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Drachenjagd

Die Himmelsgöttin
von

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Devon

Einer großen Vorbereitung bedurfte es nicht und mit angezogenen Beinen sprangen sie aus dem Zug. Das Moos federte die Landung etwas ab, den Rest erledigten die Sprunggelenke. Drachen hatten von Natur aus robustere und elastischere Gelenke und selbst in Menschengestalt hielt ihr Körper deutlich mehr aus als der einer anderen Spezies.

"Wenn Ihr mir die Frage erlaubt", Trias klopfte sich gerade die Erde von dem Mantel, "was genau wollen wir in Kandio?"

"Himmelsblut suchen", antwortete Devon und marschierte auf sein Ziel zu.

"Hoheit!", rutschte es laut aus Trias heraus. Stolpernd folgte er seinem Anführer, sprintete ein Stück, bis er Devon eingeholt hatte.

"Seid Ihr-", Trias stockte. Die Frage erübrigte sich. Himmelsdrachen erkannten einander immer, und Devon war ein Himmeldrache. Der Letzte…zumindest bis zu diesem Augenblick.

"Ich weiß, was du denkst, Trias", entgegnete Devon und schloss für einen Moment die Augen, unschlüssig, was er eigentlich fühlen sollte, "ich glaube es ja selbst kaum. Aber es besteht kein Zweifel. Sie ist ein Himmelsdrache - eine Himmelsgöttin."

"Sie?!" Sie bogen nach links ab und folgten dem Wanderweg weiter Richtung Osten. "Aber die Königin ist…ich meine, sie war die Letzte!"

"Ich weiß", knurrte Devon und schüttelte den Gedanken an das Massaker von Logia ab. Der Tod der Königin war lange Zeit vor seiner Ernennung gewesen. Damals hatte kein Weibchen des Himmelsvolkes überlebt. "Aber es ist möglich." Die Duftspur führte ihn aus dem Wald heraus. Es beruhigte ihn genauso sehr, wie es ihn den Verstand kostete. Devon hatte das Gefühl, als stürzte alles auf ihn ein. Er war einfach nicht darauf vorbereitet. Aber wie hätte er sich auch darauf vorbereiten können?! "Wenn König Juras ein Kind mit einer Menschenfrau gezeugt hat, und dieses Kind bis heute überlebt hat", er schüttelte den Kopf, "es ist möglich, Trias!"

"Das würde bedeuten, dass dies", er schaute sich um, vor ihnen tauchten die ersten kleinen Spitzhäuser auf und dahinter erhoben sich bereits die Stadtmauern, "dass Kandio sein letzter bekannter Aufenthaltsort ist."

Und der Ort an dem er starb, dachte Devon und zog die Augenbrauen zusammen. Er war sich sicher. König Juras war tot. Wenn es stimmte, wenn der König sich bis an den Rand der menschlichen Zivilisation geschlichen hatte, alles riskiert hatte, ja sogar den Beischlaf mit einem Menschen vollzogen hatte, dann hatte er gewusst, dass sein Ende nahte. Die Königin war längst tot, kein weiblicher Nachkomme hätte die Blutlinie weiterführen können, es sei denn, man zeugte ein Kind mit gemischtem Blut. Drachenmenschen waren selten, gerade in der heutigen Zeit, wo Paladine Hass und Vorurteile in den Köpfen der Menschen säten und Drachen lieber unter sich blieben, käme niemand auf die Idee, ein Kind in die Welt zu setzen, dessen Schicksal ungewiss blieb.

König…

Devon konnte dessen Opfer kaum in Worte fassen. Er war das Risiko eingegangen, um sein Volk zu retten, ihnen Hoffnung zu geben. Devon konnte nur erahnen, was in dem alten Herrscher vorgegangen war, aber eines wusste er: er würde alles dafür tun, um König Juras Willen weiterzuführen.
 

