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Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

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An Deck - Inszenierungen

Tancrèd

Als sie am Abend des dritten Tages wieder in den Hafen einliefen, war es beinahe so, als seien sie gerade erst gefahren. Doch die Mannschaft war eindeutigt bester Laune und als der Kapitän sie verabschiedete - denn die Deckwache übernahm Tancred in der Rotation wie jeder andere - waren sie schneller von Bord, als man "Schiff Ahoi!" sagen konnte.

Tancred besah sich noch einige Dinge in seiner Kajüte, ein paar Karten auf denen er am Horizont gesehene spanische Schiffe mit Datum der Sichtung verzeichnete. Als er in den lauen Abendwind hinaustrat, dämmerte es bereits. Weil das Wetter so herrlich war, hatte er beschlossen sich oben am Steuerrad einfach eine Decke hinzulegen und dort den Abend bei einer Flasche Portwein, Brot und mit etwas Fleisch den Abend ausklingen zu lassen. Er hatte die Decke schon über die Schulter geworfen, als er Kieran dort auf der Reling sitzen sah. Der junge Mann hatte ein paar Briefe in der Hand, die er durchgeblättert hatte, doch jetzt sah er einfach nur in die Ferne. Tancred lief leise über die Planken zu ihm hinüber und legte eine Hand so auf Kierans Schulter als wolle er ihn schubsen, hielt ihn dann aber zurück. Das war sicher eine sehr wirksame Methode, Kieran wieder ins Hier und Jetzt zu holen, und der strauchelte kurz, ehe er sich ein wenig geschockt zu ihm umsah und in Tancreds grinsendes Gesicht blickte. Der Kapitän lehnte sich mit den Ellebogen auf die Reling und sah auf den Hafen hinab. Das Wasser lag heute recht hoch und das Schiff thronte recht weit oben an der Kaimauer. Mit geschlossenen Stückpforten sah das Schiff von außen eigentlich ganz friedlich aus.

"Liebesbriefe aus London, hmn?", feixte er grinsend in Richtung des Papiers, das er in Kierans Händen ausmachen konnte. "Das wird eine lange Durststrecke fürchte ich, bis du wieder nach London kommst." Er sah nachdenklich in die Ferne, hinter die Stadtgrenzen auf das grüne Land, das sich hinter dem Hafen erhob. "Da du offenbar heute Nacht auch hier bleibst, schlage ich vor, du leistest mir bei Portwein und Brot Gesellschaft." Er klopfte Kieran auf die Schulter und deutete zum Steuerrad hinauf. "Ich würde nämlich wirkklich eine Geschichte gerne von dir hören: Wie kommt jemand wie du - und versteh das bitte nicht falsch - an einen Mann wie Dominico Sforza?" Er hob einen Finger um etwaige Reaktionen gleich im Keim zu ersticken. "Ich meine... vielleicht sollte ich eins klar stellen, bevor du antwortest. Ich habe dich nicht auf sein Geheiß auf mein Schiff geholt und will dich auch nicht in seinem Auftrag ausspionieren. So gute Freunde sind wir nicht... Ich bin lediglich wirklich neugierig." Damit setzte sich Tancred Richtung Aufgang in Bewegung, um seinen Platz für heute Abend einzunehmen.
 

Kieran

Kierans Herz setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus, als die Hand an seiner Schulter ihn nach vorne drückte. Doch als er spürte, dass sie ihn vor Schlimmeren zurückhielt, blickte er sich erschrocken um, wer ihm einen solch üblen Streich gespielt hatte. Eigentlich war er ganz zufrieden mit der Art und Weise, wie er sich hier in der Mannschaft integrierte. Wer sollte ihm also so einen... Das grinsende Gesicht von Tancred, in das er sah, verriet ihm die Antwort. "Das war nicht lustig", knurrte er und musste dann doch grinsen. Er blickte genau wie der Kapitän in Richtung Hafen und faltete den Brief zusammen, den er von John erhalten und gerade noch einmal gelesen hatte, als Nadim ihn auch schon darauf ansprach. Liebesbriefe? Nicht wirklich... Seine Laune verschlechterte sich gerade zusehens und der Kapitän setzte noch eines darauf, dass eine Durststrecke auf ihn zukommen würde. Kieran schwieg, wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Die Wahrheit? Eine Lüge? Er war hier kein Schauspieler mehr, nicht so wie in London, wo er so sehr auf der Hut sein musste. Eine Lüge würde der andere Mann definitiv ihm an der Nasenspitze ablesen. So war er nun mal.

Noch bevor er überhaupt etwas sagen konnte, lud ihn Tancrèd zu sich hinauf auf die Brücke ein, und sein Blick folgte einen Moment der deutenden Hand. Sollte er? Ihm war gerade durchaus nach Wein zumute. Aber war das klug? Sollte er ausgerechnet mit Nadim reden? 'Mit wem sonst?', erklang eine Stimme in seinem Inneren. John war zu weit weg und sonst gab es keine Menschenseele, der er sich anvertrauen würde. Und irgendwie hatte er das Gefühl, doch etwas reden zu wollen. Es nagte doch sehr an ihm.

Allerdings waren die folgenden Worte wieder eher abschreckend. Kritisch musterte er den Mann, der unbedingt seine und Nicos Geschichte hören wollte. Und noch bevor er dazu etwas sagen konnte, stellte der andere klar, dass er nicht in seinem Namen handelte, sondern nur neugierig sei. Kieran sah dem anderen einen Moment nach. Sollte er? Wollte er? Irgendwie...

Er schwank seine Beine über die Reling und folgte dem Mann nach oben.

