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The Weight Of The World

von

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I. Death & Rice Cake

„Yaku-San!“

 

Inzwischen kannte Morisuke diese Stimme. Inzwischen war es fast vertraut, völlig aus dem Nichts heraus angeplärrt zu werden, so jäh, als wäre sein Gegenüber gerade spontan aus dem Boden gewachsen.

Inzwischen war es – und Morisuke hasste diesen Umstand – vertraut, doch das änderte nichts daran, dass er mit einem panischen Ausruf zusammenfuhr und zurückstolperte.

 

Die Leute rings um ihn herum sahen ihn mit oberflächlicher Verwirrung an, ehe sie sich abwandten von dem Jungen, der scheinbar vor seinem eigenen Schatten erschrocken war.

 

Haiba Lev hockte grinsend auf einer etwas mehr als mannshohen Mauer, in dem gleichen, alten, samuraihaften Fetzen, in dem Morisuke ihm das erste Mal begegnet war, und grinste.

 

„Wie. OFT. Habe ich dir schon gesagt, du sollst DAMIT AUFHÖREN?!“

 

Morisuke scherte sich nicht darum, dass er viel zu laut war. Dass da immer noch Leute waren, die ihn hören konnten. Sein Herz raste und sein ganzer Körper schmerzte von der Anspannung, mit der er sich zur Flucht bereit machte, nur für den Fall, dass es nötig wurde.

Und es würde nötig werden.

Wie sollte es nicht nötig sein?!

 

„Aber Yaku-San–“

 

„Kein Aber!!! Ich hab gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen! Tu das gefälligst!“

 

Morisuke wirbelte herum, als er sah, dass Lev zu einem neuen Protest ansetzte, und dann rannte er.

Rannte, bis er irgendwann völlig außer Atem zuhause ankam, mit Seitenstechen und hämmerndem Herzen, aber weit weg von diesem merkwürdigen Ungetüm.

Haiba Lev war, wie er sagte, ein Shinigami. Ein Geist.

 

Und es gab nichts, das Morisuke mehr hasste.

 

 
 

***

 

 

Angefangen hatte es an einem Tag, der normaler nicht hätte sein können. Morisuke war auf dem Heimweg von der Schule gewesen, wutschnaubend, weil Kuroo wieder einmal einen unnötigen Kommentar über seine Größe gemacht hatte.

 

Der seltsame Kerl mit den Samurai-Kleidern hockte mitten auf dem Gehweg und beobachtete eine Straßenkatze, die sich in einem Vorgarten tummelte. Er war im Weg. Natürlich war Morisuke genervt – was war das für ein unhöflicher Idiot?!
 

„Hey, du! Geh gefälligst aus dem Weg, hier sind Leute, die vorbei wollen!“

 

Er reagierte nicht. Morisuke knurrte, während er mit stampfenden Schritten auf ihn zu marschierte. Kein Wimpernzucken. Der Kerl ignorierte ihn!

„Hey, du Riese!“

Dass er groß war, sah er. Diese verdammten, ewig langen Gliedmaßen machten Morisuke nur vom Hinsehen ärgerlich.

Diesmal reagierte er. Sah sich völlig verwirrt um, bis sein Blick kurz auf Morisuke fiel und dann mit einem Schulterzucken wieder zu der Katze zurückkehrte. Morisuke war kurz davor, den Kerl gehörig zu verprügeln!

„Ich rede mit dir“, knurrte er laut. Noch einmal hob der fremde Kopf sich. Glattes, silbriges Haar, riesige, grüne Katzenaugen, die am Ehesten noch irgendwie gruselig aussahen, und wieder so ein verdammt dümmlicher Ausdruck. Ein Blinzeln. Noch eines. Dann dämmerte in dem Blick des Kerls irgendetwas und seine Augen weiteten sich, sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, das so lächerlich breit war, dass man eine Banane hätte quer hindurchschieben können. Der Typ sprang auf die Beine, und sofort überragte er Morisuke um viel zu viele Zentimeter. Wie ein lebendiger Sonnenschirm stand er zwischen Morisuke und der späten Nachmittagssonne.