Nach einer Stunde erreichten sie Kandio. Mit Drachenmagie wären sie schneller gewesen, doch wie gesagt, Ort und Zeit waren unsicher. Die Kleinstadt war überschaubar, es gab einen Rosengarten und einen kleinen Park, auf denen Großväter mit ihren Enkeln Drachen steigen ließen und eine Gruppe junger Erwachsener den Müll von den Wiesen und Parkbänken entsorgten. Der Marktplatz befand sich zwischen einer Kirche und dem Gemeindezentrum. Auf den Straßen war wenig los, ein paar Frauen schlenderten über den Basar, der Obst und Gemüse anbot. Irgendwo gackerte ein Huhn und eine Katze huschte blitzschnell über die Straße, wo sie beinahe zwischen die Räder einer Kutsche gekommen wäre. Hinter den Marktständen wies eine gigantische Menschenstatue auf das Rathaus hin. Die beiden Reisenden tauschten wissende Blicke aus. Kandio war feindliches Hoheitsgebiet. Die Tür, auf welche die Statue deutete, trug die für Paladine so typische Inschrift - »Unser Land - unsere Regeln«

"Was die wohl mit uns meinen?", grummelte Trias und steckte die Hände tief in die Taschen seines Mantels. Devon ging nicht weiter darauf ein. Sie beide kannten die Antwort. Keinem von ihnen war es entgangen. Die Halsbänder der Frauen und Männer mit Drachenblut waren das Ergebnis einer verlorenen Schlacht, die mehr als das Leben tausender gekostet hatte. Ein Drache, der mit dem Halsband eines Paladins gezeichnet wurde, verlor sämtliche Immunität. Drachenreiter - so hatten sich die ersten ihrer Art bezeichnet. Als die Verfolgungen anfingen, Kämpfe zwischen Paladinen und Drachen unvermeidlich wurden und schließlich ganz Medanien Krieg gegen die Bezwinger der Lüfte führten, hatten es sich die Paladine zur Aufgabe gemacht, sich jene Kreaturen zu Willen zu machen.

"Unfassbar, dass König Juras hier gewesen ist", sein Leibwächter presste die Lippen zusammen. Devon stimmte ihm zu. Der König musste verzweifelt gewesen sein. Sehr verzweifelt.

"Hier lang", sagte er und deutete mit einem Kopfnicken auf eine kleine Seitenstraße, die außerhalb des Zentrums führte. Die Spur wurde stärker. Ein süßer Duft umwehte ihn wie ein flüchtiger Kuss auf den Mund. Devon erschauderte. Diese Himmelsgöttin stand kurz vor ihrer Erweckung. Ein junges Weibchen, das bald seinen neunzehnten Geburtstag erreichen sollte. Deshalb hatte er sie so stark wahrgenommen. Ihr Geruch war…intensiv. Unkontrolliert. Die typischen Anzeichen eines Drachenweibchens, das zur Frau heranreifte und auf seine erste Verwandlung zusteuerte. Wenn das stimmte, durften sie keine Zeit verlieren. Ihnen blieben wenige Tage, wenn überhaupt.

"Dort drüben." Er blieb stehen. Die Spur hatte ihn in ein kleines Pralinengeschäft geführt. Hier war der Duft am stärksten und es brauchte nur ein paar Schritte, um sich seiner Vermutungen sicher zu sein.

"Meint Ihr, sie wird-"

Devon schüttelte den Kopf. "Sie ist nicht hier. Aber vielleicht ändert sich das noch. Ihr Geruch ist stark, sie wird öfter den Laden besuchen. Wir sollten reingehen und uns ein wenig umsehen."

"Was passiert, wenn wir sie gefunden haben? Sie wird nicht wissen, wer sie ist, sonst hätte man sie niemals am Leben gelassen." Auch Trias schien sich zusammen gereimt zu haben, dass der junge Himmelsdrache noch nicht erweckt worden war.

