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Grandia II: Der Pfad zur Seele

Eine Tragödie in 5 Akten
von

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Ein einfacher Job (2)

Die Reaktion des Mädchens bestand aus ungläubigen Stammeln und Starren. Ziellos wechselten ihre Blicke zwischen dem Priester und mir. „Aber…“, begann sie, ehe er ihr das Wort abschnitt. „Es ist nötig.“ Sie senkte den Blick und gehorchte. „Ja, Vater“ Ein braves Mädchen. Dann wandte sich der Priester wieder mir zu. Ein entschuldigendes Lächeln. „Verzeihen Sie mir bitte, ich wurde aufgehalten.“ Dann kam er gleich zur Sache. „Heute Nacht“, sagte er, „findet im Carmina-Turm eine Zeremonie statt. Elena hier wird dabei eine große Rolle spielen. Wenn Sie sie bis dorthin begleiten könnten und zurückbringen, dann wäre es schon alles.“ Er lächelte viel zu gütig. „Es tut mir leid. Ich bin kein Kindermädchen.“ Es war nicht mein letztes Wort, aber ich kannte die Gegend. Man brauchte schon eine Menge Pech, um dort in Probleme zu geraten und das hieß, dass er dem Mädchen entweder nicht vertraute oder es gab noch einen Haken, von dem ich nichts wusste. Ich ging von Letzterem aus und hoffte, er würde mich gleich einweihen. Er hatte mir ja schon indirekt gestanden, in Zeitnot zu sein. „Ich möchte Sie bitten“, sagte er, „Elena ist kein Kind. Sie wird Ihnen keine Probleme machen.“ Zu viele Blicke zielten mit einem Mal auf das schweigende Mädchen. Sie versank noch etwas tiefer in der Bank. Ich hingegen konnte eines ausschließen und tastete mich langsam vor. „Was wartet denn im Carmina-Turm auf sie?“ – „Eine Gruppe von Chorsängerinnen eilte voraus, um die Zeremonie vorzubereiten. Der Turm ist sicher, wenn Sie das meinen.“ Er lächelte entschuldigend, als er anfügte. „Ich möchte Sie jedoch bitten, ihn nicht zu betreten. Das wäre mir wichtig.“ Langsam nahm das Ganze seltsame Züge an. Ich traute dem Braten nicht und fragte ganz direkt: „Der Weg zum Turm ist weder hart noch gefährlich. Was bringt Sie dazu, einen erfahrenen Geronshund zu bezahlen, statt ihr einfach zwei Dorfjungen mit Stöcken zur Seite zu stellen? Bitte sagen Sie mir, was Sie fürchten, Vater, dann kann ich Sie besser von dieser Furcht befreien.“ Ich klang so freundlich wie ich konnte, während ich ihn nicht aus den Augen ließ. Es gab eigentlich nur drei Möglichkeiten: Entweder spielte er ein doppeltes Spiel oder irgendwas lag auf der Lauer oder er war einfach nur dumm. An Letzteres glaubte ich nicht. „Die Zeremonie ist wichtig“, sagte er, „Sehr wichtig und Elenas Rolle ist es ebenfalls. Bringen Sie dorthin und sorgen Sie dafür, dass nichts in der Nacht den Turm stürmt. Dann haben Sie sich den Lohn eines erfahrenen Geronshunds wirklich verdient.“ Das beantwortete keine Fragen und doch wusste ich, dass ich entscheiden musste. Eine innere Stimme schrie zur Vorsicht, aber mein Blick wanderte zu dem blonden Mädchen. Was auch immer passieren mochte, ohne mich war sie in weit größerer Gefahr als mit mir. „Einfacher Tagessatz bei Ruhe, doppelter bei Katastrophen. Dann bin ich dabei.“ Der Priester war erleichtert, von Elena kam keine Reaktion. Ich sagte ihr, sie solle sich bereitmachen. Und schon bald brachen wir auf.

