And the Kuro goes to...!
Autor: kurotowa
Ich hatte mir fest vorgenommen, dass wenn ich meine Magisterarbeit hinter mich gebracht habe, ich nach Brüssel fahren würde - den Kopf frei von dem Unikram und endlich ohne schlechtes Gewissen im Nacken ("Du solltest jetzt eigentlich schreiben!").
Aber warum gerade die Hauptstadt von Belgien? Die Antwort ist einfach: Comics, Waffeln, Schokolade, Flandern!
Brüssel ist die Hauptstadt des Comics - in keiner anderen europäischen Stadt werden mehr davon herausgebracht und in keinem anderen Land so viele gelesen. Die Stadt scheint voll von Comicautoren zu sein, die auch noch Häuserfassaden und U-Bahnstationen mit ihren Werken verschönern, und wenn man einmal in einen Comicladen geht ist man erstaunt, wie viele Produktionen aus diesem kleinen Land stammen, und man Mangas oder amerikanische Comics wirklich suchen muss, weil sie in kleinen Regalen irgendwo in einer Ecke vor sich hinschmollen. Und nachdem Mangas für mich ihren Reiz mit der Zeit verloren haben und ich die europäischen Bildergeschichten nun viel interessanter finde, musste ich dorthin - auch, um nach einem Dauerkreatief endlich neue Anregungen zu finden und mich mit neuen Artbooks einzudecken!
Belgien ist zudem berühmt für seine Waffeln, die "Gaufres" und natürlich Pralinen. Als Fan der Waffel war es nur eine Frage der Zeit, es mich dorthin verschlagen würde - und belgische Pralinen sind halt lecker! Überall findet man Chocolaterien, die nicht nur ein feines Sortiment, sondern auch noch eine alte, holzvertäfelte Einrichtung besitzen, so dass man die gleich mitkaufen möchte.
Aber ganz besonders wollte ich schon immer einmal wieder anch Flandern! Ich liebe die flämische Kunst und Architektur, diese schmalen Backsteinhäuser mit ihren hohen, mit hellem Stein eingefassten Fenstern, aber auch gerade in Brüssel die Häuser im Jugendstil, von denen es wirklich jede Menge gibt. Wenn man sowas mag, ist ein Stadtspaziergang dort wirklich wie Geburtstag und Weihnachten zusammen!
Also, ab in den Zug und für einen Tag in Brüssel herumlaufen!
Die Zugfahrt war wie immer im ICE total angenehm. Man merkt direkt, wenn man die Grenze überschreitet und durch Belgien fährt: die Häuser werden anders (Backstein), die Zugansagen kommen zuerst in Französich, dann in Nederlands, dann in Deutsch und dann in Englisch - und man fährt ständig an den typisch belgischen, beleuchteten Autobahnen vorbei. Okay, die hohen weißen Lampen waren tagsüber nicht an, aber sie waren dennoch der ständige Begleiter entlang der Bahnstrecke.
Übrigens - der Bahnhof von Liége/Luik/Lüttich ist extrem cool!! Ein moderner Bau aus weißen Rohren, Lamellen (oder so) und Glas, der sich wie ein riesiges, leichtes Kissen über den Gleisen spannt. Es war so schade, dass ich im Zug sitzenbleiben musste, ich hätte das Gebäude gerne ganz gesehen.
Vom Fenster aus konnte man zumindest noch die Maas sehen, über die eine alte, sehr schöne Brücke mit vergoldeten Statuen führte; nur der Rest der sichtbaren Stadt war ziemlich häßlich, die Häuserreihen ranzig und dreckig.
Im Gare du Midi, dem "Südbahnhof" von Brüssel angekommen, fand man sich erstmal nicht zurecht. Der Bahnhof ist der verwirrendste, an dem ich jemals war, und die Pläne, die dort aushängen, helfen einem nur mäßig weiter, vor allem, da die Ausgänge nicht eingezeichnet waren und man einfach auf gut Glück losgehen und hoffen muss, irgendwann Tageslicht zu sehen.
Von hier aus muss man als Nichteinheimischer erstmal wieder raten, wie man in die Innenstadt kommt (Stadtpläne sind in Brüssel Mangelware), und dann einen anderthalb Kilometer langen, schnurgeraden Boulevard entlanggehen. Kaum ist man ein wenig weitergeschlendert, begrüßen einen die riesigen Köpfe von Tim und Struppi von einem Hausdach herab (vielleicht das Verlangsgebäude?), und man weiß spätestens jetzt, in welchem Land man sich befindet.
