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Behind Reality

Hinter der Wirklichkeit
von

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Prolog

Hast du dir schon einmal etwas ausgedacht? Eine Geschichte erfunden? Dir etwas vorgestellt, was es nicht gibt?

Natürlich hast du das.

Jeder hat das schon einmal.
 

Es ist egal, ob die Geschichte erzählt, oder niedergeschrieben wird. Solange sie nur in deinem Kopf existiert.

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was aus diesen Geschichten wird, wenn sie vergessen werden? Wenn niemand sich an sie erinnert?
 

Ich kann es dir sagen.

Sobald eine Geschichte in deinem Kopf entsteht, entwickelt sich daraus eine neue Welt. Eine unsichtbare Welt.

Diese entwickelt sich fortan ohne dein Zutun weiter.

Normalerweise kein Problem oder? Eine coole Vorstellung könnte man meinen.
 

Aber es gibt ein Problem.

Die neuen Welten sind immer noch über ein unsichtbares Band mit ihrem Erfinder verbunden.

Stürzt die Welt ins Chaos, oder wird vernichtet, wirst auch du Schaden daran nehmen.
 

Depressionen, oder andere psychische Störungen werden bei dir auftreten. Zerstören dich von Innen heraus.

Was kann man dagegen tun?
 

Du selbst nichts. Aber es gibt Jemanden, der etwas dagegen ausrichten kann. Eine Gruppe von klugen Menschen hat die erschaffenen Welten entdeckt und ihre Gefahr erkannt.

Daraufhin wählten sie sechs Kinder aus, die die Kraft haben, gegen die Zerstörung anzukommen.

Sobald sie das Alter von 16 Jahren erreicht haben, werden sie die Welten und deren Schaffer beschützen.
 

Sie selbst wissen nichts davon und können an ihrem Schicksal auch nichts ändern. Ihr Leben wurde seit ihrer Geburt gezielt vorgeplant. Und wenn einer von ihnen innerhalb einer erfundenen Welt stirbt?

Dann verschwindet sein Körper auch auf der Erde spurlos und ein neues Kind wird ausgewählt, welches den leeren Platz einnehmen muss, um den Untergang der Menschheit zu verhindern.

1. Verdrehte Wirklichkeit

Verdrehte Wirklichkeit
 

Erschöpft lasse ich mich rückwärts auf mein Bett fallen. Was war das nur für ein Tag gewesen. Noch nie habe ich mich so angestrengt, meinem besten (und einzigen) Freund aus dem Weg zu gehen. Normalerweise bin ich froh, mit ihm Zeit verbringen zu können. Er ist verrückt und immer für einen Spaß zu haben, auch wenn er schwarzen Humor bevorzugt.

Aber heute nicht.

Heute will ich ihn nicht sehen.

Wieso?

Weil ich verdammt noch mal Geburtstag habe!
 

Meiner Familie ist das relativ egal. Am Morgen haben meine drei Geschwister mir "Alles Gute" gewünscht, ich habe von meinen Eltern eine neue Armbanduhr bekommen und das wars. Aber bei Suki, ist das etwas ganz anderes.
 

Jedes Jahr an meinem Geburtstag überfällt er mich fast schon und schleppt mich zu irgendeinem dummen Event. Komisch, dass er es jedes Mal schafft etwas zu finden, was offen hat.
 

Letztes Jahr war es ein spezieller Frühlingsrummel in der Nachbarstadt und mir wird heute noch schlecht, wenn ich daran zurück denke. Suki übertreibt es jedes Mal, auch wenn er es nur gut meint.
 

Langsam setze ich mich wieder auf und blicke in den Spiegel, der gegenüber von meinem Bett angebracht ist. Meine fast komplett weißen Haare stehen mir, wie fast jeden Tag, wirr vom Kopf. Eine ungewohnte Farbe. Viele denken ich würde mir meine Haare färben, aber es ist angeboren.

Die eher unauffällige, schwarze Schuluniform schmiegt sich an meinen dünn und klein gebauten Körper.
 

Manchmal beneide ich Typen wie Suki, welcher muskulös und gutaussehend ist. Er hat tiefbraune Augen und pechschwarzes Haar. Wenn er will, hat er zehn Mädchen an jedem Finger, aber daran ist er nicht interessiert. Was keine von ihnen weiß, Suki ist schwul. Die Girls interessieren ihn nicht. Aber er hatte zumindest schon drei Beziehungen, wenn auch mit anderen Männern.
 

Und was ist mit mir?

Ich bin hetero und heute 16 Jahre alt geworden und noch nie hatte ich eine richtige Freundin. Das ist mega peinlich, vor allem da es meine ganze Schulklasse weiß.
 

Auf einmal kann man Stimmen in unserem kleinen Haus vernehmen. Türen werden auf und zugeknallt. Genervte Worte gesagt und geschrieen. Scheint so als wäre meine geliebte Familie endlich wieder da. Ich habe sie so vermisst! Sarkasmus pur.
 

Ich habe drei kleinere Geschwister. Zwei Mädchen und einen Jungen mit Namen Eri, Mikasa und Daichi.

Meine Eltern arbeiten beide Vollzeit und wenn sie mal zu Hause sind, dann ignorieren sie uns so gut es geht, oder antworten nur angepisst und kurz angebunden.
 

Wer muss sich also um die Kleinen kümmern? Der Älteste natürlich. Ich bin quasi alleine für meine Geschwister verantwortlich. Ein undankbarer Job. Wenn ich mal nicht zu Hause bin, übernimmt das unsere nette Nachbarin.

Obwohl sie schon etwas Älter ist und alleine wohnt, kommt sie gut mit den drei Nervensägen zurecht, wofür ich ihr sehr dankbar bin.
 

Eine schnelle Melodie von Robbie Williams gelangt an mein Ohr und ich weiß, dass nur einer es sein kann, der mich anruft. "Ja Suki-kun, was brauchst du?"

"Taki-chan, hey wo bist du? Ich dachte wir gehen heute noch zusammen wohin?"

Im Hintergrund hört man laute Musik und mehrere, wild durcheinander redende Stimmen. Wo auch immer er gerade ist, dahin will ich ganz bestimmt nicht!
 

"Ach, mir gehts nicht so gut. Häng du mal lieber mit deinen Rockerfreunden rum. Komm wir verschieben das auf ein Andermal, ja?"

"Takeshi,... Jedes Mal ist es das Gleiche mit dir. Na schön, heute verschone ich dich. Dafür wirst du aber morgen mit mir auf die Frühlingsparty ins Gamma gehen. Ist das ein Angebot?"

"Na gut, ausnahmsweise aber nur. Dann bis morgen."

"Bis morgen Takilein!"

Hat er mich gerade wirklich Takilein genannt? Und jetzt hat er aufgelegt.

Ja, irgendwie ist Suki ein komischer Kauz, aber liebenswürdig.
 

Da es mittlerweile schon ziemlich spät geworden ist, spare ich es mir noch nach Unten zu gehen, um etwas zu essen, sondern ziehe mir direkt die Schuluniform aus, um vor dem Schlafen noch schnell zu duschen.
 

Etwas später liege ich mit Boxershorts im Bett und denke über meinen Tag nach. Für die Schule muss ich heute Nichts mehr machen. Morgen ist Samstag und ich freue mich darauf endlich wieder einmal ausschlafen zu können.

Zu ehren meines Geburtstags hat mir unsere Nachbarin angeboten, mir einen freien Tag zu schenken.
 

Früh morgens wird sie kommen und meine drei Geschwister den ganzen Tag über zu sich nehmen. Ein tolles Geburtstagsgeschenk. Das Einzige, über das ich mich wirklich freue.
 

Mit einem eindeutigen Lächeln im Gesicht schließe ich meine Augen und hoffe möglichst bald ins Traumland zu wandern.
 


 

Um mich herum sind Stimmen, leise flüsternd. Ich kann sie nicht verstehen. Nur einzelne Silben erreichen mein Ohr. Träume ich? Meine Augen sind wie zugeklebt. Weder mein Gesicht, noch meine Arme, oder Beine kann ich bewegen. Wie eingefroren schwebt mein Körper gekrümmt im Nichts. Das weiß ich, weil ich weder etwas unter mir, noch über mir spüren kann.
 

Durch das grelle Licht, welches ich durch meine geschlossenen Augen hindurch erkennen kann, schließe ich aus, noch in meinem kleinen Zimmer zu liegen. Wo bin ich?
 

Langsam kommt wieder ein Gefühl in meinen Körper. Ich kann wieder über mich selbst bestimmen und spüre den kalten Boden unter mir.

Vielleicht habe ich das alles wirklich nur geträumt und bin jetzt aus dem Bett gefallen. Doch vielleicht auch nicht.
 

Im Hintergrund kann ich, wie durch Watte hindurch, leise Stimmen erkennen. Meine Lippen fühlen sich trocken an und ich schwitze am ganzen Körper.

Langsam öffne ich meine Augen ein Stück weit, nur um sie sofort wieder zu schließen. Viel zu helles Licht scheint mir direkt ins Gesicht.
 

Ich kann erkennen, dass sich ein Schatten über mein Gesicht legt und versuche es daraufhin erneut. Direkt über mir kann ich freundlich hellblaue Augen aufblitzen sehen und ein großes Grinsen.
 

Ein Junge kniet halb über meinem am Boden liegenden Körper. Er scheint zirka gleich alt zu sein wie ich. Vielleicht ein bisschen Älter. Seine schulterlangen goldblonden Haare sind mit einem grünen Stirnband geschmückt und hängen ihm unordentlich vom Kopf.
 

"Leute, er ist endlich aufgewacht!", ruft er auf einmal und dreht sich dabei von mir weg. "Hast ganz schön lange gebraucht", meint er noch grinsend zu mir ehe der Junge meine Hand nimmt, um mir zu helfen, mich vorsichtig aufzusetzen. Ein leichtes Schwindelgefühl überkommt mich schlagartig und ich muss mehrmals blinzeln, um wieder einigermaßen klar denken zu können.
 

Ich sitze in einem großen Raum mit mehreren Fenstern. Es ist nur wenig Einrichtung vorhanden. Ein schwarzer Tisch mit Couch in einer Ecke, eine einzige Tür am Ende des Raumes und ein übergroßer Bildschirm mit dazugehöriger Tastatur und unzähligen Knöpfen sind vorhanden. Ansonsten sieht man nichts.
 

Vor mir tauchen nun zwei fremde Personen auf. Ein junger Mann mit violettschwarzem Haar, lilafarbenen Augen und einer Brille. Er trägt einen teuren Anzug und hat sein Notebook unter den Arm geklemmt.

Neben ihm steht ein Mädchen mit ungewöhnlich silbernen Haaren. Ihre Augen sind tiefblau und sie hat ein eng anliegendes, recht kurzes Kleid an.
 

Beide beäugen mich misstrauisch. Da kommt der Junge von vorhin und legt seine Arme um die Schultern der beiden Anderen, um sie zu sich herunter zu ziehen. Im Vergleich zu dem Mann mit violettem Haar ist der Blonde recht klein.

Im Stehen vielleicht sogar kleiner als ich und das allein wäre schon ein Wunder.
 

Er trägt ein weißes T-Shirt, darüber eine ärmellose, ausgewaschene Jeansjacke und eine halb zerrissene, schwarze Hose.

Erneut stellt sich mir die Frage, wo ich hier bitte gelandet bin.
 

"Kommt schon, ihr müsst mehr Lachen. Seit nicht gleich so griesgrämig zu dem Neuen. Ich machs euch vor, guckt her", sagt er lachend und erntet zweimaliges Augenverdrehen.

"Sam, jetzt hör mal auf. Es gibt im Moment wichtigeres", sagt das Mädchen kalt und lenkt ihren Blick wieder auf mich. Ob ihr silbernes Haar wohl gefärbt ist? Es reicht bis zum Po und lässt sie unbeschreiblich geheimnisvoll und elegant wirken.
 

"Wer bist du, aus welchem Land kommst du und was sind deine besonderen Fähigkeiten?"

"Wie bitte?" Was meint sie jetzt damit. Die ersten Fragen kann ich ja noch verstehen und beantworten, aber von welchen Fähigkeiten redet sie da?
 

"Antworte einfach", mischt sich nun auch der Brillenträger, deutlich monotoner ein.

"Na gut, ich bin Takeshi Minato und komme aus Japan. Das mit den Fähigkeiten verstehe ich nicht ganz."

Ein "Tzz." kommt noch von dem Mädchen bevor sie sich umdreht und zu einem weiteren Mann nach hinten geht. Ihn habe ich noch gar nicht bemerkt. Er ist groß und scheint der Älteste der hier Anwesenden zu sein.

Seine kurz geschorenen hellblonden Haare passen zu der militärsähnlichen Kleidung, die er trägt. Eher uninteressiert hat er die Szene mit seinen graublauen Augen beobachtet.
 

"Dann fangen wir doch noch mal am Anfang an Tak. Oh ich darf dich doch Tak nennen, nicht? Ich bin Sam aus Texas. Lass uns mal zusammen Eis essen gehen", meint der goldblonde Junge von vorhin mit einem ehrlichen Grinsen im Gesicht, während er näher zu mir kommt. "Freut mich", meine ich nur, wobei ich mich leicht über das Eisessen wundere und Moment! Hat er gerade Texas gesagt?
 

"Ach er ist immer so, nicht wundern." Ich erschrecke furchtbar, als auf ein Mal eine Stimme hinter mir ertönt. Ein braunhaariges Mädchen sitzt, anscheinend schon eine ganze Weile, hinter mir. Sie hat ein altmodisches Tuch auf dem Kopf und einen mittellangen Rock an. Passend zu ihren grünblauen Augen trägt sie außerdem eine hellgrüne Bluse.
 

"Mein Name ist Emily. Ich komme aus einem Bergdorf, in Deutschland. Nenn mich ruhig Em, wie alle hier." Sie hat eine ruhige Stimme und lächelt mich freundlich an, was mir nicht entgeht.
 

"Chris, aus Brasilien", ist die plötzliche und kurze Erklärung von dem lilahaarigen Brillenträger, der schon wieder auf seinem Computer herum tippt.
 

"Lu, wollt ihr euch unserem neuen Mitglied nicht auch vorstellen?", fragt Em die Beiden abseits stehenden, während ich mir jetzt schon schwer tue, mir alle Namen zu merken.
 

"Mach du's. Ich möchte so wenig wie möglich mit dem Nichtsnutz zu tun haben." Etwas enttäuscht bin ich schon über ihre Reaktion, sage jedoch nichts.
 

Mit einem entschuldigenden Lächeln redet Em schließlich wieder: "Also das Mädchen da vorne ist Luna und kommt aus Italien. Der stille Typ an der Wand ist Jo und wohnt in Korea."

Was? Wie kommen Menschen von aller Welt an diesen Ort und wieso sprechen sie alle Japanisch? Wir sprechen doch Japanisch, oder?
 

Da sie meinen verwirrten Blick sieht, fährt Emily auch gleich fort. "Du hast sicher einige Fragen, also fange ich am Besten sofort an sie zu beantworten. Warum wir uns alle verstehen können, obwohl wir aus verschiedenen Ländern kommen, wissen wir selbst nicht.

Aber ich kann dir etwas über diesen Ort erzählen und über uns."
 

Das Mädchen scheint Gedanken lesen zu können, oder war sie möglicherweise auch schon einmal in dieser merkwürdigen Situation?
 

"Du bist hier im Hauptquartier der Wespen. Wespen ist die Kurzform für Weltenspringer. Auch du bist nun ein Mitglied dieser Gruppe.

Im Grunde sieht es so aus: Es ist schwer zu erklären, aber jede Geschichte, egal ob sie niedergeschrieben wurde, oder sich nur im Kopf einer Person befindet, erschafft eine neue, unsichtbare Welt.

Diese ist auf ewig mit ihrem Schaffer verbunden. Passiert also etwas in dieser Welt, oder sie verändert sich, kann auch der Erfinder bleibende Schäden davontragen, vor allem Psychische.
 

Wir Wespen kämpfen dagegen und führen die aus den Fugen geratenen Welten wieder auf den richtigen Weg, damit die Menschheit nicht zu Grunde geht.
 

Schon bei unserer Geburt wurden wir von IHNEN ausgewählt, in dieser Einheit zu kämpfen und daran ändern können wir ebenfalls nichts. Du kannst mir glauben, es haben schon einige versucht gegen SIE anzukommen.
 

Ich weiß du wirst wahrscheinlich noch nie wirklich irgendwo gekämpft haben, aber das ändert sich bald. Nach deinem ersten Erscheinen hier im Hauptquartier, wird sich deine zukünftige Waffe automatisch an deinem Gürtel befinden, wann immer du hier auftauchst.
 

