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Grandia II: Der Pfad zur Seele

Eine Tragödie in 5 Akten
von

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Der purpurrote Schwertturm (1)

Das Ende rückte immer näher. Mit jedem Schritt, den ich vorwärts, wusste ich, was auf mich zukam. Der Turm kam mit jedem Schritt näher und die Zeit, die mir noch blieb, um noch eine rettende Idee zu finden, schmolz dahin wie Eis in der Wüste. Für mich hieß das: Ich musste wissen, was ich im Fall der Fälle tun sollte. Ich hatte eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Millenia opfern oder mich im Zweifelsfall gegen Elena und Selene stellen. Beides kam für mich nicht infrage und so hatte ich noch keine Antwort, als der Turm erschien Horizont erschien.

Wieder einmal veränderte sich das Land und während kilometerweit kein Grashalm leben konnte, erstreckte sie vor uns nun eine wunderschöne Waldlandschaft, in die uns der Gesang der Vögel begrüßte. „Granas Paradies“, stöhnte Elena auf, während ich lächelte. „Wir befinden uns noch auf Erden, doch es ist trotzdem wunderschön.“ Ich hatte eine Idee. „Wollen wir uns diesen Ort nicht etwas genauer ansehen?“ – „Nein, er läuft uns nicht davon. Ich möchte die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen.“
 

Es war für mich überraschend, wie schnell Selene uns fand. Noch jenseits ihrer Lager wartete sie ganz allein auf uns und lächelte, als sie uns sah. „Ryudo, Elena, es ist schön, dass ihr es geschafft habt.“ Die Inquisitorin hatte sich seit Mirmau nicht verändert. Auch inmitten des Grüns zeigte ihre Kleidung keinen einzigen Makel und wenn ihr Lächeln nicht echt war, dann war es zumindest gut gelogen. „Ihr hattet einen langen Weg seit Mirmau. Darf ich fragen, wie es euch geht?“ Wir wechselten einige Blicke. „Uns geht es gut“, sagte ich und wollte ihr keine genauere Antwort geben. Sicher, seit Schlesien war viel passiert, doch was sollte sie es kümmern? „Und was macht deine Fracht, Elena? Kannst du sie tragen?“ Elena lächelte schüchtern. „Sie spricht zu mir, aber ich höre ihr nicht zu. Sie erscheint nur selten.“

Selene nickte und nahm es auf. Ich wusste, sie zog ihre Schlüsse. Dann setzte sie sich in Bewegung, schlenderte mit uns durch den Wald und erzählte: „Ich habe von deinem Fall in St. Heim gehört“, sagte sie. „Doch ich kam zu spät, um euch beizustehen. Ich kann die Entscheidung verstehen, die die Kardinäle trafen, aber ich kann sie nicht teilen. Jetzt bin ich hier.“ Sie räusperte sich. „Ich hörte von eurem Sieg über Melfice und möchte euch beglückwünschen. Ich hörte auch von eurer Suche nach dem Schwert. Diesmal möchte ich euch gerne unterstützen.“ Schemen ihres Lagers zeichneten sich am Horizont ab. „Die Anzeichen mehren sich, dass wir in einer Endzeit leben. Der letzte Tag und die Wiederkehr Valmars stehen uns bevor. Die Kirche meint, in dieser Zeit sollten wir unsere Herzen stärken und unsere Mauern befestigen, ich hingegen denke, wir sollten den Feind bekämpfen, wo er sich zeigt und wo wir eine Möglichkeit dazu haben. Wenn es irgendwo eine Waffe gegen Valmar gibt, dann müssen wir sie finden und ergreifen, auch wenn wir dafür bis ans Ende der Welt reisen müssen. Wir haben den gleichen Weg hinter uns.“

Ich rollte mit den Augen und verkniff mir einen Kommentar. Unser Weg hatte sich von ihrem doch erheblich unterschieden. „Wie viele Männer begleiten Ihre Kampfgruppe?“, wechselte ich das Thema, „Fünfzig?“ – „Knappe sechzig. Hauptsächlich Kardinalsritter, dazu ein paar Freischaffende, Forscher, Ärzte und Priester. Waracha ist uns unbekannt, deshalb wollte ich lieber zu vorsichtig sein.“ – „Ja, das stimmt“, sagte ich. „Und Kompliment für Ihren Boten. Er traf uns in einem Dorf und überbrachte seine Nachricht.“ Sie lächelte entschuldigend, als ihr mein zynischer Unterton bewusst wurde. „Verzeihen Sie bitte meinen Männern. Zu viele von ihnen verlassen zu selten Exerzierplatz oder Kloster. Da fehlt es dem einen oder anderen von ihnen an Takt.“ Ich seufzte. „Wäre schön, wenn ihm nicht mehr fehlt als nur Takt.“

