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The Poetry of Light and Shadow

Loki x OC
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich danke xXGwenStacyXx und Starwalker ganz herzlich für eure Kommentare zu meiner Geschichte und freue mich, dass ihr über diese gestolpert seid und sie euer Interesse geweckt hat :)
Es ist schön zu lesen, dass euch mein Schreibstil zusagt und hoffe natürlich, dass ich euch weiterhin als Leser behalten und begeistern kann!

Das Kapitel hat etwas gedauert und so ganz zufrieden bin ich irgendwie nicht, aber vielleicht seht ihr das ja anders - über eure Meinung würde ich mich freuen! ;) Komplett anzeigen

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Neue Fragen

»Andrew?!« Gwen stoppte mit einem überraschten Keuchen in der Bewegung, nachdem sie die Tür ihres Zimmers aufgerissen hatte und beinahe in den Agent hineingerannt wäre, der eben an ihre Tür klopfen wollte. Verdattert blieb sie stehen und sah zu dem Mann auf, der genauso erstaunt aussah wie sie selbst. »Äh, ich meine, Mister Preston. Was machen Sie denn hier?«

Gwen warf atemlos einen flüchtigen Blick zurück in ihr Zimmer, um sich zu versichern, dass der Geheimgang auch wieder ordnungsgemäß verschlossen war. Mit der Tür in der Hand grenzte sie das Sichtfeld des Agenten ein, der gerade ihrem Blick folgen wollte, Neugier in den Zügen.

»Wir können auch gern bei Andrew bleiben.« meinte er mit einem amüsierten Schmunzeln, bevor er seinen Blick zu ihr zurücklenkte und sie kritisch in Augenschein nahm. »Sie sind ja schon wieder so blass, als hätten sie einen Geist gesehen. Alles in Ordnung?« Abermals versuchte der Agent um Gwen herum einen Blick in ihr Zimmer zu erhaschen, doch die zog die Tür einfach hinter sich ins Schloss. Immerhin lagen ihre Kamera und das Diktiergerät noch immer offen auf ihrem Bett; lieber kein Risiko eingehen.

»Ja, alles in bester Ordnung. Das ist einfach meine natürliche Hautfarbe. Die Leute denken ständig, dass ich kurz vor der Ohnmacht stehe.« wiegelte sie mit einer hektischen Handbewegung ab. Oh Gott, was erzählte sie denn da für Schwachsinn?

Der Agent hob skeptisch eine Braue und musste sich wohl mühsam ein Grinsen verkneifen. »Tatsächlich?«

Gwen nahm einen tiefen Atemzug und versuchte ihr rasendes Herz zu beruhigen, indem sie eine Hand flach auf ihre Brust bettete.

Sie war wie der Teufel kopflos aus diesem unterirdischen Verlies geflohen und hatte das Regal ihres Zimmers gar nicht schnell genug wieder vor die Öffnung in der Wand schieben können.

Der Schock über das Geschehene saß ihr noch immer in den Gliedern und eigentlich sollte sie nicht verwundert darüber sein, dass man das eben auch sah - wahrscheinlich bot sie wirklich einen recht gehetzten Anblick.

Das mit dem Geist war vielleicht auch gar nicht so falsch…

Für einen Moment hatte sie das Gefühl einen bohrenden Blick aus grünen Augen im Nacken zu spüren; hastig versicherte sie sich mit einem Ziehen am Griff der Tür, dass jene auch wirklich geschlossen war.

Gwen versuchte ihre Gedanken wieder zu sortieren und fuhr sich dann mit beiden Händen durch das nun inzwischen trockene Haar, um zumindest den Hauch von Ordnung darin herzustellen. »Ich…äh, ich muss eingeschlafen sein. Eigentlich wollte ich mich nur ein wenig ausruhen und bin völlig weggedämmert. Ich bin eben erst aufgewacht. Ich dachte schon, ich hätte das Bankett verpasst, daher wollte ich mich gerade selbst auf den Weg machen. Bei solch einem wichtigen Anlass sollte man schließlich nicht zu spät kommen, nicht wahr?« Sie zeigte dem Agent ein schiefes, entschuldigendes Lächeln und hoffte zumindest, dass ihre Ausrede plausibel genug klang.

Himmel, das war wirklich knapp gewesen. Ein paar Minuten länger da unten und sie wäre tatsächlich Gefahr gelaufen, dass Andrew Preston auf der Suche nach ihr alles entdeckt hätte. Das Herz, das ihr nach dem Erlebten in der Höhle eh schon im Magen hing, rutschte nun noch gänzlich in ihre Kniekehlen beim Gedanken an die Folgen, wenn man ihr Geheimnis lüften würde.

Sie musste wirklich umsichtiger vorgehen. Um ein Haar wäre ihre Tarnung schon am ersten Tag aufgeflogen. Sie musste ihre Neugier zügeln. Ihre Gedanken beisammen behalten.

»Ich kann Sie beruhigen, Miss Morris. Sie haben nicht verschlafen. Ich wollte Sie gerade zum Abendessen abholen.« erklärte ihr der Agent schmunzelnd.

Gwen stieß die Luft gespielt erleichtert aus. »Da bin ich ja beruhigt.« Erst jetzt nahm sie den Mann vor sich genauer in Augenschein und wunderte sich über sein Dasein. »Mit Ihnen hatte ich hier überhaupt nicht gerechnet. Ich wusste gar nicht, dass S.H.I.E.L.D auch Leute nach Asgard schicken wollte.«

»Nur eine kleine Delegation. Ich bin auch eben erst angekommen.« erklärte ihr der Agent zuvorkommend. »Wir sollen sie ein wenig bei ihren Forschungen unterstützen.«

Damit meinte er wohl eher, dass S.H.I.E.L.D hier alles im Auge behalten wollte - Wissenschaftler wie gewiss auch die Asen. Direktor Fury überließ wohl nichts dem Zufall.

»Ah.« gab sie wenig geistreich von sich; ihr Verstand war wohl noch nicht gänzlich mit ihr an die Oberfläche zurückgekehrt und hing noch in den Tiefen einer gewissen Höhle.

Andrew Preston bot ihr seinen Arm an. »Ich möchte Sie vor dem Essen noch zu unseren Ärzten geleiten. Ich habe von Ihrem Schwächeanfall bei der Ankunft gehört und möchte mich gern versichern, dass mit Ihnen alles wieder in Ordnung ist.«

Ganz fantastisch. Wahrscheinlich wusste bereits halb Asgard und die gesamte S.H.I.E.L.D Organisation von diesem peinlichen Zwischenfall…

Eigentlich war das genau jene Art von Aufmerksamkeit, die sie unbedingt vermeiden sollte, damit ihre Person nicht zu sehr ins Interesse von Agenten oder Asen geriet.

»Das ist wirklich nicht nötig. Mir geht es prima.« versuchte Gwen den Agent sogleich zu beruhigen. »Wahrscheinlich hab ich einfach-«

»Keine Widerrede, Miss.« unterbrach dieser sie bestimmt. »Direktor Fury hat mich persönlich damit beauftragt, über das Wohlergehen seiner Wissenschaftler zu wachen. Und ich werde gewiss nicht riskieren, dass er unzufrieden mit mir ist. Wenn Sie nicht freiwillig mitkommen, muss ich Gewalt anwenden…und Sie tragen.« Seine Lippen kräuselten sich zu einem Grinsen und in seinen Augen stand die Versicherung, dass er genau das tun und es wahrscheinlich noch genießen würde.

Sie konnte definitiv nicht noch mehr Aufmerksamkeit riskieren. »Okay, schon gut. Ich komme mit.« Gwen hob sogleich beschwichtigend die Hände, bevor der Agent noch auf falsche Gedanken kommen konnte. »Nur einen Moment…«

Bevor Andrew Preston etwas erwidern konnte, war sie in ihr Zimmer geschlüpft und drückte ihm die Tür vor der Nase zu.

Hastig stopfte sie jetzt endlich ihre Kamera, das Diktiergerät und das Notizbuch hinter ihre Sachen im Schrank, sodass sie auf den ersten Blick nicht zu sehen waren. Das hätte sie gleich als erstes bei ihrer Ankunft tun sollen.

Dann kramte sie ihre Brille aus ihrer Tasche und schob sie sich auf die Nase, bevor sie wieder zu dem Agent auf den Gang trat. »So, fertig.«

Sie hakte sich bei ihm unter und zusammen verließen sie das kleine Nebengebäude, um durch den Garten und einen traumhaft bewachsenen Bogengang schließlich Gladsheim zu betreten. Andrew Preston erläuterte ihr nebenher ein paar grundlegende Eigennamen und Begriffe Asgards, nachdem sie ihm gestanden hatte, dass sie sich eigentlich kaum mit der Kultur der Asen beschäftigt hatte.

