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Digimon 00001100 <Twelve>

Samsara Madness [Video-Opening online]
von

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Jäger und Gejagte

Jagari hatte sich lange nicht mehr so gut auf Nightmare Bastion Wonderworld konzentrieren können. Für diesen Samstag war ein weiterer Raid angesetzt worden. BurstingStinger war auch mit von der Partie, außerdem noch fast dreißig andere, die sich in den Kopf gesetzt hatten, die Höhle der Verbotenen Träume zu durchqueren und das riesige, schweineartige Etwas in deren Herzen zu besiegen, das in Zockerkreisen gern scherzhaft das Ferkel genannt wurde.

Seine Abenteuer in der DigiWelt hatten irgendwie dazu geführt, dass Jagari nun gelassener war. Er steigerte sich nicht mehr so sehr in das Spiel hinein. Diese Distanz brachte ihm einen besseren Überblick, mehr strategisches Denken … Man könnte sagen, obwohl das Spielen nicht mehr so viel Spaß machte, fiel es ihm dennoch leichter. Er erreichte mehr, was wiederum sein Vergnügen steigerte, und außerdem war es noch immer eine Sache von Ehrgeiz, diese Höhle zu bezwingen.

Nach zwei Stunden Spielzeit waren etwa zehn Spieler ausgeschieden. Jagari lehnte sich seufzend zurück, als die Charaktere sich gegenseitig in einer leergeräumten Grotte heilten. Er bewegte seinen Nacken, der zu schmerzen begonnen hatte, und schüttelte seine Hände aus.

„Du bis ja wie neu geboren, LordAres“, hörte er BurstingStinger im Teamspeak.

„Danke. Du bist auch nicht schlecht.“

In der Punktewertung, die am Rand seines Bildschirms eingeblendet wurde, war Stinger nur einen Platz unter ihm selbst. Die ersten drei in der Rangliste würden sie wohl trotzdem nicht mehr einholen. PirateTask, Kewliiii und DarkMaster412 waren fast tausend Punkte in Führung, aber ihre Figuren waren auch um etliches stärker als Jagaris Magier.

Sie besprachen die weitere Taktik. Es gab nur noch zwei Heiler in ihrer Gruppe, das war übel. Die stärksten Gegner lagen noch vor ihnen. Jagari wünschte sich, Taneo dabei zu haben. Ob er ihn für NBW begeistern konnte? Die Top drei dieses Raids waren auch keine üblen Strategen, aber Taneo hätte sie sicher in den Schatten gestellt.

Jagari wurde schließlich ein Platz in den hinteren Gefechtsreihen zugewiesen, von wo aus er zaubern sollte. Dann ging es weiter, über schmale Stege und Schluchten voll Höllenfeuer, aus dem brennende Dämonen sprangen.

Es ging auf Mitternacht zu, als der klägliche Rest von ihrer Truppe vor einem riesigen Tor aus schwarzem Metall stand. „Passt auf, dahinter wartet das Ferkel“, hörte Jagari PirateTask über sein Headset. „Leute, wir betreten gleich unerobertes Terrain.“

Das Wort gibt’s nicht, schrieb Kewliiii in den Chat. Von diesem Spieler hatte Jagari noch nie die Stimme gehört. Aus der Art, wie sie schrieb, vermutete Jagari, dass Kewliiii ein Mädchen war, das sein Geschlecht verschleiern wollte.

Heilt nochmal, dann gehen wir rein, schrieb nun auch DarkMaster412.

„Leute, legt euch endlich mal ein Mikro zu. Eure Anweisungen kommen sonst immer zu spät“, meinte Jagari feixend.

„Dafür habt ihr ja mich“, sagte PirateTask. „Stinger, du gehst in die vordere Reihe. Ares, bleib hinten. Wenn alle geheilt sind, geht’s los.“

„Zu acht schaffen wir das nie“, meinte BurstingStinger mutlos.

Das wird schon, machte Kewliiii ihm Mut.

