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The Petboy Contract

von

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Lerons Geständnis

Nach der langen Shoppingtour war Simon fix und fertig und ihm taten die Füße weh. Darum freute er sich auch umso mehr auf den Pool, wo er noch ein wenig relaxen wollte, bevor er den Tag zu Ende gehen ließ. Während der Chauffeur die Taschen ins Haus trug und Simon sein Zimmer ansteuerte, um sich umzuziehen, ging Leron in sein Arbeitszimmer, wo er noch ein paar wichtige Daten prüfen und an seinen Prokuristen schicken musste und es nicht aufschieben konnte. Doch so schlimm war es ja auch nicht. Simon genoss auch ein wenig die Ruhe und die Einsamkeit an diesem Abend. Es herrschte noch eine angenehme Wärme und als er mit Badeutensilien bewaffnet nach draußen zum Pool ging, war der Himmel bereits in die Farben der Dämmerung getaucht und spiegelte sich auch auf der spiegelglatten Wasseroberfläche wieder, was zusätzlich ein schönes Bild bot. Nachdem er seinen Bademantel und ein Handtuch über einem der Stühle gelegt hatte, ging er vorsichtig ins Wasser, doch es war ganz angenehm warm von der Hitze des Tages. Mit einem zufriedenen Lächeln schwamm Simon eine Bahn, dann ließ er sich vom Wasser treiben und genoss die angenehme Schwerelosigkeit, die ihn die Strapazen des Tages vergessen ließ. Er fühlte sich seltsam befreit und unbeschwert, als er im Wasser trieb und den Abendhimmel betrachtete. Als befände er sich in einem angenehmen Traum. Nach wenigen Wochen Aufenthalt schien er nun wirklich angekommen zu sein. Das hatte ja auch gedauert, aber irgendwo hatte er mal gelesen, dass man für gewöhnlich länger brauchte, um sich an ein neues Umfeld vollständig zu gewöhnen. Und nun, da er auch noch wusste, dass er mehr war als nur ein Petboy und Lerons Gefühle viel tiefer gingen, überkam ihn ein ungewohntes Gefühl des Glücks. Er konnte nicht aufhören zu grinsen und ihm war, als wäre er in einem wahr gewordenen Märchen. Auch wenn er bei Lerons Geständnis ziemlich überfordert gewesen war, weil er so etwas noch nie erlebt hatte, machte es ihn so unbeschreiblich glücklich und er fühlte sich ihm jetzt auch emotional viel näher als zuvor. Doch ob es Liebe war? Tja, da war er sich immer noch nicht ganz sicher. Vor allem weil er nicht einmal wusste, wie sich Liebe anfühlte doch er vermutete, dass dieses Gefühl dieser "Liebe" vielleicht sehr nahe kam. Naja, er musste sich darüber auch nicht den Kopf zerbrechen. Er wurde zum Glück nicht unter Druck gesetzt und es wurde auch keine Antwort von ihm verlangt. Und wegen der Sache mit dem Vertrag konnte er ja noch warten, bis Leron innerlich so weit war, dass er Kontrolle abgeben konnte. Nachdem er selber noch mal darüber nachgedacht hatte, verstand er auch Lerons Sichtweise. Durch den Vertrag hatten sie beide Sicherheit. Er die finanzielle, und Leron die soziale. Er war auf diese Weise geschützt für den Fall, dass Leron plötzlich sagen würde, dass er ihm keinen Cent mehr zahlen würde. Zwar war er immer noch der Ansicht, dass eine Beziehung nicht auf Verträgen basieren sollte, aber vielleicht war er auch einfach nur zu naiv und besaß zu wenig Erfahrung in diesen Bereichen. Immerhin gab es ja auch Paare, die Eheverträge abschließen. Vielleicht konnte er diesen Petboyvertrag ja auch irgendwie als eine Art Ehevertrag betrachten und die Sache damit auf sich beruhen lassen, solange Leron noch nicht bereit war, den nächsten Schritt zu gehen. Vielleicht hatte er auch zu viel auf einmal verlangt, immerhin war das zwischen ihnen noch recht frisch. Er hätte sich mit dieser Sache noch mehr Zeit lassen sollen.