„Du siehst mich.“

 

Bei so viel Unglauben in seiner Stimme fragte Morisuke sich einen Moment, wie fest man sich den Kopf stoßen musste, um an der eigenen Sichtbarkeit zu zweifeln. Dann hob er den Kopf in den Nacken, um sein Gegenüber anzufunkeln, und jede rudimentäre Sorge um seine geistige Gesundheit erstickte in Ärger.

„So groß, dass du völlig außerhalb meines Blickfeldes existierst, bist du auch wieder nicht, du langer Lulatsch! Gehst du mir jetzt endlich aus dem Weg? ich will nach Hause.“

„Du siehst mich.“

Schon wieder. Das Grinsen wurde noch breiter. Es sah lächerlich aus, die kindliche Freude an diesem langgezogenen Kerl.

 

„Das ist das erste Mal, seit ich auf die Erde gekommen bin!“

 

„…was?“

 

Morisukes Magen krampfte. Ein Gedanke begann sich in seinem Kopf zu festigen, den er da nicht haben wollte, und er schob ihn mit aller Macht von sich. Kuroo würde ihn auslachen, wenn er jemals davon hörte. Kenma auch.

„Es gibt keine Geister.“

Sich vorzustellen, es wäre Kenmas Stimme statt seiner eigenen, die die Worte sagte, machte sie noch viel beruhigender.

Sein Gegenüber blinzelte.

 

„Aber ich bin doch hier. Ich bin ein Shinigami. Ein Geist. Und du bist der Erste, der mich sehen kann!“

 

Morisuke vergaß, dass die schmale Hintergasse nicht breit genug für zwei war, stürmte an dem Riesen vorbei, wobei er ihn einfach wegschubste, und drehte sich nicht mehr um, bis er mehrere Straßen weit entfernt war.

Er würde sich eine andere Abkürzung nach Hause suchen müssen.

 

 
 

***

 

 

Es hörte nicht auf.

Egal, welchen Weg er zur Schule nahm. Auf welchem Weg er nach Hause ging. Lev war überall.

 

Nach zwei Monaten saß der Kerl eines Nachts in seinem Schlafzimmer, sah ihn aus im Licht des Vollmondes glühenden Augen an, einem Dämon aus der Hölle gleich.

 

Morisuke hatte alles versucht. Talismane. Lev wieder und wieder entgegenbrüllen, dass er verschwinden sollte. Es half alles nicht.

„Du gewöhnst dich an mich“, behauptete der Kerl steif und fest, aber Morisuke wollte sich nicht gewöhnen, und er gewöhnte sich auch nicht. Er bekam einen Herzinfarkt, wenn Lev ihn ansprach. Wenn der Kerl ihn zu sehr belästigte, endete das in Albträumen, die ihn die halbe Nacht wach im Bett liegen ließen, während seine Augen panisch umherhuschten und erwarteten, das unirdische grüne Leuchten von Levs Katzenaugen irgendwo in den Schatten zu erblicken.

 

Morisuke wollte zurück in sein normales Leben.

 

Stattdessen hatte er Lev wieder am Hals. Es war spät. Es war dunkel. Morisuke wäre gar nicht mehr draußen, hätte er nicht dringend noch etwas fürs Kochen besorgen müssen, weil seiner Mutter erst mitten bei der Arbeit aufgefallen war, dass etwas Wichtiges fehlte.

Der Kerl marschierte neben ihm her, viel zu große Schritte, die Morisuke dazu zwangen, immer zwei Schritte zu nehmen für jeden, den Lev machte, und er plapperte, obwohl Morisuke ihm noch nie zugehört hatte. Irgendetwas davon, dass er auf Patrouille sei, weil böse Monster in der Gegend seien – Dinge, die Morisuke auch gar nicht hören wollte, denn er wusste, sie würden ihn um den Schlaf bringen.

Kuroo würde ihn so auslachen, wenn er schon wieder mit Augenringen zur Schule kam und bei jedem Geräusch zusammenzuckte.

 

Irgendwo in der Ferne kreischte ein Tier.

Morisuke zuckte zusammen, und zu seinem Erstaunen war Levs heiteres Grinsen auch plötzlich wie weggewischt. Ein nie dagewesener Ernst war auf sein Gesicht getreten und er griff nach dem Schwert, das immer an seiner Hüfte hing.

Morisuke erinnerte sich vage, dass Lev ihm einmal erzählt hatte, dass das Schwert dazu da sei, irgendetwas mit Geistern zu machen. Sie zu töten? Er hatte nicht wirklich zugehört, allein der Anblick der Klinge war verstörend gewesen.

