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Ekelpack

Shortstories
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5: Baum über Ishington

Klassische Science Fiction. Viel Spaß. :)
 

Baum über Ishington
 

Als das Raumschiff über Ishington seinen Flug verlangsamte, konnten Doktor Casper und seine Assistentin Linda den Baum zum ersten Mal aus der Nähe sehen.

„Wahnsinn“, flüsterte die junge Frau und drückte ihre Nase an die Scheibe, um besser sehen zu können. Sie schien beinahe zu vergessen, dass es ihre Hauptaufgabe war, ein Schiff der Aufklärungstruppe Drei zu lenken. Für kurze Zeit trudelte es führungslos durch den grauen Himmel, bis Casper die Kontrolle übernahm. Er lächelte milde und verständnisvoll.

Linda hatte Recht, der Baum war gewaltig. Er schien sich kilometerhoch nach oben zu recken, seine Äste reichten über die ganze Stadt.
 

Casper kroch aus dem winzigen Cockpit des Aufklärers und atmete keuchend die dünne Luft Erans ein.

Dass zu wenig Sauerstoff in der Atmosphäre vorhanden war, hatte er schon vorher gewusst, aber dass ihm die Mischung aus Stickstoff, Sauerstoff und ungewöhnlich viel Argon so dermaßen zusetzen würde, hatte er nicht gedacht. Automatisch griff er nach der Atemmaske, die von seinem Rucksack baumelte und legte sie an.

Als er sich nach Linda umsah, die hinter ihm herlief und neugierig alles beäugte, bemerkte er, dass sie anscheinend keine Probleme zu atmen hatte. Er grinste. Anscheinend machte sich sein Alter jetzt endgültig bemerkbar. Wahrscheinlich sah er mit diesem Ding vor dem Mund auch noch aus wie der letzte Vollidiot. Das ließ seine Chancen bei der jungen Assistentin natürlich drastisch sinken.

„Linda?“, rief er nach hinten.

Sofort kam die kleine Rothaarige näher und sah ihn erwartungsvoll an. „Ja, Doktor?“

„Setz deine Atemmaske auf. Wir wissen nicht genau, was für Chemikalien oder Keime in der Luft sind, da ist es besser, wir riskieren nichts. Gut?“

„Aye!“, antwortete sie vergnügt und zog ihre Atemmaske zu sich, um sie anzulegen.

Casper stellte fast ein bisschen schockiert fest, dass sie auch mit diesem Plastikding vor dem Mund verboten gut aussah.
 

Gut, er hatte gelogen. Es gab weder Keime noch Chemikalien auf Eran, das alles hatte ein früherer Aufklärtrupp feststellen können. Doch dieser war, nachdem er die Daten an das Mutterschiff der ehemaligen Aufklärungstruppe Zwei gesendet hatte, verschwunden.

Caspers und Lindas Auftrag war es, herauszufinden, was mit ihm und mit den Bewohnern von Ishington geschehen war. Zwar waren auf ganz Eran ähnliche Bäume aufgetaucht, aber nirgendwo auf dem ganzen Planeten hatte man bis jetzt einen so mächtigen wie diesen hier entdeckt.
 

Linda lief vor Casper her. Sie hatte ein Klemmbrett in der Hand und notierte akribisch, was sie für wichtig hielt. Er bewunderte sie für ihren Elan. Erst vor einem Jahr hatte sie die Ausbildung der Akademie beendet und schon war sie ihm, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Fremdweltforschung, zugeteilt worden. Auch wenn Linda oft ein bisschen naiv wirkte, wusste Casper, dass er sich hundertprozentig auf sie verlassen konnte.

Und hier, in dieser fremden Welt, die einst eine Kolonie der Alten Erde gewesen war, brauchte er jemanden, der hundertprozentig hinter ihm stand.

Außerdem war seine Assistentin auch noch verdammt hübsch, auch wenn Casper wusste, dass zwischen ihm und Linda nie mehr sein würde als ein Arbeitsverhältnis. Aber träumen war doch nicht verboten.
 

Linda bahnte sich zielstrebig einen Weg durch das zertrümmerte Ishington. Die Hauptstadt Erans schien ihr zu gefallen.

„Wir müssen hier entlang!“, rief sie nach hinten und sprang leichtfüßig über einen halb mit Pflanzen überwucherten Kinderwagen.