"Die Sicherheit der Himmelsgöttin hat oberste Priorität", entgegnete Devon. Er spürte, wie Trias zu einer Verbeugung ansetzen wollte, doch er erinnerte sich, wo sie waren und nickte nur.

"Wie Ihr wünscht", sagte Trias. Er ließ seinem König den Vortritt und mit festen Schritten überquerten sie die Straße. Im Schaufenster lagen lilane und schwarze Trüffel, Schokopralinen und Marzipanfiguren drapierten sich auf weißen Etageren. Devon riss die Klinke herunter. Ein Glockenspiel kündigte die Neuankömmlinge an.

"Ich komme sofort", trällerte eine süße Stimme vom Hinterzimmer aus. Devon nutzte den Moment, um sich ein wenig umzusehen. Direkt neben ihnen, hinter dem Schaufenster, war ein runder Stuhl mit zwei Stühlen aufgestellt. Ein ähnlicher Tisch stand gegenüber der Kasse. Alles war klein und eng, doch es strahlte eine gewisse Gemütlichkeit aus, dass Devon nicht sofort das Gefühl hatte, die Flucht ergreifen zu müssen. Enge, kleine Räume waren nichts für Drachen seiner Größe - selbst in seiner jetzigen Gestalt. Langsam näherte er sich der Theke. Dahinter füllten hunderte Pralinen die Regale, die bis an die Decke reichten. Es gab Schubfächer, aus denen Bonbons hervorlugten, dutzende Verpackungen aus Papier und Spitzen besetzten Tütchen und eine Box, die nach Rosen, Pfeffer und Chili duftete. Natürlich nahm er noch ganz andere Gerüche wahr. Wie zum Beispiel die heiße Schokolade, die irgendwo im Hinterzimmer umgerührt wurde, oder die aufgekochte Sahne und die süßen Mandeln. Zwischen all den intensiven Aromen überdeckte der Duft des Drachenweibchen für Devon alles andere. Sein Kopf stand kurz davor, in Stücke gerissen zu werden.

"Ich bitte vielmals um Verzeihung." Aus dem Hinterzimmer stürmte eine schwarzhaarige Frau, Devon schätzte sie in den Vierzigern. Einzelne Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und das weiße Leinentuch rutschte ihr beinahe vom Kopf. Schweiß benetzte Oberlippe und Stirn. Ihr Handtuch - sie hatte sich damit die Schokolade von den Händen gewischt - warf sie sich locker über die Schulter. Sie begrüßte ihre Gäste, ihr Blick huschte über die zwei fremden Gesichter. Kandio schien keine Stadt, in welcher der Tourismus florierte. Eine Ladenbesitzerin wusste so etwas natürlich und begutachtete entsprechend die beiden Herren. Erkennen konnte sie sie jedoch nicht. Nicht, solange der Schleier sie schützte.

"Touristen, wie ich annehmen darf?" Ihr Stimme war hoch, höher als er es von einer Frau wie ihr erwartet hatte. Zu ihr hätte definitiv etwas Rauchigeres gepasst.

Die Männer nickten und Trias übernahm die Führung des Gesprächs. Im Gegensatz zu Devon beherrschte der Volan die menschliche Sprache nahezu perfekt, und je weniger Aufsehen sie erregten, umso sicherer konnten sie sich sein, nicht aufzufliegen. Eine Konfrontation mit den Paladinen wollte er definitiv vermeiden.

"Wir werden warten", Devon schickte seinem Untergebenen die Nachricht, während dieser gerade über das strenge Herstellungsverfahren unterrichtet wurde. Die beiden führten seit einigen Minuten ein angeregtes Gespräch über die Qualitätsunterschiede diverser Kakaobohnen. Devon hatte seinem Leibwächter gar nicht so viel Wissen zugetraut.

