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Grandia II: Der Pfad zur Seele

Eine Tragödie in 5 Akten
von

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Status Quo Ante

Lange Zeit sollte vergehen, in dem ich die Welt hinter mir ließ. Ich floh aus dem Herzen von St. Heim und wandte mich nach Garland, ehe mich dort die Schatten verjagten und ich mich in den Dschungeln Warachas versteckte, ehe mich auch dort meine Zeit heimsuchte. Frischer Rauch führte mich zu den Ruinen von Nainan, menschliche Fußspuren gingen zum Strand. Eine Katastrophe war eingetreten.

Ein neues Bewusstsein breitete sich aus. Die Anhänger von Granas blickten sich um und lernten aus ihren Fehlern. Die Kirche hatte sich im Angesicht des Bösen hilflos gezeigt, weil sie zu lange Vergebung statt Vergeltung predigte, und wurde damit durch Valmar und die Ketzerin Selene in Gefahr gebracht. Nun sollte all das nicht mehr passieren. Das Schwert wurde zum Symbol und schon bald wurde es ins fremde Land getragen. Ich hörte schon vorher von einem Massaker an Altgläubigen auf Garland, doch verstand ich es erst, als ich die Reste Nainans durchschritt. Selbst die Quelle war nicht mehr wiederzuerkennen. Ich hatte neue Kraft schöpfen wollen und wusste nun, dass ich nicht länger im Nichts bleiben durfte. Nach einem Jahr der Abwesenheit kehrte ich nach Schlesien zurück.
 

Ich suchte sie und wusste, wo ich sie finden konnte. Kyrnberg im Osten war nicht wiederzuerkennen, seit ein despotischer Prinz die Macht an sich riss und die Stadt in ein Heerlager verwandelte, St. Heim strahlte in seiner stillen Größe, die die Jahrhunderte überdauert hatte, und Mirmau blieb in Eis versunken. Hier sollte ich auf sie treffen.

„Inquisitorin Elena?“ Als ich es hörte, konnte ich es kaum glauben. Ein Wort von ihr ließ ihre Begleiter ihre Waffen zurückstecken und sich auf böse Blicke beschränken, ehe sie sich von uns entfernten. Ich wollte mit ihr reden und war doch erstarrt.

„Geronshund Ryudo.“, begrüßte sie mich und lächelte ohne Glanz, „Es ist lange her.“ – „Nein.“, wehrte ich ab und zeigte an mir herab, „Ich meine, der Geronshund.“ Ich trug kein Schwert mehr seit jenem Tag. „Wie auch immer.“ Sie schluckte. „Ich habe nicht mit deinem Erscheinen gerechnet. Wollen wir nicht wohin gehen, wo wir ungestörter sind?“ Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Auch Mirmau hatte ich lange nicht mehr gesehen.

„Ich hatte dich eigentlich in Karbowitz erwartet“, begann ich schließlich, als wir wie in alten Zeiten durch die Straßen schlenderten. „Ich bin ganz überrascht, dich hier schon zu finden.“ – „Karbowitz hätte dir nicht gefallen. Es hat mir nicht gefallen.“ Ich wunderte mich über ihren Ton zwischen wehmütig und hart. „Ich komme gerade von dort. Dienstlich, du verstehst?“ – „Nein.“ – „Ich musste…“, sagte sie traurig, „… mit Pater Carrius sprechen. Nun steht sein Haus leer.“

Sie unterbrach mich, ehe ich etwas sagen konnte. „Warum dachtest du eigentlich, dass ich da bin?“ – „Es ist deine Heimat. Nach all der Zeit…“ – „Dann müsstest du doch in Garland sein.“ Der Schlag traf und ich verstand. Auch für sie bestand die Heimat aus zu vielen leeren Häusern.

„Es war kalt, als ich erwachte“, erzählte sie ihre Geschichte. „Ich war allein. Granas war fort, du warst verschwunden und in meinem Innersten zuckten die Krämpfe. Einen Teil von sich rauszureißen ist keine angenehme Erfahrung, du kannst es dir gar nicht vorstellen. Dann fand ich schließlich den Ausgang und wusste, dass ich, nachdem ich einmal Granas Macht getragen hatte, nicht mehr im Kirchenchor singen würde, also zog ich nach St. Heim. Die Kardinäle erkannten die Rückstände seiner Macht in mir und gaben mir einen Posten, der gerade vakant war. Als Siegerin über Valmar und Selene war ich genau das, was sie sich wünschten. Ich war ein strahlendes Gesicht einer jungen, sich erneuernden Kirche.“ Sie musste lachen, als sie die Erinnerung noch einmal durchlebte. „Sie dachten, ich wäre ungefährlich, weil ich noch so jung war. Ich verspreche dir, das werden sie noch bereuen.“

