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Grandia II: Der Pfad zur Seele

Eine Tragödie in 5 Akten
von

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Das bürgerliche Trauerspiel (1)

Meer. Wellen. Im Dunkel der Nacht, die mich umschloss, waren sie kaum noch zu erkennen, doch sie rauschten und immer wieder schlugen sie gegen die Planken, ein schönes, regelmäßiges Geräusch. Ich meinte sogar, den Einschlag zu spüren, zu merken, wie das Schiff schwankte und vermutlich bildete ich es mir nicht ein.

Wir waren wieder unterwegs, doch statt uns von dem Rückschlag entmutigen zu lassen und nach Schlesien zurückzukehren, um dann in Kyrnberg oder irgendwo im Niemalsland zu verkriechen, segelten wir weiter nach Osten. Elena hatte mir erzählt, Mareg wolle uns in seine Heimat führen, dem sagenhaften Kontinent Waracha, auf dem noch Wunder geschehen würden, und da wir keine bessere Idee hatten, gingen wir dieser Spur nach, auch wenn sie etwas dünn klang. Ich hatte seit den Ereignissen auf Garland nicht mehr mit ihm gesprochen.

Die Zeit, die seit den Kämpfen auf dem Berg verstrichen war, war wie im Flug vergangen. Mit Melfices Tod ging mir etwas verloren, dass ich nicht klar einordnen konnte, doch ich spürte sein Verschwinden, und obgleich ich nicht verletzt war, verbrachte ich die Tage im Bett, schlief fiel, hing meinen Gedanken nach und starrte auf die Wände. Elena kam mich manchmal besuchen, brachte mir Suppe oder selbstgebackene Kekse mit, doch dann musste sie immer schnell wieder weiter, sodass ein Gespräch nicht zustande kam. Sie war wegen irgendwas Kirchlichem sehr eingespannt.

Schließlich, nach drei Wochen, verstand ich, dass etwas geschehen musste. Elena berichtete mir, dass Mareg langsam müde wurde, nicht zu mir vorgelassen zu werden, und nun bald in die Heimat aufbrach. Seine Jagd sei beendet und er könne jetzt ins Leben zurückkehren, und ich weiß nicht warum, aber dieser Satz löste etwas in mir aus. Ich fragte sie, ob wir ihn begleiten wollten, denn ich wollte weg von hier, und sie nickte nach kurzer Überlegung. Garland sei zwar schön, doch sie sei immer noch nicht errettet und das hätte nun wirklich Vorrang, außerdem sei ihr kalt.

Wir nahmen Abschied. Die Einwohner Garlands versammelten sich am Hafen, um Elena zu danken, und der Hochmeister drückte ihr unter Jubel der Masse einen bunten Blumenstrauß in die Hand. Sie habe das Böse von der Insel vertrieben, sprach er, und ihnen in Granas eine neue Hoffnung beschert. Mareg und ich standen währenddessen daneben und hofften, dass nicht auch noch eine Kapelle spielen würde, denn dann würden wir nie von hier fortkommen. Immerhin ließ man uns in Ruhe.
 

So kam ich an Bord eines Schiffes und statt auf Wände starrte ich auf Wellen herab. Es war nicht gut, dass mir der Anblick so vertraut war, denn so hing ich nur in den Erinnerungen an die letzte Fahrt und grübelte, was denn falsch gelaufen war. Wobei, eigentlich müsste mich dieser Gedanke doch erschrecken. Ich hatte doch Melfice besiegt, ohne dass jemand groß zu Schaden kam, das war doch ein Sieg. Nur leider, das wurde mir bewusst, fühlte es sich ganz und gar nicht wie einer an.

Ich zählte die Tage nicht, deshalb wusste ich nicht, wann Mareg schließlich an Deck erschien, um nach mir zu sehen. „Ryudo“, rief er. „Die Stimme des Schiffes sagt mir, es sei Zeit, dich zu sehen.“ Dann setzte er sich zu mir.

Ich blickte zu ihm herüber und dann zurück auf den Wellen. „Schön“, sagte ich.