Der erste Teil der Reise durch das Umland von Karbowitz war ein Spaziergang, erst als wir in den Witter Wald kamen, wurde es dunkler. Elena, das Mädchen aus der Kirche, folgte mir schweigend. Ich konnte erkennen, dass sie selten herauskam. Sie ächzte und schnaufte und konnte meinem Schritt kaum folgen, bis wir schließlich eine Pause machten. Wir waren kaum zwei Stunden unterwegs. „Geht es?“, fragte ich sie und sie nickte. „Was ist das eigentlich für eine Zeremonie, die ihr da abhaltet?“ – „Darf ich Ihnen nicht sagen.“, antwortete sie harsch, erschrak dann aber selbst und versuchte, sich zu entspannen. „Naja, eigentlich… Der Turm ist ein heiliger Ort und damit das so bleibt, braucht es Zeremonien wie diese.“ Ich lächelte, um sie nicht wieder scheu zu machen. „Also deshalb darf ich ihn nicht betreten?“ – „Genau. Nur Kirchenangehörige dürfen hinein. Die meisten aus dem Dorf wissen nicht einmal, dass es ihn gibt.“ – „Also deshalb auch keine Dorfjungen mit Stöcken“, lachte ich. „Die könnten zuviel tratschen.“ Sie stimmte mit ein, wenn auch zurückhaltend. „Du bist Elena, nicht wahr? Wie wäre es, wenn wir die Sache hier so handhaben, dass wir beide zufrieden sind?“ Ich hob die Hand und sie schlug zögerlich ein. „Elena, genau. Sie sind Herr Ryud… ach, das weiß ich ja schon.“ – „Ryudo reicht. Ich mag es nicht förmlich.“ Damit war alles gesagt. Wir gingen weiter und unterhielten uns noch ein wenig. Sie lebte schon immer in diesem Dorf, im Turm warteten ihre Freundinnen und natürlich war sie ganz aufgeregt, wenn sie daran dachte, dass sie das Ritual zu leiten hatte. Doch sie hatte gebetet und gelernt und hoffte nun, gut vorbereitet zu sein. Allein, das vertrieb ihre Nervosität nicht.

Irgendwann war alles gesagt und wir gingen schweigend. Der Wald wurde dunkler, Augen schienen im Gebüsch zu lauern und ich war wachsam. Leicht konnte etwas passieren. Dazu war ich ja da. Doch für den Moment sollte nichts geschehen. „Herr Ryudo?“, begann das Mädchen auf einmal, nur um sich dann zu erinnern, „Ryudo, warum haben Sie das in der Kirche eigentlich gefragt?“ Ich wusste nicht, was sie meinte. „Was denn?“ Sie war sich nicht sicher, als sie sprach: „Das mit dem Essengehen. Wie kommen Sie dazu?“ Ich lächelte. „Möchtest du denn?“ – „Ich gehöre doch zur Kirche. Und Sie kennen mich doch gar nicht. Warum wollen Sie dann also…?“ Zu süß. „Tue es und finde es heraus.“, gab ich ihr zurück. In diesem Augenblick machte ich mir noch keine Gedanken, was ich von ihr halten sollte. Der Turm, die Nacht, ein Weg zurück. Dann war hoffentlich alles gut.
 

So ging die Reise ruhig fort und es dauerte nicht mehr allzu lange, bis schließlich die Spitze des Turms über den Wipfeln erschien. Und schließlich wurden Umrisse deutlich, schwarzes Gestein und das Reden junger Mädchen. Wir waren am Ziel. Elena war sehr still gewesen, doch mit jedem Schritt, der sie dem Ziel näher brachte, schien sie wieder etwas Kraft zu gewinnen. Mit ihren letzten Schritten bedankte sie sich bei mir für die gute Geleitung, während ich ihr viel Erfolg bei der Zeremonie wünschte. Wir schüttelten die Hände und versprachen, gut auf uns aufzupassen. Währenddessen beobachteten uns ihre Freundinnen und kicherten. Es war ihnen wohl zu lang.

Schwere Tore fielen ins Schloss. Mit einem Mal wurde es still. Ich war wieder allein. Ich seufzte und setzte mich auf einen Felsen, während Skye über mich kreiste und mich daran erinnerte, dass noch nichts vorbei war. Ich sollte ein Feuer entzünden, solange ich noch Licht hatte, denn in dieser Nacht würde ich Licht brauchen. Nun galt es, die Tore vor dem zu schützen, was auch immer kommen mochte. Die Aussicht klang nicht rosig. „Was denkst du gerade?“, begann Skye, als ich schließlich vor meinem brennenden Feuer saß und den Turm betrachtete. Es war Nacht geworden und seltsam still. „Ich frage mich“, sagte ich, „ob ich sie wohl singen hören werde. So viele Chormädchen auf einem Haufen und es ist so still.“ Mein Blick blieb beim Turm. Er weckte mein Interesse. „Was denkst du, wie alt er ist?“ Dicke, schwarze Mauern im tiefsten Wald, eine beachtliche Höhe, er musste aus einer Zeit sein, als es hier noch Menschen gab, die ihn errichten konnten. Aber er war auch noch nicht eingestürzt und Ruine geworden. Es war seltsam. „Vielleicht aus dem großen Krieg oder kurz danach“, bestätigte Skye meine Vermutung. „Siehe dir das Relief über der Pforte an. Es zeigt etwas Großes.“ – „Was? Meine Augen sind zu schlecht.“ – „Ich sehe es, aber ich kann es nicht deuten. Irgendwas Großes.“

