLICH HEIßT
 

Ken traten die Tränen in die Augen und Schuldig drückte Ken an sich, so dass sie sich gegenseitig über die Schulter blickten.

*Jetzt weißt du es. Und da wäre noch etwas....* Er zögerte. *Scheiße... Ich glaube, ich liebe dich, Ken*, tönte es in dem braunhaarigen Kopf und eine sanfte Umarmung Schuldigs bewies Ken, dass das nicht gelogen war.

Der Telepath bemühte sich, dem Blickkontakt auszuweichen. Dennoch wurden Kens letzte Zweifel mit diesem Geständnis fortgespült.

"Danke", flüsterte Ken und küsste ihn.
 

"Ist es mir also gelungen, die wildeste Katze in diesem Haus zu zähmen", meinte Schuldig selbstgefällig grinsend, als Kens Lippen von ihm abließen.

"Nun ja", begann dieser zögerlich, "nur weil eine Katze zutraulich wird, heißt das noch lange nicht, dass ihre Wachsamkeit und ihr Jagdinstinkt verlorengegangen sind. Wirklich zahm kriegst du eine Katze nie."
 

ICH HAB WAS VOR MIT DIR...
 

Ken ließ demonstrativ seine Fingernägel an Schuldigs Flanken entlang fahren.

Ein wilder Kuss von Schuldig war die Reaktion darauf. Herrisch drückte Schuldig den braunhaarigen Mann auf die Matratze. Und Ken ließ es geschehen.
 

TREFF DICH TIEFER, TIEFER, TIEFER

ES IST SCHÖNER, SCHÖNER WENN MAN ENDLICH WEIß

WAS ES MIT DIR ZU LEBEN HEIßT
 

Schuldig hatte ihm die Abgründe seiner eigenen Seele offenbart, ihn mit seinem Schmerz konfrontiert und ihm Linderung versprochen, die er jetzt in seinen Armen fand.

Im Gegenzug hatte er Schuldig sein innigstes, dunkelstes Geheimnis entlockt und ihn so tiefer getroffen als jemals jemand zuvor.

Dieses Gefühl, kennen und gekannt zu werden, Vertrauen zu schenken und zu empfangen, war so süß und neu, dass er es kosten wollte. Er wollte sich hingeben, sich treiben lassen. Die Grenzen von Schwarz und Weiß überwinden, reine Liebe spüren, eins werden.
 

ES FÜHLT SICH GUT AN.

JA, JA...

NIE MEHR WORTE IN SCHWARZ-WEIß...
 


 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

[1] Der präfrontale Kortex ist für das Empfinden eines schlechten Gewissens zuständig und verantwortlich für die Ausbildung von Moralvorstellungen. Bei notorischen Lügnern ist die graue Hirnmasse darin reduziert, die weiße dagegen erhöht. Weiße Hirnmasse bildet die Nervenfasern, die krankhafte Lügner brauchen, um die komplizierte Kunst des Betrügens perfekt zu beherrschen.

Interessanter Link dazu: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,377606,00.html
 

[2] Ich finde diese Kosenamen furchtbar, besonders wenn sie in FFs vorkommen, die keine Parodie sind >_<
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Nachwort:

Ja, ja... diese letzte Textstelle ist pikant genug, dass ich sie einfach als Schluss im Raum stehen lasse. *grins* Ich gehe davon aus, dass ihr genug Phantasie habt, um euch vorzustellen, was die beiden nun miteinander vorhaben. *snicker*

Diese Fanfiction hat mir unheimlich viel Spaß gemacht, ich hoffe, ihr hattet auch ein wenig davon. XD
 

Noch eine kurze Anmerkung zum Liedtext: Dieser Songtext basiert auf der "Freier Fall"- Album Version. "Freier Fall" ist das österreichische Album von Christina Stürmer.

Hier in Deutschland kann man das Album "Schwarz Weiß" erwerben, wo eine andere Version von "Worte in Schwarz-Weiß" drauf ist. Die Lieder sind anders aufgemacht und weichen an einer Stelle leicht vom Text ab. Nur nicht, dass ihr euch wundert, falls ihr das Lied kennt. ^.^;;
 

Auf bald

Shiva



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Langenlucky
2010-05-24T18:27:39+00:00 24.05.2010 20:27
Leider hab ich erst heute deine FF entdeckt, sonst hättest du schon längst einen Kommi mehr.
Was mich am meisten an der FF freut ist, dass du Schuldigs menschliche Seite beschreibst, viel zu oft wird er nur als Schurke beschrieben.
Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut und man merkt kaum, das es sich um eine Song FF handelt, da du den Text sehr geschickt eingebunden hast.
Die Idee mit dem Fussballspiel fand ich sehr schön und auch dass du die FF beendest, wo die beiden alleine im Zimmer sind.
Ich hoffe noch viele Geschichten von dir zu lesen.

Von:  -Dead_Star-
2007-04-07T02:36:19+00:00 07.04.2007 04:36
die FF is echt geeeeeenial geworden *respekt hab*
und noch dazu sind schu und ken meine lieblinge^^
Von:  Enoki
2006-07-23T11:28:36+00:00 23.07.2006 13:28
Das ist echt eine gelungene FF!
Mit dem Fußball hast du nen interessanten Hintergrund gewählt und die einzelnen Begegnungen der beiden sind wirklich unterhaltsam ^^
Mir gefällt besonders, wie du die Gedanekn der beiden mit eingebracht hast, ohne dass der Storylauf drunter leidet. Und besonders Kens (unterbewusste) Gedanken find ich sehr glaubwürdig; sie können sich gut mit seiner Persönlichkeit aus dem Original decken (was man leider viel zu selten bei FFs erlebt)
Ansonsten hast auch nen super Schreibstil, bei dem das Lesen einfach Spaß macht :)
Ich hoff, dass das nich deine letzte FF zu WK war! Vielleicht kannst mir ja nen kleinen Tip geben, wenn du eine neue hochladen solltest ;)
Auf jeden Fall weiter so!
LG
Enoki
Von:  Shiva
2006-05-15T22:37:56+00:00 16.05.2006 00:37
OMG, es gibt doch Leute, denen die FF in der Masse der Schritfstücke hier gefunden haben. XD
Danke für eure Kommentare. *froi*
Von: abgemeldet
2006-05-15T19:26:49+00:00 15.05.2006 21:26
GEIL!! Einfach total schöööööööööööön!! *schnief*
*knuddel*
Finds super, echt! (Omi-chan, du untertreibst mal wieder mit deinem Kommi *moep* xD)
tenshischu
Von:  Anuri
2006-05-09T19:17:34+00:00 09.05.2006 21:17
wie noch keine Kommis? Dann ist hier das erste!! Ich finde die Geschichte richtig gut!! Der Schreibstil gefällt mir!
Das mit dem Fußball war eine coole Idee!!
Ich hoffe du schreibst noch mehr Geschichten!!


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