Der letzte verbleibende Heiler opferte all sein Mana, um seine Kameraden zu stärken. Jagari erzeugte ein paar Buffs, und PirateTask öffnete die Tür. Das Schwarz des Ladeschirms erschien, und als es wieder verschwand, fanden sich die Spielfiguren Auge in Auge mit sieben riesigen Flammen-Berserkern. Der Tanz ging los. Weiter hinten, unter einem Lavafall, wartete das Ferkel mit seiner gigantischen, zackigen Axt. Noch griff es zum Glück nicht ein. Die Berserker waren schwierig genug.

BurstingStinger erwischte es als Ersten. Jagari hörte ihn durch sein Headset aufheulen, als sein Schwertkämpfer von der Feuerpeitsche eines Berserkers zu Asche verwandelt wurde. „Verdammt nochmal! Nicht mal bis zum Ferkel gekommen!“

„Entspann dich, ich geb dir was von der Ausbeute ab“, versprach Jagari.

„Wow, super. Bist ‘n klasse Kumpel, Ares. Also dann, viel Glück noch.“ Da Stinger nicht mehr sehen konnte, wie der Kampf lief, sondern irgendwo vor der Höhle wiedergeboren wurde, klinkte er sich aus dem Teamspeak aus.

Jagari bekam vor Aufregung mittlerweile schweißfeuchte Hände. Lange hatte er die Spannung in diesem Spiel vermisst. Der letzte Flammen-Berserker fiel und ließ ein feuriges Ei fallen. Kewliiii sammelte es ein, und jeder der verbliebenen Mitspieler erhielt es in seinem Inventar. Dann stand nur noch das Ferkel persönlich zwischen ihnen und der riesigen Schatzkiste, über die Ströme aus Lava liefen. Verdammt gut gemacht, fand Jagari. Für ein Spiel zumindest.

Das Ferkel hatte noch nie jemand besiegt. Nur noch fünf von ihnen waren übrig, und das Ding zog Jagari die Hälfte seiner Lebenspunkte ab, allein durch einen Schrei, den es ausstieß und der sie alle traf.

„Hoho, das Ferkel quiekt ja hässlich!“, krähte PirateTask. „Passt auf, es geht angeblich immer zuerst auf die Magier.“

Ihre Angriffe prasselten auf den Bossgegner ein, verursachen aber kaum Schaden. „Verdammt, kann den keiner irgendeine coole Spezialfähigkeit einsetzen?“, ächzte Jagari, als er nur durch einen Hitzeschild die nächste Attacke überlebte.

DarkMaster412 schien sich dazu berufen zu fühlen. Er lief direkt vor das Ferkel, sein Vampirkrieger ließ den Stab über dem Kopf wirbeln, und violettes Licht glühte um seinen Körper herum auf, verbreitete sich immer weiter und ließ die ganze Höhle schimmern.

„Alter!“ PirateTask stieß einen Pfiff aus. „So einen Move hab ich noch nie gesehen.“

Dann ging alles gleichzeitig. Das Licht schwappte in alle Richtungen davon, überrollte das Ferkel, dessen Lebenspunkte rasten dem Nullpunkt entgegen, das violette Strahlen wurde immer greller, Jagaris DigiVice, das neben ihm auf seinem Schreibtisch lag, glühte auf, und dann wurde plötzlich der Bildschirm finster.

Im ersten Moment begriff Jagari nicht, was los war. „H-hey!“, war das Erste, das er herausbrachte. „Nicht jetzt!“, stöhnte er. Stromausfall? Nein, der PC arbeitete noch. Hatte der Monitor etwas? „Leute, hört ihr mich noch?“, rief er in sein Headset-Mikro.

Ich höre dich noch“, krächzte eine metallische Stimme aus den Lautsprechern und ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Der Bildschirm flammte wieder auf, die Höhle wurde sichtbar. Die Leichen der anderen Spielfiguren lagen herum, irgendetwas musste sie getötet haben. Das Ferkel selbst lag besiegt unter dem Lavastrom und wurde langsam transparent. Jagaris Magier lebte noch mit einem einzigen HP. War das Zufall?