Immerhin war das ja nicht ihr „Fachgebiet“.

Den Agent schien das nicht zu wundern und er klärte sie liebenswürdig über alles auf, was er wusste, während er Gwen durch die endlos langen und verschlungenen Gänge führte, die Odins Palast aushöhlten und zu einem wahren Labyrinth machten.

Prachtvoll war gar kein Ausdruck für das Heim des Allvaters - überall funkelten Juwelen und golden verzierte Türen und Wände, selbst die Fenster waren aus beispiellosem Glas gefertigt, das im schwindenden Sonnenlicht in allen möglichen Farben glitzerte.

Der Boden der weitläufigen Hallen und Gänge bestand aus feinstem Marmor, in den in gewissen Abständen kunstvolle Mosaike eingebracht waren, die die Geschichte Asgards wiedergaben - Krieger auf Pferden, mächtige Trolle und Riesen, Frauen bei der Ernte oder Gesänge darbringend für ihre heimkehrenden Männer aus ruhmreicher Schlacht.

Gwen konnte sich gar nicht satt sehen an all diesen wundervollen Bildern, ebenso wenig an den filigran gearbeiteten Wandteppichen, die die Gänge zierten oder den Asen selbst, die ab und an ihren Weg kreuzten und die beiden Menschen mit einem höflichen Nicken grüßten, bevor sie in wehenden Gewändern weiter ihrer Wege gingen.

Dieser Ort war so gänzlich anders als ihre Heimat. In New York war alles schnell, hektisch und übertrieben bunt; die ganze Erde ein stetiger Mahlstrom von Aufstieg und Verfall, Schnelllebigkeit und der Suche nach immer neuen Belustigungen und noch verrückteren Zeitvertreiben.

Hier in Asgard war alles so still und ruhig, beinahe gemächlich schien die Zeit zu vergehen. Die Asen selbst wirkten einfach viel friedlicher und besonnener als die Menschen. Dieser Ort hatte einen gänzlich anderen Herzschlag als ihre Welt und doch fühlte sich Gwen nicht unwohl, sondern auf seltsame Art und Weise angekommen.

Wahrscheinlich erinnerte sie der friedliche Hauch hier auch einfach nur an ihre wahre Heimat; an ihren kleinen Heimatort in den abgeschiedenen Weiten Kanadas.

Der S.H.I.E.L.D Agent blieb mit ihr vor einer Tür stehen, nachdem sie um eine weitere Ecke gebogen waren und Gwen es bereits aufgegeben hatte sich den Weg merken zu wollen.

»Da wären wir.« Er klopfte an, bevor er die Tür öffnete und sie in einen größeren Raum führte, der zu einer Krankenstation umgebaut worden war. Einige Bettreihen waren vorhanden, ebenso jegliche nötige Gerätschaft, die man sich als Arzt nur wünschen konnte. S.H.I.E.L.D hatte definitiv keine Kosten und Mühen gescheut.

Gwen zählte drei Ärzte, von denen einer sich nun zu ihnen umwandte und zu ihnen herantrat, während die anderen beiden mit einer Gruppe Asen in ein Gespräch vertieft waren.

Die Asen waren an ihrer Kleidung auszumachen, sie trugen eine Art weiter, weißer Tunika, die nur an der Hüfte von einer schmucklosen Kordel gerafft wurde. Sie ließen sich gerade einige Gerätschaften erklären und wechselten immer wieder erstaunte und faszinierte Blicke; wahrscheinlich die hier ansässigen Heiler.

Der Arzt, der auf Gwen und den Agent zukam, zog sich gerade seine Handschuhe aus und warf diese in einen bereitstehenden Mülleimer, bevor er erst Gwen und dann Andrew die Hand reichte und sich als Dr. Feron vorstellte. »Mister Preston. Bringen Sie mir eine neue Patientin?« begrüßte er den Agent mit einem freundlichen Lächeln auf dem gebräunten, markanten Gesicht. Unter seiner weißen Arztkappe lugten bereits gräuliche Haare hervor.

»Das ist die junge Dame mit dem Schwächeanfall, von der ich Ihnen bereits berichtet habe.« klärte der Agent den Arzt auf.

Der nahm Gwen nun genauer in Augenschein. »Ah. Unverträglichkeit gegenüber dem Bifröst, wie ich hörte?!« fragte er mit einem neckenden Zwinkern.

Gwen nickte seufzend. »Langsam glaube ich, dass bereits ganz Asgard davon gehört hat…« Sie schenkte dem Arzt ein schiefes, resigniertes Lächeln. »Dabei geht es mir wirklich schon wieder gut.«

Dr. Feron schmunzelte amüsiert, bevor er sie sachte beiseite nahm und zu einem der Untersuchungstisch führte. »Davon überzeuge ich mich lieber selbst.«

Gwen ergab sich in ihr Schicksal und ließ zu, dass der Doktor ihr etwas Blut abnahm und sie einem gründlichen Herz-Kreislaufcheck unterzog, bevor er sie mit gutem Gewissen wieder in die Hände des Agenten übergab. »Im ersten Moment kann ich wirklich nichts feststellen. Die junge Dame erfreut sich bester Gesundheit. Ich warte noch die Bluttests ab und gebe Ihnen später darüber Bescheid, Mister Preston. Allerdings glaube ich nicht, dass irgendetwas auffälliges zu Tage treten wird.«

Der Arzt verabschiedete sie beide und draußen auf dem Gang konnte es sich Gwen nicht verkneifen, dem Agent einen bedeutsamen Blick mit gehobener Braue zuzuwerfen, der förmlich nach „Ich habe es Ihnen ja gesagt“ schrie. Diesen Weg hätten sie sich auch sparen können.

Gwen wäre lieber sofort zum abendlichen Bankett marschiert, denn ihr Magen hing ihr bereits irgendwo in den Kniekehlen und meldete sich nun mit einem vernehmlichen Knurren.

»Okay, schon gut.« wiegelte der Agent sofort lachend mit gehobenen Händen ab. »Ich sehe, es geht Ihnen ausgezeichnet. Und Ihrem Magen offensichtlich auch.«

»Ich sterbe vor Hunger. Der nächste Schwächeanfall wird Ihre schuld sein, Mister Preston.« Gwen stieß dem Agent den spitzen Zeigfinger auf die Brust und hinterließ damit eine kleine Falte auf dem makellos gebügelten Hemd. Vorwurfsvoll sah sie zu ihm auf.

»Dann verschieben wir den Ausflug zu ihrem Labor wohl lieber auf später.« lenkte Andrew ein.

»Ich bitte darum.« Gwen wollte sich schon umwenden und im Notfall selbst den Weg zu Odins Bankettsaal suchen, als der Agent sie noch einmal an der Schulter zurückhielt. Fragend blickte sie ihn an.

Seine blauen Augen ruhten freundlich auf ihr und zeigten einen Hauch von Erleichterung. »Ich bin beruhigt, dass Ihnen nichts fehlt, Miss Morris. Ich habe mir wirklich ein wenig Sorgen um Sie gemacht, wenn ich ehrlich sein soll.«

Gwen blinzelte ihm nur sprachlos entgegen, da sie gar nicht wusste, was sie auf diese Eröffnung im Moment wohl passendes entgegnen sollte.

Er nahm ihr diese Last ab, indem er ihr mit einem kleinen, wirklich einnehmenden Lächeln die Rechte hinstreckte. »Wie wäre es mit Andrew anstatt Mister Preston, hm?« schlug er zwanglos vor. »Einmal hat es ja bereits geklappt.« Ein heiteres Schmunzeln erhellte sein Gesicht.

Gwen hob ihren Zeigfinger und bat um Aufmerksamkeit; verschaffte sich damit eine Unterbrechung und einen Augenblick Bedenkzeit. »Vorschlag meinerseits: Sie bringen mich sofort dahin, wo ich etwas zu essen bekommen kann und ich werde geneigt sein, Ihrem Angebot Gehör zu schenken.« Siegesgewiss zeigte sie ihm ein keckes Grinsen und hielt ihm ihre Hand auffordernd entgegen.

»Wie die Lady wünscht.« Der Agent ergriff schmunzelnd ihre Hand in einem sanften Griff, knickste gespielt demütig vor ihr, bevor er sie durch den Irrweg der vielen Gänge zum Bankettsaal leitete.

Vor der geschlossenen Tür der Halle trafen sie auf den Rest der Wissenschaftler, die eben schwatzend aus einem anderen Teil des Palastes kamen, geleitet von zwei weiteren S.H.I.E.L.D Agenten. Offensichtlich wurden sie wie versprochen herumgeführt und in die bereitgestellten Forschungseinrichtungen eingewiesen.

