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Aschenstaub

Der erste Zauberkrieg
von

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Unkrautbekämpfung


 

Hogwarts, Februar 1971

 

Der verhaftete Todesser sprach nicht. Weder über seinen Auftrag, noch die Person dahinter oder sonst etwas, das auch nur entfernt mit Voldemort zu tun hatte. Er weigerte sich sogar, seinen Namen zu Protokoll zu geben. Das Einzige, was Elphinstone direkt herausfand, war, dass sein Gegenüber zu viel Feenkraut rauchte und mit dem plötzlichen Entzug offenbar nicht klarkam. So schrieb er es zumindest in seinem Brief, den eine zerzauste Eileule Minerva beim Frühstück in der Großen Halle überbrachte.

Der Kerl sitzt nur da und röchelt vor sich hin wie ein fettleibiger Crup, der zu stark an seiner Leine zerrt, hieß es da beispielsweise. Zum Glück konnten wir dank seines Zauberstabs und anhand der Fingerabdrücke zweifellos feststellen, dass es sich bei ihm um einen gewissen Benjamin Cowper handelt.

Dieser Nachname war Minerva bekannt, aber das hatte nichts zu heißen. Immerhin war er nicht derart berüchtigt wie Black oder Malfoy. Es gab viele Menschen in Großbritannien, die Cowper hießen – Muggel und Magier. Von daher wäre es keine Überraschung, dass zwei Personen desselben Namens überhaupt nichts miteinander zu hatten. Selbst in ihrer vergleichsweise kleinen Gesellschaft.

Cowper ist 1922 geboren, las sie weiter, momentan lebhaft in der Nähe von Exeter. Ein ehemaliger Slytherin, falls du dich das fragst.

Unwillkürlich zuckte ihr Blick bei dieser Anmerkung zu dem grün besetzten Haustisch hinüber. Die Stimmung dort war zwar nicht mehr so ernst wie im letzten September, aber auf den meisten Gesichtern versteckte sich weiterhin Anspannung. Das Gelächter war kurzlebiger, die Blicke über die Schulter zu den drei anderen Tischen vorsichtiger geworden. Zu vielen Kindern war eine Sympathie für die Todesser unterstellt worden. Meist war es bei fiesen Worten geblieben, doch ebenso hatte Drachendung den Weg in Schultaschen gefunden.

Besonders Narzissa Black hatten diese Ereignisse verändert. Nicht äußerlich – ihr blondes, fast schon silbriges Haar stach auch an diesem Morgen aus der Menge hervor, so sehr schimmerte es im Licht der schwebenden Kerzen. Irgendwann hatte Silvanus Kesselbrand sie im Lehrerzimmer mal mit einem Einhorn verglichen und insgeheim stimmte Minerva ihm zu. Nur hatte sie diese Wesen nie derart ... traurig erlebt. Wann immer sie allerdings Narzissa ansah, schien die jüngste Black in eine unsichtbare Schwärze gehüllt, die ihrem Nachnamen alle Ehre machte. Und dieser Vergleich zu Bellatrix ängstigte Minerva.

Rasch sah sie fort, zurück auf Elphinstones Brief. Die Worte zitterten vor ihr und beschämt stellte sie fest, dass ihre Finger bebten. Nicht nur das, ihr Mund war auch völlig trocken. Zur Beruhigung nahm sie einen Schluck Tee, doch der schmeckte bitter. Dabei hatten die Hauselfen ihn sicher so meisterhaft aufgebrüht wie immer. Gegen das schlechte Gewissen kamen allerdings nicht mal deren Künste an – und das Zwicken in ihrem Kopf war leider berechtigt. Tief innen drin wusste Minerva, dass sie Narzissa nicht für die Taten ihrer ältesten Schwester im letzten Jahr verurteilen durfte. Im Gegenteil, war es nicht fatal, dass sie jetzt wegsah?