DarkMaster412 stand vor ihm. Sie waren die Letzten, die in diesem Dungeon am Leben waren. Er sollte sich freuen … aber warum machte sein Mitspieler keine Anstalten, den Schlüssel zur Truhe aufzuheben, den das Ferkel verloren hatte? Wie hatte er diesen Endgegner überhaupt mit einer einzigen Attacke überwältigen können?

„Ich bin mir jetzt sicher“, hörte er die Stimme des anderen wieder. Jagaris Schrecken klang langsam ab. Also hatte DarkMaster einfach nur eine hässliche Stimme und sich deshalb immer nur schriftlich mitgeteilt … „Du bist es. Du bist einer von ihnen.“

„Was meinst du?“, fragte Jagari.

„Ich habe es gespürt ... das DigiVice, das neben dir liegt.“

Jagari sprang von seinem Stuhl auf. Er sah aus den Augenwikeln, wie Motimon auf seinem Bett zusammenzuckte. Was? „Wer … Wer bist du?“

Der Vampirkrieger … veränderte sich. Was das möglich? Was war das für ein Ding, das da verpixelt vor Jagaris Magier stand? Gab es diese Spielfigur überhaupt? Hatte das ganze verdammte Spiel einen Virus?

Die Arme des Wesens reichten bis zum Boden, sein Kopf war mit Metall gepanzert – es sah viel zu futuristisch aus für eine Figur aus Nightmare Bastion Wonderworld. Und es wuchs, es wurde immer größer, bis es den ganzen Bildschirm einnahm.

„Wir warten auf euch“, schnarrte das Wesen. Die Stimme schien nicht mehr nur allein aus dem Headset zu kommen, sondern … direkt aus dem Bildschirm? War so etwas möglich? „Ihr solltet euch nicht zu viel Zeit lassen. Unser Jäger ist ungeduldig. Er schlachtet eine Menge Unschuldiger ab. Ich soll euch ausrichten, dass er euch herausfordert, in den Dörfern in der Nähe des Walds der Vier Jahreszeiten.“

Endlich fiel bei Jagari der Groschen. „DarkMaster … du bist ein … ein …“

Die Verpixelung verschwand, der Kopf des Wesens wurde auf Jagaris Bildschirm sichtbar, als stünden sie sich direkt gegenüber. Drei Augenpaare funkelten ihn aus einem gehörnten, goldenen Helm an. Und damit nicht genug. Zwei mit goldenen Krallen bewehrte Hände drückten gegen die Innenseite des Monitors, als wollte dieses Ding ausbrechen.

Und genau das tat es.

Die Hände sickerten durch die Oberfläche des Bildschirms, als bestünde sie aus Wasser. Zwei braune, nach altem Leder riechende Arme schoben sich in Jagaris Zimmer, packten die Ränder des Monitors, als wollte das Wesen sich daraus hervorziehen. „Motimon!“, schrie Jagari panisch.

Der Kaugummigeist war zur Stelle, ehe er seinen Namen zuende gerufen hatte. Sein DigiVice erglühte wieder, ließ Motimon zu Elecmon werden – doch weiter konnte es unmöglich gehen, ohne sein Haus zu zerstören.

Die nunmehr stumme Maske folgte den Armen, breite, dunkel gepanzerte Schultern wurden sichtbar. Elecmon sprang auf den Schreibtisch, aber sein Stromschlag würde dem Ding sicher nichts anhaben, wenn es wirklich ein Asura war … Strom!

Geistesgegenwärtig beugte sich Jagari unter den Schreibtisch und riss den Stecker aus dem Computergehäuse, dann den des Bildschirms aus seinem Verteiler. Ein hässliches Zischen wurde laut, und als Jagari schweißgebadet den Kopf hob, waren der Bildschirm tot und das Digimon verschwunden.

