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I'm in Love with a Killer

Sie leben unter uns
von

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Abschied

Abschied

Anna:

Am nächsten Tag, naja wohl eher Abend, standen wir gegen sechs Uhr auf. Pey war anfangs noch ein bisschen mürrisch, da draußen immer noch die Sonne schien, doch mit der Zeit regte er sich langsam ab. Ich machte mir mein „Frühstück“ und so saßen wir zusammen in der Küche und schwiegen uns an. Heute würden wir wohl entscheiden ob es wirklich Sinn machte noch länger hier zu bleiben. „Denkst du die in meiner Schule sind auch der Meinung, dass es Engel wirklich gibt?“, fragte ich total zusammenhangslos. „Keine Ahnung. Immerhin ist deine Schule sehr mit der Kirche verbunden. Warum also nicht? Aber warum fragst du mich das?“ Ein unschuldiges Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Fang bitte nicht schon wieder damit an. Du solltest doch jetzt noch mehr Gründe kennen, warum du nicht einfach mal so da vorbeischauen kannst!“, stöhnte er auf und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Nicht einmal eine Minute?“ „Nein!“ Beleidigt zog ich eine Schnute. „Ist dir nicht klar, dass da ebenfalls die Polizei rumlungern könnte? Auch wenn die anderen mitkommen besteht die Gefahr, dass wir nicht gegen alle ankommen. Wenn sich wirklich schon Kleriker oder so in den Fall mit eingemischt haben, stehen die Chancen gleich Null, dass wir lebend aus der Sache rauskommen. Und außerdem… Willst du wirklich riskieren dass noch mehr unschuldige sterben müssen?“ Er sah mich mit einen durchdringenden Blick an, welcher meine Frustration nur noch verstärkte. Musste er mir immer alles unter die Nase reiben und mir immer wieder verdeutlichen dass es nicht ging? Ich wollte doch nur noch ein letztes Mal sehen wie es Rachel ging! Sie durfte nicht den Rest ihres Lebens darauf hoffen, dass ich zurück kam. Und sie sollte sich nicht unendlich viele Schuldgefühle einreden, weil ich an dem Tag an dem wir uns aus dem Internat geschlichen hatten, verschwunden war. „Auch nicht nachts? Da schlafen doch eh alle…“ „Ich hab NEIN gesagt! Was ist daran so schwer zu verstehen?“ Seine Stimme wurde immer lauter, seine Miene immer grimmiger. Leichte Tränen sammelten sich in meinen Augen. Er hatte mich schon lange nicht mehr so angeschrien. „Es-es tut mir leid“, murmelte er daraufhin sofort. Sein Blick wurde wieder sanfter und er ergriff meine Hand. „Versteh doch. Ich möchte nicht riskieren, dass jemand von meinen Freunden zu Schaden kommt. Aber der eigentliche Grund warum ich dich da nicht hinlassen gehen möchte ist eigentlich, dass ich Angst habe, dass du erwischt wirst. Und dann werden sie dich in Gewahrsam nehmen und werden alles aus dir herausquetschen. Es wird nicht viele Menschen geben die dir glauben werden, dass Dämonen oder andere übernatürliche Wesen existieren. Sie werden dir nicht glauben dass du gestorben bist und erst recht nicht dass du ebenfalls kein normaler Mensch bist. Sie werden dich einsperren! Sie werden dich für verrückt erklären. Für ein Mädchen dass sich die ganze Geschichte nur eingebildet hat um Aufmerksamkeit zu bekommen. Am Ende werden sie noch glauben dass du es warst, die die Polizisten getötet hat.“ Ich schluckte schwer. Er machte sich wirklich große Sorgen um mich. Das war schon irgendwie süß und es rührte mich zutiefst. Hätte ich vorher gewusst dass ich einen so liebevollen Jungen kennenlernen würde, nachdem ich den ganzen Horror hier durchleben musste, ich hätte mir wahrlich selbst nicht geglaubt. Langsam brachte ich ein dankbares Lächeln zustande. „Aber wenn ich wirklich mit meinem jetzigen Leben abschließe soll, muss ich sie noch ein allerletztes Mal sehen“, meinte ich immer noch hartnäckig. „Scheint so, als würde dir das nicht mehr aus dem Kopf gehen, oder?“ Ich schüttelte beharrlich den Kopf. „Okay, aber wir machen das auf meine Art.“ Jetzt brachte ich sogar ein strahlendes Lächeln zustande und konnte nicht anders, als mich quer über den Tisch zu werfen und ihm um den Hals zu fallen. „Danke, Pey. Ich danke dir vielmals.“ „Aber das bleibt unter uns. Rel wird das nicht gutheißen.“ Ich blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Würde er nicht die ganze Zeit hier wie ein Spürhund herumlungern, wären viele Sachen gar nicht erst ans Licht gekommen“, sagte ich mit einem bestimmten Unterton. „Okay. Aber heute wird das nichts mehr. Wir gehen morgen früh, wenn die Sonne aufgeht. Morgen ist Sonntag. Ich schätze ihr müsst da erst Recht in die Kirche gehen?“ Ich nickte. „Aber Rachel geht da nicht hin. Sie schwänzt so gut wie immer den Gottesdienst. Sie ist dann eigentlich die meiste Zeit bei ihren Freunden in der Stadt.“ Pey fuhr sich mit der Hand durch seine Haare. „Okay, das könnte die ganze Sache erheblich schwieriger machen. Aber ich denke es sollte klappen.“ Ich setzte mich wieder auf meinen Platz und muffelte grinsend mein Essen. Pey konnte nicht anders und musste schmunzeln. „Deine gute Laune wird dich doch hoffentlich nachher nicht verraten?“ Ich schüttelte heftig den Kopf. „Wo glaubst du denn hin? Das ist die einzige Chance mich von meinem alten Leben zu verabschieden. Die verspiele ich doch nicht einfach, nur weil ich glücklich bin.“ Er grinste leicht. „Aber sag mal… geht das denn überhaupt klar? Ich meine ja nur… Die Sonne wird scheinen.“ „Das klappt schon. Ich mach das ja nicht jeden Tag. Aber wenn ich morgen früh schlechte Laune haben sollte, verurteile mich nicht.“ Genau in dem Moment vibrierte sein Handy und er zog es aus der Hosentasche. „Was ist los?“, fragte ich, als ich seine gerunzelte Stirn betrachtete. „Rel hat das Treffen abgesagt. Er meint es sei was dazwischen gekommen“, antwortete er, während er schnell seine Finger über Tastatur huschen ließ. „Habt ihr eigentlich sowas wie einen Gruppenchat?“ „Was?“ „Na, ihr schreibt doch ständig oder telefoniert miteinander. Ihr seid dann doch in einer Gruppe, oder nicht?“, erklärte ich meine Frage. „Eh ja. Sorry ich muss mal kurz telefonieren gehen“, meinte er mit einer sehr konzentrierten Stimme und stand auf. Kaum zehn Minuten später kam er wieder. „Rel geht nicht an sein Handy und schreiben tut er auch nicht mehr. Ich frag mich was da los ist.“ „Mach dir keine Sorgen. Er hat bestimmt seine Gründe“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Er sah sehr aufgewühlt aus. „Ja das kann schon sein… Dennoch… Ihm ging es gestern nach dem Rückstoß schon die ganze Zeit nicht gut.“ Der Schwarzhaarige mit den eisblauen Strähnen stand nur wenige Schritte neben mir, weswegen ich aufstand und ihn umarmte. „Ihm geht’s bestimmt gut, auch wenn ich gerne das Gegenteil behaupten würde“, nuschelte ich in sein Oberteil. Pey lachte schwach auf. „Er kann nett sein wenn er will.“ „Wenn er will“, wiederholte ich und kuschelte mich an ihn. Er legte seine Arme um meine Schultern und drückte mich nun ebenfalls an sich. So standen wir einige Zeit, bis er sich von mir löste. „Macht es dir was aus wenn ich… mir auch mal was zu essen besorge? Gestern hat’s ja nicht so wirklich geklappt… Mal wieder.“ Er erinnerte mich daran, dass er und Rel auf den kleinen Platz auf mich getroffen und sozusagen meine Retter in der Not gewesen waren. Was wäre wohl passiert, wenn sie nicht da gewesen wären? Was hätte der Junge mit mir gemacht?
 

