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Grandia II: Der Pfad zur Seele

Eine Tragödie in 5 Akten
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Das bürgerliche Trauerspiel (2)

Am nächsten Morgen war ich allein. Die Vögel zwitscherten, das Wasser der Quelle rauschte und das Dorf in der Ferne war auch noch nicht erwacht. Nicht nur ich hatte gestern gefeiert. Da ich keinen Drang verspürte, schnell wieder aufzubrechen, ging ich erst einmal in der Quelle baden, und während ich das tat, merkte ich, dass mir etwas bevorstand. Es musste ein Gespräch mit Elena geben. Ich wusste nicht, was sie wusste, und doch konnte es für mich nicht gut sein. Ich musste mich entscheiden.

Als ich endlich aus der Quelle trat, herrschte im Dorf schon deutlich mehr Leben, und auch Elena war schon auf. Sie unterhielt sich angeregt mit einem Reisenden, was mir nicht ungewöhnlich erschien, bis mir auffiel, dass es ein Mensch war. Wir hatten im Dorf keine anderen als uns gesehen.

„Guten Morgen, Ryudo. Wie geht… ähhm, möchtest du einen Kaffee?“ Elena gab sich fröhlich, aber ihre Augen verrieten, dass es ein Gestern gab. Ich spielte das Spiel einfach mit. „Nicht jetzt, danke“ Ihr merkwürdiger Gesprächspartner war im Augenblick wichtiger. Ein sonnengebräunter Mann war er, dunkle, kurze Haare, wachsamer Blick. Er war kräftig und meine Haltung verriet, dass er bewaffnet sein musste. Ein zäher Bursche. „Guten Morgen“, sagte ich zu ihm, „Ich bin Ryudo und du…?“ – „Ein Gesandter“ Er blickte zu Elena. „Schicken Sie ihn bitte fort.“

Vier Augen durchbohrten das Mädchen mit ihren Blicken, dessen erste Reaktion daraus bestand, sich hinter ihrer Kaffeetasse verstecken zu wollen. „Nun“, sagte sie dann vorsichtig, „Ryudo ist mein Begleiter und geniest mein Vertrauen. Sie dürfen offen reden.“ Der Bote schluckte. Er hatte verloren und wusste nun nicht, wie er fortfahren sollte. Einen endlosen Moment ließ er sich Zeit. Dann kam er direkt auf den Punkt. „Hochinquisitorin Selene ist auf dem Weg hierher.“

Elena und ich tauschten Blicke. „Bitte?“, fragte ich, während ich mich erinnerte: Das war doch die Priesterin, die mich von Maregs Verletzungen geheilt hatte. Was wollte sie nun? „Die Hochinquisitorin weiß, dass Sie nach dem Heiligen Schwert suchen und in Anbetracht der ernsten Lage hat die Kirche beschlossen, kein Risiko einzugehen. Selene ist mit einem Kommando der Kardinalsritter auf dem Weg nach Waracha und wünscht, Sie beim Schwertturm zu treffen. Ich bin hier, um Ihnen das mitzuteilen, Fräulein Elena. Ich bin Ihnen schon nach Garland gefolgt, habe Sie jedoch knapp verpasst.“ – ‚Braves Hundchen’, wollte ich schon sagen, doch ich verkniff es mir. Das war zuviel auf einmal. Ich wollte nicht, dass Selene erschien, nicht nur wegen Millenia würde sie alles schwieriger machen. Das war meine Reise.

Elena hing eigenen Gedanken nach. „Und was ist…“, begann sie zögerlich, „und was ist mit mir?“

Der Bote lächelte. „Fräulein Elena“, sagte er, „Die Kirche hat Sie nicht aufgegeben. Inquisitorin Selene weiß, was Sie für sie tun.“ Dabei legte er ihr die Hand auf die Schulter, worunter Elena erneut zusammenzuckte und verlegen lächelte.