Nachdem es langsam dunkel draußen wurde, verließ er den Pool, trocknete sich ab und legte den Bademantel an, bevor er zurück ins Haus ging. Er stieg die Stufen hoch und ging als erstes im Schlafzimmer nachsehen, ob Leron vielleicht dort wäre. Doch da das Zimmer leer war, schien der Unternehmer noch im Arbeitszimmer zu sein. Offenbar schien es wohl mehr Arbeit zu sein als erwartet. Also steuerte er das Arbeitszimmer an und als er schon die Türklinke in der Hand hatte, hörte er plötzlich Lerons wutentbranntes Geschrei, welches ihn erschrocken zusammenzucken ließ.

„Wag es nicht, auch nur ein einziges Mal in seine Nähe zu kommen, ich schwöre es dir, Mike. Ich lasse nicht zu, dass du ihm wieder etwas antust!“

Wieder antun? Was war denn da los und wieso schrie Leron so herum? Telefonierte er etwa wieder mit seinem Bruder Michael? Konnte dieser Kerl ihn nicht einfach mal in Ruhe lassen? Simon zögerte einen Moment lang, dann aber öffnete er vorsichtig die Tür einen Spalt breit um nachzusehen, ob er reingehen oder doch lieber draußen bleiben sollte. Doch was er sah, erschrak ihn noch mehr als das plötzliche Geschrei. Denn was er sah, war Leron, der vor einem Spiegel stand und mit diesem redete. Von einem Handy war nichts zu sehen, auch nicht von einem Bluetooth-Headset oder ähnlichem. Er stand da und redete mit seinem Spiegelbild, als wäre es sein Bruder Michael. Simon begriff nicht, was er da sah und war wie erstarrt. Es war wie ein Ausschnitt aus einem bizarren Film. Und so langsam dämmerte es ihm, dass es nie ein Handy gegeben hatte, wenn Leron alleine war und mit jemandem geredet hatte. Er redete mit imaginären Personen, die nicht vorhanden waren. Und wahrscheinlich war das auch der Fall gewesen, als Leron den Spiegel in seinem Schlafzimmer zerschlagen und sich die Hand verletzt hatte. Fassungslos beobachtete Simon die Szene und wurde von einer Mischung aus Angst und Schock ergriffen. Sein erster Gedanke war „Er ist verrückt!“

Doch es sollte schlimmer kommen, denn das, was er da hörte, riss ihm endgültig den Boden unter den Füßen weg:

„Wenn ich Simon damals nicht ins Krankenhaus gebracht hätte, nachdem du ihn sogar gewürgt und verprügelt hast, wäre er noch gestorben. Du hast ihn fast umgebracht! Also verschwinde endlich aus meinem Leben und lass deine Pfoten von ihm.“

Etwas in Simon setzte aus. Wut und Enttäuschung verdrängten die Schockstarre, die ihn bis dahin beherrscht hatte und er platzte ins Arbeitszimmer und schlug die Tür hinter sich mit einem so lauten Knall zu, dass Leron erschrocken zusammenfuhr.

„Wie war das?“ rief er und stürmte direkt auf den Unternehmer zu. Auch wenn dieser ihm körperlich überlegen war, hielt ihn das nicht davon ab, ihn zu packen und ihn nach hinten zu stoßen. „Du warst das damals in dem Loft gewesen? Bist du damals durchgedreht, hast dich verkleidet und mich damals ans Bett gefesselt und mich vergewaltigt? Du hast die ganze Zeit nur ein krankes Spiel mit mir gespielt, du verdammtes Arschloch?“

In seinem Kopf herrschte ein totales Chaos und er wusste nicht, was er denken oder fühlen sollte. Er konnte nicht glauben, was er da soeben noch gehört hatte und war einfach nur wütend und verletzt. Es tat weh zu wissen, dass Leron ihn die ganze Zeit belogen hatte, obwohl er ihm vertraut hatte. In seiner Wut holte er mit der Hand aus und schlug sie Leron ins Gesicht. Das klatschende Geräusch der Ohrfeige hallte durchs Zimmer und Simon spürte das Prickeln und Brennen in seiner Handfläche, doch er nahm es kaum zur Kenntnis. Stattdessen wandte er sich um und wollte einfach nur weg. Möglichst weit weg von Leron. Er schämte sich dafür, dass er so dumm gewesen war, einem anderen Menschen zu vertrauen, nur um dann wieder enttäuscht zu werden. Das war ja mal wieder so typisch für ihn.