Sie ging nicht darauf ein, doch verrieten sie ihre Augen. „Ich bin nicht dienstlich hier.“, sagte sie verschwörerisch, „Ich bin hier, um euch zu helfen. Ich habe es schon einmal getan, Ryudo, bitte lasst es mich wieder tun.“ Ich brauchte eine Weile, ehe ich erkannte, dass sie den Kampf gegen Mareg meinte. Als ich wieder zu Selene aufsah, trug sie wieder ihre Maske. „Ich möchte euch in mein Lager führen. Da könnt ihr euch ausruhen und danach können wir über die nächsten Schritte beraten. Ich habe ein paar Ideen, wie ich euch bei eurem Weg in den Turm unterstützen kann.“ Sie lächelte. Ich nickte und hörte ihr zu. Elena trottete uns hinterher. Wir alle wussten, dass bald ein Vorhang fallen würde.
 

Das Lager erwies sich als eine kleine Ansammlung von Zelten, Feuern und wuselnder Menschen in Kirchentracht und Rüstung. Die Zahl Sechzig glaubte ich Selene für den Augenblick, war es doch ohnehin ohne Belang. Es waren zu viele für uns. Damit war eingetreten, was ich befürchtete. Selene hatte uns in der Hand. Sie bestimmte, was geschehen sollte, auch wenn sie sich noch so freundlich gab.

Mit ihren Worten ließ sie uns nicht los. „Wisst ihr“, erzählte sie weiter, „Es war eine Menge Arbeit, diesen Trupp zusammenzustellen. Es hat mich einiges an Geld gekostet, viel Zeit und auch viele Gefallen. Was denkst du denn, Ryudo? Wie lautet deine Meinung als Profi dazu?“ – „Ich würde sagen“, begann ich und sah mich um, „es ist eine kampfstarke Truppe. Keine Kirchenwachen und Stadtgardisten dabei. Ich frage mich nur, wie die einzelnen Teile aufeinander eingespielt sind. Das wäre meine größte Sorge.“ – „Meine wäre es auch“, gab Selene mir recht, „und ich arbeite daran. Aber lasst mich euch bitte noch ein Geschenk machen. Ich habe jemanden für euch, der euch eine Hilfe sein kann.“ Mit diesen Worten ging sie auf eines der Zelte zu und ließ Elena und mich ihr folgen. „Wisst ihr“, sagte sie, „wenn diese Geschichte vorbei ist, dann werde ich entweder einen Platz auf dem Scheiterhaufen oder im Heiligenkalender erhalten, abhängig von dem Ausgang. Das liegt damit auch in euren Händen liegt. Der Schatz, den ich euch übergeben möchte, stammt aus dem Kloster Domus Caeli an den Osthängen von St. Heim. Es war mühevoll, ihn zu bekommen, aber…“

„Entschuldigen Sie“, endlich meldete sich einmal Elena zu Wort, der es nicht gefallen konnte, von der Inquisitorin weitestgehend unbeachtet zu bleiben, „aber was meinen Sie mit mühevoll?“ – „Nun ja“, sagte Selene. „Ich habe den Orden der Ketzerei beschuldigt, die Mönche verhaften lassen und mich des Klosters und seiner Schätze bemächtigt. Mal sehen, wie lange die Kirche braucht, um das zu erkennen… aber wie ich schon sagte, Scheiterhaufen oder Kalender.“ Wenn die Aussicht auf Ersteres sie beunruhigte, konnte sie es erstaunlich gut verbergen. „Doch genug davon. Darf ich euch Tiodora vorstellen? Oder bitte, nennt sie Tio.“

Das Zelt war so dunkel, dass ich einige Zeit brauchte, die regungslose Frau in der Mitte zu erkennen. Auf den ersten Blick erinnerte sie mich an eine Puppe, die hier vergessen wurde, eine zarte Schönheit mit glänzendem schwarzen Haar und gelbroten Gewändern, aber auch mit einer unnatürlich blassen, fast bläulichen Haut. Ihre Augen waren geschlossen und es fehlte jede Reaktion auf unser Erscheinen.