Gwen sah mit einer süffisant gehobenen Braue und einem Schmunzeln zu dem Agent neben sich auf. »Mir scheint, ich genieße eine Sonderbehandlung.«

Der räusperte sich peinlich berührt und konnte ein verlegenes Grinsen nicht gänzlich verkneifen. »So offensichtlich sollte das ja nun nicht werden…«

Träumte sie gerade oder zeigte der Agent tatsächlich Interesse an ihr und versuchte ihr näher zu kommen?

Gwen kam es beinahe schon unwirklich vor, dass ein Mann wie Andrew Preston sich ehrlich für sie interessieren sollte und sie stand dem Ganzen doch recht skeptisch gegenüber, denn in ihrer Welt hatte sie einfach kein gutes Händchen für anständige und aufrichtige Männer.

Andrew Preston war definitiv einfach zu gut, um wirklich wahr zu sein.

Ashlyn wäre in diesem Moment wahrscheinlich völlig aus dem Häuschen gewesen; ihre Freundin würde den heutigen Tag garantiert rot im Kalender anstreichen und sie sofort auf einen Sekt einladen, um gebührend zu feiern, dass Gwen endlich einmal einen achtbaren Mann an der Angel hatte.

Gwen fühlte sich definitiv geehrt und seine Sorge von vorhin rührte sie, doch trotzdem blieb auch der fade Nachgeschmack ihrer Lüge bei der ganzen Sache.

Was würde er wohl von ihr halten, wenn er herausfände, dass sie gar keine angesehene Wissenschaftlerin sondern nur eine Journalistin auf der Jagd nach der großen Story war? Wahrscheinlich wäre sein Interesse nicht mehr ganz so groß…oder es würde sich darauf beschränken sie unauffällig aus dem Weg zu räumen.

Sie hatte einfach kein Glück mit Männern. Entweder waren es die Falschen oder - wie in diesem Fall - der falsche Zeitpunkt.

Und warum zur Hölle musste sie jetzt gerade an diese verdammten grünen Augen denken, die einem Kerl gehörten, den Gwen garantiert nicht wiedersehen wollte? Das wollte sie ganz gewiss nicht! Niemals! …oder?

Der Agent neben ihr unterbrach ihre Gedanken zum Glück, indem er sie sanft am Arm nach vorn führte, wo die Wächter zu beiden Seiten der riesigen Flügeltür diese gerade für die ankommenden Gäste öffneten und ihnen damit Einlass in die Hallen Odins gewährten. »Der Allvater empfängt sie nun.«

Gwen schritt mit Andrew beinahe als Letzte der Gruppe durch die mächtige Holztür, die mit filigranen Schnitzereien und asischen Schriftzeichen geschmückt war, welche Böses fernhalten und die Gesundheit der Königsfamilie gewährleisten sollten.

Gwen war überwältigt von dem Anblick, der sich ihr dahinter bot.

Odins Palast war gewiss prächtig, doch seine privaten Hallen waren einfach atemberaubend schön - auf eine simple und urige Art und Weise, die einen vor Ehrfurcht erbeben ließ und ohne viel Aufhebens klar machte, dass man zu Gast in einer völlig anderen Welt war.

Der Festsaal war riesig; eine in die Länge gezogene Halle mit stämmigen Holzsäulen zu beiden Seiten, welche die prächtige Decke stützten, auf der ein üppiges Deckengemälde prangte; so groß und detailliert, dass man kaum auf einen Blick alles zu erfassen vermochte und trotzdem nicht umhin kam, das Geschick des Künstlers zu bewundern.

In der Mitte der Halle war eine massive Tafel aufgebaut, die beinahe von einem Ende des Saales bis zum anderen reichte und deren gesamte Länge mit solch üppigen Speisen beladen war, dass man damit wohl ganz Asgard hätte verpflegen können.

Ein köstlicher Duft stieg Gwen in die Nase und ließ sie verzückt seufzen; es roch wunderbar nach gebratenem Fisch und Fleisch, herzhaften Gewürzen, frischem Gemüse und gebackenem Brot, dazwischen immer wieder die süße Note von warmen Kuchen und Honigwein.

Das heitere Raunen der Festgesellschaft erfüllte den Saal. Gelächter und Trinksprüche waren zu vernehmen, während das Klirren von Bierkrügen und Methörnern immer wieder durch das Gemurmel der anwesenden Asen stach, die bereits an der Tafel Platz gefunden hatten.

Gwen entdeckte Thor neben einer umwerfend schönen, dunkelhaarigen Kriegerin, die ihm gerade seinen Trinkbecher nachfüllte und mit einem verstohlenen, verzückten Lächeln zu dem Donnergott aufsah, während er seinem Gegenüber mit großen Gesten etwas erklärte; offenbar gab er gerade die Episode einer Schlacht zum Besten, denn seine Hand schnellte nach vorn und imitierte eine zustoßende Bewegung, woraufhin die Umsitzenden erschrocken zurückwichen, bevor alle in heiteres Lachen ausbrachen.

Feuerschalen erhellten die Halle und tauchten alles in ein warmes, angenehm gedämpftes Licht; die Flammen spiegelten sich in imposanten Schilden, kunstvollen Schwertern und Speeren, die wirkungsvoll die Wände des Saales schmückten.

An einem Ende der Tafel befand sich ein etwas erhöht gelegenes Podium, auf dem zwei mächtige, aus Holz gefertigte Stühle thronten, deren Sitzflächen mit rotem Samt überzogen waren; geschnitzte Widderköpfe zierten die Lehnen des einen, Pferdeköpfe die des anderen. Beide waren im Moment noch unbesetzt.

In einer Ecke der Halle hatte sich eine Gruppe Spielleute niedergelassen, die ihren Instrumenten geschickt heitere Klänge entlockten und die Festgesellschaft mit ihren Melodien unterhielten.

Allerdings unterbrachen diese nun ihr Spiel, als die Gruppe menschlicher Wissenschaftler durch die Tür der Halle trat; das eben noch gehörte Lied verklang mit sanft schwingenden Tönen und ließ eine erwartungsvolle Stille zurück, die sich selbst über alle Anwesenden legte.

Beinahe alle Köpfe wandten sich zu den ankommenden Menschen um; Gwen erkannte Neugier in den Augen der Asen, gespannte Erwartung, zurückhaltendes Interesse. Hier und da schickte man ihnen ein Lächeln oder ein freundliches Nicken entgegen. Allerdings gab es auch weniger willkommene Blicke; Gesichter, die ihre Ankunft regungslos und beinahe geringschätzig betrachteten.

Offenbar waren nicht alle Asen mit der Entscheidung Odins im Einklang, die Tore ihres Reiches für die Menschen zu öffnen.

Thor hob gerade seinen Krug und prostete den Anwesenden zu, bevor die plötzliche Ruhe auch zu ihm und seinen Freunden durchdrang. Mit einem heiteren, erfreuten Lächeln erhob sich der blonde Gott und durchbrach damit die andauernde, abwartende Stille.

»Freunde aus Midgard. Kommt und nehmt Platz an unserer Tafel. Seid unsere Gäste an diesem wundervollen Abend.« Einladend breitete er die Arme aus; etwas Met schwappte dabei aus seinem Becher und traf einen recht grimmig dreinschauenden, dunkelhaarigen Krieger mitten ins Gesicht.

Der wischte sich den Honigwein mit äußerst verstimmten Bewegungen von den Wangen, während ein imposanter, rotbärtiger Krieger in grollendes Gelächter ausbrach, seinem blonden Nebenmann amüsiert auf die Schulter klopfte und auf den Getroffenen deutete. »Fandral, sieh nur. Zumindest an diesem Abend überzieht Hoguns Züge ein freundliches, einnehmendes Leuchten…auch wenn es nur vom Met herrührt.«

Beide Männer prosteten sich lachend zu, während sich Thor mit breitem Grinsen zu seinem dunkelhaarigen Freund beugte, um sich zu entschuldigen.

Die Ansprache des Donnergottes hatte die unangenehme Stille durchbrochen wie der Bug eines Schiffes das Meer; Gespräche wurden wieder aufgenommen, die Spielleute zückten erneut ihre Instrumente, um den Saal mit Klängen zu füllen und die menschlichen Forscher mischten sich nun zögerlich unter das Volk der Asen, die den fremdartigen Gästen höflich in ihren Reihen Platz machten.

Gwen trat an der Seite von Andrew Preston nun ebenfalls näher an die Tafel heran und überflog die Länge der Tafel nach einem freien Platz.

