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The Poetry of Light and Shadow

Loki x OC
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich danke -Yuki- für ihren Kommentar - die Rückmeldung und das Lob haben mich sehr gefreut :)

Hoffentlich sagt euch auch dieses Kapitel zu ;) Viel Spaß damit! Komplett anzeigen

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Seltsame Zimmernachbarn

Asgard war wirklich atemberaubend.

Zumindest, wenn man die Übelkeit der Reise endlich hinter sich lassen konnte, um die überwältigende Schönheit dieses Ortes gebührend zu würdigen.

Gwen hatte von allen am meisten mit den Nachwirkungen des Bifröst zu kämpfen. Den anderen Wissenschaftlern schien diese Art des Reisens kaum etwas auszumachen; nur Gwen fühlte sich, als hätte man ihr Innerstes nach außen gekehrt, alles ordentlich durchgemischt und es dann wieder in ihre leibliche Hülle zurückgestopft. Kurzzeitig hatte sie kaum noch das Gefühl, sie selbst zu sein.

Sie war nach der Ankunft so schwach auf den Beinen gewesen, dass sie Schwierigkeiten gehabt hatte allein zu stehen und sich beinahe direkt vor die Füße des riesenhaften, dunkelhäutigen Heimdall übergeben hätte, der die Ankunft der Wissenschaftler schweigend überwachte; doch Thor hatte die Situation glücklicherweise erkannt und sie gestützt, um sie etwas abseits der Gruppe zu führen.

Ging es eigentlich noch peinlicher?! Da musste ihr der Donnergott die Haare aus dem Gesicht halten, während sie trocken an ihrem leeren Magen würgte. Zum Glück hatte sie aus Nervosität vor ihrer Reise nichts essen können.

Heimdall hatte Gwen die ganze Zeit seit ihrer Ankunft beobachtet; das unergründliche Gesicht des Wächters hart wie Stein, die dunklen Augen uralt und wissend. Sie hatte seinen bohrenden Blick förmlich im Rücken spüren können und kam sich sogleich noch elender vor.

Die restlichen Forscher hatte der allsehende Heimdall nur flüchtig mit seinem Blick gestreift, doch auf ihr war sein Fokus unbeirrbar hängengeblieben. Hoffentlich konnte er nicht in ihr Innerstes sehen und hatte damit ihre Lüge entdeckt. Wahrscheinlicher war allerdings, dass er sich insgeheim über ihr Elend wunderte und sie lieber im Auge behielt, um seine Stiefel vor ihr in Sicherheit zu wissen.

Himmel…am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.

Thor hatte die Gruppe nach Asgard hinein geführt und während die Wissenschaftler völlig begeistert am liebsten gleich über jedes Quäntchen der Regenbogenbrücke hergefallen wären und bereits vor Tatendrang und Ungeduld schier zu platzen schienen, hatte Gwen atemlos über die Schönheit dieses Ortes gestaunt.

Der Donnergott hatte sie weiterhin mit seinem kräftigen Griff gestützt und ihr immer wieder durchaus besorgte Blicke zugeworfen, doch nach und nach hatten sich ihre Beschwerden verzogen; sie war auch viel zu beschäftigt damit den Anblick, der sich ihr bot förmlich aufzusaugen.

Die Stadt der Asen wuchs wie ein vergoldeter Fels in der Brandung in den von Sternen und Galaxien überzogenen Himmel; umher schwappte das glasklare Meer an die imposanten Mauern, umspülte das Reich der Götter wie eine sanfte Liebkosung. Die Luft war rein und frisch, als hätte es gerade erst geregnet und füllte die Lungen mit Lebensgeistern, während die Strahlen der Sonne sanft wärmten und die hohen, schlanken Türme und mächtigen Bauten des Reiches in goldenem Licht erstrahlen ließen.

Der prächtige Palast des Allvaters erhob sich in der Mitte wie die glänzende Bergspitze eines gewaltigen Gipfels; unzählige Türme, Terrassen und kunstvolle Fensterbögen schmückten das Heim Odins, das sich prachtvoll über allen anderen Häusern und Palästen erhob.

Irgendetwas lag in der Luft, umschmeichelte diesen Ort wie ein unsichtbarer Atemhauch; Gwen konnte es fast schon auf der Zunge schmecken - etwas machtvolles, etwas mächtiges, was Asgard gänzlich von der Erde unterschied, als hätte dieses Reich eine Seele, welche in jedem Torbogen, jedem Fahnenwimpel, Stein und Grashalm lebte. Ein eigener Herzschlag, der tief in der Erde zu vernehmen war - wenn man nur genau hinhören würde.

Hier konnten Legenden Wirklichkeit werden, Wunder geschehen und Magie war keine Illusion von rein begabten Straßenkünstlern mehr.

Gwen konnte es sich nicht erklären, doch für einen Moment fühlte es sich wie heimkommen an als sie die Regenbogenbrücke entlang nach Asgard hinein schritt.

Ihr Geist formte das Wort „zuhause“ in ihrem Kopf und sie schüttelte jenen beharrlich, um selbigen wieder frei zu bekommen.

Was für ein Blödsinn. Wie kam sie nur auf diesen Quatsch?

Thor hatte sie alle schlussendlich dann zu ihren Unterkünften geleitet, die sich in einem kleineren Nebengebäude von Odins Palast befanden.

Nun hatten sie etwas Zeit, um sich häuslich einzurichten, bevor man sie am Abend wieder abholen und ihnen die Räumlichkeiten für ihre Forschungen zeigen wollte, ehe sie bei einem Bankett den Allvater selbst treffen sollten.

Gwens Zimmer war klein, aber sauber und ordentlich und für sie mehr als ausreichend.

Die Zimmer in diesem Gebäude waren einst für die Unterbringung von Soldaten - Kriegern - bereitgestellt worden, wie Thor ihnen erklärt hatte und so fehlte hier jeglicher Luxus. Doch das störte Gwen ganz und gar nicht. Sie hatte es gern einfach und schlicht und schon in wesentlich schlimmeren Absteigen übernachtet.

Nachdem sie sich nach der Ankunft sofort auf das schmale Bett geworfen und ein Nickerchen gehalten hatte, um ihren Schwächeanfall wieder auszugleichen, fühlte sie sich nun wesentlich frischer und fast schon wieder in Topform.

Sie konnte sich noch immer nicht erklären, warum es gerade ihr allein so schlecht bekommen war mit dem Bifröst zu reisen. Sonst war sie doch auch nicht aus Zucker.

