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Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

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London 3 - Geister der Vergangenheit

John


 

Im Labor angekommen schlug ihnen die abgestandene warme Luft entgegen, die sich in den letzten Tagen angestaut hatte und sie tat im ersten Moment gut. Johns Kräfte kehrten langsam zurück und so dirigierte er den anderen mit sich in die Nebenräume. Das Gebäude war schließlich auch als Arztpraxis eingerichtet und verfügte neben Labor und Behandlungszimmer auch über einen Wohn- und Schlafzimmer, in dem ihr Vorgänger gelebt hatte. John trat schwankend an den Schrank und holte zwei Handtücher heraus. Eines warf er Tancrèd zu, während er mit dem anderen begann sich das Gesicht zu trocknen. Er schloss die Augen und spürte, wie weich seine Knie waren. Kraftlos wankte er zu einem Tisch, auf dem Wasser stand und er trank einen Schluck. Der Geschmack im Mund war widerlich und sein Magen schmerzte, daher spukte er das Wasser gleich wieder in eine Schüssel aus. Es war noch immer surreal, was passiert war, und John wusste gerade gar nicht genau, was er denken und fühlen sollte. "Es tut mir leid", hörte er sich sagen, ohne genau zu wissen, wofür er sich entschuldigte. Die bösen Worte von vorhin? Seine Kälte? Seine Zweifel?
 

Tancrèd


 

In das Labor zu gehen war irgendwie sinnvoller wie er fand. Er wollte nicht mit John in dessen Zustand wieder in den Saal voller Menschen zurückkehren. Außerdem hatte er, so hoffte er, einen Durchbruch geschafft und er wollte das nicht wieder enden lassen. Also brachte er John in das Labor und drinnen half John ihm dabei, den richtigen Weg zu finden. Die Wohnräume sahen ziemlich unbenutzt aus, aber wer sollte hier auch schon leben? Kieran und John blieben maximal eine Nacht hier und so war das Schlafzimmer das einzige, das etwas bewohnter wirkte als der Rest. John konnte anscheinend schon selbst wieder gehen und ging zum Schrank hinüber, während Tancrèd sich ungefragt daran machte, das Feuer im Ofen zu erwärmen. Die dicken Steinmauern, die das Gebäude umzäunten, hatten es zumindest hier hinten abkühlen lassen und sie waren beide recht durchnässt. Durch die Fenster, die sie jetzt öffneten, pfiff kühlender Gewitterwind. Also würde ein bisschen Feuer nicht schaden, wie der Franzose fand.

Er griff sich schließlich das Handtuch und zog sich das eigene nasse Hemd über den Kopf, um sich anständig abzutrocknen, ehe er zu John zurück kam und sanft mit dem Handtuch über dessen Rücken fuhr. "Es muss dir nicht leidtun... Mir tut es Leid für das, was ich gesagt habe. Aber ich hatte das Gefühl, dass es sein muss weil.. naja." Er stockte, John konnte sich sicher denken, was er meinte. Aus einer Innentasche seiner Jacke, die am Kamin hing, zog er eine kleine Phiole, die zum Glück noch nicht all zu nass geworden war. Sie enthielt etwas, das Tancred selbst auf seinem Schiff sehr schätzte - eine sehr starke Kräutermischung, die für sämtliche Magenleiden - die es leider bei zu starkem Rumkonsum sehr häufig gab - zu kurieren. Wenn man sie mit ein wenig Wasser aufgoss, schmeckte sie auch gar nicht so schlecht. Tancrèd hatte sie eingesteckt, weil er schon davon ausgegangen war, dem Wein beim Turnier etwas beherzter zuzusprechen. Obwohl eigentlich John der Mediziner von ihnen beiden war, reichte er dem jungen Mann wenig später einen Becher dieser "Spezialmedizin". Als das Feuer im Kamin höher loderte und durch das inzwischen geöffnete Fenster kühle Luft in das Zimmer strömte, fühlte es sich schon heimeliger an. Tancrèd sah zu John, der mittlerweile auf das Bett gesunken war und sich noch immer abwesend mit dem Handtuch durch die Haare fuhr. Langsam ging er neben dem Bett in die Hocke, lehnte sich an die Wand, neben der das Bett stand, und sah zu John auf. "Ich tue mir schwer damit, dir zu begegnen...", fing er leise an, einfach weil er glaubte, dass es sein musste. Jemand musste den Anfang machen und klären, was er auf dem Jahrmarkt nur durch die Blume gesagt hatte. "Du sagtest, du würdest dir Mühe geben, mich nicht allzu sehr zu beißen, und ich weiß das zu schätzen. Aber ich weiß so wie du, dass ich eines Tages diesen Hafen für lange Zeit verlassen muss. Wer weiß, wie sich die politische Lage entwickelt, vielleicht kann ich nie wieder zurück. Ich kann verstehen, wenn es das ist, was dich abschreckt, aber... Ich weiß gar nichts von dir. Was ich von dir will, ist nicht deinen Körper, John... wobei das auch wieder falsch klingt." Er fuhr sich durch das kurze nasse Haar und versuchte seine Gedanken zu sammeln. "Natürlich WILL ich dich. Wie könnte ich es auch nicht wollen? Aber es steht nicht im Vordergrund. Wenn ich irgendwann gehen muss, dann will ich mich nicht an eine "Hure" erinnern, die eine Nacht in meinem Bett gelegen hat, sondern an einen Mann mit Ecken und Kanten, der zumindest ein bisschen seines Lebens mit mir geteilt hat - egal wie wenig und egal wie kurz diese Zeit gewesen ist. Das ist es, was ich mir wünsche, und zwar nicht von einer dahergelaufenen Hure sondern von einem Mann, der den Mut hat, einem Dominico Sforza das Auge blau zu schlagen, weil er seinen besten Freund schlecht behandelt."
 