Allerdings kam ihr Thor bei dieser Suche rasch zur Hilfe, denn er hatte sie nun ebenfalls entdeckt und kam mit wehendem Umhang zu ihr herüber. »Lady Mary-Ann. Welche Freude.« Ohne Umschweife hatte er ihren Arm dem Agent entwunden und zog ihre Hand an seine Lippen für einen angedeuteten Handkuss, während er sich höflich verbeugte; sie spürte seinen angenehm warmen Atem und das Kitzeln seines Bartes auf der Haut. »Ich hoffe, es geht Euch wieder besser? Ich war in Sorge um Euch und Euer Wohlbefinden.«

Der Donnergott erhob sich wieder zu voller Größe, sodass Gwen zu ihm aufsehen musste. Etwas verlegen zog sie die Hand zurück an ihre Brust, nachdem der Blonde sie aus seinem warmen Griff entlassen hatte. So viel Aufmerksamkeit war sie gar nicht gewohnt. Schon gar nicht von solch einem imposanten Mann…äh, Gott.

Außerdem war das wieder ein Moment, in welchem zu viele Augen auf ihr ruhten. Unauffälligkeit war in ihrem Job eine wichtige Verhaltensweise.

Komisch…sonst hatte sie wirklich nie Probleme mit zu viel Aufmerksamkeit.

Der große, rothaarige Krieger hatte sich nun ebenfalls interessiert zu ihr umgewandt, während selbst die dunklen Augen der schönen Kriegerin wachsam auf ihr weilten; beinahe kam sich Gwen unter ihrem Blick vor, als hätte sie einer Löwin ein Stück Fleisch streitig gemacht.

Das Räuspern des Agenten neben ihr rief Gwen in Erinnerung, dass man ihr eine Frage gestellt hatte. »Äh, ja, alles wieder in bester Ordnung. Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Ich-«

Ein sanfter Griff legte sich auf ihrer Schulter nieder, beinahe fast ein wenig besitzergreifend, was Gwen überrascht eine Braue heben ließ. »Keine Sorge. Die Lady ist in besten Händen. Für ihr Wohl wurde bereits allumfassend gesorgt.« erklang Andrew Prestons Stimme sachlich neben ihr.

Holla - wo war sie denn hier hingeraten?

Wenn Gwen etwas nicht leiden konnte, dann waren es Männer, die meinten, sie bevormunden zu müssen. Sie besaß durchaus selbst die Fähigkeit zu sprechen.

Die Rolle des Beschützers war ja wirklich niedlich und ehrte sie in gewissem Sinne - allerdings wusste sie gar nicht, wovor sie nun beschützt werden sollte; doch nicht etwa vor dem Donnergott?! Aber sie hatte bestimmt nicht jahrelang um Selbständigkeit und ihr Durchsetzungsvermögen gekämpft, um dieses nun sang- und klanglos in die Hände eines Mannes abzugeben.

Das würde auch Andrew Preston lernen müssen. Sie konnte gut für sich selbst sprechen.

Thor schien von der Ansage des Agenten gar nicht beeindruckt, sondern grinste nur breit und enthüllte dabei strahlend weiße, ebenmäßige Zähne. Dann streckte er Gwen die große Hand einladend entgegen. »Möchte die Lady vielleicht mit bei meinen Freunden und mir sitzen? Es wäre mir wirklich eine Ehre. Außerdem könnte ich sicher gehen, dass Ihr auch mit allem versorgt werdet, was Ihr braucht.« War das eine unterschwellige Anspielung, die sie nicht verstand? Blaue Augen kreuzten flüchtig den Blick des S.H.I.E.L.D. Agent, bevor sich der Donnergott abermals leicht vor ihr verneigte.

»Liebend gern.« kam Gwen Andrew diesmal zuvor, der wahrscheinlich schon wieder zu einer Antwort für sie ansetzen wollte. Zumindest ließ das scharfe Luftholen so etwas vermuten. Allerdings würde sie die Chance nicht vertun, bei Thor und seinen Freunden zu sitzen, immerhin floss an solchen Abenden stets eine Menge Alkohol und der lockerte bekanntlich fast jede Zunge.

Und für Informationen jeglicher Art war sie schließlich hier. Das sollte sie nicht vergessen.

Sie legte ihre Hand in die des blonden Gottes und ließ sich von ihm zum Tisch führen. Über die Schulter warf sie dem Agent einen knappen Blick zu, der ihn in die Schranken weisen sollte, falls er den Aufstand proben würde, doch dieser quittierte ihr Verhalten nur mit einem amüsierten Kopfschütteln und einem leichten Schmunzeln, bevor er in der Menge verschwand.

»Fandral, würdest du der Lady Platz machen?« Thor klopfte dem gutaussehenden Krieger auf die Schulter, dessen Aufmerksamkeit gerade an einer brünetten Asin hing, die mit weit übergebeugten Oberkörper neue Speisen auf dem Tisch abstellte und somit einen ausgezeichneten Blick in ihren Ausschnitt gewährte, während sie dem blonden Krieger ein verführerisches Lächeln schenkte.

Ein wenig verstimmt, da er gerade von diesem erstklassigen Anblick abgelenkt wurde, wandte sich Fandral zu seinem Waffenbruder um; sogleich erhellten sich seine Züge allerdings wieder, als er Gwen erblickte und rasch sprang er von seinem Stuhl auf, um sich vor ihr zu verbeugen und ihr seinen Platz anzubieten. »Aber natürlich! Solch einem reizenden Wesen kann ich doch nicht das Recht verwehren, an meiner Seite zu sitzen.«

Die dunkelhaarige Kriegerin auf der gegenüberliegenden Seite der Tafel verdrehte die Augen mit einem amüsierten Kopfschütteln in die Höhe, während die braunhaarige Dienstmagd mit einem Schnauben bemerkte, dass sie offensichtlich zu Luft geworden war. Verärgert sammelte sie bereits leere Teller wieder ein und machte sich aus dem Staub.

Kaum hatte Gwen zwischen dem blonden Fandral und dem rothaarigen, großen Krieger Platz gefunden, der wohl auch zu Thors Gefolgschaft gehörte, stapelten sich schon die köstlichsten Speisen auf dem Teller vor ihr; allerdings eine solche Menge, von der sie wohl hätte einen ganzen Monat leben können.

Und der bärtige Krieger neben ihr wurde auch nicht müde immer mehr Köstlichkeiten auf ihren Teller zu laden. »Esst, werte Lady. Ihr seht aus, als könntet Ihr es vertragen.« brummte der Riese gutmütig und schenkte einen ordentlichen Schluck Wein in ihren Becher.

»Volstagg, wenn du so weiter machst, wird die Dame bald deine Ausmaße haben. Keine schöne Vorstellung.« meldete sich Fandral mahnend zu Wort und stibitzte sich ein Stück Brot von Gwens überladenem Teller, während er ihr ein verschmitztes Zwinkern schenkte.

»Nun, nicht jeder Mann bevorzugt eben solch Knochengerüste wie du, lieber Freund.« hielt Volstagg dagegen und füllte die eben leer gewordene Stelle auf Gwens Teller sogleich mit einem saftigen Hühnerschenkel auf.

Gwen schmunzelte still in sich hinein, bevor sie allerdings auch nicht mehr an sich halten konnte, die köstlichen Speisen endlich zu probieren. Ihr Hunger war inzwischen so nagend und durch die himmlischen Düfte angefacht, dass ihr bereits der Magen schmerzte - mit einem Mal erschien ihr der Berg auf ihrem Teller auch gar nicht mehr so gewaltig.

Hungrig begann sie zu essen und lauschte nebenbei den Gesprächen von Thor und seinen Freunden, die sich ihr als die „Tapferen Drei“ vorstellten. Dazu gehörte der rotbärtige Volstagg, der blonde Krieger Fandral und der grimmige Hogun. Die schöne Kriegerin neben Thor lernte Gwen als Sif kennen; sie war die tapfere Kampfgefährtin der Männer.

Allerdings ließen ihre verstohlenen Blicke vermuten, dass sie im Grunde ihres Herzens nicht nur Thors Kampfgefährtin sein wollte…

Und wer hätte es der Frau auch verübeln können. Der Donnergott war ein Bild von einem Mann; groß, muskulös, gutaussehend, heldenhaft, ehrbar und herzlich. Sein Lachen verbreitete gute Laune und in seiner Nähe musste man sich einfach sicher und gut beschützt fühlen.

Allerdings hatte er auf Gwen nicht annähernd eine solch magische Wirkung wie auf die Kriegerin Sif und die anwesenden Asenfrauen, die bei jedem volltönenden Lachen des blonden Gottes schmachtende Blicke in seine Richtung schickten.

