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Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

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London - Balanceakt auf dem Dach

Dominico

Es war in Kierans Gesicht förmlich abzulesen, dass in ihm mal wieder die Emotionen abwechselten. Vielleicht würde es sich mit der Zeit geben, dass Kieran das Temperament, für das Nico ihn eigentlich gerade mochte, etwas zurückschraubte, wenn sie nicht gerade zu zweit allein waren. Das Essen, das aufgetragen wurde, schmeckte nicht nur gut, sondern wirklich herrlich und Nico langte ordentlich zu. Er aß öfter mit John zusammen, doch heute hatte sich der Koch wirklich übertroffen. Als Kieran sich mehr oder weniger entschuldigte, musste Nico fast schon lachen. Ja, Kieran war wohl nicht nur manchmal, sondern eher immer misstrauisch. Vor allem wenn ihm scheinbar etwas Gutes passierte, war er immer der Meinung, dass es eigentlich nicht sein konnte und verteufelte es so lange, bis er sich absolut sicher sein konnte, dass es doch etwas Gutes war - oder bis er keine andere Wahl hatte, als damit zu leben.

Jetzt akzeptierte er die Situation wohl und die Situation wurde wesentlich angenehmer. Die Stimmung lockerte sich, während Kieran und John gleichermaßen Geschichten zum Besten gaben, die Nico wohl eher dazu veranlassten, nie wieder einen Arzt aufzusuchen, sondern lieber zu sterben aber anscheinend hatten die beiden Mediziner den gleichen Humor und so war es doch auch gut, dass die beiden sich mehr oder weniger freiwillig gefunden hatten. Sie würden eine gute Arbeit zusammen leisten und bei John konnte Nico sicher sein, dass Kieran auch an keinen Quacksalber gekommen war. John würde ihm auch in Sachen Benimm einige Lehrstunden geben und Kieran würde lernen, sich sicherer am Hof und in dieser Gesellschaft zu bewegen, was sicher ein Vorteil sein würde, unabhängig davon, ob Kieran sich dabei wohl fühlte oder nicht - man tat das mehr, um zu überleben.

Der Abend schritt fort und John war die Müdigkeit langsam deutlich anzusehen. Der Arzt hatte einen langen Tag hinter sich und das Studium der Schriftrollen machte seine Augen müde. Nico bemerkte bald, dass es unhöflich wäre, noch länger zu bleiben, und so erhob sich Nico als Ranghöchster zuerst. "Ich glaube, wir können diese Runde auflösen. Anscheinend hat Mr. Carney keine Fragen mehr und all zu spät sollten wir alle nicht zu Bett gehen, denn während für Mr. Carney morgen die Vorlesungen beginnen, habe ich morgen früh ebenfalls einen Termin." Das war zwar gelogen, aber die Höflichkeit gebot da schon etwas Vorsicht. John griff den Vorschlag auf und nickte bekräftigend. "Ich würde vorschlagen, ihr besucht für ein, zwei Wochen zunächsteeinmal die Vorlesungen und arbeitet weiterhin wie gehabt bei Mr. Forbes - danach werde ich mich bei euch melden, so dass ihr auch meine Konsultationen begleiten könnt." Immerhin musste da noch etwas vorbereitet werden, er musste seine Patienten erst fragen, ob es für sie in Ordnung war, einen Lehrling mit in die Untersuchung zu bringen. Ein Diener kam, der sie hinaus aus dem Palast geleiten würde, und Nico schüttelte John noch einmal die Hand zum Abschied. "Ich werde Mr. Carney sicher nach Hause geleiten, es liegt ja ohnehin auf dem Weg", versprach er, ehe er mit Kieran den Gang hinunter und aus dem Palast zu den Stallungen lief. Ihre Pferde waren bereit, als sie den Hof betraten, das war der "Vorteil" an einem langen Weg. Nico stieg in den Sattel und wartete bis Kieran Niamh zu ihm gelenkt hatte, ehe sie gemeinsam über den von Fackeln erleuchteten Hof ritten und ihn schließlich verließen. Nico schwieg, während sie sich immer weiter vom Palast enfernten und schließlich in Gassen kamen, in denen sie keine Angst mehr haben mussten, belauscht zu werden. Nico räusperte sich und sah zu Kieran hinüber. "Ich hätte mich früher melden können, ich weiß.. aber ich hatte Angst, du würdest nicht schreiben...", gab er unumwunden zu. Kieran würde ihn ohnehin fragen, so gut kannte er ihn inzwischen schon.
 

Kieran

Es war wirklich angenehm, mit dem Mediziner zu reden und Kieran genoss es, den Mann, mit dem er nun in Zukunft wohl öfter zu tun haben würde, so kennen zu lernen. Es war ihm so lieber, als wenn der Arzt jemand wäre, mit dem er nicht so gut konnte, oder der ausnehmend distanziert und streng war. Sicher, Dr. Chambers hatte eine ganz natürliche Ausstrahlung und Autorität und Kieran würde nie der Gedanke kommen, diese irgendwie in Frage zu stellen, aber es war angenehm, sich auch einfach mit ihm gut zu verstehen.

Als Dominico aufstand, fühlte sich Kieran entspannter als vor dem Treffen, und bereit, sich einfach nur auf das, was kommen würde, zu freuen. Und dass dieses „Zukünftige“ bereits am nächsten Morgen begann, wurde ihm soeben mitgeteilt. Er sollte bereits morgen in die Vorlesungen gehen? Dank John wusste er, wann welche Vorlesung stattfand und welche sich lohnten und welche nicht. Er würde sich schnell zurechtfinden und dennoch spürte er den kurzen Adrenalinstoß, der ihm durch die Adern schoss, bei dem Gedanken daran, morgen als Student die Universität zu betreten. Es war Freude, pure Vorfreude. Auch Kieran erhob sich und nickte auf die Anweisungen seines Mentors. „Wie Ihr wünscht“, sagte er höflich, ein wenig wusste er ja, wie das ging.

Als er sich mit einem „Ich warte auf Eure Anweisungen und vielen herzlichen Dank!“ von Mr. Chambers verabschiedete und auch Nico dem Arzt die Hand reichte, sprach Dominico aus, was er nur zu hoffen gewagt hatte, nämlich dass dieser ihn noch nach Hause geleiten würde. Und auch wenn ganz kurz, einen ganz kleinen Augenblick etwas in ihm sagte, er solle vielleicht lieber nicht darauf eingehen, so war diese Millisekunde schon wieder vorbei, bevor sie recht realisiert worden war. Vielmehr war er froh, nun doch noch die Möglichkeit zu bekommen, ein paar Worte mit Dominico ungestört reden zu können. Was war schon dabei, sich von ihm nach Hause bringen zu lassen? „Belüge dich nur weiter selbst, Kieran“ – ihm war mehr als bewusst, dass er sich viel mehr als nur einen Heimweg wünschte.
 

Stumm gingen sie durch den Palast, traten zu den Pferden und Kieran schwang sich in den Sattel seiner Stute, die in der letzten Zeit wirklich zu kurz gekommen war und die die nächste Zeit sicher nicht viel mehr Zeit von ihm bekommen würde. Er hatte sich schon überlegt, ob er sie nicht bei seinen Eltern lassen sollte. In London brauchte er sie selten. Aber es ging ihr bei der Schmiede, in der sie stand, auch nicht schlecht.

Es war eine klare, aber kühlfeuchte Nacht. Da es tagsüber geregnet hatte, war die Nacht frischer, als die letzten sommerlichen Nächte schon gewesen waren. Sie ritten schweigend einige Zeit dahin und langsam wurde die Stille Kieran schier unerträglich. Aber was sollte er sagen? Dass er sich geärgert hatte? Dass es ihm leid tat? Dass er Angst hatte? Kieran wusste nicht so recht, wo er anfangen sollte, aber Dominico nahm ihm das ab. Erstaunt blickte er zu dem anderen hinüber. Da war sie wieder, diese unfassbare Ehrlichkeit ihm gegenüber, die ihn immer und immer wieder entwaffnete. Wie sollte er diesem Mann nur jemals wiederstehen können? Es war undenkbar. Kieran senkte den Blick, überlegte kurz, dann sah er den anderen wieder an. „Ich habe auch eine ganze Zeit lang nicht geschrieben“, sagte er dann. „Ich…“ Ja, was? „Ich hatte Angst davor, dir wieder zu begegnen“, fuhr er fort. „Ich wollte erst wirklich Fuß gefasst haben, bevor ich dich wieder sehen wollte. Und das habe ich jetzt.“ Er lächelte den anderen an. Der Weg zu Mr. Forbes war nicht lang und sie würden nicht lange brauchen. Der Weg würde viel zu kurz sein, um zu reden, um in Ruhe zu reden. „Entschuldige, dass ich dir vorhin Vorwürfe gemacht habe. Ich war nur völlig überfordert und wusste nicht, was ich von der ganzen Geschichte halten sollte.“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich denke du weißt, dass ich dieses Gefühl des ‚Schuldig Seins‘ einfach nicht aushalte.“ Er zügelte Niamh und blieb stehen. „Niamh steht hier im Stall“, sagte er dann und sah den anderen an. „Ich weiß, dass du morgen früh bald raus musst, aber hast du vielleicht doch noch Lust, zu mir mit hinauf zu kommen?“

Dass der andere bejahte freute ihn, und doch wusste er, dass es fatal sein könnte. Es stand zwar noch in keinster Weise zur Debatte, aber wenn… Kieran mahnte sich dazu, nicht ständig irgendwelche „Wenns“ zu denken, das hatte er in den letzten Wochen schon genug getan. Niamh war schnell versorgt und auch Nicos Hengst erhielt eine Box, dann gingen sie die letzten Meter zu Fuß.