Wahrscheinlich hätte er mir die komplette Schulter zermatscht. Seine Hand glich ja fast einem Schraubstock.
 

„Schon okay. Ich kann ja etwas fernsehen… Oder so“, erwiderte ich. „Danke“, brummte er und verschwand aus der Tür.
 

Pey:

Ich schlenderte gedankenverloren durch die Straßen der Nachbarstadt. So wirklichen Hunger hatte ich ja nicht wirklich, solange ich nicht wusste was mit dem Blondhaarigen los war. Sonst sagte er nie ein Treffen ab und wenn doch, dann ließ er uns auch immer wissen was los war. Seine Nachricht eben passte so überhaupt nicht zu ihm. Der größte Mist an der Sache war, dass keiner von uns so genau wusste wo er sich aufhielt. Er hatte uns nie gesagt wo er eigentlich wohnte. Wohnte er überhaupt irgendwo? Ich konnte mir gut vorstellen, dass er ständig auf Achse war, wenn wir nicht zusammen unterwegs waren. Er hatte auch schon ein paar Mal bei einem von uns übernachtet, hatte nie ein Wort über seine eigene Behausung verloren. Einmal da hatte er in einer ähnlichen Bruchbude gehaust wie ich, jedoch hatte er dieses Lager schnell aufgegeben, weil es ihm ein zu weiter Weg gewesen war, die Mädchen die abschleppte dorthin zu bringen. Er konnte sie ja nicht vor Ort töten. In den letzten Tagen seit Anna bei mir wohnte hatten wir unsere Opfer meistens in den Wald gelockt und dort auch die Überreste vergraben. Man musste ja nicht sofort auf unsere Spur kommen.
 

In der Nähe leuchteten in grellen Neonfarben die Buchstaben eines Nachtclubs. Es war das einfachste von allem eine betrunkene Schnapsdrossel dort abzuschleppen. Wir als unsere Gruppe hatten uns darauf geeinigt unser Essensrevier immer wieder abwechselnd in eine andere Stadt zu verlegen und nur ganz selten in der eigenen Stadt zu jagen. Es wäre sehr schnell aufgefallen, wenn innerhalb eines Monats mehrere Menschen spurlos verschwanden und dann irgendwann ihre Gebeine aus der Müllpresse oder aus dem Wald geborgen wurden. Das wäre viel zu auffällig geworden. Ich steuerte den mir noch unbekannten Nachtclub zielstrebig an und reihte mich in die Schlage. Vor mir standen ein paar junge Mädchen, wahrscheinlich ein bis zwei Jahre älter als Anna. Immer wieder drehten sie sich um und musterten mich. Eine von ihnen grinste mir ständig zu, was ich nur mit einem dunklen Lächeln erwiderte. Sie würde sehr wahrscheinlich mein nächstes Opfer sein.
 

Kaum zwei Stunden später hatte ich es wirklich geschafft sie von ihren Freundinne wegzulocken, raus aus dem Club. Sie war schon ziemlich angetrunken und wankte hin und her. Diese Szene erinnerte mich stark an Anna. Sie wankte damals auch so über die Straße und hielt sich an mir fest. Der einzige Unterschied an jetzt war, dass Rel mich damals um einen Happen gebeten hatte, welchen ich ihm damals natürlich verwehrte. Heute wäre es mir wahrscheinlich lieber gewesen, wenn er hier gewesen wäre.
 

Scheiße, ich mache mir schon wieder viel zu viele Gedanken. Aber was ist, wenn etwas passiert ist?
 

Das Mädchen schmiegte sich seitlich an mich und ich lotste sie so durch die Straßen. „Wohns du weid weg?“, lallte sie leicht. „Eigentlich schon, aber ich hab mir heute mal die Mühe gemacht und bin weiter weg gefahren. Ich konnte ja nicht wissen dass es so einfach werden würde“, grummelte ich und schulterte sie. „Hui, da gehd aber jemand ran~, säuselte sie und kicherte vor sich hin. „Ich hab ja auch mordsmäßigen Hunger“, knurrte ich und lief etwas schneller. Meine Anspielung hatte sie natürlich nicht bemerkt, war daher auch total unwissend. Es dauerte einen Moment, bis wir an die Waldlichtung kamen und ich weiter hinein ging. „Du bist aber ein komischer Vogel. Eine Dame hier her zu bringen~“, kicherte sie immer noch benebelt. „Eine Dame würde nicht mit einem wildfremden Kerl aus einem Club verschwinden und das nach noch nicht einmal einer Stunde nachdem sie ihn kennengelernt hat.“ „Was redest du denn soooo viel? Wollen wir nicht lieber rumknutschen?“ Ich setzte sie grob ab und presste sie gegen einen Baum. „Nein danke, kein Bedarf“, meinte ich und ließ langsam meine Verwandlung über mich ergehen. „Hast du ne Freundin?“, hakte sie nach und beäugte ihr Top, welches sie ein Stück weiter herunter zog um noch anzüglicher zu erscheinen. Ich zögerte einen Moment. „Kann man so nicht sagen“, knurrte ich und starrte ihre Kehle an. Endlich richtete sich ihr Blick wieder auf mein Gesicht und sie schreckte zurück. „Scheiße man, was bist du denn für ein Freak?“, krisch sie beinahe, doch ich hielt ihr den Mund zu. „Scht… Ich steh nicht so auf zickiges Essen!“ Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als ich meinen Mund zum Reden geöffnet hatte. Sicherlich hatte sie die spitzen, scharfkantigen Reißzähne bemerkt. Mehr wollte ich auch nicht. Ich liebte es einfach, wenn meine Opfer vor Angst beinahe den Verstand verloren und totale Panik sich ihn ihnen breit machte. Heute jedoch konnte ich nicht zulassen, dass sie sich die Seele aus dem Leib schrie, da sie sonst womöglich die Aufmerksamkeit auf uns ziehen würde. Ihre Augen weiteten sich noch ein Stück, als sie mir gezwungenermaßen in die Augen blickte. Ich hatte ihren Kopf nach oben gedrückt, damit ich besser an ihre Kehle konnte. Ich sollte jedoch heute etwas netter zu meinem Opfer sein und sie schon vorher töten, bevor ich sie verspeisen konnte. Ich hätte nichts lieber gesehen, als die verzweifelten Tränen die aus ihren Augen quellen würden, vor Schmerz und Panik, doch darauf musste ich leider verzichten. ‚Kurz und schmerzlos‘ hallten Rels Worte in meinem Kopf wieder, als ich ihren kleinen Kopf zur Seite riss. Mit einem lauten Knack, als würde jemand einen dickeren Ast zerbrechen ertönte das Geräusch ihres brechenden Genicks. Ihr Körper erschlaffte sofort, was das Signal für mich war, dass ich anfangen konnte. Schnell vergrub ich meine Zähne in ihrem sanften Fleisch vergraben und riss die einzelnen Stücke heraus. Ihr Blut aus der Halsschlagader verteilte sich sofort über ihren Körper und ich wich ein bisschen zurück. Meine Intension war keineswegs, dass ich mich so einsauen musste. Es war schon so lange her, dass ich wirklich mal mein Essen genießen konnte. Entweder wir waren in Eile oder aber irgendwas kam dazwischen. Heute konnte mich keiner davon abhalten mir Zeit zu nehmen. Keiner!
 

