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Die 3/4-Gitarre

von

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1. Anlauf

Es klingelte.
 

Reita drehte sich müde seufzend in seinem Kopfkissen um.
 

Er überlegte kurz, ob er dem Klingeln überhaupt irgendeine Beachtung schenken sollte, dann warf er zur Entscheidungsfindung zumindest noch einen halben Blick auf den Wecker: 7:20 Uhr in der Früh.
 

Die Frage, wer um so eine Uhrzeit die Dreistigkeit besaß, ihn zu behelligen, stellte sich nicht. Da gab es nur einen. Wozu, verdammt nochmal, war er Rockstar geworden, wenn er dann doch wie jeder gewöhnliche Werktätige so früh am Tage raus musste? Es klingelte wieder. Länger. Lauter. Ungeduldiger. „Jaaaa doch“, stöhnte der Bassist und kämpfte sich schwerfällig aus der Bettdecke frei. Noch ein Klingeln an der Tür. Und noch eins. Jetzt nahm es einen ekelig schalkhaften Takt an. War das ernsthaft der Takt von 'Inside Beast', der da geklingelt wurde? Reita glaubte, blöde werden zu müssen. Etwas sauer riss er die Tür auf und holte Luft, um den Störenfried anzupflaumen, kam aber nicht mehr dazu, weil da schon ein quirliges, kleines Fellknäuel an ihm vorbei schoss, ihn dabei fast von den Füßen riss, und in seiner Wohnung verschwand. Es sauste um die nächste Ecke ins Wohnzimmer. Reita hörte irgendwas klirrend zu Boden gehen und ließ die empört eingesaugte Luft eine ganze Ecke resignierender wieder fahren. Mit einem gedehnten Seufzen.

„Morgen!“, grüßte der Besitzer des Fellknäuels in neutraler Tonlage und tippte sich dabei an eine erdachte Hutkrempe.

„Du mich auch. Kannst du Koron nicht an der Leine halten, Mann?“, maulte Reita.

Ruki lächelte amüsiert. Er sah geschniegelt und gebügelt aus, wie immer. Eine stylische Jacke, die passförmig und maßgenau angegossen war, eine Frisur bei der jedes Härchen exakt an seinem Platz saß, Hautunreinheiten sorgfältig abgedeckt – selbst in der Freizeit gab er sich da keine Blöße – die Fingernägel akurat gefeilt und lackiert. Seine Hundeleine hatte er sich diagonal um den Oberkörper gewickelt wie eine Scherpe. So sah sie eher wie ein Modeaccessoire aus, nicht wie ein Gebrauchsgegenstand, den er gerade nur zu faul war in der Hand zu tragen. „Ach was, mein Hündchen tut doch keinem was. Der muss nicht an die Leine.“

„Was willst du hier?“, seufzte Reita, halb genervt, halb hinnehmend. Zwecklos. Er fragte auch nicht, wie Ruki ins Haus gekommen war. Irgendein anderer Mieter würde ihn wohl reingelassen haben.

„Ich bin mit Koron Gassi gegangen. Und da dachte ich halt, ich geh mal gucken, ob du schon wach bist“, gab der Sänger ungerührt zurück, schob sich an ihm vorbei und betrat unaufgefordert die Wohnung. Schließlich musste er Koron ja wieder einsammeln gehen, wenn er ihn nicht von Reita in einem derben Genickgriff baumelnd wieder ausgehändigt bekommen wollte.

„Hast du ne Macke? Ob ich schon wach bin? Ist ja nicht so, als ob du mir mit deinem Klingelterror ne große Wahl gelassen hättest. Ich hab dir schon so oft gesagt, daß du mir um so eine Uhrzeit noch nicht auf den Zünder gehen sollst. Weißt du, wie spät das ist?“

„Hm, spät genug. Das Gitarrenhaus macht in 10 Minuten auf. Ich dachte, du gehst vielleicht mit mir da hin.“ Die Entfernung wurde größer. Ruki leiser.

„Was willst du in einem Gitarrenhaus?“, gab Reita irritiert zurück.