„Ich hatte Glück, dass ich Mr. Forbes getroffen habe“, erzählte er nun. „Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können. Nun, zumindest bis gestern dieses andere Angebot kam.“ Er grinste leicht. Es war nun mal so, dass sich jetzt seine Träume erfüllten. „Komm mit, ich zeige dir, wo ich wohne“, unüberlegt und aus reinem Reflex ergriff er die Hand des anderen und zog diesen mit sich die Stufen hinauf unters Dach. Ja, es war fatal. Wenn Dominico ihm irgendwas signalisieren würde, würde er darauf einsteigen, das wusste er. Zu groß war die Sehnsucht, verdammt, verdammt zu groß.

Sie betraten sein Zimmer. Im Rest des Hauses war es ruhig, aber es war ja auch schon spät. "Komm herein und fühl dich wie zu Hause“, sagte er leichthin. Kieran streifte die Schuhe ab, öffnete die Dachluke, um ein wenig frische Luft hineinzulassen, dann machte er sich daran, das Holz in seinem Ofen nachzulegen und die Glut wieder aufflammen zu lassen. Auch wenn es tagsüber recht warm war, so war es momentan nachts schon manchmal recht frisch. Dann drehte er sich zum Tisch um, und räumte die Bücher zur Seite, die darauf lagen. Irgendwie hatte er das ganz dringende Bedürfnis, sich zu bewegen, um den anderen nicht ansehen zu müssen. Plötzlich blieb er stehen und sah Nico an. „Der schönste Ort hier ist aber ein anderer“, sagte er unvermittelt. „Darf ich ihn dir zeigen?“

Er stellte den Stuhl unter das Fenster und öffnete die Luke nun ganz. „Ich hoffe du bist schwindelfrei“, sagte er noch, dann zog er sich hoch und stieg die Stiegen hinauf, sich umdrehend, ob der andere ihm folgen konnte. Als er sah, dass dieser kein Problem hatte, stieg er die Stiegen ganz hinauf und setzte sich auf den Dachfirst. Viel Platz war nicht da und Dominico würde sich direkt neben ihn setzen müssen. Bisher war er auch nie zu zweit hier gewesen. Während sich der andere setzte, blickte Kieran über die Dächer der Stadt. Der Himmel war sternenklar und auch wenn es kühl war, fröstelte es ihn noch nicht. „Ich sitze oft hier, wenn ich es vermisse, einfach aufbrechen zu können“, erklärte er leise.
 

Dominico

"Und ich war schon der Meinung, du hättest die Angst vor dem Monster wirklich bei Seite gelegt", gab er schmunzelnd zurück, doch ihm war schon klar, dass sie beide sich vor dieser Begegnung im Zimmer des Arztes gefürchtet hatten. Kieran wieder zu sehen, wühlte die Sehnsucht in ihm auf, die er schon gespürt hatte, als sie beide gemeinsam eingeschlafen waren. Und es war doch richtig gewesen, Angst zu haben, oder? Der Blick in Kierans Augen hatten dessen Hände auf seinem Körper wieder lebendig werden lassen und gleichermaßen den erhobenen Zeigefinger gesellschaftlicher Moralvorstellungen, in die diese Beziehung so rein gar nicht passte. Kieran würde gehängt oder gevierteilt, Nico hatte einen verdammten Ruf zu verlieren. Sie beide würden unendlich tief fallen, und auch wenn Nico sich dem Todesurteil vielleicht würde entziehen können, es war alles andere als leicht, diese Zuneigung, die er empfand, und diese Sehnsucht nicht all zu öffentlich zu zeigen. Deswegen war es auch gut, dass die Dunkelheit seinen Gesichtsausdruck vor den wenigen Passanten, die um diese Zeit noch unterwegs waren, schluckte und dass sie sehr leise sprachen. "Du bist mir nichts schuldig.. ich verlange keine Gegenleistung von dir. Wenn es irgendwann etwas gibt, das du für mich tun möchtest, werde ich dich sicher nicht davon abhalten, aber etwas von dir fordern, deswegen werde ich wohl nie... wobei man das ja grundsätzlich niemals ausschließen sollte, nicht wahr? Wer kennt sich schon selbst gut genug dafür?" Als sie anhielten und Kieran abstieg, überlegte Nico wirklich kurz. Natürlich wollte er gehen und er verfluchte sich schon jetzt für das leichte Ziehen in seinen Lenden, doch er stimmte nicht deswegen zu. Er haderte mit sich, weil er nicht in Erklärungsnot vor Kierans Vermieter kommen wollte, oder vor dessen Sohn. Nicos Nachforschungen waren ja gründlich genug gewesen und... naja, es gab gewisse Anzeichen dafür, dass sie drei eine Leidenschaft teilten.

Da es keinen anderen Stall gab, brachte auch Nico seinen Hengst dort unter und gab dem Jungen Geld dafür, dass er sein Pferd in genau diesem Zustand wieder vorfand, und all sein Sattelzeug, das dazu gehörte auch. Sie verließen die Stallungen und gingen die Straße hinab, zu dem Teil des Hauses, das Mr. Forbes bewohnte. Es teilte sich eine Wand mit dem Nachbarhaus, alle diese Häuser waren eng und vor allem hoch, nicht sehr breit. Das Ladenschild lag im Dunkeln, doch Nico wusste wie der Laden am Tage aussah. Gerade als er hinter Kieran durch die Türe war und sie geschlossen hatte, wurde er schon an der Hand gegriffen und mit gezogen - Nico musste ein Auflachen unterdrücken. Das hatte ja schon fast den Anschein einer Tochter, die ihren Liebhaber vor ihrem Vater verstecken wollte. Nico verlor dabei fast die Satteltasche, die er mitgenommen hatte, denn dort war noch etwas für Kieran aufbewahrt. Er stolperte mehr in Kierans Zimmer, als dass er lief, doch es war ein wirklich schöner Raum. Nicht riesig aber ordentlich und es duftete nach vielen verschiedenen Kräutern, ganz typisch Kieran eben. Er wollte ihm gerade schon ein Kompliment machen für dieses "Sesshaftwerden" in London, doch Kieran kam ihm zuvor als er die Dachluke öffnete und halb hinaus stieg. Nun, reden konnten sie ja auch dort oben.. also folgte Nico Kieran kurzerhand auf das Dach.

Es war wie üblich sehr steil, doch zwei Vorsprünge sorgten dafür, dass man nicht das Gefühl hatte, ganz am Abgrund zu sitzen. Nico zog sich auf den Dachfirst und setzte sich direkt neben Kieran, weil es anders nicht ging. Dessen Körper an seinem löste ein heißes Kribbeln aus, doch Nico bewegte sich nicht weiter. Sein Blick glitt über die dunkle Stadt und die wenigen Lichter, die man hier und da sah. "Es ist ein wirklich schöner Platz. Hier oben hat man das Gefühl, als sei es gar nicht das Enge London mit seinen düsteren kalten Gassen... ich kann mir vorstellen, dass dir das gefällt. Und ich in froh, dass dir London gefällt und es nicht dumm war, dir diesen Schubser in die richtige Richtung zu geben. Hier...", er klopfte auf die Satteltasche und reichte sie dann dem Schwarzhaarigen, "ist noch etwas für dich. Ich hoffe es gefällt dir." In der flachen dunklen Box war ein Studentenornat mit Robe und Hut, aus feinsten Stoffen. "Du hast es gut getroffen. Ich bin wirklich froh, dass du hier unter gekommen bist und jetzt die Chance hast, noch weiter voran zu kommen.. aber du warst doch sicher nicht die ganze Zeit hier, oder? Was hast du in der Zeit getrieben, in der ich für London den Diplomaten gespielt habe? Ich meine.. dein Leben hier, wie ist es? Was hast du hier erlebt in London, seit ich in Camebridge gegangen bin?" Es interessierte Nico wirklich, er wollte wissen, wie es Kieran ergangen war, auch in seiner Familie.
 

Kieran

Er musste unwillkürlich grinsen, als Dominico auf ihre Frotzeleien damals in Cambridge anspielte. "Man fängt zu sehr an, nachzudenken, wenn so viel Zeit vergeht." Cambridge - es lag nun schon wieder so weit weg, Dominico war so weit weg gewesen. Aber jetzt war er unverhofft wieder bei ihm, ganz nah. Er hatte ja viel über diesen Moment nachgedacht, aber all die Gedanken waren wie weggeblasen. Besonders die, die ihn warnen sollten, sich noch einmal auf ihn einzulassen.