Herzukommen ist einfach. Du musst nur einschlafen. Jede Nacht erholt sich dein irdischer Körper, während du selbst hier bei uns landest. Daran kannst du ebenfalls nichts ändern.
 

Noch Fragen?"
 

So das muss ich jetzt erst einmal verarbeiten. Das mit den Welten ist, naja, eigenartig und hört sich nach einer wilden Wissenschaftlertheorie an und das ich auserwählt sein soll, um zu kämpfen?

Ich, der Streber vom Dienst, der nicht einmal ein Seil hochklettern kann?

Und wer bitte sind SIE?
 

Em ist mittlerweile aufgestanden, was mich daran erinnert, dass ich immer noch am Boden sitze. Beim Aufstehen kann ich ein ungewohntes Gewicht an meiner rechten Seite ausmachen.

Ein breites Schwert samt pechschwarzer Schneide hängt an einem braungoldenen Gürtel an meiner Hüfte.
 

Erst jetzt bemerke ich, dass sich auch mein Outfit verändert hat. Ich trage ein weißes Hemd und ein schwarzes Tuch um den Hals. Dazu eine enge schwarze Jeans. Meine Arme schmücken zusätzlich dunkle, eher altmodische Armschoner.

Seit wann habe ich solche Sachen?
 

Argh! Das sind einfach zu viele Fragen für einen Tag. Mein Kopf dröhnt schon!
 

Meine Gedanken werden abrupt von einem lauten Geräusch und rotem Licht im gesamten Raum unterbrochen. Alle Augen sind auf Chris gerichtet, der sich zu dem riesigen Bildschirm stellt und einige Knöpfe auf der Monstertastatur drückt.

Mit Blick auf den Monitor sagt er: "Stufe 5. Einzelne Einwohner geraten außer Kontrolle und töten ihre Mitmenschen."
 

Während ich nicht unbedingt etwas davon kapiert habe, meint Sam: "Wie cool, gleich am ersten Tag den ersten Einsatz."

Lachend klopft er mir auf die Schulter und springt wie ein kleines Kind im Kreis herum.

"Einsatz?", frage ich vorsichtig mit hochgezogener Augenbraue nach.

"Keine Sorge, du wirst schon nicht am ersten Tag gleich draufgehen", meint Luna, anscheinend genervt von meinem verwirrten Blick, was mich nicht unbedingt beruhigt.
 

Was wird denn heute noch alles passieren? Der Tag hat doch so ruhig angefangen.
 

to be continued ...

2. Neues Wissen

2. Neues Wissen
 

Ich komme mir irgendwie ein wenig nutzlos vor. Stehe hier mitten im Raum, während alle anderen um mich herum los sprinten. Die Aufgaben in der Gruppe scheinen genau verteilt zu sein.

Während Chris auf der Tastatur seines Laptops herumtippt, sind Emily und Sam nach hinten zu der einzigen Tür des Raumes gerannt, welche sich als eine Art Abstellkammer herausstellt.
 

Kurz darauf halten sie mehrere Gürtel, ähnlich dem Meinem in der Hand, mit den verschiedensten Waffen darin.
 

Sam hängt sich gleich den ersten selbst um. Er ist schwarz und beinhaltet zwei Pistolen, jeweils eine pro Seite. Etwas weiter hinten steckt noch ein kleiner, silberner Dolch.

Emily trägt auf ihrem Rücken jetzt einen altmodischen Köcher und quer über die Schulter hängt ein schön geformter Bogen.
 

Luna, die bis eben irgendetwas in einen kleinen Block, der alleine am Tisch liegt, geschrieben hat, nimmt nun auch ihren Gürtel von den Beiden entgegen. Daran hängen zwei Katana-ähnliche Langschwerter. Dünn und elegant hängen sie an ihrer Hüfte.

Chris nimmt einen etwas dünneren Ledergürtel in die Hand, an dem man nur einige Wurfsterne sehen kann. Zusätzlich dazu packt er sein Notebook in eine rotbraune Tasche, um sie sich umzuhängen.
 

Jo bekommt als Einziger keinen Gürtel. Nur eine übergroße Axt, die ganz sicher in keine Gürteltasche passen würde. Der Stil geht bis zum Boden und das Metall ist beidseitig scharf und sehr schön gearbeitet.
 

Nach dem Verteilen kommt Sam auf mich zu und packt meinen Arm. Lachend ruft er: "Komm Tak, wir müssen los", und zieht mich zu den Anderen, die mittlerweile in einem Kreis zusammenstehen.

Sofort wird uns Platz gemacht und ich stehe zwischen Luna und Sam, welcher meinen Arm erst jetzt loslässt, um sich im selben Moment meine mittlerweile zitternde Hand zu schnappen.
 

Auch Lu greift nun seufzend nach der anderen Hand. Sofort schlägt mein Herz einen Takt schneller. Wieso bringen mich ihre feurigen Augen nur so aus der Fassung? Noch nie hat ein Mädchen das gekonnt.

Mein Freund Suki dachte schon ich wäre schwul, so wie er. Aber da ich mich nicht zu Männern hingezogen fühle, bezweifle ich das stark.
 

Nervös schaue ich in die Runde, um meine rot gewordenen Wangen vertuschen zu können, mit eher mäßigen Erfolg.

Sam schmunzelt mich an und boxt mir wissend in die Seite, was ich versuche zu ignorieren. Alle Anderen scheinen schon hoch konzentriert zu sein und haben ihren Blick gegen den Boden gerichtet.
 

Neugierig richte auch ich meine Augen nach unten. Man kann eine Rose erkennen, umrandet von merkwürdigen, alten Schriftzeichen, die ich nicht lesen kann. Beides ist fein säuberlich mit silber in den mattgrauen Boden eingraviert und ich wundere mich wirklich, dass ich dies nicht schon vorher gesehen habe.

War das etwa schon die ganze Zeit da? Scheint so. In mir keimt die Frage auf, warum wir hier eigentlich Hand in Hand stehen, als plötzlich die Zeichen eines nach dem anderen weiß zu leuchten beginnen, am Ende die Rose selbst. Kaum ist das geschehen, kann ich mich nicht mehr bewegen.
 

Das Gefühl ist das Selbe, wie am Anfang, als ich plötzlich hier gelandet bin. Schwerelos fliegt mein Körper im Nichts. Dieses Mal ist jedoch eine Sache anders. Ich spüre etwas.

Es sind die Hände von Luna und Sam. Zwar kann ich sie nicht bewegen, geschweige den nach links und rechts schauen, wo ich die Beiden vermute, jedoch fühle ich die sanfte, fast zaghafte Berührung.
 

Entgegen meiner Vermutung werde ich nicht wieder Ohnmächtig, sondern kann auf einmal Wind spüren. Ein starker Luftstoß weht gegen meinen Körper. Langsam kommt wieder Leben in meine Muskeln und ich fühle harten Boden unter meinen Füßen.

Dieser ist aber uneben und gegen meinen Willen falle ich rückwärts auf den Po, sobald mein Körper wieder normal beweglich ist. Lu, die geistesgegenwärtig losgelassen hat, wirft mir einen abschätzigen Blick zu, während Sam, der nicht so schnell war, lachend auf mich rauffällt.
 

Daraufhin schießt mir das Blut in den Kopf und auch wenn ich mich im Moment selbst nicht sehen kann, kann mein Gesicht sicher mit einer Tomate konkurrieren.

Verlegen stammle ich eine Entschuldigung, was mir von Sam ein Grinsen und von Emily ein gutmütiges Lächeln einbringt. Sie hält mir ihre Hand hin, die ich zögerlich annehme, während Sam schon längst wieder aufgehüpft ist, und ein Rad auf der grünen Wiese schlägt.
 

Er kommt mir immer mehr, wie ein überdrehtes Kind vor, was nicht unbedingt schlecht sein muss. Ich bin mir sicher, mit ihm wird es selten langweilig.

Jo und Chris ignorieren die eben entstandene Situation und flüstern miteinander, während sie Richtung Sonne blicken.
 

Erst jetzt wird mir die ungewöhnliche Umgebung richtig bewusst. Wir stehen auf einer Art Felsvorsprung. Nach unten führt ein breiter, mit Gras bewachsener Weg und links von unserer kleinen Gruppe fällt die Wiese steil ab. Weiter unten, in der Ferne, kann man ein kleines Dorf erkennen. Es wirkt fast wie aus dem Mittelalter herausgerissen, so alleine steht es dort im Sonnenschein.
 

Irgendetwas daran stört jedoch im friedlichen Bild. Um das Dorf herum, so weit das Auge reicht ist nur Wald, Nadelwald um genau zu sein. Nicht ein Weg, eine Straße, oder Möglicherweise eine weitere Stadt kann man sehen.
 

Wieso das? Gibt es sowas heutzutage noch? Wo genau befinden wir uns eigentlich?
 

Da Sam immer noch damit beschäftigt ist, die einsame Wiese auf und ab zu rollen, wende ich mich lieber an Em, die die Umgebung zu bewundern scheint.

Beim genaueren hinsehen finde ich, dass ich sie mir genau so in ihrer Heimat vorstelle. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen und wehendem Haar steht sie im warmen Sonnenlicht und bewundert die Vögel, die sanft im Winde schweben.
 

Ich stelle mich neben sie, während sich Luna mittlerweile zu den Beiden diskutierenden Jungs begibt, um mitzureden.

Erst jetzt sehe ich, dass Emily genießerisch die Augen geschlossen hat. Leise räuspere ich mich und mache somit auf mich aufmerksam, wobei es mir leid tut, diese harmonische Atmosphäre zu zerstören.

Wie aus einer Trance gerissen, erwacht sie und sieht mich auffordernd an. Wahrscheinlich vermutet sie bereits, dass ich erneut Fragen habe.
 

"Em, wo sind wir hier, wie kamen wir her und noch wichtiger, wie kommen wir wieder zurück?"
 

"So wo fange ich am Besten an?", überlegt sie vorerst, mit dem Gesicht gegen Himmel gerichtet. "Wie schon gesagt gibt es erfundene Welten, die aus den Fugen geraten sind. Wir befinden uns gerade in einer dieser, um sie wieder auf die richtige Bahn zu leiten. Um es für uns Wespen leichter zu machen, haben wir die verschiedenen Welten in 8 Gruppen eingeteilt.

Stufe 1: Welten, die aus der Fantasie von Kleinkindern stammen. Stufe 2: Vorstellungen von alten Leuten. Beide kaum gefährlich und meistens treten keine Probleme auf.

Stufe 3: Gedanken von armen Menschen. Großteils auch ungefährlich, da sie nur Frieden und Nahrung wollen. Dann kommt Stufe 4: generell Erwachsene. Die sind einfältig und langweilig. Nichts Besorgnis erregendes, jedenfalls fast immer. Es gibt in jeder Stufe natürlich auch Ausnahmen, aber das merkst du schon bald.

Anschließend gibt es Stufe 5: Jugendliche. Eine schwierige Phase, deshalb sehr häufig kompliziert. Eine der häufigsten Weltstufen.

Stufe 6 ist dann schon schwieriger bei Problemen: Fantasien von reichen, egoistischen Leuten. Die haben einfach viel zu viel Freizeit zum Nachdenken.

In Stufe 7 sind Welten, die von Menschen mit psychischen Problemen erdacht wurden, vertreten. Bei denen haben wir mindestens einmal schon versagt. Auch das kommt vor. Sie sind sehr anfällig für schwerwiegende Komplikationen.

Und zum Abschluss Stufe 8, die Schlimmste von allen. Vorstellungen von Leuten, die Rache verlangen. Welche, die alles verloren haben und gegen einzelne oder auch mehrere Personen vorgehen möchten, sie insgeheim sogar töten wollen.
 

Ich weiß, das war viel Theorie auf einmal. Aber mit der Zeit merkst du es dir schon.

Ach ja da ist noch etwas. Jede Welt ist einzigartig. Dennoch reagiert jedes Mal einer aus unserer Gruppe hier besonders darauf. Jeder von uns kann es sein. Man spürt es automatisch. Es fühlt sich an wie ein starkes Kribbeln und du hast plötzlich das Verlangen, alles zu tun, um die jeweilige Welt zu retten.

Derjenige der reagiert, leitet die Mission. Er weiß nach einiger Zeit automatisch, was getan werden muss, um die Welt wieder zu richten."
 

Ich werde sicher nie wieder etwas fragen!!!

Und ich habe schon gehofft, das im Hauptquartier war alles an Informationen. Naja, das hätte ich mir eigentlich auch denken können.
 

"Alle her. Wir haben die Informationen erhalten", reißt mich Chris schlussendlich aus meinen Gedanken.

Die gesamte Gruppe versammelt sich um den Computerfreak, der sein Notebook demonstrativ vor seiner Nase hält.

"Welt in Stufe 5. Die ungefähre Zeit: Mittelalter. Gebiet: Nur dieses kleine Dorf. Besonderheiten: Niemand stirbt, die Einwohner können mit Tieren reden. Problem: In letzter Zeit sind Menschen verschwunden und anschließend tot aufgefunden worden.

So das wars. Wer hat auf die Welt reagiert?"
 

"Ich", meint Emily. "Bei Welten, die mit der Natur zu tun haben, reagiere ich meistens." Erneut schmückt ein gütiges Lächeln ihr Gesicht.

Wie sie nur immer so ruhig bleiben kann. Chris hat doch gerade erklärt, dass hier Leute gestorben sind und sie grinst völlig unbeeindruckt.
 

Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich von der ganzen Sache halten soll, folge den anderen jedoch, als sie sich einen Weg zum Dorf suchen. Egal was passiert, aber alleine bleiben will ich nicht!
 

Während wir still durch den dichten Wald wandern, beobachte ich meine Mitstreiter. Chris geht mit dem stummen Jo an der Spitze. Dahinter kommen Lu und Em, wobei erstere die Umgebung nach möglichen Gefahrenquellen abscannt.

Wo Sam ist, kann man nicht genau bestimmen. Er läuft fröhlich quer durch das Labyrinth der Nadelbäume, dabei ist er schon mehr als einmal der länge nach auf dem wurzelbedeckten Boden gelandet. Das scheint ihn jedoch nicht unbedingt zu stören.

Ich meinerseits trotte den Anderen einfach hinterher. In der Hoffnung bald wieder zurück in meinem Bett zu sein.
 

Mittlerweile habe ich keine Hoffnung mehr, dass das Alles hier nur ein Traum ist. Dazu ist schon zu viel passiert. Aber nach Emilys Erklärung sollte ich doch nach dem erfüllten Auftrag wieder zurück kommen. Jedenfalls sobald es in der normalen Welt wieder Morgen ist.

Das ganze ist so kompliziert, mein Kopf brummt höllisch. Das ist der hundertprozentig schönste Geburtstag meines Lebens!
 

So ganz in meine sarkastischen Gedanken versunken, laufe ich fast in Lu, die direkt vor mir stehen geblieben ist, hinein. Wir sind am Dorf angekommen.

Auf den ersten Blick wirkt hier alles sehr friedlich. Kinder spielen friedlich auf der Straße. Einige Bewohner haben Marktstände aufgebaut.

Ganz so als würden wir hier her gehören, marschiert unsere Gruppe einfach los. Links und rechts erheben sich mehrstöckige, jedoch hölzerne Häuser.

Die Frauen tragen altmodische Röcke und Kleider, während die Männer in Arbeitshosen herumlaufen.

Alles im Mittelalterstil.
 

Unglaublich, dass das Alles hier von einer einzigen Person erfunden wurde. Das so etwas atemberaubendes herauskommt, wenn man es sich nur vorstellt.

Inzwischen hat sich Em an die Spitze der Gruppe begeben und geht freundlich lächelnd auf einen Gemüsestand zu.
 

"Willkommen in unserem kleinen Dorf Kinkin. Ihr seid Reisende, nicht wahr? Ich habe euch hier noch nie gesehen", meint der dort stehende, junge Mann mit drei-Tage-Bart.

"Da haben sie recht junger Mann. Wir sind nur Zufällig in der Gegend, würden uns aber sehr gerne eine Weile in diesem Ort ausruhen. Es ist schon einige Zeit her, dass wir in einem Bett geschlafen haben. Gibt es hier in der Nähe eine Gaststube?"

"Aber natürlich. Die Straße runter gibt es ein gutes Wirtshaus. Dort könnt ihr bleiben."

"Ich danke Ihnen vielmals."
 

Damit verabschieden wir uns und folgen den Anweisungen. Anscheinend will Emily den Bewohnern nichts über unsere wahre Herkunft erzählen, was sicher nicht schlecht ist. Ich bin gespannt, was hier noch auf uns zukommt.

Luna, die rechts vor mir geht, scheint ihre Augen auf ein verlassen wirkendes Haus gelegt zu haben. Die Tür steht offen, die Fenster sind eingeschlagen, oder schon nicht mehr vorhanden.
 