„Eine Trompete!“

„Willst du mich auf den Arm nehmen?“

„Na ehrlich mal, was soll denn die intelligente Frage?“, scholl es aus den Tiefen der Wohnung. „Was soll ich in einem Gitarrenhaus schon wollen? Eine Gitarre vielleicht?“

„Du machst mich fertig“, warf Reita seinem Besucher vor, während er endlich die Tür wieder schloss und Ruki dann ins Wohnzimmer folgte, wo schon wieder irgendwas verdächtig schepperte. Seine armen Nerven. Es war eindeutig noch zu zeitig für diesen Wirbelwind von Hund und diesen Sklaventreiber von einem Sänger. Nicht falsch verstehen, er war mit Ruki ein Herz und eine Seele. Sie waren best friends, unternahmen viel zusammen und verstanden sich blendend. Ihr Umgang war sowohl während der Proben als auch danach ein kameradschaftlicher. Es flogen nie böse Worte. Aber manchmal hatte Ruki so ein paar Anwandlungen, für die Reita ihm den Hals umdrehen könnte. Zum Beispiel dafür, ihn um 7:20 Uhr aus dem Bett zu klingeln, wegen ... ja, weswegen eigentlich? Wegen sowas bescheuertem wie einer Gitarre!? Mürrisch folgte Reita ihm also ins Wohnzimmer. Was auch immer der Hund umgestoßen hatte, Ruki hatte es augenscheinlich schon wieder aufgeräumt. Zur Vermeidung weiteren Schadens hatte er das fluffige, wild schwanzwedelnde Ding nun auch auf den Arm genommen. Das besänftigte den Bassisten wieder ein wenig. „Ich brauch erstmal nen Kaffee. Willst du auch?“, überging er die letzte Szene vorläufig und rieb sich den immer noch vorhandenen Schlafsand aus den Augen. Die Müdigkeit war noch nicht ganz weg.

„Ja, gerne. Mit Milch, wenn du hast.“

Reita nickte nur und machte Kehrt, um in die winzige Küche zu verschwinden. Kein Grund, Ruki zum Platznehmen aufzufordern. Der fühlte sich auch ganz von selbst wie zu Hause. War ja regelmäßig hier zu Gast.
 

„Okay, nochmal von vorn“, begann Reita das Gespräch von Neuem, als er eine Weile später mit der durchgelaufenen Kaffeekanne am Couch-Tisch saß und dem Sänger eine Tasse voll einschenkte. Koron lag artig neben Ruki auf dem Sofa. Naja, wenigstens sauste er nicht mehr wild durch die Gegend wie ein tasmanischer Teufel und hinterließ überall Chaos.

Ruki schaute fragend von seinem smartphone hoch, mit dem er gerade irgendeine Nachricht abgerufen oder weiß der Geier was gegoogelt hatte.

„Was willst du mit ner Gitarre? Du bist Sänger.“

„Ich kann auch Gitarre spielen!“, beharrte Ruki mit Schmollschnute.

„Das streitet ja auch keiner ab. Aber wann tust du das schonmal?“

„Beim Songsschreiben ziemlich häufig. Ich muss doch testen, wie der Quirl klingt, den ich da verzapft habe.“

„Was ist denn mit deiner passiert? Hast du nicht schon eine?“

„Willst du nicht wissen“, winkte Ruki ab, legte mit einer Hand das Telefon weg und angelte mit der anderen nach der heißen Tasse. „Und unser 'cassis' läuft auf drei Gitarren, da muss ich zwangsläufig auch auf der Bühne Gitarre spielen“, fügte er noch an.

„Na meinetwegen.“

„Du musst mir helfen, wenn ich mir ne neue Gitarre kaufe, damit ich auch eine vernünftige erwische. Ich hab nicht so viel Ahnung davon. Ich will ja keinen Schrott kaufen.“

„Wieso fragst du nicht unsere beiden Gitarristos? Aoi und Uruha können dir da sicher auch helfen.“

Ruki ließ einen geradezu angewiderten Blick sehen. „Nee!“, entschied er. „Die zwei Ego-Kanonen nehm ich da sicher nicht mit. Die würden sich im Gitarrenhaus bloß einen runterholen und mir stundenlange Vorträge halten, was sie alles tolles über Gitarren wissen. Ich will keinen Crashkurs als Instrumentenbauer, ich will einfach nur ne ordentliche Gitarre kaufen. Und du hast lange nichts mehr mit mir unternommen.“ Das klang wie ein Vorwurf, fast beleidigt.