Ich hörte sie reden und erkannte sie nicht wieder. In all der Zeit unserer Reise hatte ich sie so nie erlebt. „Ich habe sogar schon ein Buch schreiben lassen über meine Reise. Gerade jetzt suchen die Menschen nach Vorbildern. Aus diesem Grund wollte ich auch mit Carrius reden.“ Ich nickte, als mir langsam klar wurde, in welche Richtung das Gespräch ging. „Und nun bin nur noch ich da?“

Sie war so selbstbewusst, kein verängstigtes Mädchen mehr. „Ich ging davon aus, dass du tot bist, aber das muss ja nicht der einzige Weg sein. Ich könnte dir einen Platz in einem Kloster beschaffen, natürlich in einem abgelegenen. Du kannst auch weiter mit mir reisen.“

Ich musste meine Bestürzung verbergen. Es lag einfach zuviel hinter uns, als dass ich nun auch nur darüber nachdenken könnte, in ihrem Spiel mitzuspielen. „Danke“, sprach ich langsam aus, „aber nein. Ich werde wieder an den Rand der Welt zurückkehren und du wirst nichts mehr von mir hören.“ – „Oder so.“ Im Geiste hakte sie einen weiteren Punkt ab.

Schweigend gingen wir ein Stück nebeneinander her. „Was passiert eigentlich mit dem Kloster?“, fragte ich dann. Sie wusste eine Antwort. „Die Mönche kamen frei und ich ließ eine Garnison zu ihrem Schutz zurück. Ich möchte den Eingang nicht ganz verschließen.“ Sie zögerte, als sie zum ersten Mal ein Geheimnis aussprach: „Weißt du, ich war schon dort, wieder und wieder, doch Granas antwortet mir nicht mehr. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich möchte es herausfinden. Ich möchte diese Macht zurück, ganz gleich was ich dafür tun muss.“

Ich nickte nur, weil ich nichts zu sagen wusste. „Ich werde dann mal gehen.“ – „Ja, es ist Zeit.“ Wie belämmert standen wir da, ehe ich es aussprach: „Darf ich dich küssen?“ – „Nein, lieber nicht“, antwortete sie schweren Herzens, „Es würde nur alles noch schwerer machen.“
 

Zeit verging und verbrannte mich. Ich hatte die Welt gesehen und wusste doch nicht, wohin ich gehen sollte. Mit all diesen Orten waren Namen, Gesichter und Bilder verbunden und doch hatte ich versprochen, zu gehen. Ich irrte ziellos umher, wartete verzweifelt auf eine Eingebung, und als ich gar nicht mehr wusste, wohin ich ziehen konnte, suchte ich die Höhe. Ich erklomm die Inor-Berge und hielt mich immer weiter westlich. Ein Gebirge lag vor mir, welches angeblich noch nie von einem Menschen überquert worden war. Ich merkte mir nicht einmal seinen Namen.

Carrius war tot, der Ursprung von allem, sein Unglück war seine Schülerin. Tiodora und Selene wurde ihr Glaube zum Verhängnis, gestürzt über all ihre Liebe. Die kleine Aura hatte nie eine Chance, ebenso wenig Mareg in seinen letzten Minuten. Beide waren sie nur Figuren in Millenias Spiel. Millenia schließlich hatte ein zu weiches Herz und gab auf, ehe die letzte Schlacht geschlagen war. Der Gedanke schmerzte mich immer noch.

Ich stieg über Felsen und blickte ins Tal. Irgendwo ganz in der Ferne meinte ich, den Carmina-Turm zu sehen, und nicht weit davon müsste auch Elenas Heimat liegen. Ich war wieder ganz am Anfang angekommen, doch diesmal stand ich nicht mittendrin. Diesmal stand ich darüber.

