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Grandia II: Der Pfad zur Seele

Eine Tragödie in 5 Akten
von

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1. Akt: Ein einfacher Job (1)

Schlesien, das ist ein Dreckloch. An manchen Tagen fühle ich mich hier gefangen. An manchen Tagen hasse ich mein Leben, das ich hier führen muss. Ich hasse die Leute, die mir verächtliche und verängstigte Blicke zuwerfen, wenn sie mich treffen, und die mich lieber gehen als kommen sehen, zumindest solange sie mich nicht brauchen. Sie denken sich: „Was muss das für eine Ratte sein, wenn er ein Schwert zum Leben braucht?“ Und im nächsten Moment brauchen sie es. Und dann lächeln sie.

Die ganze Geschichte begann an einem dieser Tage. Meine Reise hatte mich in den Nordosten Schlesiens nahe von Karbowitz verschlagen, als ein älterer Mann mit seiner Tochter zu mir kam. Seine Geschichte war herzzerreißend, aber von einer Art, wie ich sie kannte. Eine Bande Echsenmenschen hatte sein Landgut überfallen und mitgenommen, was nur genug funkelte. Leider war darunter ein kostbares Schwert, ein Familienerbstück über Generationen, und genau das wollte er wiederhaben. Es war sehr kostbar und für ihn außerdem ein Träger von Erinnerungen. Ich hörte ihm nur mit einem Ohr zu. Ich kannte diese Geschichten.

Vielmehr ruhten meine Augen auf seiner Tochter. Mich faszinierten ihre schönen, dunkelblonden Haare, ihre blauen Augen, ihr Lächeln, als sie meinen Blick bemerkte, schüchtern und doch froh. Sie war doch eine schöne Blume, dachte ich, während ich mit ihrem Vater über den Preis verhandelte, und ich erinnerte mich, wie lange es keine Frau mehr in meinem Leben gab. Ach, es fehlte mir, es fehlten mir überhaupt Menschen, die nett zu mir waren und in mir mehr sahen als eine Klinge zum Wegwerfen. Das Mädchen schien nett zu sein. Vielleicht würde ich ja nach der Arbeit die Chance bekommen, mit ihr zu reden. Ich hatte danach noch keine Pläne und mit einem Beutel voll Gold hatte ich es nicht eilig. Noch vor dem Gold stand das Eisen.

Ich brauchte knapp zwei Tage, um das Lager der Echsen zu finden. Dann überlegte ich mir einen Plan. Es waren zu viele, als dass ich sie alleine besiegen könnte, also musste ich einen anderen Weg nehmen. Ich entschied mich dazu, hineinzuschleichen, den Häuptling zu suchen und diesem das Schwert abzunehmen, welches er entweder als Waffe oder als Trophäe führen würde. Dann würde ich den Hang abwärts klettern, um möglichst schnell möglichst weit von der Horde wegzukommen. So lautete der Plan. Nur der letzte Teil ging schief. Die Wachen waren schneller und der Hang schwieriger. Mein Seil ging verloren, ich wurde von geworfenen Steinen getroffen und stürzte. Als ich schließlich wieder bei Mann und Tochter stand, da schmerzten meine Beine noch bei jedem Schritt und ich hatte eine hässliche Wunde auf der Stirn, doch damit kam ich eigentlich glücklich davon. Es war nichts gebrochen.

Trotzdem hatte ich verloren, ich sah es an den Augen des Mädchens. Ich hatte sie verloren. Vor wenigen Tagen noch waren sie neugierig und sympathisch, nun wichen sie mir aus in einer Mischung aus Abscheu und Angst. Ich wusste, was vorgefallen sein musste. Ihr Vater musste ihre Blicke bemerkt haben – oder hatte sie sich durch eine Bemerkung verraten – und hatte ihr den Kopf gewaschen. Meinesgleichen wäre doch meinesgleichen und wenn sie schon nach Männern blicke, dann doch wenigstens nach ehrlichen und treuen, nach solchen, die für ihren Lebensunterhalt nicht herumziehen und töten mussten. Ich hätte laut aufschreien können, als ich es verstand. Es war immer das gleiche Lied.