Naja, egal. Es ging ihr ja wieder besser.

Das Einzige, was nun noch fehlte war eine heiße Dusche. Und das angekündigte Festmahl.

Langsam begann sich ihr Magen nämlich beharrlich mit einem Knurren zu melden.

Doch zuerst räumte sie ihre Klamotten in den kleinen Schrank und zog Notizbuch, ihre Kamera und das kleine Diktiergerät aus ihrer Tasche, um alles kurz auf dem Bett zwischenzulagern. Für die Dinge würde sie später noch ein sicheres Versteck suchen müssen. Dann wählte sie ein paar frische Kleider für den Abend und warf diese ebenfalls aufs Bett.

Der andere Koffer mit ihrer fingierten Forschungsausrüstung stand noch immer unangerührt neben der Tür. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah das gute Stück grübelnd an. Schlussendlich zuckte sie mit den Schultern. Sollte er da stehen bleiben. Sie konnte den Kram auch die nächsten Tage in einem der bereitgestellten Labore auspacken.

Flink schlüpfte sie dann aus ihren verschwitzten Sachen und genoss in dem winzigen, angrenzenden Badezimmer die heiß ersehnte, wohltuende Dusche.

Nachdem sie das frische Wasser ausgiebig über ihren Körper hatte perlen lassen, drehte sie das Wasser aus und wickelte sich in ein großes Handtuch ein. Mit nassen Füßen tapste sie zurück in ihr Zimmer und trocknete sich die Haare mit einem weiteren Tuch, während sie am Fenster stehen blieb und die Aussicht genoss.

Die Sonne war bereits deutlich tiefer gesunken und tauchte die Umgebung in mildes, warmes Licht. Von ihrem Zimmer aus hatte sie einen herrlichen Blick über den üppigen Garten des Palastes und einen großen Teil der Stadt sowie die angrenzenden Wälder und Gebirge. Am Horizont glitzerten die Wellen des Meeres unter dem Abendrot.

Geschäftiges Stimmengewirr und das Klappern von Hufen drang von Asgard herauf und die verschiedensten Gerüche erfüllten die Luft; Gwen fühlte sich wirklich gänzlich in eine andere Welt versetzt. Hier schein alles so ruhig und friedlich, einfach magisch.

Plötzlich landete ein kleiner, brauner Vogel von einem Baum auf dem Fenstersims vor ihr und hüpfte dort auf zierlichen Beinchen umher, während er sie mit dunklen Knopfaugen fixierte und ein leises Piepen von sich gab.

Gwen wagte sich kaum zu bewegen, um den kleinen Kerl nicht zu verschrecken.

Doch der Vogel schien gar keine Angst zu haben. Er flatterte mit den Flügeln, als wollte er ihre Aufmerksamkeit erregen und sah sie noch immer unverwandt an. Ihr fiel auf, dass einer seiner Flügel in einem seltsamen Winkel abstand und er ihn scheinbar nicht richtig bewegen konnte.

»Hey Kleiner, hast du dir den Flügel verletzt? Du armer Kerl.« Sie warf das Handtuch, mit dem sie sich eben noch die Haare getrocknet hatte über einen Stuhl und streckte die Hand ganz langsam nach dem Vogel aus. »Lass mich mal sehen.« Allerdings rechnete sie damit, dass er jeden Augenblick davon hüpfen würde.

Doch der Vogel blieb. Und ließ ihre Hand sogar soweit heran, dass sie ihn berühren konnte.

Nun gut, vielleicht waren die Tiere hier einfach zutraulicher. Das sollte sie nicht weiter verwundern.

Obwohl sie nicht viel von Tierheilkunde verstand, tastete sie doch seinen Flügel vorsichtig ab und erfühlte eine Bruchstelle in einem der hauchdünnen Knochen.

Sie seufzte und sah den Vogel mitleidig an, während sie ihm mit dem Zeigefinger den kleinen Kopf kraulte.

Der Arme. Mit solch einem gebrochenen Flügel würde er sicher nicht lang überleben.

Der Vogel fiepte sie kläglich an, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

»Tut mir leid, mein Kleiner, aber da kann ich dir leider nicht helfen.« sprach sie leise und bedauernd, fühlte sogleich Trauer um das Schicksal des Vogel. Er legte den Kopf schief, sah sie beinahe eindringlich an und drückte sich wieder gegen ihre Hand. In seinen winzigen Augen lag eine unaussprechliche Bitte neben einer Intelligenz, die Gwen verwundert blinzeln ließ.

In ihr erwachte ein seltsamer Drang zu helfen; ein unwiderstehliches Ziehen, welches sie die Hand erneut ausstrecken ließ.

»Na schön, ich sehe es mir noch einmal an, okay?« Erneut befühlte sie den Flügel des Vogels, auch wenn sie nicht wusste, was das schlussendlich bringen sollte.

Abermals ertastete sie die gebrochene Stelle und schloss die Augen. Sie wünschte sich wirklich, sie könnte dem kleinen Kerl helfen und damit wahrscheinlich sein Leben retten.

Sie verspürte plötzlich ein Kribbeln in den Fingerspitzen und…wie sich die hauchzarten Knochen unter ihrer Berührung bewegten.

Gwen riss die Augen auf sah ihre Hand in einem seltsamen Schimmer glühen. Erschrocken zog sie die Hand zurück und starrte entgeistert auf ihre Finger. Ihre Haut schien von innen heraus zu leuchten. »Oh mein Gott…« keuchte sie entsetzt, während das Licht bereits zu verblassen begann und im nächsten Moment ganz verschwunden war. Gwen drehte ihre Hand hin und her, doch sie sah wieder völlig normal aus. Kein seltsamer Schimmer, kein Licht unter ihrer Haut.

Der Vogel indes streckte die Flügel auf dem Fenstersims aus und piepte glücklich, dann schien es, als würde er sich in ihre Richtung verbeugen, bevor er ein paar Mal probeweise mit seinen wieder völlig intakten Schwingen schlug und in das Licht der untergehenden Sonne davon flog.

»Was zur Hölle…war das denn?« Wurde sie jetzt verrückt? Das hatte sie sich doch eben nicht nur eingebildet.

Sie rieb sich die Augen, blinzelte ein paar Mal und schlug sich probeweise einmal leicht gegen den Arm, nur um ganz sicher zu gehen, dass sie nicht noch schlief.

Okay, ganz ruhig. Sie fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und holte tief Luft.

