Zum Inhalt der Seite

The Poetry of Light and Shadow

Loki x OC
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen - da bin ich wieder mit einem neuen Kapitel im Gepäck! ^.^

Vorweg muss ich Within Temptation für ihr neues Album Hydra danken! In Dauerschleife lief das gestern hoch und runter, sodass ich fast das gesamte Kapitel gestern in einem Zug fertigstellen konnte - Inspirationsflash sozusagen! :D

Keine lange Vorrede - ich hoffe, ich hab es wieder gut hinbekommen ;) Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Tod und Teufel

Loki erwachte durch ein Kitzeln an der Wange.

Wohlige Wärme umgab ihn, an die sich der Magier in seinem dämmrigen Zustand näher schmiegte; nur sehr widerwillig tauchte er aus der Tiefe des traumlosen Schlafes auf, in die er die gesamte Nacht über gesunken war.

Zum ersten Mal seit Wochen hatte er wieder richtig geschlafen - ohne Albträume, ohne Unterbrechungen, die durch sein keuchendes Aufschrecken aus den Bildern der Nacht geschuldet waren.

Zum ersten Mal seit Wochen war es ihm leicht gefallen Ruhe zu finden und er fühlte sich fast schon erholt, als er jetzt die Augen öffnete und sich verschlafen orientierte.

Das winzige Fenster des Zimmers zeigte ihm durch träges Dämmerlicht, dass der Morgen nicht mehr all zu fern sein konnte und der Regen sein andauerndes Wüten wohl endlich eingestellt hatte; keine Tropfen perlten an dem hellen Glas, es war fast schon erschreckend ruhig, wenn man das monotone Rauschen des Regens plötzlich nicht mehr vernahm, was sie die letzten Tage über so beständig begleitet hatte.

Auch der Rest des Gasthauses lag noch unter einer Kuppel der Ruhe; es waren keine Stimmen zu vernehmen, keine Schritte auf der Treppe, nicht mal die gedämpften Geräusche von Töpfen und Pfannen aus der Küche des Wirtshauses. Allein ein dröhnendes Niesen von draußen ließ vermuten, dass zumindest einer auf den Beinen war - Volstagg schien die letzte Wache der Nacht angetreten zu haben und umrundete wohl gerade pflichtbewusst das Haus.

Loki gestattete sich einen Moment der Schwäche und drückte die Nase näher in sein duftendes Kissen, versank noch einen Augenblick in der angenehmen Ruhe, die keinen Hauch von dieser bedrohlichen, erdrückenden Stille besaß, welche ihn die gesamte Zeit über in seinem Gefängnis begleitet hatte - nein, diese hier war wohltuend und beruhigend. Eine Stille, in die man sich fallen lassen konnte wie in ein weiches Kissen. Eben wie jenes, das sich gerade unter Lokis Wange bewegte…

Der Magier hob die Lider erneut an, die ihm gerade in einem Gefühl von ungewohnter Schwere wieder herabgesunken waren und drehte den Kopf ein wenig; ein samtweiches Kitzeln strich über seine Wange.

Anfangs verwirrt blickte Loki auf einen roten Haarschopf vor sich, bevor die Erkenntnis in seinem schläfrigen Hirn dämmerte und einen Namen formte. Gwendolyn…

Die Sterbliche lag mit dem Rücken zu ihm, doch so nah an ihn geschmiegt, dass er jede Rundung ihres Körpers an seinem fühlen konnte; angefangen von der Wölbung ihrer Schultern bis hin zu den weichen Kurven ihres Pos, die sich sehr eindringlich gegen seinen Unterleib pressten. Über Nacht musste er unbewusst zu ihr gerutscht sein; einer seiner Arme umschlang ihren zierlichen Körper, während sein anderer ihr als Kissen diente.

Sie gab ein beinahe mürrisches Geräusch von sich, als der Magier sich jetzt bewegte und umklammerte seinen Arm noch weiter, um seine Hand an ihre Brust zu ziehen. Allerdings wachte sie nicht auf.

Lokis erster Reflex war die Flucht - die Nähe der Menschenfrau weckte Empfindungen in ihm, die er nicht benennen und mit denen er sich auch zu dieser Zeit eigentlich nicht auseinandersetzen konnte.

Allerdings wollte er sie auch nicht wecken; sie hatte den Schlaf bitter nötig gehabt und so sank er steif wieder auf die Matratze zurück und ließ ihr seinen Arm, den sie so besitzergreifend umschlungen hatte.

Niemand war hier. Niemand würde davon erfahren, dass er sich diesen Moment der Entgleisung gegönnt hatte und die Nähe zu einem anderen Wesen genoss, wo ihm gerade solche Intimität einst immer das Unverständlichste zwischen zwei Geschöpfen gewesen war.

Er hatte früher nie verstanden, was es bringen sollte, die Nähe eines anderen zu suchen; sich die Nacht über an einen anderen Körper zu schmiegen, Umarmungen auszutauschen - all das hatte für ihn nie sonderlichen Reiz besessen, war ihm mehr Ablenkung als förderlich erschienen.

Er war sich selbst immer genug gewesen.

Doch jetzt, nach dieser langen erzwungenen Einsamkeit in seiner Zelle, bekam all das einen verlockenden Unterton; plötzlich war Nähe wie ein sicherer Hafen, der die Geborgenheit und Bestätigung versprach, nach der sich der Magier sehnte, obwohl er es sich nicht eingestehen wollte.

Denn solche Sehnsüchte waren in seiner Welt stets eine Schwäche gewesen. Grundsätzlich gab es immer nur eine Person, der man unumwunden trauen konnte und sollte - sich selbst. Alle anderen waren Begleiter, bestenfalls Schachfiguren auf dem Weg zum Ziel; man konnte sich auf niemanden verlassen. Man durfte sich auf niemanden verlassen!

Vertrauen war trügerisch; eine verlockende Falle, die einen unversehens in ihre Fänge reißen und vernichten konnte.

Loki zog seinen Arm vorsichtig unter dem Kopf der Sterblichen hervor, um sein Kinn in die Handfläche zu stützen und konzentriert auf die Frau in seinen Armen hinabzublicken.

Sie schlief friedlich - ein fast zufriedener Zug lag um ihre vollen Lippen, die um eine Winzigkeit geöffnet waren; ihre dichten Wimpern lagen entspannt auf ihren blassen Wangen, die von vereinzelten, winzigen Sommersprossen überzogen wurden, die dem Magier bisher gar nicht aufgefallen waren. Ihre winzige Nase kräuselte sich im Schlaf und ein Zucken fuhr durch ihre Glieder, bevor sie sich noch näher an ihn schmiegte.

Loki ertappte sich bei einem Schmunzeln und dem Gedanken, dass er ihren Anblick durchaus…

Er holte tief Luft und presste die Lider angestrengt herab; schloss die Augen für einen Moment.

Verflucht - bei allen Welten - hatte er diesen Anblick gerade wirklich als „süß“ erachtet?!

Er, Loki - Gott des Unheils, Schabernacks und der Lügen - fand etwas „süß“?!

Diese Bezeichnung war in seinem Wortschatz so fehl am Platz wie ein Buch in Thors Zimmer; völlig unpassend.

Die Zeit in seiner Zelle musste ihm wirklich mehr zugesetzt haben, als er anfänglich noch geglaubt hatte. Er wurde weich…

Oder trug sie Schuld daran?

Er öffnete die Augen wieder und sah erneut auf die so zerbrechlich wirkende Sterbliche herab, die sich allerdings schon öfter als wesentlich zäher und stärker erwiesen hatte, als man ihr augenscheinlich zutrauen wollte.

Sie trug Potenzial in sich; das Potenzial, seine Schwachstelle zu werden, denn auf eine seltsame Art und Weise mochte er sie irgendwie und das nicht einmal nur wegen der verborgenen Macht in ihrem Körper. Diese Erkenntnis machte ihm Angst und zum ersten Mal wusste er nicht sofort, was er dagegen unternehmen sollte.

Er fühlte sich seltsam machtlos und dieses Gefühl mochte er ganz und gar nicht.

Gwendolyn bewegte sich wieder; sie rollte zu ihm herum und schmiegte sich seufzend gegen seinen Körper, während sie einen Arm um ihn schlang und das Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub. Ihr daraufhin wohliges Ausatmen verschaffte ihm eine Gänsehaut, die sich wie ein prickelnder Regenschauer über seinen Nacken und seine Kopfhaut zog.

Recht unbeholfen ergab er sich ihrer Umarmung; er hatte sie zwar nicht wecken wollen, doch das hier hatte er auch nicht geplant. Sie war ihm zu nah - ihren Körper so direkt wieder zu spüren, ihren Duft einzuatmen; all das erinnerte ihn an den gestrigen Abend und genau diese Erinnerungen hatte er eigentlich verdrängen wollen.

Er hatte sich ihr gegenüber wirklich unangebracht verhalten.

Eigentlich sollte ihn die Tatsache schon ein weiteres Mal erschrecken, dass er sich überhaupt Gedanken darüber machte, doch er konnte nicht verhindern, dass es ihm leid tat, wie er sich ihr gegenüber benommen hatte.

Erst hatte er sie unnötigerweise so harsch wegen ihrer Herkunft angefahren, obwohl er im Nachhinein besser als jeder andere verstehen konnte, warum sie ihm ihre Adoption verschwiegen hatte. Gerade er konnte das jetzt nur zu gut nachvollziehen; kannte die Angst vor der Wahrheit, die er in ihren Augen gesehen hatte.

Denn wenn ihre Kraft ihre Wurzeln nicht in Asgard hatte, so mussten sie sich nun unweigerlich die Frage stellen, ob ihre wahre Herkunft womöglich Ursache an dieser Macht trug...

Abermals hatte sich ein Band zwischen ihnen geknüpft; Loki verdeutlicht, wie ähnlich ihre Schicksale doch waren, obwohl sie aus so unterschiedlichen Welten stammten.

Und dann hatte er sie nach diesem Kuss einfach so zurückgelassen, ohne ein Wort oder eine Erklärung, die sie wahrscheinlich verdient hätte. Doch er war gestern nicht in der Lage dazu gewesen.

Dieser Kuss…

Eigentlich durfte er gar nicht daran denken, aber natürlich tat er es trotzdem; gerade da Gwendolyn nun so eng bei ihm lag und ihr Atem immer wieder warm über die Seite seines Halses strich und er ihre Lippen überdeutlich spüren konnte, wenn diese seine Haut streiften.

Er hatte sie wirklich begehrt.

Das konnte er sich ganz offen eingestehen - zumindest jetzt.

Gestern Abend hatte er damit noch seine Probleme gehabt, als er unter seinem Mantel und einer triefnassen Kapuze durch den angrenzenden Wald gestapft war, um seinen Kopf zu klären und seine Gedanken zu ordnen; um so viel Platz wie möglich zwischen sich und das Gasthaus zu bringen, in dessen Wänden diese rothaarige Verführung auf ihn lauerte.

Selten war ihm etwas im Leben so schwer erschienen wie aus der Tür dieses Zimmers zu treten und sie dort auf dem Bett zurückzulassen; die Haare offen, zerwühlt, wallend wie leidenschaftliche Flammen, die vollen Lippen gerötet von seinem Kuss, die hellen Augen lustverdunkelt, diese Sehnsucht in ihren Zügen - Sehnsucht nach ihm - als sie sich aufgerichtet und die Decke an ihren zarten Körper gepresst hatte…

Ja, er hatte sie begehrt und daran hatte sich auch nicht viel geändert wie er jetzt erkennen musste, als sich seine Hand selbständig machte und über die sanfte Wölbung ihrer Schulter zu ihrem Schlüsselbein glitt, um dann den Weg ihren Rücken hinab zu suchen.

Als er sich bewusst wurde, was er tat, wollte er schon innehalten, doch das wohlige Schaudern, was die Glieder der Sterblichen durchfuhr, ließ seine Finger weiter vorsichtig über ihre Haut wandern.

Sehr selbstsüchtige Gedanken entstanden in seinem Kopf - er wollte der Einzige sein, der ihr solche Schauder bereitete; er wollte der Einzige sein, dem sie dieses süße Seufzen schenkte, was jetzt einem warmen Windhauch gleich über seine Haut strich; er wollte der Einzige sein, den sie begehrte…

Und sie hatte ihn gewollt, das war nicht zu übersehen gewesen. Wie sie sich ihm entgegengewölbt, seine Lippen so sehnsüchtig gesucht hatte, ihre hellen Augen verschleiert durch Verlangen…

Diese ehrgeizigen Gedanken waren ihm grundsätzlich nicht fremd; nicht zum ersten Mal gierte er nach etwas, doch zum ersten Mal in seinem Leben richtete sich dieses Begehr auf eine andere, auf eine einzige Person - noch dazu auf eine Frau. Eine sterbliche Frau.

Bisher hatte er größere Ziele für sich verfolgt, Macht und Anerkennung - und plötzlich, in nur einem Augenblick, schrumpfte seine Gier auf diese niederen Instinkte und ließ ihn völlig die Kontrolle verlieren.

Die Zügel waren ihm aus der Hand gerutscht; er hatte weder sein Denken, noch sein Handeln bewusst steuern können, war angeleitet gewesen von dem Verlangen nach dieser Frau und das hatte ihm mehr Angst gemacht, als wieder in seine Zelle unter Gladsheims Mauern zurückzumüssen.

Dieses Verlangen war so untypisch für ihn, so erschreckend gewesen, dass er sein Heil einfach in der Flucht gesucht hatte; die bevorstehenden Aufgaben mussten seine gesamte Konzentration beanspruchen, damit ihm kein Fehler unterlief und diese plötzlich erwachte Leidenschaft stand ihm dabei im Weg wie die verschlossene Tür seiner Zelle zwei Jahre lang auf dem Weg in die Freiheit.

Er konnte sich diese Ausrutscher nicht leisten; nicht er - nicht Loki! Thor konnte sich vielleicht solch niederen Gelüsten hingeben wie er es am gestrigen Abend mit Sif getan hatte, doch Loki durfte so etwas nicht passieren. Er musste sich unter Kontrolle haben…

Er hatte sich doch immer unter Kontrolle gehabt, verdammt!

Selbst in den gefährlichsten Momenten war ihm sein kühler Verstand stets der sicherste Schild gewesen; und dieser lag plötzlich zerbrochen am Boden, klirrend zerstoßen unter den Berührungen einer Sterblichen, deren Lippen wie Walhalla geschmeckt hatten - nach Triumph, Erfolg und Anerkennung…

In ihren Augen hatte er etwas entdeckt, was er sich sein ganzes Leben über von Odin, von den Asen, von allen gewünscht hatte; sie hatte ihn wahrgenommen und ihn gesehen - nicht den Eisriesen, nicht Thors Bruder, nicht den Verbrecher. Ihn - Loki.

Er schickte einen kurzen Blick auf die Sterbliche herab, bevor er ihren Arm vorsichtig von sich löste und sich umsichtig vor ihr zurückzog, um sie nicht zu wecken. Doch er musste weg von ihr; weg von diesen verstörenden Empfindungen, die hinter seiner Brust brannten und denen ein weiterer Kuss von ihren Lippen womöglich Linderung verschafft hätte…

Es war der falsche Zeitpunkt. Der so verflucht falsche Zeitpunkt.

Er wünschte tatsächlich, er hätte Gwendolyn eher getroffen - vielleicht noch vor den Ereignissen um Jotunheim. Womöglich wäre sein Schicksalsweg dann ganz anders verlaufen.

Jetzt allerdings war es zu spät sich darüber Gedanken zu machen - zu spät, die vielen Wenn`s und Aber`s abzuwägen, um schlussendlich damit den Lauf der Zeit auch nicht zu ändern.

Loki stieg aus dem Bett und begann sich lautlos anzuziehen; Schicht um Schicht legte er seine Rüstung wieder an, darauf bedacht, dass allein das verhaltene Rascheln von Leder und Stoff den Raum erfüllte. Er schlüpfte in seine Stiefel und entschied, dass er sich deren komplizierten Verschlüssen auch draußen widmen konnte.