Während sie geistesabwesend an einem Stück gebratenem Huhn kaute, schweiften ihre Gedanken entgegen aller guten Vorsätze wieder zurück zu diesem einen besonderen Paar grüner Augen, die sich faszinierend in ihre Erinnerung gebrannt hatten.

Sie wollte wirklich nicht an diesen Kerl in der Zelle denken, doch konnte sie es kaum verhindern, dass sein hoheitlich arrogantes Gesicht wieder in ihrem Geist auftauchte.

Ob sie es nun wollte oder nicht, dieser Mann hatte irgendetwas an sich, was sie interessierte und förmlich gebieterisch anzog.

Eigentlich hatte sie den Vorfall in der Höhle einfach vergessen wollen, allerdings drängte das Geschehen nun mit Macht in ihre Gedanken zurück. Was war da unten nur mit ihr passiert?

Normalerweise war Gwen nicht die Art Frau, die sogleich den Verstand verlor, wenn sie einem gutaussehenden Mann gegenüberstand; ein wenig träumen war sicherlich drin, doch sie war immer bemüht einen kühlen Kopf zu bewahren und war stolz darauf, die Dinge stets langsam anzugehen - seit einigen unschönen Beziehungen in der Vergangenheit war sie den meisten Männern gegenüber eh zuerst misstrauisch, bevor sie sich die rosarote Brille aufsetzte.

Doch dort unten war sie völlig verzaubert gewesen. So etwas war ihr wahrlich noch nie passiert.

Wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum ihr der Mann nicht aus dem Kopf gehen wollte und sich nun erneut einen Platz in ihren Gedanken sicherte.

Wer war er nur? Und warum hatte man ihn eingesperrt?

Sie warf einen knappen Blick in die Runde und war tatsächlich für einen Augenblick versucht Thor und seine Freunde nach dem Unbekannten zu fragen, um ihrer Neugier gerecht zu werden; allerdings verwarf sie den Gedanken ganz schnell wieder, denn dann müsste sie auch erklären, warum sie überhaupt dort unten herumgeschnüffelt hatte.

Mit einem leisen Seufzen griff sie nach einem Stück noch warmen Brotes und schob es sich in den Mund, während sie den Weinbecher nachdenklich mit den Fingern auf dem Tisch hin und her schob. Die dunkelrote Flüssigkeit darin schimmerte im Fackellicht und schwappte sanft gegen den Becherrand.

Und was hatte es überhaupt mit dieser Zelle auf sich? Warum hatte sie diese öffnen können? Und wie?

Dass dies offenkundig nicht der Normalität entsprach hatte ihr die Überraschung des schwarzhaarigen Mannes verraten; er hatte ebenso wenig mit dem Geschehenen gerechnet wie sie.

Wahrscheinlich hatte er sie für einen Feind, für einen Eindringling gehalten und war ihr deshalb so forsch begegnet; möglicherweise hätte sie an seiner Stelle nicht anders reagiert.

Das ungute Gefühl von vorhin verschwand und ließ nur ihre Reue und ihr schlechtes Gewissen zurück.

Sie erinnerte sich an sein blasses, ausgezehrtes Gesicht und verspürte augenblicklich Sorge um den unbekannten Mann. Er war mit Wucht gegen die Zellenwand zurückgeprallt, als sich das Glas wieder geschlossen hatte; das Geräusch des dumpfen Aufpralles klang ihr überdeutlich in den Ohren nach.

Hatte die magische Energie in der Zellenwand tatsächlich auf ihre Emotionen reagiert…?

Vielleicht war er gar kein übler Kerl und saß nur wegen einer Banalität in dieser Zelle. Und nun war er womöglich verletzt - ihretwegen. Vielleicht hatte er Schmerzen. Möglicherweise brauchte er Hilfe. Und er war ganz allein dort unten…

Gwen sackte auf ihrem Stuhl zusammen und fühlte frostige Kälte unter dem Tisch nach ihren Knöcheln greifen; die kalten Finger krochen ihre Waden hinauf, ließen ihre Beine taub zurück und überzogen ihren Rücken dann mit einem eisigen Schauer.

Warum war sie nur sofort geflohen? Sie hätte doch nach ihm sehen sollen.

Was, wenn er tot war? Hatte sie ihn womöglich unbeabsichtigt umgebracht?

Oh Gott…

Vor Schreck blieb Gwen ein Stück des Brotes im Halse stecken und keuchend schnappte sie nach Luft. Sie griff sich an die Kehle und versuchte das trockene Stück durch Räuspern und Husten irgendwie zu bewegen, doch vergeblich.

Bevor sie den zweiten, peinlichen Zusammenbruch an diesem Tag erleiden konnte, erbarmte sich ihr das Schicksal - in Form einer großen, schweren Hand, die mit Wucht auf ihren Rücken herabsauste und das festhängende Stück Brot aus ihrer Kehle löste. Allerdings hatte der gut gemeinte Schlag so viel Kraft in sich, dass Gwen der Meinung war, dass ihre Lunge auch gleich mit auf dem Teller vor ihrer Nase landen würde.

»Himmel, Volstagg! Du brichst dem armen Mädchen ja gleich sämtliche Knochen!« Fandral richtete Gwen sanft wieder auf und reichte ihr zuvorkommend eine Serviette. »Alles wieder in Ordnung?« Besorgte Blicke hingen nun ebenfalls von der anderen Seite der Tafel an ihr, wo Hogun, Thor und Sif eben ihr Gespräch unterbrochen hatten.

Der rotbärtige Krieger hob beschwichtigend die Hände. »Ich wollte nur helfen.«

»Danke, schon in Ordnung. Es geht wieder. Ich habe wohl etwas zu hastig gegessen.« Gwen lächelte beruhigend in die Runde¸ die erneute Aufmerksamkeit war ihr unangenehm.

Thor wollte gerade zu einem Wort ansetzen, als sich erneut Stille über die feiernde Gesellschaft legte; die Gespräche verstummten, ebenso das Lied der Spielleute, die respektvoll ihre Instrumente senkten.

Eine Seitentür der Halle hatte sich nun geöffnet und durch diese traten eine Handvoll schwer gerüsteter und bewaffneter Wachen herein, um dann zu beiden Seiten der Tür Aufstellung zu nehmen. Die klirrenden, schweren Schritte der Männer tönten deutlich durch den stillen Saal.

Dann kamen ein Mann und eine Frau durch die Tür in die Halle und es konnte kein Zweifel daran aufkommen, wer die beiden waren.

Die beinahe greifbare Demut, die nun durch den Saal zog und sich auf Gesichtern und in gesenkten Häuptern manifestierte, offenbarte Gwen sehr deutlich, wer da eben angekommen war. Sie selbst blieb von diesem Hauch Erhabenheit der beiden Gestalten nicht unberührt und erschauderte ehrfürchtig.

Odin trug eine aufwändig geschmiedete, schimmernde Rüstung und den Speer Gungnir in seiner Hand; trotz seines deutlich hohen Alters - oder vielleicht auch gerade deswegen - strahlte der Gott eine gebieterische Stärke und Weisheit aus, der man einfach nur Respekt entgegenbringen konnte. Sein rechtes Auge war hinter einer goldenen Augenklappe verborgen, dennoch hatte man das Gefühl, dass seinem durchdringendem Blick nichts entging.

Die Frau an seiner Seite, Frigga, war in ein kunstvolles, langes Gewand gekleidet, welches ihre hoheitliche Gestalt vorteilhaft und edel umschmeichelte. Ihr blondes Haar war stilvoll frisiert und hochgesteckt, ihr Gesicht gütig und freundlich, als ihr Blick über die Anwesenden im Saal glitt und dann an ihrem Sohn Thor hängen blieb. In ihren Zügen spiegelte sich sofort mütterliche Zuneigung und Liebe.

Der Donnergott erhob sich von seinem Platz und alle Anwesenden an der Tafel taten es ihm respektvoll gleich; allein das Scharren der Stühle war zu vernehmen, als sich Asen wie Menschen erhoben, um dem Herrscherpaar Achtung zu erweisen.

Gwen erhob sich ebenfalls höflich, als Odin und seine Frau an die Tafel herantraten. Thor eilte zu den beiden hin und begrüßte zuerst seine Mutter mit einer herzlichen Umarmung und einem Kuss auf die makellose Wange. Frigga strahlte ihren Sohn liebevoll an und schob ihm ein paar der wilden, blonden Strähnen aus der Stirn.

Dann trat der Donnergott zu seinem Vater und sank vor diesem respektvoll auf die Knie. Odin legte eine schwere Hand auf Thors Schulter und lächelte stolz auf seinen Sohn herab, bevor sein einseitiger Blick erneut über die Anwesenden im Saal strich.