John


 

Es war eine gute Idee, Feuer zu entzünden, denn der Regen würde die Nacht kühl werden lassen und John fror gerade wie ein Schneider. So war es auch nicht verwunderlich, dass er sich näher ans Feuer stellte. Noch immer strengte ihn das Stehen an und er hatte das Gefühl, jederzeit umfallen zu können, aber die Wärme schien ihm wieder mehr Kraft zu geben. Als er spürte, wie der andere begann, seinen Rücken anzutrocknen, verharrte er kurz in seiner Bewegung und genoss die Berührung. Dann lauschte er den Worten des anderen. John nickte leicht, als der andere endete, um ihm zu zeigen, dass er verstanden hatte, warum der andere ihn so provoziert hatte.

Er war ihm dankbar dafür, denn sein Ausbruch hatte ihn aufgerüttelt. Seinem Vorsatz bei ihrem Date, dem anderen entgegen zu kommen, hatte er nicht entsprochen. Viel mehr hatte er sich weiter distanziert, als jemals zuvor. Aber Tancrèd hatte schon wieder nicht aufgegeben, sondern ihn so sehr provoziert, dass er endlich einmal aus sich herausgekommen war. Manchmal, so schien es, musste man tief fallen, um aus der Senke des Lebens wieder hervorzukriechen.

Als Tancrèd sich seiner Jacke zuwandte, drehte sich John ihm ein wenig zu und beobachtete ihn, wie er an seiner Jacke herumnestelte. Er hatte gerade gar nicht mitbekommen, dass der Franzose sich seines Hemdes entledigt hatte, und so glitten seine Augen über dessen Oberkörper. Damals, als sie dieses Spiel gespielt hatten, kurz nachdem sie hier im Labor sich so nahe gekommen waren, da hatte er dieses Gefühl gehabt, was ihn so erschreckt hatte. Dieser unbändige Drang, den anderen zu spüren, mit allem, mit Haut und Haar. Ein Verlangen, das er noch nie in dieser Weise empfunden hatte. Als Tancrèd ihm den Becher reichte, schreckte er aus den Gedanken wieder hoch und sah den anderen kurz an. Er lächelte dankbar und roch daran, nur um sich danach sicher zu sein, was darin war. "Kamillenblüten, Pfefferminzblätter und Melissenblätter", er trank einen Schluck. "Fenchelfrüchten, Tausendgüldenkraut, Thymiankraut und Enzianwurzel. Könnte von mir sein..." Er trank den Rest und reichte den Becher wieder Tancrèd. "Danke."