Reita verdrehte die Augen. „Das würde ich, wenn du deine Unternehmungen nicht immer auf 7 Uhr morgens legen würdest.“

„Soll ich Koron etwa ne Plastiktüte an den Hintern binden, damit er mir bis 12 Uhr mittags nicht in die Wohnung macht?“

„So war das nicht gemeint“, grummelte Reita.

Ruki wertete Reitas fehlgeschlagene Argumentation nur mit einem tadelnden Kopfschütteln, dann nahm er einen tiefen Zug aus seinem Kaffee-Pott. Und verzog hart das Gesicht. „Woah, dein Kaffee ist furchtbar!“, beschwerte er sich.

Reita winkte ab. Er gab es auf. Zwecklos. Einem Ruki in Hochform war keiner gewachsen. Der hatte auf alles eine passende Antwort. Oder halt eine unpassende, wann er das für passender hielt.
 

Tatsächlich fand sich Reita eine halbe Stunde später im renomiertesten Gitarrenhaus am Platz ein. Ein paar hundert Gitarren und Bässe, ganz gleich ob E' oder Akustik, Boxen, und alles was es dazu an Equipment gab, auf drei Etagen. Wer hier nicht fündig wurde, dem war nicht mehr zu helfen. Reita hatte seine blonden Haare unter einer Mütze versteckt und sich einen Atemschutz vor das Gesicht gespannt, um nicht so sehr aufzufallen. Er wollte ungern erkannt werden. Aber mit jemandem wir Ruki an seiner Seite, der sich diese Mühe nicht gemacht hatte, war das schwierig.

„Na schön, hast du schon eine Vorstellung, was es werden soll?“, wollte der Bassist beim Eintreten wissen und ließ den Blick schweifen.

„Ich will ne semi-Akustik“, gab Ruki zurück. „Am besten mit F-Löchern, die gefallen mir besser als die stupiden Dinger mit nem Schall-Loch in der Mitte.“

„Nagut, das ist ja schonmal ein Ansatz.“

„Ruki, altes Haus!“, scholl ihnen da von der Kasse her entgegen. In aller gebotenen Lautstärke, um im ganzen Erdgeschoss gehört zu werden. Aber da der Schuppen um diese Uhrzeit noch leer war, war das nicht weiter dramatisch. Ein Kerlchen mit Undercut kam ihnen winkend hinter der Kasse hervor entgegen geeilt. Da er nur ein ärmelloses, weit ausgeschnittenes Oberteil trug, sah man die zahllosen Tattoos überall an den Armen und auf der Brust. Unverkennbare Tattoos wohlbemerkt. Die Fans kannten diese Motive in- und auswendig.

„Miyavi“, bemerkte Reita ganz richtig und wusste nicht recht, ob er sich freuen sollte oder nicht. Der quirlige Ausnahme-Star konnte mitunter anstrengend sein. „Was treibst du denn hier? Bist du jetzt Kassierer in nem Gitarrenhaus? Rentiert sich das Plattenlabel nicht mehr, das du gegründet hast?“

„Mach dich nicht lächerlich!“, schmollte Miyavi und verschränkte die Arme. „Der Laden gehört mir, ja?“

„Tatsächlich?“

„Wer bist du neunmalkluger Held überhaupt?“

Reita zog sich genervt die Atemmaske aus dem Gesicht. „Habe die Ehre“, brummte er zynisch, als er sich zu erkennen gab und Miyavi sichtlich die Mimik einschlief.

„Reita, shit Mann, dich erkennt man mit der Mütze überhaupt nicht. Tut mir leid. Ich dachte, Ruki wäre mit nem Staff hier.“

Ruki gab ein vernehmliches Seufzen von sich, um die allgemeine Aufmerksamkeit wieder zurück zu bekommen. Er wickelte Korons Leine – ja, er hatte sein Hündchen hier im Laden doch mal angeleint – umständlich und theatralisch neu auf, um zu zeigen, daß er sich ausgegrenzt fühlte.