»Dies ist er nun, der wohl denkwürdigste Tag in der Geschichte Asgards.« Odins volltönende Stimme schwang weithin hörbar durch die Halle; eine Stimme, in der sich Macht und Kraft vereinten.

Thor hatte sich wieder erhoben und war erneut zu seiner Mutter getreten, die die Hände vor dem Körper züchtig miteinander verflochten hatte. Der Donnergott hob einen Arm und bettete die Finger sanft auf ihrem Rücken, als müsste er sie stützen. Dankbar lächelte Frigga zu ihrem Sohn auf, bevor ihr Blick wieder auf die Menge vor sich fiel.

Für einen winzigen Moment hatte Gwen das Gefühl, dass die Augen der Königin etwas oder jemanden suchen, jemanden vermissen würden, der ebenso an dieser Tafel sitzen sollte; ihre Züge überflackerte für einen Wimpernschlag tiefer Kummer, der sie wesentlich älter wirken ließ, als sie auf den ersten Blick erschienen war. Die Finger hatte sie nicht ohne Grund miteinander verflochten, denn sie zitterten unmerklich.

Was bereitete der schönen Asin nur solche Sorgen?

Und dann fiel der Blick Friggas auf Gwen und blieb unbeirrbar auf ihr haften. In den Augen der Königin glomm ein Funke auf, den Gwen nicht zuordnen konnte; war das Erkennen in ihrem Blick? Neugier? Wachsamkeit?

Sie fühlte sich deutlich unwohl unter den Augen Friggas und konnte erst wieder frei durchatmen, als der Blick der Königin weiterzog.

»Zum ersten Mal haben wir unsere Tore für die Bewohner Midgards geöffnet. Wo wir in der Vergangenheit als Götter und Schutzherren von Asgard aus über die Geschicke der Menschen wachten, so kommen wir nun zu ihnen als Lebewesen aus Fleisch und Blut, nicht anders als sie selbst.« Odin trat nah vor die Tafel, jeder seiner Schritte untermalt durch das metallische Klirren seiner Rüstung und das Klopfen Gungnirs auf dem Boden, welchen er als Stab nutzte. »Wir reichen ihnen die Hand und werden Wirklichkeit. Nicht länger Götter, die unnahbar und allmächtig erscheinen, sondern gleichgestellte Brüder in dieser neuen Ära, die jener Tag heute einleiten soll. Ein Umbruch in alten Gesetzen und Traditionen ist nötig. Wir müssen mit der Zeit gehen und dürfen nicht länger in vergangenen Tagen weilen. Die Welten haben sich gewandelt, das Universum ist älter geworden. Und auch die Menschen sind nicht länger vollkommen hilflos und bedürfen unseres Schutzes. In Zukunft können wir alle voneinander lernen - und das sollten wir auch, wenn wir die Zeit überdauern wollen.«

Alle Anwesenden hingen gebannt an den Lippen des Allvaters und auch Gwen konnte sich der Inbrunst seiner Rede nicht entziehen. Selbst über die Züge jener Asen, die bisher skeptisch auf die Menschen geblickt hatten, zeigte sich nun Toleranz, vielleicht sogar so etwas wie Zustimmung.

»Die Vorfälle der Vergangenheit haben uns gezeigt, dass eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen den Welten uns durchaus zum Vorteil gereichen kann. Denn Feinde lauern überall…« Der Blick des Allvaters legte sich eindringlich auf alle Anwesenden, deren Gesichter sein sehendes Auge überflog. »Und manchmal sogar in den eigenen Reihen. Lasst uns wachsam sein und der Zukunft gestärkt und vereint entgegen sehen.«

Odin schloss für einen Moment sein Auge und senkte das Haupt um eine Wenigkeit, während er tief in den eigenen Gedanken zu versinken schien.

Thor unterbrach die folgende Stille, indem er die rechte Faust in die Höhe trieb und mit grollender Stimme leidenschaftlich rief: »Für Asgard. Für Midgard. Für den Allvater!«

Die Anwesenden hoben nun ihre Bierkrüge oder Weinbecher und stemmten diese in die Höhe, während sich alle Stimmen wie eine erhoben, beinahe einem Schlachtruf gleich. »Für Asgard! Für Midgard! Für den Allvater!«

Auch die menschlichen Wissenschaftler, Forscher und Gelehrten ließen sich von dem Ruf anstecken und hoben ihre Trinkbecher auf das Wohl der beiden Welten und des Allvaters. Selbst die S.H.I.E.L.D. Agenten stimmten - wenn auch verhalten - in den Ruf mit ein.

Odin hob seinen Blick zufrieden wieder an und nickte der inbrünstigen Menge zu, bevor er sich umwandte und zu seiner Frau trat, um mit ihr die beiden Plätze einzunehmen, die bisher frei geblieben waren.

Nach der Rede Odins wurde ausgelassen weiter gefeiert und auch Gwen ließ sich zu ein paar Tänzen überreden, als die Spielleute schnellere, fröhliche Lieder zum Besten gaben. Auf der Tanzfläche traf sie dann auch Andrew Preston wieder, der sie mit geschickten Drehungen den Händen Fandrals entzog. Der blonde Krieger hatte sie wahrscheinlich mit einem Tanz gerettet, nachdem sie sonst wohl Gefahr gelaufen wäre, dass Volstagg sie weiter gutgemeint gemästet hätte.

»Konnten Sie sich endlich der einnehmenden Art des Donnergottes entziehen, Miss Morris?« zog sie der Agent mit einem schiefen Schmunzeln auf, als er sie geschickt über die Tanzfläche führte.

»Eifersüchtig, Andrew?« gab Gwen sogleich zurück, während er sie in eine Drehung lenkte und sie dadurch den Donnergott entdeckte, der die Kriegerin Sif gerade auf die Tanzfläche zog. Die wehrte sich peinlich berührt mit hochroten Wangen.

Der Agent sah Gwen forschend, beinahe etwas überrascht an, als sie zurück in seinen Armen lag, bevor ein selbstsicheres Grinsen auf seinen Lippen entstand. »Warum sollte ich eifersüchtig sein, wo wir doch nun schon wieder bei Andrew sind, Mary-Ann?«

Gwen wollte gerade etwas erwidern, als ein Geräusch sie aufblicken ließ. Über die Köpfe der Tanzenden schwebten zwei Raben durch ein Fenster in die Halle; das seichte Rauschen ihrer Flügelschläge war der Ton, den Gwen vernommen hatte.

Die Raben flogen zielgerichtet zu Odin hinüber, der mit seiner Frau noch immer an der Stirnseite der Tafel saß. Der Allvater streckte den Arm aus und die beiden Vögel landeten mit flatternden Schwingen sanft auf dem Leder seiner Armschiene.

»Das sind Hugin und Munin. Sie gehören Odin.« klärte Andrew Gwen auf, nachdem er ihrem Blick gefolgt war. »Sie ersetzen sein fehlendes Auge und sind ihm das Ohr für seine Welt. Er erfährt stets Neuigkeiten von ihnen und bleibt so auf dem aktuellsten Stand, was das Geschehen in seinem Reich angeht.«

»Ah, eine fliegende Zeitung sozusagen.« Fasziniert beobachtete Gwen Odin, der dem Krächzen der Raben auf seinem Arm zu lauschen schien.

Andrew bestätigte ihre Worte lachend mit einem Nicken. »So könnte man das wohl sagen, ja.«

Der Gesichtsausdruck des Allvaters verfinstere sich plötzlich und tiefe Falten zogen sich über seine Stirn, als sich die Raben wieder von seinem Arm erhoben und aus der Halle flogen. Odin beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn und bettete die Faust nachdenklich an den Lippen, während Frigga sich fragend zu ihm beugte und ihn sanft an der Schulter berührte.

Der Allvater sah zu ihr hin, dann erhob er sich von seinem Platz und reichte ihr die Hand. Beide verschwanden unbemerkt aus der Halle, gefolgt von den Wachen, die sie vorher schon begleitet hatten.

Gwen runzelte die Stirn. Hatte Odin schlechte Neuigkeiten erhalten?

Nachdem sie Andrew noch einen weiteren Tanz gewährt hatte, zog sich Gwen aus der Festhalle zurück, um etwas frische Luft zu schnappen. Sie hatte einen kleinen Durchgang entdeckt, der in den riesigen, üppigen Garten führte, den sie von ihrem Zimmer aus sehen konnte.