Als Dominico ihm letztlich erneut versicherte, dass er ihm nichts schuldig sei, beruhigte ihn das. Besonders, weil Dominico einfach wieder ehrlich war. Sicher, niemand konnte jemals etwas ausschließen... "Never say never!", war ein durchaus richtiges Sprichwort. Aber gerade weil er das sagte, klang es so glaubhaft, dass er es eigentlich nicht vorhatte, Kierans "Schuld" einzufordern. Und dass ihm das letztlich selbst offen stand, dem anderen zurück zu geben, was dieser ihm gegeben hatte, stand einfach auf einem anderen Blatt.
 

Den anderen so dicht neben sich zu spüren, tat gleichermaßen gut wie weh. Er müsste nur die Hand ausstrecken und könnte sie in den Haaren des anderen versinken lassen, er müsste sich nur etwas strecken und könnte ihn küssen. Aber er tat es nicht. Dafür genoss er die Wärme, die er an seinem Bein spürte, wo er Dominico berührte.

"Ja, ich fühle mich hier ein wenig befreiter, besonders an heftigen Tagen, wenn man traurige Dinge erlebt", stimmte er dem anderen zu, als dieser sich über seinen Lieblingsplatz ausließ. Dass Dominco der erste war, mit dem er diesen Ort teilte, das musste er ihm ja nicht sagen. "Und es war definitiv nicht dumm, ganz im Gegenteil. Und wegen vorhin: sei dir meiner Hilfe immer bewusst, wenn du sie brauchst."
 

Als der andere ihm die Schachtel reichte, sah er ihn überrascht an, nahm sie perplex entgegen. Er hatte sich gewundert, warum er die Satteltasche mit aufs Dach genommen hatte. Er war davon ausgegangen, dass darin Dinge waren, die er nicht in den Stallungen hatte lassen wollen. Auf die Worte des anderen hin, es sei etwas für ihn darin, öffnete er sie. Durch die Dunkelheit hier oben, konnte er nicht gleich erkennen was es war. Der Stoff fühlte sich weich und geschmeidig an. Einen solchen Stoff kannte er, könnte ihn sich aber niemals leisten. Er sah Dominico verwirrt an, bis er den Cambridge-Hut herauszog und ihm klar wurde, was da in der Satteltasche war. Ein breites Grinsen war die Folge. Dominico hatte ihm doch tatsächlich eine Robe geschenkt. Er hatte eine alte von John bekommen, damit er erstmal was hatte, und nicht zu sehr auffiel aber nun hatte er eine eigene. "Ich danke die, Dominico", sagte er leise und beugte sich zu diesem, um ihn kurz zu umarmen. Kurz, weil er Angst hatte, nicht mehr loslassen zu können, wenn die Umarmung länger dauern würde. "Ich fand die Studenten ja immer ziemlich affig damit, habe mich köstlich über sie amüsiert. Daher wird es wohl etwas dauern, bis ich mich darin wohlfühlen kann. Aber mittlerweile weiß ich auch, dass das Tragen dieser Robe mit einigem Stolz zusammenhängt, den ich definitiv auch empfinde", plapperte er los, um seine Verlegenheit zu überspielen. "Sie fühlt sich wundervoll an. Ich danke dir von Herzen." Der Geruch des anderen, den er bei der Umarmung deutlich wahrgenommen hatte, ließ ihn schwindeln. Und wie so oft stellte sich ihm wieder die Frage: Wie konnte es eigentlich sein, dass man jemandem so verfallen war? Es war unfassbar.

Dominico wischte seine Unruhe weg, als dieser ihn fragte, wie es ihm in der Zeit ergangen war, in der er nicht da gewesen ist. "Seit Cambridge?", fragte er nach und dachte einen Moment nach. "Es ist viel passiert, seit du weggeritten bist", begann er dann. "Mein Schwager hat uns gesehen, bei der Verabschiedung", begann er zögerlich zu erzählen und allein der Gedanke an diesen Abschied löste ein Kribbeln in seinem Bauch aus. "Es gab einigen Stress dadurch in meiner Familie und gibt es auch jetzt noch. Gregor ist ein intoleranter Vollidiot, aber er steht da zum Glück recht alleine da. Dennoch merke ich auch so, dass ich mich auf eigentümliche Art und Weise von meiner Familie entferne und ich weiß noch nicht, wie gut mir das tut. Ich habe in London einfach eine andere Art zu leben und zu denken kennengelernt und es kommt mir vor, als würde ich in zwei, wenn ich jetzt bald studiere wahrscheinlich in drei Parralleluniversen leben." Er sah den anderen fragend an, ob er verstand, was er meinte. "Ich habe mich von meiner Familie losgelöst, aber noch nicht wieder Wurzeln geschlagen. Manchmal ist das Gefühl, in der Luft zu hängen, sehr stark, manchmal weniger. Ich denke dieser Prozess dauert noch ein wenig, bis ich wieder fest und sicher auf dem Boden stehe." Er schüttelte den Kopf. "Aber das hast du ja nicht wirklich wissen wollen", sagte er und überlegte. "Was ich in London erlebt habe..." Er überlegte kurz, dann begann er zu erzählen: Wie sie sich in Tottenham niedergelassen hatten, dass er sich mit seinem Vater und seiner Mutter ausgesprochen hatte, was Cambridge betraf, dass er dann begonnen hatte, London für sich zu entdecken, sich erst einmal zurecht zu finden, schließlich sogar herzuziehen. Er erzählte lachend von diesem Bettenlager, wo er anfangs war, einfach, um hier mal den Fuß in die Tür zu bekommen. Er berichtete, wie er zu Mr. Forbes gekommen war, dass er in dessen Sohn einen Freund gefunden hatte, mit dem er auch nachts um die Häuser ziehen konnte und der ihm von dem Leben an der Uni erzählte. Eigentlich erzählte er ihm alles, bis auf die Tatsache, dass er sich versucht hatte abzulenken, um sich Dominico aus dem Kopf schlagen zu können. Das musste der andere nicht wissen, fand er. Schließlich schwieg er. "Und bei dir? Wie war die Reise nach Schottland. Ich nehme an, du hattest dort oben einiges für den König zu regeln. Wie geht es deinem Bruder? Und Amadeo?"
 

Dominico

Es lockerte die Stimung zwischen ihnen eindeutig auf, sich ein wenig an Camebridge zu erinnern. Ihnen beiden war dort eigentlich nur Gutes widerfahren, zumindest wenn man sah, was sie beide miteinander gemacht hatten. So war aus einer so willkürlichen Begegnung, die nichteinmal hätte stattfinden müssen, doch noch etwas anderes, etwas geworden, das sich jetzt hier auf dem Dach beinahe wie eine langjährige Freundschaft anfühlte. Für Nico war es beinahe so, als wären sie in Camebrdige niemals aus dem Haus gegangen, sondern direkt hinauf auf das Dach, so als seien die Wochen, die seither vergangen waren, gar nicht passiert und als habe er nicht versucht, Kieran so krampfhaft zu vergessen. Er sah ihn von der Seite an, als Kieran ihm stets seiner Hilfe versicherte und Nico nickte langsam, so dass Kieran es in der Dunkelheit auch sehen konnte. Der Mond spendete leidlich Licht, aber man sah genug. "Danke, ich weiß das sehr zu schätzen. Ich bin sicher, dass ich deine Hilfe früher oder später wirklich brauchen werde.. oder jemand aus meiner Familie." Dann packte Kieran die Robe aus und Nico rieb die Hände aneinander. Was, wenn Kieran schon eine hatte und sie gar nicht brauchte? Was, wenn er sie nicht mochte, weil sie aus so feinem, teuren Stoff war? Doch wenn Kieran eines an der Uni lernen musste, dann dass es nicht nur purer Fleiß war, der einen weiter brachte. Nein, leider waren es auch hier gute Beziehungen. Viele der älteren Dozenten legten großen Wert auf das Erscheinungsbild ihrer Studenten und werteten die, mit etwas abgetrageneren Roben ab, obwohl es gerade diese jungen Männer waren, die durch ihr Können und nicht durch ihren Namen an die Universität gekommen waren. Nico wollte für Kieran den besten Start und anscheinend gefiel auch Kieran diese Geste. Er brauchte im Dunkeln kurz, um zu erkennen, was es war, doch dann kam die ehrliche Freude darüber zum Ausdruck und kurz darauf umarmte ihn Kieran. Es war nur eine kurze Umarmung aber... Nico ging sie durch und durch. Er roch Kierans Haar, fühlte seinen Körper durch die Kleidung, die er trug, und spürte seine Wärme. Sein Herz rutschte in seine Hose und pochte nur umso heftiger. In seinem Hals bildete sich ein Klos und er winkte nur ab, ehe er sich räuspern musste, um überhaupt sprechen zu können. War das normal? Mit Sicherheit nicht. Sein Gehirn machte aus Kieran beinahe soetwas wie eine Heiligenfigur. Was zur Hölle war nur los mit ihm, sonst war er doch wirklich nicht so leicht zu beeindrucken. Doch irgendwie... es war zu einer Situation gekommen, in der NIco fast das Gefühl bekam, er sei derjenige, der Kieran nachstellte, nur mit dem Unterschied zu einer Frau, dass Nico Kieran nie bekommen konnte. Eigentlich machte gerade dieser Umstand die Jagd so sinnlos, doch Nico schien sie geradewegs noch anzustacheln. Er wollte sich am liebsten selbst dafür ohrfeigen.