Wahrscheinlich gab es für das alles eine logische Erklärung. Vielleicht hatte dieser Ort nicht nur Auswirkungen auf die Tiere hier, sondern auch auf sie.

Möglicherweise sollte sie an einem Ort wie Asgard gar nichts seltsam finden.

Sie musste sich bei Gelegenheit einmal mit den Wissenschaftlern ihrer Gruppe unterhalten. Womöglich hatte ja noch jemand anders fremdartige Veränderungen an sich festgestellt.

Erneut hob sie die Hand vors Gesicht und starrte ihre Finger beschwörend an. Nichts.

Keine Flammen, keine Energiekugeln, keine Blitze.

Obwohl sie sich sogleich ziemlich lächerlich dabei vorkam, streckte sie die Hand aus und konzentrierte sich auf das Bücherregal an der Wand ihres Zimmers; stellte sich vor, eines der Bücher zu bewegen.

Wieder nichts.

»Was hast du erwartet, Gwendolyn Lewis - das du der neue Houdini wirst?« Mit einem Kopfschütteln ließ sie die Hand sinken und lachte über sich selbst. »Absolut lächerlich.«

Natürlich besaß sie nicht plötzlich magische Kräfte, nur weil sie sich in einem magischen Reich wie Asgard aufhielt. Und das war auch ganz gut so. Sie wollte nicht anfangen an ihrem Verstand zweifeln zu müssen.

Sie war immer noch stinknormal.

Und so entschied sie sich den Vorfall einfach zu vergessen und machte sich für den Abend fertig, indem sie in das schlichte grüne Kleid schlüpfte, das bereits auf ihrem Bett bereit lag und gut zu ihren kupferroten Haaren passen würde - zumindest war Ashlyn dieser Meinung. Ein paar einfache flache Schuhe rundeten das Bild ab.

Gwen machte sich gerade daran, ihre noch feuchten Haare mit der Bürste zu bändigen, als ein Klang an ihr Ohr drang, den sie im ersten Moment gar nicht einordnen konnte. Sie hielt inne und lauschte.

Von draußen drangen noch immer die fernen Stimmen zum Fenster herein, ebenso wie das Zwitschern der Vögel und das leise Rauschen des Windes in den Wipfeln. Auf dem Gang vor ihrem Zimmer vernahm sie ein leises Gespräch.

Nein, das war es nicht was sie gehört hatte.

Sie runzelte die Stirn angestrengt und spitzte die Ohren erneut.

Und da vernahm sie es wieder. Unter all den Geräuschen hörte sie eine Stimme heraus. Jemand sang da irgendwo.

Es war ein Mann mit der Stimme eines Engels.

Das Lied war kaum zu vernehmen, drang nur seltsam gedämpft an ihr Ohr und berührte dennoch sofort ihr Herz auf seltsame Art und Weise.

Die fernen Töne drangen zu Gwen heran, perlten in der Luft wie zarte Wassertropfen auf der stillen Oberfläche eines Sees und wanden sich einnehmend und bezaubernd um ihren Geist.

Obwohl sie die Worte nicht verstand, da sie in einer ihr unbekannten Sprache gesungen wurden, war die Bedeutung hinter den betörenden Klängen doch deutlich. Unendlich traurig klang das Lied dieser wundervollen Stimme, verzweifelt und von solchem Schmerz beseelt, dass ihr ungewollt die Tränen in die Augen stiegen.

Sie legte den Kopf auf die Seite und ließ die Bürste sinken, um die Quelle dieser anmutigen Töne ausfindig zu machen.

Völlig gebannt begann sie ihr Zimmer abzuschreiten, die Ohren auf jedes Geräusch lauschend. Als sie an dem Bücherregal ankam hatte sie das Gefühl, dass die Stimme deutlicher werden würde.

Sie drückte ihr Ohr an die Wand daneben und tatsächlich…irgendwo dahinter musste der unbekannte Sänger sein.

Ihre Neugier war geweckt. Sie war völlig gefesselt von dieser Stimme und konnte dem Drang einfach nicht wiederstehen, diesem Lied auf den Grund zu gehen.

Da sie wusste, dass neben ihrem Zimmer kein weiteres lag, tastete sie das Holz nach irgendeinem versteckten Mechanismus ab; womöglich gab es ja eine Geheimtür. Sie konnte jedoch nichts finden. Frustriert stieß sie die Luft aus und ließ sich gegen das Regal sinken.

Dieses gab überraschend unter ihrem Gewicht nach und verschob sich mit einem Knirschen, um tatsächlich einen finsteren Durchgang freizugeben, der dahinter zum Vorschein kam.

Gwen hielt gerade noch ihr Gleichgewicht und spähte in das pechschwarze Loch, welches sich da offenbart hatte. Die gesichtslose Stimme war nun bereits viel deutlicher zu vernehmen.

Na sieh mal einer an…Offenbar gab es hier tatsächlich so einiges zu entdecken.

Flink schnappte sich Gwen eine kleine Taschenlampe aus ihrem Reisegepäck und leuchtete damit in den düsteren Gang. Der Lichtkegel erhellte ein paar Spinnweben und felsigen Boden, bevor er sich in der Dunkelheit verlor.

Sie holte tief Luft, dann schritt sie entschlossen in die Dunkelheit und folgte den Klängen der fremden Stimme, welche sie durch die Finsternis leitete und wie eine Motte zum Licht zog.

Langsam tastete sie sich voran und hatte zunehmend das Gefühl abwärts zu gehen. Hin und wieder sah sie sich um, doch das Licht aus ihrem Zimmer war bereits lang hinter ihr verblasst.

Nach einigen weiteren Metern stieß sie auf eine massive Felswand. Schluss. Der Gang war hier zu Ende.

Systematisch begann sie den Felsen vor sich mit der Taschenlampe abzuleuchten und folgte dem Kegel des Lichtes mit ihren Fingern. Irgendwo musste es hier doch eine Art Mechanismus geben. Dieser Weg musste ja schließlich auch ein Ziel haben.

Das Lied verstummte und sie lauschte nun einzig und allein ihrem Atem in der schwülen Düsternis des Ganges.

Sie stieß ein kleines, triumphierendes Lachen aus, als ihre Finger einen gut versteckten Knopf entdeckten, der sich kaum vom restlichen Felsen abhob. »Bingo.« wisperte sie und drückte den lockeren Stein.

Mit einem dumpfen Knirschen bewegte sich die Felswand zur Seite und gab den Weg frei.

