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Die vergessene Kommandantin

Memoiren der Akari
von

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Hundert Jahre ohne Dich Teil 3: Yamachis größter Wunsch

Jeder Schritt fühlte sich unendlich schwer an und noch nie war mir der Weg durch die fünfte Kompanie so lang vorgekommen.

Ich versuchte, schneller zu gehen, doch meine Beine waren wie Gummi. Mein Herz raste in meiner Brust, als wolle es meinen Brustkorb sprengen. Seit der Trauerfeier meiner Mutter hatte ich Aizen nicht mehr gesehen und der Anblick seines Gesichts würde mich sicher in Rage versetzen.
 

Doch im Moment war die Angst um Hisana und Byakuya das, was mich am meisten verunsicherte.
 

Erst als ich direkt davor stand, merkte ich, dass ich das Haupthaus der fünften Kompanie erreicht hatte.
 

Vorsichtig schob ich die Tür auf und betrat den Aufenthaltsraum. Ich kannte ihn noch von der Zeit, als Shinji hier Kommandant war, Aizen schien alles verändert zu haben.
 

Ich durchschritt den Raum, ohne darauf zu achten, dass ich von allen Seiten mit großen Augen angestarrt wurde. Ich bog in den Gang ab, der zu den Gemächern des Kommandanten führte, ich wusste genau wo sie lagen, da das Haupthaus in jeder Kompanie gleich aufgebaut war. Ein Shinigami stellte sich mit ausgestreckten Armen vor mich.
 

„Sie dürfen hier nicht durch!“, rief er und ich strafte ihn mit einem zweifelnden Blick.

„Darf ich nicht?“, spottete ich und trat einige Schritte auf ihn zu. Furcht strahlte aus den Augen des Mannes und mein Gewissen nagte sofort an mir. Wann war aus mir jemand geworden, der unschuldige bedrohte? Ich schüttelte das Gefühl ab, ich hatte keine Zeit dafür.
 

Ich hörte, wie mindestens zehn weitere Shinigami in dem Raum ihre Zanpakutos zogen.
 

„Aizen erwartet mich bereits“, flüsterte ich, doch der Shinigami wich keinen Schritt zurück, bis plötzlich eine Stimme ertönte.
 

„Schon gut, ich erwarte sie wirklich.“ Der Shinigami vor mir zuckte zusammen, drehte sich abrupt herum und verbeugte sich hastig.

„Oh verzeiht Kommandant Aizen, natürlich lasse ich sie durch. Entschuldigung, ich wusste nicht, dass ihr eingeladen wart“, sagte er an mich gewandt mit noch immer skeptischem Gesichtsausdruck. Ich ging langsam an ihm vorbei und zischte ihm ein leises „War ich auch nicht“, zu.
 

Das schien ihn in nur noch größere Panik zu versetzen, doch ich beachtete ihn nicht weiter. Mein Hauptaugenmerk lag auf dem großen Mann, dessen braunes Haar in leichten Wellen lag und dessen schwarze Brille seinen Blick verdeckte.
 

„Nach dir“, sagte er und hielt mir die Tür in ein großes Teezimmer auf. Er schloss die Tür hinter mir und ich lachte kurz auf.
 

„Eine Tasse Tee, bevor du mich tötest?“, fragte ich ihn und er ging an mir vorbei, einen empörten Blick auf mich werfend.

„Wer sagt denn, dass ich dich umbringen möchte?“
 

Eigentlich hatte er dieses Schauspiel gut drauf. Er wirkte so freundlich, dass niemand hinter seine Fassade blickte, doch da ich sein wahres Ich bereits gesehen hatte, versuchte er es bei mir gar nicht mehr. Seine Stimme klang gefährlich.
 

„Nun wenn ich dich mit meinem Schwert attackiere, wirst du sicher versuchen mich umzubringen.“
 

Er senkte den Blick, sodass die Gläser seiner Brille das Licht des Raumes reflektierten und es mir unmöglich machten, seine Augen zu sehen.
 

„So muss das allerdings nicht enden, Akari. Wir können auch darüber reden wie Erwachsene.“
 

Ich lachte ihn aus und merkte sogleich, wie seine Augenbrauen sich ein Stück zusammen zogen.