„Simon, warte!“ rief Leron und hielt ihn am Arm fest. „Du verstehst da etwas völlig falsch.“

„Was gibt es denn da falsch zu verstehen?“ entgegnete der 21-jährige aufgebracht und versuchte sich loszureißen. „Dachtest du etwa, nur weil ich meinen Körper auf dem Straßenstrich verkaufe, lasse ich mich so verarschen? War ich die ganze Zeit nur dein Hampelmann gewesen, bei dem du dir jederzeit deinen Spaß abholen kannst, nur weil du die Kohle dafür hast? Auch für mich gibt es Grenzen und hätte ich gewusst, dass du so ein mieses Spiel mit mir treibst, dann wäre ich niemals zu dir ins Auto gestiegen oder hätte diesen verdammten Vertrag unterschrieben. Weißt du was? Steck dir deinen scheiß Vertrag sonst wohin und such dir einen anderen Stricherjungen! Behalte dein Geld, ich hab…“

Doch weiter kam Simon nicht, denn da wurde er plötzlich gegen die Wand gedrückt und Leron hielt seine Handgelenke fest. Und gegen diese Kraft kam er unmöglich an. Der Unternehmer war einfach zu stark für ihn.

„Ich habe dir nie etwas angetan!“ beharrte Leron mit fester Stimme und sah ihn ernst an. Seine Wange war gerötet und man sah in seinen Augen, dass diese Worte ihn tief getroffen hatten. Aber es steckte immer noch eine unfassbare Entschlossenheit in ihm. „Und ich hatte nie die Absicht, dir wehzutun. Ich kann dir alles erklären. Es ist…“

„Ich will deine scheiß Erklärungen nicht hören!“ unterbrach Simon ihn und versuchte sich zu befreien, doch es erwies sich als vollkommen zwecklos. „Ich habe doch schon genug gehört.“

„Was du da gehört hast, war eine Auseinandersetzung zwischen mir und meinem Bruder Michael gewesen. Er droht mir doch seit deinem Einzug damit, dass er dich mir wegnehmen und dir wieder die gleichen Dinge antun wird.“

„Jetzt komm mir nicht damit! Außer uns ist doch niemand hier.“

„Er ist auch nicht hier, Ich habe mit seiner Stimme geredet.“

Diese in Simons Augen völlig absurde Erklärung, die für ihn überhaupt keinen Sinn ergab, irritierte ihn so sehr, dass er augenblicklich ruhiger wurde. Und diesen Moment nutzte Leron, um die ganze Situation zu erklären: „Vor drei Jahren kam ich nichts ahnend in den Loft und habe dich da im Bett liegen sehen. Gefesselt und geknebelt. Du warst so übel zugerichtet gewesen, dass ich dich wiederbeleben musste, bevor ich dich ins Krankenhaus brachte. Von Michael habe ich erfahren, dass er dich vom Straßenstrich aufgegabelt hatte, um sich zu amüsieren. Ich wollte mit dir reden, aber du hattest das Krankenhaus bereits verlassen und warst unauffindbar. Und unser Vater hatte die ganze Angelegenheit unter den Teppich gekehrt, um einen Skandal zu vertuschen. Ich habe drei Jahre nach dir gesucht und schließlich einen Privatdetektiv angeheuert, der dich dann über die Meldung gefunden hatte, als du an diesen Serienmörder geraten bist.“

„Und warum hast du mir nichts gesagt?“ fragte Simon und spürte, wie sich seine Brust zusammenschnürte und ihm die Tränen kamen. „Wieso hast du mich die ganze Zeit belogen, obwohl du mir ständig gesagt hast, ich solle dir vertrauen? Warum?“