Sie biss sich auf die Innenseite der Wange. Ja, ihr Fokus hatte sich gefährlich weit von Hogwarts entfernt. Gerade bei den Streitereien zwischen ihren Gryffindors und den Slytherins müsste sie mehr leisten, als Strafarbeiten zu verteilen ... Und dennoch schlug sie den Gedanken vorerst beiseite, um sich wieder auf Elphinstones ungewöhnlich nachlässige Handschrift zu konzentrieren.

Angestellt ist Cowper laut Register bei einem lokalen Unternehmen für Schädlingsbekämpfung. Will heißen: Für Galleonen flucht er den Leuten Gnome aus dem Garten. Dabei gehören die in einen gesunden magischen Garten! Wann werden all die selbsternannten Landschaftsgestalter nur begreifen, dass niemand sich so effektiv um wahre Schädlinge kümmert wie eine Gnomsippe?

Die folgenden Zeilen waren gefüllt mit allerlei harsch niedergeschriebenen Worten, die in ihrer Bedeutung genauso wenig nett waren wie in ihrer Präsentation. Hin und wieder hatte die Feder sogar das Pergament aufgerissen. Minerva konnte sich lebhaft ausmalen, dass Elphinstone beim Schreiben leise vor sich hingeflucht hatte, die freie Hand in seinem Haar vergraben. Wahrscheinlich hatte er den Ellenbogen auf dem Schreibtisch abgestützt, die Beine überschlagen und unablässig mit der Zehenspitze gewackelt. Die Vorstellung entlockte ihr ein Lächeln, auch wenn das Fazit seines Briefes ernüchternd blieb.

Nicht mal die Androhung von Veritaserum bringt mich voran. Entweder hat sich der feine Herr Resistenz antrainiert – oder er unterliegt einem meisterhaften Zungenfesselfluch und darf nichts sagen. Anders kann ich mir zumindest nicht erklären, dass ihm bei jeder Erwähnung der Schweiß auf die Stirn tritt und er trotzdem nur hustet ...

Nun, wir werden sehen, was passiert, wenn die neue Lieferung Veritaserum erst eintrifft. Momentan gibt es leider einen Engpass, da die zentrale Verteilstelle in den letzten Monaten etwas zu freigiebig damit war. Quasi kein Verhör hat ohne den Einsatz des Tranks stattgefunden, das rächt sich jetzt.

Minerva spürte Elphinstones Seufzen in den Zeilen, als säße er neben ihr.

Es ist schwer, das ist mir bewusst, doch wir müssen uns noch etwas gedulden. Ich melde mich so bald wie möglich wieder. Versprochen.

»Was hast du denn da? Etwa einen Liebesbrief?«

Ertappt schreckte Minerva zusammen und einmal losgelassen tat das Pergament es ihr gleich, indem es sich aufrollte. Von dem bis eben höchstens in Gedanken besetzten Nachbarplatz grinste sie eine verdächtig gutgelaunte Pomona an.

»Keine Sorge, ich will schon nichts lesen! Sag’s mir nur, wenn ich mich für dich freuen darf, ja?« Ohne auf Minervas kleines Schnauben zu achten, lehnte Pomona sich über ihren Teller hinweg, um die Servierplatte mit gegrillten Tomaten heranzuziehen.

»Guten Morgen auch, Mona.« Langsam schüttelte Minerva den Kopf und wandte sich – hoffentlich ohne rote Wangen – wieder ihrem Schwarztee zu. »So wie es aussieht, freust du dich bereits mehr als genug. Vor allem für einen Montagmorgen.«

Wie zur Bestätigung summte Pomona, während sie ihren Teller weiter befüllte. »Es geht doch nichts über eine Doppelstunde Kräuterkunde zum Start in die Woche! Vor allem, da ich heute mit meinen Sechstklässlern die Alraunen im Teenageralter baden werde. Das ist jedes Jahr aufs Neue schön. Schön chaotisch!« Zwinkernd erdolchte sie einen Kartoffelpfannkuchen. »Die armen Dinger wehren sich mit Hand- und Beinwurzeln, bis sie einmal im Zuber sitzen. Aber dann wollen sie am liebsten nicht mehr raus. Hach, dabei zuzusehen, welche Strategien den Schülern einfallen, um sie zu überzeugen, ist einfach ein erfrischender Start in die Woche!«