Mit der Hand an der Türklinke hielt er noch einmal inne; sein Blick schweifte zurück zu Gwendolyn, die nun auf dem Bauch lag, das zarte Gesicht ihm zugewandt. Einen Arm hatte sie im Schlaf beinahe sehnsüchtig über jene Seite des Bettes gestreckt, wo er zuvor noch gelegen hatte und ein kleiner Seufzer entwich ihren Lippen, bevor sich ihre Brauen beinahe enttäuscht zusammenzogen und ihre Finger über den leeren Platz neben sich glitten…

Loki musste dringend damit aufhören so viel in ihre Regungen zu interpretieren. Das würde ihn noch vollends verrückt machen.

Besser er vergaß den gestrigen Abend schnell und vollständig. Denn es würde keine Wiederholung dieser Szenerie geben. Ausgeschlossen.

Er musste sich auf das konzentrieren, was vor ihnen lag, denn seinem geplanten Vorhaben gebührte nichts anderes als seine volle Aufmerksamkeit, da er sich Fehler auf keinen Fall leisten konnte.

Der Magier schnappte sich sein Gepäck und zog die Tür des Zimmers entschieden hinter sich wieder ins Schloss; ein seltsames Gefühl von Erleichterung überkam ihn.

Loki hatte sich nie für einen schwachen Mann gehalten, war immer der Überzeugung gewesen, dass nichts und niemand ihn von seinem Weg und seinen Zielen abbringen konnte. Jetzt allerdings war er sich dessen gar nicht mehr so sicher.

Leise stieg er die Treppen zur Gaststube hinab und nahm zufrieden auf, dass tatsächlich außer ihm noch niemand auf den Beinen war; außer Volstagg, der an der Vorderfront des Hauses lehnte und seine Streitaxt schärfte. Das Schleifen des Schärfsteines drang gedämpft und monoton durch die Tür des Gasthauses.

Loki wandte sich dem Kamin zu und wollte schon eine Hand ausstrecken, um das Feuer darin durch Magie zu entfachen, als ihm wieder einmal die Fesseln um seine Handgelenke bewusst wurden. Mit einem frustrierten Seufzen machte er sich also daran, das Feuer auf traditionelle Weise zu entfachen, bevor er sich in der Nähe der erwachenden, knisternden Flammen an einem Tisch nieder ließ und einige Bücher und Zauberutensilien aus seiner Satteltasche zog, die er auf dem Holz vor sich ausbreitete.

Abermals kontrollierte er die Vollständigkeit seiner Kräuter, Kristalle und magischen Pulver; rezitierte in Gedanken die relevanten Formeln, welche er für das Ritual brauchen würde. Ab und an schlug er eines seiner Bücher auf, las ein paar Stellen konzentriert nach, bevor er den Ablauf in seinem Kopf immer und immer wieder durchging, bis er sicher war, dass er den Zauber selbst im Schlaf fehlerfrei beherrschen konnte.

Das war auch mehr als nötig, denn ein Fehler würde sprichwörtlich tödlich sein…

Nach und nach erwachte das Gasthaus aus seinem Schlaf; der Wirt schlurfte irgendwann in die Küche und schürte dort die Feuer für das Frühstück, während die ersten Gäste verschlafen aus ihren Zimmern traten, um sich auf die Fortführung ihrer Reise vorzubereiten.

Auch Hogun und Fandral erschienen irgendwann in der Gaststube und ließen sich an Lokis Tisch nieder, wie der Magier aus dem Augenwinkel bemerkte. Gleichgültig blätterte er eine markierte Stelle in einem seiner Bücher auf und ignorierte die zwei vorerst, wie sie es wohlweislich mit ihm taten.

Nach einer Weile kamen endlich auch Thor und Sif die Treppen von den Gasträumen herunter; natürlich getrennt, als hätte nicht eh jeder ihrer Gruppe die Ahnung, was sie die Nacht über getrieben hatten…

Loki sah flüchtig auf und hob kritisch eine Braue, als er die zwei beobachtete, während Fandral weniger hinter dem Berg hielt; der blonde Krieger stieß Hogun grinsend in die Seite und deutete mit einem Nicken auf Thor, der ganz bewusst nicht in die Richtung der dunkelhaarigen Kriegerin sehen wollte. »Schau mal, Hogun, ich glaube unser Freund ist über Nacht schüchtern geworden. Ob er und Sif heute überhaupt reiten können?« Fandral brach in Gelächter über seinen Witz aus, während Hogun eher peinlich berührt schien und lieber Interesse an dem Becher vor sich zeigte. Loki beließ es bei einem herablassenden Blick auf Fandral, bevor er den Donnergott wieder ansah.

Ob Thor Sif zu seiner offiziellen Gefährtin nehmen würde?

Die Kriegerin hatte Gefühle für seinen Bruder - das war wirklich unübersehbar. Sie himmelte Thor an, obwohl sie ihm durchaus Paroli bieten konnte, so es nötig war; sie hatten eine Menge zusammen durchgemacht und erlebt. Keine Frau kannte Thor besser als Sif.

Allerdings war sie wahrscheinlich nicht gerade das, was sich der Rat und die hohen Herren Asgards für ihren zukünftigen König als Frau wünschten; sie war eine Kriegerin, keine stille und sittsame Frau, die ihren Mund hielt und brav das tat, was ihr Mann ihr auftrug. Was Loki als durchaus wertvollen Wesenszug erachtete, würde anderen Asen gewiss nicht sonderlich schmecken…

Sif würde sich auch als Königin nicht vom Schlachtfeld fernhalten und ihren Mann allein in den Kampf ziehen lassen.

Aber warum machte Loki sich eigentlich überhaupt Gedanken darüber? Immerhin ging es um Thor und Odin würde gewiss alles möglich machen, was sein ältester Sohn und Thronerbe sich auch nur wünschte…

Thor schien sie endlich entdeckt zu haben und nahm nun auch mit Sif an ihrem Tisch Platz, nachdem er beim Wirt ein reichliches Frühstück für sie bestellt hatte. Da nun der Duft von gebratenem Speck und Eiern aus der Küche wehte, dauerte es auch nicht lang, bis sich Volstagg ebenfalls bei ihnen einfand.

Als letzte kam Gwendolyn langsam die Treppe herunter und sah sich vorsichtig im sich stetig füllenden Gastraum nach ihnen um. Loki widmete sich augenblicklich seinen Büchern und Zauberutensilien, als die Sterbliche zu ihrem Tisch kam; gewissenhaft verstaute er alles in seiner Tasche und hob den Blick auch nicht an, als die Frau sich mit einem leisen „Guten Morgen“ zu ihnen setzte.

Loki kam der Gedanke, dass er sich damit genauso dämlich wie sein Bruder eben aufführte, doch er konnte ihrem Blick einfach nicht begegnen. Außerdem war gerade schon einer seiner zerbrechlichen Kristalle zwischen Volstaggs groben Fingern verschwunden und der Magier fürchtete um seine kostbaren Schätze; das war also nicht einmal nur ein vorgeschobener Grund.

Loki wollte keinesfalls riskieren, dass irgendjemand auch nur den Hauch einer Ahnung vernahm, was zwischen ihm und der Sterblichen passiert war; Thor würde man für dergleichen lobend auf die Schulter klopfen, er müsste sich wahrscheinlich mit stichelnden Bemerkungen und spöttischen Fragen herumschlagen und dafür besaß er gerade weder die Geduld, noch die Nerven.

»Habt ihr alle gut geschlafen?« fragte Thor munter in die Runde und winkte den Wirt zu ihnen heran, der gerade ein riesiges Tablett mit dem duftenden Frühstück zu ihnen brachte; Eier und Speck, frisches Brot und süßen Aufstrich, Honig und Milch.

»Hervorragend.« tönte Volstagg und stieß seinen Löffel sogleich in die Pfanne mit den Eiern.

»Nachdem das Geschrei des brünftigen Hirsches endlich verklungen war, der sich offenbar in der Nähe des Gasthauses niedergelassen hatte, konnte ich ganz ausgezeichnet schlafen, mein lieber Bruder. Danke der Nachfrage.« warf Loki trocken in die Runde und nahm sich unbeteiligt ein Stück des warmen Brotes vom Tablett, während Volstagg die Milch wieder in seinen Becher spuckte und Hogun aussah, als wolle er an einem Stück Ei ersticken. Allein Fandral schien köstlich amüsiert.

Sif lief hochrot an und widmete sich ausgiebig dem Brot auf ihrem Teller, während Gwendolyn hinter der Milchkanne immer kleiner wurde.

»Hirsch…?!« Thor blinzelte zuerst verständnislos, bevor ihm dämmerte, was Loki damit meinte; allerdings suchte er sein Heil dann im Schweigen und stopfte sich eine riesige Portion Ei und Speck in den Mund.

Na offensichtlich brauchte er die Stärkung nach dieser Nacht…

Den restlichen Teil des Frühstücks verbrachten sie still und zügig, da ihre Reise keinen weiteren Aufschub duldete. Thor bedankte sich noch bei dem Wirt für die gute Verpflegung und Unterkunft, während der Rest der Gruppe bereits die Pferde sattelte und belud.

»Wie weit ist es eigentlich noch bis zu unserem ominösen Ziel?« wandte sich Fandral an Hogun, der die Riemen seines Sattels gerade festzurrte. Neben Thor war der dunkelhaarige Krieger bisher der Einzige, der wusste, was Loki plante; Hoguns geschulte Fähigkeiten in Orientierung und Fährtensuche waren maßgeblich für ihre Reise, daher hatten die beiden Brüder ihn eingeweiht.

Was natürlich nicht hieß, dass Hogun sonderlich begeistert von Lokis Vorhaben war…

»Nicht mehr weit. Vielleicht noch einen halben Tagesritt.« verkündete Hogun bestimmt, nachdem er sich kurz auf seiner Karte orientiert hatte.

»Oh, fantastisch. Das lässt mich ja hoffen, dass wir rechtzeitig zurück sind, damit ich es zu meiner Verabredung mit einer wirklich hinreißenden Zofe schaffe.« Fandral schwang sich geschickt auf sein Pferd und beruhigte das tänzelnde Tier durch sanftes Klopfen auf dessen Hals, bevor er sich mit der behandschuhten Linken eine blonde Strähne seiner perfekten Frisur hinters Ohr strich.

Loki verdrehte die Augen gen Himmel und schüttelte den Kopf, während er seine Taschen wieder am Sattel seines Hengstes fest machte.

Es war doch wirklich beruhigend, dass sich manche Dinge einfach nie änderten; auch dann nicht, wenn Asgard vor der vielleicht größten Bedrohung seiner Geschichte stand und es doch eigentlich wesentlich wichtigere Dinge gab, als Frauen…

Noch während der Magier das dachte, flog sein Blick hinüber zu Gwendolyn, die offensichtlich Probleme mit den Riemen ihres Sattels zu haben schien.

Loki wollte bereits zu ihr treten, als sie beinahe hektisch nach Hogun rief und diesen um Hilfe bat; aus dem Augenwinkel hatte sie den Magier im Schritt bemerkt und den Blick recht bestimmt abgewandt, um den dunkelhaarigen Krieger nun dankend anzulächeln, der ihr geschickt und flink die Riemen festgemacht hatte.

Loki war still und unbeteiligt wieder zurückgetreten, obwohl ihn die verkrampfen Kiefermuskeln der Gleichgültigkeit Lüge straften; wahrscheinlich hatte er es nach gestern Abend nicht anders verdient, dass sie ihm nun die kalte Schulter zeigte - allerdings linderte diese Einsicht den Stich der Eifersucht überhaupt nicht.

Er hatte ihr das Leben gerettet.

Er hatte in der Nacht bei ihr gesessen, als Malekiths Angriff immer wieder in einem Albtraum über sie gekommen war.

Er hatte sie aus Muspelheim herausgeführt.

Er - nicht Hogun.

Loki hatte…sie geküsst und danach ohne ein Wort allein gelassen. Eigentlich war es mehr als verständlich, dass sie nun keinen sonderlichen Wert auf seine Nähe zu legen schien.

Der Magier stieg auf sein Pferd und zog herrisch an den Zügeln, um den Hengst zu Thor hinüber zu lenken.

Da er eh besser daran tat, sich auf die weitere Reise zu konzentrieren und sowieso keine Wiederholung der abendlichen Szene anstrebte, so tat er der Sterblichen den Gefallen und ließ sie in Ruhe, als sie nun alle ihre Pferde wieder auf den steinigen, schmalen Pfad lenkten, der den Berg weiter hinaufführte.

Obwohl der Regen zum Glück nachgelassen hatte, so war es doch kühl und feucht; grauer Nebel hing schwer zwischen den Gipfeln des Gebirges und sank in einem feinen Schleier ins Tal hinab. Die morgendliche Luft war frisch und still, nur durchbrochen durch das Schnauben der Pferde und deren Hufe, die dumpf über die Steine klapperten.

Vereinzelt lösten sich Regen- und Tautropfen aus den Tannen und selteneren Laubbäumen des Weges und tropften platschend auf die feuchte Erde oder die Kleidung der Reisenden.

Das entfernte Rauschen eines Wildbaches drang zu ihnen herauf; der Schrei einer Dohle zog über ihren Köpfen dahin.

»Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich dich in der Nacht quasi…hrm…ausquartiert habe?!« drang unvermittelt Thors Stimme an Lokis Ohr. Der Magier sah zu seinem Bruder hinüber und hob fragend eine Braue; genoss das sichtlich peinlich berührte Winden seines Bruders.

»Naja…weil Sif und ich…du weißt schon…« gab Thor ein wenig hilflos von sich; ein seltener Anblick - der mächtige Donnergott war verlegen. Er lenkte sein Pferd näher zu Lokis. »Meinst du, nun ja, meinst du, wir waren sehr laut…?« Thor wirkte wahrlich unsicher und das entlockte dem Magier ein amüsiertes, seicht schadenfrohes Schmunzeln.

»Thor, ich glaube, ganz Asgard hat dich gestern Nacht gehört.« erwiderte Loki sachlich und ergötzte sich an dem beschämten Zusammenzucken seines Bruders.

»Bei allen Welten…« hauchte Thor fast entsetzt, bevor ihm auffiel, dass die Mundwinkel Lokis beharrlich in die Höhe strebten. »Du ziehst mich auf, kleiner Bruder!« grollte der Donnergott und stieß dem Magier seine mächtige Faust leicht, aber zurechtweisend gegen die Schulter.

Die beiden sahen sich schmunzelnd an und beinahe war es wie früher, bevor die Ereignisse der Vergangenheit einen Keil zwischen die beiden Brüder getrieben hatte; bevor Lokis Neid alles aufgefressen hatte, was gut und ehrbar zwischen ihnen gewesen war - wie ein hungriges Raubtier sich seinen Instinkten folgend auf die Beute warf, durch nichts und niemanden aufzuhalten, der Blutgier verfallen.

»Liebst du sie?« war die Frage Loki so abrupt entwischt, dass ihm erst hinterher der Gedanke kam, dass er eigentlich nie zuvor bewusst mit seinem Bruder über solche Dinge gesprochen hatte.

Zu diesem Schluss schien auch der Donnergott zu kommen, denn er sah äußerst verblüfft, fast irritiert zu dem Magier herüber, bevor eine seiner großen Hände unsicher durch sein blondes, wildes Haar fuhr. »Ich bin mir nicht sicher, aber…ich denke schon. Ich empfinde sehr viel für sie.« raunte er auf eine sehr sanfte Art und Weise, während er verstohlen über die Schulter zu Sif zurückblickte, die sich mit Fandral unterhielt und am Ende des Zuges ritt. »Erinnerst du dich noch an den Tag, als wir Sif das erste Mal trafen?« fragte Thor dann und sah zu dem Magier herüber, der sogleich nickte.

»Ja, das tue ich.« Diesen Tag hatte Loki noch sehr genau in Erinnerung.

