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Boys Don't Cry

Spiegelkabinett
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich hatte wirklich viel Zeit um mir zu überlegen, ob ich mich wirklich an dieses Thema ran wagen sollte oder nicht.
Und ich habe noch immer etwas Sorge, dass es ein paar Leute gibt denen ich mit dieser Thematik auf den Schlips trete.
Ich möchte hiermit darauf hinweisen, dass ich nicht auf Erfahrung schreibe, das ich aber jemanden kenne, der diesen Werdegang gerade durchlebt.
Mir ist ein ernstes Thema wirklich wichtig - für die, die Every Single Breath kennen, sollte das klar sein - und daher habe ich mich jetzt doch dazu entschieden mich der Thematik "Transsexualität" zu widmen und einfach zu hoffen, dass diese Story - die durchaus als ziemlich umfangreiches Projekt geplant ist - zu veröffentlichen. Komplett anzeigen

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I

Das laute Poltern auf dem Flur sorgt dafür, dass ich aus dem Schlaf hochschrecke. Mein Blick gleitet zum Fenster, den schmalen Lichtstreifen die sich durch die Rollläden ins Innere meines Zimmers zwängen und anschließend zu dem kleinen Digitalwecker auf meinem Nachtkasten.

Fünf vor sechs. Ein müdes, nicht weniger genervtes Stöhnen verlässt meine Lippen als ich die Bettdecke zur Seite schlage, die Beine aus dem Bett schwinge und den Wecker – der eigentlich erst in einer knappen Dreiviertelstunde hätte klingeln sollen! Danke für nichts! – ausschalte.

Vermutlich macht sich meine beschissene Schwester wieder Sorgen darum, sie könnte ihren beschissenen Hobbyhuren-Status verlieren, wenn sie sich nicht mindestens zwei Stunden vor Schulbeginn vor den scheiß Spiegel stellt.

Das laute Zuschlagen der Badezimmertür nebenan ist für mich das Stichwort die Rollläden hochzuziehen nur um zu sehen, das es regnet. Und die grauen Wolken versprechen auch keine baldige Besserung des Wetters. Beschissener hätte dieser letzte Schultag wirklich nicht anfangen können. Eigentlich ganz passend. Die nächsten Wochen werden wohl auch nicht besser. Besonders toll wird dieser gottverdammte Familienurlaub. Zwei verfickte Wochen auf engstem Raum mit meiner Schwester.

Ich reiße mich letztlich von dem Anblick der Regentropfen auf der Scheibe los und hole mir frische Sachen aus dem Schrank und verlasse das Zimmer, klopfe mit den Knöcheln kurz gegen das Holz der Badezimmertür bevor ich die Tür öffne und mir eine wirklich widerlich aufdringliche Parfümwolke entgegenkommt.

„Hast du vor die Leute mit deinem penetranten Gestank zu ersticken oder was soll der Scheiß?“ fauche ich sie angeekelt an und verziehe dabei demonstrativ das Gesicht bevor ich mich an ihr vorbei zum Fenster drücke um eben genau dieses aufzureißen. Das hält ja kein Schwein aus!

„Ganz im Gegensatz zu dir achte ich auf mein Aussehen. Sieh dich an. Kein Wunder das jeder einen riesen Bogen um dich macht!“ antwortet dieses Miststück bissig und fährt damit fort ihre beschissenen, arschlangen Haare zu kämmen. Ignoriert mich einfach. Tut so, als wäre ich gar nicht da. Und ich bin mir nicht sicher, was mich wütender macht. Ihre absolut unnötige Bemerkung oder die Tatsache, dass unser Prinzesschen ihrem Status mal wieder alle Ehre macht.

Ich mache mir gar nicht erst die Mühe etwas darauf zu erwidern. Verschwendete Luft und Lebenszeit. Ich könnte genauso gut mit den verfickten Fliesen an der Wand sprechen und vermutlich könnte ich da eher eine Reaktion erwarten.

Ich schäle mich aus meinen Klamotten, steige unter die Dusche und schalte das Wasser ein.

