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Lieben verboten!

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe LeserInnen,

dies ist mein neuestes Projekt.
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Der chemische Geruch der frischen Farbe auf den Wänden meines neuen Zimmers biss mir beim Aufwachen in der Nase und rief mir sofort wieder in Erinnerung, was für ein Tag heute war. Der erste Morgen in unserem neuen Haus, in einer neuen Stadt und schließlich noch an einer neuen Schule. Das erste von drei Jahren Fachabitur hatte ich noch in meiner Heimatstadt, sogar in meiner alten Schule absolviert und ich hatte inständig gehofft, es auch dort abschließen zu können, aber Pustekuchen.
 

Mein Vater hatte ein äußerst lukratives Jobangebot bekommen, dessen Antritt er nur wegen mir fast ein halbes Jahr nach hinten verschoben hatte, damit der Schulwechsel halbwegs sanft für mich wäre. So lieb das auch war und ich konnte wirklich verstehen, dass der satte Batzen mehr auf sein Jahresgehalt ihm kaum eine andere Wahl ließ, ich hasste es. Generell verabscheute ich Veränderungen jeglicher Art und einen so tiefen Einschnitt in mein Leben konnte ich ihm nur schwer verzeihen.
 

Es war Ende August und ich war vor über zwei Monaten 18 geworden. Ich hatte meine Eltern mit mühsam zusammengekratztem Charme wochenlang zu bezirzen versucht, mich doch zurück zu lassen, damit ich meinen Abschluss zu Hause machen konnte, aber sie ließen nicht mit sich reden. Das lag zu einem nicht unerheblichen Teil daran, dass ich einfach nicht besonders charmant sein konnte; generell war ich eher Typ unterkühlt und zurückhaltend. Kannte man mich nicht, könnte man wohl meinen, dass ich zuweilen richtig unfreundlich war. Des Weiteren hatte ich auf dem Weg zur mittleren Reife eine Extrarunde gedreht und meine Eltern waren der Meinung, dass mir, obwohl ich einen ziemlich guten Abschluss hingelegt hatte, das kontrollierende Auge über der Schulter fehlen würde, würde ich alleine leben. Und dann war da natürlich noch mein, zugegebenermaßen zuweilen recht unkontrollierbarer, psychischer Zustand.
 

So richtig verdenken konnte ich es meinen Eltern also nicht, vor allem, da sie eh die Auffassung vertraten, dass die eigenen Kinder im sicheren Schoß der Familie bleiben sollten, bis sie studierten oder eine Ausbildung abgeschlossen haben. Logisch betrachtet fand ich diese Herangehensweise gar nicht mal so falsch, aber in diesem Moment stank mir das ganz gewaltig.
 

Die morgendliche Sonne machte mir das Aufschlagen der Augen nahezu unmöglich, obwohl sie mich in eine schummrige Wärme hüllte, die zusätzlich das Aufstehen erschwerte. Gähnend wandte ich dem Fenster und der hereinstrahlenden Sonne den Rücken zu und betrachtete die andere Hälfte meines geräumigen Zimmers, nachdem ich es endlich geschafft hatte, die Augen zu öffnen.
 

Eine seichte Brise ließ die Blätter des Baumes nahe meinem Fenster leise rascheln und zwei Vögel sangen sich gegenseitig schöne Melodien zu. Die ganze Atmosphäre war fast magisch und ich kam nicht umhin, anerkennend zu seufzen, während ich die mintgrün gemusterte Wand betrachtete, auf der sich meine Mutter verewigt hatte. Meine Eltern hatten uns schon ein kleines Idyll mitten in der großen Stadt gesichert, als sie sich für dieses Haus entschlossen hatten. Meine Ma, ihres Zeichens vollendete Hausfrau und Hobbyinnenausstatterin, hatte in jedem Winkel des Hauses ihre persönliche Note einfließen lassen, so auch auf der schemenhaften Landschaft, die sie auf meine Zimmerwand gezaubert hatte.
 

Diese ganze Schönheit um mich herum ließ mich noch mürrischer wirken, als ich eh schon immer war. Ein Blick auf meinen Wecker verriet mir, dass es 6:15 Uhr und draußen schon 22°C warm war. Mit einem gedehnten Stöhnen raffte ich mich aus den Federn und sofort breiteten sich Pseudokopfschmerzen in mir aus.