Gwen wurde erst jetzt bewusst, dass sie vielleicht nicht so gutgläubig hier herunter hätte kommen sollen; sie wusste überhaupt nicht was sie erwarten würde. Zumindest eine passende Ausrede hätte sie sich zurechtlegen können.

Direktor Furys Worte kamen ihr wieder in den Sinn. Nun, genaugenommen bewegte sie sich ja nicht unerlaubt hier - immerhin hatte es ja auch niemand so direkt verboten.

Das war zwar ihre ganz eigene, freie Auslegung dieses Verbotes, doch als Journalistin lernte man frühzeitig, dass man nach Lücken in Worten und Gesetzen suchen musste.

Vorsichtig spähte sie aus der Dunkelheit und entdeckte eine Art von Fackeln erleuchtete Höhle, in welcher der Gang endete.

An einer Seite war eine goldene, geschlossene Tür in den Felsen eingelassen und in der Mitte befand sich eine Art Raum mit gläsernen Wänden und steinernen Ecksäulen.

Es war völlig still. Und niemand war hier - weder in der Höhle, noch in diesem seltsamen Glasraum, dessen Wände ab und an ein flüchtiges Schimmern überlief, als würden sie einen eigenen Herzschlag besitzen.

Noch einmal sah sich Gwen nach allen Seiten um und lauschte einen Augenblick mit angehaltenem Atem, doch als sie nichts vernahm, wagte sie sich auf leisen Sohlen hinter der Felsentür hervor.

Angezogen wurde ihre Aufmerksamkeit noch immer von diesem seltsamen Raum aus Glas in der Mitte. Vorsichtig ging sie darauf zu.

Und mit Raum hatte sie wirklich offenbar gar nicht so falsch gelegen; wie eine Art Zimmer wirkte das Gebilde.

Hinter den Glaswänden konnte sie nun ein schlichtes Bett erkennen, dessen Laken zerwühlt waren, als wäre eben jemand aus ihnen gestiegen; ebenso sah sie einen reich verzierten Tisch, auf dessen Platte sie einen Teller mit Speisen ausmachen konnte, der jedoch unberührt schien. In einer Ecke des Raumes stand ein opulenter Sessel und daneben ein kleiner Beistelltisch auf zierlichen Beinen, auf dem sich einige Bücher stapelten. Das Oberste lag aufgeschlagen, als hätte hier eben noch jemand gelesen.

Sie runzelte die Stirn und sah sich abermals in der Höhle um, bevor sie den Raum in der Mitte einmal umrundete und gründlich in Augenschein nahm.

Nichts.

Hier war niemand.

Das konnte doch nicht sein. Sie hatte doch diese Stimme gehört und sie war sich ziemlich sicher, dass sie von hier gekommen war. Sollte der unbekannte Sänger bereits so schnell verschwunden sein?

»Mist.« stieß sie frustriert aus und seufzte. Offenbar war sie wirklich zu spät gekommen.

Wahrscheinlich sollte sie sich eh auf den Weg zurück machen. Garantiert würde man sie bald abholen wollen und sie konnte nicht riskieren, dass man in ihrem Zimmer diesen geöffneten Geheimgang vorfinden würde; ganz zu schweigen von ihren persönlichen Arbeitsutensilien, die offen auf ihrem Bett lagen, weil sie vergessen hatte, diese zu verstecken. Dann wäre ihr Aufenthalt in Asgard gewiss schneller vorbei als ihr lieb war.

Sie wollte sich gerade abwenden, als die gläsernen Wände erneut ihre Aufmerksamkeit erregten; wieder überlief die Oberfläche ein funkelndes Schimmern von einer Seite des Raumes zur anderen und Gwen vernahm ein seichtes Summen, als wäre eine Menge Energie in Bewegung.

Fasziniert trat sie näher heran und inspizierte das Glas etwas genauer. Tatsächlich befanden sich in der Scheibe vor ihrer Nase eine Art magische Leitungen; filigrane glänzende Linien, in denen eine schimmernde Flüssigkeit floss, die mal mehr und mal weniger in einem beständigen Rhythmus aufleuchtete und somit das wellengleiche Flimmern erzeugte, dass regelmäßig über die Oberfläche rollte.

Interessiert tippte sie mit dem Zeigfinger leicht gegen die Scheibe und sofort begann sich die leuchtende Flüssigkeit um ihre Fingerspitze zu verdichten und intensiver zu strahlen, als würde das Glas auf ihre Berührung reagieren.

Gwen zog den Finger rasch zurück und rieb die kribbelnde Haut abwesend an dem Stoff ihres Kleides, während sie erneut mit gefurchter Stirn in den Raum hinter dem Glas blickte.

Das musste so eine Art Gefängnis oder Arrestzelle sein, vermutete sie. Sie hatte keine Tür oder sonstigen Durchgang im Glas entdeckt. Wahrscheinlich öffneten die Asen ihre Gefängnisse auch auf ganz andere Weise.

Aber für wen oder was war die Zelle gedacht? Der Insasse schien zumindest ausgeflogen oder gerade nicht da zu sein. Doch irgendjemand musste vor kurzem noch in diesem Zimmer gewesen sein, davon zeugte zumindest das unangerührte Essen auf dem Tisch.

Gwen begann sich unwohl zu fühlen. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und ein Frösteln lief ihren Rücken herab.

Sie war hier nicht allein.

Unruhig sah sie über ihre Schulter. In der Höhle war noch immer niemand. Doch sie wurde das Gefühl nicht los beobachtet zu werden.

Als sie sich wieder umwandte, blickte sie plötzlich in die unglaublichsten grünen Augen, die sie jemals gesehen hatte und die sie mit einem solch intensiven Blick fesselten, dass ihr der Atem stockte.
 

Er wusste bereits schon nicht mehr, welcher Tag gerade war; ganz zu schweigen von der Tageszeit - war es Nacht? War es Tag?

Hier unten verlor die Zeit jegliche bekannte Bedeutung. Sie quälte nur noch verzehrend seinen Geist und war Folter allein durch ihr zähes Dahinscheiden.

Wie lang war er hier schon eingesperrt? Tage? Monate? Jahre? Äonen?

Anfangs hatte er die Zeit noch an den Besuchen jenes Mädchens errechnet, die ihm täglich einmal etwas zu essen brachte. Doch schon seit einer ganzen Weile hatte er das aufgegeben. Kam sie überhaupt noch, um ihm seine Mahlzeit zu bringen? Er war sich nicht sicher.

Odin hatte ihn in all der Zeit hier unten nie besucht.