Miyavi verstand den Wink und klatschte enthusiastisch einmal in die Hände. „Also, Kollegen, was kann ich für euch tun? Neue Bass-Saiten für dich, Reita?“

„Nein, mit Saiten ist es heute nicht getan. Wir brauchen eine ganze Gitarre.“

„Einen Bass?“

„Nein, eine Gitarre!“, beharrte Reita und deutete vielsagend auf seinen Sänger, bevor noch der Einwand kam, daß Bass-Gitarren ja wohl auch Gitarren waren. Wie schon Reita selbst schien auch Miyavi nicht so schnell zu der Schlussfolgerung zu kommen, daß tatsächlich Ruki, obwohl er doch Sänger war, eine Gitarre haben wollte. Damit rechnete ja auf die Schnelle auch keiner.

Miyavi schaute Ruki einen Moment lang dumm an, versuchte sichtlich einen glaubwürdigen Sinn hinter diesem Deut zu finden, beschloss aber, nachdem er sich schon vor Reita so blamiert hatte, sich vor Ruki nicht auch noch in die Nesseln zu setzen, und kommentierte das nicht. Er nickte nur und winkte den beiden Gazettos, ihm tiefer in den Laden hinein zu folgen.

„Ich will eine Semi-Akustik mit F-Löchern. Irgendwas schickes, was sich hören lässt, aber nicht zu teuer ist“, begann Ruki seine Wünsche nochmals abzuspulen.

„Oh nein, bitte tu das nicht!“, gab Miyavi demotiviert zurück. „Semi-Akustik-Gitarren klingen total kacke. Die haben einen Klangkörper, werden aber mit elektrischen Tonabnehmern abgenommen, wie E-Gitarren. Diese Mischung stört sich dauernd gegenseitig. Kauf dir lieber ne richtige Akustik und stell ein Mikrophon davor. Das werden eure Tontechniker doch wohl hinkriegen.“

„Ich hasse das, noch ein Mikro vor der Gitarre stehen zu haben. Ich hab ja schon eins vor der Nase, das reicht.“

„Na dann häng ein Klemm-Mikro ins Schall-Loch. Du kannst sogar das Kabel ins Innere des Gitarrenkorpus legen, ein Loch für ne Kabelbuchse durchbohren, fertig. Dann hast du nicht mal mehr Kabelsalat“, schlug Miyavi vor.

„In F-Löcher passt ein Klemm-Mikro nicht rein. Und ich will die Gitarre auch nicht erst anbohren oder anderweitig groß ummodellieren“, hielt Ruki dagegen. „Dafür, daß die so schweineteuer sind, kann ich ja wohl erwarten, daß die gleich einsatzfähig sind, ohne daß man sie erst noch halb umbauen, in Kleinteile sägen und neu wieder zusammenkleben muss.“

„Kauf doch ne E-Gitarre mit einem guten Akustik-Simulator“, mischte sich nun auch Reita mit ins Gespräch ein. „Das ist auch viel billiger. Und vor allem sind E-Gitarren nicht so ... naja ... groß“, fügte er mit unschlüssiger Handbewegung auf Rukis Statur an.

„Was hat denn die Größe damit zu tun?“, zischte Ruki zickig. Wenn es um seine Größe ging, war bei ihm immer sofort Schicht im Schacht.

„Ich meine ja nur. Du bist halt nicht gerade ein Riese. Du musst um das große Instrument ja auch noch irgendwie mit den Armen drumkommen.“

„Lass das meine Sorge sein!“, jaulte Ruki hysterisch. Koron fiel wehklagend in das Geheul mit ein, als wolle er sein Herrchen bestätigen.

Reita und Miyavi hoben simultan ergeben die Hände. „Schon okay.“
 

Bevor Miyavi ihm irgendein Modell vorschlagen konnte, hatte sich Ruki bereits selber eine Gitarre geschnappt, sich auf einen herumstehenden Hocker gepflanzt und klimperte testhalber darauf herum. Eine Ibanez mit F-Löchern, wie er es gewollt hatte. Seine Hundeleine hatte er kurzerhand Reita in die Hand gedrückt.