Anna:

Kaum sechs Stunden nachdem ich aufgestanden war, lag ich schon wieder im Bett. Ich wollte ja fit sein, wenn wir morgen unseren Ausflug in die Stadt machten und nach Rachel schauten. Meine Vorfreude war unbegrenzt, daher konnte ich einfach nicht einschlafen. Als Pey zurückkam, schaute er sehr verwundert ins Schlafzimmer. „Was machst du hier?“, wollte er wissen und schaltete ohne zu fragen das Licht an. „Ich versuche zu schlafen. In ein paar Stunden wollen wir doch los.“ Der Schwarzhaarige mit den eisblauen Strähnen ging an seinen Schrank und zog sich frische Klamotten raus. Seine Kleidung hatte schon wieder lauter Blutflecken, welche ich aus meiner Position jedoch nicht alle erkennen konnte. „War sie hübsch?“, fragte ich leise unter der Decke hervor. „Wen meinst du?“, fragte er gleichgültig und schloss den Schrank wieder. Ich nickte in die Richtung seines blutbefleckten Shirts. „Nicht der Rede wert“, tat er schnell ab und verschwand im Bad. Ich machte ich grimmiges Gesicht und zog mir die Decke darüber. War ich etwa auf eine Tote eifersüchtig? Auf sein Essen?? Schnell vertrieb ich den Gedanken aus meinem Geist und lauschte dem Geräusch des Wasserhahns, welchen er gerade aufdrehte. Nach einer Weile kam das mir schon ein wenig vertraute Geräusch der sich öffnenden Duschkabinentür und ein paar Minuten später kam er wieder in das Schlafzimmer zurück. „Ich bleib noch etwas auf“, ließ er mich wissen und ging ins Wohnzimmer. Ich hingegen schloss meine Augen und drehte mich zur Seite. Eingekuschelt in die warme Decke versuchte ich einen leeren Kopf zu bekommen, damit ich endlich einschlafen konnte. Die Zeit verging doch bekanntlich am schnellsten, wenn man sich nicht ständig Gedanken machte, wie spät es eigentlich war. Meines Erachtens half Schlaf in einer solchen Situation am besten, dann verging die Zeit wie im Flug.
 

Pey:

Ich war noch lange nicht müde, wenn auch ein bisschen erschöpft, daher ließ ich mich auf meinem Sofa nieder und schaltete meine XBOX ein. Mit einem kurzen Blick auf den Spielstand meines Spieles erkannte ich sofort, dass Rel sich daran vergnügt hatte. Warum musste er immer meinen Spielstand benutzen und konnte kein neues Spiel starten? Sichtlich genervt, dass ich nun weniger zu tun hatte startete ich das Spiel trotzdem und zockte bis mir dann doch vor Ermüdung die Augen langsam zu fielen. Mit einem Blick auf die Uhr im Fernseher stellte ich fest, dass nur knappe vier Stunden vergangen waren.
 