„Fuck!“ fluche ich nach Luft schnappend, als das eiskalte Wasser auf meine Haut trifft. Eine unangenehme Gänsehaut zieht sich über meinen Körper und ich muss die Zähne fest aufeinanderbeißen um zu verhindern das sie anfangen zu klappern.

Dieses dreckige Stück Scheiße hat schon wieder das ganze Warmwasser verbraucht! Nicht, dass es was Neues wäre, aber ich glaube nicht dass ich mich jemals daran gewöhnen werde morgens kalt zu duschen. Keine Ahnung, wann das zuletzt anders war.

Ich verbringe keine Minute länger unter der Dusche als unbedingt nötig, schnappe mir ein frisches Handtuch aus dem Schrank und wickel mich darin ein. Leider sorgt der Windzug der sich durchs offene Fenster ins Innere drängt nicht unbedingt dafür das mir wärmer wird. Dieser abgefuckte Tag wird mit jeder beschissenen scheiß Minute schlimmer!

Unser aller Liebling steht immer noch vor dem Spiegel. Als ob sie sich ihre ganze Kosmetikkacke nicht in ihrem beschissenen Zimmer in ihr noch beschisseneres Gesicht klatschen könnte! Und als ob diese ganze Kosmetikscheiße sie erträglicher machen würde. Ihr beschissenes hübsches Gesicht macht ihren scheiß Charakter auch nicht besser. Man kriegt trotzdem das blanke kotzen, wenn sie ihr beschissenes Maul aufmacht.

Ich bin froh dass sie ihre Fresse hält, als während ich mich anziehe und mir hinter ihr stehend die Haare föhne und zusammenbinde. Das sie immer noch schweigt, als ich meine dreckige Wäsche in die Wäschetonne schmeiße und das Badezimmer endlich verlasse.

Ich seufze, als ich auf halben Weg nach unten meinen Vater höre. Allein wie er redet bringt mich fast zum kotzen. Diese permanente Überheblichkeit treibt mir die Galle hoch. Manchmal erinnert er mich an diese schmierigen Spaltenlecker-Handlanger in diesen beschissenen Hollywoodstreifen. Eigentlich nichts erreicht, außer irgendeinem fetten Schwein die Füße zu küssen in der Hoffnung, man würde irgendwann die nötige Anerkennung dafür bekommen. Am Arsch! Alles, was der Wichser irgendwann bekommt, ist ein Herzinfarkt, weil er sich – so cholerisch wie er ist – über jeden noch so kleinen Scheiß aufregt als würde die fucking Welt dadurch untergehen.

Er hat die Nase in der Tageszeitung als ich in die Küche komme. Meine Mutter sitzt daneben und tippt auf ihrem beschissenen Tablet rum. Weder der eine, noch der andere sieht auf als ich wortlos den Wasserkocher anstelle und mir eine Tasse aus dem Schrank nehme. Und beide haben kein einziges Wort für mich übrig, als ich mich schließlich mit meinem Tee an den Tisch setze und an ihnen vorbei aus dem Fenster in den Regen starre.

„Guten Morgen Mikasa“ durchbricht die dunkle Stimme meines Vaters die Stille und holt mich damit zurück ins hier und jetzt. Natürlich. Das Prinzesschen ist jedes Wort wert. Fick dich doch, Arschloch!

Ich umklammere den Rand meiner Tasse etwas fester als ich sie an den Mund führe und einen Schluck daraus nehme um jeden bissigen Kommentar, der mir bereits zur Aussprache bereit auf der Zunge liegt, mit dem Tee runter zu schlucken.

Ich hasse sie. Ich hasse es mir mit diesem Miststück ein Haus – eine Familie! – zu teilen. Auch nur die gleiche Luft zu atmen wie sie. Ich hasse es, dass jeder sie wie ein beschissenes Heiligtum behandelt und sie bis in den Himmel lobt. Verreck doch einfach dran! Erstick an deiner beschissenen Perfektion!