Thor und er waren beide noch Kinder gewesen und hatten zusammen eine mühsame Übungsstunde Schwertkampf absolviert, wobei das Empfinden sicher zweigeteilt gewesen war; Thor hatte das Kampftraining stets geliebt, während Loki es als Folter erachtet hatte. Sie waren von ihrem Lehrer im Palastgarten unterwiesen worden, während eine Gruppe fein gekleideter Mädchen auf dem Weg zur monatlichen Einführung in Gesellschaftstanz durch einen etwas erhöhten Bogengang zur Königin geführt werden sollten.

Natürlich war es für die Dienerschaft recht schwer gewesen, die Horde plötzlich fiepender Weiblichkeiten zu bändigen, die in haltloses und begeistertes Raunen ausgebrochen waren, nachdem sie die beiden Prinzen im Garten entdeckt hatten.

Recht überfordert hatten die bediensteten Asen die Mädchen weitergeschoben, die sich kaum von dem Anblick losreißen wollten, vor allem nicht, da Thor sich einen Spaß daraus gemacht und ihnen auch noch zugewunken hatte, während Loki einfach froh über die so erzwungene Pause gewesen war.

Eines der Mädchen hatte sich aber unbeobachtet von ihren Aufpassern aus der Gruppe geschlichen und war plötzlich um eine efeubewachsene Säule des Gartens geeilt; im Laufen noch hatte sie ihr wertvolles Kleid über den Kopf gezogen und sich aus den unzähligen Lagen Stoff gewunden, bevor sie diese einfach beiseite geworfen und ungerührt in ihrem Unterkleid zu ihnen stolziert war.

»Milady Sif…Herrin…was im Namen der Welten macht Ihr denn da?!« Ihre Amme war dann hinter ihr aufgetaucht; das Gesicht blass vor Schreck hatte sie erschüttert auf ihre Schutzbefohlene gesehen, die in ihrem schlichten Unterkleid zum Waffenständer gegangen war und sich einfach ein Schwert gezogen hatte, das sie zwar kaum hatte heben können, doch umso verbissener hinter sich hergezogen hatte.

»Der Tanz langweilt mich. Ich werde heute lieber mit den beiden Jungen hier den Schwertkampf trainieren. Dies ist doch viel unterhaltsamer als monotone Schrittfolgen zu lernen. Mit einem Tanz kann man keine Feinde bezwingen.« hatte das Mädchen selbstbewusst erklärt, das Kinn gereckt und sich ungefragt so neben Thor platziert, dem die Kinnlade verblüfft herabgefallen war, während der Amme und ihrem Lehrmeister sämtliche Gesichtszüge entglitten waren.

Allein Loki hatte sich in diesem Moment köstlich amüsiert und den Eigensinn des Mädchens durchaus bewundert und geachtet.

»Ich glaube, es war mir nie wirklich klar, aber in diesem Augenblick habe ich mich in sie verliebt. Obwohl ich sie damals für verrückt hielt.« holte Thors Stimme Loki in die Gegenwart zurück; der Donnergott stieß ein warmes Lachen aus und selbst Loki konnte ein verhaltenes Schmunzeln nicht unterdrücken.

»Sif und ich, wir haben so viel zusammen erlebt; ich kann ihr vertrauen wie einer Schwester, mit ihr lachen wie mit einem Freund und sie begehren wie eine Frau von Wert. Ich glaube wirklich, sie könnte die Richtige sein, Loki. Die perfekte Frau. Die einzig Wahre für mich.« sinnierte der Donnergott ungewohnt empfindsam, während er auf die Zügel in seinen Händen blickte; seine Gefühle waren ihm deutlich anzusehen - für Loki wohl deutlicher denn je, da Thors Aura in hellem, aufgeregtem Blau schimmerte.

»Das ist sie. Ihr seid füreinander bestimmt.« bekräftigte der Magier überraschend. Wenn es vieles gab, über das er grübelte, einigen Sachen war er sich schon immer sicher gewesen - Thor und Sif gehörten einfach zusammen. Die Freude über diese Worte in Thors Gesicht schnürte Loki beinahe die Luft ab. »Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es eine andere Frau so lange mit dir aushalten würde…« fügte Loki dann spöttisch an, um den Hauch von Verbundenheit zwischen ihnen nicht zu einem Wind erstarken zu lassen, dessen Böen er sich beugen müsste.

Thor schien ihm die Worte jedoch nicht übel zu nehmen. »Da hast du wahrscheinlich recht, kleiner Bruder.« pflichtete er ihm lachend bei, bevor er sich fast verschwörerisch zu dem Magier herüberbeugte. »Wie war eigentlich deine Nacht…mit Gwendolyn? Habt ihr euch das Zimmer geteilt?« In Thors blauen Augen der Schalk neben ehrlichem, brüderlichem Interesse.

»Nur weil ich dir einmal recht gegeben habe, solltest du nun nicht dem Glauben erliegen, dass ich dir alles sagen werde.« entgegnete Loki kühl und zog sich die Kapuze über den Kopf, um das Gespräch damit zu beenden und seine Züge zu verbergen, in denen der Donnergott bloß nicht lesen sollte.

»Erfolgreich also?!« mutmaßte Thor erfreut, als hätte er gar keine andere Reaktion von Loki erwartet - und als würde ihm genau die verraten, was er zu wissen verlangte. »Was ist passiert? Nun sag schon, Loki…« Augenblicklich ähnelte der Thronerbe Asgards einem quengelnden Kind, das unbedingt etwas haben wollte.

»Achte auf den Weg, Thor.« wies der Magier seinen Bruder trocken zurecht, der es um ein Haar geschafft hätte, sich durch einen herabhängenden Ast aus dem Sattel schlagen zu lassen. Geschmeidig duckte sich Loki darunter hinweg und schnürte ihre Unterhaltung ab, indem er seinen Hengst vor Thors Pferd trieb und diesen so hinter sich platzierte.

Der Pfad vor ihnen wurde immer schmaler; steil und steinig wandte sich der Weg um den Berg in die Höhe, sodass die Gefährten am Ende von ihren Pferden steigen mussten, um diese am Zügel vorsichtig hinter sich herzuführen. Der Wind hatte aufgefrischt und zog pfeifend die Steilhänge herauf, was die Reise zwar nicht wesentlich angenehmer machte, doch zumindest die Sicht ein wenig klärte; Nebelfetzen trieben wie blasse Gespenstern an ihnen vorbei in die Höhe.

Hinter der nächsten Biegung offenbarte sich endlich ihr Ziel; der schmale Pfad weitete sich zu einem moosbewachsenen Hochplateau aus, das sich wie das Nest eines Adlers in diesen schwindelnden Höhen an den Berggipfel schmiegte. Mächtige Tannen trotzten dem rauen Klima hier oben und rahmten das halb zerfallene Gemäuer ein, welches sich vor ihnen aus dem Nebel schälte.

Der uralte Tempel erhob sich bedrohlich aus dem bleichen Dunst der Wolken und nassen Luft; zerstörte Säulen und Wände ragten wie die scharfen Zähne eines Ungeheuers in den stahlgrauen Himmel. Zerbrochene Fenster blickten ihnen wie leere Augenhöhlen entgegen; das starke, schmiedeeiserne Tor ein unheilgebietendes Maul, aus dessen geöffneten Pforten der Nebel und die Finsternis kroch.

Beharrlich hatte sich die Natur zurückerobert, was ihr einst gehört hatte; hier und da war das Mauerwerk durch Wurzeln gesprengt und tapfer zogen sich die Ranken von wildem, robustem Efeu die rauen Steine hinauf. Der Nebel umfing die Ruine wie die Umarmung eines Liebhabers - fast hatte man das Gefühl, dass sich die Schleier kaum von den Mauern trennen konnten, als würde die Natur selbst den Tempel vor neugierigen Augen zu verhüllen suchen.

Es war seltsam ruhig hier oben; außer dem Säuseln des Windes, der den Berg heraufkam und vereinzeltem, nassem Platschen von übriggebliebenen Regentropfen in den Bäumen war nichts zu vernehmen, bis der Rest der Gruppe hinter Loki das Plateau erreichte, der sich eben seine Kapuze vom Haupt strich, um seinen Blick uneingeschränkt schweifen lassen zu können.

»Wir sind da.« verkündete der Magier tonlos und führte seinen Hengst zu einer nahen Tanne, um ihn dort festzumachen. Das Tier wirkte unruhig und schlug die Hufe nervös in die moosbedeckte, weiche Erde; der angestrengte Atem des Pferdes stob sichtbar in die Luft, während Loki die behandschuhte Rechte nutzte, um dem Tier beruhigend über die Nüstern zu streichen, bevor er zu dem Tempel aufblickte.

Der Magier konnte es auch fühlen - er spürte, was seinen Hengst so unruhig machte.

Die Grenzen zwischen den Welten waren an diesem Ort sehr dünn; einer der geheimen Pfade war nahe. Loki konnte das Wirbeln der Energien fühlen, das wie ein dumpfes Vibrieren unter seinen Stiefeln durch die Erde rollte - ein unheilvoller Herzschlag, der Finsternis mit sich brachte.

Finsternis, die in wallenden Nebeln aus der geöffneten Pforte der Ruine strömte - den Atem von etwas dunklerem und weniger lebendigem mit sich führend; jegliche Farbe, jegliches Licht schien jenseits des Tores verschluckt zu werden.

»Bei allen Welten…was ist das für ein Ort…?« grollte Volstagg abwehrend, beinahe widerstrebend, als wolle er sogleich rückwärts den Berg wieder hinabeilen; seine massige Gestalt versteifte sich, während er hinter Fandral den Pfad heraufkam und den Tempel vor ihnen erblickte. Der blonde Krieger rümpfte missbilligend die Nase.

»Und deswegen haben wir den ganzen Weg auf uns genommen?! Wegen einer Ruine?!« Anklagend deutete er auf das Gemäuer.

Loki klopfte seinem Pferd ein letztes Mal beruhigend auf die Flanken, bevor er seine Tasche vom Sattel löste und zu Thor hinüber schritt, der inzwischen den Schluss des Zuges bildete. Gwendolyn und Sif stiegen nun ebenfalls von ihren Pferden und beäugten den halb zerfallenen Tempel äußerst unbehaglich.

Der Donnergott stieg aus dem Sattel und zog die Augenbrauen finster zusammen, während sein Blick die Ruine wachsam überglitt, bevor er Loki entgegensah, der eben an ihn herangetreten war. »Du willst das wirklich tun, Bruder?« raunte Thor zweifelnd und strich seinem Pferd beiläufig über den kräftigen Hals, da das Tier ebenso die düstere Aura des Ortes verspürte.

Thors Sorge war ja fast rührend…und ausgesprochen lächerlich.

»Natürlich.« erwiderte der Magier sachlich. »Für einige Antworten ist keine Gefahr zu groß. Du musst die guten Seiten der Sache sehen. Sollte etwas schief gehen, so wird sich der Allvater wohl nicht mehr um meine Bestrafung sorgen müssen…« Loki zeigte ein humorloses, schmales Grinsen und hob seinem Bruder die Handgelenke mit den magischen Fesseln entgegen. »Wenn ich bitten darf?!«

Thor schien nicht wirklich überzeugt von den positiven Aspekten dieses Unterfangens. »Das ist wirklich nicht witzig, Loki…« grollte er finster, bevor er den Schlüssel der Fesseln unter seinem Umhang hervorzog. »Wenn etwas schief geht, dann reißt du nicht nur dich in den sicheren Tod…« Die Worte hingen schwer zwischen ihnen in der Luft, während Thor bedeutsam zu der Sterblichen hinüber blickte, die gerade mit Sif ihren Hengst an einen Baum band.

Mit einem metallischen Klicken sprangen die silbernen Fesseln auf; der Magier sog die Luft befreit in bebende Nasenflügel und rieb sich die verspannten Handgelenke. Dann folgte er dem Blick des Donnergottes.

Loki hatte Gefahren nie gemieden, vor allem dann nicht, wenn die Aussicht auf Wissen und Macht dahinter stand; er kannte keine Angst vor Herausforderungen, da die Angst am Ende immer ein Hemmnis und Hindernis sein würde.

Schon als junger Mann hatte er kein magisches Experiment gescheut; sich selbst auf die abschüssigen Pfade der dunkleren Magie gewagt, die Freya ihm während der Zeit in Vanaheim gezeigt hatte - die Vanin hatte sich verbotenerweise mit schwarzen Zaubern und Schriften beschäftigt, da sie der Meinung gewesen war, um alles in seiner Komplexität verstehen zu können, müsse man immer beide Seiten der Medaille kennen.

Loki hatte ihre Denkweise durchaus nachvollziehen können und Achtung für die junge Frau empfunden, die seinen ehrgeizigen Ansprüchen in nichts nachgestanden hatte.

Ja, der Magier hatte nie eine Herausforderung gescheut; keine Gefahr als zu groß erachtet, dass es sie nicht wert war einzugehen für den Preis von Macht und das Erreichen der eigenen, so hochgesteckten Ziele.

Lokis Blick glitt über Gwendolyn, die ihren Umhang enger um die zierlichen Schultern zog, während Fandral ihr aufmunternd auf die Schulter klopfte, was dem Magier beinahe ein warnendes Knurren entlockt hätte - jetzt allerdings ging es nicht nur um sein Leben.

Auf seltsame Art und Weise fühlte er sich verantwortlich für die Sterbliche und der Gedanke, dass ihr etwas zustoßen könnte, lag plötzlich schwer und unangenehm in seinem Magen.

»Ich weiß.« zischte Loki seinem Bruder entgegen; er wusste durchaus, worum es ging und diese Ermahnungen waren lästig. Thor sollte ihn eigentlich gut genug kennen, um zu wissen, dass Loki keine Fehler duldete - am wenigsten bei sich selbst. »Lass uns endlich anfangen.« Entschlossen hob er die Tasche mit seinen Zauberutensilien vom nassen Boden auf und trat zu Gwendolyn hinüber, die ihm nur sehr verhalten entgegen sah; sie wirkte angespannt, unsicher schwankte ihr Blick zwischen ihm und der Ruine des Tempels.

»Komm mit mir.« raunte er ihr entgegen; die ersten Worte, die er seit dem letzten Abend zu ihr sprach. Anfänglich hätte er fast damit gerechnet, dass sie seine dargebotene Hand ausschlagen und ihn weiterhin ignorieren würde, doch sie überraschte ihn, indem sie tief Luft holte und ihre schlanke Hand dann in seine bettete.

»Thor…« sprach der Magier seinen Bruder auffordernd an, während er sich mit der Sterblichen in Richtung des Tempels aufmachte.

Der Donnergott nickte und wandte sich seinen Freunden zu. »Hogun. Sif. Ihr bleibt hier draußen bei den Pferden. Behaltet die Umgebung im Blick und sorgt dafür, dass uns niemand folgt.« Die beiden nickten pflichtbewusst und bezogen Stellung am Ende des Pfades hinter einem Felsvorsprung, um mögliche Angreifer sogleich erblicken zu können.

»Fandral. Volstagg. Ihr kommt mit mir.« verlangte Thor befehlend und erntete zumindest von Fandral ein resigniertes Seufzen, der sofort seinen Degen zog und die Ruine argwöhnisch beäugte.

»Also ich wäre liebend gern bei den Pferden geblieben.« murrte der blonde Krieger.

»Da stimme ich dir zu, mein Freund…« brummte Volstagg rau und packte den Stiel seiner Streitaxt fester, so sich sein Blick sehr skeptisch auf das Gemäuer vor ihnen legte, in das sie nun zu gehen gedachten. Zögerlich folgten die beiden Thor, der hinter Loki herlief. »Nicht mal ein saftiger Wildschweinbraten könnte mich nun so sehr locken, dass es mich verlangen würde, diesen Ort zu betreten…«

Der Magier trat mit der Sterblichen an seiner Seite zuerst in die Finsternis des Eingangstores; ihre Finger klammerten sich unmerklich fester um seine Hand. »Was ist das für ein Ort?« wisperte sie, während er bemerkte, dass sie intuitiv näher zu ihm gerückt war.

Warum auch immer, doch dieses winzige Zeichen des Vertrauens ließ Loki innerlich jubilieren.