Ich hatte das Mädchen verloren. Ich war wütend. Was brauchte ich Freund oder Frau in diesem Drecksloch, dachte ich mir, es war doch beides nichts wert. Es ist doch beides… ach, ich wollte irgendetwas kleinschlagen oder mich scheußlich betrinken, doch stattdessen tat ich, was ich zu oft tat an diesen Tagen: Ich stürzte mich in neue Arbeit. Und ohne dass ich es merkte, setzte ich die Mühlen in Gang. Und so begann meine Geschichte.
 

Genauer gesagt begann sie in Karbowitz mit einem an einen Baum geknoteten Zettel. Auf ihm stand zu lesen: „Die Kirche des Granas sucht einen Geronshund für eine Reisebegleitung auf kurze Strecke. Lohn nach Vereinbahrung, bei Interesse dient Priester Carrius als Ansprechpartner.“ Natürlich brauchten sie dafür deutlich mehr Worte. Ich seufzte, während ich mich nach Skye umblickte, um dessen Meinung zu hören. Skye, das ist ein großer, sprechender Adler mit einem Horn auf der Stirn, ist mein Partner, seit ich in diesem Gewerbe bin. Man könnte sagen, er ist der einzige Freund, den ich habe, und ich habe seinen Rat zu schätzen gelernt. Besonders in kniffligen Situationen wie dieser hier.

Und knifflig war sie. Skye wusste ebenso gut wie ich, dass die Kirche des Granas die beherrschende Macht in Schlesien war. Ihr Glaube war ebenso verbreitet wie ihre Priester, in jedem Dorf zu finden. Sie nutzten nur selten freie Kräfte und vertrauten lieber auf ihre eigenen Institutionen wie die Kardinalsritter, was für mich ein Grund zur Sorge war. Ich hatte die Befürchtung, sie wollten mich verheizen. Skye hingegen lachte, als er davon hörte. Wir wären hier in der tiefsten Provinz, sagte er, und St. Heim ist weit. Vielleicht möchte der Priester nicht warten. Was spräche also dagegen, wenn wir uns die Sache wenigstens einmal anhören würden? Seufzend gab ich mich geschlagen. Ich erinnerte mich an das blonde Mädchen, dessen Namen ich nie erfuhr, und seufzte. Als Ablenkung wäre es doch ideal, immerhin ginge es ja um Kirche und nicht um Mädchen. Eine einfache, unpersönliche Sache ohne Aussicht auf Enttäuschungen.

Glücklich war ich aber trotzdem nicht. Die Kirche des Granas gehörte ganz klar zu den Dingen, die in Schlesien zum Himmel stanken. Es war eine sinnlose Religion über einen Gott, der viel forderte und nichts gab und dessen Lehren von einer so einschläfernden Banalität waren, dass ich nicht verstehen konnte, wie die Menschen ernsthaft daran glauben konnten. Natürlich sahen sie das ganz anders und jeder Schlesier, egal ob Bauer oder Priester, war schnell bereit, einen mit einer Predigt zu beglücken, wenn man sich nur zu große Skepsis anmerken ließ. Nun wünschte diese Kirche meine Dienste. Ich hoffte, sie würden mich keine Prozession beschützen lassen wollen. Aber allein schon der Gedanke ließ mich grinsen. Ein Geronshund inmitten feiner Leute. Wie verkrampft sie wegsehen würden.

In der schlesischen Gesellschaft bedeuten Geronshunde wie ich nicht viel. Es sind herumziehende Monsterjäger und freie Kräfte, die der gehobene Bürger mit einem Säckchen Gold für sich nutzbar machen kann, um sie in die monsterverseuchte Wildnis jenseits der Stadtmauern zu schicken. Dabei ist das Schwert ihr Arbeitsgerät, die Gefahr ist Begleiter und die Straße ihre Heimat, sind sie doch immer auf der Suche nach Gold und Arbeit. Mein Name ist Ryudo und ich kann von mir behaupten, einer der besten Geronshunde Schlesiens zu sein. Ich war schon immer bereit, auch die Missionen zu übernehmen, die wirklich gefährlich sind, und bin dabei wirklich erfolgreich. Man könnte denken, dass ich einen guten Ruf habe, doch leider besitzen in unserer Zunft nur die schlechten Beispiele Namen. Zuverlässige und tapfere Streiter wie ich werden nicht danach gefragt. Wir gehören zu keiner Gemeinschaft und niemand weint um uns.

