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Sünde

von

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Johannes

Ein Date, ein Date, ein Date... Ich konnte es selbst kaum glauben, doch ich hatte tatsächlich eine Verabredung mit Melanie – und es war nicht einmal schwer gewesen. Mein Herz schlug rasend in meiner Brust, während der Bus ruckelnd anfuhr. Träumend lehnte ich den Kopf gegen die vibrierende Fensterscheibe und dachte an den bevorstehenden Abend. Augenblicklich hatte ich das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen, und meine Handflächen wurden feucht.

Ich war schrecklich nervös, was ich selbst absolut albern fand. So hübsch Melanie auch sein mochte, eigentlich kannte ich sie bisher kaum. Sie war einfach nur ein gut aussehendes Mädchen, mehr nicht. Trotzdem machte mein Herz allein bei dem Gedanken an sie einen kleinen Hüpfer. Auch wenn ich mich gegen diese Erkenntnis sträubte und versuchte, mir einzureden, dass ich sie einfach nur näher kennen lernen wollte, musste ich mir eingestehen, dass ich vom ersten Augenblick an schrecklich verliebt war. Die Möglichkeit, dass sie womöglich anders empfinden konnte, machte mich beinah wahnsinnig.

Etwas unwohl zupfte ich am Kragen meiner heißgeliebten Lederjacke. Vielleicht hätte ich mich doch ein bisschen mehr zurecht machen sollen... Zuerst hatte ich ein schwarzes Hemd und eine dunkle Stoffhose anziehen wollen, doch Adam, der am Nachmittag überraschend vorbei gekommen war, hatte es mir ausgeredet. „Willst du dich verkleiden oder willst du, dass sie dich mag?“, hatte er mich gefragt, während er mich mit hoch gezogenen Augenbraunen gemustert hatte.

„Zieh etwas an, das du immer tragen würdest. Schließlich soll sie dich ja mögen wie du bist. Und außerdem hast du als ihr euch kennen gelernt habt auch nicht ausgesehen wie ein italienischer Möchtegern-Gigolo.“ Widerstrebend hatte ich ihm zustimmen müssen und hatte mein Ausgehoutfit gegen meine Lieblingskleidung ausgetauscht. Doch jetzt fragte ich mich wieder, ob ich das Richtige getan hatte.

Plötzliches Reifenquietschen und lautes metallisches Kreischen riss mich aus meinen Gedanken. Der Busfahrer trat so heftig in die Bremsen, dass ich ruckartig nach vorne geschleudert wurde und nur knapp meine Arme noch rechtzeitig hoch reißen konnte, um nicht mit der Stirn gegen die Rückenlehne des vorderen Sitzes zu knallen. Schlingernd kam der Bus auf der glatten Straße zu stehen und der Fahrer stieß einige derbe Flüche aus, während sich die Fahrgäste ängstlich umsahen.

Ich entdeckte einen jungen Mann, der sich offenbar die Nase angeschlagen hatte und stark blutete. Schnell kramte ich eine angebrochene Packung Tempos aus meiner Jackentasche und warf sie dem Verletzten zu, als ich durch den schmalen Gang nach vorne lief. „Was ist passiert?“ Der Fahrer sah mich brummig an, so als würde ich ihn persönlich verantwortlich machen. Statt mir zu antworten, deutete er einfach nach vorne. Schnell warf ich einen Blick durch die Windschutzscheibe und zuckte heftig zusammen.

Vor uns hatten sich mehrere Autos in einander verkeilt und die Straße war übersät mit Glassplittern, verbogenem Metall und abgerissenen Plastikteilen. Glücklicherweise konnte ich nirgends Blut oder schwer verletzte Menschen entdecken, doch so wie die Unfallstelle aussah, waren sicherlich einige Beteiligte zu Schaden gekommen. „Wie lange werden wir hier feststecken?“ Ich hörte selbst, wie angespannt meine Stimme klang.