Reita musste sich das Grinsen zum Glück nicht verkneifen, da man es hinter seinem Mundschutz ohnehin nicht sah. Aber er hatte doch Recht behalten. Die Gitarre wirkte vor dem Bauch des kleingeratenen, zierlichen Sängers wie ein auf den Schoß genommener Kontrabass. Einfach total überproportioniert.

Der Sänger fingerte sich mühsam ein paar Akkorde zusammen. Der Gitarrenhals war sichtlich zu lang für seine kurzen Arme, die Bünde spürbar zu breit für seine Hände. „Hm, die lässt sich nicht schön spielen“, entschied Ruki ziemlich bald, stellte die Gitarre zurück in ihren Verkaufs-Ständer, und wanderte herum, um sich eine andere auszusuchen.

Reita und Miyavi standen beide mit verschränkten Armen nebeneinander und sahen ihm kommentarlos zu. Nach der vierten Gitarre, die Ruki wieder zurückstellte, wurde es dem Ladenbesitzer zu bunt. Miyavi schnappte sich eine Yamaha Standard-Gitarre mit Schall-Loch und hielt sie ihm hin. „Ruki, versuch mal die hier. Die hat nur eine 24´er Mensur, mit der kommst du bestimmt besser klar.“

„Hässlich!“, bekam er nur um die Ohren gehauen. Schneller als man gucken konnte, hatte sich Ruki sein fünftes in Frage kommendes Instrument gekrallt und strafte Miyavi und seine Yamaha mit Nichtachtung.

„Versuch´s doch wenigstens mal!“

„Hässlich, hab ich gesagt!“ Ruki dängelte klirrend auf der Gitarre los, die er sich selber ausgesucht hatte. „Überhaupt, ne 24´er Mensur, was soll das? Ich spiel doch keine Kindergitarre! Wofür hältst du mich denn?“

„Für einen abgebrochenen Gartenzwerg, Mann! Und jetzt teste diese verdammte Yamaha, bevor ich sie dir über den Kopf haue!“, zeterte Miyavi am Ende mit seinen Nerven. „Du musst ja nicht die hier nehmen! Du sollst nur gucken, ob du mit einer 24´er Mensur besser zurecht kommst!“

„24´er“, schwärmte Reita neidisch vor sich hin. Da hatte er mit seinem Bass schon was mehr an Distanz zu überbrücken. Die Mensur war die Länge des Gitarrenhalses, oder um genau zu sein die gesamte spielbare Länge der Saiten von der Brücke über den Klangkörper hinweg bis zur Kopfplatte, und wurde in Zoll angegeben. Eine 24´er Mensur war sowas um die 60 cm lang. Damit war es streng genommen eine 3/4-Gitarre für Jugendliche oder zu klein geratene Japaner wie Ruki. Gitarren in Normgröße hatten meist eine 25,5´er Mensur, also etwa 65 cm von der Saitenaufhängung bis hoch zur Kopfplatte. Die 5 cm machten richtig was aus, das glaubte man gar nicht, wenn man den Unterschied nicht selber mal getestet hatte. Bässe konnten bis auf 36 Zoll raufgehen. Eine 36´er Mensur hatte hemmungslose 91,4 cm Saitenlänge. Was hätte Ruki erst gemacht, wenn er Bassist hätte werden wollen?

„Ich spiele keine Kindergitarre!“, beharrte Ruki und kämpfte weiter mit seinem viel zu großen Wunschartikel, zwar trotzig, aber nur mit bescheidenem Erfolg.

Reita zog sich ebenfalls einen Gitarrenhocker heran und setzte sich. Sah aus, als ob das noch eine Weile dauern könnte. „Dein Papa ist echt eitel“, redete er auf Koron ein, welcher ihn daraufhin aufmerksam mit hochgestellten Ohren ansah.

„Ich geb´s auf. Lassen wir ihn einfach in Ruhe weiter rumstümpern“, wandte sich Miyavi daraufhin dem Bassisten zu. „Reita, kann ich dir vielleicht was Gutes tun?“ Nebenbei stellte er seine 'Kindergitarre' wieder weg.