Deswegen war es ihm gar nicht so unrecht, jetzt ein wenig erzählt zu bekommen. Zum einen hörte er so Kierans angenehme Stimme, zum anderen konnte er sich so wieder beruhigen und auf das Wesentliche konzentrieren. Die Neuigkeiten waren zumindest aus seiner Sicht alles andere als gut. "Er hat uns gesehen?", echote er, wenig begeistert. "Ich hoffe nur, dass es so ist wie du sagst und er besser den Mund darüber hält... ich will nicht in eine Situation kommen, in der ich dir oder jemandem aus deiner Familie weh tun muss.." Denn Nico hatte nicht vor, Kieran oder sich selbst an den Pranger stellen zu lassen, nur weil so ein intoleranter Bock an der falschen Stelle die falschen Informationen fallen ließ. Nico würde Konsequenzen ziehen und die konnten für Gregor alles andere als angenehm sein. Doch alles andere was Kieran erzählte klang gut. Es klang nach Aufbruch, nach neuen Horizonten und für Kieran war es sicher ein großer Fortschirtt, auch wenn er sich noch nicht ganz so heimisch fühlte.

Doch Kieran hatte London auf eine Art kennen gelernt, die NIco bisher immer fremd gewesen war. Von den Bettenlagern hatte er nichteinmal gewusst und so fragte er hier und da immer wieder nach, während die Nacht voranschritt und der Mond sich endlich ganz durch die Wolken kämpfte, so dass es wesentlich heller wurde. Nico konnte Kierans Gesicht im Mondschein sehen und die Barriere zwischen ihnen verfiel zusehends, sie lachten gemeinsam und es tat unendlich gut, Kraft daraus zu schöpfen über so "belanglose" Dinge zu sprechen. "Ich glaube wirklich Mr. Forbes ist ein Fortschritt zu deiner Ankunft hier. Das Zimmer ist herrlich, ich hoffe es wird deinem Studium auch genüge tun. Naja, wie ist es mir ergangen.. glaub mir, diese Reisen sind so ermüdend." Er fuhr sich durchs Gesicht und strich die Haare nach hinten ehe er die Handschuhe auszog die er noch immer trug. "Ich war ja nicht allein, Charles Brandon, Duke of Suffolk, ist mit mir gekommen. Und ich glaube, das war auch das Einzige, das mich das hat durchstehen lassen. Man braucht einfach noch jemand anderen, um das auszuhalten. Überall wo du hinkommst, wird nur geredet und geredet.. man sagt, man respektiere Henry und überall lobt man wie gut er zu den Menschen ist, und dass er Frankreich gut im Zaum hält... und dann, wenn du auf einen Empfang gehst... also auf einem, auf dem wir waren, da hat man zu unserer Belustigung ein Theaterstück aufgeführt. Die Schotten sind sehr katholisch, als Thema wählten sie die vielen Mätressen des Königs und stellten es so dar, als sei es eigentlich Katharina, die ihrem widerlichen Bettgefährten überdrüssig ist, und Anne vorschiebt, um den König aus ihrem Bett fortzuhalten. Oder sie machen eine Komödie aus dem Leben bei Hof. Und dann sitzt du da und bist verdammt nochmal gezwungen zu lachen, auch wenn du nur dein Messer ziehen und ihnen die Kehle durchschneiden willst, verstehst du? Charles und ich haben uns nicht nur einmal einfach davongestohlen und sind in einer Taverne versackt. Immer mit der Begründung, es ginge Henry nicht um die Herrschaften, sondern um das Volk. Ohne dich beledigen zu wollen, aber Menschen wie deine Familie sind mit ein bisschen Freibier wesentlich einfacher zu beeindrucken, als dieses ganze falsche Getue auf den Empfängen. Und immer diese Frauen, frag nicht", wieder winkte er ab. "Ständig kommen irgendwelche 'Damen' an dich heran. Entweder sie wollen auf Empfängen tanzen oder sie irren sich ausversehen im Zimmer - ja klar. Einflussreiche Familien setzen ihre Töchter förmlich an auf Diplomaten.. So als könnten sie mir im Bett einflüstern, was ich dem König sagen soll. Das Schlimmste ist, dass es so junge Dinger sind. Sie sind hübsch keine Frage, aber aus ihnen kommt immer nur das Echo der Worte ihres Vaters.. nicht so wie bei dir." Er gluckste. "Allerdings würden die es sicher kaum wagen, mir je zu widersprechen. Das war schon fast angenehm." Er wollte Kieran nur etwas aufziehen, meinte es aber nicht böse. "Meinem Bruder und Amadeo geht es gut.. Mein Bruder ist noch nicht lange wieder hier, den Jungen hat er übrigens nicht mitgebracht. Finley war wohl wirklich ein wenig in Angelegenheiten verstrickt, die den König betrafen, und mein Bruder hat mit aller Härte durchgegriffen. Naja, eigentlich nicht mein Bruder, sondern Henry, aber mein Bruder hat ihm alles zugespielt, was er dazu wissen musste... Amadeo geht es auch gut. Er ist allerdings letztens vom Pferd gestürzt und hat sich wohl einige Prellungen zugezogen. Wir sind gerade dabei, drei junge Hengste einzureiten - für ein Turnier. Ich habe vor, nächstes Jahr den König zu schlagen, zumindest im ersten Lauf. Danach werde ich zusehen, dass ich falle, bevor seine Lanze meinen Schild trifft." Man beschwor Henrys zornigen Ehrgeiz besser nie. "Naja, mehr gibt es kaum zu berichten. Es tut gut, wieder in London zu sein und sich nur noch mit den Intrigen hier befassen zu müssen, nicht auch noch mit denen in Schottland. Und ich bin froh zu sehen, dass du es geschafft hast.. wirklich geschafft hast. Ich bin sicher, du wirst diese Arbeit sehr gut machen. Und ich bin froh, dass es dir gut geht und ich dich nicht wieder aus dem Kerker fischen musste." Er lächelte verschmitzt ehe der Ausdruck in seinem Gesicht wieder ernster wurde. "Nein wirklich.. ich bin sehr froh dich glücklich zu sehen." Er wollte mehr sagen, fühlte es.. aber er tat es nicht aus Angst, dass Kieran es nicht hören wollte und dass er zu weit ging, wenn er sprach. So schwieg er und genoss ihre Nähe, die intensiver geworden war, seit Kieran ihn umarmt hatte.
 

Kieran

Kieran hatte auch darüber nachgedacht, was er tun würde, wenn Gregor an der richtigen Stelle nicht die Klappe halten würde. Er wusste, was da auf dem Spiel stand, wobei ihm seine Haut vergleichsweise egal war. Er wollte nur eines nicht: dass Dominico deswegen Probleme bekam. Und die würde dieser bekommen, wenn Gerüchte im Umlauf wären, die von seiner sexuellen Neigung berichteten. Es war ja nicht so, dass nicht einige Männer von Stand sich Lustknaben hielten, aber alle waren immer schnell dabei, mit dem Zeigefinger auf jemanden zu zeigen, wenn es darum ging, seine eigene Macht auszubauen. Und das hatte er mit seinem Vater auch bereits besprochen. Er vertraute seinem Vater, dass er Gregor genug ins Gewissen redete, dass er die Klappe zu halten hatte. Aber sicher konnte man freilich nie sein. Aber erst in diesem Moment, als Dominico ihm andeutete, hart durchgreifen zu müssen, falls er und sein Ruf in Gefahr waren, wurde ihm bewusst, dass dadurch seine Familie, und wenn es nur ein unliebsamer Teil dieser war, in Gefahr war. „Mein Vater und ich haben darüber geredet und er hat mir versichert, dass Gregor schweigen wird“, sagte er nachdenklich. „Ich werde mit meinem Vater darüber noch einmal reden. Wenn er mich nur noch als Hure betitelt ist mir das egal, aber wenn er dich diffamieren würde, würde ich ihm - glaube ich - selbst die Kehle durchschneiden.“ Er sagte das, weil er es wirklich so dachte. Er hatte schon getötet, zwar nur Tiere, aber emotional war Gregor für ihn nicht mehr wert, als ein Tier, oder eher noch viel weniger. Ob er es dann wirklich können würde, stand auf einem anderen Blatt.

Ja, ihr Gespräch war unheimlich angenehm. Kieran tat es in der Seele gut, mit jemandem „Unbeteiligten“ über seine Erfahrungen zu reden und seine Meinung zu hören, auf die er viel hielt. Und es war interessant zu sehen, dass Dominico „sein“ London nicht genauso gut kannte, wie er. Das schloss er zumindest aus der Neugierde und den Fragen des anderen. Wenn er ihn doch nur einmal mitnehmen könnte. „Wenn du möchtest“, so sagte er irgendwann, „dann kannst du uns gerne mal begleiten, falls dir das möglich ist.“ Warum nicht? Also klar, wenn man ihn erkannte, aber würde man das in den Studentenkreisen? Vielleicht die aus dem Adelsstand, ja. Hm, gar nicht so einfach. Und in die Szene der jungen Männer mit Interesse am männlichen Geschlecht? Da konnte es unter Umständen auch eher problematisch werden. Und einen schönen Abend zu zweit wollte er ungerne mit einem Dolchstoß enden lassen. Er senkte den Blick, als er begriff, was er da gesagt hatte. „Aber das wird wohl eher nicht der Fall sein…“, fügte er daher hinzu und irgendwie machte ihn diese Erkenntnis traurig, auch wenn er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.