Als sie sich schließlich an den Tisch setzt, meine Mutter ihr Tablet ausschaltet und mein Vater seine scheiß Zeitung endlich zur Seite legt, stehe ich auf und stelle meine Tasse in die Spüle bevor ich die Treppen nach oben steige. Ich höre dumpf, wie mein Erzeuger so etwas wie „wenn sie bloß etwas mehr wäre wie du“ sagt bevor die Tür meines Zimmers hinter mir ins Schloss fällt.

Bastard! Dreckiger scheiß Wichser!

Die Tränen, die sich in meinen Augen sammeln kann ich weder der Wut, noch der Enttäuschung oder der Einsamkeit zuordnen. Vielleicht ist es eine Mischung aus all den Emotionen, vielleicht sind es aber auch einfach nur meine beschissenen Hormone die in letzter Zeit immer mehr Achterbahn zu fahren scheinen. Ich hasse es, dass ich diese Sachen so nah an mich ranlasse und ich hasse mich dafür, dass ich es nicht einfach ausblenden kann. Es ist nichts, was nicht schon immer gewesen wäre. Es ist nichts, was ich nicht bereits kenne.

Ich wische mir mit dem Handrücken über die Augen, als sich die erste Träne löst und atme einmal tief durch. Versuche mich zu sammeln und die neu aufkommenden Tränen zurück zu halten. Keiner von diesen Wichsern ist auch nur eine einzige Träne wert! Und trotzdem… kann ich dieses dämliche Schluchzen nicht zurückhalten.

„Fuck“ fluche ich mit bebender Stimme bevor ich mir die Hand auf den Mund drücke, um dieses absolut erniedrigende Geräusche zumindest zu dämpfen. Scheiße man! Ich will das nicht. Nichts davon! Keine Träne und keins von diesen scheiß Gefühlen. Vier Jahre. Nur noch vier verfickte Jahre.

Eine verhältnismäßig kurze Zeit, die ich durchhalten muss bis ich endlich hier wegkann.

„Ivy!“ höre ich meinen Vater, durch die Tür gedämpft, nach mir brüllen.

Mein Blick fällt auf den Wecker und ich bemerke, dass es Zeit ist um sich auf den Weg zu machen. Mein Magen krampft sich schmerzhaft zusammen, als ich daran denke das dieses Spielchen in der Schule so weitergehen würde. Sogar bis dahin verfolgt mich meine beschissene Schwester!

Ich wische mit noch einmal mit der Hand über die Augen, schnappe mir meine Tasche und komme der unausgesprochenen Aufforderung meines Erzeugers nach und laufe mit eiligen Schritten die Stufen nach unten um ihm keinen Grund zu liefern, sich verbal darüber auszulassen.

Er sieht mich nicht an, als ich an ihm vorbei zur Garderobe gehe und meine abgetragenen Chucks anziehe und mir meine Lederjacke überwerfe. Meine Mutter sieht auch mehr an mir vorbei, als dass sie mich ansieht, als sie mir Geld für etwas zu Essen zusteckt bevor sie sich knapp und lieblos von mir verabschiedet. Mikasa sitzt bereits im Wagen – natürlich auf dem beschissenen Beifahrersitz, was sonst?! – und tippt auf ihrem scheiß Handy rum als ich auf den Wagen zu gehe und hinten einsteige.

Das leise Brummen des schicken Firmenwagens meines Vaters wirkt irgendwie beruhigend. Ich kann für ein paar Minuten das unwohle Gefühl vergessen, das sich sonst so penetrant festsetzt. Erst, als der Wagen zum Stillstand kommt und sich die Beifahrertür öffnet, realisiere ich das wir am Ziel angekommen sind. Dieses beschissene Gymnasium, das mir mit jedem Tag mehr wie Knast vorkommt. Ich hasse es hier. Seufzend greife ich nach meiner Tasche und bin bereits im Begriff die Tür zu öffnen, als mich die Stimme meines Vaters noch einmal zum Innehalten zwingt.