Ich hasste die heiße Jahreszeit fast so sehr wie unseren Umzug. Nicht, dass mir die Hitze etwas ausmachte. Ich war noch halbwegs im Training und sowieso nie der Typ, dem schnell der Schweiß auf der Stirn stand, aber außer beim Sport zeigte ich äußerst ungern Haut. Ich fühlte mich immer sofort wie nackt, trug ich ein Kleid oder einen Rock. Schon ein ärmelloses Top bereitete mir Unbehagen. Als würden sofort aller Augen auf mir ruhen, sobald ich Bein, oder eben auch nur etwas Arm zeigte. Wie lächerlich derlei Gedanken waren, war mir zwar bewusst, aber ich konnte nichts dagegen tun. Das steckte in mir.
 

Seufzend streckte ich mich und trat die sechs Schritte zu meinem großen Kleiderschrank, aus dessen Spiegeltüren mir mein verschlafenes Ebenbild entgegenblickte. An die tiefen Augenringe zum Ende jeder Ferien hatte ich mich gewöhnt, das plötzliche, frühe Aufstehen forderte noch jedes Mal wieder seinen Tribut, doch das Unglück, das ich aufgrund des Umzugs empfand, ließ mich noch ausgezehrter als sonst erscheinen. Meine schwarz gefärbten Haare fielen kraftlos bis knapp unter meine Schultern, die ebenso schlaff herabhingen. Als ich mein Schlaftop anhob kamen zwar, wie immer, meine Bauchmuskeln zum Vorschein, aber darüber auch viel zu deutlich meine Rippen. Meine Mom würde sofort in einen Übermutterrausch verfallen, sobald sie das sah. Gut, dass bauchfreie Oberteile in meinem Kleiderschrank eh keinen Platz hatten, obwohl er doch so viel Unbenutztes in sich barg, wie mir nun wieder klar wurde, da ich seine Türen öffnete, um eine schwarze Leggings und ein luftiges, graues Kleidchen heraus zu kramen.
 

Ich liebte Grautöne. Mindesten drei Viertel meiner Garderobe wurde davon dominiert. Ich warf beides ohne hinzugucken über meine Schulter und hoffte, dass die Klamotten auf meinem Bett landeten. Schließlich kramte ich noch Höschen, BH und Sneakersocken aus den Schubladen und schloss die Türen wieder. Die Unterwäsche landete ebenso unachtsam irgendwo in der Nähe meines Bettes und ich wandte mich weiter zur zweiten Tür, die von meinem Zimmer abführte, in mein eigenes Bad.
 

Ja, zugegeben, dieser Umzug hatte auch seine Vorteile. Ich mochte dieses Bad wirklich. Die ebenerdige, große Dusche, das breite Board unter dem noch größeren Spiegel, in das sogar zwei Waschbecken eingelassen waren und dem saftig grünen Farn, für den auch noch mehr als genügend Platz in dem geräumigen Badezimmer war. Das Grün der Pflanze stach wunderschön hervor, neben dem einheitlichen Weiß der großen, matten Fliesen und der Schränke mit Hochglanzfronten. Durch das Milchglasfenster schien die Sonne auch in diesen Raum und erfüllte ihn mit dieser wunderschönen Wärme, wie sie es nur an einem Sommermorgen konnte. Die ganzen grünen Handtücher rundeten das Gesamtbild ab. Auch hier hatte sich meine Mutter ausgelassen und ich war mir sicher, dass sie nur dafür noch ein, zwei Garnituren grüner Handtücher extra gekauft hatte, sodass sich die Farbe nie aus diesem Raum verflüchtigen konnte. Ich liebte grün aber auch sehr, das wusste meine Mutter natürlich.
 

Wasser liebte ich mindestens genauso sehr wie die Farbe der Wälder, weshalb die Dusche einen guten Batzen Zeit eingenommen hatte. Als ich, in ein grünes Handtuch gewickelt, zurück in mein Zimmer ging, zeigten die digitalen Ziffern meines Weckers 6:39 Uhr an. Das ging ja noch. Zu meiner neuen Schule waren es mit dem Bus gerade mal 20 Minuten und der Unterricht würde erst um 7:45 Uhr beginnen. Also noch genügend Zeit zum Anziehen und für ein dezentes Make-up. Mein schwarzes Haar ließ ich offen, auch wenn es mir noch immer nass und recht träge vom Kopf hing.
 

Mit einem letzten Blick betrachtete ich meine Erscheinung noch mal im Spiegel meines Kleiderschranks. Ich mochte dieses graue Kleid wirklich an mir. Der Baumwollstoff war sehr fein gewoben, dennoch war es dünn und luftig und würde trotz der langen Ärmel nicht zu warm werden. Die schwarzen Leggings ließ meine von Haus aus langen Beine noch eine Spur länger wirken. Eigentlich konnte ich wirklich mit mir zufrieden sein. Mit meinen 1,72m war ich weder zu groß, noch zu klein für eine Frau. Der jahrelange Sport hatte meinen Körper wohlgeformt und auch mein Gesicht, dessen Zentrum ganz klar meine eisblauen Augen waren, war nun nicht zum Ekeln, aber irgendwas hatte ich an mir, weshalb ich über die Jahre sozial immer inkompetenter wurde.
 