Kurz pfeift sie, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Danach lotst sie uns zu der Bruchbude.

"Meinst du hier ist auch jemand gestorben?", fragt Chris vorsichtig.

"Möglich wärs", antwortet die Gefragte.

Ohne Absprache begibt sich der Älteste, Jo, an die Spitze und stößt vorsichtig die Tür weiter auf. Ich vermute, dass er in gefährlichen Situationen immer die Kontrolle übernimmt, was auch Besser ist. Von allen hier Anwesenden wirkt er am ehesten Kampferprobt, wenn es zu Problemen kommt.
 

Drinnen angekommen teilt sich die Gruppe in alle Richtungen auf. Jo, Chris und Lu übernehmen das obere Stockwerk und wackeln die gefährlich schwankenden Treppenstufen hinauf. Inzwischen machen wir drei uns an die Arbeit, die unteren Räume nach Hinweisen zu durchsuchen.
 

Em geht nach rechts und öffnet einige Türen dort. Sam folgt mir nach links, eine Hand schon griffbereit am Gürtel, bei seinen Pistolen.

Vor mir ist eine Tür, nicht unbedingt ungewöhnlich in einem Haus, oder? Man oh man, ich muss über meine eigenen Gedanken die Augen verdrehen. Als ich die schwere Holztür aufstoße, stockt mir der Atem. Nur damit ich ihn gleich darauf umso heftiger wieder einziehen muss.
 

Blut!

Überall Blut!

Der ganze Boden ist voll verschmierter rot-brauner Flüssigkeit. Mir wird schlecht, was der verwesene Geruch nicht unbedingt besser macht. Hinter einer Holzbank kann man rot glänzende Fleischreste und einen abgetrennten Arm ausmachen.

Ich sinke auf die Knie. So etwas furchterregendes habe ich noch nie gesehen. Mir wird kalt und warm zugleich und ich habe das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen.

Als Sam ins Zimmer kommt, zieht auch er die Luft ein. Er streckt den Kopf wieder aus der Tür und ruft den Anderen irgendetwas zu, was ich nicht verstehen kann. Meine Arme umschlingen mittlerweile meinen zierlichen Körper und ich zittere unaufhörlich, während sich mein Blick nicht von den auseinandergenommenen Resten des Toten lösen will.
 

Nur am Rande spüre ich, wie Sam mir an die Schulter greift und daran schüttelt. Kurz darauf werde ich unerwartet hochgehoben, kann aber nichts sagen oder tun. Erst im Nachhinein erfahre ich, dass Jo es war, der mich aus dieser Hölle aus Blut geholt hat.

Tränen rinnen mir mittlerweile unkontrolliert über die Wangen.
 

Was ist das für eine kranke Welt hier? Wieso muss ich das hier sehen, warum ich?!

"Ich will das NICHT !!!!!!"
 

To be continued ...

3. Seelenlose Killer

3. Seelenlose Killer
 

Nur langsam schaffe ich es, mich wieder einigermaßen von dem Schock zu erholen. Dabei schwirren hunderte Fragen in meinem Kopf. Wieso sind die Anderen so ruhig geblieben? Ist das bei ihnen Alltag? Das wäre ja fürchterlich! Sie sind alle noch in diesem blutüberströmten Zimmer, um die zerstückelte Leiche zu untersuchen. Widerlich! Warum müssen wir solche Sachen machen? Warum ich? Ich konnte doch bis jetzt nicht einmal mein eigenes Blut bei einem einfachen Papierschnitt sehen.
 

Alleine sitze ich vor der Haustür und atme die saubere Luft ein. Hier ist nichts von der städtischen Luftverschmutzung zu spüren und ich bin mir fast sicher, dass man abends abertausende Sterne sehen kann. Anders als in der modernen Zeit.
 

Verträumt wandert mein Blick in den Himmel. Wie es wohl wäre, wenn ich einfach abhaue? Wäre das überhaupt möglich? Bei all dem, was Emily mir erzählt hat eher nicht. Wohin sollte ich auch gehen? Etwa hier im Wald nach einer Zivilisation suchen? Eher unwahrscheinlich, dass es so etwas in dieser Welt gibt.

Irgendwie ist es Ironie pur. Noch gestern habe ich mir nachts vorgestellt, wie es wäre in der Welt meines Lieblings-Fantasiefilms zu leben. Das hat doch jeder schon einmal, nicht?

Und jetzt, da es wirklich möglich ist, frage ich mich, wie ich am schnellsten wieder zurückkomme.
 

Noch während ich mir über das Schicksal und seine Tücken Gedanken mache, sehe ich im Augenwinkel einen meterhohen Schatten vorbei huschen und ich schrecke ruckartig auf. Meine Augen folgen ihm noch in ein etwas entferntes Stück Wald. Was auch immer das war, es hatte die Größe eines Hauses, mindestens.

Langsam kriecht eine unbekannte Angst in meine Glieder.

Was um Himmels Willen war das? Welches so große Wesen ist so schnell, dass man es im vorbeilaufen nicht erkennen kann?

Was wenn dieses Ding der Mörder ist?!

Langsam fange ich an zu zittern.

"Aber nein! Das Teil ist viel zu groß. Es würde nicht in ein Haus hineinkommen, oder?", murmle ich in meinen nicht vorhandenen Bart.
 

"Tak? Mit wem redest du da?", kommt es plötzlich von hinten.

Erschrocken drehe ich mich um die eigene Achse und stolpere dabei über meine eigenen Füße. Zum zweiten Mal an diesem Tag sitze ich gegen meinen Willen am Boden und blicke in Sams belustigtes Gesicht.

"Alles in Ordnung? Du siehst nicht besonders gut aus", meint Em, die hinter Sam aus dem Haus gestürmt kommt und mir erneut an diesem Tag aufhilft.

Auch die anderen sind mittlerweile aus dem verwüsteten Haus getreten. Während Lu mich keines Blickes würdigt, hat Chris ein kleines, belustigtes Grinsen im Gesicht, als er meine Position sieht.

Jo schaut wie üblich nur emotionslos auf mich herab.
 

"Danke, alles in Ordnung bei mir. Ich habe mich nur gerade zu Tode erschrocken", meine ich etwas außer Atem. "Ist irgendetwas passiert, als wir nicht da waren?"

Emily scheint wie in einem offenen Buch in meinen Augen zu lesen und so bleibt mir nichts anderes übrig, als zu bejahen.

"Kurz bevor Sam herauskam, ist ein meterhohes Wesen dort im Wald verschwunden. Es war so schnell, ich konnte nur einen Schatten sehen."

"Verstehe. Em, was sollen wir tun?", fragt Chris das Mädchen, das diese Mission leitet.

"Wir folgen ihm."

Einstimmiges Nicken. Nur ich hänge etwas hinterher. Das ist ja einsame Spitze! Jetzt folgen wir einer riesigen, superschnellen, wahrscheinlich sehr gefährlichen Kreatur, in einen dunklen Wald hinein.

Das ist der beste Geburtstag aller Zeiten!

Wie oft ist mir dieser Satz in den letzten paar Stunden schon im Kopf herumgeschwirrt? Mindestens eine Millionen Mal.
 

Als Schlusslicht folge ich meinen Kameraden in das Gestrüpp. Wie es sich gehört, geht die Einsatzleiterin Em voraus. Sie hat ja auch auf diese Welt reagiert, wie auch immer das gemeint sein soll. Jo und Chris sind direkt hinter ihr. Danach kommen Luna und ich. Sam ist erneut überall und nirgends. Er klettert wie ein Affe auf Bäume und schwingt sich von Ast zu Ast. Obwohl es ein Nadelwald ist, scheinen ihn die spitzen Stacheln der Bäume nicht zu stören. Dabei spart er auch nicht an eindrucksvollen Saltos und anderen Tricks. Ich vermute stark, dass sich unter seinem weißen T-Shirt und der ärmellosen Jeansjacke einiges an Muskeln findet. So schnell und zielsicher, wie er springt und rennt, könnte man meinen er sei Parcourspringer. So wie die Jungs, die derzeit auf Youtube so beliebt sind, da sie kunstvoll über alle möglichen Hausdächer laufen und dabei ihr Leben riskieren.
 

Plötzlich bleibt Emily ohne ein Wort stehen und schnappt sich augenblicklich ihren Bogen. Das sehen die anderen als Zeichen, ebenfalls ihre Waffen zu ziehen. Jo geht nach vorne und greift seine Axt mit beiden Händen, Lu überkreuzt ihre Schwerter und Chris holt sich eine Hand voll Wurfsterne heraus. Sam kommt auf einem dicken Ast zum Stehen und entsichert eine seiner beiden Pistolen.
 

Ein Rascheln vor uns ertönt und alle spannen sich merklich an, während nun auch ich das Breitschwert aus meiner(?) Schneide nehme. Beinahe hätte ich die Klinge fallen gelassen.

Du meine Güte, das Teil ist sauschwer! Ich umfasse den Griff mit beiden Händen und richte meinen Blick nach vorne zu den Anderen.
 

Auf einmal geschieht alles ganz schnell. Ein ohrenbetäubendes Gebrüll erklingt und ich muss mein Schwert in den Boden stecken um beide Hände frei zu haben, mir die Ohren zu zu halten. Ich habe das Gefühl, als würden sie unter diesem enormen Laut platzen. Im gleichen Moment spüre ich etwas an meinem Bein. Ein echsenartiges Wesen klettert meinen Fuß hinauf. Schnell schüttle ich den kleinen Störenfried ab und springe erschrocken ein Stück zurück.

Das grüne Etwas schaut mich mit seinen gelben Augen an und öffnet den Mund, um seine Zähne wie ein Hund zu fletschen. Wüsste ich nicht, dass es keine Drachen gibt, würde ich es für Einen im Miniformat halten. Hinter seinen Augen prangen kleine, geschwungene Hörner heraus. Die Mischung aus Schuppen und grün-gelben Fell auf seinem schlaksigen Körper sieht Federn ähnlich und etwas weiter hinten auf seinem Rücken, sind doch tatsächlich kleine Flügel! Mitsamt schwingenden Stachelschwanz und wütendem Blick steht das kleine Ding vor mir und wirkt trotz seiner geringen Größe gefährlich.
 

Das Brüllen ist mittlerweile verstummt und ich bin dummerweise zu weit von meinem im Boden steckenden Schwert weggesprungen, um jetzt danach greifen zu können, da der kleine Drache zwischen mir und der Klinge steht.

Auch die Anderen blicken nun auf das kleine Tier und noch bevor Chris, der seinen Mund schon geöffnet hat, etwas sagen kann, ertönt eine kratzende, hohe Stimme mit den Worten: "Verschwindet!"

Von wo kam das? Ich kann nichts entdecken. Auch der Rest der Gruppe sieht sich um. Nur Em starrt immer noch wie gebannt auf die Echse.

"Sprechende Tiere ...", flüstert sie.
 

Auf einmal strömen Massen von grünen Minidrachen von allen Seiten auf uns zu. Sie versuchen sich an unseren Beinen und Armen festzubeißen und machen dabei hohe brüllende Laute. Jeder versucht sich die Biester vom Leib zu halten. Ich bin mittlerweile über den kleinen Drachen zu meiner Klinge gesprungen und schlage nun damit auf die Tiere ein.
 

Sam unterstützt uns von oben, indem er mit beiden Pistolen auf die Angreifer schießt. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass jeder Schuss trifft und das getroffene Exemplar tot zu Boden geht.

Der blonde Junge steckt kurz eine Waffe weg, um nach Emily zu greifen und sie zu sich auf den Baum zu ziehen. Mit einem Bogen hätte sie kaum eine Chance gegen die Echsen am Boden.

Merkwürdig finde ich, dass keiner der kleinen Drachen seine Flügel benutzt, aber darüber kann ich mir später noch Gedanken machen.

Wir alle haben mittlerweile Bisse und blutige Schürfwunden. Chris und Jo stehen Rücken an Rücken zueinander und atmen heftig, während der Eine immer mehr Wurfsterne los wird und der Andere die Tiere mit der Spitze seiner Axt aufspießt. Auch die anderen atmen schon unregelmäßig. Luna bemüht sich alleine gegen die Echsen anzukommen und bekommt dabei Unterstützung von Em.

Ich stehe mit dem Rücken zu einem Baum und schwinge meine mittlerweile blutüberströmte Klinge immer wieder knapp über den Boden.
 

"Chris!", schreit Emily plötzlich quer über das Schlachtfeld. "Was hast du zu Anfang gesagt? Es gibt hier sprechende Tiere?"

"Genau, ...wieso?", antwortet dieser außer Atem.

Ein Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht. "Dann ist ja alles klar. Ich weiß, was wir tun müssen!"

Wenigstens bin ich jetzt nicht der Einzige, der nur Bahnhof versteht, wenn ich in die Gesichter der Anderen blicke.

"Bei drei springt ihr alle auf einen der Bäume!"

Wieso will sie das denn bitte? Der Rest scheint ihr so weit zu vertrauen, das sie nur stumm nicken und sich darauf konzentrieren, in die Nähe einer der Nadelbäume mit tief hängenden Ästen zu kommen.

"Eins, zwei, ...und DREI!"

Alle springen zugleich hoch. Auch ich versuche nach einem tief hängenden Ast über mir zu greifen, bemerke dabei aber, dass er zu dünn ist und mich nicht tragen wird.

Ich stürze rückwärts zurück und kneife die Augen zusammen, werde aber kurz bevor ich den harten Boden berühre, wieder hoch gezogen. Wie schon so oft an diesem Tag blicke ich auf Sams Grinsen. "Na, Lust gehabt, auf einen Höhenflug?" Sehr witzig, denke ich mir, sage jedoch nichts. Der Schock sitzt noch zu tief in meinen Knochen.
 

Im selben Moment, wie sie ,drei' gerufen hat, hat Emily einen Pfeil losgelassen, der willkürlich irgendwo in der Erde stecken bleibt. Sofort geht eine gewaltige Druckwelle von ihm aus und eine Feuerfontäne fegt über den Boden. Bis auf wenige, am Rand stehende Drachen werden alle ausgelöscht.

Die Übrigen suchen schnell das Weite.

Leider bleiben wir jetzt nicht einfach zurück.

"Sam!", muss Em nur sagen und schon ist dieser hinter den Echsen her gesprungen. Er ist wirklich der Schnellste von uns, das muss man ihm lassen!
 

Wir hüpfen ebenfalls von den Bäumen herab und rennen Sam hinterher. Wieso ich das hier eigentlich alles mitmache, weiß ich nicht genau.

Der Blonde, der einige Meter vor uns zum Stehen gekommen ist, scheint wie in Trance auf die Lichtung vor ihm zu starren. Als wir Restlichen, Einer nach dem Anderen ankommen, sehen wir auch wieso.

Auf der Wiese vor uns steht ein Drache. Ein wahrhaftiges Monster, dass sicher fünf Meter hoch ist und mit pechschwarzen Augen auf seine kleinen, verletzten Brüder schaut.

Noch hat er uns nicht entdeckt, aber lange dauert das bestimmt nicht mehr.
 

Völlig in Gedanken geht Emily in die Sonne und steuert direkt auf das riesige Wesen zu. Ich strecke meine Hand aus, um Em zurück zu ziehen und möchte sie schon zurückrufen, als Chris Hand plötzlich vor meinem Mund auftaucht.
 

Er hält mich zurück und senkt seine Stimme, um zu sagen: "Das muss sie alleine machen. Em hat auf diese Welt reagiert. Wir dürfen ihr jetzt nicht mehr helfen. Das ist eine der Regeln, die wir nicht brechen dürfen. Selbst im schlimmsten Notfall nicht." Sein Blick hat etwas glasiges angenommen und mir scheint als würde er in traurigen Erinnerungen feststecken.

Ist schon einmal etwas passiert in dieser Situation? Ist vielleicht sogar schon einmal jemand gestorben und sie konnten nichts tun?

Das wäre ja furchtbar! Wenn Emily jetzt etwas passiert!
 

Obwohl ich sie erst einen Tag lang kenne, möchte ich sie nicht verlieren. Es mag komisch klingen, doch im normalen Leben habe ich nur einen einzigen, richtigen Freund. Deshalb sind Freundschaften für mich unglaublich wichtig und etwas besonderes. Ich sehe Emily als Freundin an, auch Sam. Beide haben ihre Macken, besonders der Blonde, aber sie haben mich von Anfang an so akzeptiert, wie ich bin und haben mir geholfen und ich bin mir sicher, dass sich das auch in Zukunft nicht ändern wird. Bei den anderen aus den Wespen bin ich mir noch nicht ganz sicher, was ich von ihnen halten soll.
 