Der Busfahrer, ein älterer Mann mit einem dünnen, weißen Haarkranz und einem imposanten Bauch, der kaum hinter das Lenkrad passte, murmelte ein schwer verständliches „’ne Weile. Kann dauern, bis die Bullen hier sind.“

Genervt ließ ich mich auf die nächste freie Bank fallen und starrte missmutig auf die nasse Hauptstraße, die sich wie ein öligschwarzes Band durch die Stadt schlängelte. Immer wieder warf ich einen Blick auf die Uhr, die mir jedes Mal nur wieder erzählte, dass mir die Zeit mit riesigen Schritten davon lief. Inzwischen hatte ich nur noch zehn Minuten und noch immer kam das einzige blaue Blinklicht von einem einsamen Krankenwagen, der um die Ecke geschossen kam. Von der Polizei war weit und breit noch nichts zu sehen, dafür wirbelten die ersten, dicken Schneeflocken durch die eisige Luft. Knurrend betrachtete ich den tanzenden, weißen Niederschlag und dachte mit Schrecken daran, dass ich wie ein nasser Pudel aussehen würde, wenn ich jetzt zum Kino liefe. Doch anscheinend war das meine einzige Chance noch einigermaßen pünktlich zu kommen.

Schnell eilte ich wieder nach vorne zum Fahrer, der mich mit einem säuerlichen Blick musterte. „Nein, es gibt keine Umleitung und zum Wenden ist die Straße auch zu eng.“ Irritiert blinzelte ich ihn an und schüttelte dann den Kopf. „Das wollte ich gar nicht wissen. Ich wollte nur fragen, ob sie mich raus lassen könnten.“ Stumm warf der alte Mann einen Blick aus dem Fenster, was mich genervt mit den Zähnen knirschen ließ. Ich wusste ja, dass dickliche Menschen angeblich gemütlich sein sollen – ich selbst hatte mir diese Sticheleien oft genug anhören müssen – aber das war definitiv zu gemütlich!

„Hören Sie, ich hab noch eine Verabredung und hier sitzen doch genug Zeugen für die Polizei. Abgesehen davon, war ich eh so sehr in Gedanken, dass ich nichts mitbekommen habe. Ich würde jetzt gerne gehen!“ Nur mit Mühe konnte ich meine Wut zu einem gereizten Unterton drosseln. „Is’ ja gut...“, brummte der Fahrer und langte gemächlich zu dem Türöffnungsknopf herüber. Ich presste ein kurzes, bissiges „Danke...“ hervor und hüpfte schnell die zwei Stufen hinab auf die Straße.
 

Als ich endlich am Kino ankam, war ich vollkommen durchgefroren und auf meinen Haaren hatte sich eine dünne Schicht Schnee abgelagert. Doch meine Aufmerksamkeit galt einzig und allein den verschiedenen Menschen, die sich vor dem Kino tummelten oder hin und her liefen. Mit wachsender Furcht, Melanie könnte bereits gegangen sein, ließ ich meinen Blick hin und her huschen, bis ich endlich die kleine, schmale Gestalt entdeckte, die sich frierend unter das schmale Vordach des Kinos drückte.

Sofort machte mein Herz einen aufgeregten Sprung und ich beschleunigte meine Schritte. Als sie mich bemerkte, lächelte Melanie zu mir herüber und machte einen kleinen Schritt auf mich zu. Schnell zog ich mir meinen feuchten Schal aus dem Gesicht und grinste sie an, bevor ich sie vorsichtig in den Arm nahm. Irgendwie erwartete ich fast, dass sie mich zurückstoßen würde, doch nichts geschah. „Tut mir leid, dass du warten musstest. Ein paar Straßen weiter war ein Unfall und mein Bus steckte ewig fest.“, erklärte ich meine Unpünktlichkeit, damit sie nicht glaubte, ich sei unzuverlässig. Dann deutete ich mit dem Kopf auf den Kinoeingang und lächelte sie aufmunternd an. „Also, wollen wir?“

Die warme Heizungsluft im Inneren schlug mir nach der feuchten Eiseskälte draußen wie eine Keule entgegen und für einen Moment hatte ich das Gefühl, nicht atmen zu können. Doch während wir an einer scheinbar überhaupt nicht kleiner werdenden Schlange standen, gewöhnte ich mich langsam wieder an die trockene Luft und meine gefrorenen Glieder tauten allmählich wieder auf.