„Sie sagt, du brauchtest Gesellschaft.“ – „Nichts dagegen.“

Ich seufzte. Mit meiner Ruhe war es vorbei. „Wie geht es denn Elena?“, fragte ich. Der Bestienmann schüttelte den Kopf. „Sie versperrte sich in ihrem Raum und leidet unter dem Schiff. Ich habe sie seit der Insel nicht mehr gesehen.“ Das überraschte mich: „Dann hat sie dich nicht zu mir geschickt?“ – „Nein.“

Wir schwiegen lange, dann erkannte ich meine Chance. „Weißt du, was geschehen ist?“ Er dachte nach, ehe er antwortete: „Ich hörte nur die Erklärungen. Das Mädchen sagte mir, du seiest eins mit Melfice gewesen und als du ihn tötetest, hättest du zugleich ein Teil von dir selbst zerstört. Deshalb brachest du zusammen.“ Ich ließ mir die Worte durch den Kopf gehen. Sie klangen seltsam, fühlten sich aber nicht falsch an. „Was passierte dann?“ – „Das Mädchen tat irgendwas, um in dein Herz zu gelangen, und dann wachtest du auf. Ich trug dich den Berg hinab, weil du so schwach warst.“ – „Dann hat Elena mich gerettet?“ Der Bestienmann nickte und ich stand auf: „Dann muss ich mich bei ihr bedanken.“
 

Unter Deck stank es nach See und Mensch. Elena wirkte bleich und krank, als sie mir die Tür öffnete und ich war nicht geschickt genug, meine Verblüffung zu überspielen. „Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, dann hätte ich mich zurechtgemacht“, sagte sie ohne Begrüßung, als sie mich in die Kabine ließ. „Regnet es oben?“ – „Nein, es ist…“ Ich beschloss, mit der Tür ins Haus zu fallen. „Ich habe von Mareg gehört, dass du mich gerettet hast, Dafür wollte ich dir danken.“ Damit überrumpelte ich sie. „Was?“ – „Ich meine, oben auf dem Berg. Du hast dich in meinen Geist gewagt und das finde ich sehr mutig. Danke dafür.“ – „Keine Ursache. Du wirst dich ja revanchieren. Augenblick…“ Mit einem Mal wurde Elena ganz rot. „Nein, das meinte ich jetzt nicht.“

Ich musste lachen, ließ meinen Blick durch die Kabine streifen und setzte mich von ihrem aufmerksamen Blick begleitet zu ihr aufs Bett. „Seltsam, dass du Melfice sein sollst.“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir, „Ich kann es immer noch nicht glauben.“ – „Er führte ja auch seit fünf Jahren ein Eigenleben. Schon komisch, zu was er sich in dieser Zeit entwickelte. Ich kam nicht einmal auf die Idee, er könnte dich nicht verschleppt haben.“ – „Nein“, sagte sie und versank in der Erinnerung. „Er hat mich ganz freundlich angesprochen.“ Mir ging es nicht anders: „Vor fünf Jahren hätte er dich wohl noch einfach getötet… Nein… Kein gutes Thema.“

Wir saßen nebeneinander und schwiegen uns an. Keiner von uns befand sich in diesem Augenblick mit seinen Gedanken auf dem Boot. „Weißt du“, sprach schließlich Elena ins Nichts, „Ich habe seine Leiche gesehen. Er war ein Sack voll Schlamm und Sand.“ Sie machte eine Pause und ich sah, dass sie erschauderte. „Kein Mensch, nur ein von Valmar zusammengehaltenes Unding. Ein Priester dir jetzt sagen, dass er in deinem Herzen weiterlebt, in diesem Fall könnte es sogar möglich sein.“ Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. „Ich habe mir in den Wochen einzureden versucht, dass er ein Monster war und dass er vernichtet gehörte, aber ich konnte es nicht. Ich habe um ihn geweint. Ryudo, was du getan hast, war furchtbar.“

Ich hielt ihrem Blick stand. „Ich weiß.“

Ich konnte es sehen. Sie hatte sich verändert. „Versprich mir, dass du mir nicht auch so was antust.“
 