Mein Herz klopft wie verrückt, als die Braunhaarige von dem drachanartigen Wesen entdeckt wird. Es lässt einen grellen Schrei los und stürmt auf sie zu. Emily jedoch bleibt gelassen stehen und ich kann nur hoffen, dass sie einen Plan hat.

Immer näher kommt die Bestie und reißt sein Maul auf. Em holt etwas kleines aus ihrer Rocktasche, eine hell leuchtende Kugel.

Was auch immer das ist, der Drache scheint darauf zu reagieren. Er verlangsamt sein Tempo, bleibt direkt vor dem Mädchen stehen und öffnet sein Maul, um ihr ein weiteres Mal, direkt ins Gesicht zu brüllen. Emily nutzt diese Gelegenheit und wirft die Leuchtkugel in das geöffnete Maul.

Daraufhin fängt das Tier selbst an zu leuchten, schlägt wild um sich und schnappt nach dem Mädchen vor sich.
 

Em wird von seinen Krallen an der Schulter gestreift und kann sich nur knapp vor dem messerscharfen Zähnen retten. Dabei trifft sie der Schweif und schleudert das Mädchen nach hinten.
 

Sofort möchte ich zu ihr rennen, werde jedoch erneut zurückgehalten. Dieses Mal von Lu. Ihre Hand liegt fest auf meiner Schulter und der ernste Blick verrät mir, dass es wohl scheinbar noch nicht vorbei ist.

Die Riesenechse windet sich noch immer, wie unter gewaltigen Schmerzen.

Mit einem letzten Schrei öffnet er ruckartig die Augen und sie strahlen plötzlich in einem gefährlichen rot-gelb.
 

Noch bevor sich Emily wieder aufrichten kann, steht der Drache schon wieder vor ihr. Dieses Mal verhält er sich jedoch anders. Er versucht nicht sie anzugreifen und Em lächelt erleichtert.

Auch die Anderen entspannen sich langsam und endlich kann auch ich meine völlig verkrampften Finger von meiner mittlerweile zerknitterten Kleidung lösen.
 

Emily steht trotz blutender Schulter sicher auf und hebt ihre Hand. Das unglaubliche passiert, denn der zuvor tollwütige Drache lehnt sein heißes Maul an ihre Finger, damit sie zärtlich darüber streicheln kann.

"Ist nun wieder alles in Ordnung?", hört man sie mit gedämpfter Stimme sagen.

Ein dunkles "Danke" kann ich vernehmen und wenn ich mich nicht getäuscht habe, kommt es von der Riesenechse. Nicht wirklich, oder? Ein sprechender Drache, wer denkt sich so etwas aus?
 

Emily holt einen Apfel, keine Ahnung woher sie den hat, aus der anderen Tasche ihres knielangen Rockes und wirft ihn nach hinten zu den Miniaturdrachen, die sich kreischend darauf stürzen.

"Ich wusste doch, dass Fleisch ihnen nicht so gut schmeckt", meint das Mädchen zufrieden und kehrt zu uns zurück.

Ich atme erleichtert aus, aber was ist bitte gerade passiert?
 

Sobald Em wieder in unserer Mitte ist, fassen sich alle kommentarlos an den Händen und wir schweben, noch bevor ich etwas dazu sagen kann, wieder im Nichts.

Wenigstens schaffe ich es dieses Mal auf meinen Füßen zu bleiben, als wir in der Zentrale ankommen.
 

Alle tun so, als wäre Nichts passiert. Dann muss so etwas ja Alltag für sie sein. Unvorstellbar! Man sieht noch immer die Bisse von den Minidrachen auf unserer Haut. Em lässt sich die etwas größere Wunde an der Schulter, gerade von Jo verarzten. Typischer Ärztesohn, denke ich.
 

Nach schier unendlichen Minuten setze ich mich zu der frisch verbundenen Emily und frage sie vorsichtig: "Kannst du mir bitte erklären, was da gerade abgelaufen ist."

"Oh, das hatte ich ja fast vergessen. Tut mir wirklich leid Tak. Es gibt eine Sache, die ich dir noch nicht erzählt habe. Natürlich geraten erfundene Welten nicht nur alleine durch ihre Schaffer in Schwierigkeiten. Es gibt sogenannte Seelenjäger. Das sind Wesen, die sich Zugriff zu den verschiedensten Welten verschaffen und einzelnen, dort lebenden Wesen die Seele entziehen. Wieso sie das machen, wissen wir noch nicht. Nur, dass die Seelen irgendwo in der Welt versteckt sind, in Form von Kugeln.

Allein der, der in der jeweiligen Welt reagiert, kann sie finden und zurück bringen. Dabei darf ihm keiner helfen, die außer Kontrolle geratenen Wesen zu bändigen.

Anscheinend können die Seelenjäger Seelen nicht mitnehmen. Wir versuchen schon länger herauszufinden, warum sie das tun und wer die Hintermänner sind. Bis jetzt erfolglos, aber wir müssen sie auf jeden Fall aufhalten."
 

"Das ganze hier wird immer merkwürdiger ", flüstere ich wobei mir Emily nur entschuldigend zulächelt.
 

To be continued ...

4. Traum oder Wirklichkeit

4. Traum oder Wirklichkeit?
 

Schweißgebadet wache ich auf und sitze augenblicklich aufrecht in meinem Bett. Die Sonne scheint sanft in den kleinen Raum und mein Atem geht immer noch ziemlich heftig.

Was ist passiert? War das alles etwa nur ein Traum? Es fühlte sich so real an. Die Angst um Emily, die Bisse der Echsen. Sehen kann man Nichts mehr davon. Soll das etwa nur in meiner Fantasie passiert sein? Nein, ich bin mir sicher, dass es wirklich wahr ist. Oder vielleicht doch nicht?

Meine Gedanken fahren Achterbahn. Ich lasse alles Geschehene noch einmal Revue passieren, komme aber trotzdem auf kein Ergebnis.

Gibt es die Wespen nun wirklich? Wird mir das Gleiche nächste Nacht passieren? Was soll ich dann machen?

Die durcheinander fliegenden Fragen in meinem Kopf machen mich wahnsinnig. „Waaah! Ich muss hier sofort raus!“
 

Schnell ziehe ich mir ein grünes Shirt über und vergesse dabei fast auf die Hose. Als ich über die wenigen Stufen der Treppe springe, kommt mir eine ungewohnte Stille entgegen. Ach ja! Meine Geschwister sind ja heute bei unserer Nachbarin und ich habe frei. Da es Sonntag ist, muss ich auch nicht in die Schule. Naja ich könnte mich heute wohl kaum darauf konzentrieren. Noch schnell ein Wurstbrot verdrückt, dann schnappe ich mir mein Smartphone und wähle Sukis Nummer.

Das, was ich jetzt am Meisten brauche, ist Ablenkung von dieser merkwürdigen Nacht.
 

„Taki-chan?“

„Hallo Suki-kun. Kannst du bitte endlich aufhören, mich mit -chan anzusprechen?“

„Gute Frage. Das kann ich dir leider nicht versprechen. Aber mal zu was anderem, wieso hast du angerufen?“

„Ach ja, hast du gerade Zeit?“

„Sicher, für dich doch immer! Abends gehen wir doch sowieso ins Gamma, nicht? Dann treffen wir uns eben schon jetzt. Ich freu mich.“

Genau das habe ich ganz vergessen, oder eher verdrängt. Partys im Allgemeinen sind nicht so mein Ding und auf der Frühlingsparty treffen wir sowieso fast ausschließlich auf die 'coolen' Rockerfreunde von Suki. Naja, über eine passende Ausrede kann ich mir später noch Gedanken machen.

„Dann in 15 Minuten vor dem Eiscafé neben dem Park?“

„Klar bis gleich Taki-ku... . Tut mir leid, ich bekomme es nicht über die Lippen. Bye Taki-chan!“
 

Augenverdrehend schnappe ich mir meine braungraue Sweaterjacke von der Kommode und trete vor die Tür. Obwohl ich nur knapp fünf Minuten bis zum Café brauche, schaffe ich es nicht, auch nur eine Sekunde länger, mit meinen Gedanken alleine zu Hause zu sitzen.
 

Schweigend folge ich dem geschlungenem Weg durch die engen Straßen. Lieber gehe ich die kleinen Schleichwege entlang, als an der Hauptstraße. Hier ist es viel ruhiger und weniger stressig. Sobald der winzige Laden, mit nur sechs Tischen in Sicht kommt, breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus.
 

Hier habe ich Suki kennengelernt. Wie wir beide überhaupt hier her gefunden haben, ist schon kurios, aber wie wir dann auch noch auf einen Tisch zu sitzen gekommen sind, grenzt fast an ein Wunder. Zwei so verschiedene Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen zusammengefunden haben.
 

~~~Flashback~~~
 

„Wo ist er denn jetzt wieder hin? HEY STREBER! Du schuldest mir noch die Arbeit aus Chemie!“, tönt es aus dem verschneiten Park.

„Vergiss es Kyoko-kun. Der ist schon über alle Berge.“

„Scheiß Baka!“

Während die Gruppe bestehend aus fünf Kindern den Park fluchend verlässt, atme ich innerhalb des versteckten Cafés, indem ich Zuflucht gesucht habe, leise auf. Es waren alles Jungs aus meiner Klasse, die mir schon seit Wochen Probleme bereiten. Immer wieder soll ich ihre Arbeiten schreiben und das obwohl ich kaum Zeit für meine Eigenen habe.

Auf meiner Flucht bin ich zufällig in einem kleinen Eiscafé gelandet. Nur sechs Tische stehen in dem rotbraun gestrichenen Raum. Zusätzlich kann man sich auch an die düstere Bar setzen. Eigentlich erinnert das Design überhaupt nicht an ein typisches Eiscafé, welche immer mit freundlichen, hellen Farben ausgestattet sind. Vielleicht ist es auch genau diese Tatsache, dass ich mich selbst nicht davon abhalten kann, mich an den letzten, freien Tisch zu setzen und die Karte durchzugehen.

Dabei streife ich mir die dunkelblaue Wintermütze ab und lege sie samt Schal auf den Tisch aus schwarzem Holz. Kurz versuche ich meine schneeweißen Haare mit der Hand zu ordnen, gebe aber nach wenigen Sekunden auf.
 

Klassisch bestelle ich mir, trotz der kalten Jahreszeit, einen Bananensplit und überlege, wie ich meine Verspätung heute am Besten unserer Nachbarin erklären soll. Während ich noch auf meine Bestellung warte, öffnet sich sie Glastür des Cafés ein weiteres Mal und ein komplett in schwarz gekleideter Junge mit dunkelbraunen Haaren kommt herein. Er spricht außer sich vor Wut mit einer Person, an seinem Handy.

„Bist du verrückt?! Die Probe war heute. Das haben wir schon letzte Woche ausgemacht und du tauchst einfach nicht auf. ... Man, du bist der Liedsänger! Ohne dich gehts halt nicht! ... Na gut dann eben Donnerstag. Aber wehe du tauchst da nicht auf! ... Klappe jetzt. ... Jaja, bye.“

Leise fluchend sieht sich der etwas größere Junge um und erblickt nur voll besetzte Plätze.
 

Als ich mich schon von ihm abgewendet habe, kommt er auf meinen Tisch zu und fragt, deutlich ruhiger als zuvor: „Ist hier vielleicht noch frei?“

„Klar“, meine ich leicht unsicher. Es kommt selten vor, dass sich jemand freiwillig an meinen Tisch setzt.

Es bleibt kurz still, bis die Kellnerin kommt und mir den Bananensplit bringt. Danach fragt sie meinen Gegenüber, ob er auch etwas möchte.

„Ein Schokoladeneis mit Schokoladensauce, Schokoglasur und Schokoraspeln.“

Ungläubig schaue ich in seine braunen Augen. Die Kellnerin lächelt nur und verschwindet wieder. Als der Junge meinen Blick bemerkt, fängt er plötzlich lauthals an zu lachen.

„Goldig! Ein Blick, wie ein Hundewelpe, der gerade seine erste Katze sieht!“, stellt er lachend fest.

Wie kann ein Mensch nur so schnell die Stimmung wechseln. Vorher wirkte er trotz seinem geringen Alter noch bedrohlich und jetzt, wie ein kleiner Junge, der mit seinen Freunden lacht. Nebenbei gesagt, benutzt er ziemlich komische Vergleiche.
 

„Du gefällst mir Kleiner! Mein Name ist Tsubaki, aber nenn mich ruhig Suki!“ Er hält mir seine Hand quer über den Tisch hin.

„Takeshi“, meine ich etwas zurückhaltend und ergreife höflichkeitshalber seine noch ziemlich kalte Hand, von der tiefen Temperatur draußen.

„Also Taki-chan. Ich hoffe, ich habe dich vorher nicht zu sehr erschreckt. Weißt du, mein älterer Bruder hat eine Band, die "Black Brothers" und ich darf hin und wieder bei ihren Proben zuschauen, oder auch einmal auf der Gitarre mitspielen. Aber mein dummer Bruder ist heute einfach nicht aufgetaucht.“

„Taki-chan?“

„Tut mir leid, darf ich dich so nennen? Du siehst einfach so niedlich aus, wie groß deine Augen waren, als du meine Bestellung gehört hast“, meint er grinsend.

Noch knapp eine Stunde reden wir, bis Suki als Erster aufsteht. Bevor er den Laden jedoch verlässt, verspricht er mir, Morgen wieder hier her zu kommen.
 

~~~ Flashback Ende ~~~
 

Seit jenem Tag ist viel passiert. Nach einigen Treffen, hat Suki mir die Band vorgestellt, in der er mittlerweile der einzige Gitarrist ist. Eine tiefe Freundschaft ist zwischen uns entstanden. Die beste Aktion war sowieso, als er mit in meine Schule gekommen ist, um den Jungs, die mich ausnutzen Eine reinzuhauen.

Auch seine Freunde aus den Black Brothers sind nett und ich verbringe seitdem immer wieder Zeit mit der Gruppe.

Obwohl die Musikrichtung nicht ganz meinen Geschmack trifft, gehe ich sogar auf viele ihrer Konzerte, natürlich nur Backstage. Heute jedoch will Suki nicht auftreten, sondern mit mir auf die Frühlingsparty gehen. Wie komme ich nur da wieder raus?
 

Kaum im Eiscafé angekommen, grüßt Mei mich freundlich. Ihr gehört der kleine Landen, in dem wir nun schon lange Stammgäste sind.

Ohne etwas zu bestellen setze ich mich an 'unseren' Tisch und warte. Suki kommt wenig später durch die Glastür und rennt gehetzt in meine Richtung.

„Sorry, Taki-chan! Ich hab echt versucht pünktlich zu sein“, meint er ganz rot, vom Laufen, im Gesicht. Lachend meine ich, dass es kein Problem ist. Suki kommt sowieso immer mindestens fünf Minuten zu spät. Wie er rechtzeitig zur Schule kommt, ist mir ein Rätsel.
 

Wir sitzen noch nicht lange, als Mei mit einem Tablett zu uns stößt. "Wie immer für meine beiden Jungs", meint die etwas festere Frau mit einem gütigen Lächeln. Ihre geblümte Bluse und das grüne Stirnband passen zu ihren braun gelockten Haaren, die wie immer wild umherfliegen. Die dunkelgrünen Augen blicken freundlich zu uns. Ihre Erscheinung passt eigentlich so gar nicht zu der dunklen Einrichtung. Wie immer bringt sie Suki seinen Schokomix und mir einen kühlen Eiskaffee. In letzter Zeit habe ich mich in den Eiskaffee von Mei verliebt. Etwas Besseres gibt es nicht, um sich abzukühlen.

„Ich danke Ihnen von Herzen, meine Teuerste“, meint Suki schmeichelnd, während er von Mei nur einen Klaps auf die Schulter und ein „Du kleiner Charmeur“ bekommt.
 

Meinen schelmischen Blick bemerkend, fügt der Braunhaarige an mich gewandt noch hinzu: „Was? Du kennst mich doch Takilein.“

Nein ich reiße mich zusammen und gebe jetzt keinen Kommentar zu dem 'Takilein' ab.

Noch einige Zeit reden wir beide über Unwichtiges und gehen, nachdem wir bezahlt haben, noch etwas spazieren. Der Park ist groß und wir haben noch genügend Zeit vor der Party im Club Gamma.
 

Wenigstens lenken mich die Geschichten, über Sukis letzten Auftritt von meinen Gedanken ab und nicht zum ersten Mal muss ich laut lachen, bei seinen Ausführungen.

" ... und dann ist Noki-kun doch ernsthaft über die Kabel gestolpert und mitsamt seinem Bass in der tobenden Menge gelandet. Er hat ein junges Mädchen mit sich gerissen und als er endlich wieder auf der Bühne war, hatte er "ganz plötzlich" einen roten Handabdruck auf der Wange. Du kannst dir vorstellen was er getan hat? Wenn Noki-kun schon in der Nähe eines Mädchens ist, kann er seine Hände nicht bei sich behalten. Dieser Schwerenöter!", lacht Suki lauthals.
 