„Meinst du, wenn ich dich wirklich tot sehen wollte, dass du dann noch am Leben wärst?“
 

Wut packte mich, seine Arroganz war unausstehlich. Ohne weiter darüber nachzudenken zog ich mein Schwert, ich wusste, dass mir nicht viel Zeit blieb, bis ein Kampf unter zwei Shinigami auf Kommandantenniveau die Aufmerksamkeit der Anderen auf sich ziehen würde.
 

Ich wechselte sofort in die Bankaiform.
 

Das war immerhin eine Sache, die ich weiter trainiert hatte und der Überraschungsmoment lag dabei auf meiner Seite. Anfangs hatte ich nur eine lange, schmale, violette Klinge gehabt.
 

Es hatte lange gedauert, bis ich verstanden hatte, dass mein Schwert die Farbe wechseln und so eine andere Fähigkeit annehmen konnte. Im Laufe der Jahre hatte ich mehr und mehr neue Farben und so Fähigkeiten hinzugewonnen.
 

Violett stand für eine starke physische Angriffskraft, doch das würde mir bei Aizen nichts bringen. Mit Rot konnte ich Feuerangriffe starten, verschiede Blautöne ermöglichten Wasser und Eisangriffe, doch damit würde ich keine Zeit verplempern.
 

Ich ging gleich zu einem stechenden grün über. Dabei wusste ich auch ganz sicher, dass Aizen es noch nicht kannte.

Ich griff so schnell an, wie ich konnte. Geschwindigkeit und Überraschung waren meine einzigen Vorteile.
 

Aizen wehrte mein Schwert geschickt ab, wir tauschten einige Schlagabfolgen, bis ich alles daran setzte, ihn irgendwie zu erwischen.

„Was hat diese Farbe zu bedeuten, Akari?“, fragte Aizen grinsend, als wäre das Ganze nur ein lustiges Spiel für ihn. Ich grinste zurück.
 

„Das wirst du bald herausfinden“, knurrte ich und griff erneut an, wieder und wieder und wieder – bis ich einen kleinen, aber fatalen Fehler machte.
 

Ich traf Aizen, leider nur an seiner Kleidung, hatte noch so viel Schwung im Arm, dass ich eine seiner Zimmerpflanzen erwischte. Innerhalb weniger Sekunden erlosch das Reiatsu der kleinen Pflanze, die darauf ausgetrocknet und verwelkt, wirkte.
 

„Gift“, stellte Aizen fest und riss das Stück Stoff von seinem Kommandantenhaori ab, an dem mein Schwert ihn berührt hatte.

„Ein ziemlich tödliches sogar“, fügte er scheinbar beeindruckt hinzu, ich knirschte mit den Zähnen. Jetzt wo er davon wusste, würde er nicht mehr so leichtsinnig sein und jede Berührung mit meinem Schwert verhindern. Doch anstatt mich anzugreifen, ließ er sein Schwert sinken und blickte mir direkt in die Augen.
 

„Akari, du wärst bei uns so viel besser aufgehoben. Diese Leute, die du deine Freunde nennst, haben nicht einmal gegen deine Verbannung protestiert ... warum wechselst du nicht auf unsere Seite? Wir erschaffen eine neue Welt!“

Mir fiel ein, dass Gin mal etwas in der Art gesagt hatte, doch ich schnaubte nur verächtlich auf.
 

„Eher sterbe ich, als für dich zu arbeiten.“
 

Damit attackierte ich ihn erneut, doch Aizen schien nun genug mit mir gespielt zu haben. Mit einem mächtigen Schlag flog ich Meterweit davon, durch die dünnen Wände seiner Gemächer bis auf die Straße vor der fünften Kompanie.
 

Ich lag auf dem Boden und spürte, wie eine tiefe Verzweiflung von mir Besitz ergriff. Etwas Heißes lief über mein Bein und ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es Blut aus einer Wunde an meinem Bauch war. Eisige Kälte griff nach meinem Herzen und ich schluckte.
 

Ich hatte Kisuke doch wenigstens noch einmal wiedersehen wollen, bevor ich starb.

Ich versuchte, mich wieder aufzurichten, doch Aizen stand bereits vor mir und sein nächster Schlag schleuderte mich in die Wand. Weiteres Blut spritzte aus meiner Wunde. Es verdampfte in der kühlen Luft dieses Morgens und ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen.
 

Das letzte Mal, dass ich so verletzt gewesen war, war ich noch in der Akademie gewesen. Gin hatte mich damals fortgetragen. Kam jetzt der Teil, wo das ganze Leben an mir vorbeilief? Wo ich all meine Erinnerungen noch einmal sah, bevor ich starb?
 