„Tiodora hier“, begann Selene zu reden und schloss die Figur in ihre Gesten mit ein, „ist ein künstlicher Mensch. Sie wurde von Granas geschaffen, um im großen Kampf für ihn zu kämpfen und verbrachte die letzten Jahrhunderte als Wächterin eines Heiligtums in den Höhlen unter St. Heim. Sie ist genau das, was ihr jetzt braucht, sie ist stark, absolut loyal und – das ist das Wichtigste – vollkommen unberührbar für die Relikte Valmars. Mit ihr werdet ihr den Turm betreten und mit ihr werdet ihr bis zum Ende der Welt rechnen können.“

Die Puppe blieb weiterhin regungslos. „Na, gefällt sie euch?“ – „Das ist… viel.“, begann ich, als ich den Wert dieses Geschenkes überschlug. „Sie rechnen mit großem Ärger?“ – „Ich gehe lieber auf Nummer Sicher. Ein Teil Valmars ist mir zu nah.“

Diese Antwort gefiel Elena, während sie mir nicht schmecken konnte. „Wie geht es weiter?“, fragte ich sie stattdessen. Auch darauf hatte sie eine Antwort: „Natürlich werdet ihr den Turm betreten. Wir haben ihn zwar gesichert, doch wollte ich bislang keinen Fuß hereinsetzen. Meinen Männern vertraue ich offen gesagt nicht genug dafür.“

Das klang erstaunlich logisch, aber auch viel zu leicht. Ich blieb misstrauisch. „Sofort?“ – „Nein, wir haben keine Eile und ihr habt einiges hinter euch. Ruht euch aus, macht euch frisch, lernt Tio besser kennen, was ihr möchtet. Das ist eure Reise, deine und Elenas, und ich möchte mich darauf beschränken, euch den Rücken freizuhalten.“ Das klang so unwirklich, das ich den Haken gleich ziehen wollte. „Werdet ihr auch das Tor bewachen, während wir darin sind?“ – „Natürlich, euch sollen ja keine Monster in den Rücken fallen.“

Ich schüttelte den Kopf. Wir waren Selene ausgeliefert, auch wenn sie das so gut wie möglich zu verbergen suchte, und sie merkte, dass es Zeit für sie war, zu gehen. „Tio, bitte übe mit Ryudo, aber verletzt euch nicht. Darum geht es nicht.“ Dann war sie verschwunden, während die Puppe zu Leben erwachte.

Nahezu sofort kehrte das Leben in das dunkle Zelt zurück. Tio öffnete ihre Augen – ihre Pupillen schienen wie aus Bronze gegossen –, blickte zu mir auf und ließ mich sehen, wie sie tellergroße Stahlringe aus ihrem Gewand hervorzauberte. Damit musste ich kämpfen, was mich überraschte, denn von solch einer Waffe hatte ich noch nie gehört. Ich fragte mich noch, ob sie sie wohl warf oder schlug, als sie schon auf mich zustürmte. Unsere Klingen kreuzten sich.

Während des Kampfes fand ich heraus, was mich schon verwunderte, seit ich das Zelt betreten hatte. Sie atmete nicht. Ihr Körper zitterte nicht. Auch während des Kampfes war kein Schnauben zu hören. All diese kleinen Details, die einen Menschen ausmachten, fehlten bei ihr, doch steckte so viel Kunst in ihrer Künstlichkeit, dass es mich beeindruckte.

Sie hatte keine großen Probleme, mich zu besiegen, denn ich war zwar stärker als sie, doch sie war schnell und nahezu unmenschlich präzise. Jeder Angriff traf genau das beste Ziel. Nach fünf Klingen nahe meiner Kehle hatten wir genug. Der Ausgang war eindeutig, war mir doch kein einziger Sieg gelungen, und ich war ausgelaugt und von schmerzenden Blessuren erschöpft. Auch wenn sie ganz unscheinbar und ungefährlich wirkte, wusste ich, dass ich mich in ihrer Nähe sicher fühlen konnte, solange ich tat, was Selene wollte.
 

Waffen waren nur die eine Seite des Kennenlernens, also suchte ich das Gespräch: „Du kämpft beeindruckend.“, sagte ich zu Tio, „Es ist das erste Mal, dass ich diesen Stil sehe oder deine Waffen.“ Ihre Antwort lautete ganz einfach: „Das stimmt.“

Ich weiß nicht, was für eine Stimme ich erwartet hatte. Sie klang natürlich und sie sprach auch leiser, als ich vermutete.

Ich versuchte es weiter. „Was sind das eigentlich für Waffen?“ Nach dem Kampf war sie wieder in ihre Ausgangslage zurückgefallen, sie stand da und blickte mich unentwegt an. „Ich nenne sie Balar“, sagte sie. „Ich nutze sie als Waffen gegen Valmar. Valmar zeigt sich meist als Fleisch, also schneiden sie.“ Ich betrachtete die Stahlringe mit ihren geschliffenen Außenseiten und verstand. Mit diesen Klingen würde sie an jeder Metallrüstung kläglich versagen, sollte sie nicht durch Zufall weiche Stellen erwischen. Bei ihrer Präzision würde ich allerdings im Zweifelsfall auch nicht gegen sie wetten.