Vor ihnen offenbarte sich eine weitläufige Halle, in der raschelnd ein paar verdorrte Blätter vom Wind über den Boden getrieben wurden; mächtige Säulen stützten das Dach des Tempels, das schutzlos über die Jahre den Elementen ausgesetzt bereits an einigen Stellen durchbrochen war. Sanft rieselte staubfeine Feuchtigkeit von oben herab und hatte die Einrichtung der hölzernen Bänke angegriffen.

An der Front des Tempels erhob sich die verwitterte Statue einer Frau auf einem Sockel, bereits umwunden von starrsinnigem Efeu und von Nieselregen umtanzt, der durch ein Loch über ihrem Kopf fiel. Das Tropfen von Wasser und das leise Rascheln der Blätter war alles, was in der mächtigen Halle zu vernehmen war - eine trügerisch idyllische Stille.

»Ein Tempel der Hel.« erklärte der Magier in aller Ruhe; allerdings hatte er auch schon die Zeit gehabt, sich mit seinem Vorhaben anzufreunden.

Gwendolyn blieb augenblicklich stehen und zwang Loki so ebenfalls im Schritt innezuhalten, da sie seine Hand weiter fest hielt. Hinter ihr betraten nun auch Thor, Fandral und Volstagg die Halle; der rothaarige Krieger musste sich unter einem zerbrochenen Balken hindurchbücken, um sich den Kopf nicht zu stoßen.

»Hel…?!« Die Stimme der Sterblichen war äußerst wachsam geworden; vorsichtig beäugte sie ihre Umgebung. Sie ahnte wohl, was er gedachte zu tun. Kluges Mädchen. »Loki…was zum Teufel hast du vor?!« hauchte sie.

»Na hervorragend…« stieß Fandral in einem langgezogenen Seufzen aus und deutete auf die Statue am Ende der Halle. »Hel. Ein Tempel der Todesgöttin. Da fühle ich mich doch gleich sicher und geborgen.«

»Hast du Angst, Fandral?« gab Loki dem Krieger spitz über die Schulter zurück. »Die Frauen pflegen in so einem Fall zumeist draußen zu warten…« fügte er trocken an und genoss das empörte Schnauben des Kriegers.

»Keine Angst. Ich nenne das Verstand.«

Volstagg neben ihm umklammerte seine Axt fast wie ein Rettungsseil und sah sich angespannt in der Halle um.

»Wir werden der Unterwelt einen kleinen Besuch abstatten.« wandte sich der Magier nun wieder Gwendolyn zu, deren Augen sich auf jene Eröffnung hin sichtlich weiteten. Er schob den Riemen seiner Tasche höher auf seiner Schulter und schritt dann durch die Reihen der Bänke auf den Altar zu, die Frau an der Hand hinter sich herführend.

»Wir?! Du meinst damit hoffentlich nicht dich und mich?!« Ihre Stimme vermittelte brüchige Zuversicht.

»Doch. Dich und mich.« zerbrach er ihre schwächlichen Hoffnungen mit bestimmter Zunge und wandte sich vor Hels Statue noch einmal zu seinem Bruder um, der mit den beiden Kriegern die Halle durchschritt. »Thor. Wartet hier. Sorgt dafür, dass wir unter keinen Umständen gestört werden. Das Ritual darf nicht unterbrochen werden.«

Der Donnergott nickte verstehend, dann hielt er Loki noch einmal mit einem Räuspern auf. »Sei vorsichtig, Bruder…«

Ein schmales Grinsen erblühte auf den Lippen des Magiers. »Natürlich. Das bin ich doch immer.«

Loki drehte sich auf dem Absatz herum und steuerte zielsicher eine Tür hinter der Statue an, die zu den höher gelegenen Räumen des Tempels führte. Das morsche Holz der Tür knarzte protestierend in den Angeln; eine steile Wendeltreppe zog sich dahinter in die düstere Finsternis über ihren Köpfen.

»Warum muss ich dich begleiten? Ich verstehe das nicht…ist das wirklich nötig? Und was willst du überhaupt in der Unterwelt?« wisperte die Sterbliche zittrig gegen seinen Rücken und doch schwang der typische Dickkopf ihres Wesens in den Worten mit, während sie hinter Loki die Treppe hinaufstieg.

»Antworten.« erklärte ihr der Magier bestimmt und schob eine weitere Tür am Ende der Treppe auf, die in einen kreisrunden, gedrungenen Raum führte. »Wir müssen wissen, wer oder was unser Feind ist. Auf diese Frage findet kein einziges Buch eine Antwort.«

»Aber in der Unterwelt hoffst du die zu finden?!« hinterfrage Gwendolyn zweifelnd und folgte ihm zögerlich in den düsteren Raum; allein ein paar spärliche, winzige Fenster ließen graues Licht herein. Ihr Blick signalisierte ihm äußerste Skepsis, neben der unterschwelligen Angst, die sie sich ihm gegenüber allerdings nicht anmerken lassen wollte.

Loki ließ ihre Hand los und trat in die Mitte des Raumes, wo er auf die Knie herabsank und begann seine Tasche zu leeren; ein Wink seiner Hand genügte nun, um eine Reihe schwarzer Kerzen in einem perfekten Kreis um sich zu platzieren. »Wenn unser Feind älter als die ersten Aufzeichnungen von Zivilisationen ist, so kann uns nur eine Macht im Universum verraten womit wir es zu tun haben. Eine Macht, die so alt ist wie das Leben selbst.«

»Der Tod…« hauchte die Sterbliche verstehend.

Loki nickte und blies eine Handvoll zerstoßener Kräuter in den Raum; noch in der Luft entzündete er die trockenen Krümel und ließ damit schwelende, duftende Asche herabregnen, welche die Luft für seinen Zauber vorbereitete. »Außerdem hoffe ich auf eine Antwort hinsichtlich der Kraft in dir und deiner Herkunft. Daher wirst du mich begleiten.«

Gwendolyn verschränkte die Arme vor der Brust; es sollte abwehrend und störrisch wirken, doch vermittelte es eher den Eindruck, als wäre ihr kalt und sie wolle sich selbst in ihrem Unbehagen trösten. »Du hättest mich eigentlich ruhig fragen können, ob ich das überhaupt will. Ob ich das überhaupt wissen will und dazu bereit bin. Hier geht es schließlich nicht nur um dich, Loki.« fuhr sie ihn an, doch fehlte der übliche Nachdruck ihrer Stimme. »Nach gestern Abend-« Sie schluckte, sprach dann aber weiter, nachdem sie offensichtlich eindeutige Erinnerungen weggeschoben hatte. »Nach gestern Abend dachte ich eigentlich, dass du das verstanden hättest…« endete sie in einem resignierten Wispern, wobei ihre zusammengezogenen Brauen Ärgernis vermittelten.

Er verstand sie. Verdammt nochmal, warum wusste er nur so gut, wie es in ihr aussah?

Doch er konnte auf ihre Gefühle jetzt keine Rücksicht nehmen. Wenn sein Plan funktionieren sollte, so musste er sich an seine alte Form erinnern - in die Maske zurückfinden, die ihm einst so gut gepasst hatte…

»Du hast Recht. Es geht nicht nur um mich…« Der Magier erhob sich wieder auf die Füße und ließ durch einen Fingerzeig ein kleines Fläschchen über den Boden schweben, welches aus dunkelrotem Pulver verschnörkelte Symbole neben die Kerzen des Kreises malte. Loki sah die Sterbliche eindringlich an. »Es geht um viel mehr. Möglicherweise um alles. Licht oder Dunkelheit. Leben oder Tod. Dieser Schatten in Malekith ist anscheinend sehr interessiert an dem, was in dir schlummert. Vielleicht kann man es als Waffe gegen unseren Feind einsetzen.«

»Eine Waffe…« Ihre Stimme klang plötzlich bitter. »Mehr bin ich nicht für euch, oder? Mehr bin ich nicht für dich…« In ihren Augen sah er Emotionen auflodern, die ihn früher niemals berührt hätten. Jedoch ließ ihn die verletzte Enttäuschung in den Tiefen ihrer glänzenden Seelenspiegel nicht so kalt, wie es ihm lieb und zweckdienlich für sein Vorhaben gewesen wäre.

»Mach dich nicht lächerlich.« meinte er zurechtweisend, während er ein paar Kristalle in die Luft schweben ließ, die sich dort nach einem bestimmten Muster aufreihten, bevor sie auf den Boden herabsanken. »Niemand sieht dich nur als Waffe. Behandelt dich irgendjemand, als wäre es so? Wenn dies der Fall wäre, würdest du niemals die Gastfreundschaft des Allvaters so uneingeschränkt genießen können. Waffen benutzt man. Man schließt sie weg. Oder man zerstört sie.« war sein kühles Fazit, unter welchem sie spöttisch schnaubte.

»Und trotzdem bin ich eure Gefangene.«

»Wenn du es unbedingt so sehen willst…«

Er ging wieder in die Hocke, um die restlichen Zutaten aus seiner Tasche zu ziehen; ein schmaler, leicht schimmernder Dolch wanderte ungesehen von der Sterblichen unter die Aufschläge seines Mantels in ein geheimes Versteck, wo dieses kostbare Gut sicher verborgen wäre. Dann warf er seine Tasche achtlos beiseite.

»Wie funktioniert es…wie…wie willst du uns nach Hel bringen?« Gwendolyn war ein paar Schritte hinter ihn getreten; ihre Stimme klang wieder gefestigter, als hätte sie alle Emotionen verbissen beiseitegeschoben, um sich in diesem Augenblick auf das Wesentliche konzentrieren zu können - ein Verhalten, welches er nur zu gut von sich selbst kannte.

Loki ließ ein paar alte Runensteine durch seine Finger gleiten; genoss das vertraute Prickeln der Magie, bevor er sie scheinbar wahllos in dem gezogenen Kreis auf dem Boden platzierte. »Hel ist kein Ort wie jeder andere. Normalerweise kann man nicht einfach in das Reich der Todesgöttin gehen, außer man ist bereits tot. Dieses Ritual wird die körperlose Seele eines eben Verstorbenen vortäuschen, sodass wir durch die Grenzen zwischen den Welten schlüpfen können. Jemand, der schon einmal auf der Schwelle des Todes stand, hat die Pfade bereits erblickt, die ins Reich der Hel führen und kann sie wieder hervorrufen. Vorausgesetzt, er ist ein Magier.« erklärte Loki sachlich, während er die letzten Runen konzentriert niederlegte.

Das Rascheln von Kleidung verriet ihm, dass die Sterbliche erneut näher gekommen war. »Du…Loki, du sprichst von dir…wie ist das passiert? Wann…?« Der Ton ihrer Stimme hatte sich erneut gewandelt; war wärmer, vorsichtiger, gefühlvoller geworden.

»Es ist lang her. Ich war ein jüngerer Mann, hatte die Möglichkeiten der Magie gerade für mich entdeckt. Ich wollte Thor einen Zauber zeigen, den ich eben erst gelernt hatte. Allerdings lief nicht alles so, wie es sollte...« gab er selbst für sich überraschend offen Auskunft über ein Ereignis in seiner Vergangenheit, das er beinahe noch tiefer in sich begraben hatte als seine Gefühle. Denn damals war ihm das Schlimmste überhaupt widerfahren - Versagen. Gleichgültig fuhr er fort, als würde er die Geschichte eines anderen erzählen: »Der Zauber explodierte in einem Feuerball. Ich warf mich über Thor, um zumindest ihn zu schützen und fing somit den größten Teil der außer Kontrolle geratenen Magie ab. Danach schwebte ich eine ganze Weile zwischen Leben und Tod. Frigga wachte tagelang an meinem Bett-«

Die unvermittelte Berührung von zarten Fingerspitzen auf seinem Rücken ließ ihn innehalten; selbst durch die Schichten von Leder und Stoff hindurch konnte er die Wärme von Gwendolyns Fingern beinahe überdeutlich fühlen, wie sie sanft und so unendlich vorsichtig über seinen Rücken strichen, als wäre er - Loki - das Kostbarste, was sie je berührt hätte. Ungewollt erschauderte er unter ihrer Berührung. »Die Narben auf deinem Rücken…« wisperte sie fast erstickt, als würde sie der Gedanke, dass er fast gestorben wäre mehr erschrecken als ihn selbst.

Er nickte stumm und erhob sich wieder, nachdem er alles zu seiner Zufriedenheit vorbereitet hatte. Ihre Finger verschwanden in einem sanften Gleiten von seinem Rücken. »Dies war dann wahrscheinlich der Tag, an dem der Allvater entschied, dass ich der Magie lieber abgeschworen hätte. Immerhin hatte ich beinahe seinen geliebten Sohn damit umgebracht. Das trug nicht unbedingt zu seiner Liebe und Anerkennung der Zauberei bei…oder zu meiner.« erläuterte Loki mit einem spöttischen Grinsen, was seine Augen jedoch nicht erreichte.

Er hatte sich zu Gwendolyn umgedreht, die mit einem beinahe schmerzlichen Ausdruck auf ihren zarten Zügen zu ihm aufsah. Für einen Moment dachte er, dass sie ihre Hand heben und jene warm und schützend auf seine Wange betten würde, doch sie hielt sich zurück. Und er bedauerte es.

Loki trat in den Kreis hinter sich und streckte ihr die Hand auffordernd entgegen. »Alles ist vorbereitet. Komm jetzt.«

Sie zögerte einen winzigen Augenblick, in dem sie ihre Unterlippe zwischen die Zähne zog, bevor sie tief Luft holte und seine Hand ergriff, um in den Kreis zu ihm zu treten. »Und jetzt…?« Unsicher starrte sie auf die Kerzen, Kristalle und Symbole zu ihren Füßen.

»Halt dich an mir fest. Und lass nicht los.« raunte er ihr zu und zog sie an sich; Bilder der letzten Nacht blitzten vor seinem inneren Auge auf, als sie nun die Arme um ihn schlang und sich weich gegen ihn schmiegte. »Du musst mir ab jetzt vertrauen, Gwendolyn. Vorbehaltlos, verstehst du?« Er hob ihr Kinn mit einem Finger, sodass sie ihn ansehen musste.

Unsichere Skepsis huschte über ihre Züge, verhaltene Vorsicht ließ sie ihre Brauen zusammenziehen, doch dann nickte sie bestimmt. »Ja, ich verstehe. Ich vertraue dir…« versprach sie bestimmt.

Loki legte die Arme zufrieden um die Sterbliche. Ihre Umarmung fühlte sich viel zu richtig, viel zu perfekt an - verbissen schob er diese Gedanken von sich und konzentrierte sich auf die Verse des Rituals, welche er nun in einem melodischen Singsang leise rezitierte.

Die Fäden der Magie begannen sich zu weben; die Energien flossen aus den Wänden des Tempels, dem uralten Mauerwerk und der ihnen umgebenden Luft - aus Feuchtigkeit und Staub formte sich ein schillernder Kokon um die beiden Körper im Inneren des Kreises, der sich träge um sie zu drehen begann.

Loki hatte die Augen geschlossen, während die Worte der Magie aus seinem Mund flossen und sich mit den wirbelnden Energien umher verbanden; er fühlte sich geerdet, spürte die Mächte durch seine Venen fließen. Die Luft umher erwärmte sich durch den Zauber und lud sich statisch auf, sodass winzige Blitze zwischen den schwebenden Staubteilchen umher sprangen.

Vor seinem geistigen Auge konnte er die nötigen Stränge der Energien erkennen, die er nun in komplizierten Verbindungen miteinander verwob; er erschuf ein Netz aus magischen Verknüpfungen, bis die letzte Brücke geschlagen war und die Energien ungehindert fließen konnten - der Zauber glühte hell auf und Loki packte nach dem Pfad seiner Erinnerung. Ein dunkler Fleck im Herzen des Zaubers - der Weg tat sich tosend auf.

Ihre Körper wurden in brausendes Licht gehüllt; eine Säule aus Energie schoss aus dem Boden auf und brachte die Kälte des Todes mit sich, welche langsam von den Füßen die Beine heraufwanderte.