Ich setzte mich zurück auf den Stein am Feuer und seufzte. Warten war wirklich nicht meine Stärke, doch andererseits war ich auch froh, dass alles so ruhig war. Wie gerne hätte ich irgendwas Essbares im Feuer gehabt, dachte ich und merkte, dass ich hungrig war, doch auch darauf musste ich in dieser Nacht verzichten. Wenn etwas kam, könnte es schnell kommen. Ich musste bereit sein. „Was hältst du eigentlich von ihr?“, fragte mich Skye ganz plötzlich. Ich musste lachen. „Von Elena? Scheint ganz nett zu sein.“ Diese Antwort befriedigte ihn nicht. „Wie nett?“ – „Hätte nichts dagegen, sie näher kennenzulernen. Vielleicht können wir ja bald unseren Erfolg feiern.“ Ich betrachtete mein Schwert auf meinem Schoß, die Klinge nahm das Flackern des Feuers auf. „Ich möchte aber bald weiterziehen. Weiß noch nicht, wohin, aber ich glaube nicht, dass ich hier Rost ansetzen möchte.“ Skye betrachtete mich ruhig, wie er es häufiger tat. „Du könntest aussteigen“, sagte er. „Das Geld hast du inzwischen. Warum suchst du dich nicht einen Ort, an dem es dir gefällt und nimmst dir ein schönes Mädchen?“ Ich dachte einen Moment nach, dann schüttelte ich den Kopf. „Nein, das wäre nichts für mich.“ Ich musste in Bewegung bleiben. Ich wollte das Schwert in meiner Hand nicht loslassen. Vermutlich fürchtete ich mich davor, was dann passieren könnte. „Deine Entscheidung“, sagte Skye und schien mit nichts anderem gerechnet zu haben. Er wurde wieder still.

Mein Schwert lag schwer auf meinem Schoß und ich genoss die Wärme. Ganz Unrecht hatte er nicht und ein großer Nachteil der Arbeit als Geronshund war, dass man täglich sein Leben riskierte. Diese Nacht hingegen war so friedlich und still, es erschien mir ganz ungewöhnlich. Vor welchen Monstern auch immer der Priester Angst hatte, sie schienen nicht zu erscheinen. Und auch die Sterne waren klar. Ich blickte hinauf zum Himmel und bemerkte mit einem Mal, dass sich der Mond rot färbte, als würde Blut aus einer Wunde seine Haut bedecken. Er wurde röter und röter. Es war kein gutes Zeichen, das wusste ich und doch störte es den friedlichen Abend nicht. An einem Ort auf der Welt, wurde mir bewusst, musste dieses Zeichen für irgendjemanden Übles bedeuten. Möglicherweise war ich es. Ich wusste es nicht.

Mein Blick senkte sich und ich betrachtete das massive Tor. Aus der Dunkelheit dahinter war immer noch keine Musik zu hören. Schluckte der Ort jedes Geräusch oder wurden sie etwa gestört? Das Schwert in meiner Hand. Fast wollte ich nachsehen gehen.

Mit einem Mal zerriss ein Schrei die Stille. Die Stimme eines Mädchens voller Schmerz und Panik drang aus dem Turm. Sofort war ich bereit. Die Monster, die der Priester erwartet hatte, waren eingetroffen, doch hatte er sich am Ort geirrt. Sie waren längst im Turm. Und ich musste nun schnell sein.
 

Auf einmal war meine Ruhe dahin und verwandelte sich in Panik. Ich riss die Tür auf und wurde fast erschlagen von der Woge aus Finsternis, die mir entgegenschlug. Der Priester musste gelogen haben. Dies war kein heiliger Ort, es war ein finsterer und die Alpträume waren aus dem Keller gekrochen. Angst und Wut ergriffen mich und ich ergab mich ihnen, mit dem Schwert in der Hand stürmte ich in den Turm, um noch irgendwas zu erreichen, auch wenn es eigentlich zu spät war.