 

„Und … fertig. Sorry, dass ich dich so lange hab warten lassen.“

„Schon okay. Aber warn mich besser das nächste Mal schon am Telefon vor, dass du noch ein paar Feinschliffe vornehmen willst.“ Taneo nahm sein DigiVice von Kentarou entgegen.

Sein Cousin zuckte grinsend mit den Schultern. „Wenn mir im letzten Moment noch einfällt, was man verbessern könnte, gibt’s eben einen Hotfix. Und der hier hat eben ein paar Stunden gedauert. Leb damit.“

„Ich hab ja gesagt, schon okay.“ Prüfend beobachtete er das kleine Gerät. Äußerlich sah es aus wie immer.

„Sieh zu, dass du die Tastenkombination nicht vergisst“, warnte Kentarou ihn. „Ich konnte keinen neuen Schalter einbauen, also musste ich mit denen Vorlieb nehmen, die schon drauf waren.“

Taneo nickte und wollte eben etwas zu Kokuwamon sagen, als sein Handy klingelte. „Entschuldige“, sagte er zu seinem Cousin und hob ab. „Hallo?“

„Taneo?“ Jagaris Stimme klang zittrig und schwach, wie nach einem Dauerlauf. Taneo runzelte alarmiert die Stirn.

„Was ist los?“

„Ein … Ein Digimon!“, brachte der Junge heraus. „Ein Asura! In meinem Computer!“

Taneos Stirnrunzeln vertiefte sich. „Wie meinst du das, in deinem Computer?“

„Es wollte herausklettern! Aus dem Bildschirm!“ Jagari war so aufgelöst, dass sich seine Stimme überschlug. „Ich hab ganz normal NBW gezockt, und auf einmal war einer der Mitspieler … Taneo, es hat mit mir gesprochen! Und es hat gesagt, dass SkullScorpiomon … o Gott …“

„Reiß dich zusammen“, sagte Taneo beschwörend. „Erzähl mir genau, was passiert ist. Geht es dir gut?“

„Nein – ja! Ich hab den Stecker rausgezogen, da ist es verschwunden. Aber die DigiWelt … Taneo, sie wollen uns erpressen! SkullScorpiomon nimmt sie als Geiseln!“

Wen, Jagari? Hol tief Luft und liefere mir einen ganzen, klaren Satz!“ Langsam wurde Taneo ungeduldig. Irgendetwas Schlimmes ging vor, so viel hatte er verstanden.

Er konnte hören, wie Jagari schluckte. „SkullScorpiomon wartet auf uns. Es greift die Dörfer in der Nähe von diesem Jahreszeitenwald an, weil wir nicht in die DigiWelt zurückkommen.“

„Also hat es dich herausgefordert“, stellte Taneo fest. „Diese Mistkerle.“

„Ich weiß nicht, was ich tun soll! Es wird die Digimon dort sicher töten, aber ich kann nicht alleine … Was sollen wir tun?“

„Ganz ruhig, Jagari. Hast du den anderen schon Bescheid gesagt?“

„Den anderen – was? Nein. Du warst der Erste. Soll ich … sie auch anrufen? Wollen wir uns bei mir treffen? Ich weiß nur nicht, was meine Mutter sagt, wenn wir mitten in der Nacht … Und was ist, wenn sie schlafen?“

Taneo warf Kokuwamon einen prüfenden Blick zu, dann Kentarou. „Hör zu, Jagari“, sagte er beruhigend, „leg dich hin und ruh dich ein wenig aus. Oder trink eine Tasse Tee.“

„A-aber SkullScorpiomon …“

„Überlass das einfach mir, okay? Tu, was ich dir sage, und entspann dich ein wenig. Ich melde mich, wenn ich dich brauche, ja?“

„Ich … ja, okay …“, murmelte Jagari.

„Gut. Bis dann.“

„Ähm, ja – warte, Taneo. Danke“, brachte er heraus.