Aus den Augenwinkeln betrachtete ich Melanie, die ein genervtes Gesicht zog und versuchte, der lahmarschigen Kassiererin einen bösen Blick zuzuwerfen. Sie war wirklich übermäßig hübsch. Ihre großen, moosgrünen Augen mit den langen, schwarz getuschten Wimpern funkelten wie Sterne und ihre vollen, sinnlich geschwungenen Lippen waren auch ungeschminkt von einem zarten Rosa, für das andere Mädchen unzählige Lippenstifte bemühen mussten. Trotz ihrer dunklen Haar- und Augenfarbe hatte sie helle, fast wie Porzellan wirkende Haut, die nur an wenigen Stellen von Pickeln und Mitessern verunreinigt wurde und rund um die Nase süße Sommersprossen aufwies.

Ich war so von ihrem schönen Gesicht fasziniert, dass ich kaum mitbekam, dass wir immer weiter nach vorne rückten. Als ich aufsah und die Kassiererin direkt vor mir erblickte, zuckte ich vor Überraschung beinah zusammen. Schnell nannte ich ihr den Film und zückte mein Portemonnaie, um zu bezahlen bevor Melanie auch nur reagieren konnte. Grinsend registrierte ich, dass sie irritiert blinzelnd ihren Geldbeutel wieder in ihren kleinen Rucksack steckte.

Ohne mich zu versichern, dass Melanie mir folgte, steuerte ich auf die Treppe zu und sprang die Stufen hinauf. Erst kurz vor dem ersten Absatz fiel mir auf, dass sie nicht an meiner Seite war, und blickte mich suchend um. Mit wehenden Haaren und leicht geröteten Wangen eilte Melanie auf mich zu und lächelte zu mir herauf. In diesem Moment war sie so schön, dass es mir beinah das Herz zerriss.

Wie sollte ich es aushalten, wenn sie mir nach dem Abend sagen würde, dass wir nie mehr als Freunde sein würden? Besonders gesprächig war sie bisher ja nicht gewesen. Vielleicht fragte sie sich ja, weshalb sie sich überhaupt darauf eingelassen hatte, mit einem Typen wie mir auszugehen.

Als sie neben mir zum Stehen kam, musterte sie mich besorgt. „Was hast du?“ Zitterte ihre Stimme tatsächlich oder hatte ich es mir nur eingebildet? „Ich frage mich nur, wie ich dein Schweigen zu deuten habe. Bereust du’s, dass du mit mir hier bist oder bist du einfach genauso nervös wie ich?“ Ich war erstaunt, dass es mir so leicht fiel, zuzugeben, dass ich aufgeregt war. Überraschenderweise weiteten sich Melanies Augen und sie platzte mit einem ungläubigen „Wieso bist du denn nervös?“ heraus.

Ein Familie, die zwischen uns die Treppe hinauf stieg, verschaffte mir ein wenig Zeit, doch trotzdem stotterte ich hilflos wie ein Kind, als ich antwortete: „Na ja, weil... weil du einfach so unglaublich hübsch bist und bestimmt total viele Verehrer hast und...“ Ich war fast froh, als Melanie mir mit einer knappen Handbewegung das Wort abschnitt. Wenigstens musste ich so nicht länger dümmlich stammelnd versuchen, meine Gefühle in Worte zu fassen.

Melanies Wangen hatten sich leicht gerötet und in ihren Augen lag ein warmer, liebevoller Glanz, der mein Herz rasen ließ. Sie schüttelte vehement mit dem Kopf und sagte mit fester, bestimmter Stimme: „Ich bereue gar nichts. Ich hab mich schon die ganze Woche auf heute Abend gefreut. Es ist nur... ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich hab Angst, irgendwas Dummes zu sagen und dich dadurch zu vergraulen...“

Für einen kurzen Moment konnte ich kaum fassen, was ich da gehört hatte, doch dann breitete sich vollkommen ohne mein Zutun ein breites Grinsen auf meinem Gesicht auf. Ich hätte nie gedacht, dass drei kurze Sätze einen Menschen so glücklich machen konnten. Bevor ich ihr noch um den Hals fallen und sie küssen konnte, deutete ich an ihr vorbei auf die große, blau leuchtende Ziffer am anderen Ende des Foyers. „Saal drei ist übrigens da hinten.“
 

Wenig später saß ich in einem der breiten, mit dunkelblauem Samtstoff bezogenen Sitze und beobachtete Melanie wie sie ihren Mantel auszog, während wir von widerlich süßlichdramatischer Schnulzenmusik eingelullt wurden. Fasziniert betrachtete ich die stolze Eleganz, mit der sie den dicken Stoff abstreifte und den Mantel auf den Platz neben ihr warf.