„Mh.“ Reita legte nachdenklich den Kopf schief. „Mein Verstärker hat Kathodenrasseln. Hast du einen guten Tipp für mich, wie ich das reparieren kann?“

„Klar, komm mit. Ich zeig dir mal an nem echten Verstärker, wo das herkommt und was man da machen kann. Die Boxen stehen ne Etage weiter oben.“

Reita klemmte Korons Leine unter ein Hockerbein und verschwand dann mit dem tätowierten Musikkollegen. Ließ Ruki einfach unbeachtet in der Gitarrenabteilung zurück. Der würde sich schon melden, wenn ihm dort langweilig wurde. Oder sein Ego wieder nach Beachtung verlangte.
 

Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis Ruki sich mit suchendem Blick in die Boxen- und Verstärkerabteilung verirrte. Inzwischen musste er alle Semi-Akustiks durch haben, die das Gitarrenhaus auf Lager hatte.

Reita und Miyavi fachsimpelten immer noch über den Unterschied zwischen Röhren- und Transistorverstärkern, während sie mit dem Kopf in einem großen Lautsprecher steckten, der seiner Front-Verkleidung entledigt worden war.

Irgendwas stupste Reita am Hintern an und ließ ihn hochschrecken, so daß er mit dem Schädel gegen das Dach des Verstärkers krachte. „Aua!“, empörte sich der Bassist und rieb sich beim Umsehen die Beule. „Koron, lass das! Mein Hintern gehört mir!“ Dann folgte sein Blick der Hundeleine bis zu Ruki hinauf. „Und? Fündig geworden?“, wollte er mit Kopfnicken Richtung der Gitarre wissen, die Ruki mit sich rumschleppte. Eine Epiphone sollte es also werden. Die sah verdammt cool aus. Ein Beweis, daß Ruki sie wohl eher aus optischen Erwägungen heraus kaufen wollte, und nicht etwa aus Gründen der Spielbarkeit.

„Naja, ich hab mich für das kleinste Übel entschieden. Was kostet die?“, wollte der Sänger wissen und drehte die Gitarre, die er sich nun nach langem Hadern ausgesucht hatte, im Licht, um sie auf Lackschäden zu prüfen. Dunkelrot, mit ein paar peppigen, auflackierten Symbolen, goldenen Mechaniken und Stahlsaiten. Gab es auch Semi-Akustiks mit Nylon-Saiten? Reita wusste es spontan gar nicht. Aber wohl eher nicht. Auf Nylon reagierten die Magnetfelder der Tonabnehmer ja nicht.

„774'000 Yen.“ [ca. 6000 Euro], schoss Miyavi schnippisch zurück. So schwierige Kunden hatte er gern.

„Bist du bekloppt?“

Miyavi zog ein humorlos Gesicht. Nein, war er nicht. Und ja, er meinte das ernst.

„Komm schon, was kostet die für MICH?“

„774'000 Yen.“

„Ich bin PSC Familie!“

„Aber ich nicht mehr. Tut mir leid, Ruki, das Musikbusiness ist hart. Ich muss auch sehen, wo ich bleibe. Und wenn du mich nochmal fragst, dann kostet sie 775'000 Yen, nur für dich.“

Ruki drehte das Instrument erneut fassungslos in seinen Händen. „Ist die aus Platin? Oder sind da irgendwo Diamanten verarbeitet?“

„Tropenholz, wenn du´s genau wissen willst“, getraute sich Reita von der Seite einzuwerfen und erntete dafür ein enttäuschtes Fluchen.

Ruki hielt Miyavi das Instrument wieder hin. „Ich glaub, ich denk nochmal drüber nach. Danke für deine Hilfe ... Naja, eine Hilfe warst du mir ja nicht wirklich.“

„Du wolltest meine Hilfe ja nicht!“

„Ne Kindergitarre! Ne tolle Hilfe war das!“, maulte Ruki.

„Es war eine 3/4-Gitarre! Die zählt noch zu den Erwachsenen!“

Koron hob beleidigt das Beinchen und pinkelte Miyavi an die helle Jeanshose, wie um zu unterstreichen, daß er der Argumentation seines Herrchens wesentlich näher stand als der von Miyavi.