Der Boulevard selbst ist schon hübsch... oder sagen wir besser, er WAR einst sicher hübsch: Fast jedes Haus hat einen gusseisernen Balkon, eine Jugendstil- oder andere Stuckfassade und man kann sich sehr gut vorstellen, wie die Straße Ende des 19. Jh. gewirkt haben muss. Aber heute liegt über allem ein seltsamer, leicht grau-schwarzer Schleier, die Bürgersteige sind dreckig und neben wirklich schönen Buchläden tauchen ständig Ramsch- oder Handyläden auf, so dass man sich beim Umschauen gerne auf die oberen Stockwerke konzentriert.
Das ganze wirkt irgendwie "verbraucht" und melancholisch, und dieser Eindruck zieht sich komplett durch die ganze Stadt - als ob Schornsteine ein Jahrhundert lang eine Patina aus feinem Ruß auf die Stadt abgeladen hätte, und man nur mäßig interessiert ist, sie mal wegzuwischen. Sowas hat natürlich seinen Charme, aber es drückt sehr unterschwellig aufs Gemüt.
Nähert man sich nun der historischen Innenstadt, sieht man in Seitengassen immer wieder Hauswände, die von berühmten Comickünstlern bemalt wurden - und das ist großartig, weil sie sich perfekt in den Rest des Stadtbildes einfügen und manchmal erst auf den zweiten Blick erkannt werden! Ich hab mich jedesmal total gefreut, wenn ich eins gesehen habe, und ich beneide die Brüsseler so sehr, wie fein sie mit dem Ruf als Comichauptstadt umgehen. Ich hätte so gern noch einige von Comiczeichnern gestaltete U-Bahnstationen gesehen - die vom Francois Schuiten soll ziemlich steampunkmäßig sein, mit Zahnrädern in der Decke und so *__*
Jetzt tauchen auch viel mehr Häuser im flämischen Stil auf, und man fühlt sich wie im 17. Jh., mit diesen herrlichen Backsteinfassaden und den hohen Fenstern; alles sehr antik und heimelig~
Schließlich gelangt man dann auf das eigentliche Zentrum der Stadt, den "Grande Place", der gar nicht so "grande" ist, wie man es sich immer von den Fotos denkt. Aber die Gebäude sind schon ein Wahnsinn, das Rathaus ("Hôtel de Ville") mit seinem ur hohen Turm, dem Belfried, und gegenüber dem "Maison du Roi" - alle mit ewig vielen Details und Maßwerk versehen, dass man einfach nur baff ist!! Die übrigen Häuser drängen sich, mit Bauschmuck und Gold beladen, an den übrigen Seiten, jedes für sich mit eigenem Charakter, wobei das riesige "Maison des Ducs de Brabant" die Ostseite vollständig beherrscht.
Zum Glück war ich morgens um 10 Uhr dort, als noch relativ wenige Touristen dort waren; ich musste gegen 18 Uhr noch einmal über den Platz laufen, und mir den Weg dann vielmehr freikämpfen, so viele waren da! Und es war Mittwoch, nicht Freitagabend!
Jetzt ging es weiter zum "Centre Belge de la Bande Dessinée" bzw. "Belgie Centrum Victor Horta Beeldverhaal" - dem Comicmuseum! Die Straßen waren weiterhin so verwirrend wie gewohnt, und ich hatte nur eine ungefähre Ahnung, in welche Himmelsrichtung ich gerade ging, trotz Reiseführer.
Dabei kam ich auch durch die "Galeries St-Hubert", mit einem Glasdach geschütze, wunderschöne Ladenzeilen, in denen vermutlich die teuersten Geschäfte Brüssels versammelt sind, auch Chocolaterien, Läden für die berühmet Brüssler Spitze, Modegeschäfte, Cafés etc. Total schön, dort durchzugehen!
Das Comicmuseum ist in einem von Victor Horta (DEM Jugendstilarchitekten/Inneneinrichter von Brüssel) entworfenen Bau untergebracht, der einst als Kaufhaus diente. Die Fassade ist relativ unscheinbar, aber wenn man erstmal das Gebäude betritt, ist man erstmal einfach nur hingerissen, wie schön es ist!! Jugendstil galore - die Treppenaufgänge, Schaufenster, das Glasdach, die Zwischengeschosse... ich wollte da gar nicht mehr raus!
In der Eingangshalle begrüßen einen direkt die Mondrakete aus "Tim und Struppi", Figuren bzw. Büsten von Asterix oder Tim, ein Schlumpf (der war mir egal, ich hab die nie gemocht), und ein Renault CV, der vermutlich für zu einem Comic gehört, den ich nicht kenne. In der Mitte des Raumes steht eine wahnsinnig schöne, gusseiserne Laterne, die das ganze wie einen Mini-Marktplatz erscheinen lässt.