Über das Kompliment zu seinem Zimmer lächelte er. Ja, er fühlte sich dort unheimlich wohl, fand dort die nötige Ruhe, die er dringend brauchte. „Das wird es“, sagte er nur und lauschte dann den Ausführungen des anderen, der über seine Reise nach Schottland berichtete. Also hatte er sich nicht getäuscht, dass der andere ein wenig abgekämpft aussah, zumindest bestätigte er, dass es anstrengend gewesen war. Und nun erhielt er wieder einmal einen Einblick in eine Welt, die so ganz anders war, als alles, was er bisher erlebt hatte. Dieses hinterhältige, intrigante Verhalten kannte er im Kleinen, aber dass Nico wohl täglich ein Jongleur der Bälle der Macht und Informationen war und letztlich jederzeit selbst zum Spielball oder zur Zielschreibe werden konnte, das war wirklich etwas, was er in diesem Maße noch nicht erlebt hatte. „Ich kann gut nachempfinden, dass man in solchen Situationen gerne einfach mal geht und sich in unkompliziertere Situationen bringt“, warf er ein, als er erklärte, dass er hin und wieder hatte fliehen müssen. Er wäre wahrscheinlich schon viel früher gegangen, als es Nico wohl getan hatte, oder gar nicht erst gekommen. Als Dominico dann aber mit den Frauen anfing, horchte er auf. Hofdamen… Er hatte sie bei diesem seltsamen Tennisspiel gesehen, wie sie gekichert hatten und die Männer bewundert und angeschmachtet hatten. Aber dass sie letztlich nur als Mittel zum Zweck missbraucht wurden, war wirklich heftig. Das hätte er so nicht gedacht. Und gleichzeitig versetzte es ihm einen kleinen Stich. Gut, Nico verwendete Konjunktiv, aber Kieran war klar, dass der Mann neben sich sicher kein Mann von Traurigkeit war und sich – wie er selbst im Übrigen auch – Zerstreuung und Ablenkung wovon auch immer suchte. Er durfte ihm daraus keinen Vorwurf machen. Wieso auch? Er hatte keinen Anspruch auf den anderen und würde ihn auch nie haben. Und dennoch wollte er lieber nicht darüber nachdanken, dass jemand anderes, womöglich eine Frau diesen schönen Mann in sich spürte, ihn schmeckte, ihn berühren durfte… Kieran wischte den Gedanken mit Ironie weg. „Du armes Opfer zwischen all den hübschen Frauen…“, bemerkte er trocken mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Doch in diesem Moment stichelte der andere schon in seine Richtung. Kieran hob die Augenbrauen und sah Nico abschätzend an. Dann knuffte er ihn mit dem Ellenbogen in die Seite, merkte, dass der andere entweder etwas kitzlig war, oder einfach überrascht zusammenzuckte, so dass er noch einmal knuffte. „Entschuldige, dass ich kein dummes kleines Ding bin, das einfach nachplappert, was man ihm vorträllert. Und vergleich mich bitte nicht mit denen. Ich kann nun mal für mich selbst denken und sage das, was ich meine.“ Er zog eine Schnute und die letztlich lustige Situation, die dadurch entstand, tat gut, den Gedanken gekonnt zu vertreiben, dass der Mann neben ihm wann immer er wollte Sex mit irgendwelchen Frauen – und vielleicht auch Männern - hatte.

Was er über Finley erfuhr stimmte ihn nachdenklich. Er kannte die Hintergründe ja, zumindest das, was ihm Dominco damals im Stall erzählt hatte. Und wenn jener sagte, Henry habe durchgegriffen, dann bedeutete das nichts anderes, als dass die Rebellen gehängt worden waren. Was das für Finley, der ja schuld an dem Desaster war, bedeutete war genauso klar. Die Zeiten für Revolutionen war noch nicht. Was gerade in den deutschen Ländern hinsichtlich Luther passierte würde in Großbritannien nicht im selben Maße funktionieren. Nun, aber was ging es ihn an? Nichts. Die Beweggründe der Rebellen und besonders die Art und Weise ihres Vorgehens hatten ihn noch nie überzeugt. Und nun noch weniger als vorher. Wie sollte sich etwas ändern, wenn man aufgeknüpft wurde? Lieber zeigte er allen, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied war.

Als Dominico nun von dem Turnier anfing, runzelte er die Stirn. Auch wieder etwas, woran er sich wohl kaum gewöhnen würde können. Man musste absichtlich verlieren, damit man nicht in Ungnade fiel. Er schüttelte leicht den Kopf, hörte aber weiter zu. Und nun kam wieder ein Punkt, der ihm vorhin schon ein wenig bewusst geworden war, sich jetzt aber umso mehr aufdrängte. Dominico lebte in ständiger Gefahr und daher auch sein Dank für sein Hilfsangebot vorhin. Nicht nur er, sondern auch sein Bruder (oder vielleicht vor allem der) lebten eigentlich in ständiger Todesangst. Über ihnen hing das Damoklesschwert, das in vielerlei Hinsicht von irgendwem auf sie herabgestürzt werden könnte. Und der Gedanke daran, dass jener in dem Turnier verletzt werden würde, bereitete ihm Unbehagen. Aber was sollte er sich vormachen? Er war eine rechte Hand des Königs und könnte jederzeit in den Krieg geschickt werden. Wenn er sich anstrengte und ihn irgendwann begleiten durfte, so würde er zumindest für sich sicher sein können, dass Nico im Falle einer Verletzung die beste Hilfe zukommen würde. Aber was, wenn er nicht da wäre? Und was, wenn er tödlich verletzt wurde? Das waren Gedanken, die ihm auf unbekannte Weise ängstigten. Besser nicht weiter darüber nachdenken…

Und weil Dominico nun begann, sich darüber zu freuen, ihn hier so wohlauf zu sehen, war das auch leichter als gedacht. Er lächelte, als der andere den Kerker erwähnte und blickte auf, als dieser aufhörte, weiterzureden. Das, was Dominico da gerade gesagt hatte, ließ ihn warm ums Herz werden.

„Mit den Hengsten, die du hast, wirst du alle Möglichkeiten haben. Das sind fantastische Tiere, beneidenswert meiner Ansicht nach“, sagte er und überlegte, wie er weitersprechen sollte. „Du lebst da schon in einer echt heftigen Welt, in der man wirklich jedes Wort, jede Geste, jede Mimik sich genau überlegen muss. Ich kratze da gerade selbst nur an der Oberfläche, und je mehr ich mitbekomme, desto mehr Angst bekomme ich vor dem, was noch auf mich zukommt. Ich bin es nicht gewohnt, mich zu verstellen und kann es auch nicht besonders gut, wie du weißt. Ich hoffe, ich lerne noch dazu, sonst werde ich wohl wirklich irgendwann wieder einsitzen.“ Er grinste leicht. „Und insofern bin ich noch viel glücklicher, dass du wohlauf bist und hier neben mir sitzt. Ich hoffe, du kannst dich hier ein wenig erholen von den ermüdenden Stunden der Diplomatie.“ Er hob die Hand und strich Dominico sacht eine Strähne hinters Ohr, streichelte einen Moment über dessen Haar. Und im selben Moment bereute er auch schon, das getan zu haben und zog daher die Hand wieder zurück.

„Mir wird kalt“, sagte er nun und rückte etwas weg, um sich Platz zu verschaffen, und hinunter zu steigen. Sorgsam packte er die Robe, mit deren Stoff er während ihres Gespräches ein wenig gespielt hatte, in die Satteltasche. Dann ließ er sich auf die erste Stiege des Kaminkehrers gleiten. „Magst du noch etwas trinken mit mir?“, fragte er dann und ihm fiel noch etwas ein. „Und ich möchte dir noch etwas zeigen.“
 

Dominico

Es gab viel zu berichten und Nico merkte kaum, wie die Zeit verging, doch als er beim nächsten Mal bewusst die Schläge der Turmuhr zählte, war es bereits kurz vor Mitternacht. Und doch hatte es sich angefühlt wie eine einzige Minute, die sie hier saßen. Er merkte, dass auch Kieran anfing sich seine Gedanken zu machen und eigentlich wollte er das ja gar nicht.. doch er wusste, dass auch Kieran weiter dachte und sich wahrscheinlich um seine Familie sorgte, die bei einem solchen Fauxpass leiden würde.