In rasender Schnelle wurden ihre Körper in den Atem des Todes gehüllt, bevor sicher der Durchlass unter ihren Füßen auftat und sie unvermittelt durch den Stein in die Unterwelt sackten.

Lokis Stiefel trafen knirschend auf dem eiskalten Boden auf; selbst durch die Sohlen seiner Stiefel konnte er die unnatürliche Kälte spüren, die hier herrschte. Die Luft umher war kaum wärmer, sichtbare Atemwolken bildeten sich vor ihren Lippen, als Gwendolyn ihre feste Umklammerung nun zögerlich löste und die Augen blinzelnd öffnete, die sie wohl zuvor ängstlich zusammengekniffen hatte.

Der Magier ließ einen Arm um die Sterbliche geschlungen, um ihr ein wenig Wärme zu spenden, während er sich umsah.

»Hat es geklappt…?« drang ihr zaghaftes Wispern an sein Ohr. Ihre warme, lebendige Stimme fühlte sich an diesem Ort deplatziert an; seltsam falsch klangen die Worte in seinen Ohren nach - ein Funken Leben an einem Ort des Todes.

»Es sieht so aus…« gab er leise zurück.

Umher erstreckte sich eine trostlose und tote Landschaft; karger, trockener Boden, verdorrte Bäume und Büsche neben grotesken Felsformationen, wohin man auch sah. Eine Flut aus bleichen Gebeinen zog sich über die leblosen Ebenen, selbst ihre Stiefel standen auf den Knochen der Verstorbenen; leere Augenhöhlen starrten ihnen aus unzähligen Schädeln entgegen, die den Besuchern mit einem fleischlosen Grinsen begegneten.

Über allem lag der Schleier der Fäulnis und Verdammnis; düsterem Nebel gleich kroch der Tod über das Land und hüllte alles in seinen stinkenden, unseligen Atem. An diesem Ort gab es keine Freude, keine Hoffnung, keine Wärme - eine Welt geschaffen für die Toten, die es im Leben zu keinem Ruhm gebracht hatten; hier ruhten jene, die in Walhalla keinen Einlass gefunden hatten.

In einiger Entfernung schwappte der bodenlos finstere Fluss Gjöll an zerklüftete Klippen; ein Geräusch, als würden die Gebeine der Toten selbst über die scharfen Steine schaben. Ein winziges Boot lag an einem Steg aus Knochen an, darauf eine schemenhafte, dürre Gestalt, die das Ruder hielt und deren kalt glimmende Augen sie bereits fixiert hatten. Eine knöcherne Hand hob sich aus den zerfetzten Falten eines düsteren Gewandes; ein bleicher Finger zeigte fast anklagend auf sie, bevor ein hohles Lachen erklang, welches wahrscheinlich selbst die Toten hätte frösteln lassen.

Gwendolyn klammerte sich fester an Loki. Ihr Zittern war für ihn deutlich zu spüren.

Unvermittelt wurden ihre Körper nach vorn gerissen; die Umgebung verschwamm vor ihren Augen und mit unbändiger Geschwindigkeit zog sie eine unsichtbare Macht über das Land auf eine schwarze Festung zu, die sich bedrohlich und düster über den Ebenen erhob. Rasend schnell flog die Landschaft an ihnen vorbei; sie wurden hineingerissen in die Burg, auf deren Zinnen aufgespießte Körper zappelnd ihr untotes Leben wieder und wieder verloren; Verdammnis für die Ewigkeit, wie sie Verbrechern blühte - wie roter Regen tropfte deren Blut auf die Steine der Festung und ließ jene im düsteren Licht der Unterwelt feucht schimmern. Das qualvolle Stöhnen der Verdammten erfüllte die Luft.

Ihre rasante Reise wurde urplötzlich wieder abgebremst; Gwendolyn hob zittrig das Gesicht aus den Aufschlägen seines Mantels, wo sie sich schutzsuchend verborgen hatte und auch Lokis Blick glitt wachsam über die Umgebung.

Um sie herum erstreckte sich eine mächtige Halle, deren schaurige Säulen aus den Körpern von unzähligen Verstorbenen gebaut waren; der Boden unter ihren Füßen war durchsichtig und gewährte die uneingeschränkte Sicht auf tausende schreckensstarre Gesichter und windende Gestalten, die gegen die unzerstörbaren Bodenplatten hämmerten, darunter in glasklarer Flüssigkeit immer und immer wieder ertrinkend - ewiges Leid spiegelte sich in den aufgerissenen Augen, darunter panische Münder, die in lautlosen Schreien um Erlösung flehten. Eine Erlösung, die sie niemals erfahren würden - Hel bestrafte Sünder gebührend und mit äußerster Hingabe.

»Oh Gott…« Gwendolyn stieß einen erstickten Laut der Angst aus, als sie die Gestalten unter ihren Füßen bemerkte und sie drückte sich ängstlich wieder näher an den Magier, der ihr erneut einen Arm schützend um die Schultern legte.

Der wabernde Nebel, der selbst hier über den Boden kroch wie die lebendigen Finger eines Riesen, verdichtete sich jetzt um sie herum; aus den grauen Bahnen formten sich zuerst undeutliche Schemen, die nach und nach gestaltliche, feste Form annahmen - einer nach dem anderen entstanden knöcherne Krieger aus dem Nichts, eiskalt glimmende Augen waren auf die beiden Lebenden in ihrer Mitte gerichtet, während unzählige, fleischlose Schädel auf sie herabgrinsten.

Die Wachgarde der Hel.

Die Krieger der Unterwelt trugen zerfetzte Rüstungen; letzte Überbleibsel ihres irdischen Daseins, wie auch manche die Reste von verwesendem Fleisch an ihren Körpern aufbahrten wie kostbare Erinnerungen an ihr Leben. Unter einem stummen Befehl zogen die untoten Krieger ihre Waffen und kreisten die Sterbliche und Loki damit ein, bevor sich der umgebende Nebel erneut bewegte.

Einer Schlange gleich kroch der kränkliche Dunst über den Boden auf einen düsteren Thron zu, den Loki bisher kaum bemerkt hatte; auch hier formte sich zuerst ein verschwommener Schemen, bevor sich die Gestalt einer Frau aus dem bleichen Schleier löste, die auf ihrem erhöhten Thron Platz genommen hatte, die Beine gelassen überschlagen, während ihre Finger beinahe liebkosend über die Lehnen ihres Thrones strichen, welche aus den Schädeln der Verdammten gefertigt waren.

Loki zauberte ein kühles Grinsen auf seine Lippen.

Lasset die Spiele also beginnen…
 

Gwen sah ebenso wie Loki zu der eben erschienen Gestalt einer Frau auf, deren zerfetztes Gewand sich wie die Flügel einer Fledermaus um sie bauschte, bevor der gräuliche Stoff um sie herabsank. Auf den ersten, flüchtigen Blick war sie atemberaubend schön; ein unpassender Anblick für einen so furchteinflößenden Ort wie die Unterwelt.

Gwens Körper unterlag einem unkontrollierbaren Zittern, als sich die bleiche Frau nun erhob und gemächlichen Schrittes mit bloßen Füßen die Stufen ihres Thrones herabschritt; ihre Zehen krümmten sich dabei auf eine grotesk besitzergreifende Art um die fleischlosen Knochen, die ihr als Weg dienten.

Ihr Gewand schwebte zerrissenen Flügeln gleich um sie, gemischt mit dem fauligen Nebel des Todes eine unheilvolle Aura, die die Frau umgab und ihr das Aussehen eines bizarren Schmetterlings verlieh. Je näher sie kam, desto deutlicher wurde ihr Verfall und das ihre trügerische Schönheit nur wie eine Illusion über ihrer wahren Gestalt lag.

Eines ihrer Augen war von einem strahlenden, fast blendendem Weiß, während das andere in bodenloser Schwärze seinen bohrenden Blick auf sie und Loki richtete, als die Frau nun durch die Reihen ihrer Krieger auf sie zukam.

Die bleiche Haut der Frau wirkte kränklich; an einigen Stellen auf Wangen, Stirn und Kinn breiteten sich faulige Flecken aus, die Sicht auf die Sehnen und Muskeln darunter gewährten, selbst auf das knochige Grinsen ihres Kiefers. Ihre Haare waren eine wirre, schwarze Flut aus fast bodenlangen Strähnen, doch glanzlos und stumpf.

Ihre Glieder unter dem sehr kargen Gewand waren schlank, doch bei näherer Betrachtung war es eher die Dürre des Todes, welche ihre dünne Haut umspannte - ein Hüftknochen stach wie die Klippe eines Meeres aus ihrer pergamentartigen Haut, ihre Rippen durchbohrten ebenfalls an einigen Stellen das Fleisch ihrer Gestalt.

»Hel. Herrin des Todes.« raunte der Magier ehrerbietend neben ihr, als die Göttin vor ihnen stehen blieb und verbeugte sich in einer geschmeidigen Bewegung, nachdem er seinen Arm von Gwen gelöst und ein merkliches Stück von ihr abgerutscht war. »Es ist mir eine Ehre, Eure Hoheit.«

Gwen spürte Unbehagen in sich erwachen und sah völlig unsicher und verloren zu Loki hinüber, der sie augenblicklich völlig vergessen zu haben schien. Seine Augen hingen wie gebannt auf der Gestalt der Göttin, die nun ein geschmeicheltes, scharfes Lächeln zeigte und eine ihrer knochigen Hände hob, um Lokis Kinn damit zu heben, damit sie seinen Blick auf sich richten konnte. »Ich kenne dich…« schnarrte ihre Grabesstimme in einem entsetzlichen Klang; Neugier lag in ihren Worten, doch auch wachsame Vorsicht. »Du bist der Magier der Asen. Der Bruder Thors. Loki Odinson.« Ein bleicher Finger strich über die Wange des Prinzen, der die Berührung mit einem schmalen Lächeln quittierte. »Der Gott der Lügen und der List. Du bist hübsch…«

Unvermittelt schoss die Hand der Göttin vor und packte den Magier an der Kehle, der diesen Angriff mit einem trockenen Grinsen entgegennahm.

»…und deines Lebens offensichtlich müde. Denkst du wirklich, du kannst dich ungestraft mit einer List in mein Reich schleichen? Was willst du hier, Magier?« zischte Hel unheilvoll; ihre Krieger reagierten auf den drohenden Klang in ihrer Stimme und kreisten Gwen, Loki und die Göttin weiter ein, Speere und Schwerter erhoben.

»Strafe?! Wofür, Eure Hoheit? Bringe ich doch immerhin ein Geschenk und eine Gabe, um Euer Wohlwollen zu verdienen, damit ich auf Eure Gnade und Eurer Entgegenkommen hoffen kann.« säuselte Loki einschmeichelnd und schlug die Augen respektvoll nieder; Hel zog die Brauen skeptisch zusammen und beäugte ihn äußerst wachsam, doch dann ließ sie ihn los. Der Magier rieb sich über die Kehle; seine Haut hatte sich unter ihrem Griff dunkel verfärbt, doch das selbstbewusste Grinsen verblieb auf seinen Lippen.

Gwen verweilte still etwas abseits; sie kam sich augenblicklich völlig fehl am Platz vor. Loki schickte keinen einzigen Blick mehr in ihre Richtung, als wäre es ihm egal, was mit ihr geschah. Er wirkte völlig gewandelt, so kühl und berechnet, kaum noch wie der Mann, den sie in den letzten Tagen kennengelernt hatte.

Sein eisiges Grinsen ließ sie frösteln.

Doch er hatte sie um ihr uneingeschränktes Vertrauen gebeten; womöglich gehört das alles zu seinem Plan - den er hoffentlich hatte. Sie musste sich wohl darauf verlassen, dass er wusste, was er tat. Und sie darüber nicht vergaß.

Schaudernd zog Gwen die Lagen ihres Umhangs fester um sich und beäugte die fleischlosen Krieger um sie herum ängstlich; dieser Ort war schrecklich und sie hoffte, dass sie bald von ihr fort konnten - es war, als würde sie jeder Atemzug hier langsam verpesten und ihr das Leben entziehen.

Was hätte sie jetzt dafür getan, damit Loki sie in die Arme geschlossen hätte; in seiner Nähe fühlte sie sich stets sicher und geborgen, seine Umarmung versprach Trost und Schutz vor all den Schrecken, denen sie jetzt bereits fast tagtäglich begegnete…

Untote Krieger, eine Göttin des Todes - wenn sie es nicht besser gewusst hätte, würde sie das alles noch immer für einen Traum halten…

Gwens Blick glitt fast flehend zu dem Prinzen hinüber, doch der hatte weiterhin nur Augen für die Göttin.

»Ein Geschenk…?« hakte Hel gedehnt nach und musterte Loki abschätzend. »Welcher Art ist dieses Geschenk?« verlangte sie zu wissen.

»Eine reine Seele. Nicht verdorben. Nicht beschmutzt…« Der Magier begann mit gemächlichen Bewegungen um die Göttin zu schreiten; kreiste sie ein wie ein Raubtier seine Beute. Sie verfolgte ihn mit den Augen, schien sich durch seine Gegenwart jedoch nicht bedroht zu fühlen. Aufmerksam beobachtete sie seinen geschmeidigen Gang und Gwen sah beklommen, wie der Blick der Göttin an Loki auf und ab wanderte - gierig, fast hungrig. »Eure Hoheit bekommt hier sicher nicht viel solches Glanzes in die Hände. Euch schickt man nur die verdorbenen Seelen, die unreinen, die wertlosen…« säuselte Loki in Hels Ohr, nachdem er hinter ihr stehen geblieben war. Eine Hand hatte er gehoben und jene schwebte nur einen Hauch breit über der Schulter der Göttin, als wolle er sie berühren; tatsächlich tat er es und ließ seine Finger flüchtig über die kränkliche Haut Hels gleiten, während er weiter verlockende Worte in ihr Ohr hauchte. »Eine Göttin wie ihr verdient ein strahlendes Geschenk. Ich habe Euch eines mitgebracht…« Sein Blick richtete sich auf Gwen.

Er meinte doch nicht etwa sie?!

Gwen wusste nicht genau, was sie bei diesem Anblick empfand, doch es war definitiv nichts Gutes. Loki war ihr plötzlich so fremd; seine Worte, sein gesamtes Auftreten. Er ging so vertraut mit der Göttin um, berührte sie…

Gwen schnürte ein unsichtbarer Strick in diesem Augenblick die Luft ab, als sich sein kühler Blick auf sie legte.

Eisiges Grün sah ihr entgegen, seine Züge eine starre Maske, sodass sie ihn kaum wiedererkannte. War das tatsächlich der Loki, der sie gestern Abend noch so begehrlich geküsst hatte? Der sie nach Albträumen in seinen Armen gehalten hatte?

Was hatte er nur vor? War das überhaupt Teil seines Planes…?

Über die dunklen Lippen der Göttin huschte ein flüchtiges Lächeln, bevor sie sich ruckartig zu Loki umwandte, der seine Hand von ihr zurückzog. Seine Fingerspitzen hatten sich verdunkelt; vergiftet durch die Berührung des Todes. Doch als Gott schien ihm das nicht viel auszumachen. »Und was willst du dafür von mir, Loki Odinson? Welches Begehr trieb dich in mein Reich?« schnarrte sie nun milde interessiert.

»Ich benötige Antworten, Eure Hoheit.« raunte er. »Dies ist mein bescheidenes Begehr.« Er bettete eine Hand auf seiner Brust und neigte den Kopf respektvoll, doch das kühle Grinsen verblieb auf seinen Lippen.

»Für eine Frage nimmst du eine Menge Risiko auf dich, Magier…« Hel hob einen knochigen Zeigefinger und gebot Loki damit Einhalt, der eben zu erneuten Worten ansetzen wollte. »Schweig still, Silberzunge. Genau das werde ich dir gewähren - eine Frage für eine Seele. Nicht mehr, nicht weniger. Ich habe von deinen Fähigkeiten gehört. Mit Schmeicheleien wirst du bei mir nicht viel erreichen. Nimm den Handel an oder lass es.«

Die Frau hob eine ihrer dürren Hände und bettete jene auf der Brust des Prinzen. »Zudem wirst du mir einen weiteren Gefallen gewähren, Loki Odinson…« wisperte die leblose Stimme der Göttin, während der Hunger in ihre zweifarbigen Augen zurückkehrte.