"Kein Liebesbrief", sagte er nun und wartete, bis jener ihm deutete, wo er sich hinzusetzen habe. "Und ich erwarte auch keinen. Eher eine Entschuldigung, aber ich glaube, die wird nicht mehr kommen." Er lachte kurz. Es klang so bitter, wenn man es aussprach. "Demnach sollte die Frage, wie jemand wie ich an Dominico kommt, anders lauten: Wie konnte jemand wie ich so naiv sein, sich auf die Geschichte einzulassen." Ja, er war ungerecht und verbittert und genervt. Und das wusste er auch. "Ich..." Er verstummte. Ja, was eigentlich. "Wir sind uns zufällig in Cambridge begegnet, an Ostern. Ich war dort mit meiner Familie. Wir hatten einige Auftritte in der Stadt, da ist er auf mich zugegangen, er wolle mich fördern." Seine Gedanken wanderten zur damaligen Zeit. Viel war seitdem geschehen und irgendwie wirkte alles so unwirklich. "Wir haben letztlich eine Nacht miteinander verbracht, wissend, dass es absurd war, sich mehr zu erhoffen." Er schüttelte den Kopf. "Ich hätte es wirklich dabei belassen sollen. Wobei ich es versucht habe. Aber es ging nicht. Er hat mich... so tief berührt, auch wenn das schnulzig klingt. Aber alles, was folgte, war ein Wechselbad der Gefühle. Wir fühlten uns zueinander hingezogen und konnten letztlich auch nicht ohneeinander, aber die Angst vor den Konsequenzen war präsent. Irgendwann haben wir nach vielem Hin und Her beschlossen, es zu versuchen. Wir waren damals auf Reisen und konnten uns jeden Tag sehen." Ja, das war so einfach gewesen. Aber kaum waren sie in London, zeigte sich, dass es offensichtlich nicht funktionierte. "Ich fürchte, dass es ihm nicht genügt, dass er mich nicht wie eine Mätresse ohne große Probleme jeden Tag zu sich ins Bett laden kann, wie es ihm passt. Wir konnten uns seither nur am Wochenende sehen - Weihnachten war eine große Ausnahme. Und jetzt stellt sich raus, dass andere Dinge wichtiger sind als ich. Ich bin zu weit weg und die Ablenkungen sind zu groß. Mir scheint, dass die Basis, auf der unsere Beziehung steht, von unterschiedlichen Erwartungen und vielleicht auch Gefühlen ist. Und die Erkenntnis ist bitter, irgendwie." Er redete zu viel und das, obwohl er noch nicht einmal von dem Wein probiert hatte, den ihm Nadim eingeschenkt hatte. Er blickte den anderen lächelnd an und hob den Becher. "Keine Liebesbriefe also, sondern die Gewissheit, dass es in seinem Leben einfach wichtigere, existenziellere und bedeutender Dinge gibt, als mich. Und das soll jetzt kein Vorwurf sein. Ich wusste es, seitdem ich micht in seiner Welt bewege. Aber die Hoffnung, dass es anders sein könnte, trübt einem den klaren Blick auf die Dinge."
 

Tancrèd

Anscheinend hatte er da gerade einen Volltreffer auf einen wunden Punkt gelandet. Doch Tancred war niemand, der sich deswegen entschuldigte oder das unangenehme Thema auf sich beruhen ließ. Er war auch nicht uneigennützig. Als er Kieran vor Dominicos Ankunft in der Taverne gesehen hatte und sich ihre Blicke gekreuzt hatten, da hatte Kieran seine Neugierde geweckt und nicht mehr losgelassen - da Kieran und Nico nicht verheiratet waren, warum nicht noch einen Spieler neben John ins Spiel bringen? Mehr Auswahl würzte die Suppe. Tancred war eigentlich niemand, der offensiv in sowas einschritt und er würde auch nicht wirklich versuchen bei Kieran zu landen, doch in Kierans Augen hatte er etwas gesehen, dass ihm gefallen hatte. Sicher, er hatte hier seine Freunde und Vertrauten, doch Kieran wollte er einfach kennenlernen.

Sie gingen die Treppe hinauf und Tancred breitete seine Decke auf den harten Planken aus. Das Schiff schwankte leicht im Hafenbecken, lag aber eigentlich mehrheitlich ruhig. Mit zwei vollgeschenkten Bechern setzte er sich zu Kieran auf die Decke und stieß mit ihm an ehe er sich einfach hinlegte, um ihm zuzuhören. Das Holz in seinem Rücken war hart, doch für Tancred war es die schönste aller Matratzen. Das hier war definitiv sein Leben. Kierans Leben klang dagegen weniger schön, zumindest zur Zeit und in Hinblick auf Dominico. Hörte er da Gram heraus? Ein zufälliges Treffen und das Versprechen künstlerischer Förderung - Tancred kam aus dieser Welt und wusste was das zu heißen hatte. Kieran hatte sich dennoch darauf eingelassen, wider besseren Wissens und jetzt litt er, weil Dominico ihm nicht gerecht werden konnte.. nun, so war die Welt leider.