Als Casper sich umsah, konnte er sich nicht gegen den Eindruck wehren, dass die Bewohner der Stadt einen eiligen Aufbruch gehabt haben mussten.

Wohin er seinen Blick auch warf, konnte er Schuhe, Kleidungsstücke oder andere Dinge herumliegen sehen; in einigen der verwachsenen Vorgärten entdeckte er eilig zurückgelassene Spielsachen, während andere Grünanlagen einfach so aussahen, als ob sie in einen tiefen Schlaf gefallen wären, seit ihre Besitzer sich in Luft aufgelöst hatten.

Es war, abgesehen vom Geräusch ihrer Schritte, so still, dass er sein Herz schlagen hören konnte.

Sehr unangenehm.

„Linda!“, schrie er, um die Stille zu durchbrechen. „Komm schon, ich will den Baum aus der Nähe sehen!“

Sie nickte zustimmend und kam auf ihn zu. Ihr langes rotes Haar wippte aufreizend um die schmalen Hüften.

Langsam gingen die beiden durch die leeren Straßen von Ishington, immer weiter auf den gewaltigen Stamm des Baumes zu. Es war ein unglaublicher Anblick. Casper war fast noch dreißig Meter vom Objekt seiner Forscherbegierde weg und legte den Kopf in den Nacken, in der Hoffnung ungefähr abschätzen zu können, wie hoch der Baum war. Doch so sehr er sich auch anstrengte, er kam zu keinem wirklich brauchbaren Schätzergebnis außer zu dem, dass er gigantisch war. Nun gut, dann würde Linda eben später noch vermessen müssen, es nutzte ja trotz allem nichts.

Er hustete in die Unwirklichkeit. Die Stille raubte ihm fast den Atem. Leise begann er vor sich hinzupfeifen. Zum Glück hatte er Linda zugeteilt bekommen. Innerlich vor sich hingrinsend musste er an seinen Kollegen Brodsky denken, der mit seiner Assistentin nicht ganz so viel Glück gehabt hatte wie er. Mari war eine sehr intelligente junge Frau, aber leider hatte sie Gott nicht unbedingt mit umwerfender Schönheit gesegnet. Mit anderen Worten: Sie war unglaublich hässlich. Tja, es konnte nicht jeder alte Mann so viel Glück haben wie er, auch wenn er wusste, dass Linda sich nie für ihn interessieren würde. Sie war jung, intelligent und wunderschön. Warum sollte sie sich mit einem Mann abgeben, der ihr Vater hätte sein können?

Ein starker Sog riss Casper aus seinen Gedanken. Instinktiv lehnte er sich nach hinten, konnte aber nicht verhindern, dass ihm die Aufzeichnungen aus der Hand gerissen wurden. Einen Augenblick später war der Spuk auch schon wieder vorbei. Linda schien davon ohnehin nichts mitbekommen zu haben. Völlig unbeeindruckt stapfte sie weiter auf den Baum zu. Verwirrt sammelte Casper die losen Zettel wieder ein und lief ihr nach.
 

Das Gras, das rund um den Baum gewachsen war, hatte eine sehr ungesunde, unnatürliche Färbung. Casper vermutete, dass das am Schatten lag, den das riesige Gewächs warf. Er beugte sich hinunter und pflückte einen der Grashalme, um ihn dann sofort in einen vorbereiteten Glasbehälter zu legen. Später würde er ihn analysieren, später, wenn er und Linda wieder an Bord des Schiffes waren und sie beide endlich wieder richtige Luft atmen konnten. Und danach würden sie diesen unsäglichen Planeten verlassen und sich endlich wieder auf den Weg zurück nach Hause machen. Er seufzte leise und verscheuchte eine schillernde Fliege, die es sich auf seiner Hand bequem gemacht hatte. Erst jetzt bemerkte er, dass es in der Umgebung des Stammes keineswegs so still war wie in der übrigen Stadt. Erstaunt nahm er das Zirpen von Zikaden wahr, das immer lauter wurde, je näher er seinem Ziel kam. Nur wo steckten die Insekten? So sehr er sich auch anstrengte, er konnte keine im Gras entdecken. Es war eher so, als würde das Zirpen von dem Baum selber ausgehen, ganz so, als wäre er eine gigantische Zikade. Casper schüttelte unwillig den Kopf. So ein Schwachsinn. Bäume zirpten[/1] nicht, auch nicht wenn sie so gewaltig und ungewöhnlich waren wie dieser hier.
 