Hätte ich damals, wenn ich gewusst hätte, was es bedeutet, diesen Auftrag angenommen? Ja, ohne zu zögern. All das Leid schien mir weitaus erträglicher zu sein als der Gedanke, noch einmal in meine damalige Haut schlüpfen zu müssen und wieder ein kleiner, verlogener Söldner zu sein, der bei allem, was er tat, nur vor sich selbst davonlief. Ob ich auch so weit gekommen wäre, ohne mich mehrfach selbst zu verstümmeln? Ich dachte darüber nach, dann warf ich die Frage davon. Frische, kühle Bergluft schien sie fortzuwehen wie ein Blatt im Wind.

Melfice war mein dunkelster Wunsch gewesen und im Licht wurde er heller, als ich es jemals sein konnte. Ich musste ihn töten, um zu verstehen, was ich mir vorher nie eingestehen konnte: Ich liebte ihn und verdankte ihm so viel. Er rettete mich aus einer Zeit, als ich keinen schimmernden, sondern einen dunklen Ritter brauchte. Auf ihn und seine Taten wollte ich ebenso wenig verzichten wie auf meine Reise. Sie hatten mich geprägt.

Eine Klippe führte in ein tiefes Tal. Ich setzte mich und ließ die Füße baumeln. Als ich auf das Tal herabblickte, welches so frei von Menschen die Zeit überdauerte, musste ich an Millenias Worte denken. In einem nächsten Leben, so hatte sie gesagt, würde sie mich suchen, um mich endlich lieben zu können. Es schmerzte mich, wenn ich nur daran dachte. Ich hatte auf meinen Reisen auch nach ihr gesucht, doch sie nie gefunden. Es war ein frommer Wunsch, wusste ich doch, dass Valmar besiegt war und Elena ihren Traum für sich geopfert hatte, doch trotzdem, auch wenn es sinnlos war, wollte ich sie nicht aufgeben. Ich hatte gehofft, irgendwo hinter den Bergen auf sie zu treffen, in welcher Gestalt auch immer.

Skye hatte recht gehabt. Während ich in die Tiefe unter mir blickte, wurde es mir immer deutlicher. Er hatte von Anfang an gesagt, dass ich nicht nach Träumen suchen sollte. Es gab keinen Weg für ihn, der Millenia gerettet hätte, und es hatte tatsächlich keinen Ausweg gegeben. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr tat es mir leid, ihn als Verräter verflucht zu haben. Er hatte auch recht, auf seine Weise, und hätte ich auf ihn gehört, dann hätte ich wohl Elena küssen dürfen. Hätte ich dann gelächelt, wenn ich auf dem Fels gesessen hätte? Vermutlich nicht. Ich hätte mich wohl eher für viel zu viele ihrer Taten schämen müssen. Inquisitorin Elena. Das klang verrückt, aber irgendetwas regte sich in mir. Sie wurde es aus freien Stücken, also musste es etwas in ihr geben, das schon immer in diese Richtung strebte. Hatte ich es wirklich übersehen? Ich hatte sie wohl nie richtig gekannt.

Ich seufzte und blickte ins Tal. Ich wusste, hier war ich angekommen. Was hatte wohl Skye jetzt für einen Ratschlag für mich? Vielleicht würde er wollen, dass ich zurückkehre, Elena küsse und weiter als ihr Leibwächter arbeite. Dann würde die Reise weitergehen, dann würde sie ewig dauern. Tatsächlich, es gab eine Zeit, in der ich mir gewünscht hätte. Doch diese Zeit war vorbei.

Langsam stand ich auf und blickte ins Nichts. Ich wusste, ich würde nur einige Schritte brauchen, dann käme mein Sturz und alles wäre vorbei. Es wäre ein würdiger Abschluss gewesen.

Stattdessen begann ich, zu singen.
 

Wer die Welt am Stab durchmessen, wenn der Weg in Blüten stand,

nimmer konnt er doch vergessen glückberauscht sein Heimatland.

Und wenn tausend Sangesweisen nur der Fremde Lob entquillt,

einzig will das Land ich preisen, dem mein ganzes Sehnen gilt.
 

Sei gegrüßt am schönen Oderstrand, liebe Heimat, traute Heimat!

Schlesien, du mein liebes Heimatland! Schlesien du mein liebes Heimatland!
 

Ich musste lachen. Das Tal dort unten lud zur Erkundung ein. Vielleicht gab es da unten ja auch Menschen mit Monstersorgen und blonden Töchtern. Ich dachte an Skye und auch wenn er nicht mehr da war, fühlte ich mich nicht allein. Ihm hätte es gefallen. „Skye“, rief ich laut, während ich den Abstieg begann.

Es war Zeit für die Jagd.



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