„Wir wollten bald aufbrechen.“, sagte ich, ehe er ihr noch mehr Angst einjagte, doch ihn schien es nicht zu stören. „Nur zu“, sagte er, „Ich werde hier zurückbleiben. Diese Leute wissen nun, dass ich zu Ihnen gehöre und vielleicht kann ich den Schock mindern, den sie verspüren könnten, wenn eine Einheit der Kardinalsritter ihr Land betritt.“ Sein Lächeln gewann eine widerliche Färbung, als er anfügte: „Ich möchte nicht, dass diese Leute einen Genozid fürchten.“

Das war eine Drohung und ein Blick sagte mir, dass dies auch Elena nicht entgangen war. Sie fühlte sich ebenso unwohl wie ich. Ich verfluchte, dass wir uns nicht beraten konnten, ohne dass er es mitbekam. Da wir vom Heiligen Schwert und vom Aufbrechen gesprochen hatten, blieb uns keine Wahl. Unsere Tage im Dorf waren gezählt.

Ich wollte seufzen, doch die Schwäche erlaubte ich mir nicht. Stattdessen wandte ich mich an Elena. „Wir sollten die Zeit nutzen, ehe es zu dunkel wird. Bitte verabschiede dich von Mareg und seinem Volk und frage ihn auch, ob er weiß, wo wir suchen müssen. Frage ihn nach diesem Schwertturm. Ich werde derweil dafür sorgen, dass wir alles haben, was wir für die nächsten Tage brauchen.“ Dann erst wandte ich mich an den Gesandten. „Haben Sie vielen Dank für diesen Bericht. Ich werde Sie lobend bei Fräulein Selene erwähnen.“ Der Bote wirkte auf einmal viel entspannter und reichte mir die Hand. „Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, Herr Ryudo. Ihre Reise steht unter einem guten Stern. Das spüre ich.“

Wie gerne hätte ich mir erlaubt, zu seufzen.
 

So ging unsere Reise weiter. Wie immer zogen wir nach Osten, dem Ende der Welt entgegen, und das Gelände wurde immer ungastlicher. Wir kämpften uns durch immer dichter werdendes Gestrüpp und ein Gewirr an Gewürm und anderen Tierchen, bis wir ganz unerwartet ins Freie traten. Unmittelbar hinter dem Urwald begann ein Land des Sandes. Ich spürte, dass Elena nichts anderes durch den Kopf ging als mir. Vor dem Rand der Scheibe sollte eine Zone ohne Leben liegen.

Ich ließ uns die Zeit, den Schock zu verdauen und setzte mich in den Sand, worauf sich Elena zu mir gesellte. „Schön ist’s hier.“, sagte ich. Sie stimmte zu. „Beeindruckend.“

Wir aßen eine Kleinigkeit, während wir redeten. „Das heilige Schwert“, erzählte sie mir, „wird laut Maregs Volk im Turm der purpurroten Wolken aufbewahrt. Es wird sich dabei sicher um den Schwertturm handeln, zu dem Selene mit ihren Truppen unterwegs ist. Er befindet sich mitten in einer Zone aus Sand.“ – „Wäre gut“, lachte ich, „denn dann könnten wir ihn einfach erspähen. Weißt du, ob er tatsächlich die Wolken färbt oder sagt der Name nur, dass er im Osten liegt?“ Ihr fragendes Gesicht verriet die Antwort. „Wir finden ihn“, sagte ich siegessicher. „Wir sind schon so weit.“

Mit einem Mal sah ich Skye. Er schwebte knapp über der Erde und blickte mich strafend an. „Und wie geht es dann weiter?“, fragte er mich.

Ich schluckte. Mein Blick floh zu Elena, die mich aber nicht verstand, was gerade passierte. Was sollte ich nur tun? Vor ihr mit meinem Geistesbegleiter zu sprechen wäre peinlich.

Sie schien mein Dilemma erraten zu haben. „Skye, nicht wahr?“, fragte sie und erkannte an meinem verlegenen Lächeln, das sie recht hatte. „Er möchte wissen, wie es weitergeht, wenn wir den Turm gefunden haben.“ Sie beugte sich vor. Diese Frage interessierte sie natürlich auch.