„Ivy“ beginnt er und allein an seiner Tonlage erkenne ich, dass ich seinen Worten lieber Aufmerksam lauschen sollte. „Wenn dieses Zeugnis wieder so beschissen aussieht wie das letzte, wird das Konsequenzen für dich haben“

Da ich nichts darauf zu erwidern hab, nicke ich einfach knapp bevor ich fluchtartig den Wagen verlasse und die Tür etwas zu laut zuschlage. Ich höre das Gebrüll meines Vaters, das darauffolgt und mir graut es bereits jetzt davor, nach der Schule nach Hause zu kommen. Ich brauch mir nichts vormachen. Meine Noten sind nicht besser geworden. Eher das Gegenteil ist der Fall. Mittlerweile kann ich wohl froh sein, wenn sie mich überhaupt in die nächste Stufe versetzen. Fuck it!

Mikasa ist bereits verschwunden. Vielleicht besser so, sonst hätte ich mir von ihr vermutlich auch noch irgendeinen blöden Klugscheißer-Spruch anhören müssen.

Ich hänge mir meine Tasche über die Schulter und steuere direkt das Schulgebäude an. Der Regen ist stärker geworden, die Strähnen meines Ponys kleben mir bereits nass im Gesicht und meine Füße sind nass, als ich endlich das Gebäude betrete. Der Weg kommt mir mit jedem Tag länger vor und das Bedürfnis, dieses beschissene graue Gebäude nie wieder zu betreten wird immer drängender.

Die Gänge sind voll, überall drängen sich kleine und größere Gruppen von Schülern und ihre Gespräche vermischen sich zunehmend zu einem undefinierbaren Stimmengewirr. Ich schlängel mich zwischen meinen Mitschülern durch zum Treppenhaus und steige die Treppen bis zum dritten Stock hinauf, folge dem Flur bis zu unserem Klassenzimmer und bin dankbar, als ich sehe das der Flur so gut wie leer ist. Die letzten Minuten vor dem Unterricht will ich mir die blöden Kommentare meiner Mitschüler nicht auch noch antun. Nicht, dass es direkt gegen mich ginge. Das hat aufgehört, als sie gemerkt haben das mich ihre blöden Sprüche nicht im Geringsten kümmern. Naja. Zumindest lasse ich es mir nicht anmerken. Aber selbst meine Klassenkameraden vergleichen mich mit ihr und selbst bei ihnen bekomme ich zunehmend das Gefühl, das ich nicht mal der Dreck unter den Füßen dieser Perfektion einer Frau sein könnte.

Ich lehne mich neben der Tür unseres Klassenzimmers an die Wand, streiche mir die nassen Strähnen aus der Stirn und stoße ein tonloses Seufzen aus. Der letzte Schultag. Zumindest für die nächsten sechs Wochen ist das der letzte Tag, den ich hier verbringen muss. Nur drei Stunden, bis ich diese einengenden Mauern hinter mir lassen kann.

Die Stille auf dem Flur bleibt nicht lange. Die Flure fangen an sich zu füllen und spätestens als ich den braunen Haarschopf meiner besten Freundin entdecke, wars dass mit der Ruhe für mich.

„Ivyyyyyy“ quietscht sie aufgeregt als sie mir um den Hals fällt und mich dabei halb zerquetscht. Ich erwidere ihre Begrüßung eher halbherzig, woraufhin sie mich ein Stück von sich schiebt, mir ins Gesicht sieht und mich kritisch mustert. Und natürlich fällt ihr auf, das irgendwas nicht stimmt.

„Was ist los?“ fragt sie auch schon direkt. Ihr besorgter Blick macht mich nervös und ich senke den Blick, stoße ein genervtes Seufzen aus und schüttel den Kopf.

„Nichts. Mach dir keine Sorgen“ blocke ich direkt ab. Natürlich passt es ihr nicht. Natürlich schnauft sie beleidigt, aber dennoch fragt sie nicht weiter nach sondern legt einfach den Arm um meine Schulter und drückt mich an ihre Brust. Was sag ich! Sie drückt mein Gesicht förmlich zwischen ihre Brüste und erstickt mich damit!

„Hanji lass den Scheiß!“ mecker ich, drücke sie von mir und alles, was sie darauf erwidert ist ein verheißungsvolles Grinsen. Keine Ahnung was sie plant, aber es gefällt mir nicht. Dieses Grinsen bedeutet nie etwas Gutes. Hat es nie. Wird es nie. Jedenfalls nicht für mich.