Doch irgendeine Vorahnung sagte mir, ich würde noch nicht sterben.

Es war jedoch keine gute Vorahnung.
 

Aizen holte erneut zum Schlag aus, ich kniff die Augen zusammen, doch anstatt einer weiteren Welle des Schmerzes hörte ich einen lauten Schrei, der nicht mein eigener war.

Ich riss die Augen auf und erkannte die Silhouette eines Körpers. Blut spritzte auf die Straße und ich keuchte auf, als ich das dunkle Haar meines Bruders erkannte.
 

„YAMACHI!“, ich sprang auf, ignorierte die Schmerzen in meiner pochenden Wunde, schaffte es, gerade noch seinen Körper aufzufangen, bevor er auf den Boden aufprallte.

„Yamachi“, jammerte ich und betrachtete die riesige Wunde auf seiner Brust. Dann blickte ich ihm in die Augen.

„Akari ...“, keuchte er und ich schüttelte den Kopf.
 

„Weißt du ... als dein großer Bruder hätte ich dich beschützen sollen ... aber du warst immer die Stärkere“, ein Husten durchschüttelte ihn und ein Schwall Blut löste sich aus seinem Mund.

„Das war immer mein größter Wunsch, weißt du? Dich einmal beschützen ... Endlich konnte ich dich einmal beschützen“, seine Stimme wurde immer leiser. Hinter flackernden Augenlidern rollten die Augen nach hinten und sein Körper erschlaffte in meinen Armen.

Für einen Moment schien mein Herzschlag auszusetzen.
 

„Wie unnötig“, hörte ich Aizen murmeln und eine unbändige Wut flammte in mir auf. Noch nie hatte ich eine solche Aggression in mir gespürt und nie zuvor war der Wunsch in mir so groß gewesen, diese Wut frei zu lassen. Ich haderte nicht mit mir und ließ es zu.
 

Ließ all den Zorn hinaus, der sich in mir angesammelt hatte. Er wuchs und blendete meine Sicht, ließ mein Reiatsu wachsen und wachsen, bis ich das Gefühl hatte zu explodieren.
 

Ein Gedanke ließ mich zusammenzucken. Mir wurde bewusst, dass ich über solche Macht nicht verfügen sollte, nicht mit diesen Fesseln, die mein Reiatsu limitierten. Ich öffnete die Augen und blickte auf meine Handgelenke hinab.
 

Meine Armreifen schienen zu pulsierten, vibrierten kreiselnd um meine Arme. Fast hätte ich über dieses Schauspiel meine Wut vergessen, doch das Blut meines Bruders auf meinen Händen ließ den Zorn erneut aufflammen.
 

Ich hob mein Schwert auf, das im Gefecht zu Boden gefallen war , wieder auf und ließ meine gesamte Wut hinein fließen. Es veränderte abermals seine Farbe und ein seltsames Gefühl der Macht durchströmte mich.
 

Mein Schwert war pechschwarz.
 

Ich hob es und ließ die angestaute Energie auf Aizen los.
 

Wie bei einer Explosion wurde ich zurückgeschleudert und für einen kurzen Moment war alles um mich herum schwarz. Ich blinzelte die Schleier in meinen Augen davon und versuchte, die Umgebung zu erkennen.
 

Ich sah Aizen, blutüberströmt vor mir. Er torkelte auf mich zu, hielt jedoch inne. Er griff nach Yamachis Körper, ich wollte ihn aufhalten, wollte aufstehen, doch ich spürte, wie die Ohnmacht mich wieder überfiel.
 

Das war das letzte Mal, dass ich Yamachi sah: auf dem Boden, blutüberströmt, darüber Aizen, dessen weißer Kommandantenhaori ebenfalls blutüberströmt, seine Hand um Yamachis Handgelenk geschlungen.
 

Doch das Schlimmste an diesem Bild war Aizens Gesichtsausdruck: eiskalter Hass und tiefverwurzelter Zorn schlug mir aus seinem Blick entgegen. Ich schnappte nach Luft, wollte begreifen, was geschehen war. Doch alles, was sich in meinen Verstand bohrte, war der Gedanke an Yamachi und die Mordlust in Aizens Augen. Ich streckte meine Hand, doch mein Arm gehorchte mir nicht, ein Röcheln löste sich aus meiner Kehle und die Welt vor mir versank in schwarze Finsternis.
 