Zum Glück wechselte das Thema langsam zum angenehmeren, doch es war nicht einfach, das Gefühl zu verdrängen. Allerdings rückte es etwas in den Hintergrund als Kieran ihn so wegen der Frauen "bemitleidete", die Nico um sich hatte. Er schnaubte und schüttelte den Kopf. Von wegen.. er war wirklich arm dran, das musste man nur einen Abend lang mal mitmachen! Kieran hatte ja keine Ahnung. Daher fand er die Idee eigentlich gut, mal mitzugehen dorthin, wo Kieran hinging. "Ich glaube das ist eine gute Idee. Ich schneide mir die Haare ab und zieh mir irgendwas an, damit man mich nicht erkennt. Ich könnte grandioses Italienisch sprechen und so tun, als sei ich nur ein entfernter Verwandter von Dominico Sforza. Die wenigsten Leute hier in der Stadt kennen einfach so mein Gesicht." Das war einfach ein großer Vorteil wenn man außerhalb wohnte und wenn man sonst nur im Palast viel unterwegs war.

"Wir werden sehen, was sich ergibt, aber ich denke wir kriegen das sicher schon hin." Zumindest nahm Nico sich das fest vor. Sie saßen noch eine Weile schweigend da, nachdem sie sich ein wenig über seine Pferde unterhalten hatten. Ja.. sie waren stolze Tiere und er würde sicher einiges mit ihnen erreichen können. Und dann war es doch wieder da. diese Angst und diese Gefühle vor der Welt, in der er sich tagtäglich bewegte.. und Kierans Angst davor, darin nicht zu bestehen. "Ich werde dir helfen. Zur Not bekommst du Benimmunterricht von mir, glaub mir das." Er zwinkerte ihm zu, doch erstarrte mitten in der Bewegung als Kieran ihn berührte. Es war wie ein elektrisierender Schlag, den er bekam, das Gefühl schoss wie eine heiße Woge von der Stelle an der Kierans Hand seine Wange und sein Ohr berührt hatte hinab bis in seine Fingerspitzen und seine Fußspitzen. Und so saß er erstarrt da, als Kieran die Hand zurückzg und sich erhob, um wieder hinunter zu steigen. Gerade hatte er die Satteltasche vorgeschoben, um ganz zurück zu steigen, als Nico seine Hand griff und sie festhielt. Er saß schräg neben dem Abstieg, so dass Kieran fast schon auf Augenhöhe vor ihm stand. Im Mondschein sah er dessen Gesicht und die Gefühle, die sich darin widerspiegelten. Langsam hob er eine Hand, strich über Kierans Wange nach hinten bis in seinen Nacken. "Mir ist auch kalt..", sagte er leise während sich Nicos andere Hand auf Kierans Hüfte legte und ihn ein wenig näher zog. "Ich würde auf die Gesellschaft jeder Frau verzichten, wenn ich dafür nur deine haben könnte..." Doch weiter kam er nicht, denn er hatte sich Kieran bereits so weit genähert, dass er ihn küssen konnte. Es war wie eine Sucht und Kieran forderte ihn heraus, er musste es tun. Er wollte ihn spüren. Und so zog er ihn sanft in den Kuss, der nicht fordernd oder herrisch war, sondern zaghaft und zärtlich, ganz sanft und liebevoll. Und das Gefühl von Camebridge war auf einmal wieder da, diese tiefe Vertrautheit die Nico so gefehlt hatt.
 

Kieran

"Nicht die Haare", murmelte er im ersten Moment, als Dominico mit seinen Gedanken herausrückte, wie sie es doch bewerkstelligen könnten, dass sie mal gemeinsam ausgehen würden. An sich wäre das wirklich schön, und offenbar reizte es auch den anderen. Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen bei dem Bild, das er sich ausmalte, wie Dominico mit ihm und John in das 'Red Stallion' gingen, dem Laden, zu dem sie eigentlich am häufigsten gingen und das seinen Namen von dem mit roter Farbe an die Wand gemalte Pferd hatte.

Kieran lachte leicht. "Benimmunterricht?", fragte er nach. "Das wäre vielleicht keine schlechte Idee." Er seufzte tief und grinste dann leicht. "Aber ich fürchte, dass ich nicht ernst genug bleiben kann, wenn du ihn mir gibst." Tatsache war, dass er sich wahrscheinlich in der Anwesenheit des anderen auf so etwas kaum konzentrieren könnte... "Aber wir könnten es einmal probieren." Bevor er im Kerker oder gleich am Galgen hing, wäre das vielleicht wirklich etwas, was sie tun könnten, um das zu verhindern.

Kieran sortierte die Satteltasche so, dass er hinuntersteigen konnte, als ihn der andere an der Hand nahm. Verwirrt blickte er auf, merkte, wie sein Puls mit einem Mal sich beschleunigte und sein Herz hart gegen seine Brust schlug. Kieran wusste, dass er es provoziert hatte und dass der andere ihn festhielt, tat er sicher nicht, um ihn beim Hinabsteigen zu stützen... Ihre Augen hingen ineinander und in ihm tobte ein Feuerwerk von Gefühlen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als geküsst zu werden, und doch kam da jetzt auch wieder die Angst hervor. Die Angst vor den Folgen, wenn sie sich wieder so tief aufeinander einließen. Die Hand an seiner Wange fühlte sich so warm an, so sehnlich erwünscht. Wie von selbst neigte er den Kopf etwas, um sich an sie zu schmiegen. Er schluckte, als er die Worte hörte, die Hand in seinem Nacken spürend.

Scheiß auf Vernunft! Wer brauchte schon Vernunft?!

Die andere Hand an seiner Hüfte zog ihn näher an Dominico und die nun folgenden Worte ließen ihn erschaudern. Er wusste, dass sie wieder ehrlich waren. Und diese Worte implizierten viel - nicht nur die Hofdamen, Mätressen, nein auch Dominicos eigene Frau, oder? Aber er kam nicht wirklich dazu, darüber nachzudenken. Denn nun spürte er die Lippen des anderen auf den seinen und so, wie er ihn schon so oft überrascht hatte, tat er das auch jetzt wieder. Der Kuss war atemberaubend zärtlich. Kieran ging er durch und durch. Sein gesamter Körper reagierte darauf. Es fühlte sich fast an, als würde er etwas bekommen, wovon sein Körper schon Entzugserscheinungen hatte. Und letztlich war es doch auch so. Er hatte Dominico von der Sekunde an vermisst, als dieser von ihm weggeritten war. Und irgendwie schien der Kuss alles, was dazwischen gewesen war, wegzuwischen - jede Unsicherheit, jede Sehnsucht, jede Verzweiflung, jede Wut, jeden Schmerz. Dieser Kuss war jedes Leiden wert, das er in den letzten Wochen verspürt hatte, wenn er an Dominico dachte. Und nur zu gerne erwiderte er ihn, ebenso zärtlich, so sanft, so voll Zuneigung für den Mann, von dem er wohl nie wieder loskommen würde.

Nur schwerlich löste er sich wieder von dem anderen, blickte ihn an. „Lass uns das bitte unten fortführen“, wisperte er und lächelte gegen die Lippen des anderen, sich noch einen sanften Kuss holend. „Ich habe Angst, dass mir hiervon so schwindelig wird, dass ich das Dach heruntersegel.“ Er blickte den anderen lächelnd an. „Aber versprich mir, dass es unten weitergeht und sich bis dahin nicht unser Verstand eingeschaltet hat, sonst bleibe ich lieber hier oben stehen.“

Und so ließen sie sich wieder die Dachluke hinab in seine ‚Wohnung‘ gleiten. Kieran, der zuerst sich hinabgelassen hatte, machte dem anderen nur gerade so viel Platz, dass dieser von dem Stuhl steigen konnte. Dann schloss er die Dachluke, damit sie nicht froren, wenn die kalte Luft hineinströmte, und drehte sich zu dem anderen um. Einen Moment sahen sie sich nur an. Dann nahmen sie den Kuss wieder auf, aber von der Zärtlichkeit, von der Sanftheit war nun nur noch bedingt etwas zu spüren. Denn dieser Kuss war pure Begierde. Begierde, dem anderen wieder so nahe sein zu dürfen, wie er sich das gewünscht hatte. Begierde nach dem Menschen, der so eine unfassbare Anziehungskraft auf ihn ausübte.
 

Dominico

Es gab so unendlich viel, das Nico auf der Seele brannte. Dinge, die er gerade jetzt hätte sagen können, weil jetzt die Nähe dafür wieder da war... doch er konnte kaum sprechen, da Kieran den Kuss erwiederte. Vielleicht mussten die Dinge, die ihm im Kopf herumgingen, ja auch nicht gesagt werden... oder? Zumindest wollte er sich gerade nicht mehr von Kieran lösen. Es war unverünftig: Allein die Position war schon unvernünftig genug, denn hier auf dem Dach war es gefährlich und Nicos weiche Knie trugen nicht gerade zur Stabilität bei. Doch Kieran schaffte es schließlich, langsam den Kuss zu lösen und Nicos Atem ging stoßweise, weil sein Körper heftig reagierte. "Ich verspreche es...", erwiderte er rauer als beabsichtigt. Den Verstand nicht einschalten? Gefühlt hatte sich sein Verstand schon in seine Hose verabschiedet, denn die war merklich enger geworden. Kieran brauchte ihn nur zu berühren, da war es bereits um ihn geschehen, doch Nico wusste selbst, dass das vor allem davon kam, dass Kieran so unerreichbar schien und blieb. Wenn sie sich in seinem Haus getroffen hätten oder im Palast, wäre Kieran bereits nackt in seinem Bett - es hätte ihn sicher gereizt, aber nicht so sehr, wie dieser Weg hier. Das Spionagespiel, das Warten, das Locken.. das gemeinsame Essen, der Ritt hier her und das Gespräch auf dem Dach, das war es, was die Sache noch viel interessanter und erotischer gemacht hatte, das, was so viel Gefühl wieder in ihre Verbindung gebracht hatte.
 