„Wir kriegen Ferien Ivy! Du und ich. Stadt. Heute Nachmittag“ teilt sie mir überschwänglich mit und wackelt dabei dämlich mit ihren Augenbrauen.

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich die Ferien über raus darf wenn mein Vater mein Zeugnis sieht oder?“ frage ich sie genervt und seufze. Diese Ferien werden die reinste Katastrophe. Während alle anderen ihren Spaß haben werde ich zwei Wochen mit meiner Familie an der See hocken – ich glaube, das werden die schlimmsten zwei Wochen meines Lebens! - und die restlichen vier Wochen in meinem Zimmer verbringen. Am Schreibtisch. Mit meinem Vater im Nacken, damit ich auch wirklich was für die Schule tue. Fuck my life!

Sie öffnet den Mund um etwas zu erwidern, wird aber durch den ankommenden Lehrer unterbrochen. Und irgendwie bin ich froh darüber, dass dieses Thema zumindest vorerst beendet ist.

Ich lasse mich auf meinen Platz in der hintersten Reihe sinken während Hanji sich auf ihren in der zweiten Reihe setzt, verschränke meine Arme auf der Tischplatte und bette meinen Kopf darauf.

Der Unterricht zieht spurlos an mir vorbei. Selbst als mich dieser Penner in seinem beschissenen Sakko direkt anspricht reagiere ich nicht auf ihn, sondern starre einfach auf einen imaginären Punkt in der Luft. Das er mein Verhalten duldet, liegt vermutlich auch nur daran das heute ohnehin der letzte Tag vor den Ferien ist. Die Noten stehen fest, die Zeugnisse sind gedruckt. Außerdem interessiert sich so gut wie niemand für das, was er uns über Terme erzählt.

Selbst die Pause, die wir ausnahmsweise drinnen verbringen dürfen, weil es immer noch wie aus Eimern gießt bin ich nicht aufmerksamer. Hanji redet ohne Punkt und Komma auf mich ein, vermutlich über die Pläne die sie sich für uns überlegt hat. Wirklich zuhören tue ich ihr aber nicht.

„Ivyyyy! Du hörst mir ja gar nicht zu!“ ruft sie empört und rüttelt an meinem Arm. Ich schenke ihr einfach nur einen müden, genervten Blick, erwidere aber sonst nichts darauf. Selbst ihr theatralisches Seufzen und das sie den Kopf auf die Tischplatte fallen lässt, veranlasst mich nicht dazu ihr die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie sich von mir wünscht. Und beinahe tut es mir leid, sie so abzuwehren. Aber ich hab weder die Lust, noch die Kraft, ihr begreiflich zu machen, das sie völlig umsonst über irgendwelche tollen Sachen redet die wir unternehmen könnten. Es interessiert mich nicht. Nicht, weil ich keine Lust darauf hätte. Vielmehr um mir selbst die Enttäuschung zu ersparen, wenn meine größte Befürchtung sich bewahrheitet.

Die Gespräche werden weniger und leiser, als die nächste Stunde beginnt. Verstummen tun sie aber nicht und als die ersten ihre Zeugnisse bekommen, werden sie sogar noch lauter und reden immer mehr durcheinander. Dieser scheiß Schwanzvergleich geht mir jetzt schon tierisch auf die Nerven. Als ob sich später mal jemand dafür interessieren würde, welche Noten man in der achten Klasse hatte.

Als ich meinen Namen durch den Raum hallen höre, erhebe ich mich träge und nehme am Pult mein Zeugnis entgegen. Ich werfe keinen Blick darauf, als ich zurück an meinem Platz bin und packe es einfach zwischen die Seiten meines Collegeblocks.

Ab da scheint die Zeit nur so zu rasen. Das erlösende klingeln, dass das Ende des Unterrichts und damit die Ferien ankündigt, ertönt für meinen Geschmack viel zu früh und selbst als ich mir Zeit lasse, meine unangerührten Sachen wieder einpacken, scheint es viel zu schnell zu gehen obwohl Hanji bereits ungeduldig neben mir steht und am Drängeln ist wie ein beschissenes Kleinkind.