Es war nur dumm, dass ich keine Antwort für die beiden hatte. „Wir müssen uns ansehen, was wir dort finden. Ist es ein einfaches Schwert, dann…“ Ich schüttelte den Kopf, doch ich konnte nicht entkommen. „Ich werde auf keinen Fall auf Verdacht auf Elena einstechen und hoffen, dass es etwas bewirkt. Wir brauchen einen Gelehrten, der es uns dann erklärt.“ Das hielt sie nicht auf. „Selene?“ – „Ja, vielleicht, auch wenn ich ihr nicht traue.“ – „Das solltest du aber.“

Ich stand auf. „Hört zu, es macht doch keinen Sinn, über Beute zu diskutieren, die wir noch nicht erlangt haben. Wenn wir jetzt von Möglichkeiten träumen, dann werden wir hinterher nur enttäuscht sein.“

Das klang vernünftig und rettete mich, doch Skye ließ sich nicht so einfach täuschen. „Ist dir bewusst“, fragte er mich, „dass sie immer mächtiger wird? Mit jedem Teil Valmars, das von der Erde verschwindet, steigt ihre Kraft. Es wird immer unwahrscheinlicher, sie zu entfernen und es wird immer schwerer, sie überhaupt zu besiegen. Du hast ihr Aura und Melfice zum Geschenk gemacht. Noch ein Teil, dann kannst du ihr nichts mehr anhaben, und noch zwei oder drei, dann wird sie Valmar werden und die Erde verschlingen, und glaube mir: Valmar liebt dich nicht.“

Die letzten Worte hatte er geschrieen und nun sah er mich von Elenas Schulter aus grimmig an. „Das wusste ich nicht“, stammelte ich.

Elena bemerkte nicht, wie er sich an sie anschmiegte und seine Flügel durch ihre Haare fuhren ließ. „Sie ist so schön“, flüsterte er mir zu. „Zartes Fleisch. Jungfräuliches Fleisch. Du hättest sie haben können und kannst sie noch haben. Nur bitte mach jetzt keinen weiteren Fehler mehr.“

Elena wurde sich bewusst, dass ich in ihre Richtung starrte und zuckte zusammen. „Über was sprecht ihr?“ Ich lächelte. „Über Möglichkeiten, dich zu retten.“ – „Gut. Dann macht weiter.“

Skye fauchte mich an wegen dieser Lüge. „Ryudo, weißt du überhaupt, wer ich bin? Ich bin das Totem vom Garland und entschied mich schon, dich zu beschützen, als Valmar nicht einmal ein Name für dich war. Ich habe dir mein Schicksal anvertraut, ich war dein Freund und Zuhörer, wenn es dir schlecht ging, und tue Dinge für dich, die du nicht einmal siehst und verstehst. Können wir es nicht diesmal andersrum halten? Tue etwas für mich, werde Millenia los, sobald du kannst und rette die Welt. So gewinnt jeder.“

Ich seufzte. Was ich ihm sagen wollte, konnte ich nicht vor Elena aussprechen, also dachte ich es bloß und hoffte, er könnte es auch so verstehen. ‚Millenia verliert. Siehst du es nicht, sie ist mehr als nur ein Monster und mehr als nur ein Körper. Sie ist ein Mensch geworden, ein weicher, verletzlicher Mensch, und… ich will sie nicht töten, das ist alles. Ich will nicht wieder wie bei Melfice sein.’ Ob Skye mich hörte und es ihm missfiel oder ob er mein Schweigen als Antwort nahm, nun verschwand er. „Denke noch einmal darüber nach“, gab er mir auf den Weg mit, dann wurde er zum Punkt am Himmel. Diskussion beendet.

Sein Abgang machte mich wütend, ich konnte es nicht erklären. Ich konnte es nur gut verbergen, als Elena mich prüfend ansah. „Er ist weg“, sagte ich ihr. „Und?“ – „Gibt kein Und. Wir müssen zum Turm.“



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