„Weil ich Angst hatte!“ platzte es aus Leron heraus und mit einem unglücklichen Blick ließ er den Kopf sinken. Er wirkte mit einem Male kraftlos und verzweifelt. Dieses Charismatische, stets Beherrschte und Überlegene war von ihm abgefallen und er wirkte nun irgendwie gebrochen und emotional am Ende. Und Simon wusste nicht, was schmerzlicher war: diese Lüge oder ihn in diesem Zustand zu sehen. „Was Michael getan hatte, war wirklich abscheulich und ich hätte ihn am liebsten dafür umgebracht. Aber… ich hatte mich in dich verliebt gehabt, auch wenn du in dieser schlimmen Verfassung warst. Ich wollte dich vor ihm beschützen und wiedergutmachen, was er dir angetan hatte. Aber hättest du mich je in dein Leben gelassen, wenn du gewusst hättest, dass mein Bruder dir das angetan hat? Du hättest mich doch genauso verurteilt, nur weil ich in derselben Familie aufwachsen musste wie er und mich genauso als gemeingefährlich eingestuft, nur weil ich Probleme mit meiner Aggression habe. Für die meisten bin ich ja nicht anders als mein Bruder. Ich hätte doch nie eine Chance bei dir gehabt, wenn du alles gewusst hättest. Meinst du mir hat das Spaß gemacht? Ständig diese Sticheleien von Michael hören zu müssen, dass ich dich nur ausnutzen und verarschen würde und dass du nur wegen dem Geld bei mir bleibst. Tag für Tag muss ich mir das anhören und fühle mich selber wie ein Monster. Und es stimmt ja auch, dass ich dich immer wieder angelogen und Spielchen mit dir gespielt habe. Ich habe den Vertrag benutzt, damit ich einen Grund habe, dich bei mir zu behalten und dir durch Aufmerksamkeit und Zuwendung alles zu geben, damit du dich auch in mich verliebst. Ich wollte dich niemals verletzen, aber letzten Endes habe ich nicht besser gehandelt als meine Brüder. Ich habe dich belogen und mit deinen Gefühlen gespielt, weil ich dich um jeden Preis an meiner Seite haben wollte.“

Seine Hände begannen zu zittern und seine Stimme bebte. Und als Simon Tränen in Lerons Augen sah, war ihm, als würde es ihm das Herz zerreißen. Ihn in so einem Zustand zu sehen, das war für ihn unerträglich und ihm war, als würde er in diesem Moment all seine Wut vergessen. Sein Kopf war leer und er wusste nicht mehr, was er denken oder fühlen sollte. Nur eines wusste er: er wollte Leron nicht weinen sehen. Er hatte immer das Bild dieses starken und dominanten Unternehmers gehabt, der mit jeder Situation souverän umgehen konnte. Aber die Realität sah anders aus. Leron litt… Er litt schon eine ganze Weile still und heimlich und schaffte es perfekt, es zu kaschieren, damit niemand es bemerkte. Aber jetzt, wo er den einzig wichtigen Menschen in seinem Leben zu verlieren drohte, schaffte er es nicht mehr, die Fassade aufrecht zu erhalten. „Aber ich liebe dich einfach so sehr und ich weiß nun mal nicht, wie man mit Menschen umgeht. So etwas wie Liebe gibt es in unserer Familie nicht. Für mich gibt es keine normale Art, mit anderen umzugehen, deshalb habe ich dich belogen und manipuliert, auch wenn ich wusste, dass es nicht der richtige Weg war. Ich dachte mir: solange ich nur dafür sorgen kann, dass du glücklich bist, ist es nicht so schlimm. Aber letzten Endes habe ich dir wohl nur wehgetan. Wie Michael sagte: ich kann niemanden glücklich machen, sondern nur verletzen.“

Nun ließ Leron ihn los und eigentlich wäre es die perfekte Gelegenheit, um zu verschwinden. Doch Simon blieb stehen und sah ihn nur mit gemischten Gefühlen an. Dann schließlich schloss der Unternehmer ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich.

„Es tut mir leid“, sprach er mit verzweifelter Stimme. „Es tut mir alles so leid.“