Zitternd und schreiend fand ich mich wieder, als ich mich vor dem Turm im Gras wälzte. Blut und stinkender Schleim verdreckte mich, Wunden schmerzten, mein Herz pochte wie verrückt. Auch wenn ich mein Schwert nicht mehr halten konnte, ließ ich es herumsausen und schrie in die Leere: „Du bist nicht hier. Du kannst nicht hier sein. Geh und stirb. Verschwinde von mir.“ Skye war bei mir, irgendwo in der Nacht. Er sagte mir, ich solle mich beruhigen, doch auch ihn schrie ich an. Ich schrie und fuchtelte, bis mein Schwert meiner Hand entglitt und zu Boden fiel. Da erst ließ mich der Rausch langsam frei und da erst erkannte ich, dass ich nicht alleine war. Ein Körper in weißem Samt lag vor mir im Dreck, Blut klebte ihr blondes Haar an ihr Gesicht. Ich konnte es nicht fassen. Elena hatte es zumindest herausgeschafft.

Panik wich schlagartig Verzweiflung. Mit einem Male klammerte ich mich an sie und konnte meine Tränen nicht zurückhalten. „Du lebst noch“, flüsterte ich ihr zu wie ein Verschwörer. „Du lebst noch. Ich konnte dich retten. Ich konnte dich retten.“ Ich umklammerte sie, ich küsste sie, immer und immer wieder auf Stirn und Wangen, ich wollte sie nicht mehr loslassen. All der Schrecken war doch nicht umsonst. Ich hatte doch gesiegt.

In der Ferne hörte ich Skye zu mir sprechen. Ich konzentrierte mich auf seine Stimme, ließ ihn näher und näher kommen und entwand mich auch diesem Wahn. Langsam wurde ich mir bewusst, wo ich war und so nahm ich Abstand von Elena und fühlte lieber, ob sie verletzt war. Sie hatte Glück. Nichts außer dem, was ich nicht heilen konnte.

Langsam trat auch sie zurück ins Licht. Mit einem Mal stöhnte sie, öffnete die Augen. „Geh weg“, waren ihre ersten Worte, „Lass mich in Ruhe. Lass mich.“ Sie sah mich nicht an. Was auch immer sie bedrängte, war ihr aus dem Turm gefolgt. Doch sie wand es langsam ab. Bald bewegten sich ihre Augen. Dann schien sie den Nachthimmel wahrzunehmen, die klaren Sterne und einen Mond, der so unschuldig wirkte wie noch nie in dieser Nacht. „Au!“, stöhnte sie und hielt sich den Kopf. Langsam kam sie zu sich. „Ryudo“ Ein Flehen nach Antworten. Doch ich hatte keine. „Was ist passiert?“, fragte ich stattdessen. Sie schüttelte den Kopf, neuer Schmerz. „Ich weiß es nicht.“ Dann, nach einer Weile: „Wie geht es den anderen?“ Ich erinnerte mich an flüchtige Bilder. „Gar nicht mehr.“ Sie starrte mich nur an. „Oh“, sagte sie. „Nicht gut“ – „Nicht gut“, echote ich. „Wirklich nicht.“ – „Und wie geht es dir?“ Ich war ganz überrascht, dass sie es fragte. „Ich lebe.“ – „Gut“, sagte sie und schloss die Augen. Sie schlief sofort ein.

Ich blieb zurück. Noch einmal fühlte ich, doch sie war wirklich nicht verletzt. Wie gerne hätte ich es gleichgetan und mich zu ihr gelegt, doch das durfte ich nicht. Ich war hier zu ihrem Schutz. Nun schlief sie wie ein Engel und ich fand, ich sollte darüber wachen.

Skye war bei mir und ich ließ ihn nicht in Frieden. „Würdest du über mich wachen?“ Er ignorierte die Frage. „Bist du wieder bei dir?“ – „Bin ich. Aber ich werde morgen einiges brauchen, um…“ Ich sprach nicht zu Ende. Irgendwas hatte mich gepackt und aufgewühlt. Es sprach eine Stelle an, die wehtat, und irgendwie wollte ich, dass es vorbei ging. Aber ich wusste nicht wie. „Vergiss es“, riet ich Skye. „Vergiss den heutigen Abend. Am Besten hat er nie stattgefunden.“ Ich packte mein Schwert und wischte es im Gras ab, immer und immer wieder, bis vieles von Blut und Fleisch von der Klinge verschwunden war. Mit der Kleidung ging es nicht so leicht. Ich hätte fluchen können. Es störte mich.

Neben mir schlief ein Engel. Doch um ihn würde ich mich erst morgen sorgen.



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