Von Charles wusste er immerhin, dass Nicos in Italien lebende Frau zur Zeit in England weilte und das war sicher der Hauptgrund für Dominicos Zurückhaltung und doch - für die Liebe sollte man bereit sein, weiter zu gehen, wenn man sie denn so empfand wie Kieran es wohl tat. Tancred haderte mit sich. Er wollte Nico nicht in Schutz nehmen, fühlte sich aber fast dazu verpflichtet. "Dominico Sforza ist in der Tat ein einnehmender Mann, dessen Charme man leicht erliegen kann. Ich möchte ihn nicht in Schutz nehmen oder sein Verhalten relativieren, aber er kennt es einfach nicht anders. Ich bin mir sicher, dass ihm durchaus etwas an dir liegt. Vielleicht hat er nur noch nicht erkannt oder entschieden, was er dafür andernorts aufgeben muss. Es ist immr ein Hin und Her. Männer mit einem Namen und Einfluss haben dieses Problem häufig. Ich hätte auch mal so werden können," - das Grinsen auf seinen Lippen war ehrlich , - "aber ich habe einen anderen Weg gewählt und könnte kaum glücklicher sein. Du solltest es auch sein. Die Welt besteht nicht nur aus Dominico Sforza, auch wenn es dir gerade so vorkommen mag." Er drehte den Kopf, so dass er Kieran ansehen konnte. "Ich bin mir sicher, du wirst schon etwas finden, in dem du ganz aufblühen kannst, auch wenn es nicht Sforza heißt. Manchmal ist es gut, sich von einem Gedanken zu verabschieden, bevor er sich zu sehr festsetzt und man ihn nicht mehr loswerden kann, wenn du verstehst, was ich meine." Er zumindest kannte solche Bindungen, die nur im Kopf bestanden aber real nicht galten. "Naja, ich möchte dich nicht mit diesem leidigen Thema quälen, es sei denn, du hast das Bedürfnis darüber zu reden, weil du es mit sonst keinem kannst. Ich habe dich an Deck beobachtet, es war eine gute Idee sich Jamahl vorzuknöpfen. Der Junge ist ein Heißsporn, weiß zwar was er zu tun hat, aber er schlägt ab und an noch über die Strenge. Das wird sich legen. Ich denke du hast einen guten Zugang gefunden und ich bin zufrieden. Nur jetzt, wo ich zufrieden bin, da frage ich mich doch... was hat dich hierher getrieben? Mit Sicherheit nicht der Aufruf in der Universität. Dein Freund John hat sich mit seiner dämlichen Antwort ja davor gedrückt." Wieder sah er neugieig zu Kieran auf. Er wollte ihn kennen lernen und nach mehr von ihm wissen, um sein Bild zu vervollständigen.
 

Kieran

Kieran hatte sich neben Tancred gesetzt und lehnte mit den Rücken an die hölzerner Reling hinter ihm. Das Schaukeln des Schiffes war sanft im Vergleich zu dem auf hoher See. Kieran hatte sich mittlerweile ganz gut daran gewöhnt, hatte es fast als seltsam empfunden, heute wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Er trank von dem Wein, der ihm mundete, weil er nicht so herb war. Während er gesprochen hatte, hatte er gemerkt, wie negativ er gerade eingestellt war. Darüber dürfte er aber nicht vergessen, dass er Nico dennoch liebte und sich eigentlich auch dessen Liebe bewusst war. Und die Worte des anderen mahnten ihn, genau daran zu denken, führten bei ihm aber auch wieder zu einer Abwehrreaktion. Mag sein, dass er einnehmend war und es nicht anders kannte. Aber er wollte nunmal nicht wie jede blöde Mätresse behandelt werden. Er war nicht selbstverständlich!!!!

Kieran seufzte. "Ich weiß, dass es bei Nico gerade etwas schwierig ist. Ich weiß, dass er mich schützen will. Ich weiß, dass ich ihm nicht egal bin. Ich weiß aber auch, dass ich auch an mich denken muss. Und ich hasse das Gefühl, als selbstverständlich erachtet zu werden. Und ich hasse es, wenn man über meinen Kopf hinweg, Entscheidungen zu meinem Wohl trifft. Er bevormundet mich, das kann ich nicht leiden. Ich bin mit sicher, dass es zu allem, was geschehen ist eine Erklärung gibt, aber ich bettle nicht darum und werde auch nicht allzu lange darauf warten." Er wusste, dass Nico ihn, wenn er ihm etwas mitteilen wollen würde, definitiv Mittel und Wege dafür finden würde. Und er sah nicht ein, ihm zu schreiben und ihm am Ende noch vorzugaukeln, alles sei in bester Ordnung. Auch wenn er ihm dennoch gerne so viel erzählen würde, was er erlebte...

Als der andere erzählte, dass er dieses Leben, das Dominico führte, auch hätte führen können, sah Kieran ihn neugierig an, kam aber nicht dazu, nachzufragen, weil Nadim ihm gerade erklärte, dass er etwas besseres finden könnte. Kieran schnaubte. "Du hörst dich schon an wie John", knurrte er. "Ich liebe ihn. Er ist seit langem ein Mensch, der mich irgendwie ausfüllt, der mir das Gefühl gibt, mit ihm komplett zu sein. Das hat man nicht so häufig. Und selbst wenn mein Verstand sagt, dass du recht haben magst, mein Herz kann es nicht. Noch nicht. Ich werde warten was passiert. Aber ich gebe dir recht. Wenn mein Herz auch das Zweifeln beginnt, dann lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!" Ja, wenn er merkte, dass Dominico doch nicht ernsthaft an ihm gelegen war, würde er sich selbst zuliebe von ihm trennen! "Und dass es auch andere Männer gibt, weiß ich. Nicht so unerreichbare." Er grinste leicht. "Aber Sex ist eines, ein gewisses Maß an Seelenverwandtschaft etwas ganz anderes, verstehst du?" Er sah den anderen an. "Ich könnte jede Menge Männer haben, aber letztlich interessieren sie mich nicht. Sie haben nichts von der Welt gesehen, begreifen nichts, haben keine Ahnung, dass es viel mehr gibt, als ihre kleine Welt bis zu ihrer Haustür. Sie interessieren mich nicht, weil sie mir nichts erzählen können, was ich nicht schon weiß." War er arrogant? Vielleicht. Aber so empfand er es eben.

"Ja, lassen wir das lieber. Ich muss warten, was geschieht. Aber danke für dein Ohr." Er lächelte den anderen an.