Auf der weiterführenden Schule war es von Anfang an absehbar gewesen, dass ich nicht viele Freunde haben würde. In den Klassen fünf bis neun war es noch annehmbar. Ich konnte mich zwar nie richtig in die Klassengemeinschaft integrieren, aber ich fiel auch nicht negativ auf.

Als ich die neunte Klasse aber wiederholt hatte, war es schließlich ganz zu Ende mit jeglichen Kontakten zu Mitschülern. Es hatte bis zur Hälfte des Schuljahres der zehnten Klasse gedauert, bis ich überhaupt das Gefühl bekam, in der Klasse als Mitglied auch nur wahrgenommen zu werden. Dann ging es allerdings und ich war sogar dankbar, dass sieben meiner Mitschüler sich auch zu einem Fachabitur entschlossen hatten und ich somit einen weicheren Start hatte, zumal ich nicht mal die Schule wechseln musste.
 

Irgendwie schien ich mein verdrehtes Inneres zu sehr nach außen zu tragen und wirkte dadurch womöglich regelrecht abschreckend. Letztlich war es mir aber auch ganz recht so, ich hatte für zwischenmenschliche Beziehungen nicht viel übrig, vergrub mich lieber in Büchern oder hörte stundenlang Musik. Das Einzige, bei dem das wirklich anders war, war in meinem Sport. Volleyball. In der Mannschaft war ich voll integriert. Ich lachte tatsächlich manchmal herzhaft, wobei man mir im normalen Leben sicherlich nachsagte, dass ich zu einem Lächeln nicht mal fähig sei. Mit meinen Mitspielerinnen verbrachte ich sogar ab und an meine Freizeit, fernab vom Spielfeld. Ja, man konnte wohl von Freundschaft sprechen.
 

Für den Moment verbot ich mir das weitere Schwelgen in der Vergangenheit, da der rationale Teil in mir mich dazu zwang, mich zu konzentrieren. Dieser Teil war seit meiner Extrarunde in der neunten Klasse sehr präsent geworden und ich war dankbar dafür. Hatte er mir doch einen guten Abschluss und die Möglichkeit für das Fachabitur eröffnet.
 

Ein letzter Blick auf den Wecker verriet mir, dass ich mich so langsam auf den Weg machen sollte. Es war 7:03 Uhr. Also schnappte ich mir von meinem Nachttisch mein Smartphone, das noch am Ladekabel hing, eilte rüber zu meinem weißen Schreibtisch, der direkt vor dem Fenster platziert war und griff nach dem Schreiben der Schule, in dem stand in welche Klasse ich gehen würde. WA-2. Ich machte mein Fachabitur in Wirtschaft, da ich in den sozialen Bereichen nicht ansatzweise kompetent genug war und meine technischen Fertigkeiten gen null gingen. Klassisches Auswahlverfahren, nicht dass ich eine Idee gehabt hätte, was ich mit einem Fachabi in Wirtschaft anfangen wollte.
 

Mit geschultertem Rucksack stieg ich die Wendeltreppe in den ersten Stock und dann die schicken Glasstufen in den geräumigen Flur, der in das komplett offene Erdgeschoss unseres Hauses führte. Die gesamte Etage war lediglich durch wenige tragende Wände unterbrochen, die jedoch nichts wirklich abgetrennt erscheinen ließen. Ich ließ meinen Eastpack fallen, schob ihn mit dem Fuß Richtung Haustüre und machte einen eleganten U-Turn um die gläserne Treppe zum Esstisch, der aus demselben Material gefertigt war. Meine Mutter liebte Gläsernes. Es verlieh Räumen eine gewisse Tiefe, wie sie fand, ließ alles größer und heller wirken. So war es auch nicht verwunderlich, dass jede der drei übrigen Hauswände bodentiefe, große Fensterfronten aufwiesen, die das Sonnenlicht fast so schön in die Räumlichkeiten ließen wie oben in meinem Zimmer.
 