Langsam wird es dunkel. Jetzt müsste ich mir endlich mal eine Ausrede einfallen lassen, aber eine Gute. Sonst findet er es noch heraus.

Nach mehreren erfolglosen Versuchen, die ich jetzt nicht aufzählen möchte, finde ich mich im größten Rockerclub, dem Gamma, zwischen lauter tanzenden Jugendlichen, wieder. Suki hat mir gleich ein alkoholfreies Getränk besorgt und mich auch zu dem Eiskaffe zuvor eingeladen. Er weiß, dass ich mit dem Alkohol auf Kriegsfuß stehe, seit dem ich vor einer Woche, das erste Mal wirklich betrunken war.

Suki amüsiert sich prächtig und ist einmal auf der Bühne, beim Karaoke singen, mal auf der Tanzfläche und zeitweise sogar mit dem DJ am Mischpult. So läuft es bei ihm immer ab. Während Metalmusik blüht er voll auf und muss überall im Mittelpunkt stehen. Es ist lustig zuzusehen und ich muss oft über seine ulkige Art lachen.
 

Nach nur zwei Stunden dröhnt mir von der überlauten Musik der Kopf. Wie gesagt, ich bin für so Etwas nicht gemacht. Suki folgt mir nach ein paar Minuten und findet mich hinter dem Club, wo normalerweise die Raucher stehen.
 

„Lass mich raten. Zu laut?“

Ergeben lächle ich ihn an. Plötzlich wird sein Blick ernst und Suki kommt näher an mich heran. Trotz der warmen Luft, kann ich seinen erhitzten Körper neben Meinem spüren und seine durchdringenden Augen liegen forschend auf meinem Gesicht.

„Jetzt erzähl mal. Was ist passiert?“

„Was?“ Hat er etwa herausgefunden, dass mich die Erinnerungen an letzte Nacht nicht los lassen? Ich korrigiere mich Innerlich. Es wäre wohl nicht Suki, wenn er nichts bemerken würde.
 

„Es ist Nichts, wirklich! Aber danke, dass du dir Gedanken gemacht hast.“ Ich versuche so gelassen und normal wie möglich zu klingen. Natürlich ist mir sofort klar, dass sich mein bester Freund damit nicht zufrieden gibt.
 

„Weißt du, der Tag war lang. Ich gehe nach Hause. Du weißt ja, dass ich nicht unbedingt viel mit solchen Partys anfangen kann. Wir können uns ja Morgen wieder bei Mei treffen, ja?“

Suki wirft mir zwar einen mehr als skeptischen Blick zu, weiß aber, dass er heute sowieso nichts aus mir herausbringen wird, egal wie viel er bohrt.

Ich bin mir sicher, dass er spätestens Morgen wieder nachfragen wird. Egal wie oft. Wenn er nicht schon vorher mein Smartphone mit besorgten Nachrichten quält.
 

„Na schön, Taki-chan, für heute lasse ich es gut sein. Aber wehe du tauchst Morgen nicht sofort nach der Schule im Café auf. Dann werde ich die ganze Stadt dazu aufscheuchen, dich zu suchen“, meint er mit einem ernsten Unterton und wuschelt mir durch mein weißes Haar.

„Keine Sorge, ich werde da sein.“
 

Mit meinen Gedanken wieder alleine gelassen, mache ich mich langsam auf den Weg nach Hause. Die engen Straßen wirken von unten bedrohlich und scheinen mich verschlingen zu wollen. Angst keimt in mir auf. Ich sehe diese Bilder erneut. Die Bilder von der zerfleischten Leiche im Holzhaus. Im Nachhinein habe ich verstanden, dass diese Minidrachen die Menschen umgebracht haben. Durch den Verlust seiner Seele ist der große Drache durchgedreht und hat seinen kleinen Untertanen befohlen zu Morden. Ob alle Wesen so tödlich reagieren, wenn ihre Seelen gestohlen werden? Besser nicht darüber nachdenken!
 

Alles ist schon dunkel, als ich daheim ankomme. Da ich mich weder traue das Licht anzumachen, noch mich zu duschen, um meine Familie nicht aufzuwecken, schleiche ich mit der Handytaschenlampe hoch in mein Zimmer.

So ruhig ist es sonst nie im Haus und ich genieße die Stille noch etwas, bevor ich mich ausziehe und mich vorsichtig auf mein Bett setze. Irgendwie habe ich leichte Hemmungen davor, mich hinzulegen und zögere noch einen Moment.

Meine Digitaluhr zeigt an, dass es schon nach 0:00 ist und irgendwie schaffe ich es dann doch, mir so viel Mut zuzusprechen, um schlafen zu gehen.

Mit der leisen Angst im Hinterkopf schließe ich meine Augen und weiß nicht genau, ob es mir lieber wäre, wenn die Wespen nur ein Traum wären, oder wenn es sie wirklich gäbe.
 

To be continued …

5. Wasser

5. Wasser
 

Sobald ich meine Füße wieder sicher auf dem Boden spüre, entkommt mir ein lautloser Seufzer. Ob es nun gut, oder schlecht ist, es war auf jeden Fall kein Traum. Ich bin erneut in der hell erleuchteten Zentrale der Weltenspringer angekommen und kann meine ‘Begeisterung‘ davon kaum verbergen.
 

„Tak! Da bist du ja endlich! Hattest sicher eine heiße Nacht, wenn du erst nach Mitternacht auftauchst“, meint Sam grinsend.

Rot geworden schüttle ich meinen Kopf und versuche mich aus der falsch verstandenen Situation zu retten. „Nein, nein, nein! Das verstehst du vollkommen falsch! Ich war nur auf einer harmlosen Party.“ Sam lacht aufgrund meines tomatenroten Gesichtes. Auch von Luna, die neben uns steht, um den riesigen Computer zu beobachten, kommt ein leises Schmunzeln. Das lässt mein Herz trotz der Peinlichkeit um einen Takt schneller schlagen.

„Eine Party also, dann gleich doppelt so viel Spaß“, lacht Sam weiter.

„SAM!!!“, schreie ich.

Ich verberge mein Gesicht in meinen Händen. Das war zu viel!

Der Blonde lacht nur und hüpft vergnügt zu der schwarzen Couch, auf die er sich sogleich fallen lässt. Chris, der schon vorher darauf gesessen ist, hüpft dabei leicht hoch und grummelt etwas Unverständliches.

Em leistet Jo Gesellschaft, indem sie ihm irgendetwas erzählt. Die Beiden stehen vor einem der riesigen Fenster.

Bis jetzt habe ich noch gar nie nach draußen geschaut, was ich nun sofort nachholen muss. Von der Neugier getrieben gehe ich auf eines der großen Fenster zu und muss einige Male blinzeln um meine Augen an die Helligkeit gewöhnen zu können. Mit erstauntem Blick beobachte ich die flauschigen Wolken vor mir. Nur blauer Himmel und wenige weiße Wolken befinden sich um uns herum. Auch mit einem Blick nach unten, kann ich keinen Boden erkennen.

Wie weit müssen wir in der Luft sein?
 

„Das ist Einer der Gründe, weshalb wir nicht von hier abhauen können“, kommt es plötzlich leise von Lu. Sie ist neben mich getreten und blickt in die unendlich scheinende, blaue Tiefe unter uns. In diesem Moment wirkt sie wie ein Fabelwesen. Ihre langen Haare glänzen in hellem Silber, ihre blaue Kleidung schimmert, wie ein Märchenkleid und ihre großen, weißblauen Augen glitzern wie Sterne. Nur schwer kann ich meine Augen von dieser Szene reißen.

„Wie ist das Alles nur möglich?“ Eigentlich wollte ich diesen Satz nicht aussprechen, aber insgeheim interessiert mich Lunas Antwort darauf.

„Mit der Zeit wirst auch du aufhören, Fragen zu stellen“, meint sie nur und bekommt einen mysteriösen Ausdruck in den Augen.

Heißt das etwa, dass hier niemand mehr weiß, als das, was sie mir bereits erzählt haben? Emily hat doch gemeint, dass Jo SIE schon einmal gesehen hat. Die Menschen, wegen denen wir hier sind, oder sind es überhaupt Menschen? Ich bin mir da nicht mehr ganz sicher. Dann müsste Jo doch etwas mehr wissen, nicht?
 

Luna scheint auf jeden Fall nicht komplett abgeneigt gegen diese Welt zu sein. Jedenfalls hat sie nicht den gleichen, traurigen Blick wie Em, wenn sie von unseren Schicksalen spricht. Bei Gelegenheit muss ich einmal mit Emily darüber reden. Vielleicht weiß sie den Grund dafür.

Noch bevor ich meine Gedanken weiterverfolgen kann, höre ich den gleichen lauten Piepton, wie schon am Vorherigen.

Etwa wieder irgendsoeine Welt, die Hilfe braucht? Kann man hier nicht einmal fünf Minuten miteinander reden?

Leicht aufgebracht, weil ich es zum ersten Mal geschafft habe, ein normales Gespräch mit Luna zu führen und dann plötzlich doch noch unterbrochen werde, kann ich erst im letzten Moment ausweichen, als Sam neben mir vorbei stürmt.
 

Es scheint Routine zu sein, dass er zusammen mit Emily, die schon am Schrank steht, sich um die Waffen kümmert.

Wie ich gerade bemerke, befindet sich das edle, schwarze Breitschwert von gestern nicht mehr an meiner Seite. Dafür hat Sam meinen Gürtel in der Hand und übergibt ihn mir mit einem Grinsen.

Wahrscheinlich wird es ab jetzt immer dort hinten im Waffenschrank, bei den anderen Sachen liegen.
 

Nachdem Chris den riesengroßen Bildschirm gecheckt hat, der anscheinend in einer mir fremden Sprache schreibt, verkündet er: „Welt mit Stufe 7. Eine tödliche Krankheit breitet sich rasend schnell aus. Sie wird von irgendwelchen Wesen übertragen. Genaueres erfahren wir dann dort.“

„Na dann los!“, ruft Sam und dreht eine seiner Pistolen lässig in der Hand, bevor er sie wieder in der Seitentasche seines Ledergürtels verstaut.
 

Erneut stellen wir uns in einen Kreis um das merkwürdige Bodensiegel. Dieses Mal ist Lu deutlich weniger davon abgeneigt, meine Hand zu nehmen. Wieso kommen wir eigentlich immer nebeneinander zu stehen?

Mir soll es nur recht sein. Wie Gestern fängt die wunderschöne Rose am Boden an zu leuchten und kurz darauf finde ich mich wieder in der Schwerelosigkeit wieder. Während mein Körper sich nicht regen kann, überlege ich, in welcher Sprache der Computer vorhin wohl geschrieben hat. Englisch kann es nicht sein und auch keine sonstige Sprache mit dem lateinischen Alphabet. Das habe ich doch zumindest erkannt.

Wenn ich genau darüber nachdenke, könnten es die gleichen Schriftzeichen wie die, die um die Rose eingeritzt sind, sein.

Ob wohl alle hier diese Zeichen lesen können, oder nur Chris?
 

Meine Beine werden schwerer. Ein Zeichen, dass wir bald ankommen. Ich spüre kühle Wassertropfen auf der Haut, noch bevor ich meine Augen öffnen kann. Wahrscheinlich regnet es gerade.

Meine Füße kommen auf dem Boden an und durch die schwarzen Stiefel an meinen Füßen, kann ich spüren, dass um meine Beine herum Wasser ist.

Ich habe wahrscheinlich das Glück, als Einziger in einer Pfütze gelandet zu sein. Sobald meine graublauen Augen offen sind, klappt auch mein Mund weit auf.
 

Um mich herum ist überall Wasser. Der Boden ist mit einer fünf Zentimeter hohen Wasserschicht bedeckt. Dennoch stehen wir mitten in einer Großstadt, an einer Straßenkreuzung wie es scheint. Riesige Wolkenkratzer an denen Wasserfälle herabsausen stehen hier.

An jeder Ecke sind hohe Pflanzen, die aus dem kühlen Nass sprießen. Auf den ersten Blick wirken die grauschwarzen Gebäude verlassen. Hier und da fehlen ein paar Fenster. Durch das viele Wasser sind die Fassaden kleinerer Häuser oft abgebröckelt. Straßen oder Wege sind nicht erkennbar und nur hier und da schwimmen einsame Enten herum.
 

„Alle herhören!“, ruft Chris gegen das überaus laute Geräusch des rauschenden Wassers. Natürlich hat er sein Notebook, wenn auch nur widerwillig, aus der wasserfesten Tasche genommen und verkündet uns die neuesten Informationen.
 

„Wie schon gesagt, Welt mit Level 7. Eine Seuche breitet sich unter den wenigen Bewohnern aus. Übertragen wird sie von Wasserlebewesen, welche erst vor kurzem hier aufgetaucht sind und da ist noch etwas! Die Menschen hier sind überaus misstrauisch und werden uns wahrscheinlich sofort abknallen wollen, wenn sie uns bemerken. Wisst ihr schon, wer reagiert hat?“

„Jaaaaaa! Ich!“, kommt es auf einmal von oben.

Wie um Himmels Willen ist der so schnell da rauf gekommen?! Sam steht auf dem Dach eines Hochhauses und blickt den langen Wasserfall nach, der in gewaltigem Tempo neben ihm herabsaust.
 

Ohne Angst springt er plötzlich in den tödlich schnellen Strom. Die Wassermassen reißen ihn mit sich in Lichtgeschwindigkeit nach unten.

„Ja, ist der den lebensmüde?!“, frage ich besorgt.

„Keine Angst. Das macht er öfters“, meint Luna nur.

„BITTE WAS?!“

So ein Irrer!
 

Kurz bevor Sam auf den Boden aufkommt zieht er eine Pistole aus seinem Gürtel und schießt mit geschlossenen Augen in die Richtung eines schmalen Fensters. Ein Seil samt Anker fliegt aus der Waffe und verhakt sich an der Fenstersims.

Sam zieht sich im wirklich letzten Moment vom Wasserfall weg, macht einen Salto und landet laut platschend im Wasser neben uns. „Yuhuuuu!“ Lachend dreht er seine Jeansjacke anschließend aus.

„Hätte es ein etwas weniger auffälliger Auftritt nicht auch getan?“, fragt der sonst recht stumme Jo ernst nach.

„Ach komm schon, hat doch eh niemand bemerkt“, lacht der nasse Junge weiter.

Es gibt eine Sache, die mich noch brennend interessiert.

„Wo hast du denn das Seil plötzlich her?“ Letztes Mal waren beide Pistolen doch noch normal beladen. Jedenfalls erinnere ich mich nicht daran, dass Sam sie ausgewechselt hat.

„Ach weißt du, wenn Einer von uns auf eine Welt reagiert, bekommt er für diese ein spezielles Extra. Oft weiß man am Anfang nicht, wozu man es gebrauchen kann, aber am Ende ist es immer recht nützlich. Bei mir hat sich nur eine der Beiden Waffen in einen Haken verwandelt, bei der Anderen ist alles wie immer.“

Interessant, dann kam der Apfel aus Emilys Tasche auch auf diese Art dort hinein. Wobei ein Apfel für Drachen? Immer noch eine komische Vorstellung.

Während ich als Antwort etwas perplex nicke, hat Chris schon einen Plan ausgearbeitet, was unsere nächsten Schritte sein werden.

„Für den Anfang sollten wir untertauchen und nicht so offen auf der Straße herumstehen. Die Menschen hier könnten sonst zum Problem werden.“
 

„Aber wohin sollen wir gehen?“, fragt Em überlegend. „In einen Keller können wir bei dem Wasserstand schlecht und umso höher, umso leichter werden wir entdeckt.“

„Stimmt. Sam, wie siehts auf den Dächern aus?“

„Eher schlecht. Das Wasser kommt wie aus dem Nichts und der Strom ist viel zu heftig, um länger als nötig oben zu bleiben. Außerdem sind dünne, aber sichtbare Wege gemacht worden, über die man auch mit wenig Talent von einem Haus zum Nächsten springen kann. Die Bewohner dieser Welt müssen sie gebaut haben“, antwortet dieser ernsthafter, als er normalerweise ist.

„Das wird schwierig.“
 

Plötzlich ertönt ein Knall. Pistolenschüsse fallen. Sam greift sich meinen Arm geistesgegenwärtig und zieht mich mit hinter eine Hauswand. Sofort dreht er sich wieder um und feuert mit seiner intakten Pistole zurück. Dadurch konzentrieren sich die fremden Waffen auf Sam und auch die Anderen können sich in verschiedene Verstecke zurückziehen.