 

Ich kann mich nicht mehr gut an das erinnern, was darauf geschah.

Byakuya erzählte mir später, dass er mich dort gefunden und zu Kommandantin Unohana gebracht hatte. Sie hatte sich um mich gekümmert und dann im Haus der Kuchikis untergebracht. Ich erwachte dort an dem Platz, an dem ich auch als Kind oft geschlafen hatte, wenn wir eine Übernachtungsparty veranstaltet hatten.
 

Das Erwachen schenkte mir einen süßen Moment. Für ein paar Sekunden sah ich mich verwirrt um, wusste nicht wo ich war oder was geschehen war. Dann traf mich die Realität wie ein Schlag in die Magengrube. Erinnerungen strömten auf mich herein und ich versuchte mit aller Kraft, auf die Beine zu kommen.
 

Schmerz durchzog meinen Körper, doch ich hielt nicht inne. Ich torkelte durch den Raum bis ans Fenster, das ich öffnete und einen kühlen Lufthauch auf meinem Gesicht spürte. Baykuya war nicht zu Hause, Rein Reiatsu war einige Hundert Meter entfernt von mir.
 

Ich sah eine schwarze Fahne an dem Mast direkt vor dem Haus der Kuchikis. Mein verwirrter Verstand brauchte mehrere Minuten, um die Tragweite dessen zu begreifen, was ich sah.

Hisana war gestorben.
 

Tränen füllten meine Augen und ich spürte, wie meine Beine nachgaben. Was auch immer geschehen war, ich hatte Hisana nicht retten können.
 

Meine Finger klammerten sich an die Fensterbank, Schwindel packte mich und die Angst schnürte mir die Kehle zu. Obwohl alles in mir danach schrie, einfach wieder aufs Bett zu fallen und die Welt auszublenden, trugen meine Füße mich mehrere Schritte weiter das Fenster entlang, bis ich freien Blick auf das Nachbaranwesen - mein Familienanwesen - hatte.
 

Dort erblickte ich eine noch größere schwarze Flagge. Es war die Flagge, die gehisst wurde, wenn das Familienoberhaupt eines Adelsclans starb.

Ich sackte zusammen.
 

Yamachi.
 

Meine Kehle brannte und mein Körper erbebte unter Schluchzern, die ich nicht zurückhalten konnte.
 

Yamachi.
 

Er hatte sich für mich geopfert. Hatte sein Leben gegeben, um meines zu retten. Mein großer Bruder, meine Familie. Alles fort.

Ich war die letzte Miyazaki, die letzte meiner Familie.
 

Ich kauerte mich auf dem Boden zusammen, umschlag meine Knie mit meinen Armen. Ich weinte, laut und hässlich, doch mir war alles egal. Ich weinte so lange, bis mein Körper nicht mehr in der Lage war, Tränen zu produzieren und ich unbewegt am Boden lag. Mein Blick war starr auf die Wand gerichtet und eine eisige Leere begann die Trauer in meinem Inneren zu überdecken.
 

Erst als Byakuya zurückkehrte, bewegte ich mich zum ersten Mal an diesem Tag.
 

Ich hatte nichts getrunken, meine Augen waren trocken, genau wie mein Mund. Meine Lippen waren aufgerissen und mein Haar hing zerzaust an mir hinab, klebte teilweise an meinem Gesicht, doch das interessierte mich nicht.
 

Baykuya blieb kurz in der Tür stehen, unsere Blicke trafen sich und erneut schossen mir Tränen in die Augen, von denen ich nicht mehr gedacht hätte, mein Körper können sie noch produzieren.
 

Byakuya setzte sich stumm neben mich auf den Boden und starrte in die Luft. Seine Augen waren gerötet und darunter erkannte ich tiefe Augenringe.
 

Keiner von uns sprach ein Wort, wir saßen einfach da. Schulter an Schulter. Starrten in die Leere.
 

Yamachi. Er war meinetwegen gestorben.

Der Gedanke brachte mich immer wieder zum Schluchzen. Nein, ich wollte nicht glauben, dass er tot war. Es konnte nicht sein. Auch wenn es nur ein Funken von falscher Hoffnung war, ich hatte nicht gesehen, wie Yamachis Körper sich aufgelöst hatte. Aizen hatte ihn mitgenommen und ich würde ihn wiederfinden. Er lebte irgendwo. Das wollte ich zumindest glauben.
 