Während der andere den Becher zurückstellte, entledigte sich John dann doch lieber seiner nassen Hose und ging kurz zum Schrank, um sich eine frische herauszunehmen. Er hatte sie in der Zeit hier deponiert, als Kieran auf dem Schiff gewesen war und er hier viel gearbeitet hatte. Anschließend setzte er sich auf das Bett und fuhr fort, seine Haare zu trocknen. Es war gerade schwierig, etwas zu sagen, zu dem, was gerade geschehen war. John hatte das Gefühl, tausend Dinge erklären zu müssen, aber irgendwie wusste er nicht, wie er anfangen sollte. Er, der eigentlich nie eines Kommentares verlegen war, fand keine Worte. Wie lange Tancrèd da noch mitmachen würde? Der Gedanke machte ihm irgendwie Angst. Als der dunkelhaarige Mann wieder zu ihm kam und in die Hocke ging, um ihn von unten anzusehen, fühlte sich das so falsch an, irgendwie. Aber die Geste empfand John auch wieder als unglaublich liebenswert. Wieder war es Tancrèd, der zu sprechen begann, weil er es nicht gebacken bekam. Seine Augen ruhten in denen des anderen. Auch wenn das eine Auge wie blind aussah, wusste John ja, dass er hell und dunkel unterscheiden konnte. Was der Kapitän sagte, machte John erneut klar, wie falsch er sich verhalten hatte. Die Worte wärmten ihn irgendwie, weil sie so ehrlich waren. Es war nicht so einfach, dem Blick des anderen Stand zu halten, und er schafft es auch nicht. War es das Wissen um die begrenzte Zeit, die ihn sich wieder hatte zurückziehen lassen? Ein wenig, aber nicht hauptsächlich. Als der andere hinsichtlich seines Körpers sich verhaspelte, musste er leicht grinsen. Er hatte diese Worte lange im Ohr gehabt, als er ihm damals am Jahrmarkt zu verstehen gegeben hatte, dass er seinen Körper durchaus begehrte. Aber das war eben nicht das einzige gewesen. Das machte er ihm jetzt erneut noch einmal klar. Er wollte ihn, John, mit allem was dazu gehörte. "etwas, was mir etwas bedeutet" - so ähnlich hatte er es vorhin gesagt. Und damit gab es mittlerweile zwei Menschen in seinem Leben, denen er etwas bedeutete: Kieran und Tancrèd. Und der Gedanke gefiel ihm immer besser. Als der andere endete, musste er wieder lächeln. War er wirklich so mutig? Er hatte doch nur Kieran beschützen wollen...

John hob die Hand und strich dem anderen Mann sanft über die Schläfe, die Wange hinab. "Danke für deine Ehrlichkeit", sagte er leise. "Ich möchte auch endlich ehrlich zu dir sein. Das hast du dir mehr als nur verdient. Dann gibt es auch keine Fluchtmöglichkeiten mehr für mich." Er schluckte kurz. Er hatte den Entschluss gefasst, völlig offen zu sein, damit Tancrèd ihm die Wahrheit würde sagen können, wenn er wieder einmal einen Bock schoss. Er ergriff Tancrèds Hand und zog ihn hoch, neben sich auf das Bett. Er rutschte nach hinten an die Wand, an die er sich lehnte, die Beine aufgestellt und dann begann er zu reden.

"Als ich dir versprochen hatte, dich nicht allzu oft zu beißen, war mir nicht klar gewesen, was du in mir ausgelöst hast. Deine Zurückhaltung und deine höfliche Selbstlosigkeit haben mich auf eine Art berührt, die ich nicht kannte. Ich bin schier vor mir selbst erschrocken, was es in mir auslöste, wenn du mich geküsst hast. Bei deiner Verabschiedung, hier im Labor. Ich hätte dir keine Sekunde wiederstehen können, wenn du noch mit hinaufgekommen wärst, bzw. hätte dich niemals loslassen können, wenn Giulia nicht herein gekommen wäre." Er blickte wieder auf seine Hände. "Aber es hat mich auch furchtbar erschreckt. Als ich mit dir dieses Spiel gespielt habe und allein dein nackter Oberkörper es geschafft hat, meinen Verstand, auf den ich eigentlich etwas stolz bin, aussetzen zu lassen, da hatte es mich noch mehr verwirrt und erschreckt. Ich habe mein Leben alles in meinem Kopf mit mir ausgemacht. Und dann war plötzlich jemand da, bei dem mein Körper die Oberhand gewinnt und jede Vernunft aussetzt." Er schüttelte noch immer ein wenig ungläubig den Kopf und lachte leicht über sich selbst. "Als die Stadtwache kam, hatte ich die Sachen schnell zusammengepackt und bin gerannt. Völlig durcheinander von dem, was ich mir eingestehen musste. Und wohin bin ich gerannt? Zu deinem Gasthaus, weil ich Angst hatte, sie hätten dich erwischen können. Darüber hatte ich aber nicht nachgedacht, mein Körper hatte das selbst entschieden. So kenne ich mich nicht, es ist völlig absurd für mich, dass ich etwas mache, worüber ich nicht sehr genau nachgedacht habe. Und irgendwie wehrte sich mein Verstand dann wieder. Er... Nein, ich... " Er merkte dass er stockte und nicht genau wusste, wie er weiter machen sollte. "Mein Verstand ist ziemlich gut darin, mir Dinge einzureden, um es leichter zu haben. Es hat mir oft geholfen, mit meiner Situation klar zu kommen. Mir ist dabei durchaus bewusst, dass ich mich größten Teils selbst belüge, aber..." Er fuhr sich durch die noch immer feuchten Haare. Kurz blickte er den anderen an. "Als ich in das Hafenbecken gestürzt bin, habe ich mich an Dinge erinnert, die passiert sind, als ich noch sehr klein war. Dinge, die mich auch geängstigt haben, weil ich nicht gedacht hätte, dass mein Verstand sogar so bedeutende Erinnerungen komplett wegsperren kann. Immer wieder kommen nun neue Erinnerungen an Erlebnisse, an die ich mich nicht mehr hatte erinnern können. Das macht mir Angst, weil ich nicht weiß, was da noch hochkommt." Sollte er davon erzählen? Davon hatte er selbst Kieran noch nichts erzählt! Er zögerte einen Moment, sah Tancrèd schweigend an. Dann begann er.