»Ja, sicher ...« Die Augen zusammengekniffen, überflog Minerva die Besetzung am Hufflepufftisch. In Gedanken war sie noch bei Elphinstones Brief – und zwar nicht dem Teil über Gartenschädlinge. »Sag mal, Mona, wenn wir schon bei deinen Sechstklässlern sind – ist dir in letzter Zeit etwas an Miss Cowper aufgefallen?«

»Hm?« Da Pomona den Mund voll hatte, hob sie ihre buschigen Augenbrauen und formte einen fragenden Gesichtsausdruck. »Cowper?«, nuschelte sie.

»Ja, du weißt schon – Liszette Cowper, die Vertrauensschülerin.«

Pomona schluckte hörbar. »Was soll mit ihr sein ...? Sie tut sich in diesem Jahr weder besonders positiv noch negativ hervor. Ihre Leistung in Kräuterkunde könnte besser sein, aber das Fach war von Anfang an nicht ihre Berufung. Sonst hab ich eigentlich keinen Kummer mit ihr. Du etwa?«

»Nicht direkt. Also verhält sie sich nicht anders seit letztem September?«

»Na ja ... alle verhalten sich anders. Aber ich würde nicht sagen, dass es bei ihr besondere Ausmaße angenommen hat. Im Gegenteil, sie hat mich zusammen mit den anderen Vertrauensschülern wunderbar dabei unterstützt, den jüngeren Kindern ein bisschen Seelsorge zu leisten.«

Das erleichterte Minerva. Dem Urteil ihrer Freundin vertraute sie. Egal wie unbedarft Pomona teils erschien, ihre Menschenkenntnis stand ihrem Herzen in Größe nicht nach (und letztlich war ja nicht mal gesagt, dass Liszette Cowper überhaupt mit dem Verhafteten verwandt war). Trotzdem ließ sie nicht locker. »Erinnerst du dich zufällig noch an ihre Berufsberatung letztes Jahr?«

»Klar!« Stolz drückte Pomona die Brust raus. »Miss Cowper hat großes Interesse daran ausgedrückt, eine juristische Laufbahn einzuschlagen. Ich fand auch, das würde ganz gut zu ihr passen – aber das kannst du vielleicht besser beurteilen. Fragst du deshalb? Ich habe ihr jedenfalls meine Unterstützung zugesichert und die Noten schafft sie bestimmt.«

Erneut lächelte Minerva. »Das ist gut zu hören. Danke, Mona.«

»Immer doch.« Einen Moment schwieg Pomona und sah ihr dabei zu, wie sie gedankenverloren mit dem Zeigefinger den Rand ihrer Tasse entlangstrich. Dann schob sie den Teller von sich. »Ich mein das jetzt nicht als Vorwurf Minerva, aber sei ehrlich – du bist mit deinen Gedanken ganz woanders, oder?«

Sie seufzte. Es gelang ihr nicht, den Blick von den Untiefen ihres Tees zu lösen und sich der prüfenden Miene ihrer Freundin zu stellen. »Nicht mehr als sonst auch«, murmelte sie. »Mach dir keine Sorgen.«

Pomonas Hand landete auf ihrer. »Ich mach, was ich will«, brummte sie finster. »Vor allem wenn es darum geht, dass du mal wieder nicht gut zu dir selber bist. Da muss man sich ja Sorgen machen. Ich mein, sieh nur ...« Sie deutete anklagend auf Minervas Teller, den eine einzige, gebutterte Toastscheibe belegte. »Du isst nicht mal richtig. Ich will ja gar nicht sagen, dass du reinhauen sollst wie ich, aber dieser Raubbau wird sich irgendwann rächen und dann wird’s dir schwarz vor Augen.«