Im Dorf Nainan, Maregs Heimat, wurde gefeiert. Den genauen Anlass kannte ich nicht, aber es war auch nicht wichtig. Vielleicht feierten sie den Sieg über Melfice, vielleicht Maregs Heimkehr, vielleicht feierten sie die Welt und das Leben, das sich von all der Kälte und Hass erholte. Vielleicht feierten sie auch nur einfach so, ein belustigtes Dorf Krüge schwenkender Fleischkolosse mit seltsamen Traditionen, viele Muskeln und bestiengleiche Gesichter, und doch waren sie freundlich und beschwipst. Zwischen all dem saß ich mit Elena, auch wir essend, trinkend und über angenehme Themen redend. „Wie ging es eigentlich mit Garland weiter“, fragte ich sie, „Konntest du die Insel zu Granas bringen?“ – „Hast du das nicht am Hafen gesehen?“, sagte sie breit grinsend, „Nach der Vernichtung Melfices war eigentlich schon das meiste erledigt. Diesen Stachel zu ziehen hat sie tief beeindruckt, sie baten mich sogar, eine Dankprozession abzuhalten. Ich denke, so farbenfroh war die Stadt noch nie. Alle Straßen mit Blumen bedeckt und ich voran. Ich war wirklich aufgeregt.“ – „Dann hast du sie gehalten?“ Sie nickte. „Meine erste. Eigentlich hätte ich ja gar nicht gedurft, aber das…“ Sie musste kichern. „Ich denke, es wird mir niemand vorwerfen. Ach.“ Sie nahm einen Schluck von ihrem Wein. „Und der Ordensmeister und der Rest des Ordens kamen danach zu mir und meinten, es hätte sie bewegt. Ich hatte von Millenia und von Melfice gesprochen, von den Prüfungen durch das Dunkle und wie schnell man abgleiten und was das für ein Unglück mit sich bringen kann. Darauf habe ich ihnen ein paar Dinge über Granas erzählt. Ich hoffe, sie werden sie weitergeben und sie schienen auch ganz erpicht darauf, es zu tun. Das ist nämlich das Schöne. Predigen kann man auch dann noch, wenn man das Schwert schon nicht mehr halten kann.“

Das beeindruckte mich. Sie lachte. „Fühlst du dich in deiner Heimat inzwischen wohler?“, fragte sie mich. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht“, gab ich offen zurück. „Es ist für mich kein Ort, wo ich gerne sein möchte. Trotz allem oder vielleicht auch wegen allem.“ – „Jetzt sind wir ja auch hier“, sagte sie und prostete mir zu. „Was ist eigentlich mit Mareg?“, fragte ich sie, während sie trank. „Bleibt er hier?“ – „Ich habe mit ihm gesprochen. Ja, er hat es vor. Seine Reise ist vorbei und ich denke, wir zwei stehen das auch zusammen durch. Was meinst du?“ Ihr Grinsen war bereits vom Wein verzerrt. „Da hast du Recht. Ich denke, wir schaffen es allein. Wir sind schon so weit gekommen.“ – „Aber das Beste ist, er hat eine neue Spur für uns. Mareg erzählte etwas von einem Schwert des Granas, das vom Himmel fiel, gar nicht weit von hier. Klingt nach einem Ziel?“ – „Klingt nach einem Ziel.“ Wir stießen an und lachten. „Wie wäre es eigentlich“, fragte ich, „wenn du etwas singst? Ich bin sicher, sie würden dich noch mehr lieben.“ – „Oh nein, es ist ganz und gar der falsche Zeitpunkt für Kirchenlieder. Und wie du weißt…“ Sie sprach langsam und genoss jedes Wort, während sie ihren Blick keine Sekunde von mir nahm. „… bin ich auch nicht mehr im Geschäft.“

Mein Puls begann zu rasen. Das hatte sie wirklich gesagt und wie zum Beweis beugte sie sich vor und blieb erstaunlich lang in meiner Nähe, ehe sie mir zuflüsterte: „Dort drüben gibt es eine Quelle. Ich fühle mich ganz schmutzig.“ Dann lachte sie, nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Weinglas und war verschwunden.

Ich stand auf. Das Fest um uns herum wogte, als sei nichts passiert. Ich wollte mich daranmachen, Elena zu folgen, als mir bewusst wurde, dass Mareg mich aus der Ferne anstarrte. Dann grinste er und zeigte mir seinen Daumen.

Gute Jagd.



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