„Na, so interessant ist es bestimmt nicht, mir beim Jackeablegen zuzusehen.“ Ihre Stimme klang amüsiert, doch die Bemerkung bohrte sich mir tief unter die Haut. Ich kam mir einfach unglaublich ertappt vor. Vermutlich hätte Melanie mich ausgelacht, wenn ich ihr gestanden hätte, dass ich einfach jede ihrer Handlungen und Bewegungen faszinierend und einfach beobachtenswert fand.

Verlegen und beschämt starrte ich auf den blutroten Vorhang vor der Leinwand, der von jahrelangem Staub graumeliert war. Überrascht über meine barsche Reaktion hielt Melanie die Luft an und begann an ihrem Daumen zu fummeln, so als wäre sie nervös. Man konnte beinah körperlich spüren, wie unglücklich sie war, doch ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen, ihr zu erklären, warum ich mich so benahm. Meine übertriebene Schwärmerei für sie war einfach albern.

Nach einigen Minuten seufzte sie tief auf, wobei ihr Atem vibrierte als wäre sie den Tränen nahe. Besorgt musterte ich sie von der Seite und biss mir auf die Unterlippe. Nach kurzem Zögern drückte ich sacht ihren Unterarm, um ihr zu zeigen, dass ich nicht sauer, sondern einfach nur verlegen war. Als sie zu mir aufsah, waren ihre Augen riesig und schienen in Tränen zu schwimmen.

Sie nahm meine Hand in ihre, was mich trotz der angespannten Situation vor Glück strahlen ließ. Doch bevor ich mich für mein Verhalten entschuldigen konnte, sagte sie: „Tut mir leid, dass ich vorhin versucht habe, dich zu foppen.“ Überrascht zuckte ich innerlich zusammen. Hatte ich gerade richtig gehört? Gab sie sich die Schuld an der gedrückten Atmosphäre?

Liebevoll strich ich ihr über den Handrücken und sie lächelte schwach. „Ist schon okay. Es lag gar nicht an dir, dass ich so merkwürdig war.“, gab ich zu, während ich zerknirscht auf den abgewetzten Stoff des Sitzes vor mir starrte. „An was lag’s dann?“ Mit einem raschelnden Geräusch wandte sie den Kopf, doch ich war nicht in der Lage, ihr in die Augen zu schauen. Vor Scham zog sich mein Magen zusammen, als ich daran dachte, ihr den Grund für mein plötzliches Schweigen zu erklären.

Nach einigen Minuten holte ich tief Luft und schluckte meine Bedenken hinunter. Wenn ich nicht endlich etwas sagte, würde sie sich womöglich noch mehr Schuld und ein noch schlechteres Gewissen einreden. „Ich war einfach von mir selbst genervt. Ich befürchte ein wenig, dass ich dir mit meiner Begeisterung für dich auf den Keks gehen könnte.“ Nach diesem Geständnis fühlte ich mich seltsam verletzlich, so als hätte ich all meine Schutzschilde zerbrochen.

Doch anstatt mir ein Messer zwischen die Rippen zu jagen, wurde Melanie vor Verlegenheit dunkelrot. Trotzdem lächelte sie mich warm an und fragte mit einem ziemlich neckenden Tonfall: „Beruhigt es dich, wenn ich dir sage, dass du da keine Gefahr läufst?“ Ich brauchte einen Moment, um zu verarbeiten, was dies bedeutete. Als mir endlich ins Bewusstsein sickerte, dass Melanie mir gerade zu verstehen gegeben hatte, dass sie mich ebenfalls mochte, und sie dann auch noch ihren Kopf gegen meine Schulter lehnte, pochte mein Herz wie verrückt.

Schüchtern küsste ich sie zärtlich aufs Haar und schob ihr vorsichtig einen Arm über die Schultern, was sie veranlasste, sich wie ein Kätzchen an mich zu schmiegen. Obwohl der Film bereits seit einigen Minuten lief, bekam ich nichts von der Handlung mit. Ich registrierte nur einen bunten Strudel aus sich abwechselnden Bildern und Farben.

Vermutlich war dies der schönste Abend in meinem bisherigen Leben.



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