Taneo legte auf und sah Kokuwamon grimmig an. „Bist du bereit für ein nächtliches Abenteuer?“

Der Käfer entfaltete knatternd die Flügel. „Immer.“

„Kentarou, ich darf doch sicher kurz deinen Computer benutzen?“

„Klar. Hört sich ja spannend an.“ Kentarous Sommersprossengesicht grinste vorfreudig. „Du hast nicht vergessen, was du mir versprochen hast, oder? Nimmst du mich mit, wenn du in die DigiWelt gehst?“

„Heute nicht“, sagte Taneo ernst. „Aber irgendwann bestimmt.“

 

Die Sterne beleuchteten eine Verwüstung aus zerfurchter Erde und eingestürzten Holzhütten. Die Bäume in der Nähe entsprachen dem Herbst, trostlos und blattlos, und wie ihre Skelette ragte SkullScorpiomons Silhouette im Dorfzentrum auf. Es klackerte vorfreudig mit den Scheren. „Da seid ihr ja“, geiferte es. „Hat euch NeoDevimons Einladung also erreicht. Nanu?“ Es stierte mit seinen kleinen Augen in die Dunkelheit. „Wo sind die anderen?“

Taneo und Cyberdramon traten auf es zu. „Mehr als uns braucht es nicht, um dich zu besiegen“, erklärte er grimmig.

SkullScorpiomon lackte keckernd. „Du spuckst wohl gern große Töne!“

Du spuckst gleich Blut“, knurrte Taneo. „Oder diese Datenreste oder was immer das ist, das aus toten Digimon herausfliegt! Was hast du den armen Digimon angetan?“

„Welchen Digimon?“ Skullscorpiomon präsentierte überheblich die Scherenarme. „Siehst du hier irgendwelche Digimon?“

Tatsächlich war das Dorf leer. Taneo biss die Zähne zusammen. „Sie waren unschuldig“, zischte er. „Diese Digimon hatten nichts mit unserem Kampf zu tun. Wir wären früher oder später von alleine wieder hergekommen. Ich wäre sogar gekommen, wenn du den Digimon nur gedroht hättest. Du hättest sie nicht umbringen müssen!“ Er blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sein Tonfall wurde kalt. „Immerhin hast du uns die Mühe erspart, dich zu suchen. Jetzt wirst du büßen.“

„Genug geredet“, beschloss das Jägerdigimon. Sein Maul öffnete sich, und ein Schwall gleißender Lichtblitze schoss daraus hervor. Es hielt sich gar nicht erst mit Cyberdramon auf – Taneo war das Ziel. Sein Digimon baute sich schützend vor ihm auf, die Krallen glühend. Licht traf auf Licht, und die beiden Attacken löschen sich aus.

Dann ging Cyberdramon zum Angriff über, seine Flügel peitschten Taneos Haar durch. „Ausradierkralle!“ Die Krallen leuchteten wieder, Energie sammelte sich in einem Ball und stieß auf das Asura zu.

Doch das Skorpiondigimon war flink. Seine knochendürren Gliedmaßen trippelten über aufgewühlte Erde, brachten es in Sicherheit. Der Lichtstrahl pflügte durch den Boden, knapp außer Reichweite. „Zu langsam!“, fauchte es hämisch.

„Aber wir können fliegen“, gab Taneo zurück.

Cyberdramon schoss in die Lüfte und stieß wie ein Raubvogel auf den Skorpion herab. Wieder sprang SkullScorpiomon gerade rechtzeitig fort von ihm. Sein Schwanz zuckte, der im Sternenlicht blitzenden Klinge entging Cyberdramon um Haaresbreite. Dann wirbelte das Asura herum und verpasste seinem Gegner einen Hieb mit seiner linken Schere, so gewaltig, dass es Cyberdramon in eine der leeren Holzhütten krachen ließ. Späne und Balken stoben auf, knickten wie Streichhölzer, das Digimon wurde halb darunter begraben.