Im Museum selbst werden hauptsächlich einzelne Zeichner und ihre Werke präsentiert, wobei es sicher viel interessanter ist, wenn man sie - wie die meisten Belgier, nehm ich an- auch bereits kennt. Wenn man dann einen Raum betritt, der "Die Schatzkammer" heißt, in dem einzelne Comic-Originalseiten ausgestellt sind, von Serien, von denen ich noch nie was gehört bzw. gelesen habe, schaut man sich zwar die Zeichnungen genau an (und versucht, mit dem 2-Semester-Französischkurs-Wissen herauszufinden, was die Leute auf den Panels sagen ^^"), aber geht dann relativ neutral weiter, um das Gebäude anzuschmachten. Interessant ist das Museum auf jeden Fall, man erfährt auch genau, wie ein Comic entsteht (für den Druck werden z.B. die schwarzen Outlines extra auf eine Folie übertragen, das wusste ich gar nicht. Oder dass spezielle Coloristen nur für die Farbgebung des Comics verantwortlich sind, nicht unbedingt der Zeichner selbst), und die einzelnen Themenbereiche sind absolut liebevoll gestaltet, teilweise auch als "1:1-Diorama", in das man sich reinsetzen kann. Außerdem gibt es eine sehr große Comic-Bibliothek, in dem man sich einfach reinsetzen und schmökern kann, nur hatte ich dafür leider keine Zeit...
...Denn ich musste in DEN Comicladen! Prallgefüllte Regale voller franko-belgischer Comics, das ganze eingebettet neben dem Eingangsbereich, mit Jugendstilwänden, Jugendstilboden...Glaubt mir, es macht zehnmal so viel Spaß etwas zu kaufen, wenn das Ambiente drumherum so dermaßen stimmig ist!! Hier wollte ich endlich neue Zeichner und neue Inspiration finden (Haha, klingt das abgehoben! XD), die mir taugen~
Wie bereits erwähnt, findet man dort Mangas oder amerikanische Comics fast gar nicht, und so wühlte ich mich von einem europäischen Band zum nächsten. Nachher war ich sogar beinahe versucht, mir einen kleinen Plüsch-Struppi zu kaufen, der bellt, wenn man ihn drückt, beschloss dann aber, dass der Laden eine unheilbringende Wirkung auf meinen Geldbeutel zu haben scheint und ich solchen Nippes gar nicht bräuchte.
Am Ende spazierte ich zufrieden mit sechs Comics und einem Stapel Postkarten in den warmen Brüsseler Nachmittag hinaus. Die Entscheidung, zuerst den Laden und dann den Rest der Stadt zu erkunden, sollte sich später rächen, denn die Comics waren ur schwer und in einer Plastiktüte verstaut, so dass ich sie für den Rest des Tages herumschleppen musste - und sich der Griff dermaßen in die Finger einschnitt, dass ich noch zwei Tage später nur wusste, dass diese nicht abgestorben waren, weil die Fingerspitzen dauernd kribbelten und sich die Blutzufuhr erst wieder aufbauen musste.
(Leider waren die Comics entweder auf Fränzösisch oder auf Nederlands. Okay, Nederlands versteht man größtenteils, wenn man sich etwas Mühe gibt, aber bei Französisch stoß ich da schnell an meine Grenzen; zum Glück habe ich eine comicbegeisterte Kollegin, für die ich einen der sechs Bände mitbringen sollte, und die diese Sprache prima beherrscht, so dass ich nun in etwa eine Ahnung habe, worum es genau in meinen Neuerwerbungen geht ^^").
Ein weiteres Problem war, dass ich im Meseum, und besonders im Comicladen viel zu viel Zeit verbracht hatte (in letzterem fast 2 Stunden), so dass ich nur noch wenig Zeit für den Rest der Stadt übrig hatte! Den geplanten Besuch in den "Musées Royaux des Beaux-Arts" konnte ich nun vergessen (da war ich später nur im Museumsshop drin), also schnell weiter, um überhaupt noch was zu sehen!
Die gotische Kathedrale der Stadt zum Beispiel, "Sts Michel et Gudule", ist wirklich schön, fast so schön wie wie die Kirche "Nôtre-Dame du Sablon", die zwar kleiner ist, aber irgendwie mehr Charme besitzt. Das Auffalende an diesen Kirchen ist, dass sie extrem weiß sind und sich fast schon übernatürlich vom Rest der leicht grauen Stadt abheben, als ob sie geradeeben frisch gestrichen oder sandgestrahlt wurden. In einer habe ich auch die Postkarte für die Jenni bekommen, ebenso wie die passende Briefmarke - denn wo bekommt man Briefmarken, wenn nicht in einer gotischen Kathedrale?