Lokis selbstsicheres Grinsen blieb standhaft, doch das kaum merkliche Anspannen der feinen Muskeln seines Kiefers verriet Gwen, dass etwas offensichtlich nicht ganz nach seinen Vorstellungen verlief.

Hels bleiche Hand kroch wie eine gierige Spinne über das Leder seiner Rüstung und erreicht jene Stelle unterhalb seiner Kehle, wo seine Haut offenlag. Fast zärtlich strich ein spitzer Finger Hels über diese entblößte Stelle.

Loki reckte das Kinn, doch er blieb stehen und ließ die Berührung über sich ergehen, die dunkle Spuren auf seiner Haut hinterließ.

»Ich bin hier unten sehr einsam, Silberzunge und du bist sehr ansehnlich. Sehr verlockend. Es ist Äonen her, dass ich die Lippen eines lebenden Mannes spürte und das Leben selbst kosten durfte. Du wirst mir ein wenig deiner Energie geben. Einen Hauch deines Lebens. Ich will dich schmecken. Deine Macht kosten.« verlangte die Göttin befehlend und sah mit einem schmalen Lächeln zu Loki auf, der ihren Blick ungerührt erwiderte. »Dann wirst du die Antwort auf deine Frage bekommen.« Auf den Zügen des Prinzen war nichts zu lesen; weder Abscheu, noch Furcht oder Ärger.

Gwen war kurz davor einen protestierenden Laut von sich zu geben; die Vorstellung, dass Loki diese untote Göttin wirklich küssen sollte, war zu viel. Das würde er doch nicht wirklich in Betracht ziehen…oder?

Äußerst alberne und zu diesem Zeitpunkt völlig unpassende Eifersucht ballte sich in ihrer Brust und ließ sie für einen Augenblick zumindest sogar ihre Angst vergessen, jedoch nicht die Angst um ihn.

Loki gehört dir nicht, mahnte sie sich selbst in Gedanken an. Der Kuss vom gestrigen Abend hatte rein gar nichts zu bedeuten, war nur ein Versehen gewesen. Das hatte ihr sein kühles und abwehrendes Verhalten am Morgen doch gezeigt; hatte ihr das leere Bett doch verraten, in welchem sie erwacht war.

Außerdem tat er das nur für das große Ganze; opferte sich für die Antworten, die sie so dringend benötigten.

Sie hatte keinen Grund lächerliche Besitzansprüche auf den Prinz zu stellen, wo sie sich eher um ihn sorgen sollte, da Hel nach seiner Energie gierte - und doch brachte der Gedanke, dass diese Lippen eine andere Frau berührten, Gwen fast um den Verstand.

»Der Handel gilt.« sprach der Magier dann zu Gwens Entsetzen aus.

Triumph blitzte in Hels Augen auf, bevor ihre Hand um Lokis Nacken wanderte und ihn so zu sich herabzog. Ihre dunklen Lippen pressten sich ohne Vorwarnung auf die Schmalen des Prinzen; beide hatten die Augen geschlossen und schienen in diesem Kuss zu versinken, während die Fetzen von Hels Gewand die beiden Gestalten fast liebkosend umhüllten.

Die beiden beachteten weder die untoten Krieger umher, die jede Bewegung ihrer Königin mit leeren Augenhöhlen verfolgten, noch Gwen, die den bitteren Geschmack der Übelkeit in ihrer Kehle hinabzwingen musste.

Die andere Hand Hels krallte sich in Lokis Rüstung; ihre Finger versenkten das Leder und seine Haut unter ihrer Berührung.

Dieser Anblick presste Gwen die Luft aus den Lungen; ließ ihr Herz unter schmerzlichem Druck aufstöhnen. Alles in ihr schrie nach Flucht, doch wie festgewurzelt blieb sie stehen und konnte die Augen nicht von Loki und der Göttin abwenden, die durch ihre Lippen verbunden waren; sie hoffte auf ein winziges Zeichen seitens Lokis, einen Hinweis, dass ihn dies auch nur um eine Spur anwiderte, dass es ihm widerstrebte, diese körperliche Nähe zu Hel ertragen zu müssen, doch nichts an ihm verriet auch nur den Hauch von Abwehr.

Er hatte sich perfekt unter Kontrolle.

„Du musst mir ab jetzt vertrauen, Gwendolyn. Vorbehaltlos, verstehst du?“ hatte er zu ihr gesagt. Und sie wollte das wirklich, also blieb sie brav stehen und betete im Stillen, dass dieser Albtraum bald ein Ende hatte.

Sie vertraute Loki, so widersinnig das auch sein mochte.

Mit einem widerlich zufriedenem Seufzen löste sich Hel von den Lippen des Magiers; Loki taumelte kurz, während der unselig düstere Atem der Göttin aus seinen Lippen schwelte, die sich ebenso in Dunkelheit verfärbt hatten; nur langsam verflog dieser Schatten. Das Gift des Todes brach sich Bahnen in seinen Venen. »Das war wirklich köstlich…« säuselte Hel versonnen und berührte ihre Lippen, während ihre Gestalt mehr Form und Farbe zu bekommen schien; ihre Haut straffte sich, ihre Haare lagen glatter und einige der verwesenden Wunden schlossen sich, um frische, bleiche Haut darüber zu bilden. Auch wenn sie weit von einem Bild nach Gesundheit und Leben entfernt war, so wirkte sie doch plötzlich frischer und auf seltsame Weise erneuert. Sie hatte sich mit diesem Kuss einen Teil von Lokis Energie geraubt.

Ein bleicher Finger der Göttin strich über Lokis Unterlippe. »Wirklich ausgesprochen delikat…« wisperte sie fast sehnsüchtig, bevor sie den Magier einfach stehen ließ und zu ihrem Thron zurückschritt, auf dem sie sich gelassen und abwartend niederließ. »Nun deine Frage, Silberzunge.« verlangte sie dann herrisch. »Meine Zeit ist kostbar.«

Loki hatte die Augen flüchtig geschlossen, wirkte fast, als müsse er sich sammeln und Gwen war kurz davor zu ihm zu treten, da er plötzlich so erschreckend blass wirkte, doch da drehte er sich schon zu Hel um, gefasst und arrogant, das Gesicht eine starre Maske, wie Gwen es von den Anfängen ihrer Bekanntschaft kannte.

»Malekith, der Herr Schwarzalbenheims, ist besessen. Von einem Schatten, der älter als die Aufzeichnungen scheint. Dieses Wesen ist uns völlig unbekannt, taucht in keinem Buch, in keiner Erzählung auf. Es griff Asgard und die anderen Welten bereits an. Seine Macht ist gewaltig. Allumfassend. Tödlich. Es bedroht alle neun Welten, will das Universum wieder in Finsternis stürzen. Ich muss wissen, womit wir es zu tun haben. Was ist das für ein Wesen? Wie kann man es bezwingen?« richtete Loki seine bestimmten Worte an die Göttin; seine Stimme um eine Nuance rauer als noch zuvor, als wäre dieser Kuss doch nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Doch es war nicht jenes sinnliche Kratzen, was Gwen vom gestrigen Abend kannte; es war die Färbung von körperlicher Schwäche und Erschöpfung.

Hel lehnte sich auf ihrem bleichen Thron zurück und blickte gebieterisch auf den Magier herab. »Das waren zwei Fragen. Allerdings will ich dir diese Verfehlung gewähren, da du mir so vorzüglich gedient hast…« sprach sie spöttisch und leckte sich in einer vielsagenden Geste über die Lippen, während ihr Blick flüchtig zu Gwen huschte, als würde die Göttin den Schmerz in ihrer Brust über diese Worte spüren. Dann wurde sie wieder ernst. »Ich weiß, wovon du sprichst, Magier. Ich spürte diese Präsenz selbst, die vor einigen Tagen an den Toren meines Reiches vorbeizog. Und ich kenne sie, auch wenn ich sie längst vergessen und verloren wähnte…«

Hel hielt in ihrer Ausführung inne und genoss es offensichtlich, Loki auf die Folter zu spannen; der Prinz stand angespannt vor ihrem Thron, doch verbarg er seine Ungeduld meisterlich hinter Gleichgültigkeit und kühler Beherrschung. Die Göttin lächelte beinahe anerkennend auf ihn herab. »Diese Präsenz, die euch bedroht, ist sehr alt. Sie entstand am Anfang der Zeit, noch bevor die Zweige Yggdrasils sprossen und die Welten sich formten. Sicher kennst du die Geschichte über die Entstehung der Welten, Magier. Erinnerst du dich an das Urwesen Ymir, Loki Odinson?« Die Göttin hatte sich abwartend auf ihrem Thron nach vorn gelehnt, beäugte Loki so abwartend und fast lauernd wie eine Spinne das Opfer in ihrem Netz.

»Natürlich. Jeder kennt diese Geschichte...« sprach der Prinz ruhig aus.

»Es ist Ymirs Geist, der euch heimsucht. Der sich nach den unendlichen Äonen in Finsternis aufmachte, um seine Rache zu suchen. Am Anfang der Zeit musste das Wesen sterben, damit aus seinem Leib die Weltenesche erwachsen und sich die Welten formen konnten. Doch die gemordete Seele verlangt nach Genugtuung, nach Sühne für den Frevel an seiner Gestalt. Dieser Geist ist neidisch auf das Leben, welches er selbst nicht besitzt und nicht erschaffen kann. Und so ist er nun wohl zurückgekehrt, um das Leben zu vernichten, was seiner Meinung nach gar nicht existieren dürfte, da es allein durch sein Opfer entstand. In Malekith hat Ymirs Seele nun wohl einen geeigneten Verbündeten gefunden, denn ohne Körper kann eine Seele nicht endlos existieren, vor allem nicht dann, wenn sie wie Ymirs Geist so viel Macht in kurzer Zeit aufwendet.«

Gwen verstand nicht, was die Göttin da erzählte; sie kannte die Geschichten der Asen nicht, doch Loki schien zu verstehen, denn er wurde um eine Spur blasser und taumelte wie getroffen, während eine schlanke Hand angespannt über seine Schläfe rieb. Offensichtlich waren das keine all zu guten Nachrichten…

»Kann man es vernichten…?« stellte der Magier erneut seine Frage, die Brauen finster zusammengezogen.

»Vielleicht…« gab die Göttin gedehnt von sich und schien köstlich amüsiert über Lokis schneidenden Blick, bevor er sich wieder entspannte. Seine Selbstbeherrschung gefiel Hel. »Es gibt immer eine Möglichkeit, etwas zu vernichten, was existiert. Du musst nur eine Schwachstelle finden. Und jede Seele hat eine Schwachstelle, die in ihrer sterblichen Hülle liegt…«

»Malekith...« mutmaßte Loki sachlich.

Hel nickte bestätigend. »Wenn sich Ymir im Körper des Schwarzalben manifestiert, so ist er vielleicht angreifbar. Vielleicht kann man ihn so vernichten. Doch mehr kann ich dir auch nicht sagen, Magier. Wie du bereits selbst bemerkt hast, diese Macht ist uralt, zornig und mächtig. So wie Yggdrasil die überragende Kraft der Lebensspenderin besitzt, so ist Ymir Seele das dunkle Gegenstück dazu, fähig alles zu zerstören und ins Dunkel zu stürzen. Vor allem, wenn er wie du sagst, nun im Körper des Schwarzalben Malekith weilt, dessen Hass und Wut nicht geringer als sein eigener ist.« Hel hielt flüchtig inne und neigte den Kopf leicht, als würde sie einer Stimme lauschen, die nur sie vernahm. »Es besteht eine Verbindung zwischen den beiden, zwischen der Weltenesche und dem Schatten von Ymir Geist. Yggdrasil erwuchs aus seinem Leib, möglich das er zu seinem Ursprung zurückkehren will…«

Die Göttin ließ die Worte unheilvoll verhallen, bevor sie sich beinahe ruckartig aus ihrem Thron in die Höhe stemmte und Loki die Hand auffordernd entgegen streckte. »Du hast deine Antworten erhalten. Du hast erfahren, wofür du gekommen bist. Jetzt gib mir die versprochene Seele.« verlangte Hel herrisch und ihr zweifarbiger Blick fasste Gwen gierig ins Auge.

Die trat sofort um einen furchtsamen Schritt zurück, wurde jedoch durch eine Speerspitze aufgehalten, die sich bedrohlich in ihren Rücken bohrte; ein Wink von Hels Hand hatte genügt, damit einer der untoten Krieger sie zurücktrieb.

Loki verneigte sich demütig vor der Göttin, bevor er sich mit einem kühlen Grinsen aufrichtete und zu Gwen herüber kam. Sie blickte ihm mit angstgeweiteten Augen entgegen, suchte ein Zeichen in seinem Blick, einen versteckten Hinweis auf einen Trick - doch da war nichts.

Die Züge des Magiers waren erstarrt in Selbstgefälligkeit und Eiseskälte, seine grünen Augen so kühl wie die umgebende Luft. Das Grinsen auf seinen Lippen wirkte plötzlich wölfisch, bedrohlich, unheilbringend.

Seine Hand schoss vor und packte Gwen grob am Oberarm, die sich gegen seinen Griff wehrte und verzweifelt um seine Aufmerksamkeit rang. »Loki…das kann unmöglich dein Ernst sein?! Sag mir, dass das ein Scherz ist…das ist doch ein Trick, oder?« wisperte sie ihm hastig und zuversichtlich entgegen, doch er ignorierte ihre Worte einfach. Er zerrte sie vor Hels Thron und stieß sie dort gnadenlos zu Boden.

»Euer Geschenk, Hel. Ich hoffe, diese Seele wird Euer Gefallen finden.« tönte seine eisige Stimme über Gwen hinweg und drohte sie zu ersticken. »Dafür versichert ihr mir meine Rückkehr nach Asgard.«

»Deine Rückkehr sei dir gewährt, Magier.« schnarrte die Göttin wohlwollend; das Geräusch ihrer nackten Füße auf den knöchernen Stufen kam näher.

Gwen spürte die Tränen in ihren Augen aufsteigen, als sie sich kraftlos wieder auf Knien und Händen in die Höhe stemmte; die leidenden Gesichter der Verdammten unter dem Boden starrten ihr schweigend entgegen - ein groteskes Spiegelbild ihrer eigenen Hoffnungslosigkeit.

Er würde sie tatsächlich verraten…

Loki wollte sie wirklich hier lassen! Als Pfand für seine Rückkehr.

Sie konnte das einfach nicht glauben. Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu. Sie war nur der Köder gewesen; der Preis eines Tauschhandels, um den man gefeilscht hatte.

Wie hatte sie sich nur so in diesem Mann täuschen können? Sie hatte gedacht ihn zu kennen, doch da hatte sie sich offensichtlich sehr geirrt…

»Du elender, verdammter Mistkerl…!« hastig war Gwen auf die Füße gesprungen, war herumgewirbelt, um sich auf den Magier zu stürzen, doch weit kam sie nicht, da eine unsichtbare Kraft sie in ihrem Ansturm aufhielt und in die Luft hob, als wäre sie nichts weiter als ein Spielzeug - ihr wurde klar, dass sie auch nichts weiter war zwischen diesen beiden Göttern; ein Gegenstand, der zu deren Unterhaltung diente.

Loki lachte ihr amüsiert ins Gesicht, schien milde belustigt über den schwächlichen Versuch ihres Angriffes. Wütend und verzweifelt stemmte sich Gwen gegen Hels Macht; die Göttin kam immer weiter die Stufen herab, während sie Gwen allein mit einem Fingerzeig in ihrer Gewalt hielt. »Einen wahren Wildfang hast du mir hier gebracht, Silberzunge…« tönte die Göttin erheitert.

»Du sollst in der Hölle schmoren, Loki….du Mistkerl…« spie Gwen dem Magier hilflos entgegen, dessen Grinsen nur noch breiter wurde ob ihrer so sinnlosen Worte. Auch das würde sie nun nicht mehr retten.