Dann bleiben mir noch ungefähr fünf bis sechs Stunden, bis sie los will… Vielleicht wäre es doch gut, wenn ich mich nochmal ein bisschen aufs Ohr lege.
 

Mühselig schaltete ich die Geräte aus und schlurfte in mein Schlafzimmer. Die Braunhaarige lag quer auf der Matratze, weswegen ich sie erst einmal auf die Seite schieben musste. Ihrerseits ertönte nur ein Gegrummel, sie wachte jedoch nicht auf. Schnell entkleidete ich mich bis auf meine Boxershorts und legte mich zu ihr. Sie war eine richtige Deckenklauerin, dass hatte ich leider feststellen müssen. Ihre kleinen Finger umklammerten fest den Saum meiner Decke und ließen sich nur schwer lösen. Mit einem leichten Kraftaufwand schaffte ich es, ihr die Decke zu entreißen und deckte uns dann beide zu. Sie drückte sich sofort an mich, was mir ein zufriedenes Lächeln endlockte. Was das hier auch immer war oder werden sollte, ich fand es gut.
 

Anna:

Pünktlich um neun Uhr schlug ich meine Augen auf. „Aufwachen!“, rüttelte ich an Pey’s Schulter. Er rollte sich zur Seite und vergrub sein Gesicht im Kissen. „Du hast es versprochen“, erinnerte ich ihn und huschte aus dem Zimmer. „Is ja gut“, murmelte er, rührte sich jedoch kein Stück. Ich eilte sofort ins Bad um mich fertig zu machen und als ich wieder ins Schlafzimmer zurückkam, lag der wehrte Herr immer noch da und döste vor sich hin. Pfiffig wie ich war, und das war eigentlich eine Art an mir, die ich nicht kannte, nahm ich das Gemälde von der Wand und ließ das Sonnenlicht in das sonst so düstere Schlafzimmer scheinen. Pey war urplötzlich wach und fiel erschrocken von der Matratze. „Schön das du wach bist“, stellte ich zufrieden fest und hängte das Bild wieder an seinen Platz. „Das hätte auch freundlicher klappen können“, brummte er verschlafen und stand auf. Träge schlurfte er zu seinem Schrank und griff wahllos nach irgendwelchen Kleidungsstücken. Ich hatte mich erneut für einen unauffälligen Look entschieden: dunkler Kapuzenpullover, dunkle Hose. Mein anschließender Weg führte in die Küche wo ich mir freudestrahlend ein Brot machte und summend hineinbiss. Pey kam ein paar Augenblicke, nachdem auch er das Bad aufgesucht hatte zu mir und stellte sich in den Türrahmen. Er trug eine dunkle Sonnenbrille in der rechten Hand und in seiner Linken eine schwarze Beanie. Er war ebenfalls in dunklere Klamotten gehüllt, trug jedoch ein weißes T-Shirt. „Fertig?“, fragte er und musste sich ein herzhaftes Gähnen unterdrücken. „Jap“, ließ ich ihn grinsend wissen und drängte mich an ihm vorbei in den Flur. „Jetzt mach doch mal langsam“, meinte er ruhig und holte sich noch sein Portemonnaie aus der obersten Schublade der Kommode aus seinem Zimmer. „Können wir los?“ Meine Freude glich fast schon einem Hund der es nicht abwarten konnte, Gassie geführt zu werden. „Ja“, seufzte er und machte die Wohnungstür auf. Die Treppenstufen hopste ich Stück für Stück mit einem breiten Grinsen hinunter. „Man könnte meinen du wärst Zehn“, grummelte er und schloss zu mir auf. Beleidigt blickte ich ihn an. „Darf ich mich nicht freuen?“ „Das macht dich auffällig“, meinte er düster und zog die Haustür auf. Ich ging hochnäsig an ihm vorbei und stolzierte auf dem Bürgersteig herum.
 

Was ist denn bloß los mit mir? Das sind ja lauter eigenarten, die ich noch nie gemacht habe! Ich bin ja wie ausgewechselt… Fast schon eine andere Persönlichkeit. Was ist aus dem schüchternen Mädchen von vor einer knappen Woche geworden? Wow… ich kann es gar nicht glauben. Es ist erst eine Woche vorbei und ich habe das Gefühl, als wäre ich schon seit Ewigkeiten hier. Das muss das ständige Adrenalin in meinem Körper verursacht haben!
 