Gequält lachte Minerva auf. »Ach Mona, es ist doch nur viel zu früh –«

»War es das gestern Mittag auch? Oder vorgestern Abend? Oder in der ganzen letzten Woche?«

Herausfordernd sah Pomona sie an und mindestens ebenso trotzig schob Minerva das Kinn vor. »Danke, ich brauche keinen Mutterersatz.«

»Nein, aber eine Freundin.« In Pomonas Augen zogen Regenwolken auf. »Falls ich das denn noch sein darf.«

Als hätte sie sich verbrüht, zog Minerva die Hand von der Teetasse fort. »So meinte ich das doch nicht! Mona – ich ...« Sie ballte die Finger vor ihrem Brustbein zusammen und drückte dagegen, aber natürlich linderte das keineswegs den Schmerz, der sie angesichts von Pomonas traurigem Blick durchzuckte. »Es tut mir leid. Ehrlich. Ich wollte nie, dass du dir Sorgen machst. Und das brauchst du auch gar nicht, wirklich nicht –«

»Nein, nein, diese halbgaren Worte lasse ich nicht gelten!« Ein bisschen zu laut hieb Pomona auf den Esstisch, dass sich die anderen Professoren zu ihnen umsahen. Doch sie ließ sich nicht beirren, sondern funkelte Minerva unter zusammengezogenen Augenbrauen her an. »Versprich mir lieber, dass wir bald mal wieder ins Drei Besen gehen und uns Rosmertas beste Pies gönnen, während wir so richtig gepflegt lästern. Ich meine – wusstest du, dass Hitchins und Loughlin aus der Fünften bare Galleonen mit ihrer inoffiziellen Schülerzeitung verdienen? Die anonyme Gerüchtespalte darin soll eine wahre Koboldmine sein.«

Davon hörte Minerva zum ersten Mal. Verlegen räusperte sie sich. »Mona, es tut mir wirklich leid.« Sie nahm einen tiefen Atemzug und straffte die Schultern, bevor sie das Lächeln zurück auf ihr Gesicht beschwor. »Du hast ja recht. Das müssen wir unbedingt mal wieder tun. Wenn sich die Lage erst beruhigt hat –«

Jetzt war es ausnahmsweise an Pomona, zu schnauben. »Wer weiß, wann das der Fall sein wird. Nein, ich meine bald. Sehr bald!«

Minervas Mundwinkel schwächelten umgehend. »Ich wünschte, es wäre so einfach ...«

»Schon klar«, stieß Pomona resigniert aus, »alles da draußen ist gerade schrecklich und du kannst nicht zusehen, das ist nicht deine Art. Das verstehe ich. Aber weißt du was? Da ist immer noch ein ganz normales Leben zwischen den großen Heldentaten, das geführt werden will. Muss.«

Betroffen senkte Minerva die Hand, doch Pomona stand bereits auf. Bevor sie ging, tippte sie allerdings noch einmal Elphinstones zusammengerollten Brief an.

»Die Rettung der Welt und ein schönes Leben sind nicht unvereinbar, weißt du? Niemand erwartet, dass du das eine für das andere aufgibst.«

 

Pomona hatte recht. Dieses Wissen ärgerte Minerva mindestens ebenso sehr wie ihre Schuldgefühle, deren Auswüchse dem Unkraut in einem gnomenlosen Garten in nichts nachstanden (sofern man Elphinstones Ausführungen dazu glaubte). Und doch bat sie Liszette Cowper nach dem Verwandlungsunterricht, noch eine Minute dazubleiben.

»Ja, Professor? Was kann ich für Sie tun?«, fragte die Schülerin misstrauisch, als sie vor ihr Pult trat. Vielleicht war es die Aufregung, vielleicht auch nur etwas zu viel Rouge, jedenfalls waren ihre Wangen leuchtend pink.