Über die Frage, die nun kam, musste er lächeln. "John hat panische Angst vor Wasser", sagte er grinsend. "Und sein Vater braucht ihn, auch wenn er ihn nicht leiden kann. Er war außerdem erst selten aus London draußen. Und so gerne er gehen würde, so viel Angst hat er auch davor." Er dachte kurz an den großen Kerl, der ihn aufgrund seines scharfen Auges und seiner spitzen Zunge faszinierte. Doch dann sah er wieder zu Nadim. "Ich wollte die Zusatzqualifikation haben. Ich war mein Leben lang auf Achse. London nimmt mir die Luft zu atmen. Ich fühle mich erst langsam wieder, wie ein Mensch. Ich dachte mir, dass es mir nützlich sein kann, wenn ich einfach nur noch weg will. Aber die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Ich habe sehr mit mir gehadert, ob ich gehe. Letztlich finde ich es aber ganz gut, gerade weit weg von London zu sein. Ich habe mich selbst wiedergefunden." Er lächelte. "Darf ich fragen, warum du dich gegen ein Leben bei Hofe entschieden hast?", holte er nun die Frage nach, die ihm seit vorhin auf der Zunge brannte.
 

Tancrèd

Diese ganze Sache nahm Kieran wirklich mit.. und nach dem zu urteilen, was ihm der junge Arzt zu berichten hatte, war er Dominico mit Haut und Haaren verfallen. Gar nicht gut, wenn man bedachte, in welcher Position Dominico war. Und Kieran war nicht dumm, er schien genau zu wissen, um was es hier ging und doch.. Wie stellte er sich das in einigen Jahren vor? Wenn die Familie ihn zurückrief? Tancred wusste es nur zu gut. Während er versuchte, es für Kieran klarer und verständlicher zu machen, war der schon aus dem Thema heraus und fragte nach seiner Geschichte. Er schmunzelte leicht. "Tja, warum habe ich mich gegen ein Leben bei Hofe entschieden..." Nachdenklich schwenkte er en Becher hin und her und sah in den dunkler werdenden Himmel auf. "Vielleicht solltest du ersteinmal wissen, wohin ich gehört hätte, wenn ich denn noch bei meiner Familie wäre. Mein richtiger Name ist natürlich nicht "de Nerac". Die Engländer verstehen das nicht, können zu wenig Französisch oder denken, wir nennen uns immer nach den Orten, von denen wir kommen. Nun, ich BIN aus Nerac, einer schönen Stadt im Süden Frankreichs, nicht weit von der spanischen Grenze entfernt. Meine Familie allerdings kam erst vor einigen Jahrzehnten in die Stadt, mein Familienname lautet "d'Albret". Falls dir das nichts sagen sollte, wundert es mich kaum, aber du hast sicher schon von meinem Cousin gehört. Er hat Katharina von Navarra geheiratet und ist seit dem König von Navarra. Es ist kein besonderer Titel, doch das Gebiet ist es schon. Zu ihrem "Reich" gehört das Grenzgebiet zu Spanien und eigentlich ein weiterer Teil in Spanien, doch der ist bereits verloren gegangen. Sie herrschen nicht über viel Land, aber sie herrschen immerhin und weil unsere Familie nicht groß ist, werden die wenigen Kinder sehr gut in die hohen Positionen am eigenen Hof oder am französischen Hof untergebracht. Ich selbst hatte im Endeffekt die Wahl wie Dominico und Alessandro Sforza. Einen älteren Bruder habe ich nicht, Priester gibt es in der Familie genug - also habe ich mich für den Krieg entschieden und bin mit den letzten Kreuzzüglern losgezogen, um gegen türkische Sultane zu kämpfen und im Heiligen Land zu dienen... Frag nicht ,was das für eine Farce ist.

Im Heiligen Land habe ich mehrheitlich Freunde gefunden, immerhin. Es war wie eine Offenbarung für mich. Ich wurde dorthin geschickt, im Andenken an all die großen Kreuzritter vor mir. Ich gehörte zum Orden der Johanniter, einer der wenigen Kreuzzüglerorden, die noch Waffen tragen. Ich war noch sehr jung damals.. und ich war leicht empfänglich für ihre Lügen. Für das Bild der muselmanischen Monster, die ihre Kinder fressen und Frauen schlagen. Und dann kam ich dort hin und habe das gastfreundlichste Land der Welt erlebt, das mit seinem so anderen Selbstverständnis und Glauben nun mal anders ist als wir - aber sie deswegen verurteilen? Ich bin zum Glück schon immer mit offenen Augen durch die Welt gegangen." Er räusperte sich leicht. "Danach kam Rhodos, keine schöne Geschichte. Zurück aus dem Orient wurden wir nach Rhodos versetzt, von Türken eingekesselt und belagert. Mehrere Versuche, die Belagerung zu sprengen, schlugen fehl und als wir uns ergaben und man uns ziehen ließ, bekamen wir einen neuen Hauptstandort, Malta. Dort bin ich letztlich.. desertiert." Sein Gesicht zierte ein schiefes Grinsen. "Weil die Johanniter keine eigene Flotte und nicht das Geld und die Zeit hatten, um neue Schiffe zu bauen, haben sie einfach Schiffe von einem Markt gekauft, der Prisen anbietet. Spanische ausrangierte Kriegsschiffe, neue spanische Kriegsschiffe, französische, englische, arabische - alles was zur See fährt gibts dort zu kaufen. Ich habe meiner Familie geschrieben, vorgegeben für die Johanniter mein Erbe einsetzen zu wollen. Man hat es mir ausgezahlt und ich bin damit auf und davon." Er leerte den Becher und stellte ihn ab. "Ich habe die Raashno erstanden, ein stark beschädigtes arabisches Kriegsschiff, aber günstig. Ich habe das Nötigste ausbessern lassen und sie aufgerüstet.. dann habe ich eine lebensmüde Mannschaft angeheuert und bin aufs Meer gefahren. Ich dachte mir dabei zwei Dinge. Erstens: Wenn ich untergehe findet niemand meine Leiche und niemand bringt mich schwer verletzt als Krüppel zu meiner Familie zurück, deren einziges Bestreben es war, mich reich zu verheiraten - und zweitens: Auf dem Meer kannst du reich werden. Ich muss leider sagen, das letzteres nur bedingt funktioniert. Man wird leider nicht ganz so reich auf dem Meer, zumindest nicht, wenn man keinen starken Verbündeten hat. England habe ich auch nur deswegen gewählt, weil ich es mir mit Henry noch nicht verscherzt habe... und es hoffentlich auch in Zukunft vermeiden kann. Aber zurück zur Familie..." Er war etwas abgeschweift, das merkte er gerade. "Ich habe mich von ihnen gelöst, weil sie die Araber so verurteilten. Unwürdige Menschen, widerliches Pack, das einen falschen Gott anbetet. Und weil ich hier Spielball war, den sie einsetzen konnten wie sie wollten. Weil sie mir eine Nacht wie die nach unserer Begegnung in der Taverne noch Jahre nachgetragen hätten, wenn sie mich nicht selbst wegen Unzucht an den Galgen geliefert hätten. Ich wollte mein eigener Herr sein und bin einfach gegangen." Es klang wesentlich einacher, als es gewesen war zu dem Zeitpunkt, an dem er es getan hatte. "Es ist das, was keiner der beiden Sforzabrüder zustande gebracht hat, und - wenn ich sie richtig einschätze - auch nie tun werden. Ich möchte nicht schlecht über sie reden, vor allem nicht vor dir, aber ich habe das Gefühl, du übersiehst aus Liebe sehr wesentliche Dinge." Tancred fühlte sich verantwortlich für Kieran, zumindest dafür, ihm die Augen vor dem eigentlich eigenen Stand zu öffnen. "Alles, was du von ihm kennst, und alles, was du von ihm jemals gesehen hast, ist inszeniert. Allein der Abend in der Taverne war es schon und meine Anwesenheit hätte um ein Haar dieses Theaterstück für ihn gekippt. Wäre ich nicht dort gewesen, oder John, der ja ganz offensichtlich auch gefallen an dir hat - mit absoluter Sicherheit kann ich dir sagen, er hätte dich niemals vor allen Leuten geküsst.