„Und wie kommen wir jetzt in die Stadt? Mit dem Bus fahren wir sicherlich nicht“, fragte ich, als wir ein paar Schritte in Richtung Hauptstraße gingen. „Weder Bus, Straßenbahn oder sonst was. Dann kann ich dir ja gleich einen leuchtenden Neonanhänger um den Hals binden und ‚Hier ist sie‘ schreien. Wir nehmen meinen Wagen.“ Ich sah ihn verblüfft an. „Du…du hast ein Auto?“ „Ja?! Ist das so eigenartig?“, fragte er und zog zu meinem Erstaunen einen Autoschlüssel aus seiner Jackentasche. „Irgendwie schon.“ „Du hast doch neulich die ganzen Autos gesehen. Glaubst du etwa, wir laufen die ganze Zeit von A nach B?“ Ich kicherte verlegen. „Naja, keine Ahnung. Ich bin ja schon mit Piwi gefahren. Trotzdem hätte ich nicht gedacht, dass ihr so wie andere mit einem Auto durch die Stadt fahrt“, erklärte ich meine Überlegungen laut. „Die sind ja auch nicht auf unseren richtigen Namen angemeldet. Die sind eigentlich überhaupt nicht angemeldet. Wir haben sie mal irgendwo geklaut und haben eine Zeit lang immer wieder an anderen Autos die Nummernschilder ausgetauscht.“ Ich sah ihn ungläubig an. „Die Nummernschilder ausgetauscht?“ Er nickte zustimmend. „Soll ich es dir zeigen?“ Irgendwie interessierte es mich schon da ich mir nicht denken konnte, dass er das meinte, was er sagte. An der Straßenecke angekommen bogen überquerten wir die Straße und gingen weiter hoch in eine Seitenstraße. Dort hielt Pey vor einem grauen Audi A5. „Deiner?“, fragte ich und betrachtete das Auto. „Jep“, antwortete er und kniete sich vor das Auto. Ein paar Seitenblicke genügten und er versicherte sich somit, dass uns niemand sah. Mit einem Ruck riss er das Nummernschild ab und ging hinter seinen Wagen und wiederholte dort seinen Vorgang. Zuletzt machte er die Plakette in seinem Auto von der Scheibe und sah sich um. Mit seinem Gepäck ging er zu einem Auto weiter die Straße hoch und suchte sich einen kleinen, unscheinbaren Renault Twingo aus. Dort knackte er zuerst das Türschloss, indem er mit dem kleinen Taschenmesser an seinem Schlüsselbund im Schloss herum bohrte und tauschte die grüne Plakette aus. Als nächstes tauschte er tauschte er die Nummernschilder und setzte sie zuletzt bei sich ein. „So einfach“, sagte er nach seiner getanen Arbeit. Ich grinste leicht. Wirklich interessant was die Jungs alles machten um keine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Und wie oft habt ihr das gemacht?“ „Naja, wenn es auffliegt wird natürlich nach dem Nummernschild gesucht, aber es ist schwer wenn man nicht weiß, nach welchem Auto man Ausschau halten muss. Aber wir haben das eigentlich wöchentlich gemacht und bis jetzt ist uns niemand auf die Spur gekommen.“ Er stieg ein und ich tat es ihm gleich. Der Wagen war wirklich geräumig und der Sitzt sehr bequem. „Und wo könnte sie sich aufhalten?“, fragte er und startete den Motor. „Stadtmitte. Dort sollte es auch nicht so überfüllt sein.“ „Aber Kameras sind dort. Naja wir werden ja eh nicht mehr lange bleiben. Sobald Rel sich mal melden sollte werden wir wahrscheinlich unsere Sachen packen und von hier verschwinden.“ Ich nickte zustimmend, wenn auch ein bisschen traurig darüber. „Was ist eigentlich mir deinen Eltern? Willst du sie auch sehen?“ Ich schwieg lange vor mich hin. „Nein“, entkam es mir nach einer gefühlten Ewigkeit. „Warum?“, wollte er wissen, blieb also hartnäckig. „Ich möchte es einfach nicht. Das bringe ich nicht übers Herz.“ „Verstehe… Konnte ich damals auch nicht…Und dennoch mache ich mir manchmal große Vorwürfe, weil ich es nicht gemacht habe.“ Mein Blick wanderte zu seinem ernsten Gesicht, welches starr auf die Straße blickte. „Würdest du sie gerne mal besuchen, wenn du könntest?