Im Hintergrund warfen Liszettes Freundinnen einen letzten, kritischen Blick durchs Klassenzimmer, dann verschwanden sie. Natürlich aufgeregt tuschelnd. Ob diese Mädchen wohl auf bestem Weg waren, neue Gerüchte für die ominöse Schülerzeitung zu erfinden? Zur Sicherheit imperturbierte Minerva die Tür mit einem Schlenker des Zauberstabs.

Stille senkte sich – beinahe. Liszette Cowpers silbern lackierte Fingernägel trommelten einen beständigen Rhythmus auf die Messingschnalle ihrer Schultasche.

»Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, Miss Cowper.«

»Ja, ähem, sicher, Professor. Falls es um meinen Aufsatz von letzter Woche geht – ich weiß, der war nicht ganz 10 Fuß lang. Aber ich fand, alles Nötige war gesagt, also habe ich mir diese Freiheit erlaubt, anstatt den Text künstlich zu strecken ...«

»Nun, alles hat sicher nicht Erwähnung in Ihrem Aufsatz gefunden – die Unregelmäßigkeiten der Verwandlungsmatrizen bei menschlicher Selbstverwandlung und deren Bedeutung hätten Sie theoretisch noch vertiefen können«, warf Minerva rasch ein. »Aber nein, darum soll es nicht gehen, Miss Cowper. Das wäre Stoff für ein weiterführendes Studium. Und das streben Sie schließlich nicht an, richtig?«

Liszette hielt die Luft an. »Oh ... nein.« Sie schlug mit einem entschuldigenden Lächeln die Lider nieder und setzte dabei ihren funkelnden Lidschatten in Szene.

Überhaupt war die Sechstklässlerin ausgesprochen schick zurechtgemacht. Normalerweise scherte Minerva sich nicht um so etwas, solange die Schuluniform vorschriftsgemäß getragen wurde, doch dank des Hintergedankens an eine mögliche Verwandtschaft zu Benjamin Cowper musterte sie ihre Schülerin mit ganz anderen Augen.

So fiel ihr erstmalig auf, dass Liszettes Winterrobe im Licht dezent schimmerte. Unüblich für die dicke Wolle. Vermutlich handelte es sich um einen isolierenden Wärmezauber, der an das Kleidungsstück gebunden war. Einen ähnlichen Glanzhauch kannte Minerva von ihren eigenen Versuchen, etwas gegen den garstigen Winterwind zu unternehmen. Auch wenn es sich auf dem Papier einfach anhörte, verlangte diese Magie bedachte Stabführung – die Liszette offenbar beherrschte, denn sie trug über ihrer Bluse keinen senfgelben Winterpullover und die Robe wies ebenso wenig ein Brandloch auf.

Ähnlich trickreich erschien zudem ihre Schultasche, auf der ein Ausdehnungszauber liegen musste. Sie war kaum von der Größe eines Taschenbuchs, doch sobald Liszette sie höher auf die Schulter zog, rumpelte es darin gewaltig. »Nun ...«, sagte sie zögerlich, »darüber wollten Sie aber sicher nicht mit mir sprechen, Professor? Also wenn es um die Gerüchte geht, dass ich diejenige war, die Narzissa Blacks Puderquaste in einen fangzähnigen Minimuff verwandelt hat, dann stimmt das absolut ni-«

Minerva schnaufte. »Nein. Es geht um weder noch. Auch wenn ich es schade finde, dass Ihr Interesse so begrenzt ist. Sie haben ein Händchen für filigrane Magie. Ich würde Ihnen durchaus zutrauen, eine Puderquaste derart zu verwandeln. Mit etwas mehr Begeisterung für Verwandlungen könnten Sie auch in meinem Unterricht bemerkenswerte Ergebnisse erzielen.«

Nun war es definitiv Verlegenheit, die Liszette Cowpers Wangen rötete. Gleichzeitig entging Minerva nicht, dass es ihre Mundwinkel hochzog, bevor sie das Gesicht rasch hinter ihrem Umhangärmel verbarg und ein Hüsteln von sich gab.