"Es war einmal ein vierjähriger Junge, der eine sehr liebevolle Mutter und einen eigentlich ganz herzlichen Vater hatte. Sein Vater hat vor allem seine Mutter über alle Maßen geliebt. Als der Junge drei Jahre alt war, kam ein alter Bekannter der Mutter zu Besuch - ohne Vorankündigung. Danach hatte sich das Leben der Familie massiv verändert. Denn der Junge und dieser Bekannte sahen sich ähnlich - ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Für den Vater, der die Mutter vergöttert hatte, brach eine Welt zusammen. Aus Wut und Enttäuschung packte er den Jungen und brachte ihn hinaus zur Regentonne, in die er ihn tauchte und hinunterdrückte. Seine Mutter rettete dem Jungen das Leben, aber ab da war nichts mehr, wie es einmal gewesen war. Mutter und Sohn wurden zwar noch im Haus geduldet, aber wurden wie Dreck behandelt. Während die Mutter resignierte und ertrug, wusste der Junge nicht, warum sich plötzlich alles so veränderte und lehnte sich dagegen auf. Doch es half nichts, sondern verschlimmerte die Situation nur immer mehr. Letztlich beschloss der Sohn, seiner Mutter dahingehend zu helfen, dass er versuchte, seinem Vater alles recht zu machen, was er aber niemals schaffte. Und anstatt, dass seine Mutter ihm dabei half, verließ sie ihn, indem sie den Freitod wählte. Von da an war das Leben des Jungen ein einziger Horror. Täglich wurde ihm zu verstehen gegeben, dass er unerwünscht war. Aber der Junge kämpfte weiter, was blieb ihm auch für eine Alternative? Und irgendwie sah er auch nicht ein, weshalb er klein beigeben sollte. In einem Brief hatte die Mutter ihm erklärt, dass sie sich nur auf den anderen Mann - einen ehemaligen Freund des Vaters - eingelassen hatte, weil sein Vater offenbar nicht fruchtbar gewesen war, sie sich aber ein Kind gewünscht hatten. Dass der Bekannte jemals sie wieder besuchen würde, war niemals Teil der Abmachung gewesen." Er schwieg kurz. Es fühlte sich seltsam an, das alles erzählt zu haben. "Ich möchte mich damit nicht für meine Dummheit entschuldigen, aber ich glaube, es wäre hilfreich für uns, wenn du das weißt."
 

Tancrèd


 

Dass John ehrlich zu ihm sein wollte, klang wirklich gut. Er lächelte und folgte dem sanften Zug auf das Bett, allerdings ohne sich vorher die Hose auszuziehen. Sie war zwar auch noch feucht, doch Tancred wollte nicht zu nackt sein, und er hatte immerhin keine Hose zum Wechseln hier. Trotzdem würde er seine Kleidung später irgendwie trocknen müssen, da war er sich sicher.

Er lehnte sich an einen der hinteren Bettpfosten und musterte den Arzt, der es sich mehr oder weniger bequem machte. Johns Erklärung überraschte den Kapitän nicht wirklich. Dass John einen sehr scharfen Verstand hatte, das wusste er selbst und er hatte es schon mehrmals selbst feststellen können. John tat Dinge, die immer sehr überlegt waren, er wägte die Vor- und Nachteile seines Handelns sehr stark ab, bevor er etwas tat. Auch bevor er etwas sagte. Selbst ihre erste gemeinsame Nacht, die mehr aus der Lust heraus entstanden war, war von John bewusst so entschieden worden. Es hatte nicht wirklich den Zauber der ersten Begegnung gegeben, mehr ein Abchecken aller wichtigen Eigenschaften und dann das Einverständnis. John war ein Kopfmensch, der sehr, sehr viel nachdachte, und die Erklärung, warum das so war, folgte auf den Fuß.