„Hab ich dich“, gackerte SkullSkorpiomon und entließ ein weiteres Blitzstakkato auf Cyberdramon. Dieses aktivierte wieder seine Ausradierkralle, löschte den Angriff zuverlässig aus, ehe er seinen Körper erreichen konnte. Schwerfällig und unter Dauerfeuer richtete es sich auf, seine Flügel warfen den hölzernen Ballast ab.

„Nicht aufgeben, Cyberdramon!“, rief Taneo. „Halte dich an unseren Plan!“

Mit einem lauten Knurren stemmte sich Cyberdramon gegen das Nadelprasseln, kämpfte sich einen Schritt nach vorn, dann noch einen, schlug mit den Flügeln, um Schwung zu holen. SkullScorpiomon hielt eisern die Stellung, spie unermüdlich Nadeln und hielt bereits die riesigen Scheren bereit. Es dauerte eine schiere Ewigkeit, ehe Cyberdramon direkt vor ihm stand, kaum noch zu erkennen in dem Blitzgewitter, das da in der Dunkelheit tobte.

SkullScorpiomons Scheren öffneten sich – und Cyberdramon riss die glühenden Arme auseinander, schlug die Greifarme des Digimons zur Seite. Im gleichen Moment trafen Hunderte und Aberhunderte glühende Stacheln seine Brust, doch es war noch nicht am Ende. „Ausradierkralle!“ Seine Klauen fuhren senkrecht auf SkullScorpiomon herab, ließen Wellen aus Energie über dessen Knochenkörper rasen. Ein Windstoß wurde entfacht, der das Digimon fast von seinen dürren Beinen riss. Dann glühte Cyberdramon auf, digitierte zu Kokuwamon zurück und lag wehrlos am Boden.

„Kokuwamon!“ Taneo stürmte zu seinem Digimonpartner. Wo der Kampf getobt hatte, war der Boden umgepflügt wie auf einem frischen Acker. Keuchend schwenkte SkullScorpiomon zu ihm herum.

Das Digimon war übel mitgenommen. Cyberdramons letzte Ausradierkralle hatte einen rechten Scherenarm abgerissen, und sein Knochenpanzer wirkte brüchig und zerfetzt. „Dachtet ihr, mit so einer läppischen Attacke könntet ihr mich besiegen?“, krächzte es.

Taneo blieb stehen und setzte ein ungerührtes Gesicht auf. „Nein“, gab er zu. „Aber vielleicht mit zwei von der Sorte.“

SkullScorpiomon öffnete den Mund zu einer verwirrten Erwiderung. Taneo grub die Absätze seiner Sneakers in die weiche Erde, um festen Stand zu gewinnen. Seine Hand, die blind die Knöpfe seines DigiVices gedrückt hatte, zog sich zurück, und er krümmte die Finger, duckte sich. Das kleine Gerät, das Kentarou modifiziert hatte, glühte in einem Licht, wie es Taneo noch nie gesehen hatte, dumpfer, grünlich und trotzdem so ähnlich wie jedes Mal bei Kokuwamons Digitationen. Er fühlte unbändige Kraft aus dem Licht hervorsteigen, fühlte, dass er nur danach greifen musste, um sie in sich aufzusaugen …

Und er griff danach. Etwas sammelte sich in seinen Händen, seine Fingernägel begannen zu schimmern. Perplex verharrte SkullScorpiomon, doch auch Taneo konnte für den Moment nur staunen. Fühlte sich so Cyberdramon, wenn es eine Attacke entließ? Er meinte, etwas würde ihn verbrennen … Diese Kraft durfte nicht in seinem Körper bleiben, er musste sie auf etwas richten …

Taneo atmete tief durch, konzentrierte sich. Die Kraft nahm eine Form an, die er gut kannte.

Zeit, abzurechnen.

Ausradierkralle!“, brüllte er und stieß seine Hände von sich.

Der Windsturm, den er entfesselte, hätte ihn fast umgeworfen, wie der Rückstoß einer gewaltigen Waffe. Sein Haar, seine Kleider flatterten, Erdkrumen und kleine Steine flogen neben ihm davon, als der Lichtstrahl aus seinen Fingern brach und SkullScorpiomon frontal traf.