“ „Wahrscheinlich schon. Zumindest würde ich gerne mal sehen, wie es meiner Mutter und meiner Schwester geht und wie sie meinen ‚Tod‘ verkraftet haben. Das Ganze ist jetzt schon sieben Jahre her, sie müssten es eigentlich verarbeitet haben.“ Die restliche Fahrt über sagte keiner ein Wort und hing seinen Gedanken hinterher. Pey parkte in der Nähe der Altstadt und wir stiegen aus. Ich hätte nicht erwartet, dass wir so am Stadtzentrum gewesen waren. Kaum eine halbe Stunde hatte es bei dem mäßigen Verkehr bis hier her gedauert. Sollte ich mit meiner Vermutung richtig liegen, lag die Bar nur ein paar Blocks entfernt von hier. Ich zog meine Kapuze tief in das Gesicht und hackte mich bei dem Schwarzhaarigen mit den eisblauen Strähnen, welche nun nur vereinzelt unter der Beanie hervor lugten, ein. „Denkst du man wird mich erkennen?“, murmelte ich in meinen Pullover. „Wenn du dich nicht auffällig verhältst, dann nicht. Und sollte dich jemand erkennen, hauen wir schnell von hier ab. Den Wagen wollte ich eh hier stehen lassen. Den brauchen wir nicht mehr.“ „Was? Warum? Du kannst ihn doch nicht einfach hier stehen lassen. Den wirst du später doch gebrauchen!“, meinte ich empört und stemmte seitlich meine freie Hand in die Seite. „Dann kann ich mir einen neuen holen. Ist doch nur ein Auto“, lachte er. „Außerdem könnte ich mir jederzeit einen neuen kaufen“, fügte er etwas leiser hinzu. Ich sah mich in den Straßen um und lotste meinen Kumpanen mit zu einem etwas größeren, heruntergekommenem Gebäude. Ein Bauunternehmen hatte hier mal ein Projekt für eine Firma gehabt, jedoch wurde es aus Geldmangel abgeblasen. Später hatte niemand den angefangenen Rohbau gekauft und so war er über die Jahre schon ansatzweise in sich zusammengefallen. „Hier hält sie sich meistens auf“, meinte ich und nickte in Richtung der Bruchbude. „Hat das Ding nur einen Eingang?“ Ich schüttelte verneinend den Kopf. „Es gibt noch einen anderen, aber dazu müssen wir etwas Akrobatik machen“, kicherte ich. Der Große zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Rachel hat mir den Eingang gezeigt. Den hat sie mal benutzt um ihre Freunde zu erschrecken. Glaub mir, die werden uns nicht entdecken.“ „Na wenn du das sagst, dann glaub ich dir mal“, meinte er sichtlich überzeugt und kam hinter mir her. Mein Weg führte mich zu dem benachbarten Gebäude und wir zwängten uns durch ein Loch in der Außenwand. Weiter ging der Weg in den dritten Stock, bis wohin die Treppenstufen nur vereinzelt vorhanden waren. Wir mussten richtig aufpassen, nicht abzurutschen. Als nächstes kam ein Raum, welcher mit unserem eigentlichen Ziel durch ein großes, klaffendes Loch in der Wand verbunden war. „Pass auf. Wir müssen jetzt rüber springen.“ „Das ist ja der reinste Hindernissparkur“, seufzte er und besah sich die Lücke zwischen den Gebäuden. Ich sprang zuerst und rollte mich in einer perfekten Rolle auf dem Boden ab, wenig später stand der Dämon neben mir und klopfte sich den Staub von den Klamotten. „Hätte ich das gewusst, wären wir besser durch den richtigen Eingang gegangen“, brummte er. Ich legte indes meinen Zeigefinger an die Lippen und bedeutete ihm, leise zu sein. Unter uns konnte man schon vereinzelte Stimmen durch den brüchigen Beton hören. „Wir hätten wirklich durch den richtigen Eingang gehen können. Sie sind im zweiten Stock“, wisperte ich in seine Richtung und schlich mich in einen weiteren kahlen Raum. Im Boden war wieder ein Loch zu sehen, wenn auch ein etwas Kleineres. Das einzige Gerüst, was den Boden zusammen hielt war ein Eisennetz, dessen Stäbe freigelegt waren.
 