Nico hielt sich mit beiden Händen am Dach fest, um nicht abzurutschen und er war Gott froh, dass das Haus offensichtlich in einem guten Zustand war und die Ziegel nicht unter seinen Händen abrutschten und er letztlich doch noch in die Tiefe fiel. Es gelang ihm zu Kieran nach unten in sein Zimmer zu kommen und wieder sog er den Duft der Kräuter ein. Unweigerlich glitt sein Blick zu Kierans Bett, das plötzlich so nah erschien. Kieran war noch dabei die Luke zu schließen... Nico öffnete ein wenig die warme Jacke, die er trug, weil es im Zimmer durch KIerans Ofenbefeuerung doch noch einmal warm geworden war. Und dann stand Kieran wieder vor ihm und zögerte nicht ihn erneut zu küssen. Nico hatte Vorsicht erwartet, diesen süßen unschuldigen Unglauben, der auf dem Dach noch vorgeherrscht hatte. Zumindest war es das, was Nico fühlte. In Cambridge hatten sie das gleiche gewollt, vielleicht aus unterschiedlichen Gründen. Hier wollten sie es wohl auch, doch hier gab es keinen Anschein einer zu erbringenden Gegenleistung, hier war es der Wille und die Lust zweier Menschen aufeinander und Nico konnte kaum glauben, dass Kieran wirklich IHN noch einmal wollte. Er stöhnte in den Kuss, weil er fühlte was Kieran fühlte, diese Lust. Und seine Hände legten sich automatisch an Kierans schlanken Körper. Leicht drehte er sich mit ihm und hob ihn an bis Kieran auf einem Sideboard zum sitzen kam. Von Kierans Lippen konnte er sich nicht lösen, aber Kierans West öffnen konnte er. Und als seine Finger endlich unter das Hemd über die nackte Haus strichen, fühlte er sich beinahe so, als käme er zu Hause an... mühsam zwang er sich den Kuss zu beenden. "Nicht.. nein." Er zog die Hände zurück und machte einen Schritt nach hinten, ganz offensichtlich erregt vom bloßen Gedanken an das, was folgen würde. Eine Hand gegen die Stirn gepresst und die Augen fest geschlossen, presste er die Augenlider aufeinander. "Ich.. ich will nicht, dass du denkst ich käme nur deswegen. Aber ich kann nicht anders, wenn ich dich ansehe. Es muss so schäbig aussehen... ich will nicht schäbig sein." Sein Lächeln war unsicher und er nagte an seiner Unterlippe. "Ich wollte mit dir reden und sehen, ob es dir gut geht... ich will dir das nicht aufbürden. Das hier..." Er kam wieder einen Schritt näher und griff Kierans Hand, um sie über die Stelle seines Herzens zu legen. "Du verdienst mehr als das und in die Gefahr solltest du dich nicht begeben.." Doch seine Stimme wurde schwächer, als er wieder so nah bei ihm stand und die Lust gewann zusehends überhand über seinen klar denkenden Verstand.
 

Kieran

Kieran schwanden die Sinne bei dem Kuss und das Stöhnen des anderen, dessen Hände an seinem Körper ließen ihn erbeben. Er selbst legte seine Arme auf die Schultern des größeren Mannes vor ihm, während seine Hände mit dessen Haar spielte. So schmiegte sich sein Körper an den des anderen und suchte die Nähe, die er so sehr vermisst hatte, die er so ersehnt hatte. Die schmerzhafte Wahrheit bei seinen One-Night-Stands war gewesen: es war der Gedanke an Dominico und dessen Küsse und dessen Körper, der ihn zum Höhepunkt gebracht hatte.

Als ihn der andere an der Hüfte packte und ihn auf das Regal setzte, musste er lächeln. Und die Hände, die nun begannen, seine Weste zu öffnen, sein Hemd darunter, gaben ihm die Erlaubnis die Jacke des anderen weiter zu öffnen. Als er die Hände des anderen auf seiner Haut spürte keuchte er in den Kuss, hielt kurz inne, um einfach nur zu genießen. Es fühlte sich alles so verdammt gut an...

Doch dann kam das Nein.

Kieran öffnete überrascht die Augen und hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Warum sagte der andere Nein? Hatte er etwas falsch gemacht? Nico hatte ihn doch geküsst, warum stoppte er das jetzt?

Aber eigentlich wusste er genau, warum. Dabei hatte er ihn doch gebeten, den Verstand auszuschalten!

Kieran sah, dass auch der andere mit sich rang, ihn nicht ansehen konnte. Und die Worte des anderen, die nun folgten, erfüllten ihn mit einer unglaublichen Wärme. Dominico wollte nicht schäbig aussehen? Weil es aussehen könnte, dass er nur für Sex gekommen war? Kierans Blick wurde warm. Es ehrte den anderen, so etwas zu sagen, aber sah dieser nicht, dass er es genauso sehr wollte? Und bei ihnen ging es doch ohnehin nicht mehr nur um Sex - wenn man ehrlich war. Oder?

Und letztlich bestätigte ihm Dominico dies durch das, was folgte. Kurz war er verwirrt. Was wollte er ihm nicht aufbürden? Als der Andere seine Hand nahm und sie sich auf sein Herz legte, setzte seines einen Moment aus. War das hier... Nein, lieber nicht den Gedanken weiterdenken. Es war besser für beide, das nicht zu denken, es nicht auszusprechen. Und dann sprach Dominico an, was ihm doch schon längst bewusst war. Das, was zwischen ihnen war, was auch immer es war - es war gefährlich. Kieran schluckte, merkte, dass Nicos Stimme an Kraft verlor. Am liebsten würde er ihn einfach weiter küssen, das Gesagte verdrängen. Aber das konnte er nicht, durfte das nicht. Es war zu ernst, es war wichtig für Nico und wichtig für ihn selbst. Und so zwang er sich, noch bei klarem Verstand zu bleiben, in der Hoffnung, ihn später doch wieder ausschalten zu dürfen.

"Dominico", sagte er und merkte, dass seine Stimme noch nicht ganz klar wieder war. "Ich habe die letzten Wochen damit verbracht, mir jegliches Argument nur zu eigen zu machen, das mir helfen würde, dir wiederstehen zu können. Fakt ist aber, dass ich es schlichtweg nicht kann. Alles in mir schreit nach dir und nur ein Blick von dir lässt mich jegliche Vernunft vergessen." Er hatte die Hand am Herzen des andere liegen gelassen und hob nun die andere, um Dominico über die Wange zu streicheln. "Ich bin mir über alle Konsequenzen bewusst, die Gefahr, der Schmerz, die Angst, die Sehnsucht, die Lügen, die nötig sind, die Stärke, leugnen zu können, die Sorgen und und und. Ich habe mir alles Negative, aufgezählt, nur um mein Versprechen zu brechen und dich vergessen zu können. Aber in dem Moment, als ich dich bei Dr. Chambers gesehen habe, war alles vergessen." Ja, er hatte viele Szenarien gebastelt, im Geiste, was alles passieren könnte, was niemals passieren dürfte, was niemals passieren würde. "Und dennoch wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dich jetzt wieder so nah bei mir zu haben, wie in jener Nacht bei Cambridge. Ich habe mich nie so "ganz", so "vollkommen" gefühlt wie in dieser Nacht." Er schluckte und sah den anderen eindringlich an. "Als ich so lange nichts von dir gehört habe und mir einreden konnte, dass du mich vergessen hast, und als ich dir meine Adresse geschickt habe, habe ich mir geschworen, dass ich alles akzeptieren würde, was passieren würde. Ich denke, das, was ich wirklich verdiene, ist das Glück, das ich empfinde, wenn wir uns unterhalten, uns nahe sind und Sex miteinander haben. Mehr verlange ich nicht. Aber du hast viel mehr zu verlieren als ich. Und deshalb liegt es bei dir, wofür du dich jetzt entscheidest. Dafür, das beste aus der Situation zu machen und einfach das bisschen, was wir haben könnten, zu genießen, oder es zu beenden, bevor wir uns weiter verlieren."
 