Er hat das Gefühl, sich ständig und immerfort beweisen zu müssen, so ist er groß geworden. Nicht nur er, auch Charles Brandon, auch seine Majestät selbst. Es ist ein ständiger Kampf um Anerkennung und Vorherrschaft. Ich spreche ihm sicher nicht ab, dass er Gefühle hegt, oh nein! Doch wenn du von Seelenverwandtschaft sprichst, dann würde er nur sagen, dass er dich so gut einschätzen kann, dass er mit deinen Reaktionen auf seine Taten planen kann. Er weiß, dass du wegen seiner Position am Hof zurückstecken wirst - und das wird er für immer so im Kopf behalten. Ich habe großen Respekt davor, wenn du dieses Leben bis zum bitteren Ende mit ihm leben willst."

Er musterte Kieran eine Weile. "Noch seid ihr beide jung und eure Liebe frisch. Nach allem was ich weiß, besucht Nicos Frau ihn einmal im Jahr, das sagte Charles Brandon. Er wird ihr ein Kind machen und sie nach Italien zurückschicken. Die Familie freut sich über Nachwuchs und Nico hat 9 Monate seine Ruhe. Das wird so lange gehen, bis es hier zu heiß wird, oder die Familie ihn zurück in die eigenen Reihen ruft - und mit welcher Berechtigung willst du dann in seinem Haus in Italien leben? Sicher, als Arzt der Familie hast du ein Daseinsrecht.. aber du wirst jeden Tag seine Frau sehen, jeden Tag all die anderen römischen Mätressen, die ihn umgarnen. Jeden Tag seine Kinder, bis er, Gott sei ihm gnädig, im hohen Alter friedlich sterben wird. Oder hat er dir je etwas anderes versprochen? Ich will deine Traurigkeit und deinen Frust über sein Verhalten nicht mehren, aber ich will dir aufzeigen, was für ein Mann er ist, was für Männer sie alle sind. Was für ein Mann ich gewesen bin, bis ich mich selbst mehr hasste als alles andere. Ich will dich nur warnen.. Glaube seinen Entschuldigungen nicht so bedingungslos."
 

Kieran

Kieran lauschte interessiert den Ausführungen des Mannes, der ihm einen kleinen Teil seiner Lebensgeschichte offenlegte. Und Kieran hing an seinen Lippen. Er war immer wissbegierig, wenn jemand über Dinge zu berichten wusste, die er selbst nicht kannte. Er war erstaunt, welchen Stand Nadim einst hatte, welche Möglichkeiten ihm in die Wiege gelegt worden waren. Aber er wusste auch, dass er darauf nicht neidisch sein musste. Solch ein Stand war eine große Belastung. Er wusste das von Dominico und er wusste es, weil er froh war, selbst in Freiheit geboren worden zu sein. Zumindest aufgewachsen – den Umstand seiner Geburt kannte er ja nicht wirklich. Als der andere dann auf die Kreuzzüge zu sprechen kam, nickte Kieran nachdenklich. Es war genau so, wie er es sich selsbt immer gedacht hatte. Diese ganzen Kreuzzüge waren absoluter Blödsinn gewesen und gäbe es ein Gericht, vor dem sich alle Menschen für ihre Taten verantworten müssten, dann wäre dies eines der Dinge, die besonders hart bestraft gehörten. In seinen Augen durfte man nicht Menschen abschlachten, weil man ‚glaubte‘. Aber ähnliche Gerüchte erreichten aus der neuen Welt auch die Häfen. Der Mensch war schlimmer als die Tiere, so kam es ihm jedenfalls vor.