"Mein Begleiter und ich, wir sind müde von der Reise", Trias deutete auf die freien Sitzplätze, "wir hoffen, wir können Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen und unsere Beine ein wenig Entspannung gönnen, bevor wir weiter nach Skandia wandern." Er verneigte sich, und zwar freiwillig. Die rassige Chocolatier schien genau seinem Beuteschema zu entsprechen. Trias konnte nicht wissen, dass noch etwas anderes in ihr schlummerte. Sie war keine gewöhnliche Frau. Sie war eine Hyrakonda - ein Raubtier mit menschlichen Zügen. Bislang hatte sie ihre langen Krallen und die spitzen Zähne hinter ihrem menschlichen Aussehen verbergen können, und solange Devon oder Trias nichts unüberlegtes taten, würde dies auch so bleiben. Hyrakonden waren von allen Chimären den Menschen am besten angepasst. Ein Grund, weshalb die Spezies nicht längst von den Paladinen ausgerottet worden war.

Ihr breites Lächeln schmeichelte ihren vollen Lippen. Sie kokettierte, sehr wohl ihrer körperlichen Reize bewusst und widmete sich ganz Devons Leibwächter.

"Unser Angebot ist nicht sehr groß", sagte sie, "aber ich kann Ihnen frisch gemahlenen Kaffee anbieten. Eine Kleinigkeit zum Essen ließe sich sicherlich organisieren."

"Wir wollen keine Umstände bereiten. Etwas Heißes zu trinken reicht uns vollkommen aus." "Gut. Vielleicht fällt Ihnen in der Zwischenzeit etwas ein", sie zwinkerte Trias zu, "womit ich Ihnen eine Freude machen kann."

"Das wird nicht nötig sein. Ihre Gastfreundlichkeit ist Geschenk genug." Trias lächelte breit.

"Trias!"

"Entschuldigung, Hoheit."

"Ähm", räusperte sich Angesprochener und unterdrückte weitere Schmeicheleien, "haben Sie vielen Dank. Wir nehmen diesen Platz, wenn es ihnen recht ist." Trias ließ den Blick umherschweifen. Verlegen zeigte er auf den Platz neben der Tür. Mantel und Schal ausgezogen, ließen sich die beiden Männer nieder. Ihnen blieb jetzt nichts weiter, als zu warten. Ein wenig Hoffnung schadete auch nicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  vallendrael
2023-08-07T09:00:03+00:00 07.08.2023 11:00
Gutes Warten und viel Geduld, die hoffentlich nicht nötig ist. :) Immerhin gibt es unangenehmere Warteorte als einen Pralinenshop. :D
Ich finde es sehr spannend, wie es dir gelingt, einerseits die Story voran zu treiben und andererseits einen tollen Drahtseilakt zwischen Hintergrundinformationen und Mystery zu gehen. :O Der lässt richtig erkennen, wie viel mehr in der Welt steckt als bloß diese Geschichte, überfrachtet den Leser aber auch nicht, sondern macht neugierig auf was da noch so kommen wird und was enthüllt werden wird.
Antwort von:  Lady_of_D
07.08.2023 20:47
Vielen lieben Dank für dein Feedback :D
Es ist tatsächlich ein ständiger Drahtseilakt - auch im Kopf. Als Schreiber ist es gar nicht immer so einfach, das was man weiß dem Leser "vorzuenthalten" oder auch im richtigen Maße näherzubringen.

Eines kann ich schon sagen, Geduld braucht zumindest der Leser schon mal nicht^^
Antwort von:  vallendrael
07.08.2023 21:10
Sehr gerne.^^ Hat bisher echt Spaß gemacht zu lesen. :)
Ohja, das glaube ich und kann ich sogar nachvollziehen. X'D Mir ist es bisher nur selten gelungen, deshalb umso mehr Hut ab, was du hier erreichst.

Das Gute an Zeitraffern und Zeitsprüngen.^^ Freu mich auf das nächste Kapitel.
Antwort von:  Lady_of_D
13.08.2023 20:06
Ja, ein Hoch auf die Zeitsprünge :D


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