Schlesien ist doch ein Drecksloch und die Kirche von Granas ebenso. Trotzdem hatte ich bereits entschieden, mir die Sache anzuhören. Skye hatte einfach Recht, es würde mir nicht schaden, sie anzuhören, stattdessen würde es mir entweder Gold oder eine bessere Einsicht bringen, was in Schlesien alles schief lief. So machte ich mich auf den Weg, der zumindest einen Vorteil hatte: Kirchen in Schlesien sind nicht zu übersehen. Zumindest dieser Teil würde einfach sein.
 

Und tatsächlich: Dieser Teil war einfach. Karbowitz bildete dabei keine Ausnahme. Eine große Pforte erwartete mich, Skye ließ ich bei der Statue des Kirchplatzes zurück. Verhandlungen waren einfach nicht seine Sache und ich musste grinsen, als ich daran dachte, dass er die Statue weißen würde, während ich im Inneren der Kirche ihr Geld abnahm. Die Pforte ließ sich öffnen und ich trat ein.

Eine große Halle lag vor mir. Ich blickte nicht nach links oder rechts, um mich nicht blenden zu lassen, sondern ging stur voran. Meine Stiefel hallten durch das Schiff, als mir auffiel, dass ein Mädchen sang. Ich ließ mich davon nicht stören, doch entging es mir nicht. Ich kannte das Lied nicht, kannte nicht einmal die Sprache, in der sie es sang, doch es war schön. Sie hatte Talent, soweit ich es beurteilen konnte. Von mir aus konnte sie gerne weiter singen, dachte ich, bemerkte aber, wie das Schlagen meiner Stiefel auf von Teppich gedämpften Holzdielen immer mehr von ihrem Lied zerriss. Schließlich endete das Lied. Das blonde Mädchen in weißem Stoff wandte sich um und erkannte, wie nah ich ihr gekommen war. Ich lächelte und sie erschrak, völlig aus der Fassung. Ich lehnte mich an die vorderste Bank.

Schön war sie doch, dachte ich und lächelte, saubere, weiße Gewänder, eine gepflegte Frisur, zarte Haut, süße sechzehn Jahre vielleicht, schüchterne, ängstliche braune Augen… ich musste grinsen, als ich sah, wie sie mein Schwert anstarrte und meine schmutzigen Stiefel. „Hey“, sagte ich, um die Spannung zu lösen. „Ich wollte dich nicht unterbrechen. Du kannst ruhig weiter singen.“ Ich lächelte, doch es kam nicht an. „Was wollen Sie?“, fragte sie mit einer Mischung aus Angst und Abscheu. „Dies ist das Heim Granas. Wissen Sie, dass Sie ein Gast sind?“ – „Natürlich“, sagte ich grinsend, „deshalb bin ich hier.“ Ich sah mich demonstrativ um. „Schön ist es hier.“

Sie folgte meinen Blicken nicht. Keine Reaktion. „Tut mir leid wegen den Flecken auf dem Teppich“, fügte ich hinzu. „Aber ihr habt keinen Fußabtret…“ – „Doch“, fiel sie mir ins Wort und ich gab mich gleich geschlagen. „Dann habt ihr einen“, gab ich zu und setzte mich auf die Bank. Ich seufzte. Dieses Mädchen war schön und sicherlich auch nett, aber gerade gefiel sie sich etwas zu sehr in ihrer Rolle als Eisprinzessin. „Wenn du jetzt den Teppich saubermachen musst, dann tut es mir doppelt leid. Oder machst du das nicht? Ich muss zugeben, ich kenne mich mit der Kirche des Granas nicht gut aus.“