Was Nadim über die Mauren erzählte, deckte sich mit seinem Bild von ihnen, das er sich in Spanien und aus seinen eigenen Erfahrungen heraus gebildet hatte. „Ich würde nichts lieber tun, als bei ihnen Medizin zu studieren. Sie sind viel fortschrittlicher, als wir. Ich habe gehört, dass die Medici in vielen Dingen viel weiter sind als wir. Ich würde so gerne davon profitieren...“, sagte er halblaut und in Gedanken, bevor Tancred begann Rhodos zu erwähnen. Kieran merkte, dass das eine eher kritische Geschichte für den anderen war. Daher fragte er nicht weiter nach. Dass Tancred desertiert war, ließ ihn überrascht aufsehen. „Heißt das nicht, dass du in manchen Gewässern, vogelfrei bist?“, fragte er prompt nach und sah den anderen erstaunt an. Dann hörte er wieder den Ausführungen zu. Es machte den andren durchaus sympathisch, wie dieser schilderte, dass er eben nicht den Weg des ‚Namens‘ gegangen war, sondern lieber einen Weg eingeschlagen hatte, der ihm vieles sicher komplizierter gemacht hatte. Er war seinem Herzen gefolgt und so etwas mochte Kieran. Er lächelte den anderen an. „Ich kann das gut nachempfinden. Ich weiß manchmal gar nicht, wieso ich mir den Affenzirkus bei Hofe antue, wo ich absolut gar nicht einfach nur ich selbst sein kann“, nickt er langsam auf die Worte des anderen hin, dass er frei sein wollte. Nun, so ganz stimmte es nicht. Er wusste, weshalb er es tat: für Nico. Er tat es für ihn, weil er ihm nahe sein wollte. Dank konnte er dafür allerdings nicht erwarten. Immerhin ließ sich Nico auch oft auf seine Welt ein, wenn er bei seinen Eltern war, indem er mit ihm ausging. Das war das, was jener im Rahmen seiner Möglichkeiten für ihn tat. Und indem er, wenn sie alleine waren, einfach nur er selbst war.

Als Nadim nun weitersprach und Dominico begann zu analysieren, zog sich Kierans Stirn in Falten. Es war ziemlich heftig, was er ihm da letztlich auf den Kopf zu sagte, aber er unterbrach Tancred erstmal nicht. War dem so, dass Nico eine Inszenierung an sich war? Dass er alles nur spielte, was zwischen ihnen bestand, wie es von außen wirkte? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Ja, zu ihrer Beziehung gehörte auch einiges an Schauspielerei, die dann, wenn sie alleine waren, doch eigentlich nicht mehr da war. Und doch waren da ein paar Aussagen, die ihn stutzen ließen. War dem so, dass Dominico wegen seiner Stellung bei Hofe erwartete, dass er sich immer nach ihm richte? Ja, wahrscheinlich. Schließlich sah man das gerade hinsichtlich der Situation ganz deutlich, oder? Meist schrieb Dominico, wenn er überhaupt schrieb, nur Antworten. Er musste sich darum kümmern, dass sie sich sahen. Aber war das nicht auch einfach bedingt durch die Gesellschaft? Und Kieran hatte gewusst, worauf er sich da einließ. Nico hatte ja alles dafür getan, dass Kieran ihn aufgab.

Hätte er sich lieber abwimmeln lassen sollen? Hatte er die falsche Entscheidung getroffen? Er dachte an die Briefe in Spanien, an die Kapelle...

Als er auf die Taverne zu sprechen kam, lächelte Kieran amüsiert. „Wegen John und dir?“, fragte er nach, erstmal nicht auf das eingehend, was der andere ansonsten sagte. „Heißt das, dass du noch immer Interesse hast, und ich deshalb zufälligerweise auf deinem Schiff gelandet bin? Wenn dem so ist, dann inszenierst du dich auch.“ Er blickte den anderen herausfordernd an. „Nein, ich versteh schon, was du meinst. Und ja, du hast recht, dass er der perfekte Schauspieler ist. Aber das ist er nicht immer. Nicht, wenn wir alleine sind, wenn er nackt neben mir im Bett liegt, wenn wir reden und er mir erzählt, ehrlich und aufrichtig. Auch darüber, wie ihn der Affenzirkus nervt. Sicher, die Charade gehört zu seinem Leben und er ist ein Meister darin. Aber nicht alles, was er mir zeigt, ist gespielt. Das weiß ich. Wir, die wir Männer begehren, sind nun mal alle ein Stück weit Schauspieler. Und jemand, der bei Hofe ist, noch mehr. Ich weiß das. Aber wenn ich anfange, jede seiner Handlungen in Frage zu stellen, werde ich wahnsinnig. Ich verlass mich da auf mein Gefühl. Und das hat mir damals, als er mich für eine Nacht in sein Bett ziehen wollte, auch geholfen. Immerhin war ich ihm 20 Pfund wert. Aber er hat sie letztlich seinem Bruder zahlen müssen.“

Als Tancred auf die Frau von Dominico einging, saß der Schlag schon tiefer. War es so? Ließ sie sich ‚ein Kind machen‘? Er wollte das nicht wissen, hatte einmal gesagt, dass er wusste, dass er ihn zu teilen hatte, dass er nicht wissen wollte, was er bei Hofe trieb. Er hatte auch gewusst, dass seine Frau irgendwann kommen würde. Aber sie dann zu treffen, zu sehen, wer seine Konkurrenz war, war heftig gewesen. Und das war auch das, was er Dominico nicht so bald verzeihen würde. Diese Frau war bombastisch. Und Kieran wusste, dass sie Nico einfach so für sich haben durfte. Es war… sehr schmerzhaft, dieser Neid, der in ihm tobte. Und die Aussichten, die Tancred zeichnete, und über die er sich ehrlich gesagt noch keinerlei Gedanken gemacht hatte, waren nicht weniger schön. War dem so? Würde er irgendwann nach Italien gehen? Vielleicht sogar bald, wenn die Krise bei Hofe schlimmer werden würde? Und was gedachte Nico mit ihm zu tun? Dachte er überhaupt an ihn? Ja, das war etwas, worüber sie noch nie gesprochen hatten. Und es verunsicherte ihn erneut. Würde er sich wieder nach Nico richten müssen, ihm folgen, tun, was jener verlangte? Wahrscheinlich. Aber würde er das können?