Neben weiteren, schönen flämischen Häusern trifft man in Brüssel aber auch auf viele Beton-Bürogebäude, was durch den allgegenwärtigen Grauschleier aber nicht wirklich krass rüberkommt.
Den Königspalast konnte ich zumindest von außen bewundern, und in dem Stadtpark gegenüber meine erste, frische belgische Waffel, die "Gaufre", essen! Mein Gott, war die lecker!! Am Anfang leicht herb, dann aber extremst süß, leicht karamellig, und der Duft, der davon ausgeht ist reiner Zucker. Den Geruch hat man ständig in der Nase, wenn man durch die Stadt geht, weil sie überall verkauft werden; mich wundert es nur, wie sich die Leute da noch Schokolade, Eis, Früchte oder Karamel drauftun können, ohne dass ihre Zähne schmelzen O__O"...
Fritten habe ich natürlich auch gegessen, aber da hatte ich wohl das Pech, an einen Touristen-Frittenstand zu gelangen (kein Wunder, wenn man nur in der Innenstadt rumläuft);sie waren zwar gut, aber längst nicht so überwältigend, wie sie immer geschildert werden. Ich bin mir sicher, wenn man jemanden in Brüssel kennt, der dort wohnt, kommt man sicher an die richtigen Fritten-Adressen heran.
Tjaa, ansonsten gab es viele beschauliche Gäßchen zu sehen, kleine Parks mit Statuen und Springbrunnen, den Justizpalast - von weitem, da er von Gerüsten umgeben war und sich der Weg bis dorthin nicht gelohnt hätte. Dieses Gebäude ist so dermaßen riesig, mit seiner hohen Kuppel, und wie es sich düster gegen den Himmel abzeichnet, dass es nur gewaltig, bedrohlich und ehrfurchtgebietend ist. Müste ich mir das Tor zur Hölle vorstellen, wäre das ein geeigneter Kandidat.
Aber die Zeit drängte, und ich wollte noch Pralinen als Mitbringsel kaufen. Chocolaterien gibt es dort ja zuhauf - entweder extrem billige, wo man direkt sieht, dass die Schokoladen nachts in U-Bahnhöfen schlafen, um dann morgens total groggy in den Laden zu schlurfen, um sich dann auf der Theke zu platzieren - oder aber extrem teure, wo erst gar keine Preise zu finden sind, und man direkt merkt, dass Geld hier keine Rolle spielen sollte. In einer solchen Chocolaterie wurde mir nach höflichem Anfragen dann mitgeteilt, dass 350g Pralinen 20 Euro kosten, und ebenso höflich verließ ich den Laden wieder, denn die 6 kg Comics, die sich brav weiter ins Fingerfleisch schnitten, hatten doch etwas zu sehr ins Budget geschlagen.
Aber eines muss man sagen - die VerkäuferInnen waren alle extremst nett und zuvorkommend, egal ob in Geschäft, Kirche oder Museum! In der Chocolaterie, in der ich schließlich fündig wurde, stellte die Verkäuferin, weil mir etwas warm war und ich eine luftzuwedelnde Handbewegung gemacht hatte, sofort die Klimaanlage höher und strahlte mich an, als sei ich der erster Kunde seit Jahren, obwohl die chinesische Familie vor mir den halben Laden ausfüllte.
Da jene Familie dann auf der Suche nach einem Pappkarton war, in dem sie ihren (wirklich gewaltigen) Berg Schoki verstauen konnten, und dann mit dem einen, dann mit dem anderen irgendwie unzufrieden waren, ging Zeit flöten - und ich musste ja noch den langen Weg zurück zum Bahnhof!
Die Pralinen also eingepackt und durch die verwirrenden, nun mit Touristen vollgestopften Straßen gehetzt und den Boulevard zurück. Bei mittlerweile 28°C und schwerbeladen war das keine Freude, zumal ich echt Angst hatte, in dem bizarren Bahnhofsinneren überhaupt meinen Zug zu finden!
Am Ende fand ich das Gleis schneller als erwartet, der Zug fuhr los und ich versuchte, die niederländischen Texte in Schuitens "Het Scheve Kind" halbwegs zu entziffern. So kam ich dann rasch in Köln an schwebte dann erstmal 2 cm über dem Boden, nachdem ich die schweren Taschen abgeladen hatte.
Alles in allem hat sich Brüssel echt gelohnt, und ich muss nochmal dahin, um mir all das anzusehen, was mir diesesmal entgangen ist - das Kunstmuseum, den Jubelpark, das Atomium, das Europäische Parlament ...okay, und um wieder frische Gaufres zu essen.
Übrigens, "Langnese" heißt in Belgien "OLA".
(ich versuche später ein paar Fotos hochzuladen, nur hat mein Rechner damit grad irgendein Problem =__=)