Am Esstisch saß mein kleiner Bruder Leonnard, schaukelte mit schwebenden Beinen über dem Boden und starrte auf sein Smartphone. Pokémon Go oder WhatsApp, da war ich mir sicher. Im Gegensatz zu mir hatte er das helle Blond meines Vaters geerbt, das er lässig hochgegelt trug. Mit seinen 13 Jahren sah er unheimlich gut aus und war nicht nur deshalb das komplette Gegenteil von mir. Kontaktfreude, Beliebt- und Offenheit waren seine hervorstechenden Merkmale. Er hatte ständig Besuch von Freunden zu Hause und ich war wieder dankbar für die Architektur unseres neuen Hauses, da ich das Dachgeschoss für mich allein hatte. Es würde sicher nicht lange dauern, bis hier wieder ständig Achtklässler ein und aus gingen. Ich ließ das Wohnzimmer zu meiner Rechten unbeachtet und wandte mich in Richtung Küchenbereich auf der linken Seite der Glastreppe.
 

"Guten Morgen, mein Schatz!", begrüßte mich meine Mutter überschwänglich, was auch Leonnard dazu veranlasste, seinen Blick vom Handy loszureißen und mir zur Begrüßung zuzuzwinkern. Ich erwiderte die Geste schmunzelnd und fragte mich, wann die Mädels anfangen würden, sein Zimmer zu stürmen und unsere Ma es nicht mehr betreten dürfte. Leicht kopfschüttelnd drehte ich mich zu meiner Mutter und zeigte ihr das kleine Lächeln, das sie so an ihrer Tochter liebte.
 

"Morgen, Mom." Ich ging auf sie zu und wollte ihr noch zusätzlich ein Küsschen auf die Wange geben, aber unsere schokobraune Labradorhündin versperrte mir den Weg, indem sie, wie immer, an meiner Mutter klebte. Als sie mich jedoch schließlich wahrnahm, begann sie, wild mit ihrem Schwanz zu wedeln, so dass ihr kompletter Körper sich hin und her bog. So dankbar! Einfach nur dafür, dass ich da war. Ein tolles Gefühl.

"Guten Morgen, Stella! Ja, ist ja gut!" Umständlich drängte ich mich an der Hündin vorbei und küsste meine Ma auf die Wange, während Stella meine Hand abschlabberte.
 

"Na, gut geschlafen?", wollte sie von mir wissen. Von der Mitte der Kochinsel fischte ich mir einen Apfel aus der Obstschale und murmelte ein "Mhm", während ich herzhaft hineinbiss. Mama schob mir eine braune Papiertüte rüber und ich stöhnte genervt.

"Echt, Mom? Gott, ich bin 18, ich kauf mir lieber was."

"Stell dich nicht so an, Darling. Denk wirtschaftlich. Rechne mal hoch was es kostet, wenn du jeden Tag fünf bis zehn Euro in der Schule ausgibst. Ab und an ist es ja okay, aber immer? Mh-mh!" Sie flötete das "Mh-mh!" am Schluss regelrecht, was mich die Augen verdrehen und gleichzeitig lächeln ließ. Sie schob eine weitere Tüte schwungvoll auf die andere Seite der Insel und grinste mich danach gewinnend an. Sie wusste, dass ich nicht dagegen argumentieren würde, irgendwie war ich doch ziemlich pragmatisch, genau wie sie.
 

Allgemein war ich ein ziemliches Ebenbild meiner Mutter. Wir waren beinah gleich groß und von ähnlicher Statur. Von ihr hatte ich auch meine langweiligen braunen Haare, deren Farbton manchmal so fahl war, dass sie fast einen gräulichen Stich bekamen, weshalb ich sie auch färbte. Ich war unsicher ob mir der Farbton so missfiel oder ich mich schlicht von meiner Mutter unterscheiden wollte. Anders als ich kleidete sie sich allerdings immer recht farbenfroh, wenn auch geschmackvoll, wodurch wir uns ein und für sich schon genug unterschieden.
 

"Auf geht's, Leo!" Ihre gute Laune morgens war manchmal wirklich übertrieben. Leonnard allerdings wurde davon noch immer mitgerissen und so sprang er geschmeidig vom Stuhl, schob ihn an den Glastisch, flitzte von der anderen Seite an unsere Mom und küsste sie ebenfalls auf die Wange.

"Danke, Mom!", flötete er ihr charmant entgegen und ich beneidete ihn ein wenig für die Genverteilung, bei der ich, wie ich fand, ziemlich schlecht abgeschnitten hatte.

"Gerne, mein Schatz!" Er rannte den selben Weg zurück um die Kochinsel, griff im Vorbeigehen nach seiner Schultüte und eilte zur Haustüre, wo sein Schulranzen stand. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, da war er auch schon verschwunden.



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