 

„Du solltest jetzt besser nicht weitergehen, Yaku-San.“

„Ich muss nach Hause.“

„Nimm nen Umweg.“

„Wozu?“

 

„Das da“, begann Lev, und das Kreischen ertönte erneut. Lauter. Näher. Morisukes Herz krampfte und er trat instinktiv einen Schritt zurück, während Lev einen nach vorn trat. Einige Straßenlaternen weiter befand sich im Lichtkegel einer Laterne ein schwarzer, unförmiger Fleck.

Es musste ein Schatten sein, ganz harmlos, aber Morisuke war sich sicher, er bewege sich.

Schnell.

Lev fluchte.

„Verdammt. Wenn ich es früher gemerkt hätte– Yaku-San, lauf!!“

 

Morisuke gehorchte, ohne gehorchen zu wollen, seine Fluchtinstinkte längst schon auf Höchstform.

Er machte den Fehler, sich umzudrehen, als das Kreischen erneut ertönte, wieder lauter als zuvor. Zu laut. Zu nah.

Das war kein Schatten. Er wusste nicht, was es war. Aber es war kein Schatten. Riesig, gut und gern doppelt so hoch wie Lev. Unförmig. Eine Maske auf dem Gesicht(?), keine wirklichen Gliedmaße, aber… irgendeine Form von Auswüchsen.

Ein Monster.

 

Da war ein Monster, und es kämpfte mit einem schwertschwingenden Geist.

 

 
 

***

 

 

Als es vorbei war, zitterten Morisukes Knie wie Espenlaub. Er hockte auf dem Boden, starrte entgeistert zu Lev hinauf, der sich Blut an seinem zerfetzten Ärmel abwischte. Der Arm darunter war verletzt. Wie war das möglich?

„Alles okay, Yaku-San?“

Eine riesige Pranke schwebte in seinem Blickfeld. Morisuke gab seinem ersten Impuls nach und schlug sie wütend weg.

„Nichts ist okay!“, begann er aufgebracht, seine Stimme bebte so sehr, dass er über jedes zweite Wort fast stolperte, „Was denkst du denn?! Du bist doch Schuld an diesem verdammten Scheiß! Wärest du nicht aufgetaucht, hätte ich ein ganz normales, harmloses Leben! Wie oft muss ich dir noch sagen, du sollst verschwinden, bevor du es tust?!“

 

Für einen Moment sah Lev aus wie geohrfeigt. Verletzt. So sehr, dass Morisuke fast ein schlechtes Gewissen bekam.

Dann war der Blick weg und Lev setzte sich ihm gegenüber auf den Boden, zog die Beine an.

„Du solltest froh sein, dass ich da bin“, erklärte er in nüchternem Tonfall. Eine Tatsache, keine egobedingte Halluzination. Keine großen Töne, die keinen Sinn hatten, sondern… eine Wahrheit.

Es machte Morisuke Angst.

„Dass du mich sehen kannst, heißt, dass du über eine gute Menge spirituelle Kraft verfügst. Hollows – diese Monster – fühlen sich davon angezogen.“

 

Morisuke wusste jetzt schon, er würde die ganze Nacht nicht schlafen.

 

Levs Grinsen kehrte zurück. Er stand wieder auf, klopfte sich den Staub vom Hintern und streckte Morisuke erneut eine Hand entgegen.

„Du solltest also froh sein, dass du mich zum Bodyguard hast!“

Morisuke war nicht froh. Er ließ sich trotzdem aufhelfen.

„Sei wenigstens ein schweigender Bodyguard.“

 

Aus welchen Gründen auch immer, Lev gehorchte. Er blieb still, aber er wich nicht mehr von Morisukes Seite, bis der nicht zurück zu Hause war und sich in seinem Bett verkriechen konnte.

Er konnte nicht schlafen.

Sobald er die Augen schloss, kehrte das Bild des Monsters zurück. Die starre Maske mit dem irren Grinsen. Der schwarze, unförmige Körper, den ein Loch geziert hatte, genau dort, wo ein Herz hätte sein sollen. Offene Augen machten auch nichts besser; in der Dunkelheit sah jeder Schatten wie ein Monster aus. Jedes seichte Licht ein glühendes Auge, das ihn gierig anstarrte.