Ich blicke vorsichtig hinter dem Rücken des Blonden hervor und erkenne drei junge Männer, die auf verschiedenen Dächern stehen. Allesamt sind mit Maschinengewehren ausgestattet. Ihre Kleidung wirkt wild, zerrissen und doch modern.

Das müssen die misstrauischen Bewohner der Stadt sein.
 

Sam scheint einen Plan zu haben, denn er pfeift kurz, um unsere Aufmerksamkeit zu erlangen. Der Blonde gibt kurze Handzeichen mit seiner freien Hand und alle sind augenblicklich entsetzt, alle außer mir.

Keine Ahnung, was er gerade gezeigt hat, aber Em bekommt Tränen in den Augen, Chris scheint unentschlossen und Lu möchte wutentbrannt auf Sam zuspringen, wird jedoch von Jo zurückgehalten.

Dieser nickt Sam zu und dreht sich in die entgegengesetzte Richtung.

Die Anderen sind alle einige Meter von uns Beiden entfernt, so kann ich keinen von ihnen Fragen, was jetzt eigentlich los ist.
 

„Tak, du musst mir jetzt vertrauen, ja?“, meint Sam leise zu mir.

„Okay?“, sage ich fragend. „Aber was muss ich tun? Was machen wir jetzt?“

„Wir sind zu weit von den Anderen entfernt, dass heißt ich kann dich nicht zu ihnen schicken, oder sie werden entdeckt. Du wartest hier auf mich. Mach dich bereit jederzeit loszulaufen.“

Ohne, dass ich noch etwas sagen kann, rennt Sam auf einmal los. Mitten in die Schussbahn der Gewehre.

Geschickt weicht er nach allen Seiten aus, überschlägt sich mehrmals und versucht durchzuhalten.
 

Da wird es mir klar! Er lenkt die fremden Männer so ab, dass die restlichen Mitglieder der Wespen unbeschadet wegkommen. Diese laufen nun schon in die entgegengesetzte Richtung, ganz so wie Sam es wollte.

Voller Angst befolge auch ich seine Anweisungen und warte absprungbereit hinter der Hausmauer. Hoffentlich passiert ihm Nichts!

Eine Kugel streift seinen Arm und es tritt Blut aus der Wunde, doch Sam verzieht nicht einmal das Gesicht dabei und rennt weiter im Kreis. Als er erneut getroffen wird, blutet sein rechtes Bein heftig. Ein erstickter Laut entkommt dem Blonden und er erkennt, dass er so keine Chance mehr hat.

Als Sam auf mich zusteuert, stehe ich sofort auf und schließe mich ihm an. Wir rennen in die entgegengesetzte Richtung, als die Anderen davor. Trotz seiner Verletzungen ist der Junge immer noch schneller als ich und biegt so flink um die Ecken wie ein Wiesel auf der Flucht. Zum Glück mussten unsere Angreifer sich erst von den Dächern abseilen, bevor sie uns folgen konnten. Das verschafft uns einen Augenblick mehr Zeit.
 

Sam verliert viel Blut und es scheint mir, als werde er langsamer. Erneut biegen wir ab. Mit einem Blick nach hinten nimmt er nun schnell die zweite Pistole heraus, legt einen Arm um meine Schultern und schießt daraufhin präzise wie immer. Der Haken krallt sich in eine Hauswand und der Blonde zieht uns beide ruckartig ein Stück nach oben. Gemeinsam steuern wir auf ein großes Fenster zu. Mit seinen Beinen tritt Sam die Scheibe ein, bevor wir zusammen hinein krachen.

Außer Atem bleibe ich regungslos liegen, als ich die platschenden Schritte unserer Verfolger höre, die einfach an uns vorbei rennen.
 

Zum Glück waren wir schnell genug und sie haben uns nicht bemerkt. Sam hat sich schon an die dunkle Wand neben dem Fenster gelehnt und auch er atmet schwer. Wir befinden uns in einem kleinen Raum, vermutlich war es einmal eine Stube oder ein Wohnzimmer. Ein alter Kamin und schwarze, schon ausgebleichte Sessel stehen in einer Ecke des Raumes. Am Boden liegt ein breiter, roter Teppich und mehrere Holztüren, an denen schon Schimmel ansetzt, führen in weitere Räume.
 

Der Junge neben mir zerreißt sein schon kaputtes Hosenbein nun komplett und bindet sich den Stoff wie einen Druckverband um sein Bein.

Ich helfe ihm, indem ich den Rest um seinen linken Arm festmache. Kurz bleibt es noch still zwischen uns, bis ich es nicht mehr aushalte und flüsternd frage: „Was machen wir jetzt?“

Sam wirft einen schnellen Blick aus dem ‚offenen‘ Fenster. „Wir warten bis es dunkel wird.“

„Werden wir dann nicht in der wirklichen Welt wieder aufwachen?“

„Du denkst, das hier ist nicht real?“ Mit einem forschenden Blick sieht der Verletzte mich an.

„Doch. Mittlerweile schon, aber du weißt was ich meine“, sage ich ein wenig peinlich berührt.

„Keine Angst. Auch die Zeit vergeht hier anders. Es wird in der ‚realen‘ Welt erst Morgen, wenn wir unseren Auftrag erfüllt haben.

Lass uns einander doch ein wenig besser kennen lernen solange wir warten“, sagt er plötzlich mit seinem üblichen Grinsen, welches gerade zurückgekommen ist.

Mir schwant dabei nichts Gutes!

Trotzdem nicke ich langsam.
 

To be continued…

6. Vergangenheit

6. Vergangenheit
 

Vereinzelte Tropfen rinnen von meinem völlig durchnässtem Haar über mein Gesicht, während ich nervös meine Finger knete. Ich weiß ja nicht, was Sam jetzt genau von mir hören will. Er sagte, er möchte mich besser kennen lernen. Heißt das jetzt, dass ich ihm von meinem richtigen Leben erzählen soll?

Ganz sicher bin ich mir nicht, was der Blonde erwartet.
 

„Weißt du was? Wir machen’s mit Frage/Antwort, ja? Also dann fange ich an. Hast du Eltern, eine Familie?“

Komische Frage, denke ich mir. Aber na gut. „Ja ich hab Eltern, die sind nur fast nie zu Hause. Außerdem gibt es da noch meine drei jüngeren Geschwister, die…“

„Was, du hast drei Geschwister? Wie cool!“, unterbricht Sam mich plötzlich.

„Cool? Ich würde sie eher als nervig beschreiben und laut, sehr laut.“

„Ach was, Geschwister sind doch das Schönste, was es gibt auf der Welt. Im Notfall sind sie immer für dich da, du kannst mit ihnen über alles reden. Sie kennen deine Geheimnisse, deine Wünsche und alle deine Gedanken.“

Sam ist komplett in seiner Aufzählung versunken und schaut mit halb geschlossenen Augen auf einen unbestimmten Punkt auf dem Boden. Sein melancholisches Lächeln rundet das gesamte Bild ab und lässt eine traurige Stimmung entstehen.

„Hast du auch Geschwister?“, frage ich fast flüsternd und habe schon eine ungute Vorahnung.

„Ich hatte einen Bruder, vor langer Zeit. Er war nur knapp zwei Jahre älter, als ich selbst und trotzdem fühlte es sich immer an, als würde er mich beschützen, wie ein Erwachsener.“

Nicht ganz sicher, ob es nicht unhöflich ist zu fragen, öffne ich meinen Mund erneut.

„Was ist mit ihm passiert?“

„Er wurde erschossen. Vier Jahre ist das nun her. Eine defekte Alarmanlage war daran Schuld, jedenfalls versuche ich mir das einzureden. In Wirklichkeit bin nur ich selbst zu unaufmerksam gewesen, weshalb er sterben musste.“

Kurz verschnauft Sam und ich kann in seinen Augenwinkel Tränen glitzern sehen, was für den Blonden gänzlich untypisch ist.

„Weißt du, unsere Eltern starben schon früh, bei einem Autounfall und wir hatten nur noch Einander. Unser letzter Verwandter, irgendein Großonkel, hat uns Beide zur Adoption freigegeben, da er keine Lust darauf hatte, uns mit durchzufüttern. Damals war ich erst sechs Jahre alt und es fand sich bald ein Paar, das interessiert war. Jedoch wollten sie nur mich mitnehmen, nach Kanada, weit weg von Jonny.

Wir beschlossen deshalb zusammen abzuhauen, also schlichen wir uns mitten in der Nacht davon und kamen bei einer der berüchtigtsten Diebesbanden von Texas unter. Überall werden sie nur „Shadow“ genannt, da sie im Schatten auftauchen und verschwinden. Jonny, mein Bruder, arbeitete sich schnell hoch und wurde bald einer der besten Meisterdiebe Texas, die rechte Hand des Anführers. Er hätte auch selbst Anführer werden können, wenn er es nur gewollt hätte, aber so viel Verantwortung zu haben, interessierte ihn nie.

Auch ich wurde ausgebildet. Mit meinen Pistolen bin ich nach wie vor ungeschlagen. *grins*
 

Jedenfalls war da dieser eine Auftrag, eigentlich nichts Besonderes, nur ein kleiner Banküberfall. Unsere Kasse war leer und wir mussten sie wieder auffüllen. Mein Bruder leitete den Diebeszug und ich wollte unbedingt mit. Wäre ich doch bloß im Versteck geblieben…
 

~~Flashback~~
 

Wie immer springen wir lautlos über die Dächer und bleiben unsichtbar in der von Jonny vorgeplanten Formation, die er uns tagelang eingetrichtert hat. Wenn es um die Sicherheit der Gruppe geht, kann er schon Furcht einflößend werden. Bei dem Gedanken schleicht sich ein kleines Lächeln in mein Gesicht. Ja so ist er eben, mein braunhaariger Bruder, und ich bin stolz auf ihn.

Erst vor wenigen Minuten haben wir unser Versteck in dem leer stehenden Industriegebäude verlassen. Das noch nie jemand darauf gekommen ist, dort nach uns zu suchen, ist ziemlich dämlich, aber die Polizei ist auch nicht unbedingt schlau. Jedenfalls kommt es mir so vor. 23 Leute zwischen 9 und 26 Jahren, so viele sind wir mittlerweile und es gibt Spezialisten für jedes Gebiet in unserer Bande. Hacker, Computerfreaks, Messerkünstler, Tresorknacker, Waffenspezialisten, und so weiter. Für jede Mission werden die Passenden ausgewählt. Es ist ein Privileg, bei einem Raubzug dabei zu sein, denn wir sind alle eine große Familie. Auf die Schwächeren wird aufgepasst, während die Stärkeren kämpfen und hier will keiner zu den Schwachen gehören.
 

In der Dunkelheit erkennt man die Reflexion des Mondes auf den Fenstern. Team A bekommt ein Handzeichen und dreht daraufhin leise die Schrauben an mehreren Fensterrahmen heraus und entfernt in Sekundenschnelle jegliches Hindernis. Die Metallgitter werden mit eigenen Geräten durchgeschnitten. Während Gruppen C und D sich auf den umliegenden Dächern platziert, stürmt Gruppe B, in der sowohl ich, als auch mein Bruder sind, das große, mattgraue Gebäude.

Drinnen werden wir erneut aufgeteilt. Mein Teil sichert die Gänge und legt das Alarmsystem lahm und Jonnys räumt den Tresor aus.

Zwei Jungs begleiten die erst zwölfjährige Mandy zur Zentrale im Erdgeschoss. Sie könnte wohl auch die ganze Stadt lahm legen, wenn sie nur wollte.

Alles verläuft glatt und jeder von uns bezieht Stellung auf einem anderen Gang. Es bleibt ruhig, bis plötzlich wie aus dem Nichts ein, mit Waffen ausgerüsteter, Wärter auftaucht. Er steuert direkt auf mich zu und aus Reflex weiche ich einen Schritt zurück. Als ich die Situation endlich realisiere, schieße ich dem ausgewachsenen Mann direkt vor die Füße, sodass er abstoppen muss. Der Schuss soll auch eine Warnung an die Anderen sein. Mit einem gezielten Schlag, pfeffere ich meine Pistole über seinen Schädel und der Riese geht ächzend zu Boden.

Eine der Grundprinzipien bei uns ist, dass wir niemanden umbringen, egal wie schlecht es um uns steht.

Erleichtert, dass er wohl bewusstlos ist, drehe ich mich wieder um und kann so erst im letzten Moment ausweichen, als er erneut zuschlägt. Dieser Mistkerl hat sich nur Ohnmächtig gestellt. Sein Schlag geht aber keineswegs ins Leere und er trifft den verglasten Alarmknopf, was eigentlich kein Problem sein sollte, aber zu meinem Erstaunen schrillt plötzlich wirklich ein heller Ton durch das gesamte Gebäude.

Wie ist das Möglich? Mandy hat den Alarm doch deaktiviert.

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube und mir wird klar, dass wir uns auf der Stelle zurückziehen müssen.

Das Kommando meines Bruders folgt im selben Moment. Ein kurzer Pfiff durch unsere WalkiTalkis und alle springen davon.

Auf dem Dach, in Sicherheit, angekommen, fällt uns auf, dass ein Junge namens Roger sich noch immer im Gebäude befinden muss.

Ohne zu überlegen springt Jonny wieder nach unten. Völlig von der Angst um meinen Bruder eingenommen blicke ich auf die Stelle, wo er gerade noch stand.

Erleichterung macht sich in mir breit, als sein brauner Schopf nach unendlich scheinenden Minuten wieder im Fensterrahmen auftaucht. Zuerst wirft er den etwas schmaleren Roger fast aus dem Fenster, wo dieser von den Anderen aufgefangen wird. Als er jedoch selbst springen will, kommt schon eine Horde Polizisten den Gang entlang und fast synchron zücken sie ihre Waffen. Ich strecke meine Hand aus, um nach Jonnys zu greifen.
 

Die nächsten Minuten, oder sind es nur Sekunden, vergehen für mich wie in Zeitlupe. Mein Bruder lächelt, stößt mich dann fort und rennt in Richtung der wütenden Männer, die das Feuer schon eröffnet haben. Sie scheinen nur ihn zu fixieren und uns gar nicht zu sehen.

Ich höre einen Schrei, er kommt von Jonny. Aus unzähligen Wunden auf seinem Körper schießen Ströme von Blut und er bricht zusammen. Ich möchte schreien, zu meinem Bruder hinlaufen, den ich so liebe, doch es bleibt mir verwehrt. Durch meine tränenverschleierten Augen bekomme ich nicht einmal mit, wer es ist, der seine Hand auf meine Lippen presst und mich hochnimmt und davon springt. Meine kraftlosen Versuche mich dagegen zu wehren, verändern nichts an der Tatsache, dass wir uns von Jonny wegbewegen, meinem Jonny, allem, was ich noch habe.
 

~~Flashback Ende~~
 

… Später erfuhr ich, dass es ganze fünf Jungs gebracht hat, um mich in dieser Situation ruhig zu halten. Jonny hat sich geopfert, damit wir unbeschadet zurück kommen. Noch tagelang habe ich nur geweint und niemanden an mich heran gelassen, bis mir der Satz einfiel. Dieser eine Satz, den mein Bruder mir tagtäglich eingetrichtert hat. ‚Weißt du Sam, Menschen sind wie Spiegel, wenn du ihnen ein Lächeln schenkst, bekommst du ein Lachen zurück und wenn du die Leute, die dir am Herzen liegen zum Lachen bringst, wirst du am Ende nichts bereuen!‘

Danach habe ich angefangen, mein Leben so zu leben, dass Jonny stolz auf mich sein würde. Sein Tod sollte nicht umsonst gewesen sein. In der Diebesbande nahm ich seinen Platz, als rechte Hand und zweiter Anführer, ein. Ich habe es sogar geschafft, dass Mandy sich nicht mehr die Schuld am Tod meines Bruders gibt. Dabei gebe ich sie mir selbst immer noch, wäre ich doch bloß aufmerksamer gewesen.

Kurz dachte ich daran, Jonny zu rächen, an den Polizisten, die zuerst schossen und danach erst ihr Hirn eingeschaltet haben, aber das würde er nicht wollen und so schwor ich mir, seine Botschaft an mich, an die ganze Welt weiterzugeben und auch selbst nach diesem Prinzip zu leben.“
 

Nach dieser Geschichte brauche ich erst einmal ein paar Minuten, um das Gehörte zu verdauen. Das ist also der Grund, weshalb Sam sich wie ein Kind benimmt und damit oft nur ein Schmunzeln dafür erhält?

Wenn ich so darüber nach denke, muss ich wirklich zugeben, dass diese Einstellung ihn selbst und seine Mitmenschen sicher schon oft vor der Verzweiflung gerettet haben muss. Grundlegend ist es ein schöner Gedanke und Sam hat schon genug von der Grausamkeit dieser Welt gesehen, um zu wissen, dass man viel zu oft machtlos ist, gegen das Schicksal. Es zeugt von immenser Kraft und Willensstärke, dabei ein Lächeln zu bewahren.