Eine ganz ähnlich Erklärung hatte Tancrèd auf dem Jahrmarkt selbst an John abgegeben, ein wenig seines Werdeganges geschildert. Johns Werdegang war nicht wirklich schön. Eigentlich gar nicht schön. Es war traurig zu wissen, dass der Mann, den man als Vater kannte, nicht der Vater war, und es war unendlich traurig zu sehen, wie die eigene Mutter an dieser Tatsache und der Ausgrenzung durch den eigenen Ehemann zu Grunde ging. Tancrèd hatte das bei seiner Schwester erlebt und es hatte ihn schwer getroffen. Aber er war damals bereits volljährig gewesen und wenn John damals noch ein Kind gewesen war, dann wollte er es sich gar nicht ausmalen, wie schwer das für ihn gewesen sein musste und wie hart er um Anerkennung gekämpft hatte, die doch nie gekommen war.

Tancrèd verstand definitiv nun einiges wesentlich besser und er lächelte John sanft an, auch wenn die Geschichte sicher nicht zum Lachen war. Er nickte, als John geendet hatte. "Es ist in der Tat hilfreich, weil ich jetzt vieles besser verstehe. Danke, dass du es mir erzählt hast. Ich möchte dir im Gegenzug eine ähnliche Geschichte erzählen."

Er streckte sich etwas aus und räusperte sich dann. "London ist für mich keine schöne Stadt. Aber ich brauche nun mal einen Heimathafen, wie du dir denken kannst. London ist für mich ein absolut elendiges Pflaster, die Stadt ist so eng und ich habe das Gefühl, kaum atmen zu können, wenn ich hier bin. Immer diese nervige Kleiderordnung, die scheinheiligen Umgangsformen... Ich entfliehe dem gerne, indem ich abends die ein oder andere Schenke besuche. An so einem Abend saß ich also allein mit meinem Bier am Tresen. Ein junger Mann hat irgendwann angefangen, mit Bierkrügen auf dem Tisch zu jonglieren. Er sah gut aus, er hatte etwas Wildes an sich. Aber er war nicht alleine da und es kam nicht zu mehr, als zu ein paar Blicken, die wir uns zugeworfen haben. Wie auch immer.. ein flüchtiger Bekannter betrat die Kneipe und wir unterhielten uns ein wenig, ehe der Jongleur an die Theke kam und ich feststellen durfte, dass mein flüchtiger Bekannter mit genau diesem jungen Mann offensichtlich mehr teilt als nur die Leidenschaft für Bier. Trotzdem wurde ich an den Tisch eingeladen, an dem die eigentliche Begleitung des Jongleurs saß. Das war ein junger Mann, nicht viel älter als der Jongleur selbst, aber in seinem Wesen irgendwie reifer. Er beobachtete den Jongleur und seinen Partner mit Argwohn auf der Tanzfläche. Es hatte beinahe etwas von einem großen Bruder, der darauf achtet, dass seiner kleinen Schwester nichts passiert. Ich konnte mit ihm fühlen, hätte vermutlich gleichermaßen gehandelt.

Nach einigen weiteren Krügen Bier, einer wirklich guten Unterhaltung und dem Genuss ordentlicher Kneipenatmosphäre, kam ich in den Genuss der Gesellschaft eben dieses Mannes. Er war sehr klug, konnte sich sehr gewählt ausdrücken und hatte ein unheimlich faszinierendes Feuer in den Augen. Als er mir in meine Räumlichkeiten folgte, wusste er, was er wollte. Ich kann mich daran erinnern, wie sich seine Haut unter meinen Fingern angefühlt hat und sein warmer Körper nah an meinem. Aber was ich nie vergessen werde war der Blick aus seinen eisblauen Augen. In einem Moment noch so beherrscht und im nächsten so lodernd und begierig für einen Moment, nur einen einzigen Augenblick alles um sich herum zu vergessen... neben ihm einzuschlafen war beruhigend und erfüllend zugleich.

Als er am nächsten Morgen sehr früh gehen wollte, war dieses Feuer aus seinem Blick verschwunden und kehrte nur für den Bruchteil einer Sekunde zurück, als ich nicht anders konnte und mir einen Kuss von seinen weichen Lippen stahl. Doch in diesem Moment hatte ich mir geschworen, dass ich alles in meiner Macht stehende daran setzen werde, noch einmal diesen wilden freien Blick in seinen Augen zu sehen. Zu sehen wie sich in seinem Gesicht Glück und Zufriedenheit widerspiegelt... weil es das war, was mich wirklich berührt hat."
 