Simon sagte nichts, sondern schwieg einfach. Er wusste nicht, was er sagen oder denken sollte. Er war sehr verletzt über diese Lüge und das Spiel, welches mit ihm gespielt worden war. Aber wenn Leron ihm sagte, dass er nie beabsichtigt hatte, ihm ernsthaft zu schaden, musste er ihm einfach glauben. Was hatte er denn selbst bis jetzt erlebt gehabt? Leron hatte sich um ihn gekümmert, wenn es ihm schlecht ging, er war immer rücksichtsvoll gewesen und hatte auf seine Wünsche, Sorgen und Probleme Rücksicht genommen, ihm Zuwendung und Liebe gegeben und ihn aufgebaut und bestärkt. Das passte einfach nicht in das Bild eines manipulativen Intriganten, der ihn aus reiner Arglist belog. Und so wie er die Sache darlegte, konnte Simon ihn auch irgendwie verstehen, warum er so gehandelt hätte. Es stimmte schon: wenn er von Anfang an gewusst hätte, dass sein älterer Bruder Michael ihm das damals im Loft angetan hatte, dann hätte er Leron nie und nimmer eine Chance gegeben, sondern ihn sofort abgewiesen. Natürlich änderte es nichts an dem Vertrauensbruch, aber war es ein Grund, ihn für das zu verurteilen, was sein Bruder zu verschulden hatte? Leron war doch derjenige gewesen, der ihn gerettet und ins Krankenhaus gebracht hatte. Er war doch nicht für das verantwortlich, was sein älterer Bruder getan hatte. Alles, was er getan hatte, war doch nur, etwas zu verheimlichen, damit er eine Chance bekam, das Herz des Menschen zu gewinnen, in den er sich verliebt hatte. Und war das wirklich so verachtenswert? Würde nicht jeder normale Mensch so handeln, wenn er in dieser Situation wäre? Was hätte er denn an Lerons Stelle getan? Wäre er gleich sofort mit der Tür ins Haus gefallen und hätte damit alles aufs Spiel gesetzt, oder hätte er es so lange geheim gehalten, bis er sicher war, dass er eine Chance hatte? Nun, selbst da blieb immer noch ein Risiko, aber man konnte doch auch verzeihen, oder nicht? Man musste doch ganz klar abgrenzen, was Leron getan hatte und was sein ältester Bruder verbrochen hatte. War es denn fair, Leron die Schuld für Michaels Verbrechen zu geben, obwohl er sich so um ihn bemüht hatte? Nein, es wäre ganz und gar nicht fair gewesen und als Simon dies erkannte, da wusste er auch schon, wie er sich entscheiden würde und erwiderte die Umarmung.

„Ich bin wirklich verletzt wegen der Lüge“, erklärte er mit ruhiger Stimme. „Aber… ich kann es verstehen. Wahrscheinlich hätte ich an deiner Stelle auch nicht anders gehandelt. Ich bin natürlich enttäuscht, aber ich weiß auch, dass du so viel für mich getan hast. Tut mir leid, dass ich dir diese Sachen an den Kopf geworfen habe und dass ich dir eine geklebt habe. Aber es tat einfach so weh, erfahren zu müssen, dass man von dem Menschen belogen wurde, dem man so sehr vertraut und der einem wichtig ist. Und dabei sollte ich dir doch eigentlich dankbar sein, dass du mir damals das Leben gerettet hast. Wenn du nicht in den Loft gekommen wärst, wäre gestorben. Eigentlich… naja eigentlich bin ich doch derjenige, der sich gerade unfair verhält, oder nicht?“

Schließlich löste Simon sich von ihm, hielt aber seine Hände fest, denn es gab etwas, das er unbedingt sagen musste.

„Aber ich glaube wirklich, dass du dringend Hilfe brauchst, Leron. Nicht nur allein wegen deiner Aggressionsprobleme, sondern auch weil du psychische Probleme hast. Stimmen im Kopf zu hören oder Personen zu sehen, die nicht da sind, ist nicht normal. Wenn du wirklich jeden Tag die Stimme deines Bruders im Kopf hörst, die dich immer und immer wieder nur fertig macht, ist es doch kein Wunder, wenn du solche Probleme hast. Deshalb bitte ich dich: such dir irgendwo Hilfe und lass dich behandeln. Dann geht es dir vor allem viel besser. So ein Leben muss doch furchtbar sein.“

Geschlagen senkte Leron den Blick und man merkte ihm an, wie sehr ihn diese Kämpfe gegen die Stimme in seinem Kopf gezeichnet hatten und wie viel Kraft sie ihn gekostet hatten. Doch vor allem sah man ihm die Bestürzung an. All die Jahre schien er nie wirklich realisiert zu haben, dass er psychisch krank war und dass die Stimme seines Bruders nur ein Produkt seiner eigenen Fantasie war. Und nun, da Simon ihm den Spiegel vorhielt und ihm die Wahrheit offenbarte, wurde ihm klar, dass er sich die ganze Zeit nur etwas vorgemacht hatte. All die Jahre hatte er eisern seine Aggressionen unterdrückt um zu beweisen, dass er anders als seine Familie mütterlicherseits war. Doch sein Problem war nicht dieses angeborene Gewaltpotential, sondern seine Wahnvorstellungen. Und diese zeigten ihm nur allzu deutlich, dass er sich nicht wirklich vom Rest dieser Familie unterschied.