Ebenso wenig Thor.

Auch Frigga war nie aufgetaucht.

Noch nicht einmal Thors Freunde hatten sich je wieder sehen lassen seit diesem einen Besuch vor so vielen Monden.

Wie hätten sie alle ihre Verachtung auch wirkungsvoller ausdrücken können, ihm noch direkter verdeutlichen, dass er nicht zu ihnen gehörte - es nie wieder würde und es noch nie getan hatte.

Diese Erkenntnis schmerzte. Noch immer.

Die Tage waren ein Dahinsiechen in einem trägen Dämmerzustand; Wirklichkeit und Traum vermischten sich immer mehr, bis er die Grenzen kaum noch auseinander halten konnte.

In einem Augenblick fühlte er sich zurückversetzt in seine Vergangenheit, seine Kindheit; rannte mit Thor lachend dem Schein der aufgehenden Sonne entgegen, ein Wettstreit unter Brüdern, beaufsichtigt von ihrem Vater, der hoch zu Pferd auf sie achtgab.

Unter dem nächsten trägen Herzschlag wechselte das Bild; zeigte ihm erneut den Tag seiner Gefangennahme und Rückkehr nach Asgard. Gefesselt und stumm wurde er unter dem gnadenlos kühlen Gesicht Odins und den Tränen seiner Mutter Frigga in die Verdammung geführt. Von seinem eigenen Bruder.

Mit dem nächsten Herzschlag zerstob das Bild in der Finsternis.

Wann hatte er das letzte Mal gegessen? Er konnte sich nicht erinnern.

Der Hunger nagte an ihm und doch war ihm das Verlangen nach Nahrung so fremd wie das Licht der Sonne, welches seine Augen so lang schon nicht mehr erblickt hatten.

Sein Geist begann zu zerfallen, sein Verstand sich zu zersetzen. Es war ein schleichender Prozess - wie Gift, das sich Tropfen für Tropfen durch die Venen fraß; langsam, aber unaufhaltbar.

Loki wusste das.

Es passierte genauso wie er es selbst vorausgesagt hatte.

Schlussendlich würden sie wohl doch alle ihren Willen bekommen und ihn brechen.

Schlussendlich hätte er doch versagt. Nichts erreicht.

Schlussendlich würde er zu einem kümmerlichen Rest seiner selbst zusammenschrumpfen, bis nichts mehr von ihm bliebe als der Wahnsinn allein.

Verspürte er da Angst vor der kriechenden Finsternis, die sich in seinem Kopf ausbreitete? Ja, es war tatsächlich Angst.

Ein seltsames, ein unbekanntes Gefühl, welches seine Lungen in eine eisige Faust schloss und den Atem aus ihm presste, während die Dunkelheit über ihn kroch und ihn langsam einhüllte.

Doch durch all diese Schatten stach plötzlich ein Lichtschimmer. So sanft und so warm, dass er sein Haupt unwillkürlich der unbekannten Quelle zuwandte, während zarte Strahlen über sein Gesicht streiften und die Dunkelheit vertrieben. Diese zog sich zwar für den Moment geschlagen zurück, doch war sie nicht gänzlich verschwunden - sie würde weiterhin in den Schatten seines Seins verharren und lauern.

Der Geruch des Frühlings, der Hauch erwachenden Lebens drang in seine Nase und fuhr wie Thors Hammer in seine müden Glieder, erweckte seinen Geist heftig und ließ sein Herz drängend gegen sein Brustbein trommeln. Er fühlte sich, als hätte man ihn plötzlich an eine unerschöpfliche, magische Energiequelle angeschlossen.

Loki riss die Augen auf und blinzelte im ersten Moment mit verengtem Sichtfeld gegen einen unendlich hellen Lichtschein, sodass er tatsächlich bereits glaubte, die Sonne zu erblicken.

Doch schon im nächsten Augenblick zog sich das Licht zurück und sein Blick klärte sich; er wischte sich über die Augen, um die Schlieren seiner Sicht zu vertreiben und entdeckte eine Frau.

Irritiert zog er die Stirn in Falten und veränderte seine Position auf dem Bett so, dass er sie besser beobachten konnte, während er eine Illusion über seine Gestalt legte und somit für sie unsichtbar wurde.

Es war ungewohnt, die Magie in seinen Adern wieder zu nutzen, nachdem er so lang kaum Gebrauch von ihr gemacht hatte. Das Kribbeln unter der Haut war vertraut und er begrüßte das Gefühl wie einen altbekannten Freund.

Die Frau stieg gerade vorsichtig aus einem Loch in der Felsenwand und sah sich neugierig in der Höhle um. Ihre Kleidung war fremdartig, genau wie ihre Erscheinung und Gestalt selbst. Sie war keine Asin.

Wie kam sie hier herein? Und was wollte sie hier?

Loki ließ sich unsichtbar für die Augen der Fremden vom Bett gleiten und trat an die Scheibe seines Gefängnisses heran, um sie besser in Augenschein nehmen zu können. Sie inspizierte gerade seine Zelle, dann runzelte sie die Stirn und sah sich erneut in der umgebenden Höhle um, bevor sie sein Gefängnis rasch umrundete, als würde sie etwas suchen oder hätte etwas erwartet, was nun nicht hier war.

»Mist.« hörte er sie frustriert seufzen. Er schloss die Augen, hing dem Klang ihrer Stimme nach, die ganz tief in ihm etwas zum Klingen brachte, was er schon gänzlich verloren gewähnt hatte.

Ein Funke Sehnsucht, begierig nach dem Leben.

Begierig nach der Stimme eines anderen. Nach Konversation und Gedankenaustausch.

Die fremde Frau trat näher an das Glas heran, sah direkt durch ihn hindurch, während er seinerseits die wenigen Schritte bis zur Wand überbrückte und vor ihr stehen blieb.

Sie war kleiner, zierlicher als die Frauen Asgards, doch wirkte sie nicht zerbrechlich. Ihr Kinn hatte einen entschlossenen Schwung, genau wie die Bögen ihrer Brauen und die gerade Linie ihrer Nase. Ihre Haut war recht hell, ohne dabei kränklich blass auszusehen und ihr Haar von einem interessanten Rotton, als hätten sich Sonnenlicht und Flammen zu einer Woge aus glänzenden Wellen vereint. Es war feucht, als wäre sie eben erst aus der Dusche gestiegen und kräuselte sich um ihr herzförmiges Gesicht.

Ihre Augen leuchteten in einem blassen Grauton, welcher fast an geschmolzenes Silber erinnerte.