John


 

Tancrèd war ein angenehmer Zuhörer, der ihn einfach hatte sprechen lassen und sich nun dafür bedankte, dass er es ihm erzählt hatte. Es kamen keine Mitleids-Bekundungen oder irgendwelche schlauen Sprüche, keine Kommentare, die gegen seinen Vater gerichtet waren, oder irgendwas anderes Inkompetentes. Nein, er ließ seine Geschichte so stehen, wie sie war, bedankte sich und würde sie im Kopf behalten, während sie versuchten, gemeinsam ihren Weg fortzusetzen. Genauso, wie er selbst die Geschichte seiner Schwester damals auf dem Jahrmarkt gehört hatte und sie ihm ein Bild von Tancrèd gegeben haben, das ihn noch einmal wesentlich reizvoller gemacht hatte.

Anstelle eben dieser unqualifizierten Kommentaren oder Mitleidsgedöns, auf das John wahrlich pfeiffen konnte, kam eine Gegengeschichte. Zunächst nickte John lächelnd. Er konnte sich gut vorstellen, dass London für Tancred nicht besonders angenehm war. Das hatte er schon mehrfach mitbekommen und auch sein Zimmer im Gasthof sprach dahingehend Bände. Als der Kapitän weitersprach, konnte John nicht umhin, die Stirn in Falten zu legen, als er merkte, worum es ging. Er blickte auf und sah den anderen an, ob er das jetzt wirklich ernst meinte. Aber er meinte es ernst: er erzählte ihm ihre erste Begegnung aus seiner Sicht. Es war irgendwie interessant, diese Perspektive sehen zu dürfen. Er lachte leicht, als Tancrèd beschrieb, wie er ihn wahrgenommen hatte, als sie da saßen und jener ihn gefragt hatte, ob er auf Nico eifersüchtig sei. Die Unterhaltung war tatsächlich angenehm gewesen, weil Tancrèd ein intelligenter Mann war, der etwas zu erzählen hatte und letztlich schon da gewusst hatte, ihn zu nehmen wie er war.

Als Tancrèd begann zu erzählen, wie er ihn dann im Gasthof wahrgenommen hatte, verschwand das Lächeln von seinen Lippen und er starrte den anderen irritiert an. Noch nie hatte er sich selbst so hinterfragt oder betrachtet. Ihm war es immer egal gewesen, wie andere ihn sahen, weil er sich selbst nicht als besonders wertvoll oder wichtig sah. Es war ihm unangenehm, fast ein wenig peinlich. Doch die Worte des anderen gingen ihm auch unter die Haut. Er schluckte, als er diesen Blick auf sich vernahm, und hörte, wie es dem anderen dabei ergangen war. War das wirklich so? Hatte er "Feuer" in den Augen? Sein Vater hatte ihm immer gesagt, er solle ihn nicht so ansehen, aber er hatte nie begriffen, was dieses "so" war. Und es war beruhigend und erfüllend, neben ihm einzuschlafen? War das der Grund, weshalb auch Kieran immer zu ihm gekommen war, wenn es ihm so dreckig gegangen war? War er wegen ihm selbst gekommen, und nicht nur wegen eines Körpers, den er gebraucht hatte?

John erinnerte sich nur zu gut an diesen Kuss, der das erste Mal schon so viele Fragen aufgeworfen hatte. Ja, da hatte es begonnen, dass er hinterfragte, wer der Mann war, mit dem er die Nacht verbracht hatte. Normalerweise interessierte es ihn nämlich in keiner Weise. Was dieser Kuss für den anderen bedeutet hatte, war mehr, als er je erwartet hätte. Schon damals hatte Tancred ihm näher kommen wollen? Er wollte ihn glücklich sehen? Und zufrieden? John war etwas überfordert damit. Der ganze Psycho-Mist, weshalb er überfordert war, war ihm mehr als bewusst. Aber es änderte einfach auch nichts daran, dass es so war. Sicher, Kieran wollte auch, dass er glücklich war, weshalb er ihn oft vor seinem Vater beschützte, aber das waren ganz andere Beweggründe.

John, der sich zur Seite gedreht hatte, um Tancred besser ansehen zu können, starrte den Franzosen noch immer ratlos an. Dieser Mann wollte ihn glücklich und zufrieden sehen? Er drehte sich noch ein wenig mehr, so dass er letztlich vor Tancred kniete. Dann beugte er sich vor und küsste den anderen sanft. "Ich wüsste gerne, was es heißt, glücklich und zufrieden zu sein", sagte er leise. "Und ich möchte gerne, dass du der Auslöser dafür bist." Erneut verschlossen seine Lippen die des anderen, diesmal einen Augenblick länger. "Und im Moment", wisperte er dann gegen die Lippen des anderen, "fühle ich mich schon ein wenig glücklich, weil du nicht aufgegeben hast, und zufrieden, weil ich dir endlich erzählen konnte, was ich niemandem bisher erzählt habe." Seine Hand strich durch die leicht feuchten Haare des anderen. "Und langsam weiß ich auch, dass ich schon viel früher auf meinen Körper hätte hören sollen. Denn er hat in jener Nacht jede Sekunde genossen, wirklich und ehrlich wahrgenommen worden zu sein und nicht einfach nur benutzt worden zu sein."
 

