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Diagnose: Schreibblockade

Dreimonatige Challenge
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Könnte mir sogar eine Fortsetzung zu dieser Geschichte vorstellen :) Komplett anzeigen

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20.4.2024: bürgerlich

„Ist das nicht ein wenig kalt?“

Hellen war so in ihren Gedanken verloren, dass sie die Frage erst beim zweiten Mal bemerkte. Sie schreckte regelrecht zusammen, als sie den Blick zu dem älteren Herrn hob, der neben ihrer Parkbank stand, gehüllt in einen warmen Mantel und seinen Schirm über ihrem Kopf ausgebreitet. Im ersten Moment wusste sie noch immer nicht, was sie sagen sollte.

„Ich will mich nicht aufdrängen, aber Ihr Kleid sieht ein bisschen dünn für dieses Wetter aus. Geht es Ihnen gut?“, sprach er erneut zu ihr und dieses Mal hob sie abwehrend die Hände.

„Ja, alles bestens!“, antwortete sie mit einer viel zu hohen Stimme und lächelte schief.

„Tut mir leid, ich…“ - wofür entschuldigte sie sich eigentlich? Sie saß ja nur auf der Parkbank, schaute dem angrenzenden Flüsschen zu, wie es seine Bahnen zog und war dabei eventuell ein wenig unangemessen für das aktuelle Wetter gekleidet.

„Ich gehe gleich weiter. Aber vielen Dank, dass Sie sich Sorgen gemacht haben“, sprach sie nun etwas ruhiger und ließ die Hände sinken. Der Herr nickte.

„Wie Sie meinen“, sagte er und musterte sie kurz.

„Einen Schirm haben Sie nicht bei, oder?“

Sie schüttelte den Kopf. Da, wo sie hergekommen war, hatte sie keinen gebraucht.

„Dann lasse ich Ihnen meinen hier“, drückte er ihr den Griff in die Hand und ging weiter, ehe Hellen ablehnen konnte. Sie schaute ihm kurz irritiert nach und murmelte dabei ein leises „Danke“. Mit einem Seufzen ließ sie sich gegen die Rückenlehne sinken, um im nächsten Moment wieder kerzengerade zu sitzen, als sie merkte, dass sich die Nässe dadurch an ihren Rücken heftete. Erst jetzt nahm sie wahr, wie der leichte Fissel an den Härchen ihrer Unterarme hing und mit Kälte in ihren Körper kroch. Sie zitterte. Aber sie wollte auch nicht zurück. Zurück in diesen goldenen Käfig, wie es ihr manchmal vorkam. Eigentlich hätte sie sich ja glücklich schätzen können, dass Richard, ihr Freund, ausgerechnet ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. Sie gehörte zwar nicht zu den Ärmsten der Armen, aber ihre Familie hatte oft genug zu kämpfen, um über die Runden zu kommen. Seine Familie hingegen war zwar nicht adelig, gehörte mit ihren Immobilienbesitzen, Ärzten, Anwälten und anderen angesehenen Jobs und Posten aber definitiv zur höhergestellten Riege. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht, wenn sie an ihre Familie dachte und nun Richards anschaute. Und sie fragte sich auch nicht zum ersten Mal, warum er eigentlich sie ausgewählt hatte. Es hatte bereits in der Schule genug andere Mädchen gegeben, die auf ihn gestanden hatten – außerhalb der Schule erst recht. Seine Familie saß in Gremien, pflegte zahlreiche Kontakte – und dann interessierte Richard ausgerechnet für sie? War sie nicht viel zu bürgerlich? Was konnte sie schon bieten, außer ihres Aussehens?

Ein weiteres Seufzen entfloh ihrer Kehle und sie schaute an sich herab. Jetzt war ihr Kleid durchnässt, aber vor wenigen Stunden noch hatte sie damit ausgesehen wie eine Prinzessin, als sie auf einen dieser vielen Bälle von einem dieser Gremien gegangen war. Hellen fragte sich, ob sie für Richard nur jemand war, den er vorzeigen konnte. Und mit dem er das Bett teilen konnte. Manchmal hatte sie auch den Eindruck, dass er mit der Wahl seiner Partnerin seine Eltern ein wenig provozieren wollte; das Vorzeigesöhnchen, das der Stolz der Familie war und doch ein paar kleine Eigenheiten an den Tag legte. Und sie selber? Liebte sie ihn überhaupt oder hatte sie sich damals vor allem in das Leben verliebt, das er ihr geboten hatte? In das Gefühl, etwas Besonderes zu sein? Fast wie eine Prinzessin zu sein? Dass an den vielen Märchen, die sie als Kind gelesen hatte, tatsächlich etwas dran wäre? Hellen ließ die Schultern hängen und schüttelte leicht den Kopf. Sie wusste es selber nicht, obwohl sie in den vergangenen zwei Stunden, die sie hier schon saß, immer wieder darüber nachgedacht hatte. Dafür merkte sie nun, dass die Kälte immer penetranter wurde, sich in Schmerz verwandelte, und ihren Körper zunehmend schlottern ließ. Aber außer ihrem Handy und einer Packung Taschentücher hatte sie nichts in ihrer kleinen Handtasche. Sie war in einem Moment plötzlicher Atemlosigkeit und Angst einfach vom Ball geflohen. Hatte dem Mann von der Security, der den Eingang bewachte, gesagt, dass sie kurz ein wenig Luft schnappen wolle und war dann los gelaufen; in die Nacht hinein, durch Parks und Straßen, Gassen und am Fluss entlang, solange, bis es hell wurde und sie sich erschöpft auf dieser Parkbank niedergelassen hatte.

„Jetzt kann ich es aber wirklich langsam nicht mehr verantworten, Sie hier so sitzen zu lassen“, stand plötzlich der ältere Herr wieder neben ihr und sah sie besorgt an. In seinem Arm hielt er eine Tüte vom Bäcker.

„Es geht schon, ich werde gleich nach hause gehen. Noch einmal vielen Dank“, lächelte Hellen zu ihm hoch und hielt ihm den Schirm hin. Sie kannte ja seinen Namen oder die Adresse an der er wohnte nicht und wollte sicher gehen, dass er ihn zurück bekam. Er aber schüttelte vehement den Kopf.

„Niemand setzt sich freiwillig bei diesem Wetter hier hin und lässt sich nass regnen. Ihre Frisur und die Schminke – ich hab zwar nicht viel Ahnung von diesen Sachen, aber da hat sich jemand offenbar sehr viel Mühe mit gegeben und inzwischen ist da nicht mehr viel von zu sehen. Und Ihr Kleid scheint mir auch nicht, als wäre das für morgendliche Spaziergänge durch den Regen gedacht.“ Er hob die Hand und deutete hinüber zu einem kleinen Häuschen mit Ladenlokal, auf dessen Schuld Schuhmacher stand.

„Ich wohn da vorne und meine Frau macht die beste Erdbeermarmelade der ganzen Stadt!“, sprach er stolz und hielt Hellen seine Hand auffordernd hin.

„Wenn Sie nicht reden möchten, dann drängt Sie keiner, aber ich bestehe darauf, dass Sie sich wenigstens kurz bei uns aufwärmen. Trinken Sie eine Tasse Tee oder Kaffee und probieren Sie ein Brötchen mit Marmelade“, legte sich ein Lächeln auf seine dünnen Lippen und Herzlichkeit strahlte aus seinem Blick. Es trieb Hellen fast die Tränen in die Augen. Sie spürte, dass ihre Stimme brechen würde und antwortete darum nur mit einem Nicken und Lächeln, als sie seine Hand griff und ihn begleitete.



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