Die leichten Klänge der Spielleute begleiteten sie auf dem schmalen Pfad, der durch prächtige Hecken und Büsche und unter Bäumen hinweg führte; der Kies des Weges knirschte leise unter ihren Schuhen und war neben dem gedämpften Lied aus der Halle und einem entfernten Plätschern von Wasser das Einzige, was sie im Moment vernahm.

Die Nacht hatte sich über die Welt gesenkt und doch war es nicht vollkommen finster. Die Sterne am imposanten Himmel über Asgard spendeten traumhaftes, mildes Licht und in einigen Abständen waren kleine Feuerschalen am Rande des Weges aufgestellt worden, um den Garten zu erhellen. Die Flammen knisterten leise beruhigend in der friedlichen Nacht.

Der Duft von frischem Gras und nachtblühenden Knospen lag in der Luft; ein bezauberndes Gemisch, das Gwen tief durchatmen ließ. Ihre Gedanken schweiften ab und näherten sich mit beängstigender Bestimmtheit wieder einem Mann, dessen Gesicht und Schicksal sie nach dem Essen erneut erfolgreich verdrängt hatte.

Bevor ihre Gedanken jedoch wieder allzu reale Form annehmen konnten, bog sie um eine Ecke des Pfades und sah sich unvermittelt einer großen Gestalt gegenüber, die auf dem Weg in den Schatten vor ihr stand.

Erschrocken wich sie einen Schritt zurück, bevor sich der Mann aus der Dunkelheit löste und in den Schein einer Feuerschale trat.

»Entschuldigt, Lady. Ich wollte Euch nicht erschrecken.« Thor kam ihr mit seinem entwaffnenden Lächeln entgegen und Gwen entspannte sich sogleich wieder.

»Das haben Sie nicht.« beteuerte sie. »Ich habe nur einfach mit niemanden hier gerechnet.«

Der Donnergott sah sich knapp um, dann strich er liebevoll über eine weiße, wunderschöne Blüte, die neben ihm aus den tiefgrünen Blättern eines Busches ragte. »Ich komme oft hierher zum Nachdenken. Der Garten ist der Stolz meiner Mutter. Sie hat ein Händchen für Blumen.«

»Das hat sie wirklich.« Gwen trat wieder an den Gott heran und beugte sich näher an die traumhaften Blüten, die einen betörenden Duft verströmten. »Beschäftigt Sie etwas?« entschlüpften ihr die Worte, bevor sie sie aufhalten konnte. Hastig richtete sie sich wieder auf und wiegelte die Frage mit den Händen ab. »Entschuldigen Sie, das geht mich wirklich nichts an.«

Normalerweise entschuldigte sich Gwen niemals für ihre Fragen. In ihrem Beruf konnte sie sich das auch kaum leisten. Sie musste fragen und neugierig sein.

Allerdings fühlte sie nicht zum ersten Mal eine seltsame Verbundenheit zu diesem Ort und der ganze Grund ihres Hierseins erschien ihr abermals frevlerisch und schlichtweg falsch. Sie hatte einfach nicht das Recht, in den Angelegenheiten dieser Götter zu wühlen, in deren Geschichte und Vergangenheit, um womöglich Geschehnisse ans Tageslicht zu zerren, an denen Gefühle hingen.

Thor lachte leise und zog die Hand von der Blume zurück, dann hob er den Blick in den vielfarbig schimmernden Himmel und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mich beschäftigen so einige Dinge…« wisperte er kaum hörbar, bevor er seinen Fokus zu ihr zurücklenkte. »Habt Ihr Euch hier bereits ein wenig eingelebt? Ich schätze, Asgard muss für einen Menschen ziemlich fremdartig anmuten. Unsere Gebräuche erscheinen Euch sicherlich altmodisch und albern, immerhin stammt Ihr aus einer aufgeklärten, fortschrittlichen Welt.«

»Oh nein, nicht doch. Ich finde es ganz wunderbar hier.« beteuerte Gwen sofort und schenkte dem Donnergott ein ehrliches Lächeln. Und ihre Worte entsprachen tatsächlich der Wahrheit, sie musste noch nicht einmal lügen. Der Zauber Asgards war an ihr nicht spurlos vorüber gegangen. »Die Stadt ist traumhaft. Ich habe noch nie solch außerordentliche Baukunst gesehen. Und der Palast ihres Vaters ist ein Traum. Man fühlt sich fast in ein Märchen versetzt. Ganz zu schweigen von der Schönheit der Natur und der Ruhe dieses Ortes. Und dieser Himmel erst - der Wahnsinn!«

Thor schmunzelte über ihre Begeisterung.

»Ich finde es ganz und gar nicht albern oder altmodisch hier. Eure Welt ist eben anders als meine, aber das bedeutet wohl kaum, dass sie besser oder schlechter ist - einfach anders. Und mir persönlich gefällt sie unheimlich gut.« Sie nickte abschließend bekräftigend zur Bestätigung ihrer Worte und kam sich dann augenblicklich lächerlich vor, dass sie vor dem Donnergott losgesprudelt hatte wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal den Weihnachtsmann erblickt hatte. Vielleicht hätte sie den letzten Becher Met lieber weglassen sollen.

Doch Thor schien sich nicht daran zu stören, sondern kam zu ihr herüber und bettete ihr eine warme, schwere Hand auf der Schulter. »Das freut mich. Wirklich. Wollt Ihr noch ein Stück mit mir gehen, Lady Mary-Ann?«

Gwen nickte und hakte sich bei Thor unter, als der ihr seinen Arm bot.

Das schlechte Gewissen wallte übermächtig wieder in ihr auf, als er sie mit ihrem falschen Namen ansprach. Der Donnergott war ein wirklich freundlicher und herzlicher Kerl, eigentlich verdiente er es nicht, dass sie ihn anlog. Wahrscheinlich verdiente das niemand hier.

Gwen war gewiss bereit so manches für eine gute Story zu tun, doch diese Lüge hier lastete plötzlich schwer auf ihr - ebenso wie der Grund ihres Hierseins und ihr Auftrag.

Nachdem sie die Asen nun ein wenig besser kennengelernt hatte und die ihr mit Freundlichkeit begegnet waren, kam sie sich ziemlich schäbig dabei vor, in deren Geheimnissen zu wühlen, um sich selbst einen guten Stand in ihrer Welt zu sichern.

Vielleicht sollte sie sich mehr auf S.H.I.E.L.D konzentrieren.

Ihr kam ein Gedanke. »Ist das wirklich das erste Mal, dass Menschen Asgard betreten?« fragte sie Thor, während sie nebeneinander durch den Garten schritten.

»Soweit ich mich erinnere, ja. Die Asen haben Midgard oft besucht in der Vergangenheit eurer Welt, doch bisher hat noch kein Mensch einen Fuß in unser Reich gesetzt. Warum fragt Ihr?« Neugierig sah Thor zu ihr herab.

Gwen kaute nachdenklich auf ihre Unterlippe und senkte den Blick auf ihre beiden Füße, die im Gleichtakt über den knirschenden Kies gingen. Sie suchte nach den richtigen Worten, damit der Gott sie nicht für völlig verrückt hielt.

»Also…naja, also gibt es auch keine Berichte oder Erfahrungen darüber, wie sich eure Welt auf einen Menschen auswirken könnte?«

»Nein, die gibt es nicht. Aber was meint Ihr mit „auswirken?“« Thor hob fragend eine Braue und musterte sie forschend.

»Naja…also es ist so…es könnte sein, dass ich…ähm…merkwürdige Veränderungen an mir bemerkt habe, seitdem ich hier bin.« sprach Gwen dann zögerlich weiter.

Der Donnergott blieb mit ihr stehen und drehte sie so, dass sie ihn ansehen musste. Seine blauen Augen blickten nachdenklich und besorgt auf sie herab. »Was meint Ihr denn damit? Geht es Euch nicht gut? Fehlt Euch etwas, seitdem Ihr hier seid?«

Ohje, sie hätte gar nicht erst mit dem Thema anfangen sollen. »Äh, nein, das nicht gerade. Mir geht es gut.« beruhigte sie ihn.

Was sollte sie denn jetzt sagen? Von der seltsamen Sache in der Höhle konnte sie Thor auf keinen Fall erzählen. »Ich, also…naja, ich habe das Gefühl, dass Asgard irgendwie Auswirkungen auf mich hat. Als ich nach der Ankunft in meinem Zimmer war hat meine Hand plötzlich… seltsam geleuchtet und ich glaube, ich habe einem Vogel den Flügel geheilt…oh Himmel, das klingt ja völlig verrückt.« Gwen warf die Arme in die Luft, bevor sie das Gesicht in den Händen versteckte und nuschelte: »Bitte halten Sie mich jetzt nicht für verrückt.«

Thor lachte amüsiert auf. »Das tue ich nicht. Versprochen.«

Zögerlich ließ sie die Hände wieder sinken und holte tief Luft, während sie skeptisch zu dem Donnergott aufsah. Nervös zog sie sich einen Zweig aus einem nahen Strauch heran und beschäftigte ihre Finger mit dem trockenen Astwerk; die Blüten und Blätter waren wohl kränklich und bereits halb verdorrt.