Irgendwann schaltete er verzweifelt seine Schreibtischlampe als Nachtlicht an.

Es half auch nicht. Das diesige Halblicht machte die existenten Schatten nur noch schlimmer. Das Deckenlicht ließ das Fenster zur reflektierenden Oberfläche werden, nahm ihm den Blick hinaus in die Welt, und waren da nicht Fehler in der Spiegelung?

 

Als ihn die Müdigkeit doch so sehr übermannte, dass seine Augen einfach zufielen, war das Licht wieder ausgeschaltet und Morisuke hatte zumindest beinahe so etwas wie Frieden mit der Finsternis geschlossen.

Zumindest so lange, bis er wenige Minuten später wieder schreiend aus dem Schlaf schreckte.

 

„Yaku-San, ist alles okay?“

 

Lev war da. In der Dunkelheit, der unerwünscht vertraute Anblick geisterhaft leuchtender Augen und heller Haare.

Der echte Geist war ein abstrus erleichternder Anblick im Vergleich zu den Monstern aus Morisukes Träumen.

„…nein. Nichts ist okay, du riesiger Trampel.“

„Ich kann hier bleiben und auf dich aufpassen“, schlug Lev mit einem Grinsen vor, das Morisuke gottseidank nur hörte. Er kickte nach dem Kerl, der vor seinem Bett stand und grinste kurz, als er ein schmerzvolles Japsen hörte.

Das tat gut.

„Yaku-San, das war gemein.“

„Du bist Schuld. Also Klappe. Sei froh, dass ich dich nicht rauswerfe.“

„Dann beschützt dich ja auch nieman– AU!“

 

Ein paar Minuten herrschte Stille. Morisuke wollte es nicht zugeben, aber die Gesellschaft des nervigen Shinigami beruhigte ihn irgendwie. Wenigstens nahm sie ihm die Angst vor den unförmigen Schatten seines eigenen Zimmers.

„Weißt du, ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben, Yaku-San“, begann Lev irgendwann aus dem Nichts. Er grinste wieder. Morisuke warf stöhnend den Kopf aufs Kissen und schloss gequält die Augen.

„Ich will’s nicht hören.“

„Nein, ernsthaft! Es ist echt einsam hier unten. Keiner sieht mich, und ich bin oft im Außendienst… das ist ziemlich deprimierend. Aber jetzt hab ich ja dich!“

 

Morisuke machte sich gar nicht mehr die Mühe, noch einmal nach Lev zu treten. Er rollte sich rum, vergrub sich unter seiner Bettdecke.

„Du hast gar nichts“, knurrte er, und damit war das Gespräch für ihn beendet. Rauswerfen tat er Lev trotzdem nicht.

Ausnahmsweise.

Morgen wieder.

 

„Ich würde ja voll gern mal Volleyball spielen, das sieht lustig aus.“

 

Lev hatte es einmal erwähnt, als er Morisuke nach der Schule abgefangen hatte. Nach dem Volleyballtraining. Warum musste er vor dem Einschlafen jetzt daran denken? Er knurrte, drückte sein Gesicht so tief ins Kopfkissen, dass es seine Stimme fast vollständig erstickte.

 

„Morgen Abend gehen wir Volleyball trainieren.“

 

„Yaku-San!!! Ich wusste doch, du magst mich!“

 

Nicht. Aber Levs Freude war gerade so beruhigend, dass Morisuke gar nicht widersprach.

Und im Gegensatz zu schwarzen Schattenmonstern erschien ihm ein großkotziger Geist nur noch halb so gruselig.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Hampelmann
2017-08-07T16:53:00+00:00 07.08.2017 18:53
Lev ist einfach so herrlich dämlich! ♥ Und persistent. Und das ist gut, weil sonst würde er Yaku nie rumkriegen, huh? Und wir wissen doch alle, dass Yaku das in Wahrheit...
*hört hier lieber auf zu reden, ehe Yaku in die Luft geht*
Ich find es sau cool! Die Charaktere sind absolut wiederzuerkennen, trotz AU, und ich stelle mir gerade sehr amüsiert vor, wie Yaku mit einer unsichtbaren Gestalt Volleyball spielt :D Der Geist von Nekoma!



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