Als Arzt hatte er jede Möglichkeit, die er wollte, um irgendwo sesshaft zu werden. Das hatte er Nico zu verdanken. Und er kannte sich und sein Gefühl, in der Schuld des anderen zu stehen, auch wenn jener das Gegenteil behauptete. Würde er immer die Mätresse des anderen bleiben, solange er ihm gefiel, solange er ihm gut genug war und das Interesse nicht verblasste. Ob es jetzt schon verblasste? Jetzt, da er nicht mehr zur Verfügung stand? Kieran schluckte den bitteren Geschmack auf seiner Zunge hinunter. „Er hat mir nichts versprochen. Wir haben nicht darüber geredet“, sagte er und merkte selbst, wie tonlos seine Stimme klang. Er hatte den Blick auf seine Hände gesenkt und hatte das Gefühl, dass alle Emotionen, die er doch so gut in den letzten Tagen in Griff bekommen hatte, wieder durchbrachen und das Gefühl in seinem Magen, als würde jemand ihm die Eingeweide zermahlen, war wieder so präsent, wie in der Nacht, nachdem er Nicos Frau getroffen hatte. „Nett, dass du das nicht möchtest. Du tust es aber gerade“, knurrte er etwas schroffer als beabsichtigt. Er schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken loszuwerden. „Ich werde sehen, was die Zeit bringt und daraus dann meine Schlüsse ziehen“, sagte er dann mit möglichst fester Stimme. „Wenn der Versuch scheitert, dann habe ich genug Menschen, um mich, die mich auffangen. Den Rest heilt die Zeit.“ Er musste keine Angst haben, irgendwann alleine zu sein.

Und während er sich fast selbst Mut machte, stand ganz zentral in seinem Kopf eine Frage: Würde Dominico für ihn auch sein Leben aufgeben, so wie er es für ihn letztlich getan hatte, indem er nach London gegangen ist? Gut, es war nicht ganz uneigennützig gewesen. Und doch hatte er es zum Großteil für den Mann gemacht, der so höflich war, als sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten.

„Etwas anders, Nadim“, wechselte er erneut das Thema. „Du weißt, dass Redar ziemlich krank ist und auch ich ihm nicht helfen kann?“ Kieran hatte beobachtet, dass der älteste in der Mannschaft, unter massiven Kopfschmerzen litt. Zudem deutete seine Statur an, dass ihn etwas zerfraß, das er von seiner Großmutter her kannte. „Ich kann ihm nur die Schmerzen lindern, wenn er das möchte. Redet er mit dir darüber?“ Er überlegte kurz. „Und Zafir hat Probleme mit dem Rücken. Wenn er so weiter macht, wird er langfristig nicht mehr grade laufen können. Ich könnte ihm die Wirbel wieder einrenken, das hilft zumindest ein wenig. Aber er müsste mehr geschont werden, was kaum möglich ist, weil er Redar unterstützt.“
 

Tancrèd

"Jeder Mensch tut das, wenn er anderen begegnet. Gut, fast jeder. Aber hast du das nicht auch getan, als du hier auf das Schiff gekommen bist? Du hast dir die Mannschaft angesehen, ausgelotet, wo du Anschluss finden kannst, und den ersten Schritt gemacht, in dem du dich inszeniert hast. Ich sage ja nichts dagegen, man sollte es sich nur bewusst machen. Und meine Inszenierung war doch wirklich nicht ganz so dramatisch wie die von seiner Lordschaft, oder? Immerhin laufe ich für gewöhnlich so herum, wie man mich in der Taverne angetroffen hat." Er schmunzelte leicht. "Und ja, ich habe sicher ein Auge für schöne Männer und dass ich dich hier auf dem Schiff habe, liegt vielleicht auch zu einem Teil daran. Ich habe kein Problem damit, das wirklich offen zuzugeben." Er grinste verschmitzt. "Und ich kann schon verstehen, dass er nackt neben dir ein anderer Mensch ist. Ich möchte den Mann sehen, der es nicht wäre und der dir nicht zum richtigen Zeitpunkt die ganze Welt verspricht, um etwas von dir haben zu können. Wie dem auch sei..." Er griff nach der Karaffe Wein und schenkte sich nach. "Betrachte die Sache einfach mal aus einiger Entfernung, das ist mein einziger Rat. Vielleicht ist es auch einfach nur meine zu persönliche Sorge, denn ich habe meine Schwester in genau diese große Falle tappen sehen. Sie hat sehr lange gebraucht, um die Realität zu erkennen und als es soweit war, war es bereits zu spät und sie schwanger mit einem Bastard. Das kann dir immerhin nicht passieren." Sein Humor war wohl manchmal etwas derb, aber in dieser Situation erschien es ihm passend. "Auf jeden Fall wirst du nicht lange allein bleiben, ganz egal was die Zukunft für dich bringen mag. Ich glaube du bist klug genug, um für dich das Richtige zu finden."

Damit war das Thema für Tancred geklärt. Sein inneres Bedürfnis, es Kieran zu sagen, war befriedigt und jetzt konnte er nur noch hoffen, dass der junge Mann nicht endete wie die eigene geliebte Schwester. Er hatte sie nicht so häufig gesehen, seit er selbst 16 Jahre gewesen war - und jedesmal wenn er sie dann noch zu Haus gesehen hatte, hatte sie an einem Mann gehangen, der sie niemals offiziell an seine Seite nehmen würde, und Tancred hatte ihr die Augen nicht öfnnen können. Vielleicht war er erst zu spät eingeschritten, bei Kieran hatte er seiner Meinung nach früh genug reagiert.