„…Ich versteh einfach nicht, warum wir sie nicht finden. Wir suchen sie jetzt schon seit einer geschlagenen Woche, aber sie ist wie vom Erdboden verschluckt!“, hörte ich Eric’s tiefe Stimme. Auch wenn ich den Riesen nur ein einziges Mal gesehen hatte, so hatte er doch einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Aber es gab doch eine Fährte. Vielleicht hält sie sich immer noch hier auf! Ich ab doch gesehen, dass sie mir geschrieben hat!“, meinte Rachel entschlossen. „Du hast doch mitbekommen was sie gefunden haben!“, ertönte die Stimme eines anderen Jungen. Ihn kannte ich noch nicht, zumindest konnte ich mich nicht dran erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. „Siehst du!“, zischte Pey neben mir, welcher sich wie ich auf den Bauch gelegt hatte und durch das Loch spähte und die Gruppe unter uns belauschte. „Vielleicht… vielleicht ist Anna längst nicht mehr-“ „Sag das nicht! Sie wartet bestimmt nur darauf dass wir sie finden. Die Polizei ist einfach nur zu unfähig!“, rief die gelockte Schwarzhaarige laut aus. Sie war also noch der festen Überzeugung, dass ich auf sie wartete. Wahrscheinlich dachte sie, ich säße in irgendeinem heruntergekommenen Keller, gefesselt und geknebelt, ohne Essen und Trinken und vielleicht sogar Misshandelt von meinem Peiniger. Wenn sie nur wüsste, ich was ich da hineingeraten war… Sie hätte sofort jegliche Hoffnung verloren mich jemals wieder zu sehen. „Ich habe eine Idee, wie sie endlich Ruhe findet“, flüsterte ich Pey zu und zog einen Stift und ein Blatt Papier aus der Tasche. „Wo hast du das her?“, fragte er leise und überrascht. „Hab ich in deiner Kommode gefunden“, erzählte ich ihm. „Darf ich?“ Er nickte zögernd, wenn auch nicht ganz einverstanden.
 