Als Hanji und ich aus dem Gebäude treten sehe ich bereits von weitem den schwarzen Mercedes meines Vaters. Wie Mikasa sich mit irgendeinem Jungen den Schirm teilt und eilig auf den Wagen zuläuft. Noch unter dem schützenden Dach des Gebäudes stehend wende ich mich an meine Freundin, seufze erneut – heilige Scheiße das wird noch zu einer beschissenen Angewohnheit – und allein der Blick mit dem sie mich ansieht zeigt, dass ich wohl genauso verzweifelt aussehe, wie ich mich fühle. Dennoch sagt sie nichts, zieht mich erneut in eine Umarmung und ich kämpfe wirklich mit meiner Selbstbeherrschung. Vor ihr weinen ist wirklich das letzte, was ich gebrauchen kann.

„Es wird schon nicht so schlimm“ meint sie leise, drückt mich noch einmal fest an sich bevor sie mich endgültig loslässt und ich mich mit eiligen Schritten auf den Weg zum Wagen mache.

Zu meiner eigenen Überraschung sitzt Mikasa hinten. Der Kerl, mit dem sie zum Wagen gelaufen ist sitzt neben ihr. Ich öffne die Beifahrertür und lasse mich auf den Sitz fallen, schließe die Tür dieses Mal leiser damit mein Vater keinen Grund hat, mich direkt anzufahren. Mein Vater sagt nichts. Begrüßt mich nicht, sondern führt einfach sein Gespräch mit dem brünetten Jungen fort als er den Gang einlegt und losfährt.

Nachdem mein Vater endlich seine Schnauze hält, ertönt die angenehme, warme Stimme des jungen Mannes der schräg hinter mir sitzt. Er streckt die Hand zwischen den Sitzen durch nach vorn und hält sie mir hin, ich sehe im Rückspiegel wie er lächelt und als ich mich im Sitz etwas drehe um die Hand zu ergreifen, spüre ich das Knie meiner Schwester in meinem Rücken.

„Eren“ stellt er sich knapp vor, drückt meine Hand sanft als ich sie ergreife und lächelt mich warmherzig an.

„Ivy“ erwidere ich emotionslos, ziehe die Hand als er sie loslässt augenblicklich zurück und lege sie auf meinem Schoß ab. Das Knie in meinem Rücken ist noch nicht verschwunden, drückt sogar noch fester gegen den Sitz. Aber sie schweigt. Sagt nichts. Behält jeden blöden Kommentar und jedes böse Wort für sich. Vermutlich auch nur, damit er nicht schlecht von ihr denkt.

Am Weg, den wir fahren, erkenne ich, das wir auf direktem Weg nach Hause sind. Das Knie ist aus meinem Rücken verschwunden, dafür klammert sich diese beschissene Schlampe jetzt förmlich an die warme Hand, die ich eben noch in meiner hatte. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die beiden ein Paar sind. Oder das sich zumindest eine Beziehung anbahnt. Für einen Moment beobachte ich die beiden durch den Rückspiegel, schließlich wende ich aber den Blick ab und aus dem Seitenfenster und beobachte die vorbeirauschenden Gebäude und Bäume die sich durch die Regentropfen zu einem undefinierbaren Brei aus Farben vermischen.

Die Fahrt zieht spurlos an mir vorbei, ich steige wortlos aus dem Wegen als wir in der Einfahrt unseres Hauses zum Stillstand kommen und betrete ebenso schweigend das Haus. Ich bin froh aus den nassen Schuhen zu kommen und alles, was ich will, ist nach oben zu gehen und mich in meinem Zimmer zu verbarrikadieren. Ich will den Moment, in dem mein Vater mein Zeugnis unter die Lupe nimmt, so lange wie möglich herauszögern. Und auch, wenn ich mich beeile, schaffe ich es natürlich nicht rechtzeitig nach oben zu kommen, bevor mein Vater als letzter das Haus betritt.