Ehe das Mädchen sich verpflichtet fühlte, weitere fadenscheinige Verteidigungen vorzubringen, räusperte sie sich. »Wie dem auch sei. Ich habe von Professor Sprout gehört, dass Sie eine eher weniger magieintensive Ausbildung anstreben?«

»Das ist richtig.« Für einen Moment sah Liszette auf ihre Schuhspitzen, dann reckte sie jedoch ihr Kinn vor. »Ich weiß, dass ich gut zaubern kann, aber das heißt nicht, dass ich ständig und immer zaubern möchte. Noch dazu so komplizierte Dinge.«

Das konnte Minerva zwar nicht nachfühlen, aber sie nickte trotzdem. »Daran ist nichts auszusetzen. Es ist immerhin Ihre Wahl, Miss Cowper. Und lieber so herum, als dass Sie glauben, Ihre Zauberfähigkeiten würden Sie anderen überlegen machen.«

Die Röte verschwand schlagartig aus Liszettes Wangen. Sie ballte die Hand um den Riemen ihrer Schultasche zur Faust. »Ich würde nie – ich denke nicht so!« Und deutlich leiser murmelte sie: »Ich bin doch nicht Narzissa!«

»Ich habe auch nicht angenommen, dass Sie so denken«, beschwichtigte Minerva sie. Innerlich atmete sie dennoch auf, obwohl sie zugleich dem Schuldgefühl-Unkraut förmlich beim Wachsen zuhören konnte.

»Gut«, erwiderte Liszette mit reichlich Trotz in der Stimme. »Ich interessiere mich nämlich für das völlige Gegenteil davon. Ich will magisches Recht studieren. Gerade wegen des Kriegs finde ich, dass das nicht weniger wichtig ist im Vergleich zu ... Zauberstabgefuchtel.«

»Oh, im Gegenteil. Es ist wichtiger denn je.« Anders als bei dem Gespräch mit Pomona musste Minerva das Lächeln dieses Mal nicht erzwingen, obschon es knapp ausfiel.

Liszette Cowper runzelte die Stirn.

»Es mag Sie überraschen«, fuhr Minerva fort, »doch einst habe ich gedacht wie Sie und eine Ausbildung in der Strafverfolgung absolviert. Bevor ich mich doch für die Zauberstabfuchtelei entschieden habe, versteht sich.«

»Oh ...« Für einen Moment sah Liszette noch verwirrter aus. Nur ihre Finger hörten endlich mit dem Klappern an der Schnalle auf. »Wirklich? Wollten Sie deshalb mit mir sprechen, Professor?«

»Unter anderem. Ich will Ihnen nicht zu viele Hoffnungen machen, aber vielleicht bestünde die Chance auf ein Praktikum im Ministerium für Sie diesen Sommer.«

Die Augen des Mädchens weiteten sich. »Das wäre eine große Ehre! Sagen Sie mir einfach, was ich dafür tun muss. Wenn es sein muss teile ich mir den Platz sogar mit Narzissa –«

»Immer langsam mit den jungen Greifen.« Minerva verkniff sich ein Schmunzeln und bedachte ihre Schülerin stattdessen mit demselben strengen Blick, den sie bei der Ausgabe benoteter Arbeiten aufsetzte. »Ganz so einfach geht es nun auch nicht.«

Das Pink kehrte mit voller Macht in Liszettes Wangen zurück. »Natürlich nicht, entschuldigen Sie. Sie wollen sich bestimmt erst vergewissern, dass ich es auch wirklich verdiene.«

Zu Minervas Überraschung holte Liszette tief Luft und schüttelte damit die Aufregung ab. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme leise, aber fest.

»Ich sage es lieber gleich, Professor – ich bin sicher nicht die perfekte Kandidatin für so eine Chance. Mein Interesse an diesem Beruf ist noch recht frisch und meine Schulleistungen in den nötigen Fächern könnten besser sein, das weiß ich. Es ist nur so, dass ich mich früher nicht so bemüht habe, weil – nun ja, ich wollte eigentlich immer Porträtmalerin werden. Jedenfalls bis mich ausgerechnet mein Onkel dazu gebracht, meine Prioritäten zu überdenken.«

»Ihr Onkel ...?« Minerva beobachtete, wie Liszette jetzt nicht mehr an der Schnalle ihrer Tasche knibbelte, sondern direkt an der Haut rund um ihre Nägel.

