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Sünde

von

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Melanie

Mama lief rastlos im Wohnzimmer auf und ab, während Papa wie zu Stein erstarrt in seinem Sessel saß und das Telefon anstarrte. Es wirkte fast, als wollte er es durch pure Willenskraft dazu bringen, zu klingeln.

Ich zog meine dunkelrote Kuscheldecke enger um mich, denn trotz der sommerlichen Temperaturen draußen war mir kalt. Dann warf ich wieder einen Blick auf die Uhr und seufzte. Es war inzwischen zwei Uhr in der Früh, doch Greg war noch immer nicht wieder aufgetaucht. Er ging nicht einmal an sein Handy. Es schien als sei er seit dem Frühstück vom Erdboden verschluckt.

„Und ich finde, wir sollten doch die Polizei anrufen, Paul.“ Mama verschränkte die Arme über ihrem zartrosa Bademantel und sah meinen Vater aus großen, flehenden Augen an. Doch dieser schüttelte nur den Kopf und hypnotisierte weiter das Telefon. Als er sprach, klang seine Stimme beherrscht, aber irgendwie weit weg. „Der Junge taucht schon wieder auf, Margarethe. Hab ein bisschen Vertrauen zu ihm.“

„Vertrauen? Nach seinem sonderbaren Verhalten heute Morgen, nein, in den letzten Wochen? Nachdem er mich angelogen hat?!“ Mama war geradezu hysterisch, doch ich konnte sie gut verstehen. Ich machte mir auch große Sorgen um meinen Bruder und flehte ihn stumm an, endlich wieder aufzutauchen.

Wo zum Teufel konnte er nur stecken? Trotz seines merkwürdigen Benehmens beim Frühstück war ich aus allen Wolken gefallen, als ich erfahren hatte, dass er nie bei seinem Freund Constantin angekommen war. Ich hätte niemals gedacht, dass er Geheimnisse vor uns hatte. Kleine, ja, die hatte jeder. Aber Große, für die man seine Familie belügen musste? Das hatte ich ihm niemals zugetraut. Andererseits war er in der letzten Zeit eh nicht wirklich er selbst gewesen...

Wieder einmal fragte ich mich, was mit ihm los war. Was hatte ich übersehen, dass ihn mir so fremd gemacht hatte? Ich war immer davon überzeugt gewesen, trotz des Altersunterschieds und der normalen Zankereien unter Geschwistern seine erste Vertrauensperson zu sein, diejenige, der er alles erzählte. Es tat unglaublich weh, sich so getäuscht zu haben.

„Wenn du es nicht machst, ruf ich jetzt die Polizei an. Ist mir völlig egal, ob du Gregor noch Zeit geben willst!“ Mama war inzwischen fuchsteufelswild und durchbohrte Papa, der noch immer keine Anstalten machte, sich zu rühren, mit giftigen Blicken. Gerade als sie die Hand auf den Hörer legte, drehte jemand einen Schlüssel im Haustürschloss.

Fast simultan seufzten wir alle erleichtert auf, doch sofort stieg Mama die Zornesröte ins Gesicht. „Na warte... Der Bengel kann was erleben!“ Papa versuchte, sie zu beschwichtigen und legte ihr eine Hand auf den Arm. „Margarethe, er ist fast erwachsen...“ Mama warf ihm einen wütenden Blick zu und wollte gerade etwas entgegnen, als Greg ins Zimmer geschlurft kam.

Er sah fürchterlich mitgenommen aus. Seine Augen waren leicht zugequollen und gerötet, so als hätte er lange und heftig geweint, seine Lippen waren aufgebissen und blutig, sein Haar stumpf und seine Gesicht kalkweiß. Bei diesem Anblick ballte sich mein Magen zu einem kleinen, harten Ball zusammen. Was in drei Teufels Namen war nur mit ihm los?

Sogar Mama, die kurz zuvor noch fürchterlich getobt hatte, verstummte, als sie Greg erblickte, und erbleichte. Papa warf die Stirn in Falten und betrachtete seinen Sohn mit kritischen Blicken. Offenbar hatte er noch immer versucht, daran zu glauben, Greg hätte eine heimliche Freundin oder so.

„Hey Leute. Tut mir leid, dass ihr euch Sorgen um mich gemacht habt. Aber ich wäre euch echt dankbar, wenn wir die Standpauke auf morgen verschieben könnten. Ich bin hundemüde.“ Seine Stimme klang so brüchig wie dünner Schiefer.

Wir alle starrten ihn aus großen, ungläubigen Augen an, in denen die Sorgen der vergangenen Stunden deutlich geschrieben standen, doch Greg drehte sich einfach um und verschwand im Flur.

Mama erwachte als Erste wieder aus ihrer Lähmung und eilte ihm laut brüllend hinterher, während Papa und ich uns hilf- und ratlos ansahen. Von oben drang gedämpft das Donnern von wildem Klopfen und Mamas schrille Stimme, die immer wieder „Gregor, mach auf, verdammt noch mal!“ rief.

Erneut standen mir Tränen in den Augen, zum zweiten Mal an diesem Tag. Greg hatte mich nicht eines Blickes gewürdigt. Warum nur mied er mich so? Das heißt, eigentlich ging er nicht nur mir aus dem Weg, sondern der ganzen Familie. Trotzdem fühlte ich mich wie eine Aussätzige behandelt. Warum redete er einfach nicht mit mir darüber, was ihn bedrückte? Ich nahm mir erneut vor, ihn am nächsten Tag zur Rede zu stellen.



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