Unvermittelt wurde sie wieder auf dem Boden abgesetzt und zu der Göttin herumgewirbelt, die nun fast vor ihr stehen blieb.

Die zweifarbigen Augen Hels glitten über Gwens Gestalt und zeigten ein gieriges, grausames Licht, welches Gwen augenblicklich erstarren ließ. Die Göttin neigte sich ein wenig nach vorn, ließ einen Finger über Gwens tränennasse Wange gleiten, während sie die Luft genüsslich durch ihre Nase einsog. »Hmmm…deine Seele ist etwas ganz besonderes…das kann ich fühlen…« säuselte Hel versonnen, während Gwen nichts lieber wollte als fort von der untoten Gestalt der Frau.

Doch Hels Hände schlossen sich um ihre Kehle und begannen das Leben wortwörtlich aus ihr zu pressen; Gwen schnappte röchelnd nach Atem, unfähig sich zu bewegen, da die Macht der Göttin ihre Glieder gefesselt hielt.

Das war es also. Das Ende.

Diesen Gedanken hatte sie in letzter Zeit eindeutig zu oft gehabt…

»Ganz ruhig, Gwendolyn.« vernahm sie plötzlich die Stimme Lokis; geflüstert an ihrem Ohr, obwohl sie sich sicher war, dass er sich nicht bewegt hatte. »Vertrau mir.«

Eine bekannte, schlanke Hand legte sich über ihren nach Luft schnappenden Mund; der vertraute Duft des Prinzen stieg ihr in die Nase. Ein unsichtbarer Arm schlang sich um ihre Taille und zog sie langsam fort von Hel; heraus aus ihrem eigenen Körper, der zitternd und zuckend in der Umarmung der Göttin zurückblieb, die sich gierig über ihre Lippen gebeugt hatte, um die entfliehende Seele wie einen milden Luftzug aufzusaugen.

Und hinter ihrem sterbenden Körper stand noch immer Loki, der das Schauspiel mit Genugtuung und diesem eisigen Grinsen beobachtete.

Gwen weitete die Augen ungläubig; das war sie, dort vor Hel hauchte ihr Körper gerade seine Seele aus, doch war sie auch hier, spürte den schlanken, harten Körper Lokis im Rücken, der sie an sich presste und ihre Lippen noch immer mit seiner Hand verschlossen hielt. »Keinen Ton, verstehst du?« wisperte er erneut an ihrem Ohr und sie konnte seinen warmen Atem tröstend über ihrer Haut verwehen spüren. Sie nickte hektisch, schluckte ein erleichtertes Schluchzen in der Kehle herab.

Nicht verraten… Er hatte sie nicht verraten. Er war noch hier.

Das war alles nur eine Illusion gewesen.

Loki zog seine Hand langsam zurück und Gwen schnappte nach Atem, genoss das brennende Gefühl, als der nötige Sauerstoff endlich wieder ihre Lungen füllte. »Alles wird gut. Wir werden gleich von hier verschwinden.« flüsterte der Magier hinter ihr, während der andere hinter ihrem sterbenden Spiegelbild selbstzufrieden beobachtete, wie Hel genüsslich die Augen schloss, nachdem der letzte Rest der Seele in ihren Mund geglitten war.

Gwen indes verspürte das vertraute Prickeln von Magie um sie herum; Loki wob erneut einen Zauber, wahrscheinlich bereitete er ihre Rückkehr vor. In Gedanken spornte sie ihn zu Eile an, da Hels Brauen sich plötzlich kritisch zusammenzogen und sie sich in einer skeptischen Geste über die Lippen wischte, bevor sie den leblosen Körper der anderen Gwen fast angewidert von sich stieß. Die Illusion der Sterblichen zerbarst auf dem Boden in tausende kleine Scherben.

»Hereingelegt…« wisperte die Göttin bedrohlich zu dem Trugbild Lokis, welches zu flackern begann, da der Magier seine gesamte Aufmerksamkeit auf den Zauber ihrer Rückkehr richten musste. »Du hast mich hereingelegt!« fauchte Hel nun in einem ohrenbetäubenden Kreischen wütend, bevor sie die Illusion Lokis mit einem herrischen Wink ihrer Macht zerstörte. Knisternd zerbrach der Zauber in der Luft. »Wo bist du, Lügner? Ich werde dir deine Silberzunge herausschneiden und sie als Warnung an den Toren meiner Festung aufhängen! Mich mit einer minderwertigen Seele hereinzulegen! Das hat niemand je gewagt!« Die Göttin tobte vor Zorn; aufgebracht wirbelte ihr zerrissenes Gewand um ihre knochige Gestalt, während sich ihre Finger zu Klauen krümmten und der bleiche Schädel aufbegehrend gegen ihre dünne Haut presste, als wollten die Knochen hervorbrechen. »Lebend wirst du mein Reich nicht verlassen!«

Ihre Krieger regten sich; hatten sie bisher stumm und abwartend in der Halle gestanden, so ruckten die fleischlosen Schädel nun herum und unheilvoll glimmende Augenhöhlen suchten die Umgebung nach Loki und Gwen ab.

Der Zauber, der sie beide bisher vor den Augen Hels verborgen hatte, begann zu bröckeln; wie lose Blätter im Wind zerriss der schützende Kokon unter der Wut der Göttin, die ihre Macht wie einen aufgepeitschten Taifun durch die Halle fegen ließ. Gwens und Lokis Gestalten wurden so Stück für Stück unter der Gewalt von Hels Zorn enthüllt, die mit funkelnden Augen und gebleckten Zähnen auf sie zuschritt. »Du wirst mir die Seele geben, die mir zusteht! Die du mir versprochen hast!« hallte die Stimme der Göttin nun durch den Saal; tausendfach zurückgeworfen und markerschütternd in ihrem rasenden Zorn.

»Ich versprach dir eine reine Seele. Die hast du bekommen, Hel. Es war nie die Rede davon, dass es die Seele der Sterblichen wäre.« erklärte der Magier hinter Gwen sachlich, während sie bereits das vertraute Ziehen der Magie an ihrem Körper verspürte. Das Tor zurück war kurz davor sich zu öffnen.

Doch urplötzlich wurde Gwen aus Lokis Armen gerissen; beiseite gefegt wie ein dürres Blatt von Hels Macht, die Loki bedrohlich ins Auge gefasst hatte. »Denkst du wirklich, du kannst mich mit deinen Listen hereinlegen? Mich?! Für diese Anmaßung wirst du büßen, Loki Odinson!«

Gwen konnte sehen wie die Göttin zu einem mächtigen Magieschlag gegen den Magier ausholte; sämtlicher Nebel, alle Schatten ballten sich um die Göttin des Todes, deren Gesicht sich zu einer grotesken Fratze des Hasses verzerrt hatte. Sie würde Loki umbringen.

Der Magier sah den drohenden Angriff und wirkte regelrecht entsetzt; gefangen in dem Zauber der Rückkehr musste er das Tor aufrecht erhalten, was keine Macht entbehrte, die er nutzen konnte, um sich vor Hels tobender Wut zu schützen. Sein Blick ruckte zu Gwen herüber. Sie sah die Wahrheit in seinen Augen - er war schutzlos.

Sie stemmte sich hektisch wieder in die Höhe und überbrückte die wenigen Schritte zu Loki hastig, als Hel schon ausholte, um Loki einen Pfeil aus Todesmacht entgegenzustoßen; Gwen fühlte sich auf seltsame Art und Weise in jene Nacht des Angriffes auf Asgard zurückversetzt - sie sah sich wieder vor dem Speer des Allvaters, um den Magier zu schützen.

Und auch jetzt zog sie das Band vorwärts, welches sie mit Loki verband; trieb sie der Gedanke an, dass sie seinen Tod nicht ertragen konnte. Das sie ihn beschützen wollte - vor allem, was ihm zu schaden gedachte. Ihre Gefühle waren eindeutig. Sie wollte Loki nicht verlieren.

»Gwen, nicht!« Ohne zu zögern warf sie sich vor den Prinz und umschlang ihn schützend mit dem eigenen Körper; die Augen krampfhaft geschlossen, um einem Schmerz zu begegnen, der jedoch nicht kam. Gerade als Hels Zauber auf sie treffen wollte, brach das gleißende Licht aus Gwens Knochen und hüllte Loki und sie in eine schützende Kugel aus Wärme und Helligkeit, an dessen Mauern Hels Angriff wie der hilflose Versuch eines Kindes an einem Zauber zerbrach.

Die Göttin kreische in Wut und Ungläubigkeit auf; hob die Hände, um sich vor dem blendenden Licht zu schützen, welches ihr untotes Fleisch zu verbrennen schien. Schreiend stolperte sie zurück und selbst ihre Krieger zerfielen unter der wogenden Macht, die so unvermittelt erneut aus Gwens Innerem geschossen war.

Plötzlich sackte der Boden unter Gwens Füßen weg und sie fiel mit Loki zurück in den Raum des Tempels, von welchem aus sie aufgebrochen waren. Der Staub wirbelte um ihre Körper auf, als sie dumpf auf dem Boden auftrafen und einige der noch brennenden Kerzen umstießen, die verlöschend davonrollten.

Das seltsame Licht zog sich langsam in Gwens Knochen zurück.

Sie wandte sich sofort aus Lokis Armen, der sie in einer Umarmung gefangen hielt. »Lass mich los…lass mich verdammt nochmal los…« fuhr sie ihn zischend an; nach einem kurzen Zögern und einem beinahe unsicheren Blick aus seinen Augen ließ er sie tatsächlich gehen.

Aufgebracht stemmte sie sich in die Höhe und obwohl sie eigentlich nichts mehr wollte als sich in Lokis Arme zu flüchten, so brachte sie nun doch so viel Abstand wie möglich zwischen ihn und sich. Sie musste das Chaos in ihrem Kopf erst einmal wieder sortieren, welches er und sein dämlicher Plan dort erneut verursacht hatten.

Ziellos lief sie in dem kleinen Raum auf und ab und presste sich die Handflächen gegen die Schläfen, um ihren Kopfschmerzen Einhalt zu gebieten. Ihr Verstand fühlte sich an, als wollte er eigentlich mit einem hysterischen Kichern aus ihrem Kopf fliehen und nur Gwens Handflächen hielten ihn noch davon ab.

Wie oft war sie in den letzten Tagen kurz davor gewesen zu sterben? Sie wusste es schon fast nicht mehr…

Diese ganze Reise. Asgard. Diese Macht in ihr. Loki. Diese dunkle Bedrohung - all das machte sie langsam aber sicher verrückt. Sie wusste nicht mehr, wie sie ihre Emotionen kontrollieren, wie sie noch einen klaren Gedanken fassen sollte.

Es war einfach zu viel. Sie war nur ein Mensch. Nur ein Mensch…

Das typische Knarzen von Leder verriet ihr, dass Loki sich ebenfalls erhoben hatte; seine Schritte kamen ihr näher. »Alles in Ordnung…?« Seine warmen Finger berührten sie an der Schulter. Sie wirbelte zu ihm herum und schlug seine Hand beiseite. »Fass mich nicht an!« spie sie aus und stürmte zur Tür, riss hektisch an dem Holz, um die Treppe hinunter zu fliehen.

»Gwen!« folgte ihr die irritierte und besorgte Stimme des Magiers nach, während sie es um ein Haar geschafft hätte, auf der steilen Treppe zu stolpern und sich den Hals zu brechen.

Eilig trat sie hinaus in die Halle des Tempels, in der Thor und die anderen Krieger noch immer warteten. Ohne die Männer eines Blickes zu würdigen lief sie durch die Bankreihen und ignorierte die verwirrten Fragen des Donnergottes. »Gwen…?! Was ist los? Was ist passiert…?«

Sie musste hier raus.

Das graue Licht des Tages empfing sie vor der Ruine des Tempels und kühle Feuchtigkeit; es hatte wieder angefangen zu regnen. Ein trostloses und doch so seltsam beruhigendes Plätschern für ihre aufgewühlten Nerven. Sie eilte die Treppe vor sich hinab, verpasste die letzte Stufe und sank in den Schlamm zu ihren Füßen, rappelte sich hektisch wieder auf, da sie den Klang von Stiefeln hinter sich vernahm.

Ziellos stürmte sie in das winzige, angrenzende Waldstück des Tempels hinüber, wischte sich Regen und Dreck aus dem Gesicht, während sie angestrengt gegen die brennenden Tränen in ihren Augen anblinzelte.

»Wo willst du hin? Es ist gefährlich hier…« Eine bestimmte Hand hielt sie an der Schulter auf und wirbelte sie herum; Loki war ihr gefolgt und hielt sie nun an den Oberarmen fest, um ihren Blick zu sich zu zwingen, doch sie starrte stur auf das Leder über seiner Brust - erkannte die versenkten Spuren von Hels Fingern, welche Gwen wieder daran erinnerten, was passiert war.

»Lass mich los…« wisperte sie drohend gegen das Prasseln des Regens an.

»Nein, das werde ich nicht tun. Vielleicht besitzt du die Güte mir zu erklären, was eigentlich los ist…« fuhr der Magier sie nun nicht weniger aufgebracht an; seine Finger gruben sich in ihre Arme, verrieten ihr das angespannte Zittern seiner Glieder.

»Was los ist?! Das fragst du mich allen ernstes noch?!« Sie riss sich mit einer ruppigen Bewegung aus seinem Griff los und stieß ihm die Hände vor die Brust, was den Prinzen überrascht einen Schritt zurücktaumeln ließ. »Du schleifst mich in die Unterwelt, zwingst mich zusehen zu müssen, wie dich diese Frau küsst, dir Lebensenergie stiehlt und lässt mich dann da unten fast sterben! Lässt mich in dem Glauben, dass du mich verraten und belogen hast! Weißt du eigentlich, wie ich mich gefühlt habe?! Hast du auch nur eine Ahnung davon, welche Angst ich hatte, weil ich dachte, dass du mich wirklich als Opfer dort zurücklässt?!« Sie presste sich eine Hand auf den feuchten Stoff über ihrem Herzen; versuchte so Ruhe in den wild trommelnden Muskeln zu bringen. »Hast du bei der ganzen Sache auch nur einmal an mich gedacht, du verdammter Scheißkerl?« schrie sie ihn nun ungehalten an und ließ sich dazu hinreißen, in einer kindischen und sinnlosen Geste die Fäuste auf seine Brust zu hämmern. »Warum hast du mir nicht gesagt, was du vorhast?! Warum hast du nichts gesagt?! Siehst du eigentlich, was du mit mir machst?! Hasst du mich wirklich so sehr, Loki!?«

All ihre Verzweiflung brach sich Bahnen in diesem Moment; die ganze Anspannung ihrer Reise in die Unterwelt, die Angst vor dem Tod, die Enttäuschung über seinen Verrat, die Frustration über diesen dämlichen Kuss, den er begonnen, aber nicht beendet hatte…

Vielleicht führte sie sich albern auf, doch sie konnte einfach nichts dagegen tun.

Feuchtigkeit rann in Strömen über ihre Wangen und sie wusste kaum noch, ob es der Regen oder ihre Tränen waren.

»Wie kommst du nur darauf, dass ich dich hasse…« drang sein Raunen an ihr Ohr und durch das Rauschen des Regens erklang seine Stimme fast betroffen, doch das mochte täuschen.

Unvermittelt wurde sie in seine Arme gezogen und fand sich in einer warmen, festen Umarmung wieder; genau jener Art wie Gwen sie die ganze Zeit über gebraucht, sich fast verzweifelt danach gesehnt hatte. Ihr Widerstand erstarb recht schnell, als sie den vertrauten Duft von Leder, Regen und jenem Mann einatmete, der sie nun schützend an sich presste. Eine warme Hand strich ihr vorsichtig über die Haare; diese Geste löste den letzten Rest an Starrsinn in ihr und sie schlang die Arme trostsuchend um den Magier, vergrub das Gesicht an seiner Brust, während seine Worte wie die sanften Regentropfen auf sie herabsanken: »Es tut mir leid, Gwen. Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, dass du Angst hattest und ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Doch es gab keinen anderen Weg. Wenn es ihn gegeben hätte, glaub mir, ich hätte ihn gewählt.« Er klang angespannt, als hätte er Sorgen, etwas Falsches zu sagen und doch so sanft, wie sie es selten zuvor von ihm erfahren hatte.