Tancrèd


 

Etwas über sich selbst zu hören, kam bei John sicher nicht oft vor. Dem was er bisher von dem jungen Arzt entnommen hatte, war, dass John meistens der Zuhörer war. Nicht nur bei ihm auf dem Jahrmarkt, sondern auch bei Kieran. Es kam wohl nicht häufig vor, dass jemand zu John über ihn sprach, deswegen war es Tancrèd wichtig gewesen, John genau das zu sagen. Er lächelte, als er Johns etwas irritierte Miene bemerkte, wurde aber sehr kurz darauf belohnt, als John sich vor ihn kniete und ihm näher kam. Einen Kuss, überhaupt eine Berührung des anderen hatte der Franzose weder erwartet noch erhofft - doch er beschwerte sich sicher nicht, als er sie bekam. Johns Lippen auf seinen schmeckten nach der herben Medizin, die er ihm eben gegeben hatte, und nach dem Gefühl, nach dem Tancred sich sehnte, wann immer er so einsam war wie meistens auf dem Schiff. Sanft griff er Johns Hand, die durch sein Haar fuhr, und zog sie an seine Lippen, küsste Johns kühle Finger. "Ich würde einen Mann wie dich niemals aufgeben. Du bist etwas ganz Besonderes, John Forbes, und es ist eine Schande und zugleich mein Glück, dass es niemand vor mir gewagt hat, dir das ins Gesicht zu sagen." Er verschränkte seine Hand in Johns und richtete sich etwas mehr auf. Dessen folgende Worte waren sehr angenehm für ihn und brachten Tancred sogar zum Schmunzeln. Das Kompliment von John zu hören, war angenehm, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann war es nicht das erste dieser Art. Dass er wohl eine recht freundliche Art im Bett hatte, war ihm bereits mehr als einmal durch die Blume mitgeteilt worden, und dass er sich auch bei John damit einen Gefallen getan hatte, wurde ihm damit jetzt sehr klar. Nun.. dann konnte er ja vielleicht.. Er räusperte sich und sah dann wieder auf, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. "Natürlich gibt es da noch eine Sache, die mich dir noch näher bringt oder die mich an dir noch mehr fasziniert", gab er unumwunden zu. "Denn wer einem Dominico Sforza die Faust ins Gesicht pflanzt, der hat sicher auch kein Problem damit, sich gegen jemanden wie mich im Bett zu behaupten, oder?" Wurde Tancred da unter dem schwarzen Bart ein wenig röter? "Kurz gesagt: was ich so sehr an dir schätze ist die Tatsache allein, dass du mir ebenbürtig bist und sein kannst. Du bist nicht nur gebildet, sondern auch klug - zwei Dinge, die nicht immer Hand in Hand gehen. Und letztlich möchte ich dir auf Augenhöhe begegnen, solange wir unseren Weg gemeinsam gehen." So war es vermutlich am unverfänglichsten ausgedrückt. Er stahl sich einen letzten Kuss von Johns Lippen, ehe er sich doch erhob, um die feuchte Hose auszuziehen und den schweren Vorhang vor das Fenster zu ziehen. Der Wind war stark und würde ihn vermutlich immer wieder ein wenig vom Fenster wegblasen, aber wenn sie ihn offen ließen, dann würde einfach zu viel der kalten Gewitterluft in das Zimmer kommen. Als er wieder zum Bett zurückkam, dieses Mal nur in seiner Unterwäsche, sah er wieder mit einem anderen Blick auf John. Ihre Begegnungen wurden von Mal zu Mal besser. Seine Hartnäckigkeit zahlte sich wirklich aus, da hatte John selbst schon Recht gehabt. Er setzte sich auf das Bett, seitlich zu John und musterte ihn einen Moment lang, hob die Hand an seine Wange und strich ihm eine Strähne des noch feuchten Haares hinter das Ohr. "Ich möchte der Auslöser dafür sein, dass du mich so anlächelst wie du es gerade tust. Ich will, dass ich dich und du mich ansehen kannst, wie die beiden dort oben. Dass ich bei dir all das finde, was mir fehlt. Ich hoffe, dass ich einen Weg finde, das zu erreichen. Zur Not auch mit ein bisschen Überzeugungskraft." Er zwinkerte John frech zu, wollte die Situation etwas auflockern.
 