Miyavi wurde schlagartig knallrot wie eine Tomate, schnappte wutentbrannt nach Luft und schmiss Reita, Ruki und dessen mischuggenen Schoßhund in hohem Bogen aus seinem Laden! Hausverbot! Für die gesamte Gazette-Truppe! Bis an ihr Lebensende!
 

Reita schob seufzend die Hände in die Jackentaschen, als sie gemeinsam die Straße hinunter liefen. Das war ja sauber nach hinten losgegangen. Er hätte Ruki gern gefragt, ob er jetzt zufrieden war. Aber er ließ es.

„Meine Fresse, Miyavi ist so ne Pussi“, nörgelte Ruki da aber schon ganz von alleine los. Er brauchte keinen Anschubbser von seinem Kumpel.

„Was meinst du?“

„Was ich meine? Er hat uns rausgeschmissen! Mit Hausverbot!“

„Dein Hund hat ihm ans Bein gepinkelt!“

„Soll er doch froh sein, daß mein Hund ihm nicht in nen Verstärker gepinkelt hat! Die Elektronik wäre nicht mehr zu retten gewesen! Oder an eine Gitarre, da wäre das Holz aufgequollen. Ne Hose kann man waschen!“

Reita ließ den Kopf hängen. „Du machst mich fertig“, entgegnete er bloß. Und bemerkte dabei, daß er diesen Satz ziemlich häufig zu Ruki sagte.

Ruki kraulte Koron, den er auf dem Arm trug, ungerührt weiter. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne jedes Unrechtsbewusstsein. „Also!“, wechselte er das Thema. „Wo kriege ich jetzt ne Git her? Hast du schon eine Idee, wo wir als nächstes hingehen?“

„Mit dir geh ich keine Gitarren mehr kaufen!“

„Aber ...“

„Frag Kai, wenn du mit Aoi und 'ruha nicht shoppen gehen willst! Ich nicht!“

Ruki zog eine Flunsch, sagte aber nichts mehr.
 

Miyavi saß daheim und übte sich im exzessiven Gebrauch kreativer Kraftausdrücke. Er hätte schon längst zu einem Termin in seinem Plattenlabel sein sollen. Aber mit seiner versauten Hose konnte er da natürlich nicht hin. Er würde sich erst umziehen müssen, davor am besten noch duschen, zu allererst aber seinen Manager anrufen und den Termin um eine Stunde verschieben lassen. So ein verdammter Mist, das alles. Ein Automotor, der in seiner Auffahrt tuckerte und dann verstummte, ließ ihn hellhörig werden und zum Fenster pilgern. Da unten stieg gerade Rhythmy aus einem Wagen. Von Harmony und Rhythmy, den beiden Schwestern seiner Frau Melody, war Rhythmy die, die er am wenigsten mochte. Sie war keine sehr angenehme Person. Und dann stieg da noch ein fremder Kerl auf der Fahrerseite aus, der sichtlich ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel hatte als sie. Argwöhnisch machte Miyavi sich auf den Weg hinunter ins Erdgeschoss. Die Tür wurde bereits mit dem Schlüssel geöffnet, als er unten ankam. Klar, Melody hatte ihrer Schwester den Schlüssel gegeben, damit sie nach Haus, Pflanzen und Briefkasten schaute, wenn Miyavi dieser Tage mit Kind und Kegel für eine Woche auf Reisen gehen würde.

Rhythmy blieb wie vom Donner gerührt stehen und gaffte ihn mit großen Augen an, als er so plötzlich und unvermutet vor ihr stand. „Miyavi!? Was tust du denn hier?“

„Sollte das nicht meine Frage sein?“

„Ich dachte, wir sind hier alleine“, raunte der fremde Mann Rhythmy leise zu.

„Solltest du nicht bei einem Termin in deinem Plattenlabel sein?“, gab diese die Aussage etwas anders formuliert an Miyavi weiter.