Dominico

Nico zog innerlich den Hut vor dem eigenen starken Willen, dem er es zu verdanken hatte, dass er es tatsächlich noch zu Stande gebracht hatte, sich von Kieran zu lösen. Und er konnte ihn noch immer nicht ansehen, zumindest nicht direkt. Er sah seine nackte Haut, dort wo er das Hemd bereits geöffnet hatte, sah Kierans Erregung bereits wie seine eigene durch die spannende Hose im Schritt. Er wollte ihn so sehr, dass es schmerzte, doch die Angst, dass man sie hier entdeckte, die Angst dass Gregor mit dem Finger auf ihn zeigte oder man hinter Kierans Rücken tuschelte, er habe für Nico die Beine breit gemacht. Oder dass Kieran es sich morgen doch fragte, wenn Nico verschwinden musste, warum er da gewesen war und warum er all das tat. Die Worte waren wie Salz in der offenen Wunde. Kieran bereitete ihm den Weg, sich nur all zu im Klaren darüber, welches Leid es bedeutete und welche Bürde. Beinahe hatte Nico Tränen in den Augen, konnte Kierans Hand auch nicht loslassen. Mit der anderen zog er ihn langsam an sich und in seine Arme, drückte die Stirn gegen Kierans Schulter. Es waren genau die gleichen Worte, die er an Kierans Stelle gewählt hätte. Ja, es war genau das, was auch er sich gedacht hatte. Er hatte es vielleicht von anderer Stelle betrachtet, sich überlegt, was man behaupten konnte udn was zu weit ging und was er tun konnte, wie er seine Macht einsetzen konnte, um Kieran näher zu sein, doch näher als durch diese Spende für sein Studium war er nie gekommen, ohne Kierans Freiheit zu beschneiden, die dem jungen Mann so heilig war. Und er wollte Kieran nicht einsperren in einen Käfig, selbst wenn sie in dieser heilen Welt glücklich waren.

Er hielt ihn nah bei sich, sog tief Kierans Duft in seine Lungen, um ihn festzuhalten und nie wieder zu verlieren. Er wollte ihn nicht hergeben, wollte nicht gehen, doch seine Entscheidung war gefallen in dem Moment, in dem er es vielleicht ein letztes Mal geschafft hatte, sich von Kieran zu lösen. Langsam löste er die Umarmung und nahm Kierans Gesicht in beide Hände, sah ihn eindringlich an. "Ich weiß, dass du sicher sorgfältig darüber nachgedacht hast... ich weiß - das haben wir beide. Und wir beide wissen, was wir in Camebridge gefühlt haben, aber das war dort.. das war in meinem Haus, das war.. eine andere Zeit. Ich lüge nicht, wenn ich dir sage, dass ich noch nie in meinem Leben einen Menschen und einen Körper so sehr begehrt habe wie deinen und wenn es in meiner Macht stünde - ich würde dich einsperren in mein Haus und nie wieder gehen lassen. Ich würde dich vor der Welt verstecken, damit niemand dich jemals findet.. aber das würde bedeuten, dir dein Glück und deine Frehiet zu nehmen. Und ich täte genau das, wenn ich jetzt bliebe, verstehst du?

Wenn ich dieses Haus am frühen Morgen verlasse und mich jemand sieht... wenn man ein, zwei Stockwerke tiefer hört, welche Lust du in mir entfachst.. ich könnte mir nie verzeihen, dir diesen Stempel aufgedrückt zu haben. Ich will nicht, dass du leidest. Ich weiß, das klingt verrückt, denn wenn ich gehe werden wir beide leiden - aber wir werden noch am Leben sein und uns droht keine Gefahr. Ich könnte es niemals ertragen, dich am Pranger zu sehen, ob nun auf dem Marktplatz oder hinter vorgehaltener Hand, nur weil ich mich nicht im Zaum halten konnte. Es tut mir leid.. so sehr ich dich will - ich muss gehen. Ich verspreche dir, ich melde mich, sobald ich kann. Ich schwöre dir, ich verlasse dich nicht. Aber wir dürfen nicht.. wir dürfen einfach nicht noch weiter gehen.." Er strich ihm sanft über die Wange, die er hielt ehe er ihm einen letzten zaghaften Kuss auf die Lippen drückte, den er versuchte für die Ewigkeit festzuhalten. Dann löste er sich ruckartig von ihm und floh regelrecht die Treppe hinab.

Er war sich beinahe sicher, das ganze Haus zu wecken so wie seine schweren Stiefel hinunterpolterten, doch es war ihm gleich. Er rannte hinaus auf die Straße, im Lauf noch das Hemd wieder zuknöpfend und den Umhang fest um die Schultern ziehend. Hinein in den Stall unweit des Hauses. Er warf dem Jungen noch einmal Trinkgeld zu und kurz darauf donnerte das wenig begeisterte Pferd im Galopp die schmale Gasse hinunter, hinab zu den Toren und hinaus aus der Stadt. Der harte Ritt und der Wind, der einige Regentropfen in Nicos Gesicht peitschte, halfen, das erstickende Gefühl in seiner Brust zu erdrücken, doch als er einige Zeit später in seinem Bett lag, schmerzte sein Innerstes so sehr, als habe man mit einem Messer darin herumgewühlt - und seine Erregung stand so hart von seinem Körper, dass selbst die einfachste Berührung schmerzhaft war. Warum nur dieser Mann? Warum hatte er sich auf Alessios dumme Wette eingelassen? Rückwirkend betrachtet war dieser Tag ihrer beider Untergang.. zumindest fühlte es sich gerade so an.
 

Kieran

Kieran ließ sich nur zu gerne in die Umarmung ziehen, schloss die Augen und genoss die Nähe, die der andere ihm noch einmal gewährte. Er wusste, dass Dominico gehen würde, er hatte es in dem Moment gewusst, als er die Reaktion auf seine Worte gesehen hatte, die leicht verschwommenen Augen, das leichte Zittern der Hand des anderen auf der seinigen. Er sog den Greuch des anderen auf, die Wärme, das Gefühl ihm nahe zu sein. Die Umarmung war wie eine lange Verabschiedung.

Als sich Dominico löste, sah er ihn wieder an. Er war erstaunlich ruhig und gefasst, aber das lag wohl daran, dass er sich nicht bewegen, nicht reden, nicht reagieren konnte, selbst wenn er gewollt hätte. Er war wie erstarrt vor der Erkenntnis, dass Dominico ihn jetzt, da er ihn einen Moment lang noch einmal für sich gehabt hatte, für immer verlassen würde.

Ja, Cambridge war ein anderer Ort gewesen, up in the nowhere, losgelöst von Raum und Zeit, etwas fast Magisches. Und hier? Hier waren sie in der Realität angelangt, einer harten Realität, in der ihre Welten keine gemeinsame Basis hatten und die äußeren Einflüsse zu heftig waren.

Dominico würde ihn einsperren? Bei sich? Einen Moment lang hörte es sich verlockend an, doch Kieran wusste, dass dem nicht so war. Er würde seelisch sterben, irgendwann, auch wenn es anfangs sicher schön wäre. Irgendwann würde er verwelken, wie eine Primel, die man unachtsam am Wegesrand gepflückt hatte.

Und dann listete der andere auf, was auch er gesagt hatte, was passieren könnte. Kieran schloss einen Moment die Augen. Es lag ihm ein "Aber" auf der Zunge, doch er sagte nichts. Ja, es ging um ihr Leben, so absurd das auch klang, schlichtweg um ihr Leben - vor allem Dominicos. Es tat gut zu hören, dass der andere sich um ihn sorgte. Aber das war nicht Kierans Sorge. Für ihn wäre es das Schlimmste, wenn Dominico Schaden davontragen würde. Er selbst war ihm egal. Er nickte leicht, als der andere sagte, es tue ihm leid. Ihm war das rational eben auch bewusst, aber in seinem Inneren fühlte sich jedes Wort, das ihr Abschied beinhaltete, wie ein Faustschlag an.

Irritiert blickte er auf, als der andere sagte, er werde sich melden, werde ihn nicht verlassen. Er versprach es sogar und schwor es. Gehörte zu einem "Verlassen" nicht immer dazu, dass man einmal "zusammen" gewesen war? Oder meinte der andere es hinsichtlich einer "Freundschaft"? Eine Freundschaft... Es wäre zumindest etwas, was man versuchen konnte. Dann würde er ihn wenigstens sehen, hin und wieder mit ihm sprechen können. Als Inhaber des Studium-Fonds würden sie eh Kontakt halten... Wieder nickte Kieran mechanisch, sah den anderen an, der ihm so nah war, und doch nun weiter entfernt war, als je zuvor. Und ehe er es sich versah, spürte er die Lippen des anderen auf den seinen. Einen Moment war er zu perplex, um ihn zu erwidern, dann tat er dies, eine letzte Folter, bevor Dominico sich ruckartig von ihm löste und hinausstürmte, ohne dass er noch irgendetwas hätte sagen können.

Kieran merkte, wie auch das letzte bisschen Kraft aus seinem Körper zu schwinden schien, als auch die Stiefeltritte auf der Treppe verhallt waren. Regungslos blieb er sitzen, wo Dominico ihn hingesetzt hatte, und starrte vor sich hin. Seine Gedanken überschlugen sich und zu nur einem einzigen war er fähig: 'Ich habe mir geschworen, das zu akzeptieren.' Und doch würde er am liebsten die Zeit zurückdrehen und noch immer am Dach oben sitzen und den anderen küssen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chaos-kao
2017-01-14T23:19:31+00:00 15.01.2017 00:19
Armer Kieran, armer Nico. Wären sie nur auf dem Dach geblieben, dann hätten sie ihre liebevolle Zweisamkeit noch etwas genießen können ... ich bin ja gespannt, auf welchem Wege sie das nächste Mal zusammen finden werden! :)


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