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Sünde

von

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Melanie

Sofort breitete sich ein bitterer Geschmack in meinem Mund aus und mein Bauch krampfte sich so heftig zusammen, dass ich mich vornüber beugen musste. Noch während ich keuchend nach Luft schnappte, merkte ich wie mir die Magensäure in den Hals stieg.

Langsam, mit weichen Knien und mit einer Hand immer an der Wand abgestützt schleppte ich mich in Richtung Bad. Ich weiß nicht mehr, wie, aber irgendwie schaffte ich es tatsächlich bis zur Toilette, bevor ich mich laut würgend übergeben musste. Ich hatte das Gefühl, ich würde alles aus mir heraus brechen – meinen Mageninhalt, mein Herz, meine Seele.

Nach einem nur kurzen Augenblick stürzte Mama hinter mir ins Bad und schlug sich mit einem unterdrückten Schluchzen eine Hand vor den Mund. Ich musste tatsächlich so erbärmlich aussehen, wie ich mich plötzlich fühlte.

„Oh, Mel!“ Mama eilte zu mir, kniete sich neben mich und strich mir mit einem besorgten Gesichtsausdruck über den Rücken. „Was hast du?“ Während der kurzen Pause zwischen zwei Würgewellen zuckte ich mit den Schultern, doch bevor ich etwas sagen konnte wie „Vermutlich was Falsches gegessen.“ füllte sich mein Mund erneut wieder mit beißender Magensäure und ich musste ausspucken.

Ein klebriger Film kalten Schweißes überzog bereits meinen ganzen Körper, als Greg in der Tür auftauchte. Bei seinem Anblick krampfte sich mein eh schon wunder Magen noch mehr zusammen. Ich spuckte ein weiteres Mal Magensäure und Gallensaft in die weiße Porzellanschüssel unter mir, als Mama sich mit flehendem Ton an meinen Bruder wandte: „Jetzt tu doch was, Gregor!“

„Was soll ich denn machen? Ihr die Haare halten?!“ Seine Stimme klang so kalt und abfällig wie ich es schon gewohnt war, doch als ich vom vielen Erbrechen erschöpft den Kopf drehte und ihn auf den kalten Rand der Toilettenschüssel legte, sah ich, dass sich neue Tränen in Gregs eh schon geröteten, hellgrünen Augen sammelten. Ich war ihm also doch nicht ganz egal...

„Ich... ich glaub, ich... möchte ins... Bett.“ Allein zu sprechen fiel mir schwer. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie ein Versuch ausgesehen hätte, von alleine wieder auf die Beine zu kommen. Mama schob mir etwas ungelenk ihre Hände unter die Achseln und versuchte, mich hoch zu ziehen.

Greg beobachtete ihr fruchtloses Unterfangen für etwa eine Minute stumm und unbewegt, doch dann trat er mit energischen Schritten ans Waschbecken, füllte meinen roten Zahnputzbecher bis zum Rand mit kaltem Wasser und kniete sich vor mich. „Hier spül dir den Mund aus, sonst wird’s bald richtig unangenehm.“

Fürsorglich legte er seine große, warme Hand auf meine, als ich versuchte, den Becher allein zu halten. Während ich seinem Rat nachkam und Mama sich mit einem Seufzen auf den Badewannenrand hinter mir setzte, betrachtete ich Gregs Gesicht, das fast direkt neben meinem war.

Seine leicht geschwollenen Augen beobachteten konzentriert jede kleine Bewegung meinerseits, zwischen seinen dunklen Augenbraunen, die er ein wenig zusammen gezogen hatte, waren zwei kleine Falten entstanden und seine aufgebissenen Lippen formten einen schmalen Strich.

Als der Becher leer war, stellte Greg ihn einfach blind neben der Toilette ab und hob mich auf seine starken Arme. Ich wollte protestieren, dass ich zu schwer war, doch ich war vollkommen ausgelaugt und kraftlos. So ließ ich meinen Kopf einfach gegen seine breite Brust rollen, anstatt mich zu sträuben. Mit einer Leichtigkeit als würde ich gerade mal fünf Kilo wiegen trug Greg mich zu meinem Bett, wo Mama, die uns gefolgt war, mich liebevoll zudeckte.

Kaum dass er mich abgelegt hatte, wollte Greg sich auch schon wieder zurückziehen, doch ich packte ihn mit einer Macht, die mich selbst erstaunte. Ich hatte also doch noch ein wenig Energie übrig. „Nein, Greg! Bleib! Bitte, bleib.“ Er warf Mama einen gequälten Blick zu, den ich nicht verstand, und ließ sich dann mit einem resigniert klingenden Seufzen auf meiner Bettkante nieder.

Unsere Mutter stand eine Weile unschlüssig im Raum und betrachtete meinen Bruder mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck, der mich verwirrte, doch bevor ich mir Gedanken darüber machen konnte, überkam mich eine gewaltige Müdigkeitswelle und die Augen fielen mir zu. Ich bekam fast gar nicht mehr mit, wie Mama mich auf die Stirn küsste und sagte: „Schlaf gut, meine Kleine. Ich ruf Papa im Krankenhaus an und sag ihm, dass du krank bist. Gregor bleibt hier und passt auf dich auf.“

Mein Kopf rollte zur Seite und ich war beinah schon ins Land der Träume abgedriftet, als ich plötzlich merkte, wie jemand versuchte, das Handgelenk, das ich umklammert hielt, aus meinen Fingern zu lösen. Sofort war ich wieder hellwach und versuchte, mich aufzurichten, doch Greg drückte mich sanft zurück in die Kissen.

„Immer mit der Ruhe, Kleines. Ich will mir nur einen Stuhl holen, das ist bequemer.“ Widerwillig ließ ich ihn los und beobachtete ihn mit sorgengroßen Augen wie er den Raum durchquerte und mit meinem rotgepolsterten Schreibtischstuhl zurück kam.

Kaum dass er sich gesetzt hatte, griff ich wieder nach seiner Hand, die er mir mit einem traurigen Lächeln überließ. „Gehst du auch wirklich nicht weg?“ Er strich mir über die Wange und schluckte hart, bevor er antwortete: „Nein. Ich bleib die ganze Nacht bei dir. Versprochen.“

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief ich schließlich ein. Das war endlich wieder der Bruder, den ich kannte.



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