„Mein ganzes Leben lang dachte ich, ich könnte diesem Fluch entkommen“, sagte er mit kraftloser Stimme. „Aber letzten Endes scheine ich keinen Deut anders zu sein…“

„Das stimmt nicht“, widersprach Simon. „Nur weil du krank bist, heißt das noch lange nicht, dass du wie dein Bruder bist. Du kannst etwas daran ändern und dir helfen lassen, damit es dir besser geht. Du hast immer noch die Wahl, entweder in das gleiche Muster zu verfallen wie dein Bruder, oder dagegen anzukämpfen und einen Ausweg zu finden. Vielleicht brauchst du eine Therapie oder kriegst eine medikamentöse Behandlung, keine Ahnung…. Aber wenn du dir Hilfe suchst, um mit deinen Problemen fertig zu werden, zeigst du doch, dass du nicht wie Michael bist, oder?“

Leron hielt inne, als er das hörte und eine Unsicherheit überkam ihn, die er schon seit Jahren nicht mehr in diesem Maße empfunden hatte. Er hatte wirklich befürchtet, Simon würde ihn verlassen und ihn als Irren abstempeln, wenn dieser erfuhr, dass er die Stimme seines Bruders in seinem Kopf hörte, so als würde jemand direkt neben ihm stehen und mit ihm reden. Er hatte mit eiserner Disziplin die Stimme in Simons Gegenwart ignoriert und nie darauf geantwortet. Bis auf das eine Mal, als Simon auf den Vertrag angesprochen hatte. Aber sonst hatte er versucht, sich nichts anmerken zu lassen und den Anschein eines normalen Menschen zu erwecken. Die Angst, dass Simon ihn dann in einen Topf mit Michael werfen würde, war einfach zu groß gewesen. Und was war nun? Der Junge riet ihm, sich behandeln zu lassen. Und er verurteilte ihn nicht dafür, dass er Stimmen im Kopf hörte und mit ihnen redete. Und selbst diese gemeine, selbstsüchtige Lüge verzieh Simon ihm. So einen Menschen hatte er an seiner Seite nicht verdient.

„Hast du es die ganze Zeit vor mir zu verbergen versucht?“ fragte Simon schließlich und mal wieder musste Leron zugeben, dass der Junge verdammt scharfsinnig war. Als wäre er mal Detektiv gewesen.

„Natürlich habe ich das“, gestand er und seufzte. „Ich wollte nicht, dass du Angst vor mir bekommst. Wer vertraut denn schon jemanden, der mit Stimmen redet, die andere nicht hören?“

„Seit wann hast du das schon?“

„Seit meiner Kindheit…“ Leron ging zu seinem Bürostuhl und setzte sich. Er fühlte sich müde und erschöpft, aber innerlich fühlte er sich wesentlich leichter. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er frei über sein schlimmstes Problem sprechen. „Wann genau es anfing, kann ich nicht mehr genau sagen. Vermutlich zu der Zeit, als unsere Mutter krank wurde. Es fing an, dass ich mir einbildete, mich würde jemand rufen. Zuerst war es eher harmlos gewesen und keiner bemerkte etwas, aber als Mutter starb und Michael außer Kontrolle geriet, da verschlimmerte es sich. Vorher hatte ich fremde Stimmen gehört, danach hörte ich nur noch Michaels Stimme in meinem Kopf, die mich bedrohte und einzuschüchtern versuchte. Als mein Vater mitbekam, dass ich mit mir selbst redete, ließ er mich unter anderem deshalb alleine in der Villa wohnen, um mich von meinen Brüdern zu trennen, weil er dachte, es würde aufhören, wenn Michael keinen Einfluss auf mich ausüben kann. Eine Therapie oder dergleichen hat er aber nie zugelassen. Wenn herauskäme, dass ich psychologische Hilfe in Anspruch nehmen würde, würde man über uns reden und das hätte nur dem Ruf unserer Familie geschadet. Also musste ich lernen, mir selbst zu helfen.“

„Und warum hörst du ausgerechnet die Stimme deines Bruders?“

„Weil er der Mensch ist, vor dem ich schon als Kind am meisten Angst hatte“, vermutete Leron und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht passte es einfach, dass er immer derjenige in meinem Kopf war, der mir einzureden versucht, ich wäre ein Verrückter und würde anderen nur wehtun. Als du dir am Pool den Sonnenstich geholt hast, war das auch natürlich ein gefundenes Fressen für ihn und natürlich musste er mir da einreden, dass es meine Schuld war, dass es dir da so schlecht ging.“