Erst jetzt wird mir klar, wie Stark der blonde Junge doch eigentlich ist, obwohl es ihm anfangs niemand ansehen würde.
 

„Nun aber Mal zu was Lustigerem. Die Stimmung ist viiiiieeeel zu tief hier!“, ruft Sam plötzlich völlig unpassend aus und ich kann einfach nicht anders, als mein zuerst ziemlich verdutztes Gesicht in ein Lachendes zu verwandeln. Obwohl es sicher komisch wirkt in dieser Situation, ist es genau das, was wir beide jetzt brauchen. Sam stimmt mit ein und so sitzen wir noch bis zur Nacht lachend beieinander.

Irgendwie ist es eine Ironie, nicht wahr? Der, der am meisten Grund zum Weinen hätte, lacht lieber und andere Menschen quengeln schon herum, weil ihnen etwas vollkommen Unwichtiges nicht in den Kram passt.
 

Nachdem die Sonne untergegangen ist, machen wir Beide uns auf den Weg, die Anderen wieder zu finden. In der Zwischenzeit habe auch ich etwas von mir erzählt, was weniger spannend war, doch Sam wollte es unbedingt wissen.

Ich glaube er hätte viel lieber so ein 0815-Leben, wie ich.

Leise steht der Junge neben mir auf und blickt die Fassade des alten Hauses hinunter. Dabei fällt mir auf, dass der einfache Druckverband um sein Bein fast vollständig durchgeblutet ist. Dass er überhaupt noch stehen kann, ist ein Wunder.

„Um Himmels Willen, wieso hast du nichts gesagt?“

„Was? Ach so, die Wunde meinst du? Da hatte ich schon Schlimmeres, jetzt komm.“

Ich habe überhaupt keine Möglichkeit mehr, zu widersprechen, weil der Blonde mich schon mit einer Hand um den Bauch gepackt hat und uns beide in einem Affentempo herunter lässt.

Ich finde nicht einmal die Zeit zum Schreien, als wir Beide schon mit einem Bauchklatscher im Taille-hohen Wasser gelandet sind.

Wie nicht anders zu erwarten, lacht Sam sich schlapp dabei, während ich nur hustend versuchen kann, das Wasser aus meiner Lunge zu bekommen.
 

Mir kommt es so vor, als würden wir nun schon ewig, ziellos umher irren, als mein Partner mich plötzlich in den Schatten eines kleinen Cafés zieht, das hier vermutlich einmal war.

Zwei junge Frauen und ein etwa gleich alter Mann unterhalten sich gerade, nicht weit von uns entfernt.

„Aber ich habe sie gesehen! Es waren Fremde hier, dieses Mal bin ich mir ganz sicher. Es war mehr als nur ein Schatten, ich habe ihnen in die Augen geblickt!“ Dabei reißt das Mädchen ihre Augen weit auf und zeigt mit ihrem Finger auf diese.

„Ach komm schon Lux, du hast vermutlich nur wieder geträumt. Da war niemand, wie immer!“, meint der Mann seufzend und dreht ihr den Rücken zu. Das zweite Mädchen legt tröstend ihre Hand auf die Schulter des Ersten. „Keine Sorge, auch wenn hier jemand Fremdes ist, bis zu uns kommen sie nie durch. Davor werden sie von den Teufelsschlangen infiziert.“

Immer noch leicht zerknirscht klettert die junge Frau nun hinter ihren Kollegen die Wand des nächsten Hauses geschickt hoch und verschwindet mit Ihnen aus unserem Sichtfeld.

„Na wenigstens wissen wir, dass die Anderen hier waren“, meint Sam leise zu mir und grinst.

„Das mit den TEUFELSschlangen hast du wohl überhört, oder was?“ Skeptisch beäuge ich den Verletzten.

„Noch ist das ja nicht wichtig“, sagt dieser nur.

Nein, Schlangen, die hier im Wasser rum schwimmen und uns nur zu gerne mit irgendetwas tödlichem infizieren wollen, sind überhaupt nicht der Rede wert, wie konnte ich nur so falsch denken!

Mein Sarkasmus ist auf 180 hochgefahren, wie eigentlich immer, wenn ich vor mir selbst vertuschen will, dass ich riesige Angst habe.

Ich hoffe wir finden die anderen Wespen schnell!
 

To be continued…

7. Ein besonderer Plan

7. Ein besonderer Plan
 

Schon die halbe Nacht gehen, oder eher platschen wir Beide durch die Straßen. Wenn es dunkel wird, ist das Wasser, in dem wir gehen müssen, gleich automatisch kälter und das taube Gefühl in meinen Füßen breitet sich rasend schnell aus.

Was mir aber mehr Sorgen macht, ist Sam. Der Blutverlust macht ihm schwerer zu schaffen, als er zugibt. Mittlerweile könnte sogar ein Blinder seine Erschöpfung sehen. Mit rasselndem Atem und durchgeschwitzten Klamotten schleift er sich immer weiter. Dabei versucht er sich Nichts anmerken zu lassen, was so ziemlich sinnlos ist. Aber er weigert sich auch, eine Pause einzulegen. Mit Entsetzen stelle ich fest, dass der Stoffverband komplett durchgeblutet ist und sich langsam auch die blaue Jeansjacke des Blonden rot verfärbt. Auch die Wunde am Fuß will nicht aufhören zu bluten.

Wenn wir die Anderen nicht bald finden, kommt Sam noch wegen seiner Sturheit um!
 

In den dunklen Wasserstraßen ist es kaum möglich, viel zu erkennen und schön langsam verliere ich den Mut, als mich ein schleifendes Geräusch aufhorchen lässt. Diesmal bin ich es, der Sam in ein Haus, dessen Tür offen steht, hineinzieht. Die Tür schlage ich wieder zu und renne in den nächsten Stock hoch, um das Wasser beobachten zu können. Sam folgt mir etwas langsamer und schaut ebenfalls hinaus.

Wenn er mir nicht im letzten Moment seine Hand vor den Mund gehalten hätte, würde ich spätestens jetzt laut anfangen zu schreien.

Ein schleimiges, braunes Ding, so breit, dass es die gesamte Breite der Straße ausfüllt, schlittert schwungvoll über das Wasser. Schlange ist schon irgendwie die richtige Bezeichnung für das da, denn zusätzlich zur enormen Breite, hat das Ding einen Körper, der so lang ist, dass man sein Ende von unserer Position nicht sehen kann und das Gruseligste an diesem Wesen: Es scheint keinen Kopf zu besitzen.

Vorne, wo normalerweise der Kopf hingehört, läuft der Körper spitz zu und als das Ding gänzlich an uns vorbei gerutscht ist, sehe ich, dass er hinten genauso spitz zuläuft.

Angewidert und erschrocken von dem Anblick lasse ich mich auf den Boden fallen und muss mich zusammen reißen, nicht zu würgen.
 

Wir warten noch einen Moment regungslos, bis wir uns sicher sein können, dass das schlangenartige Wesen weg ist.

„Ach du Scheiße! Teufelsschlange ist maßlos untertrieben“, meine ich zitternd.

„Das war ein Seelenjäger in verwandelter Form, da bin ich mir sicher. Die Krankheit, die er hier verbreitet, bewirkt wahrscheinlich, dass sich die Seelen der Menschen langsam aus ihrem Körper lösen. Das kann äußerst schmerzvoll für die Betroffenen sein.“ Sams Stimme ist nicht mehr so voller Energie, wie ich es von ihm gewohnt bin und das steigert meine Sorge um ihn nur weiter. Scheinbar lehnt Sam lässig an dem Fensterrahmen, doch wenn man genau hinsieht, kann man bemerken, dass er sich krampfhaft daran abstützt. Auch sein ach so typisches Lächeln schaut aus wie eingefroren und ist nicht echt.
 

Auf einmal fällt ein Holzbrett vom Dach gegenüber. Kurz darauf kann man eine überaus wütende Stimme wahr nehmen. „Verdammt! Du hast gesagt, sie sind in diese Richtung gelaufen. Nun suchen wir die Beiden aber schon den ganzen Tag und die halbe Nacht lang.“

„Aber sie haben eindeutig diese Richtung eingeschlagen“, antwortet jemand anderes monoton.

„Beruhigt euch doch bitte. Das Schlänglein könnte uns sonst noch hören.“

„Was hast du da gesagt, ‚SCHLÄNGLEIN‘?! Monstervieh wäre wohl passender! Du und deine Tiere Em… .“

Überrascht und überaus erleichtert zugleich weiten sich meine Augen, als ich die anderen Weltenspringer auf dem Dach gegenüber erblicke. Luna die sich gerade mit Chris um die Richtung gestritten hat und Emily, die sie beruhigen wollte und nun mit einem entgeisterten Blick von allen Anderen angesehen wird, stehen da.

Auch Jo springt nun von einem etwas entferntem Haus zu den Anderen.
 

Natürlich hat Sam unsere Kollegen ebenfalls schon längst entdeckt und belächelt ihr Verhalten. Danach macht er, wieder aus vollem Herzen lachend, auf uns Beide aufmerksam.

„HAAAAALLLLOOOOOO DA OBEN!!“

Sofort wenden sich alle Blicke uns zu. Erleichtert atme ich aus. Endlich sind wir wieder zusammen und keinem, außer Sam, scheint etwas passiert zu sein.

Kurzerhand schnappt Sam trotz seiner schmerzenden Wunde nach meinem Bauch und schwingt sich an einer hohen Straßenlaterne hinüber zu dem Haus, welches ein wenig kleiner als die Laterne ist.
 

Gleich werden wir von unseren Gruppenmitgliedern belagert. Vollkommen glücklich lasse ich mich auf dem Dach nieder, als ich einen Knall und ein darauf folgendes „Autsch!“ vernehmen kann.

Zur Begrüßung hat Jo dem verletzten Sam eine kräftige Kopfnuss verpasst. Wütend meint er: „Wie kannst du nur so dumm und unvorsichtig sein! Mit solchen Wunden noch herum zu hüpfen und das ohne richtigen Verband!“

Das entschuldigende Lächeln von Sam wird ignoriert und Jo schnappt sich ohne zu Fragen die Tasche von Chris. In einem Seitenfach der Notebooktasche holt er schnell einige Rollen Verbandszeug, einen Lappen und eine Flasche Desinfektionsmittel heraus.

Überrascht schaue ich ihm dabei zu. Der Ältere denkt wohl wirklich an Alles. Er öffnet die schlecht umgebundenen Druckverbände und lässt erst einmal Wasser von dem ‚Dach-Wasserfall’ das viele Blut wegschwämmen. Dadurch, dass keine der Gewährkugeln in Sams Haut stecken geblieben sind, kann der Ältere diese ohne weitere Schritte desinfizieren und verbinden.

Die ganze Zeit über macht der Blonde, mit der Jeansjacke keinen Mucks und verzieht nur hin und wieder schmerzvoll sein Gesicht.

Da fällt mir ein, dass Em gestern ja auch eine Wunde hatte. Wo ist die denn hin? So schnell kann das doch gar nicht verheilen. Neugierig geworden, spreche ich sie darauf an.

„Ach, das läuft immer so. Wenn wir uns in einer Welt verletzen, verschwinden die Wunden, sobald wir zu Hause aufwachen und tauchen auch in der folgenden Nacht nicht mehr auf“, erklärt mir die Braunhaarige mit einem sanften Lächeln.
 

Jo ist mittlerweile fertig, mit der Behandlung seines Patienten und zieht diesen am Kragen noch einmal nah zu sich heran. „Wehe dir, wenn du heute noch einmal eine ruckartige Bewegung machst, die nicht unbedingt notwendig ist!“, fährt er ihn wütend an.

„Keine Sorge, ich passe schon auf“, grinst Sam und steht, noch etwas wackelig, wieder auf.

„Da wir nun ja wieder alle beisammen sind: Was machen wir als nächstes?“, fragt Lu.

Alle Augen liegen auf Sam der sich seine Hand überlegend ans Kinn gelegt hat.

„Ich gehe davon aus, das alle dieses Schlangenvieh gesehen haben?“

Einstimmiges Nicken.

„Es ist ein Seelenjäger. Ich habe seine Aura erkannt. Die von ihm herauf beschwörte Krankheit löst die menschliche Seele schmerzhaft aus seinen Opfern heraus und er muss sie nur noch einsammeln. Wenn wir den Wurm vernichten, dürfte unser Problem gelöst sein“, meint der Blonde.

„Das Problem ist nur, wir wissen nicht, was er alles kann und wie der Seelenjäger kämpft. Er könnte plötzlich unerwartet Feuerbälle schießen, oder ähnliches“, wirft Luna ein.

„Steht den keine Information über ihn in dem Schreiben?“, fragt Emily nach und schaut erwartungsvoll in Chris Richtung.

„Nein, leider habe ich nichts zu ihm erhalten.“ Dabei geht der Angesprochene seine Nachrichten auf dem Notebook noch einmal durch.

„Na gut, aber wie sollen wir dann heraus finden, wie wir ihn am Besten erledigen sollen?“, frage ich, genauso ratlos, wie die Anderen. Das Wort ‚töten‘ weigere ich mich zu verwenden. Es klingt einfach viel zu brutal.

„Am Besten wäre es, wenn wir irgendwen von uns bei den Bewohnern einschleusen könnten, um Informationen zu sammeln“, wirft Jo ein, der gleichzeitig die Umgebung im Auge behält.

„Und wie stellen wir das an?“, fragt Em, die sich mittlerweile auf dem grauen Dach hingesetzt hat.

„Vorhin haben euch doch drei Leute verfolgt, nicht? Wir haben sie gesehen. … Dieses Mädchen … sie war komplett davon überzeugt, jemanden gesehen zu haben und die Anderen haben ihr nicht geglaubt … was wäre wenn …“, nuschelt Sam herum. „Leute, ich hab’s!“ Ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht und der Junge bekommt einen verschmitzten Gesichtsausdruck.
 

„Ich werde euch nun meinen Plan erklären: Jo, Chris und ich, wir begeben uns auf die Suche nach dem Zuhause der Bewohner und erstellen einen Plan über die Straßen. Dabei suchen wir nach einem Mädchen namens Lux. Sie hat kurze weiße Zöpfchen, eine ähnliche Augenfarbe, wie Tak und auch seine Größe.

Sobald sich eine günstige Gelegenheit ergibt, werden wir sie von den Andern weglocken und zu genau diesem Dach hier bringen.

Dort werden die Mädchen eine Falle vorbereitet haben und diese Lux unschädlich machen.“

Ich weiß, dass es nichts Gutes bedeuten kann, dass Sam meinen Namen noch nicht genannt hat. Vorsichtig frage ich, da mir nichts anderes übrig bleibt: „Was ist mit mir?“

„Für dich habe ich noch eine besondere Aufgabe.“ Dieser Gesichtsausdruck des Blonden gefällt mir so überhaupt nicht. Das verschmitzte Lächeln hat sich in ein bösartiges Grinsen verwandelt. Ich habe verdammt noch Mal Angst!
 

Etwa eine Stunde später weiß ich, wieso ich anfangs solche Angstzustände bekommen habe. Wo auch immer Sam dieses Zeug gefunden hat, aber er hat es geschafft mir ein komplettes Outfit im Style dieser Wasserbewohner zu beschaffen, welches ich jetzt auch trage.

Noch habe ich mich aber geweigert, dass Sam mir ein dazu passendes, mädchenhaftes Kopftuch aufsetzt. Er hat doch ernsthaft vor, mich für diese Lux auszugeben, nachdem sie außer Gefecht ist und das nur, weil ich ihr so ähnlich sehe. Das Kopftuch soll meine fehlenden Zöpfe verdecken und auch das kleine Mirko verstecken. Ich wusste gar nicht, dass Chris so coole Gadgets mit hat. Ein Mirko, welches meine Stimme verstellt. Einen Sender, der alle Gespräche an seinen Computer sendet und zusätzlich noch ein kleiner Ohrclip, durch den ich Sams Stimme hören kann, der mich versteckt, von einem Dach aus, lenken wird.

Wie soll ich das denn anstellen, dass keiner merkt, wer ich in Wirklichkeit bin? Ich kenne dieses Mädchen doch nicht einmal.
 

Die anderen Jungs sind schon lange auf ihren Posten. Etwas weiter in der Innenstadt befinden sich ein paar Häuser, in denen sich die Menschen hier befinden. Diese Gebäude sind besonders hoch, was nur zu ihrer Sicherheit beiträgt. Nach dem, was bis jetzt von uns herausgefunden wurde, sind die Wohnorte hauptsächlich in vier Häuser aufgeteilt.