»Ja. Er ... hat auf Papas Geburtstag vorletztes Jahr gesagt, wenn ich schon meine Magiefähigkeiten verkümmern lassen will, dann könnte ich ja wenigstens im Gamot sitzen und mich wichtig machen. Das wäre genauso nutzlos, aber immer noch besser, als wenn noch ein ... also ein Muggelgeborener dort sitzen darf.«

Offenbar war Minervas Entsetzen direkt aus ihrem Gesicht zu lesen, denn Liszette zog beschämt die Schultern hoch, bevor ihr überhaupt ein abfälliges Zungenschnalzen entkommen konnte.

»Damit hat er natürlich nicht recht«, flüsterte das Mädchen in Richtung ihrer Schuhspitzen. »Und ich bin mir sicher, er traut mir eh nicht mehr zu als eine Protokollantin zu sein. Aber ich – ich hab angefangen, darüber nachzudenken und ...« Mit brennend roten Wangen sah Liszette Minerva wieder an, ihre Lippen fest aufeinandergepresst und ein Funkeln in den Augen. »Ich will mich lieber dafür einsetzen, dass es im Gamot mehr Vielfalt gibt – und weniger Typen wie Onkel Ben.«

Der Name glich einem Blitzschlag. Von einer auf die andere Sekunde saß Minerva an der Kante ihres Stuhls, eine Hand am Zauberstab auf dem Pult, alle guten Vorsätze vergessen –

»Professor ...?« Liszette runzelte die Stirn. »Ich weiß, mein Grund für diese Berufswahl ist nicht die Beste, aber ich meine es wirklich ernst –«

»Das glaube ich Ihnen.« Tief ein- und ausatmend entließ Minerva die Anspannung aus ihren Gliedern, ohne allerdings ihre kerzengerade Haltung aufzugeben. Sie konzentrierte sich darauf, ihren Stab scheinbar beiläufig beiseitezuschieben, während sie weitersprach. »Und es tut mir offengestanden sehr leid, dass Ihr Onkel – Benjamin, sagten Sie? – Sie mit seinem Vorschlag verspotten wollte.«

»Nun ... er ist eben ein Schwarzherzmensch.«

Klopfenden Herzens sah Minerva zu, wie Liszette Cowper matt einen Mundwinkel hob und seufzte. Sie konnte es kaum fassen. Es konnte doch nicht wirklich so einfach sein?

Ihre Schülerin bemerkte davon nichts, sondern zwirbelte gedankenverloren eine dunkelblonde Haarsträhne zwischen den Fingern. »Paps sagt immer, dass sein Bruder selbst für die Toten noch zu unhöflich ist, deshalb hat man ihn bei seinem alten Job rausgeschmissen. Auch wenn ich es nicht besser finde, dass er jetzt Gnome quält, anstatt Bestatter zu sein.«

Minervas linke Augenbraue wanderte gen Haaransatz. »Bestatter?«, echote sie dumpf. Davon hatte Elphinstone nichts geschrieben.

»Ich sag ja, Onkel Ben ist komisch«, erwiderte Liszette, wobei sie die Haarsträhne strammer um ihren Zeigefinger wickelte. »Er redet auch total gerne von früher und all den Zaubern, die man braucht, um Körper zu präparieren und so ... weil ich mich schon als Kind gegruselt habe, zieht er mich ständig damit auf. Es würde mich nicht wundern, wenn er wirklich mit verbotener Magie experimentiert hat und sie ihn deshalb bei Burtons Bestattungsservice rausgeschmissen haben.«

In einem leisen Pfeifen sog Minerva die Luft zwischen ihren Zähnen ein. Überrascht schreckte Liszette Cowper zusammen.