„Klingt danach, als wäre dein Bruder eine Art Verkörperung deiner eigenen inneren Stimme“, bemerkte Simon und lehnte sich gegen die Wand und hörte aufmerksam und interessiert zu. „Jeder Mensch hat mal Zweifel und Unsicherheiten. Aber was du da hast, hört sich irgendwie an, als wäre das dein Selbsthass, der da aus dir spricht und der sich wie dein Bruder anhört, weil er dich hasst. Ich bin kein Psychologe und kann das nicht exakt feststellen, aber das ist irgendwie so mein Eindruck. Und dass dein Vater dachte, dass es genügen würde, euch voneinander zu trennen, war ja wohl eine absolute Schwachsinnsidee. Ich glaube, du brauchst wirklich Hilfe, weil dich diese ganzen Dinge immer noch ziemlich zu verfolgen scheinen und du doch nicht ganz alleine etwas gegen Stimmen ausrichten kannst, die dich in deinem Kopf fertig machen. Ich an deiner Stelle wäre da schon längst durchgedreht. Warum hast du dir denn keine Hilfe mehr gesucht, nachdem du alleine warst?“

„Weil es sich so real anfühlt und man vergisst, dass es nicht real ist. Als Außenstehender kann man das sofort differenzieren, aber wenn man selbst Stimmen im Kopf hört, dann hat man nicht das Gefühl, als bilde man sich das ein. Es erscheint einem so real, als würdest du gerade mit mir sprechen. Solange ich vor anderen Menschen diese Eigenschaft erfolgreich verbergen konnte und mich im Griff hatte, kam ich immer gut klar.“

„Aber vor allem wolltest du vor der Tatsache flüchten, dass du auch krank bist.“

Es schien, als könnte er ihm nichts vormachen. Der Junge hatte ihn durchschaut und wusste nun, wie es in ihm drin aussah und was er dachte oder fühlte. Und er hatte Recht. Er hätte es einfach nicht ertragen, wenn er sich mit der Tatsache auseinandersetzen musste, dass er genauso psychisch krank war wie Michael. Wer wäre denn da gewesen, um ihn aufzufangen? Er war alleine und er hatte gewusst, dass er es nicht durchstehen würde, wenn er sich diesen Fakten stellen musste. Er brauchte jemanden, der für ihn da war und ihm die Kraft gab, standhaft zu bleiben, wenn er sich diesen Dingen stellte.

Langsam trat Simon nun auf ihn zu, dann umarmte er ihn.

„Tut mir leid, dass ich dir diese Dinge an den Kopf geworfen habe. Ich war sauer gewesen und habe nicht darüber nachgedacht, was ich gesagt habe.“

„Schon gut“, sagte Leron und streichelte liebevoll und zärtlich seinen Kopf. „Ich kann es verstehen. Ich wäre auch wütend geworden. Ich bin nur froh, dass du mir nach all den Dingen noch eine Chance geben willst.“

„Du kannst ja nichts dafür, dass du krank bist“, erklärte der 21-jährige und spürte diese liebevolle und sanfte Geste, die er an Leron so liebte. Für ihn stand fest, dass er nicht gehen würde. Er würde Leron nicht im Stich lassen. Es war seine Aufgabe, für ihn da zu sein und ihm Halt zu geben, das wusste er jetzt. So wie sich Leron um ihn kümmerte, so musste er sich in Momenten wie diesen auch um ihn kümmern. „Und ich kenne es ja selbst am besten wie es ist, nicht wie die anderen zu sein und deshalb immer nur verurteilt zu werden. Wir schaffen das schon irgendwie. Und weißt du was? Scheiß doch auf deine Familie. Was hat die denn schon für dich getan, dass du etwas für sie tun musst?“

Leron nickte und lächelte erleichtert. Nie im Leben hätte er gedacht, dass es tatsächlich einen Menschen geben könnte, dessen Worte ihn so sehr erreichten und der ihn so gut verstand, ohne dass er es sagen musste. Und umso glücklicher war er, dass Simon ihn nicht für seine Krankheit oder seine Familie verurteilte. Zum ersten Mal konnte ihn jemand mit diesen ganzen Makeln nehmen.