Das andere Thema, das Kieran auf den Plan brachte, war ebenso wichtig. Redar war der älteste und schon seit ihrer ersten Fahrt dabei. "Ja, ich weiß.. wir sprechen alle darüber. Aber Redar hat außer dieser Mannschaft nichts! Das hier ist seine Familie. Und er wird so lange hier sein und Kehlen aufschlitzen, wie er seinen Arm noch bwegen kann. Wenn er stirbt, dann tut er es hier auf dem Schiff.. das ist das, was er will und wir alle respektieren das. Was Zafir angeht, nun. Ich kann die Männer zwar neu einteilen, aber Zafir packt gern mit an. Ich werde zusehen, dass er für die nächste Woche an Land bleibt, mehr kann ich nicht tun. Auch wenn es mir ein Anliegen ist, die Männer gesund zu halten, ich kann sie nicht dazu zwingen. Aber danke für deinen Bericht, es ist gut wenn sie dich als Arzt auch anerkennen und sich von dir behandeln lassen. Erzähl mir noch ein wenig von deinen Erfahrungen als Arzt. Ich möchte sehen, wo es noch wichtig wird, dich einzusetzen.."

Und damit verbrachten sie die Nachtwache, bis irgendwann eine Ablöse kam und sie beide zu Bett gingen. Tancred hatte das Gefühl einen ganz guten Draht zu dem jungen Mann zu haben, den er eigentlich kaum kannte, aber den er wirklich kennenlernen wollte. Vor allem auch, weil John von ihm geschwärmt hatte... unweigerlich musste Tancred beim Einschlafen an Johns weiche Lippen denken - und warum nicht? Er war doch genau aus dem Grund mit John gegangen, um sich einige schöne Erinnerungen zu sammeln...
 

Kieran

Kieran nickte. „Ja das machen alle“, stimmte er zu. „Alle, weil jeder Angst davor hat, sich anderen einfach so offen zu zeigen. Es ist menschlich und sicher auch besser. Und in manchen Positionen eben wichtiger, als in anderen.“ Dominico hätte nunmal nicht in der Taverne auftauchen können, wie er normalerweise herumlief. Es wäre zum Eklat gekommen und irgendeiner hätte sicher die Chance gewittert, irgendeinen Profit daraus zu schlagen. Kieran dachte unwillkürlich an Gregor. „Mag sein, dass der Kuss eine Inszenierung war, er hat sein Revier markiert. Mir ist es ja auch seltsam vorgekommen, aber ich fand es in dem Moment in Ordnung.“ Und das war es auch gewesen. Ob Kieran ein Leben lang dieses Spiel der Masken ertragen würde können, wusste er jedoch nicht.

„Danke für die Blumen“, sagte er und grinste leicht, als er andere ihm erklärte, dass er ein schöner Mann sei. Doch was nun folgte, missfiel Kieran erneut. Irgendwie verteidigte er Dominico dauernd. Aber er wollte nun mal nicht, dass er verkannt wird. „Er verspricht mir nichts, hat von Anfang an gesagt, dass er mir keine Versprechen machen kann. Er erzählt mir nicht das Blaue vom Himmel, sondern die Dinge, die ihn beschäftigen. Er kann bei mir entspannen, einfach er selbst sein – mehr ist es nicht.“ Und doch fiel ihm auf, als er das sagte, dass er nicht direkt etwas sagen konnte, was er im Gegenzug erhielt. Ein Stipendium? Das Gefühl, gebraucht zu werden? Irgendwie irritierte ihn der Gedanke. Eine Beziehung war ein Nehmen und ein Geben. Aber was bekam er? Sicher, er bekam das Gefühl, geliebt zu werden. Er fühlte sich in seinen Armen wohl, geborgen und ganz. Das war viel wert. Aber dennoch war das dieses Gefühl von: Ich werde benutzt.

Die Geschichte von Tancreds Schwester ließ ihn aufhorchen. Ja, diese Geschichten gab es zu Hauf. Nicht selten werden diese Kinder auch ermordet und die Mütter dafür hingerichtet. Er nickte verstehend. „Ich danke dir für deinen Rat“, sagte Kieran. „Ich danke dir wirklich, denn es tut gut, einfach darüber zu reden und darauf gestoßen zu werden, immer mal wieder einen anderen Blickwinkel einzunehmen.“ Er grinste leicht. „Und, dass ich keinen Bastard bekommen kann, das ist wirklich einiges wert.“ Er lachte leicht und war etwas verlegen, bei den Worten des anderen, die ihm erklärten, dass er nie alleine sein würde. War dem so? Er war vor Dominico lange allein gewesen. Und was war ‚Das Richtige‘? War Dominico das Richtige für ihn? Der Richtige? Er wusste es nicht. Irgendwie kam er ihm in diesem Moment wieder so unendlich weit entfernt weg. Und die Sehnsucht war da, keine Frage. Aber wie lange noch? Würde er das Warten auf den anderen nicht irgendwann leid sein? Er wusste es nicht.

Kieran hörte den Erklärungen hinsichtlich Redar und Zafir zu. „Ich hoffe, ich bekomme die Gelegenheit, ihnen zu zeigen, dass ich als Arzt nicht ganz unbegabt bin“, sagte er schließlich. Dann begann er zu erzählen, wie er zur Medizin gekommen ist, wie seine Mutter ein Interesse gefördert hat, wie sie mit dem fahrenden Medicus gereist sind, dass er - egal wo er war - versucht hat, den Menschen zu helfen, und wie er schließlich zum Stipendium gekommen war. Er verschwieg, dass Nico derjenige war, der für das Stipendium letztlich der Bürge war, aber Kieran wusste, dass Nadim sich das denken konnte. Als sie schließlich abgelöst wurden, ging auch Kieran ins Bett, las noch einmal Johns Brief. Wenigstens einer, der sich darum zu kümmern schien, wie es ihm ging.



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