»Ah ... entschuldigen Sie, Professor. Die Probleme meines Onkels interessieren Sie natürlich nicht.«

Ihre Lippen fest zusammengepresst, hinderte Minerva sich daran, »doch« zu sagen. Stattdessen zwang sie sich zu einem möglichst sanften Ausdruck. »Nun, es interessiert mich schon, wenn es Sie belastet oder sich auf Ihr Wohlbefinden auswirkt. Sie können sich mir gerne jederzeit anvertrauen, auch wenn ich nicht Ihre Hauslehrerin bin.«

Liszette nickte kaum merklich. »Ja ... danke für Ihr Angebot. Aber eigentlich sehe ich Onkel Ben gar nicht so oft. Und mein Paps ist zum Glück ganz anders.«

Einen Augenblick wartete Minerva, doch als klar wurde, dass das Mädchen nichts weiter zu sagen hatte, nickte sie die Erklärung knapp ab – wie es sich für eine Lehrerin gehörte. Bestimmt würden Elphinstone und sie auch so etwas aus dieser Information zaubern können.

»Nun, Miss Cowper – ich danke Ihnen für Ihre Ehrlichkeit. Wenn Sie mir in den nächsten Tagen ein Motivationsschreiben ausfertigen, werde ich gerne sehen, was sich hinsichtlich eines Praktikums arrangieren lässt.«

Schlagartig hielt Liszette damit inne, ihre Haare zu malträtieren. Die Wolken verschwanden von ihrem Gesicht und stattdessen funkelte wieder die Sonne aus ihren Augen. »Oh, vielen Dank –«

»Eins allerdings noch, Miss Cowper«, fügte Minerva an, bevor diese wie vom Billywig gestochen die Bodenhaftung verlor, »legen Sie Ihren Streit mit Miss Black bei. Ganz gleich, wer was gesagt oder getan hat, ich will nicht wieder hören, dass irgendjemandes Puderquaste Zähne bekommen hat, ist das klar?«

Liszette schrumpfte unter ihrem strengen Blick auf ein gesundes Maß Selbstvertrauen zusammen. »Aber Professor, Narzissa ist –«

»Auch nur eine Schülerin, genau wie Sie. Mit den gleichen Sorgen und Ängsten.« Minerva unterband jegliche neuen Widerworte durch ein bedeutungsvolles Heben ihrer Augenbrauen. »Wenn Sie Ihre Streitigkeiten mit Miss Black nicht anderweitig beilegen können, versuchen Sie wenigstens, einander aus dem Weg zu gehen. Als Mitarbeiterin der Strafverfolgung müssen Sie immerhin auch unliebsamen Menschen professionell gegenüber sein.«

Für ein paar Sekunden herrschte umfassendes Schweigen, in dem man nur Liszette Cowpers Fingernägel von Neuem gegen die Schnalle ihrer Schultasche trommeln hörte. Schließlich senkte sie tief einatmend ihren Blick. »Natürlich, Professor.«

»Gut. Dann war das auch schon alles.«

Ein flaues Gefühl im Magen, sah Minerva Liszette Cowper zu, die von neuer Energie erfüllt ihr Kinn hob und ihr versicherte, sich größte Mühe zu geben, bevor sie schwungvoll von dannen schritt.

Sie hoffte inständig, dass ihre kleine Lüge im Austausch für die Informationen eine gute Idee gewesen war. Auf noch mehr Schuldgefühle, die sich wie Unkraut in ihrer Brust vermehrten, konnte sie definitiv verzichten.

Doch von einem war sie überzeugt: Benjamin Cowpers alter Beruf musste mit seinem Auftrag für Voldemort zusammenhängen. Weshalb sonst hatte man ausgerechnet ihn auf Gideon Rosier angesetzt, der offenbar Tote für seine Experimente missbraucht hatte? Sie wusste zwar nicht, worin genau die Verbindung bestand – aber das ließ sich ändern. In Gedanken setzte sie bereits die Feder für einen Brief an Elphinstone aufs Pergament.



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