Erst als die Sonne unterging und das Geräusch von Byakuyas Magen mich aus meiner Erstarrung riss, erhob ich mich. Die schwarzen Fahnen wehten noch immer und ich versuchte sie nicht anzusehen.
 

Ich ging in Byakuyas Küche und begann, aus den vorhandenen Zutaten etwas zu essen zu bereiten.
 

Ich hatte keinen Appetit, aber mein Magen knurrte und auch Byakuya musste etwas essen. Für uns ging das Leben weiter. Ganz einfach so, drehte die Erde sich weiter.
 

Während ich so vor mich hinkochte, merkte ich kaum, dass Byakuya ebenfalls in die Küche gekommen war. Er hatte sich stumm an den Tisch gesetzt und sagte kein Wort.
 

Stumm füllte ich die Teller und wir aßen, ohne uns anzusehen.
 

Danach legten wir uns schlafen, ich ging nicht zurück in mein Haus, sondern legte mich einfach auf die Matte, auf der ich schon die vorige Nacht verbracht hatte.
 

Byakuya legte sich auf eine zweite Matte einige Meter neben mich. Es war gut, beieinander zu sein. Keiner von uns hätte in dieser Nacht allein sein dürfen.
 

Unsere Trauer und unsere Wut hätte uns nur zu Dummheiten verleitet.
 

Es dauerte eine Weile, doch das viele Weinen hatte mich müde gemacht und so schlief ich irgendwann ein.

Ein Schrei riss mich aus dem Schlaf und es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, dass es mein eigener Schrei war, der mich geweckt hatte.
 

Byakuya saß neben mir und hatte eine kühle Hand auf meine Stirn gelegt, was mich sogleich beruhigte.
 

„Nur ein Traum“, murmelte er und seine Stimme klang kratzig. Es waren die ersten Worte, die ich seit den Geschehnissen von ihm gehört hatte.
 

Die Erinnerungen an den vorigen Tag wieder über mich herein und erneut löste sich ein Schluchzen aus meiner Kehle.
 

Ich beobachtete wie Byakuya zu seiner Matte zurückkroch und sich wie ein Kind in seine Decke einwickelte.

So hatte ich ihn lange nicht gesehen.
 

„Byakuya“, flüsterte ich, zu schwach, um meine Stimme zu benutzen.

„Irgendwann wird alles wieder gut werden, oder? Richtig?“, ich kam mir dumm vor, doch ich fühlte mich so elendig, als würde nie wieder die Sonne aufgehen. Als würden wir für immer in dieser schrecklichen Nacht feststecken.
 

Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob er mich überhaupt gehört hatte, doch dann flüsterte er schließlich eine Antwort:

„Für diejenigen, die überleben, wird es immer weiter gehen. Ob es gut wird, können nur wir selbst bestimmen.“

Es klang nicht sehr überzeugend, doch es beruhigte mich ein wenig und während ich mir ein kurzes Lächeln abzwang, rollte eine letzte kleine Träne über meine Wange.
 

„Ja ... es liegt in unserer Hand“, murmelte ich und nach einer Weile konnte ich endlich einschlafen. Dieses Mal ohne weitere Träume.
 

Blinzelnd erwachte ich. Die Sonne war gerade aufgegangen und blendete mich durch die Fenster. Byakuya war verschwunden, so wie ich ihn kannte, hatte er sich wieder in die Arbeit vertieft. Wäre ich noch Kommandantin, hätte ich das vielleicht auch getan, um meinen Gedanken zu entkommen, doch dieser Ausweg war mir nicht vergönnt.
 

Als ich ein Geräusch aus der Küche wahrnahm, erschrak ich kurz, merkte allerdings schnell, dass es Rangiku war, die mir ein Frühstück zubereitete.
 

„Duftet köstlich“, murmelte ich und Rangiku ließ den Löffel fallen, als sie mich im Türrahmen erblickte.
 

Sie kam auf mich zu und drückte mich fest an sich, ich erwiderte ihre Umarmung nur kurz, bevor ich sie wegschob.

„Schon gut“, murmelte ich und schob alle Gedanken an Yamachi beiseite. Ich hatte meinen gesamten Vorrat an Tränen aufgebraucht und musste mich jetzt erst einmal zusammenreißen. Es war schwierig, denn jede Kleinigkeit schien mich an meinen Bruder zu erinnern. Ich sah sein Gesicht in jeder Ecke, hörte sein Schimpfen und Meckern über mein Benehmen bei jedem Schritt, den ich machte und ich spürte noch immer seine Umarmung.
 