In einigem Abstand vom Stamm blieb er stehen und befahl auch Linda, es ihm gleichzutun. Etwas Respekt vor dem Gewächs konnte nicht schaden, außerdem brauchte er kurz Zeit, um sich seiner Schutzjacke zu entledigen. Der Marsch hatte ihn doch mehr angestrengt, als er sich selbst eingestehen wollte. Obwohl keine Sonne am Himmel zu sehen war – denn dieser wurde von der dichten Krone des Baumes überzogen – schwitzte er und fühlte sich älter und verbrauchter denn je. Linda reichte ihm mitleidig eine mitgebrachte Wasserflasche, die er mürrisch annahm und mit wenigen Zügen leerte. „Verdammt, ist es heiß hier“, murmelte er.

„Da haben Sie Recht, Doktor, es ist wirklich ungewöhnlich warm“, gab nun auch die junge Frau zu und lächelte verschmitzt. „Und dabei sind wir doch im Schatten.“

Casper wischte sich mit dem Ärmel über die verschwitzte Stirn. „Beginnen wir mit den Untersuchungen, dann sind wir schneller wieder zu Hause. Was meinst du?“

Sie nickte eifrig.
 

Er hatte das Gefühl, dass ihm die Luft des Planeten langsam aber sicher schadete, denn er konnte kaum noch klar denken, was bestimmt an dieser ungewöhnlichen Hitze lag, die in der Umgebung des Baumes herrschte. Mittlerweile hatte er lange genug gerastet, um sich sicher zu sein, dass der Stamm die Wärme ausstrahlte. Das Surren, auch davon war er inzwischen überzeugt, würde ebenfalls vom Baum selbst erzeugt. Schnell kritzelte er die Gedanken in sein Notizbuch.

Er fühlte sich unwohl.

Ob er da wirklich eine Pflanze vor sich hatte? Irgendwie war er sich nicht mehr ganz so sicher wie am Anfang seiner Forschungsreise. Es war Zeit, dass sie von hier verschwanden.

Wo war Linda überhaupt?

Casper sah auf und erblickte sie. Sie hatte sich dem Stamm gefährlich genähert und lief wie hypnotisiert immer weiter auf ihn zu. Innerlich schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. Hatte er seiner Assistentin nicht gesagt, sie sollte sich davon fernhalten? Er kniff die Augen zusammen. Hatte sich die Rinde nicht eben bewegt? Schnell legte er seine Unterlagen auf die Erde und machte einige Schritte auf den Stamm zu. Tatsächlich. Das Holz schien zu beben, nein, zu fließen, fast lebendig wirkte es. Er öffnete den Mund zu einem stummen Schrei, als Linda die Hand ausstreckte und die Rinde berührte. Wie aus dem Nichts schnellte ein Arm aus Holz aus dem Baum hervor und packte Linda an der Hand.

Erschrocken und wie aus einem Traum erwacht riss sie den Kopf herum, starrte Casper an und begann hysterisch zu kreischen. Er traute seinen Augen nicht, als er sah, was dieser Schrei auslöste. Wogen von menschlichen Gliedmaßen erschienen wie aus dem Nichts und es schien, als würde der ganze Baum nur noch aus menschlichen Leibern bestehen. Gesichter, junge, alte, drückten sich aus dem Holz und schienen nach ihm zu rufen; leere Augen starrten ihn an.

Linda stieß Laute des absoluten Entsetzens aus, er jedoch konnte nichts anderes tun als zuzusehen, wie sie von immer mehr Armen gepackt und in den Stamm gezogen wurde. Als sie endgültig eins mit dem Baum geworden war, ging ein Schaudern durch den Stamm. Schlagartig war die Rinde wieder glatt und borkig wie zuvor. Das Zirpen setzte wieder ein. Casper sank zusammen. Nun wusste er, wo die Bewohner von Eran waren. Er wusste, wieso es in der Umgebung des Baumes so heiß war. Und er wusste auch, dass er Linda niemals wieder sehen würde.

„Mist“, murmelte er und war sich durchaus bewusst, dass das Wort seine Situation nicht einmal ansatzweise traf. Müde starrte er den Baum an. Dann rappelte er sich auf und torkelte kraftlos auf den Stamm zu.



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