Fasziniert stieß sie eben ihren Zeigfinger gegen die Wand seiner Zelle und löste damit eine Reaktion aus, die er nicht erwartet hätte.

Die Magie in den Grenzen seines Gefängnisses sammelte sich um ihren Finger, als wäre sie völlig begierig darauf, von ihr berührt zu werden; als wäre die Frau ein Magnet, der jegliche Energie anzog und bündelte.

Dergleichen hatte er noch nie gesehen.

Loki verengte seinen Blick argwöhnisch. Irgendetwas an ihr war seltsam - faszinierend seltsam.

Er konnte nicht genau benennen, was es war, doch an ihrer Erscheinung stimmte etwas nicht.

Sie war zu rein, einfach zu perfekt; ihre Aura ein vollkommener Funken Sonnenlicht, als hätte sich jemand besonders viel Mühe gegeben, hinter dem Bild von scheinbar beispielloser Unauffälligkeit etwas zu verbergen.

Viel zu schnell nahm sie den Finger von dem Glas und rieb ihn am Stoff ihres grünen Kleides, während sich ihr Blick veränderte.

Loki konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn zu arbeiten begann, die plötzlich von nachdenklichen Falten gekennzeichnet war. Ihre Augen wurden unruhiger, ihre Haltung wachsam, als würde sie jeden Moment einen Angriff erwarten.

Er erkannte, dass sie seinen Blick spürte. Sie konnte seine Anwesenheit fühlen und wusste, dass sie hier nicht allein war.

Interessant. Bisher hatte niemand seine Täuschungen je durchschaut, nicht einmal der allsehende Heimdall.

Als sie nervös über ihre Schulter sah, ließ er seine Illusion wie einen Mantel von sich fallen und enthüllte seine Gestalt.

Sie drehte den Kopf und die grauen Augen begegneten seinem Blick, weiteten sich überrascht, sodass er die goldenen Sprenkel in ihrer Iris erkennen konnte.
 

Gwen sah in diese fremden, faszinierenden Augen auf und konnte sich kaum von diesem Blick losreißen, der direkt bis in ihre Seele zu gelangen schien.

Himmel Herr Gott…was für wahnsinnige Augen. Noch niemals hatte sie in solch einzigartige Augen gesehen. Dessen war sie sich sicher.

In dem intensiven Grün der Iris schienen Sterne zu schwimmen, während die schwarzen, klaren Pupillen von so vielen Emotionen angefüllt waren, dass beinahe eine Art Feuerwerk an Licht und Schatten in ihnen wirbelte.

Das Gesicht des auf einmal erschienenen Mannes dagegen war so scharf geschnitten wie ein Fels und ebenso hart und ausdruckslos.

Flüchtig huschte ein Bild durch ihren Kopf und sie meinte ihn irgendwoher zu kennen, doch dieser Gedanke verschwand so schnell wie er gekommen war.

Wie hatte er so rasch auftauchen können? Und wo war er nur so plötzlich hergekommen? Sie war sich völlig sicher, dass er eben noch nicht dagewesen war und er konnte sich doch unmöglich in diesem Glaskasten vor ihr versteckt haben.

Regungslos sah er auf sie herab, da er sie mindestens um einen Kopf überragte, während sie kaum zu atmen wagte und ihn noch immer unverhohlen anstarrte.

Seine Gesichtszüge waren hoheitlich edel und von erhabenem Schwung, gutaussehend, obwohl das Bild getrübt war; seine Wangen wirkten eine Spur zu eingefallen, die Wangenknochen einen Tick zu scharfkantig, seine helle Haut einen Ton zu blass. Die schmalen Lippen waren eine dünne ausdruckslose Linie unter einer geraden Nase, das schmale Gesicht umrahmt von schwarzem, glattem Haar, das bis über seine Schultern reichte.

Alles an seiner Gestalt strahlte Verbissenheit und Stolz aus; das Kinn würdevoll gereckt, die schmalen Brauen leicht über die stechenden Falkenaugen erhoben, als wäre es in seinem Blut verankert, sich über andere zu erheben und auf diese herabzublicken.

Normalerweise konnte Gwen genau diese Art Menschen überhaupt nicht ausstehen. Sie verachtete sie. Verabscheute Arroganz.

Doch bei ihm war es irgendwie anders. Irgendetwas an ihm sprach sie an.

Und auf seltsame Art und Weise baute sich eine Verbindung zwischen ihnen in diesem Augenblick auf; Gwen konnte es nicht benennen, doch es war fast so, als würde sie einen Blick durch eine angelehnte Tür erhaschen und auf ihr Schicksal sehen.

Nur der Wimpernschlag eines Momentes, kaum einen Herzschlag andauernd, in dem sich ihre Sicht seltsam zu klären schien wie ein Vorgang, der beiseite gezogen wurde und sie auf seine Qual sehen ließ; in den eingegrabenen Zügen seines Gesichtes, der verbitterten Linie seiner Lippen und den Tiefen seiner leuchtenden Augen, die mehr als alles sonst ein Tor zur Seele darstellten - und seine Seele litt.

Sie konnte es fast körperlich spüren, fühlte die nagende Verzweiflung unter ihre Haut kriechen und Hoffnungslosigkeit durch ihre Eingeweide rollen. Ein lähmender, eisiger Griff drückte sich um ihr Herz und presste ihr das Leben aus dem Leib.

Er hatte gesungen. Dieser Mann war die Quelle des Liedes, das sie gehört hatte.

Sie war sich nicht klar darüber, woher sie diese Überzeugung nahm. Sie wusste es einfach. Seine Augen verrieten ihn.

Unwillkürlich hatte sie eine Hand gehoben und jene auf Höhe seines Gesichtes gegen die Scheibe gepresst, dem absurden Drang folgend, ihn unbedingt berühren zu müssen; sofort schoss das Kribbeln wieder in ihre Fingerspitzen, doch sie spürte es kaum, war noch immer gefesselt von seinem Anblick und diesem seltsamen Band, das zwischen ihnen zu bestehen schien und selbst durch das Glas nicht aufzuhalten war.

Sein Blick löste sich von ihrem und wanderte zu ihrer Handfläche, die sich gegen die Scheibe drückte. Seine Brauen senkten sich argwöhnisch, sodass eine steile Falte zwischen ihnen auf seiner glatten Stirn entstand, während er ihre Hand und das magische Leuchten um ihre Fingerspitzen musterte, welches sich erneut verdichtete.