Hätte ich ihn doch ein letztes Mal umarmt.
 

Ich lenkte meine Gedanken auf das Essen, versuchte, es zu genießen, doch es schmeckte nach nichts. Ich war mir sicher, dass Rangikus Kochkünste nicht nachgelassen hatte, doch meine Zunge schien ähnlich wie mein Geist, betäubt von den Ereignissen des Vortags zu sein.

Es war ein bisschen, als würde ich die Welt durch Watte betrachten.
 

Rangiku hatte etwas Arbeit aus der Kompanie mitgebracht und ich half ihr dabei, so konnte ich mich dann doch ablenken. Erst gegen Mittag kam Byakuya für eine kurze Pause vorbei.
 

„Heute Nachmittag findet Yamachis Zeremonie statt“, murmelte er und mir blieb ein Kloß im Hals stecken.

„Wer hat eigentlich...“, begann ich, war aber nicht in der Lage die Frage zu Ende zu stellen. Byakuya allerdings wusste, was ich fragen wollte.
 

„Kommandantin Unohana“, sagte er nun noch leiser. Wenn Unohana selbst Yamachis Tod festgestellt hatte, konnte ich das wohl kaum anzweifeln. Sie war immerhin die fähigste Heilerin der ganzen Soul Society. Das bisschen Hoffnung, dass ich gehabt hatte, schrumpfte noch weiter in sich zusammen.
 

Unohanas Gedanken wurden schon einmal von Aizen manipuliert, flüsterte eine Stimme in meinem Hinterkopf.

Auch dieses Mal könnte es so sein! Ich klammerte mich verzweifelt an diesen Gedanken, hasste mich gleichzeitig jedoch dafür, denn ich wusste, dass ich Yamachi so niemals gehen lassen könnte.
 

Die nächsten zwei Stunden waren die reinste Qual für mich. Ich hatte beschlossen, auf jeden Fall zu der Zeremonie zu gehen, doch das Warten darauf fiel mir schwer.
 

Endlich war es soweit. Ich machte mich gemeinsam mit Rangiku auf den Weg. Dieses Mal ohne Kapuze, ohne Verkleidung, ohne mich zu verstecken. Niemand würde mir den Mund verbieten, das würde ich nicht zulassen.

Rangiku und Byakuya schien das nicht zu gefallen, doch ich würde mir das nicht nehmen lassen. Ich bat die beiden, sich keine Gedanken zu machen und schickte sie vor, zu ihren Plätzen in den vorderen Reihen gingen. Ich selbst hielt mich vorerst im Hintergrund.
 

Ich beobachtete den Anfang der Zeremonie aus sicherer Entfernung. Nachdem ich Byakuya und Rangiku eine Weile beobachtet hatte, fiel mein Blick auf Gin, der sich nervös umzusehen schien. Ein gehässiges Lächeln huschte über mein Gesicht, er erwartete, dass ich hier auftauchte, und das schien ihm Sorgen zu machen. Dann erblickte ich Aizen.
 

Er sah sich nicht um, er wusste, dass ich Seireitei noch nicht verlassen hatte. Auf seiner Stirn erblickte ich eine Schweißperle, was mir einen Hauch von Befriedigung gab. Ich schien ihn hart erwischt zu haben, leider nicht hart genug.

Er schien dieses Mal nicht vorzuhaben eine Rede zu halten, es war ja auch nicht notwendig. Er musste mich nicht aus meinem Versteck locken und ich war mir sicher, dass er eine Begegnung mit mir im Moment auch nicht gerade erzwingen wollte. Seine Verletzungen versteckte er gut.
 

Die Rede des Generalkommandanten schwappte belanglos über mich hinweg. Er hatte Yamachi kaum gekannt und betete nur die Informationen herunter, die ihm vorab gereicht worden waren. Endlich fertig mit seiner Rede, entfernte er sich vom Pult und ich sprang flink an seinen Platz.
 

Ein Raunen ging durch die Menschenmenge.

„Es tut mir Leid Generalkommandant, dass ich so plötzlich hier auftauche...“, begann ich leise, doch meine Stimme wurde mit jedem Wort fester.