„Nun, offensichtlich bin ich das noch nicht. Willst du mir den Herrn nicht vorstellen?“

„Das ist nicht was du denkst!“

„Mit diesem Satz fangen die meisten Dramen an, meine liebe Schwägerin. Wähle deine Worte mit Bedacht.“

„Er ist nur ein alter Klassenkamerad!“

„Ach, so oft sitzengeblieben, ja? So viel älter als du und trotzdem in deiner Klassenstufe?“

„Okay, ein Schulfreund!“

„Eine Transe ist er also auch noch!? Rhythmy, du bist auf eine Mädchenschule gegangen, wie alle von euch dreien. Erklär mir das mal.“

„Miyavi!“, nörgelte sie spürbar überfordert und in die Enge getrieben.

Der Sänger nickte nur verstehend, zückte sein Handy und rief seinen Manager an, um seinen Termin um eine weitere Stunde zu verschieben. Hier war dringend ein Aufklärungsgespräch angezeigt. Und zwar ohne Aufschub. Das beließ er nicht dabei, Rhythmy den Hausschlüssel wieder abzunehmen und sie hinaus zu bitten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  JINO
2017-10-15T16:10:25+00:00 15.10.2017 18:10
Fängt ja schon mal gut an… xD

Ruki wäre bei mir noch einen Kopf kürzer geworden… bzw. ich hätte wahrscheinlich das klingeln gar nicht mitbekommen… Ohrstöpsel und so .. höhö xD

>>„Wer bist du neunmalkluger Held überhaupt?“
Reita zog sich genervt die Atemmaske aus dem Gesicht. <<
Armer Rei xD

>>„Für einen abgebrochenen Gartenzwerg, Mann! Und jetzt teste diese verdammte Yamaha, bevor ich sie dir über den Kopf haue!“, zeterte Miyavi<<
Miyavi wird böse… droht gar gewalt an… ohhh haaaa xD
Kein Gutes Zeichen… würde ich mein… xD

Ca 6000 öken das ist ganz schön…. Q_Q

>>Koron hob beleidigt das Beinchen und pinkelte Miyavi an die helle Jeanshose, wie um zu unterstreichen, daß er der Argumentation seines Herrchens wesentlich näher stand als der von Miyavi.<<
O_O Ach du schande….

>>Hausverbot! Für die gesamte Gazette-Truppe! Bis an ihr Lebensende!<<
Doppel ach du schande.. :’D

Liebe grüße XD

Antwort von: Futuhiro
15.10.2017 18:15
Danke für den langen Kommentar, das freu mich gerade riesig. XD

> Ruki wäre bei mir noch einen Kopf kürzer geworden…
Herrje, das war doch erst der Anfang. Du ahnst ja nicht, was er noch anstellt. Es kommen noch ein paar Kapitel. XD

> Ca 6000 öken das ist ganz schön…. Q_Q
Ja, aber solche teuren Gitarren gibt es durchaus. ^^°

> Hausverbot! Für die gesamte Gazette-Truppe! Bis an ihr Lebensende!<<
> Doppel ach du schande.. :’D

--> Mit dem Hausverbot werden sie Gazettos (insbesondere die anderen) noch ihren Spaß erleben. :D
Antwort von:  JINO
15.10.2017 18:20
Bitte, Bitte ~

>>Herrje, das war doch erst der Anfang. Du ahnst ja nicht, was er noch anstellt. Es kommen noch ein paar Kapitel. XD<<
Oh darauf freue ich mich schon sehr! xD

>>Ja, aber solche teuren Gitarren gibt es durchaus. ^^°<<
Ich weiß ... Q_Q Dafür muss man echt ne Bank überfallen.. :o

>>Mit dem Hausverbot werden sie Gazettos (insbesondere die anderen) noch ihren Spaß erleben. :D <<
Oh jeee... Oh jeee :'D
Die Armen können doch nichts für das Ruki und hund blödsinn verzapfen... oh man :'D

lg
Antwort von: Futuhiro
15.10.2017 18:27
> Ich weiß ... Q_Q Dafür muss man echt ne Bank überfallen.. :o
Ja, wenn es so weit rauf geht, dann schon irgendwie. ^^° Im Vergleich dazu war mein 650-Euro-Bass fast ein Schnäppchen. XD

> Die Armen können doch nichts für das Ruki und hund blödsinn verzapfen... oh man :'D
Nein, darum behalten Ruki und Reita das auch lieber erstmal für sich. XD (Aber ich will nicht vorgreifen ...)


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