Und dann hob er plötzlich seine Hand und legte sie ebenfalls auf das Glas, genau über Gwens.

Wie in Zeitlupe fielen die nächsten Augenblicke im Stundenglas der Zeit, als sich die Magie um Gwens Hand ballte und beinahe so hell zu leuchten begann, dass sie nur blinzelnd noch etwas erkennen konnte.

Doch dafür spürte sie umso mehr - denn das Glas löste sich unter ihrer Hand auf, zog sich zurück wie das Meer bei Ebbe und ließ ihre Handfläche auf die des Fremden treffen.

Ihre Fingerspitzen berührten sich warm, die Handflächen verbanden sich mühelos, als wären sie füreinander erschaffen; die Berührung selbst beinahe wie ein magischer Stromschlag.

Gwen keuchte überrascht auf und ihr Blick schnellte von ihren beiden Händen zurück zu seinem Gesicht, dass sie über das andauernde Leuchten nur blinzelnd erkennen konnte. Fassungslos starrte sie ihn erneut an und endlich zeigte sich auch in seinem Gesicht eine Regung - völlige Ungläubigkeit.
 

Eigentlich wusste er nicht, was er sich dabei gedacht hatte, als er sich ihr zeigte.

Sie versprach eine Unterbrechung in dem monotonen Fluss der Zeit hier unten und wenn man in jenem einmal gefangen war, so hieß man jede Abwechslung willkommen.

Er wusste auch nicht, was er von ihr erwartet hatte.

Vielleicht, dass sie überrascht zurückschrecken würde, wenn sie ihn erblickte.

Vielleicht, dass sie einfach wieder verschwinden würde, nichts weiter als ein Produkt seines unausgelasteten Geistes.

Vielleicht, dass sie eine Waffe aus den Falten ihres Kleides ziehen würde - eine Meuchelmörderin, geschickt von seinen vielen „Freunden“, die sich des Schmutzes in den Verliesen Asgards endlich entledigen wollten.

Sicherlich hätte er vieles erwartet, doch ganz bestimmt nicht, dass sie ihn einfach schweigend anstarren würde.

Ein schweigendes Gegenüber war schwer einzuschätzen. Durch Worte, Stimmlage, Gestik und Mimik war es für einen Meister der Täuschung wie ihn kaum eine nennenswerte Schwierigkeit, die Wahrheit und das Wesen hinter einer Person zu erkennen.

Doch diese Frau war ihm ein schlichtes Rätsel.

Ihr Blick war eindringlich und unerschrocken, beinahe fasziniert auf ihn gerichtet; ein intensives Mustern, unter welchem er tatsächlich den Anflug von Unbehagen verspürte, denn ihre Augen glichen auf seltsame Art und Weise beinahe jenen Heimdalls. Loki fühlte sich unter ihrem Blick für einen Atemzug schutzlos entblößt, als hätte sie jegliche Mauern und Masken herabgerissen und könnte sehen, was dahinter lag.

Und diese Vorstellung war äußerst verstörend.

Niemals sollte es irgendjemanden gelingen, sein Innerstes zu erblicken, denn das hätte ihn angreifbar gemacht. Emotionen waren eine Schwäche, die er sich nicht zugestehen wollte - schon gar nicht vor anderen. Sie waren Hindernisse, Steine auf dem Weg zum Ziel, Anlass für schwachsinnige Taten und Angriffsfläche für seine Feinde.

Ein Arsenal von stets wechselnden Masken war seine beste Waffe. Schon immer gewesen.

Der Blick der Fremden veränderte sich. Wo zuvor so etwas wie Interesse und Faszination gelegen hatte, trat nun Mitgefühl an jene Stelle.

Nicht jene Art Mitleides, was einen schwach und unfähig zurückließ und Loki anwiderte - nein, sie sah für einen Augenblick wirklich so aus, als könnte sie seine verletzte Seele förmlich spüren und seinen Schmerz nachempfinden, ohne das Worte dafür von Nöten waren.

Einen winzigen Moment lang, der sich in dem Schweigen zwischen ihnen zu Äonen dehnte, bestand eine Verbindung zwischen ihm und der Unbekannten; Loki konnte diese Empfindung weder benennen, noch konnte er sie sich erklären.

Er kannte diese Frau nicht, hatte sie noch nie gesehen. Und doch…das leise Flüstern einer Ahnung drang in seine Seele und kündete ihm von Schicksal. Etwas, worüber er normalerweise amüsiert lachen würde. Normalerweise…

Wer war sie nur?

Die Unbekannte hob eine Hand und presste jene beinahe sehnsüchtig gegen die Scheibe in Höhe seiner Wange, als würde sie den Drang verspüren ihn zu berühren.

Argwöhnisch blickte er auf ihre Hand, bevor er sie wieder ansah. Sein Misstrauen allem und jedem gegenüber blieb nicht schweigsam.

Was bezweckte sie? Was waren ihre Beweggründe? Warum war sie hier? Hatten sich Thor und der Allvater eine neue Bestrafung für ihn ausgedacht; ihm diesen hübschen Lockvogel geschickt, um seinen Geist weiter zu verwirren und zu foltern?

Erneut sammelte sich die Magie der Zellenwände um ihre Finger, was Lokis Aufmerksamkeit abermals auf sich zog und sein Interesse weckte.

Er musste einfach hinter ihr Geheimnis kommen. Und damit hob er die Hand ebenso und legte sie sachte auf das Glas genau über ihre.

Die nächsten Augenblicke vergingen gedehnt; die Zeit stand fast still, doch dafür konnte er jede Empfindung plötzlich überdeutlich wahrnehmen.

Das Glühen der Magie verstärkte sich, bis ihrer beiden Hände kaum noch zu erkennen waren. Das Glas unter seiner Haut erwärmte sich, bis es sich plötzlich einfach auflöste. Knisternd zog sich die Barrikade zurück und von einem Augenblick auf den anderen war jene Grenze verschwunden, die ihn so lang von der Außenwelt getrennt hatte. Unvermittelt traf seine Hand auf die Haut der Fremden.

Die Berührung schoss wie ein Stromschlag durch seine Finger und war beinahe ein Schock; so lang schon hatte er die Nähe eines anderen nicht mehr gespürt, weder Berührungen ausgetauscht noch empfangen, sodass ihm gar nicht bewusst gewesen war, dass er diese kurzzeitigen körperlichen Verbindungen vermisst hatte - sei es nur ein Händedruck oder das stolze, schwere Gewicht einer Hand auf der eigenen Schulter.