Ich wechselte das Thema und wandte mich einem anderen Punkt zu: „Selene erzählte mir, sie hätte dich aus einem Kloster mitgenommen. Warum bist du ihr gefolgt, obwohl sie deine Herren verhaftete?“

Wenn ich damit zu weit ging, ließ sie es sich nicht anmerken. „Es war ein Instinkt.“, erklärte sie mir. „Danach entscheiden wir. Valmar kennt viele Formen und kann noch mehr imitieren. Jede Wahrheit kann falsch sein.“ – „Das klingt… seltsam. Ich glaube nicht, dass irgendeine Armee heute ein solches System tragen könnte.“ – „Automata liegen häufiger richtig als falsch. Es sorgt für erwartbare Werte.“

Ihre Offenheit und Unberührtheit erschreckte mich. Ich wollte einen Seitenblick zu Elena werfen, doch sie schien gegangen zu sein. ‚Kluges Mädchen’, dachte ich und wandte mich wieder Tio zu. „Vertraust du mir eigentlich?“ Direktheit schien sie nicht zu stören. „Du bist nicht Valmar, du kämpfst zu schwach. Folglich kämpfen wir gemeinsam gegen ihn.“

Das war ein Finger in zu viele offene Wunden, doch ich schaffte es, mir nichts anmerken zu lassen. „Hatten wir uns eigentlich vorgestellt? Meine Begleiterin ist Elena, ein Mitglied der Granaskirche, und ich bin Ryudo, ihr Leibwächter.“ – „Tiodora. Tio.“ Sie musste ihren Rufnamen gut genug kennen. „Was bevorzugst du eigentlich? Wie soll ich dich nennen?“ – „Tio. Ist kürzer.“

Eine menschliche Frau hätte wohl gelächelt, doch von ihr kam keine Reaktion. „Dann willkommen im Team, Tio“, sagte ich, um dann das Thema zu wechseln. „Weißt du eigentlich etwas über den Turm, in den wir gehen werden, und über das heilige Schwert?“ – „Nein. Wir wissen nicht alles. Beides kreuzte nicht meinen Weg.“ – „Aber du kennst andere Türme?“, kam mir plötzlich ein Gedanke. „Waren es Türme Valmars? Weißt du, was uns erwarten kann?“

Sie musste überlegen. Das sah ich an einem Zittern in ihren bronzenen Augen. „Ich erinnere mich nicht.“ Täuschte ich mich oder schwang in ihrer Stimme eine Spur Hilflosigkeit mit?

Ich wollte mehr wissen. „Passiert dir das häufiger?“ – „Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nicht häufig.“ Das klang seltsam, genau wie die ganze Fragerunde. Tiodora stand immer noch unbewegt da und wartete auf meine nächsten Worte, doch ich entschied, dass es genug war. „Brauchst du noch eine Vorbereitung für den Sturm?“, fragte ich sie. „Ich würde mich gerne ausruhen und noch einen Happen essen. Möchtest du mitkommen?“ – „Ich brauche nichts und ich möchte.“, sagte sie, „Ich möchte Elena kennen lernen.“

Meine Alarmglocken schrillten auf, als ich abwägen musste. Die Nähe zu Elena könnte Millenia in Gefahr bringen, doch es war auch ein Risiko, den Turm mit einer Gruppe zu betreten, die sich nicht kannte und einander nicht vertraute. Vielleicht war sie ja auch einfach nur neugierig auf das Mädchen, das einfach gegangen war.

Ich hätte sie fragen können und hätte wohl eine Antwort erhalten. Ich tat es nicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Miyu-Moon
2010-03-03T20:49:16+00:00 03.03.2010 21:49
Ah, Wiedersehen mit Selene. Jetzt kann man sie als Bedrohung einstufen.
Ach, dass letzte Kapitel konnte ich wegen dem Adultinhalt nicht lesen, nur falls du dich wunderst dass ich das unkommentiert lasse.
Endlich kommt Tios Auftritt. Was mir aber so gar nicht gefällt ist, dass du ihre Haarfarbe verändert hast.
Was habt ihr Autoren bloß gegen Blau? Du solltest dich daran erinnern, dass Grandia ein Spiel in Animeoptik ist und wir deswegen alle möglichen Haarfarben an den Kopf geworfen kriegen. Ich persönlich fand Paellas rosanews Haar schlimmer. Blau hat meiner Meinung nach Tios Nichtmenschlichkeit verdeutlicht und du streichst das einfach. Schäm dich.


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