Ich hatte auf eine Reaktion gehofft, doch diesen Gefallen tat sie mir nicht. „Der Teppich ist nicht wichtig.“, sagte sie knapp. Sie ließ mich nicht aus den Augen, als sie fragte: „Warum sind Sie hier?“ Ich lächelte und bedachte sie mit meiner entwaffnendste Geste. „Im Moment warte ich“, sagte ich. „Ich bin hier, um den Priester zu sprechen, Carrius sein Name. Allerdings scheint er nicht hier zu sein und du scheinst auch nicht zu wissen, wo er ist, also warte ich.“ – „Vater Carrius ist auf Visite im Dorf“, sagte sie. „Würden Sie gegen Abend wiederkommen? Ich werde ihm ausrichten, dass er Sie erwarten möchte.“

Ich musste fast lachen, als sie es sagte. Sie wollte mich also rauswerfen. Doch das entsprach nicht ganz meinen Plänen. Zum einen sagte mir meine Erfahrung, dass es ungünstig für mich wäre, diesen Ort aufzugeben, wo ich ihn beherrschte, zum anderen aber war ich auch neugierig, was passieren würde, wenn ich mich nicht fügte. „Ich bin mir nicht sicher“, begann ich, „ob die Sache nicht dringend ist, wegen der mich Priester Carrius herbestellte, und scheinbar weißt du es auch nicht. Es ist das Beste, wenn ich hier warte. Ich nehme an, er kann jeden Moment wieder hier sein.“ Ich lächelte und legte die Hände in den Schoß. Das Mädchen stand da, starr wie die Statue auf dem Kirchplatz, und grübelte fieberhaft nach einem Weg. Schließlich sagte sie: „Wenn ihre Zeit dazu nicht zu kostbar ist“, doch ihr Tonfall zeigte, dass sie von ihrer Niederlage wusste.

Sie blieb stehen wie ein Lamm im Regen, wich nicht vom Altar und ließ mich nicht aus den Augen. Ich verkniff mir, laut loszulachen, als ich sie so sah. Was dachte sie von mir? Wenn ich die Kirche plündern wollte, dann wäre sie bereits tot, und wenn ich hier Arbeit finden wollte, dann würde ich sie nicht zerstören. Es war nobel von ihr, mir weiter Gesellschaft zu leisten, doch diese Art des Soldat-Spielens war kein Triumph für sie. Ich hielt das Schweigen eine Zeitlang aufrecht, lange genug, um sie fühlen zu lassen, dass sie sich lächerlich machte, dann lächelte ich sie an. „Setze dich doch zu mir“, sagte ich. „Da hast du es bequemer.“ Sie setzte schon zu einem Kopfschütteln an, doch dann gab sie sich geschlagen. Sie kam zu mir und setzte sich, doch wählte sie die andere Bank. Genug Sicherheitsabstand für ein Lamm vor der Bestie. Zu süß. „Ich bin Ryudo“, sagte ich. „Wenn du mir verzeihst, dass ich dir den Tag versaut habe, dann lass uns etwas essen gehen.“ Verdutzt starrte sie mich an, doch sie kam nicht mehr dazu, zu antworten, da mit einem Mal geräuschvoll die Pforte aufschwang. Ein Mann mit einer Robe trat ein und erkannte uns. „Herr Geronshund“, sagte es, „Ich bin erfreut, dass sie den Weg in unsere Kirche gefunden haben. Elena haben Sie ja bereits kennen gelernt.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Miyu-Moon
2010-01-19T08:27:01+00:00 19.01.2010 09:27
Ist zwar eine Weile her das ich den Dialog gelesen habe, aber ich hätte doch eine Frage zu der Interpretation des Wortes Geronshund.
Geron klingt nach recht altem Deutsch, also was bedeutet es? Im Englischen war es ja "Geohound".
Mir gefällt aber, dass wir mehr von Ryudos Gedankengängen erfahren, auch wenn mir da die Breitseite Sarkasmus fehlt. Ist aber deine Interpretation.
Wie bist du auf das Spiel gekommen?



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