Das Asura krächzte schrill, wurde hintenüber gerissen. „Wie? Wie?“ Bis zum Schluss konnte es seine Fassungslosigkeit nicht zum Ausdruck bringen. Er zerbrach wie eine Glasskulptur, löste sich in die altbekannten Datenreste auf, die sich sammelten und gen Himmel trieben.

Taneo hatte keine Gegelenheit, sie zu beobachten. Er fühlte sich schwindlig, und …

Sein DigiVice blinkte wie verrückt. Mit fahrigen, taub gewordenen Fingern nahm er es vom Gürtel. Das Display flackerte, grün und orange und gelb und grün und grün … Dann flimmerten die Farben durcheinander, mit Taneo zuckte zusammen, als unterhalb er obersten Glasschicht plötzlich ein kleiner Riss aufklaffte.

Im gleichen Moment stöhnte Kokuwamon auf, glühte in befremdlichem Licht, flackerte und digitierte zurück. Mit einem erschrockenen Schrei stürzte er zu ihm. „Kapurimon! Was ist mit dir? Kapurimon!“, rief er, obwohl das Digimon nicht einmal mehr wie Kapurimon aussah, eher wie eine kleine, metallisch graue Maus mit blitzförmigen Ohren. Die Äuglein waren schmal, zusammengepresst. Wieder und wieder rief Taneo seinen Namen, bis es endlich wieder aufwachte.

„Taneo …“, piepste es.

Er drückte es an seine Brust. „Oh, Gottseidank! Was ist mit dir? Alles in Ordnung?“

„Ich fühle mich nur so müde …“

„Du bist zurückdigitiert … Warte, ich bringe dich zurück zu Kentarou, wir päppeln dich wieder auf!“ Schon stand er auf, lief über den verwüsteten Dorfplatz und suchte das Waldstück, das sie durch einen Fernseher betreten hatten. In der Ferne grollte Donner.

„Was ist denn passiert?“, murmelte das Digimon.

Taneo schwieg, zwängte sich durch das Unterholz. „Es hat geklappt“, sagte er dann.

„Wirklich?“ Die Augen des Digimons glänzten.

Taneo wandte den Blick ab. Er schämte sich. „Leider nicht ganz so, wie ich gehofft habe.“ Er besah sich wieder das DigiVice mit dem Sprung im Display. Er war klein, aber … Es war doch kein Schaden für sein Digimon entstanden, oder? Er betete, dass es okay war. „Dieses Attacken-Kopieren … Das ist wohl nicht wirklich ausgereift“, murmelte er, während der Fernseher in Sicht kam.

„Dein Cousin kann es sicher richten“, versuchte es ihm Mut zu machen – selbst jetzt noch, dabei fühlte er sich schuldig! Das war unverantwortlich gewesen! Verdammt, was, wenn Kapurimon irgendetwas passiert wäre?

„Nein“, sagte er entschlossen und presste die Lippen fest zusammen. „Genug von dem Thema. Wir belassen es bei diesem Experiment.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Fuchspinsel
2017-04-21T18:51:01+00:00 21.04.2017 20:51
Wow die RPG-Szene erinnert iwie an einen Gruselfilm oO Ich glaube mein Herz wäre da stehen geblieben, wenn da so ein Asura rauskommen würde xD
Die Szene mit Taneo ist sehr interessant... Hatte iwie gehofft, dass er das nicht an sich selbst ausprobiert... Muss ganz schön hart sein, sich über Konsequenzen erst im Nachhinen wirklich bewusst zu werden... Hoffe das nimmt ihm seinen Mut nicht :/
Antwort von:  UrrSharrador
25.04.2017 12:28
Freut mich :D Ja, das war schon sehr riskant von Taneo^^
Von:  EL-CK
2017-04-20T15:58:06+00:00 20.04.2017 17:58
interessant... wirklich interessant....


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