John


 

"Ich würde einen Mann wie dich niemals aufgeben. Du bist etwas ganz Besonderes, John Forbes, und es ist eine Schande und zugleich mein Glück, dass niemand vor mir gewagt hat, dir das ins Gesicht zu sagen."

Tancreds Worte ließen John einen Moment sprachlos werden, und das sollte etwas heißen. Sicher, da war gerade diese Stimme in seinem Kopf, die ihn auslachte und sagte, er solle nicht jeden Mist glauben. Aber er wusste, dass er in der nächsten Zeit würde lernen müssen, dieser Stimme nicht immer Glauben zu schenken. So wischte er sie für den Moment weg und ließ die Worte so stehen. Sie taten ihm gut.

Als sich Tancrèd räusperte, sich aufrichtete und ihn so seltsam ansah, dachte John schon, dass jetzt noch ein großes Aber käme, und er sah ihn fragend an. Doch was dann kam, ließ ihn leise lachen, allein schon, weil Tancred leicht errötete.

"Das hat dich schon sehr fasziniert", stellte er fest, "dass ich ihm eine verpasst habe." Er grinste leicht, wurde aber wieder ernster. "Aber du hast schon recht. Ich gebe meinen Hintern nicht so leicht her, um es mal salopp zu sagen, und wenn, dann nur mit 'ausgleichender Gerechtigkeit'." Wer seinen Hintern wollte, musste auch bereit sein, seinen herzugeben. Eine völlige Unterwerfung gab es definitiv nicht.

Es mochte sein, dass sie sich im Bett ebenbürtig waren, das sah John ähnlich, aber Tancrèd sagte es so, dass er ihn generell als ebenbürtig ansah.

"Du bist nicht nur gebildet sondern auch klug - zwei Dinge, die nicht immer Hand in Hand gehen. Und letztlich möchte ich dir auf Augenhöhe begegnen, solange wir unseren Weg gemeinsam gehen."

Das klang gut in seinen Ohren. John entgegnete nichts darauf, sondern erwiderte nur den Kuss, den ihm der andere gab, bevor dieser aufstand, um sich offenbar ebenfalls die Hose auszuziehen und die Vorhänge zuzuziehen. John war unterdessen unter die Decke gekrochen, ihm war immer noch etwas kalt, und er beobachtete den anderen Mann. Eine schwere Müdigkeit breitete sich wie ein Mantel über ihm aus.

Als Tancred zu ihm zurückkam und sich neben ihn setzte, genoss er die streichelnde Hand in seinen Haaren und lauschte den Worten. Und ja, er lächelte, ohne es "abschalten" zu können. Was der andere sagte, ließ ihn noch mehr lächeln, bis aus dem Lächeln ein Grinsen wurde. Es waren schöne Worte und er wollte sie nicht schlecht machen, aber langsam würde es ihm zu viel Süßholz.

"Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich dich jemals so dämlich ansehen könnte, wie diese beiden liebestrunkenen Idioten da oben!? Falls ich das jemals tun werde, dann erschieß mich bitte!" Er lachte leicht und wurde dann wieder ernster. "Nein, ich verstehe, was du meinst." Letztlich versprach der andere ihm, ihn glücklich machen zu wollen. Das war schön irgendwie, trotz der Stimme in seinem Ohr, die ihm das wieder klein redete. Es war auch gut zu hören, dass Tancred klar war, dass das vermutlich immer mal wieder Überzeugungskraft bedurfte. Denn John würde sich bemühen, daran zu glauben, an sie zu glauben. Aber ob es wirklich funktionieren würde, mussten sie erst abwarten.

John hob die Decke an und wartete, dass sich der andere zu ihm in das nicht sehr breite Bett legte. Er schmiegte sich an den warmen Körper, und während seine Augen von selbst zu fielen, strichen seine Hände noch ein wenig über die Brust des anderen, ohne wirklich darüber nachzudenken. "Du bist wirklich ein ungewöhnlicher Mann, Nadim", wisperte er leise, bevor er gegen seinen Willen in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Laila82
2017-09-06T07:36:26+00:00 06.09.2017 09:36
Mal wieder so ein kitschiges Herz brauch.
Mädels ihr schafft mich. Die Geschichte ist soo schön.
Freue mich schon wie es mit meinen drei Pärchen weiter geht.
Antwort von:  -Amber-
06.09.2017 22:19
Du bist süß =)
Ich liebe diese Szene zwischen den beiden.. und am meisten die im Regen ;_;
Mein süßer John *schmus*
(Hoffentlich liest er das nicht, sonst ist er eingeschnappt... Hör ihn schon sagen 'Ich bin nicht süß!')

Sei gespannt und freu dich drauf ^^
Nächstes Kapitel dauert noch etwas...
Bei mir wird es in nächster Zeit wieder stressiger


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