Wir steuern zu Dritt das Wohnzimmer an, in dem meine Mutter sitzt und auf uns zu warten scheint. Ich lasse mich auf den Sessel fallen, meine Tasche landet lieblos zwischen meinen nassen Füßen auf dem Boden. Ich will einfach weg hier. Soweit weg wie irgend möglich.

Eren stellt sich meiner Mutter – genauso warm lächelnd wie er es bei mir getan hat – vor und lässt sich schließlich neben meiner Schwester auf dem Zweisitzer nieder. Mein Vater lässt sich auf dem anderen Sofa neben meiner Mutter nieder und nimmt das Zeugnis meiner Schwester entgegen. Der stolze Ausdruck in ihren Augen bringt mich fast zum Kotzen und das Lächeln, das mein Erzeuger für sie übrig hat treibt mir regelrecht die Galle hoch.

„Das ist wundervoll mein Schatz“ sagt auch meine Mutter überschwänglich lächelnd. Mein Magen krampft sich zusammen, als ich nach meiner Tasche greife und mein bereits zerknittertes Zeugnis zwischen den Seiten meines Blocks hervorziehe und es an meinen Vater weiterreiche, als er mir die Hand auffordern entgegenstreckt.

Der stolze Ausdruck und das Leuchten in seinen Augen verschwindet augenblicklich, als er einen Blick auf das Schriftstück wirft.

„Dafür-“ spuckt er mir förmlich entgegen und blickt abwertend auf den wertlosen Zettel in seiner Hand „- hab ich absolut keine Worte. Was machst du in der Schule, hm? Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester!“ Die wütenden, enttäuschten Worte überraschen mich nicht und trotzdem sind sie ein herber Schlag ins Gesicht. Und der mitleidige Blick, den ich auffange als ich aufstehe und meinem Vater das Schriftstück aus der Hand reiße, macht es nicht unbedingt besser. Ganz im Gegenteil. Es macht mich nur noch wütender und setzt mir nur noch mehr zu.

„Leck mich!“ fauche ich meinem Erzeuger wütend entgegen, dass das blöde Stück Papier gerissen ist und noch mehr unansehnliche Knicke bekommen hat interessiert mich nicht im Geringsten. Ich schnappe mir meine Tasche, stopfe den Auslöser für den neuen Tiefpunkt meiner Laune in meine Tasche und verlasse fluchtartig das Wohnzimmer. Renne die Treppenstufen förmlich nach oben und lasse die Tür meines Zimmers laut hinter mir ins Schloss fallen ehe ich den Schlüssel im Schloss drehe.

Die Tasche kommt polternd auf dem Laminat auf als sie mir aus den zitternden Händen gleitet während ich versuche meine Fassung nicht noch einmal zu verlieren. Meine Augen brennen, als ich mich an die Tür lehne und mich daran auf den Boden sinken lasse, das Gesicht in meinen Händen vergrabe und bereits zum zweiten Mal an diesem Tag versuche das erbärmliche Schluchzen zurück zu halten, dass sich aber dennoch seinen Weg aus meiner Kehle bahnt.

Ich komme mir dabei so verdammt schwach und erbärmlich vor. Verfluche meinen Vater und verteufle meine Schwester. Hasse mich selbst, weil ich für alle eine so herbe Enttäuschung bin. Meine Hormone, weil sie dafür sorgen das ich nicht einmal mehr in den Spiegel sehen kann, ohne an mir zu zweifeln. An dem was ich bin und an dem, was ich sehe.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Havertz
2017-08-11T17:35:43+00:00 11.08.2017 19:35
Huhuuu~
It's me again :3

Ein interessanter Start für eine neue FF.
Da hast du dir echt ein schweres Thema rausgefischt.
Aber ich wünsche dir viel Erfolg dabei.
Ich habe selbst in meinem Freundes- und Bekanntenkreis einige Transsexuelle, weswegen mich diese Story noch mehr interessiert, wie du das umsetzt, wie es weiter geht all das.


Da ich Mikasa auch im Manga/Anime nicht leiden kann, kann ich Ivy einfach nur zustimmen, was Mikasa angeht.
Blöde Bitch xD
*muss das mal los werden*

Ich bin gespannt, wie es weiter geht!
Viel Erfolg!!!!!



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