„Aber da ich schon bei der Zeremonie meiner Mutter nicht das Wort an mich nehmen konnte, möchte ich dies nun heute tun.“
 

Der Blick des Generalkommandanten war durchdringend, doch ich spürte Güte aus seinen Augen funkeln. Die Leute wurden unruhig, einige von ihnen bejubelten mich, baten mich darum, zurück zu kommen, wieder andere begannen mich zu verfluchen, als Hexe zu beschimpfen, die unschuldige Menschen hollowfiziert hatte.
 

Die Schimpfenden waren größtenteils jüngere Shinigami, deren Gesichter ich noch nie gesehen hatte. Sie schienen die offizielle Version der Geschichte zu glauben. Erst als Yamamoto-Genryusai mit seinem Stab auf den Boden aufschlug, verstummte die Menge.
 

„Yamachi Miyazaki hat niemals an die Schuld seiner Schwester geglaubt“, erklärte er und ich musste schlucken, als er Yamachis Namen erwähnte.

„Außerdem ist sie die letzte lebendige Angehörige des verstorbenen Oberhauptes der Familie Miyazaki. Deshalb sehe ich es als ihr Recht an, das Wort an sich zu nehmen.“
 

Er nickte mir aufmunternd zu und die Menge war nun vollends verstummt. Ich verbeugte mich dankend vor ihm und wandte mich nun an die Menschen, die gekommen waren, um Abschied zu nehmen.
 

Ich erhaschte Aizens Blick, dessen Augen nicht einmal mehr den Hauch von gespielter Wärme versprühten. Eisige Kälte stach aus seinen ihnen und bohrte sich direkt in meine Seele. Ich musste mich von seinem Blick losreißen, um mein rasendes Herz zu beruhigen, das in meiner Brust zu zerspringen drohte.
 

Ich atmete tief durch, bevor ich zu sprechen begann.

„Yamachi war von je her stolz. Er war stets bestrebt, den Namen unserer Familie zu ehren, doch das weiß jeder über ihn. Aber er war nicht nur ein Adeliger. Er war nicht nur ein Familienoberhaupt. Was viele nicht wissen ist, dass er ein Sohn und ein Bruder war. Er hat sich stets gut um unsere kranke Mutter gekümmert, liebevoll und sanftmütig. Zwar war er kein besonders großer Kämpfer, doch sein Ehrgeiz und sein Willen waren stets ungebrochen. Er hatte den zwölften Offiziersrang erreicht, aber diesen Posten abgelehnt. Denn er war auch noch etwas: verantwortungsbewusst. Er wusste, was ihm die Pflichten als Oberhaupt unserer Familie abverlangen würden“, ich hielt einen Moment inne, ehe sich ein leichtes Lächeln auf meinem Mund ausbreitete, meine Augen füllten sich mit Tränen.
 

„Aber er war auch arrogant und eitel. Es gab eine Zeit, da hielt er sich für jemanden, der mich belehren müsse, weil er Familienoberhaupt werden würde und ich nicht. Er nannte mich oft Trampel. Aber er hatte Recht ... wenn es darum ging, einen guten Eindruck zu machen war er besser als ich. Er wusste immer, was er zu sagen hatte und was man besser verschwieg. Er verbrachte jeden Tag viel mehr Zeit vor dem Spiegel als meine Mutter und ich zusammen“, hier lachten einige Leute leise auf, „was ich sagen will, ist ... er war nicht nur ein Adelsoberhaupt. Er war ein Mensch mit Ecken und Kanten. Aber er war immer für mich da, wenn ich ihn brauchte. Er war für jeden da. Sein Tod ...“, ich hielt für einen Moment inne, die Worte waren mir nur schwer über die Lippen gekommen.
 

„Sein Tod war kein tragischer Unfall“, an dieser Stelle ging wieder ein Raunen durch die Menge.
 

„Und ich werde denjenigen, der dafür verantwortlich ist, büßen lassen. Selbst wenn es das Letzte ist, was ich tue.“
 

Ich brauchte Aizen an dieser Stelle keinen Blick zuwerfen, er würde wissen, dass er gemeint war. Ich sprang von der Empore herab und schritt durch die Stuhlreihen, ohne mich ein einziges Mal umzusehen.
 

Ich spürte Aizens Blick in meinem Nacken, er bohrte sich in meinen Hinterkopf, doch ich wandte mich nicht um.

Mit gebrochenem Herzen und einer Wut im Bauch, die ich nie zuvor gekannt hatte, kehrte ich zurück nach Rukongai.

In meine neue Heimat, zu meiner neuen, kleinen Familie.



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