Wie war das möglich? Wie hatte sie das geschafft?

Allein Odin besaß einen Schlüssel, mit dem man die Zelle öffnen konnte; jenes Artefakt führte einer der Wächter mit sich, die das Mädchen begleiteten, welches seine tägliche Mahlzeit brachte.

Ungläubig traf sein Blick den der Frau über das Leuchten. Sie schien genauso verwirrt und überrascht wie er, als hätte sie das selbst nicht erwartet. Und Loki konnte sehen, dass diese Reaktion nicht gespielt war.

Midgards Hauch drang durch die Öffnung; ihr haftete der Geruch der Erde an. Sie kam also von diesem mickrigen Planeten, den zu erobern ihm nicht gelungen war. Erinnerungen seines Feldzuges stürmten auf ihn ein, blasse Momentaufnahmen von Gesichtern und Orten, die in der Vergangenheit lagen.

Sie war also ein Mensch.

Allerdings…wie konnte sie nach Asgard gelangen? Und was wollte sie hier? Rache für ihre Welt?

»Wer seid Ihr?« richtete er das Wort an die Frau, fixierte sie mit seinem Blick, der sicher nicht halb so eindringlich gelang, wie er es beabsichtigt hatte.
 

»Wer seid Ihr?« fragte der Mann raunend. Seine Stimme klang dunkel und kratzig, als hätte er sie lang nicht mehr benutzt. Sein Blick war fordernd, als wäre er es gewohnt, dass man ihm sofort antwortete.

Und doch flackerte über seine gebieterischen Züge immer wieder Überraschung und Ratlosigkeit, was seinem harten Gesicht ein wenig der Schärfe nahm.

Vielleicht hätte Gwen nicht antworten sollen, doch die befehlende Nachdrücklichkeit in der Stimme des Mannes ging auch an ihr nicht spurlos vorbei. Außerdem fühlte sie sich ihm noch immer so seltsam verbunden, diese Empfindung noch gestärkt durch ihre Handflächen, die aufeinander ruhten.

Sie verspürte das Verlangen, ihre Finger mit seinen zu verschränken, doch wagte es nicht.

»Mary-Ann Morris. Ich…ich bin Wissenschaftlerin.« Zumindest besaß sie noch die Geistesgegenwart nicht ihren wahren Namen zu nennen.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht veränderte sich von ungläubigem Interesse zu kalter Verschlossenheit. Seine Züge verhärteten sich und bekamen etwas beinahe bedrohliches.

Es war fast so, als wäre jene Tür, durch die Gwen soeben einen Blick erhascht hatte, vor ihrer Nase nun donnernd ins Schloss gefallen.

»Ihr lügt.« verkündete er unvermittelt, keine Wärme in der Stimme. Eine schlichte Feststellung.

Das Unbehagen kehrte zurück und die Magie dieses seltsamen Augenblickes verflog.

Was tat sie hier eigentlich? War sie gänzlich verrückt geworden?

Sie wusste weder, wer dieser Kerl war, noch warum er hier unten - offensichtlich eingesperrt - verweilte.

Schmiegte sie wirklich gerade ihre Hand gegen jene eines mutmaßlichen Verbrechers? Vielleicht war er ein Psychopath, der nur darauf wartete, seiner Zelle zu entkommen. Die Asen würden ihn sicher nicht hier unten so fern von allen anderen in diesem Raum gefangen halten, wenn er harmlos wäre.

Sie musste tatsächlich den Verstand verloren haben. Was war nur in sie gefahren?

Auf einmal war sie sich auch gar nicht mehr so sicher, ob er wirklich der Mann sein sollte, dessen Lied sie vorhin gehört hatte. Wie sollte jemand mit solch einer gebieterischen Arroganz und einem so eiskalten Blick auch eine solch traumhafte Stimme besitzen?

Die magische Barriere zog sich weiterhin langsam knisternd vor ihren Händen zurück; wenn das so weiterginge wäre bald ein Durchgang geschaffen, groß genug, um dem schwarzhaarigen Mann die Flucht zu ermöglichen. Und nur Gwen würde dann noch in seinem Weg stehen…

Sie hätte niemals hier herunter kommen dürfen. Wäre sie doch bloß in ihrem Zimmer geblieben und nicht ihrer Neugier gefolgt.

»Wer seid Ihr wirklich?« fauchte er ungehalten. »Antwortet. Was wollt Ihr hier? Wie ist es Euch möglich, die Zelle zu öffnen?« Sein stechender Blick fixierte sie bedrohlich und sie fühlte seine Finger, die sich plötzlich um ihre klammerten und sie bestimmt festhielten.

Durch seine heftigen Worte und seinen Griff wallte Panik in Gwen auf; brandete in ihr wie das stürmische Meer gegen die Klippen der Küste. Ängstlich stemmte sie sich gegen seinen Griff.

Ohne Vorwarnung schoss die magische Barriere der Zelle mit einem Sirren in ihre Ursprungsform zurück; die Öffnung schloss sich wieder und ihre Hände wurden mit einem Ruck getrennt, der Gwen zurückstolpern ließ, den Unbekannten jedoch mit Macht zurückkatapultierte.

Der Mann wurde förmlich von den Füßen gerissen und krachte mit einem Scheppern von umstürzenden Gegenständen an die gegenüberliegende Wand der Zelle.

»Was in aller Welt…!?« Geschockt starrte Gwen auf die wieder völlig intakte Glaswand vor sich, bevor sie ihre eigene Hand fragend ansah.

Dann tat sie das Einzige, was ihr in diesem Moment logisch erschien.

Sie nahm die Beine in die Hand und flüchtete durch das Loch im Felsen zurück in ihr Zimmer. Ins Tageslicht.

Sie würde gewiss nicht bleiben, um zu schauen, ob es diesem Mann in der Zelle auch an nichts fehlte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Obsidios
2014-03-19T14:35:55+00:00 19.03.2014 15:35
Ein sehr gutes Kapitel. Das Wechselspiel der Gedanken und Eindrücke gefällt mir sehr gut und auch die Idee mit Gwens unbekannten Fähigkeiten machen neugierig auf mehr!
Antwort von:  Ceydrael
22.03.2014 09:49
Dann hoffe ich, dass du bald weiter liest ;P
Ich versuche immer ganz nah dran am Charakter zu sein/zu schreiben und das auch den Lesern zu vermitteln, damit die sich in dessen Gefühlswelt einfinden können - schön, wenn es offenbar geklappt hat :)


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