„Danke, Simon“, flüsterte er und drückte ihn fest an sich. „Ich glaube du weißt nicht, wie glücklich du mich gerade gemacht hast.“
 

Nachdem sich beide beruhigt hatten, verließen sie das Arbeitszimmer und gingen zu Leron ins Schlafzimmer. Heute Abend würde nicht mehr viel passieren, dazu waren sie beide momentan nicht in der Stimmung, aber einander Gesellschaft leisten konnten sie ja trotzdem. Außerdem wollte Simon ihn heute Abend nicht alleine lassen da er spürte, dass Leron ihn heute mehr denn je brauchen würde. Also schlüpfte er zu ihm ins Bett und kuschelte sich neben ihn. Leron legte einen Arm um ihn und starrte an die Zimmerdecke. Er war sehr schweigsam geworden und schien nachzudenken.

„Warum hat dich dein Vater eigentlich von der Familie getrennt?“ fragte er schließlich. „Du sagtest vorhin, es wäre nur einer der Gründe. Was ist passiert?“

„Michael hat damals seine Dominanz klar zeigen und seine Triebe ausleben wollen“, erklärte Leron und seine Miene wurde sehr ernst. „Er nannte es immer seine Bestrafungsspiele. Während Jordan mich festhielt, machte er, wie er es zu sagen pflegt, einen Mann aus mir. Ich war acht, als das passierte.“

Simon setzte sich auf und sah Leron erschüttert an und sein Magen zog sich zusammen. Zwar hatte er schon etwas Ähnliches vermutet, aber es direkt zu hören, war noch mal etwas ganz anderes.

„Soll das etwa heißen…“

Leron nickte und hielt seinen Blick starr auf die Zimmerdecke gerichtet, doch seine Augen starrten in Wirklichkeit ins Leere. „Ja… mein Bruder hat mich als Kind regelmäßig missbraucht. Das war der eigentliche Grund, warum ich alleine in diesem Haus aufgewachsen bin.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Mann, das war ja mal ein Achterbahnkapitel der Gefühle. Simon erfährt die Wahrheit, woher Leron ihn wirklich kennt, dass dieser schizophren ist und dass Leron von seinem Bruder als Kind missbraucht worden war. Teilweise war das so emotional für mich beim Schreiben, dass ich selber Tränen in den Augen hatte, aber letzten Endes hat es für beide ein gutes Ende genommen. Leron konnte zum ersten Mal in seinem Leben über seine Probleme reden und Simon kennt nun endlich die ganze Wahrheit und konnte Leron seine Lüge verzeihen und unterstützt ihn. Und mit diesem Zuspruch findet Leron mit Sicherheit den Mut, sich Hilfe zu suchen. Das hier ist definitiv eines meiner Lieblingskapitel!

Zuerst hatte ich geplant gehabt, dass Simon einen Spaziergang macht, Jordan über den Weg läuft und der ihm einredet, Leron habe Wahnvorstellungen und bilde sich alles nur ein, auch die Übergriffe in seiner Kindheit, um auf diese Weise einen Keil zwischen Leron und Simon zu treiben. Aber letzten Endes fand ich diese Version besser, weil sie so viel emotionaler ist und Simon auch sehen sollte, dass Leron nicht der starke und unantastbare Mensch ist, der er vorzugeben versucht. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Mamesa
2016-04-16T19:11:29+00:00 16.04.2016 21:11
Das haste sehr gut geschrieben
ich bin grad so geflasht ...sorry ich kann nichts mehr schreiben
denn das kapi hatte echt wums
Von:  bella230109
2016-04-16T09:55:54+00:00 16.04.2016 11:55
Ich muss sagen ich finde dieses Kapitel richtig traurig aber es zeig auch das Mann nicht sein ganzes leben vor seinen Problemen davon laufen kann gerade dann nicht wenn Mann Jena den trift dem man liebt Mann sollte aufrichtig sein auch auf die Gefahr hin das man dann doch wieder alleine da steht das Simon ihn das verzeiht ist echte liebe nach allem wsas passiert ist vertraut er ihn blind und das Leon sich nun ganz geöffnet hat zeigt Simon nur das er ihn vertrauen kann bin gesandt wie es weiter geht
Von:  Meowlody100
2016-04-16T09:08:25+00:00 16.04.2016 11:08
Also ich weiss gar nicht recht was ich schreiben soll, ich bin so gerührt...

Ich hab geweint als ich das Kapitel gelesen hab und ich finde dass du mit dieser Version wirklich die bessere Wahl getroffen hast, so ist es wesentlich intimer und passt perfekt zum bisherigen Verlauf. Ich bin schon so gespannt wie's weiter geht!

Danke für die tolle Geschichte und ich hoffe sie geht noch lange weiter!!!


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