Nachdenklich sah Thor auf sie herab, während sich seine Stirn furchte und er wohl ernsthaft über das Gesagte grübelte. »Von dergleichen habe ich noch nie gehört. Vielleicht sollten wir die anderen Menschen ihrer Gruppe befragen, ob denen auch etwas Ähnliches passiert ist. Leider kenne ich mich mit Magie nicht wirklich aus, doch das klingt, als könnte die magische Essenz unseres Reiches dafür verantwortlich sein. Ich kann allerdings kaum abschätzen und sagen, welche Auswirkungen Asgard wohl auf einen Menschen haben könnte. Die meisten Asen halten nicht viel von Magie. Für solche Fälle wäre mein Bruder-« Der Donnergott verstummte plötzlich im Satz und presste die Lippen aufeinander, bevor sein Blick zur Seite glitt und ihrem entwich.

Gwen wartete unsicher ein paar Augenblicke; unschlüssig, ob Thor weitersprechen würde. Doch der blieb stumm. Die Stille dehnte sich zwischen ihnen unangenehm aus.

»Für solche Fälle wäre Ihr Bruder…der Richtige?!« versuchte Gwen ihm vorsichtig auf die Sprünge zu helfen. Komisch, sie hatte seit ihrer Ankunft nichts von einem Bruder Thors gesehen. Auch auf dem Fest war ihr niemand aufgefallen, zu dem jene Beschreibung passen könnte. Und er wäre doch sicherlich auch anwesend gewesen.

»Das wäre er.« Endlich fand der Gott seine Stimme wieder. »Allerdings ist mein Bruder tot. Er wird uns nicht helfen können.« presste er erschreckend kühl hervor, bevor er sich einfach abwandte und weiter ging.

Gwen blieb für einen Augenblick völlig erstarrt zurück. Das hatte sie ja ganz hervorragend hinbekommen - gleich am ersten Abend mit Anlauf in das wohl größte Fettnäpfchen, was es gab.

Sie ließ den Zweig los und beeilte sich zu Thor aufzuschließen. »Es tut mir leid. Ich wollte wirklich kein solch trauriges Thema anschneiden. Bitte verzeihen Sie mir.« Sie hielt ihn sanft am Arm zurück und er blieb stehen.

»Schon gut. Es ist lange her…« Erneut bot er ihr seinen Arm, bevor er wieder ein zaghaftes Lächeln zeigte.

Dann führte Thor Gwen wieder in den Festsaal.

Keiner der beiden warf einen Blick zurück und so bemerkte auch niemand, wie jener bereits abgestorbene Zweig, den Gwen eben noch in den Händen gehalten hatte, zu neuem Leben erwachte; grüne Blätter reckten sich in die Höhe und eine leuchtend rote Blüte entfaltete sich unter dem Schein der funkelnden Sterne.
 


 


 

Andrew Preston war gerade auf dem Weg zurück in sein Zimmer, als er Schritte in dem stillen Gang hinter sich ausmachte. Schritte, die eilig näherkamen.

Der Agent sah über die Schulter zurück und entdeckte Dr. Feron, der ihm folgte. Er blieb stehen, bis der Arzt zu ihm aufgeschlossen hatte. »Alles in Ordnung, Doktor? Sie sehen ein wenig gehetzt aus.«

»Sie müssen mit mir kommen, Agent. Ich muss Ihnen unbedingt etwas zeigen.« Dringlichkeit sprach aus der Stimme des Doktors und sein Gesicht zeigte Aufregung. Der Arzt war sonst die Ruhe selbst. Wenn ihn etwas derart aus der Fassung brachte, musste es wirklich wichtig sein.

Andrew folgte dem Doktor zurück auf die Krankenstation, die er heute bereits schon einmal betreten hatte - mit der jungen, rothaarigen Geophysikerin an seiner Seite, die ihm viel zu eindringlich im Kopf herumspukte, als gut für ihn war.

Er sollte sich wirklich mehr auf seinen Job konzentrieren.

Dr. Feron führte Andrew in einen kleinen Nebenraum, der als Labor diente. Nur auf einem Tisch brannte noch Licht zu dieser späten Stunde und ein Mikroskop war eingeschaltet. Der Arzt deutete auf den Stuhl vor dem Tisch und Andrew setzte sich.

»Schauen Sie durch das Mikroskop, Agent.«

»Und was soll ich hier zu sehen bekommen, Doktor? Es wäre freundlich, wenn Sie mich über den Grund Ihrer Aufregung informieren würden.« Andrew lehnte sich nach vorn und stellte die Sichtschärfe des Gerätes für sich passend ein.

»Sie erinnern sich sicherlich an die junge Frau, die sie vor kurzem wegen des Schwächeanfalls hier vorbeigebracht haben. Ich habe Ihr doch Blut abgenommen. Nun…das ist ihre Blutprobe.« Der Arzt war neben dem Tisch stehen geblieben und rang ruhelos die Hände, während er den Agent beobachtete.

Andrew sah durch das Mikroskop und versteifte sich augenblicklich. »Was in Gottes Namen…?!« Er sah wieder zu dem Arzt auf, ergründete dessen Züge, suchte eine Lüge darin, bevor er wieder in das Gerät starrte. »Und es gibt keinen Zweifel? Das ist ihr Blut?«

»Ich schwöre es. Zweifel ausgeschlossen.« Der Doktor sah abwartend auf den Agent herab. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«

Andrew nahm die Augen von dem Mikroskop und ließ sich in dem Stuhl zurücksinken; verschränkte die Hände und bettete das Kinn darauf, während er das Gerät vor sich beinahe beschwörend anstarrte und nachdachte.

»Soll ich Direktor Fury informieren lassen?« fragte der Arzt sogleich vorsichtig, aber pflichtbewusst nach.

Andrew schüttelte geistesabwesend den Kopf, der Blick noch immer starr geradeaus gerichtet auf das Mikroskop. »Nein…nein, das mache ich selbst. Danke, Doktor.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  -Yuki-
2013-11-02T22:28:21+00:00 02.11.2013 23:28
Ich frage mich ganz ehrlich, wie du mit diesem Kapitel unzufrieden sein kannst, denn mir gefällt es sehr gut. Ich bin echt vernarrt in Gwen und deinen Schreibstil, sodass mir die Geschichte einfach nicht mehr aus dem Kopf geht und ich immer sehnlichst auf neue Kapitel warte, die du, sehr zu meiner Freude, regelmäßig hochladest und das auch noch in einer wünschenswerten Länge. Ich kann nur sagen: Mach so weiter und reiß mich weiterhin so mit. ;)
Antwort von:  Ceydrael
09.11.2013 10:29
Natürlich werde ich mein Bestes versuchen, um dich weiterhin so zu fesseln und mitzureißen. ;)
Ich freu mich über deine Begeisterung für meine Geschichte - das ist wirklich immer das größte Lob für einen Autor!
Ich sitze schon fleißig am nächsten Kapitel und hoffe, dass ich es bald nachschieben kann, damit die Wartezeit nicht so lang wird :)
Von:  xXGwenStacyXx
2013-10-31T01:44:13+00:00 31.10.2013 02:44
Also gleich vorneweg - wie kannst du es wagen mit dem Kapitel nicht zufrieden zu sein?! ;)
Ernsthaft, eine spannende Fortsetzung und weiterhin fantastisch geschrieben. Du schaffst es alles genau zu beschreiben ohne das es langweilig wird, im Gegenteil. Das schaffen echt nicht viele, weiter so :D
Und zum Schluss: Ich kann einfach nicht fassen dass du uns an so einer Stelle einfach hängen lässt, das ist fies ^^
Antwort von:  Ceydrael
09.11.2013 10:23
Ich weiß auch nicht, wie ich es wagen konnte! ;D manchmal hat man einfach das Gefühl, dass irgendwas fehlt oder etwas nicht richtig ist - um so besser, dass es nicht so ist! ^^
Danke, dass du meine Beschreibungen magst, ich versuche auch stets alles lebhaft und bildlich zu gestalten, damit man sich gut ins Geschehen versetzen kann.
Ich weiß, das Ende war gemein offen...aber das Kapitel war so schon recht lang und irgendwann muss man ja auch mal aufhören. Außerdem dient das auch der Spannung ;D


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