Ein schlanker Finger unter ihrem Kinn hob ihren Blick dem seinen entgegen; seine grünen Augen sahen um Verständnis bittend auf sie herab. Der Regen perlte auch über sein Gesicht, verfing sich in seinem dunklen Haar, den dichten Wimpern, floss über seine schmalen Lippen. »Ich konnte dir nicht sagen, was ich vorhabe, weil deine Reaktion sonst nicht echt gewesen wäre. Du musstest Angst haben. Hel hätte es gespürt, wenn es gespielt gewesen wäre.«

»Ich musste also Angst haben?!« stieß sie bitter aus. »Das entschuldigt natürlich alles…«

»Gwen!« fuhr er sie harsch an und packte ihr Kinn zwischen den Fingern, um ihren Blick bei sich zu behalten, den sie eben schon wieder senken wollte. »Man spaziert nicht einfach in die Unterwelt und betrügt dort die Göttin des Todes. Hel ist tückisch und gerissen. Sie ist nicht einfältig. Das ist keine dümmliche Kreatur, der man einfach so eine Lüge auftischt. Du begreifst nicht, wie gefährlich das alles war! Was ich riskiert habe, um diese Antworten zu bekommen! Ich habe dein Leben riskiert und glaube mir, das hat mir weder gefallen, noch ist es mir so leicht gefallen, wie das ja immer alle so gern glauben wollen!« Er presste seine Lippen zu einer angespannten Linie zusammen und sie konnte die Bitterkeit in seinen Augen sehen; verstand seinen Zwiespalt und die Verletzlichkeit hinter seinen Worten, die ihm offensichtlich unbedacht entwischt waren. »Ich sagte, dass du mir vertrauen sollst…du hast es nicht getan…«

Jetzt war es an ihr getroffen zusammenzuzucken.

Er hatte Recht. Sie hatte sein Tun in Frage gestellt wie alle anderen es stets zu tun pflegten, ohne sich darauf zu verlassen, was ihr Gefühl ihr sagte. »Loki…das stimmt nicht…ich vertraue dir…« wiedersprach sie sofort. »Aber das…das war einfach…du warst so anders. So verändert. Ich habe dich kaum wiedererkannt. Wie sollte ich da glauben, dass du mich nicht für deine Zwecke opfern willst…?«

Er seufzte schwer. »Wenn ich nur einen Hauch von Schwäche gezeigt hätte, so hätte Hel uns beide vernichtet. Zu jeder Zeit, zu jedem Wort befand ich mit auf einem schmalen Grat. Nur eine falsche Bewegung, ein falscher Ton und es wäre vorbei gewesen. Verzeih, wenn ich dir Angst gemacht habe…es war nicht meine Absicht.« Er zog ihren Kopf wieder an seine Brust und Gwen konnte sein schlagendes Herz unter ihrer Wange fühlen; es klopfte nicht weniger heftig als ihres.

Sie glaubte ihm. Himmel, sie glaubte dem Gott der Lügen wirklich.

»Du hattest nie die Absicht, sie nach meiner Herkunft zu fragen, oder?« flüsterte sie dann zögerlich, nachdem das Rauschen des Regens in den Bäumen umher eine Weile alles gewesen war, was Gwen hörte - außer dem trommelnden Herzen unter einer Brust, gegen die sie ihre Wange schmiegte.

»Nein.« gab er offen zu. »Es war ein Vorwand, um dich zu überzeugen, dass du mitkommst. Ich habe deine Worte von gestern Abend nicht vergessen, Gwendolyn. Ich hätte dich nicht dazu gezwungen, etwas erfahren zu müssen, was du nicht wissen willst.« gestand er ungewohnt verständig; seine warmen Finger fuhren über ihren Rücken, ihren Nacken. »Außerdem ist Hel nicht parteiisch. Sie bekennt sich weder zu gut, noch zu böse. Jegliche Aufmerksamkeit auf deine Person, jegliches Wissen über deine Macht, hätte sie auch dem Feind zutragen können, so der Preis nur stimmte. Es war besser, sie gar nicht erst auf dich aufmerksam zu machen.«

»Wie hast du es gemacht, Loki…?« Plötzlich beschlich Gwen ein unguter Gedanke; ein Bild von dem Magier mit einem blutverschmierten Dolch tauchte vor ihrem Inneren Auge auf - ein Bild, welches sie in den Armen des Schlafes beinahe vergessen hatte. Gewarnt sah sie zu ihm auf, überflog seine Züge nach einer verräterischen Regung. »Die Seele, mit der du Hel betrogen hast…du hast doch nicht etwa jemanden…getötet?« Ihre Stimme war zum Ende hin immer mehr abgesunken; Kälte kroch in ihre Glieder.

»Würdest du mir das zutrauen?« hinterfragte er ihre Vermutung tonlos, sachlich, gefasst. Seine Hände hielten darin inne, beruhigend über ihren Rücken und die empfindliche Haut ihres Nackens zu streifen.

Gwen horchte in sich hinein, während sie sich von dem magischen Anblick seiner Augen nicht losreißen konnte. »Ich weiß es nicht…aber ich weiß, dass ich nicht glauben will, dass du ein Mörder bist…«

Ein seltsamer Schatten huschte flüchtig durch die Tiefen seiner Augen; ein kaum wahrnehmbares Aufblitzen von Emotionen, die sie nicht zuordnen konnte, bevor sich seine Mundwinkel vorsichtig anhoben. »Es war die Seele eines Hirsches. Hogun half mir gestern Nacht ihn zu jagen.« zerschlug er damit ihre Bedenken.

Gwen konnte kaum beschreiben, welcher Stein ihr in diesem Augenblick vom Herzen fiel. Dieses Bild, welches sich von Loki langsam, aber unaufhaltsam in ihrem Herzen formte - es war nicht das Bild eines eiskalten Mörders. Er hatte seine Fehler und die konnte sie ihm auch nicht absprechen, genauso wenig wie sie seine Verbrechen ungeschehen machen konnte, doch es gab Dinge, die sie nur schwerlich verkraftet hätte.

»Okay. Gut…« wisperte sie erleichtert und drückte sich wieder an ihn; ihre Wut verrauchte langsam im andauernden Regen und der Wärme von Lokis Umarmung. Beinahe kam sie sich nun lächerlich vor, dass sie ihn so angefahren hatte.

Sie hatte vollkommen überreagiert; natürlich hatte er recht mit seiner Einschätzung der ganzen Situation. Er hatte die Risiken kalkuliert und die gesamte Verantwortung getragen, indem er die Last seines Planes allein auf seine Schultern geladen hatte - langsam verstand sie, dass er gar nicht anders hatte handeln können.

Die Ereignisse der letzten Tage waren einfach recht nervenaufreibend gewesen. Noch dazu diese äußerst widerstreitenden Gefühle in ihr, die begannen für den Magier zu erblühen - sie wollte es aufhalten, wollte nichts für ihn empfinden, doch gegen gewisse Dinge war man einfach machtlos.

»Verzeihst du mir nun oder müssen wir weiter im Regen stehen bleiben, bis du abgekühlt bist?« drang sein sachte spöttisches Wispern an ihr Ohr; ihr wurde bewusst, dass sie sich schon eine ganze Weile beharrlich an ihn klammerte und ihre Kleider langsam aber sicher erneut völlig durchweicht waren.

Mit funkelndem Blick sah sie herausfordernd zu ihm auf und schnaubte empört. »Bis ich abgekühlt bin?! Als ob meine Wut nicht berechtigt gewesen wäre! Ehrlich gesagt war ich gerade dabei mich zu beruhigen, aber ich glaube, dass du es durchaus verdient hast, dass ich sauer auf dich bin, Loki Laufeyson…Odinson…wer auch immer! Es gibt einige Dinge, die wirst du niemals wieder gutmachen-« Der Magier unterbrach sie sehr effizient in ihrer erneuten Wutrede, indem er seinen gekrümmten Zeigefinger unter ihr Kinn schob und ihr Gesicht so zu seinem anhob, bevor er sich unvermittelt zu ihr herabbeugte und ihre feuchten Lippen küsste.

Gwen erstarrte unter dieser Berührung; so sanft, so leicht, so warm - um Verzeihung bittend. Ihre Knie wurden weich unter dieser so überraschend zärtlichen Geste und sie konnte nichts anderes tun, als ihm das Gesicht entgegen zu heben, während der Regen ungehindert über ihr Gesicht floss und es doch allein seine Lippen waren, die sie noch wahrnahm; wie diese die Regentropfen federleicht von ihrer bebenden Unterlippe tranken und alle ihre Wut und jegliche Bedenken durch ein sanftes Streifen von ihr nahmen.

Loki machte sie verrückt - wirklich.

Erst küsste er sie gestern Abend so leidenschaftlich, so begehrlich, dann ließ er sie einfach allein.

Und jetzt dieser so sanfte Kuss, welchen sie ihm niemals zugetraut hätte…

Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm.

Der Prinz zog sich langsam wieder zurück und sie öffnete blinzelnd die Augen; erkannte eine seltsame Unsicherheit in seinem Blick, Ungläubigkeit in den leicht zusammengezogenen Brauen, als wäre er einmal mehr überrascht über das eigene Handeln, bevor er ein winziges, selbstgefälliges Lächeln zu ihr hinabschickte. »Vielleicht kann ich es ja doch wieder gutmachen…« sprach er mit angerauter Stimme und dieses Mal war Gwen sich gewiss, dass dieses Kratzen von Emotionen herrührte, die sie ebenfalls empfand.

Zuneigung. Verlangen. Begierde…

Wie immer überheblich hob er fragend eine Braue und erhoffte wohl Bestätigung von ihr, doch diese Genugtuung würde sie ihm ganz bestimmt nicht geben, obwohl sie kaum sicher war, dass sie ihre Beine die nächsten Schritte noch tragen würden…

Er sollte bloß nicht denken, dass allein sein Kuss alles richten würde. Am Ende käme er noch auf die Idee, dass er so alle Probleme lösen könnte - oh Himmel, allein diese Vorstellung jagte Gwen einen erregten Schauder durch den Unterleib. Dann sollte er wirklich öfter Fehler machen…

Sie schob ihn beiseite und reckte das Kinn störrisch, bevor sie entschlossen an ihm vorbei ging, zurück in Richtung des Tempels. »Naja, für den Anfang war das ganz okay als Wiedergutmachung…« gab sie über die Schulter zurück und sah ihn süffisant einen Mundwinkel heben.

Schlechte Lügnerin! Du bist wirklich eine schlechte Lügnerin, Gwen…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2014-02-04T21:14:25+00:00 04.02.2014 22:14
Ich hab bis jetzt noch nie geschrieben. Doch das letzte Kapitel...Uff, mir ist fast das Herz in die Hose gerutscht während der Hel-Handlung. Die Auflösung der Situation ist schlicht und einfach genial. Auch die Annäherung der Beiden, überhaupt die ganzen Charakterbeschreibungen find ich sehr glaubwürdig und differenziert. Da ich sehr viele Bücher lese fällt mir natürlich dein spezieller Schreibstil sehr auf. Bitte auf keinen Fall etwas ändern daran. Er ist schlicht super, du hast sehr viel Talent. Ich bin der Meinung das diese Geschichte, so lebendig und spannend geschrieben, Buch- oder sogar Drehbuchqualität hat. Schade kann man so etwas nicht verfilmen. Ich würde für diesen Film sofort ins Kino gehen. Ich kann jeweils das folgende Kapitel kaum erwarten. meine Fingernägel können ein Lied davon singen.
Bitte weiter so.... und danke!
Antwort von:  Ceydrael
05.02.2014 17:51
Es ist immer wieder unheimlich schön, wenn sich auch die bisher stillen Leser zu Wort melden und einen Kommentar hinterlassen :)
Danke dafür schon einmal!
Ich freu mich, dass ich wieder jemanden mit meiner Story begeistern kann - und noch mehr über dein Lob zu meinem Schreibstil und der Einschätzung, dass die Geschichte durchaus Buch- oder Drehbuchqualität hätte...man, ich bin wirklich überwältigt. Darüber habe ich mich wirklich total gefreut - es kann kaum eine bessere Bestätigung und Lohn für das Herzblut geben, was ich in diese Story stecke! <3
Ich verspreche, ich werde auch versuchen nichts an meinem Schreibstil zu ändern! ;)
Und glaub mir, ich würde selbst in den Film gehen, wenn es ihn denn gäbe - ich liebe solches dramatisch, episches Zeug <3
Ich danke dir wirklich noch einmal von Herzen für deinen Kommentar :)
glg Cey
Von:  Piruette
2014-02-03T17:30:11+00:00 03.02.2014 18:30
Hola! Mann oh mann ... zwischenzeitlich hatte ich fast nen Nervenzusammenbruch & wirklich Angst das Loki es ernst meint mit der Seele :D aber das wäre auch echt krass gewesen! Wiedermal alles super & wunderbar. Ich kanns jetzt schon kaum erwarten wie's weiter geht & hoffe das dir das neue Within Temptation Album bald noch einmal so einen Inspirationsflash beschafft :D
allerliebst, piruette <3
Antwort von:  Ceydrael
03.02.2014 19:46
Hey Piru! :)
Ich hoffe wirklich, dass ich meine Leser nicht irgendwann mit meiner Geschichte umbringe! xD
Aber das verdeutlicht mir ja auch, dass ich sehr anschaulich und mitreißend schreiben muss, dass man mir oder bzw Loki das wirklich so abkauft! ;)
Na, ich hoffe auch, dass die Inspiration nicht gleich abreißt und mir noch ein bisschen erhalten bleibt, damit es auch bald weitergeht! :) Die richtige Musik ist dafür schon mal eine unglaubliche Unterstützung; da fließen die Wörter nur so ^^
glg Cey <3
Von:  numbthings
2014-02-03T16:26:24+00:00 03.02.2014 17:26
Du hast meine Gefühle zerbrochen. Ich weiß jetzt nicht ob ich sauer, verbittert oder glücklich über dieses Kapitel sein soll. Na danke auch. :D
Nein, Scherz beiseite. Das Kapitel war fesselnd, wie jedes andere und sehr unterhaltsam. Wie bei meinem letzten Kommentar, ich kann deinen umwerfenden Schreibstil nicht genug loben!
Ich weiß, es ist vielleicht etwas unhöflich zu fragen, aber planst du zufällig Mr. Preston wieder mit in die Geschichte zu weben? Mir gefiel die Art wie er.. ''Gefühle'' für Gwendolyn entwickelte.. und es ist einfach verdammt unterhaltsam zwei eifersüchtige Männer.. eifersüchtig zu sehen. Wenn du verstehst was ich meine. ;3
Du musst die Frage nicht beantworten.. ich hätte es nicht ausgehalten mich damit abzuquälen dich nicht wenigstens gefragt zu haben!
LG,
Xenia :)
Antwort von:  Ceydrael
03.02.2014 17:42
Oh je... \O.O/
Es tut mir leid! Es tut mir leid! Es tut mir...gar nicht leid! ;P
Ich hoffe natürlich, dass das alles nur ganz positive Gefühle sind und freue mich sehr über einen erneuten Kommentar von dir - und natürlich darüber, dass dich auch das Kapitel "offensichtlich" überzeugen konnte! ;)
Ja ja, die Sache mit den eifersüchtigen Männern...
Ich sag mal so viel - du bist ein echter Fuchs! Der liebe Mr. Preston ist nicht zum letzten Mal aufgetaucht... ;)
Fast ein bisschen gruselig, da du genau jetzt danach fragst...wirst bald wissen, warum...so! Das reicht aber dazu! ;D
Hab mich sehr über deine Rückmeldung gefreut! :)
glg Cey <3


Zurück