Liebe Rachel,

ich weiß, dass du dir große Sorgen um mich machst, aber dir würde es besser gehen, wenn du damit endlich aufhören würdest. Mir geht es gut und mir wird es auch gut gehen, wenn du aufhörst nach mir zu suchen. Du kannst mir glauben, dass ich das nicht aus zwang schreibe sondern einfach, weil ich mir Sorgen mache. Du darfst dein Leben nicht damit verbringen vergeblich nach mir zu suchen, denn jedes Mal wenn es für uns brenzlig wird, werden wir weiter ziehen. Ich habe mich einer Gruppe Leute angeschlossen, die auf mich aufpassen werden. Ich bin leider etwas zu tief in die Scheiße gerutscht, was mir die Hoffnung auf ein normales Leben verwehrt. Ich werde über dich wachen, so wie ein Schutzengel und sollte sich irgendwann die Zeit ergeben, wo es nicht mehr so anstrengend ist, dann komme ich zu dir. Aber bitte, leb dein Leben ohne mich weiter. Das ist das Gesündeste für dich. Es dürfen nicht noch mehr da mit reingezogen werden. Maus, ich vermisse dich jetzt schon, aber ich muss gehen. Die Zeit drängt.
 

Deine Anna
 

PS: Und schmeiß endlich diese verkorkste Schule und mach was aus deinem Leben ;)
 

Pey las jedes einzelne Wort mit, was ich schrieb und nickte zuletzt. „Und wie willst du ihr das geben?“ Noch im selben Moment hatte ich das Papier zusammengeknüllt und durch die Öffnung im Boden geschmissen. „Bist du denn bescheuert?“, zischte Pey, doch es war schon zu spät. „Was denn?“ „Man die könnten hochkommen!“, zischte er wütend zurück und rappelte sich auf. „Komm jetzt, wir gehen wieder nach Hause“, befahl er und ich stand ebenfalls auf. „Der ist von Anna!“, ertönte Rachels Ausruf. „Anna? Anna! Wenn du hier bist, dann antworte bitte“, rief sie nach oben. Pey starrte mich starr an. „Fuck komm jetzt!“ Er ergriff meine Hand und zog mich mit. „Da oben ist jemand!“, rief auf einmal Eric und wir hörten die holpernden Schritte von unten die Treppe hinauf eilen. „Scheiße das wird zu knapp“, meinte Pey, packte mich an der Hüfte und sprang mit mir aus einem der leeren, quadratischen Löcher, die für Fenster freigelassen wurden. „Du kannst doch nicht einfach aus dem Fenster springen!“, quickte ich auf, meine Finger noch immer in seine Schultern geklammert. Er hatte wirklich Glück, dass sich niemand auf der Straße befunden hatte, er uns hätte sehen können. Oben am Fenster, aus dem wir soeben gesprungen waren tauchten Eric, Rachel und die anderen auf. „Anna!“, schrie sie über den Platz. Mein Blick wanderte nach oben und traf auf die großen Augen der gelockten Schwarzhaarigen. Der Dämon neben mir, welcher mich immer noch an der Hüfte festhielt blickte ebenfalls aus Reflex zu ihr hoch. Im selben Augenblick jedoch schlossen sich seine Arme enger um meinen Körper und rannte los. Ich klammerte mich an ihn und ließ mich mit tragen. „WARTE!“, rief Rachel, doch wir waren schon zu weit entfernt. In meinen Augen tanzte ein kalter Tränenschleier und verflog im Winde. Das war das letzte Mal dass ich sie in meinem Leben wieder sah. Der Abschied war gekommen.



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