Eines ist nur für die Erkrankten, die von der speziellen Krankheit der Seelenjäger betroffen sind. Eines dient als Gemeinschaftsgebäude, wo auch die Waffen lagern und Trainingsräume sind. Die restlichen Beiden sind Wohngebäude.

In dieser Umgebung gibt es kaum Kinder und ältere Leute. Nicht verwunderlich, bei den Bedingungen, die herrschen. Es wundert mich sowieso, dass trotz der Krankheit noch Menschen hier sind.
 

Doch bevor ich noch weiter darüber nachdenken kann, geht es schon los. Sam, der sich unter Jos prüfendem Blick nur mäßig bewegen darf, bleibt hier oben, während dieser selbst, mit Chris Hilfe zu dem Zimmer des jungen Mädchens springen. Dazu benutzt Jo den Enterhaken, den Sam ihm gegeben hat. Chris folgt in einigem Abstand. Er braucht keine Hilfe, weil er nur auf die andere Seite unseres Daches muss. Dort wird er dank seines Computers ein Hologramm hervorrufen, damit das Mädchen namens Lux auch ganz sicher in die Falle tappt.

Von meiner Position aus, kann ich alles perfekt beobachten.
 

Jo schwingt ein paar Mal vor ihrem Fenster herum, ehe er die Scheibe mit einem Stein einschlägt. Zur Zeit ist das Mädchen noch nicht in ihrem Zimmer. Er nutzt die Zeit um ein Seil in der gleichen Höhe des Enterhakens zu fixieren. Danach wartet er auf der Fenstersims geduldig. Kaum drei Minuten später, kommt Lux gähnend in ihr Zimmer und schließt die Tür, ehe sie die fehlende Fensterscheibe und den Schatten bemerkt, der sich gerade von ihrem Fenster weg schwingt. Natürlich ist das Mädchen viel zu neugierig, um rational zu denken und jemand anderen zu informieren. Die würden ihr eh wieder nicht glauben. So rennt sie persönlich auf die Sims zu und springt hinauf. „Wie dumm diese Leute doch sind, lassen ihre Seile einfach hängen. Tss“, sagt sie und schwingt sich mit unserem vorbereiteten Seil in Richtung der Hologramme, die gerade in die Richtung der Falle laufen.

Alles verläuft wie geplant und nach einigen Sekunden kommt Jo und nimmt mich, wie Sam zuvor, an der Taille hoch. Er fliegt mich zum Fenster der jungen Frau und kontrolliert die Mikros nochmals.

„Pass ja auf und sobald es Probleme gibt, sag uns, dass wir sofort einschreiten sollen. Am Besten ist es, wenn du sofort anfängst mit dem Observieren. Nur nich ein Hinweis: Riskiere nicht zu viel.“
 

Vollkommen verwirrt folge ich Jo mit meinem Blick, als er wieder davon schwingt. Super! Einfach nur super! Jetzt bin ich schon wieder in so einer verzwickten Lage ohne Ausweg. Jetzt muss ich auch noch herum schnüffeln und dabei Angst haben, von irgendwelchen Psychos, die im Wasser leben, enttarnt und erschossen zu werden. Hervorragende Aussichten!
 

To be continued …

8. Tarnung

8. Tarnung
 

Leise, als würde jeder meiner Schritte ein Erdbeben auslösen, gehe ich auf die schwere Stahltür zu, die eigentlich so gar nicht in den Raum passt. Vorsichtig öffne ich sie und erblicke den langen, schwarzen Gang, der wie ein riesiger Monsterschlund auf mich wirkt. Trotzdem zwinge ich mich dazu weiterzugehen. Ein kühler Luftzug streift meine nackten Beine. Innerlich danke ich Sam, natürlich nicht ohne gewissen Sarkasmus, für den blauen Rock und die dunkle Jacke.

Nur wegen seiner ‚genialen Idee‘ bin ich jetzt in dieser Lage und muss mich als Mädchen ausgeben.

Wie war der Name meiner Tarnperson nochmal?

Nux, Fuchs, Kuks,…
 

„Hey Lux!“

Genau! Fast bin ich versucht, laut ‚Danke‘ zu rufen. Im letzten Moment wird mir jedoch glücklicherweise klar, dass meine Tarnung damit dahin wäre und von diesen Irren erschossen zu werden, finde ich nicht unbedingt anregend.

Eine junge Frau läuft winkend aus der Dunkelheit zu mir. Wenn ich sie mir genauer ansehe, es ist die Gleiche, die uns vorhin schon mit Lux begegnet ist. Jedenfalls, die Sam und ich beobachtet haben. Ein Mädchen mit zwei langen Zöpfen.
 

Völlig überrumpelt erröte ich und bleibe stocksteif stehen, als das Mädchen mit schwarzen Haaren und schokobraunen Augen mir urplötzlich um den Hals fällt. Kurz drückt sie mich an sich, bevor sie einen Schritt zur Seite macht und mein Gesicht belustigt mustert. „Ach, du Spielverderberin. Du könntest mich ruhig auch einmal knuddeln!“, meint sie gespielt beleidigt. Als ich nur ein etwas nervöses Lachen heraus bringe, schaut das Mädchen mich zweifelnd an.

„Lux, ist alles in Ordnung mit dir? Normalerweise hättest du mich doch schon mindestens einmal beschimpft und hinterfragt, wie dämlich ich doch bin. Wirst du etwa krank?“

Den letzten Teil des Satzes bringt die Schwarzhaarige nur stockend aus ihrem Mund. Die braunen Augen fangen an leicht zu glitzern und sie ist den Tränen nahe. Nach kurzem Überlegen wird mir bewusst, dass dieser Ausbruch wahrscheinlich mit dem Wort ‚Krankheit‘ zu tun hat.

Mit verstellter Stimme, durch das Mini-Mikro, meine ich beruhigend: „Ach was, ich bin nur ein bisschen verkühlt, deswegen möchte ich meine Stimme nicht zu sehr anstrengen.“

Mehrere Fragezeichen fliegen daraufhin über dem Kopf ‚meiner Freundin‘, deren Namen ich noch nicht einmal kenne.

„Seit wann benutzt du den solche Wörter wie ‚verkühlt‘ und wieso redest du so leise? Das passt so gar nicht zu dir. Am Besten wir schauen bei Freddy vorbei. Dann können wir uns sicher sein, dass du nicht doch krank bist.“
 

Noch bevor ich irgendetwas erwidern kann, reißt das Mädchen mich mit sich und flitzt um die Ecken, dass mir ganz schwindelig wird. Auf einmal endet der unendlich scheinende Gang urplötzlich. Schon vor einiger Zeit muss dieser Teil des Gebäudes eingebrochen sein. Jetzt sieht man nur noch ein gewaltiges Loch und ‚ganz zufällig‘ steuern wir direkt darauf zu. Welch ein Glück ich doch immer habe!

Ohne mich in irgendeiner Weise vorzuwarnen, springt die Schwarzhaarige in den Abgrund und reißt mich gleich mit.

Einen kurzen Aufschrei kann ich mir nicht verkneifen, als der flussartige Boden immer näher kommt, bis wir direkt ins Wasser eintauchen. Ich glaube schon mein letztes Stündlein hat geschlagen, bis ich bemerke, dass der Grund hier viel tiefer liegt und man problemlos auch aus dieser Höhe hinein springen kann. Wenn man hier so mit (anscheinend) Kranken umgeht, wundert mich nicht mehr, dass sie alle sterben, ganz ehrlich!
 

Komplett durchnässt, aber trotzdem erleichtert klettere ich auf das nächste Metallgitter, das hier genau für diesen Zweck, wie es scheint, steht. Sofort kontrolliere ich meine Technikausrüstung. Glücklicherweise scheint sie noch zu funktionieren. Auf einmal meldet sich nämlich eine Stimme an meinem Ohr.

- Tak, alles ok mit dir? Der Sprung war ja sehr gewagt. - meint Sam. „Freiwillig habe ich das sicher nicht gemacht“, flüstere ich zurück.

„Wo bleibst du denn?“, schreit das schwarzhaarige Mädchen, ebenso nass, wie ich, von oben. Auch sie steht auf einer Sprosse des Metallgitters.

„Komme schon!“, rufe ich außer Atem und klettere ihr nach. An einem Fenster steigen wir ins Nachbargebäude ein, was scheinbar ganz normal hier ist und biegen im Gang dort ein paar Mal ab.

Hier ist es viel heller und freundlicher, als im vorherigen Haus. Weißgrau gestrichene Wände und große Lampen, wie in einem Schulhaus hängen hier. Es kommen uns auch hin und wieder kleine Grüppchen von Leuten vorbei, die uns alle freundlich grüßen. Unter einander sind diese Menschen eigentlich total nett. Mich würde interessieren, wieso sie Auswärtige so misstrauisch behandeln.

Aber dafür habe ich später noch Zeit. Als erstes muss ich mich auf meine Aufgabe konzentrieren. Ich muss mehr über diese Wasserschlange heraus finden.

Jetzt endlich biegen wir um die letzte Ecke und steuern auf eine weiß überstrichene Stahltür zu, auf der zusätzlich noch ein schon abblätterndes rotes Kreuz zu sehen ist.
 

„Freeeeeddyyyyy!“, erklingt es schrecklich hoch von meiner ‚neuen Freundin‘.

„Könntest du bitte wenigstens einmal zuerst anklopfen, bevor du einfach so hereinplatzt?“ Ein Mann Mitte zwanzig, mit orangenem Haar und im typischen OP-Kittel, dreht sich genervt zu uns um. Seine graugrünen Augen funkeln kalt auf uns herab, da er doch ein Stück größer ist, als wir. Hinter ihm sitzt ein noch recht kleiner Junge, der seinen blutenden Arm hält. Eine kleine Tränenspur ist auf seinen Wangen zu sehen.

„Also, was um Himmels Willen war so wichtig, dass ihr mich unbedingt stören müsst?“

Ich möchte, aufgrund des Jungen, schon abwinken und gehen, da macht die Schwarzhaarige mir einen Strich durch die Rechnung.

„Es ist suuuuper wichtig!“, sagt sie und zieht Freddy mit sich in ein Nebenzimmer, in das man durch eine braune Holztür kommt. Drinnen sieht es ziemlich ähnlich aus, wie im Raum davor. Ein typisches Behandlungszimmer beim Arzt. Ein Behandlungstisch, Verbände, Spritzen, Gummihandschuhe und Ähnliches.

Auf einmal gibt mir das Mädchen, deren Name ich noch immer nicht kenne, einen Schubs, durch den ich nach vorne stolpere und gegen diesen Freddy stoße.

„So, sag mir, was mit Lux los ist“, kommt es im Befehlston und über dem Kopf des jungen Mannes fliegt ein Fragezeichen. „Was? Könntest du mir bitte erklären, was mit euch falsch läuft?“

„Lux benimmt sich ganz merkwürdig. Stell dir vor, sie hat mich nicht angeschrien und verarscht! Sie muss wirklich krank sein“, heult sie uns vor.

Freddy reibt sich mit seinen Fingern über die Stirn. „Ann, du bist unmöglich. Wenn sie dich anschreit, beschwerst du dich und wenn sie es mal nicht tut, holst du mich aus der Arbeit heraus und machst hier so eine Aufruhr? Meine Güte, du bist doch nicht normal. Nur weil Lux endlich eingesehen hat, dass alle Mühen bei dir nichts nützen, ist sie doch nicht gleich krank.“
 

Irgendwie ist er mir jetzt sofort sympathisch, aber ich bin froh, dass dieser Arzt mich nicht untersucht, weil es da ein paar Stellen gibt, an denen er nicht übersehen könnte, dass ich eben nicht Lux bin. Aber wenn ich so darüber nachdenke, ein Arzt könnte mir sicher am Besten von dieser Krankheit der Teufelsschlangen erzählen. Irgendwie muss ich es schaffen, dass ich alleine mit diesem Freddy reden kann. - Komm ich helfe dir, Sarkasmus ist nicht so deine Stärke und frech sein erst recht nicht. Das ist ja nicht mehr auszuhalten, wie du dich da zum Affen machst.

Sprich mir einfach nach: Danke du Kleingeist, dass du mich hier her gebracht hast. Könntest du Genie uns jetzt endlich alleine lassen? - kommt es plötzlich von dem kleinen Lautsprecher neben meinem Ohr. Gruselig! Es ist fast so, als hätte Sam meine Gedanken erraten. Kurz atme ich durch und wiederhole dann seine Worte und versuche dabei auch noch den gleichen Wortlaut zu finden.

„Meine Lux ist zurück!!!“, schreit Ann darauf hin glückselig und zerdrückt mich erneut fast. Danach lässt sie sich glücklicherweise von einem kalten Blick seitens Freddy abwimmeln und verschwindet. Jedoch nicht, ohne uns Beiden noch einmal vielsagend zuzuzwinkern.

Der junge Arzt dreht sich seufzend ebenfalls um und geht zurück zu seinem Patienten. Auf dem Weg dorthin fragt er mich: „So, nun sag, wieso wolltest du mit mir alleine sein?“

„Erstens wollte ich meine Ruhe vor diesem Quälgeist haben und zweitens würde ich dir heute gerne behilflich sein. Ich habe nämlich zur Zeit nichts zu tun.“

Natürlich kommen diese Sätze ebenfalls von Sam. Als würde ich jemanden außerhalb meiner Gedanken als Quälgeist bezeichnen. Ok, vielleicht ja doch… So manches Mal meine Geschwister, oder auch einmal Suki, aber das ist jetzt nicht wichtig.
 

„Du weißt, heute muss ich in den verbotenen Trakt?“

„Ja, klar.“ Das ist meine gelassene Antwort. Im Wirklichkeit überschlagen sich meine Gedanken im Inneren.

Bitte was?! Das klingt ja wieder einmal sehr verlockend. Wieso nur immer ich? Aber von diesen Überlegungen bekommt keiner etwas mit. Ich lächle und nicke nur, während Freddy sich mit dem Jungen beeilt und ihn wegen der Platzwunde schnell noch beruhigt.
 

Lächelnd verabschieden wir ihn zusammen, da sogar dieser kleine Junge Lux zu kennen scheint. Eine beliebte Tarnung habe ich mir da ‚ausgesucht‘.

Danach gibt Freddy mir ein großes Tablet in die Hand auf dem allerlei getrocknete Früchte, Brot und Wasserflaschen zu finden sind. Den verwunderten Blick deshalb kann ich mir gerade noch verkneifen. Er selbst nimmt sich zwei riesige Taschen. Eine erkenne ich als Erste Hilfe Tasche. Keine Ahnung, was in der Anderen drin ist. Ich vermute aber, das werde ich bald erfahren.

Freddy, der anscheinend kein Mann vieler Worte ist, geht voraus, in die entgegengesetzte Richtung, aus der ich zuvor gekommen bin. Ich bin mir sicher, alleine würde ich hier niemals wieder herausfinden.

Irgendwie bin ich ganz nervös, als wir zusammen das Haus verlassen und durch die wasserverdeckte Straße zu dem gegenüber liegenden Gebäude kommen. Mir ist durchaus bewusst, dass sich darin diejenigen befinden, die von den Teufelsschlangen verseucht wurden. Am Eingang hängen Ganzkörper-Schutzanzüge, die wir uns überstreifen. Auch ein Mundschutz und Handschuhe werden angelegt.

Leicht ängstlich folge ich meinem ,Freund’ hinein. Da meldet sich unerwartet mein Funkgerät am Ohr und ich verkneife mir ein erschrockenes Keuchen. - Verzeih mir, ich konnte ihn nicht länger aufhalten -, kommt es gehetzt und irgendwie mitleidig von Sam. Ich, der wieder einmal gar nichts versteht, erwidere Nichts darauf. Dann meldet sich schon die nächste Stimme. Es ist die von Chris. - Verdammt noch mal Tak, wie konntest du meine wunderschöne Ausrüstung nur so furchtbar behandeln! Alles ist nass geworden und du kannst vom Glück reden, dass noch alles funktioniert. - Fast heulend hat er mir das ins Ohr gebrüllt. Er jammert auch noch mehrere Minuten lang weiter, jedoch achte ich nicht mehr darauf, da wir endlich das Innere des grauen Gebäudes betreten.
 

To be continued...

9. Ertappt

9. Ertappt
 

Es ist furchtbar stickig im Inneren des dunklen Gebäudes, was wahrscheinlich daran liegt, dass alle Fenster mit den verschiedensten Stofffetzen zugeklebt sind. Warum das so ist, weiß ich nicht. Vielleicht hat es ja mit der Krankheit zu tun.

Freddy und ich, immer noch als Lux verkleidet, steigen die unendlich langen Treppen bis zum obersten Stockwerk hinauf. Dort wollen wir mit der Krankenversorgung anfangen. Zum Glück hat der Arzt noch nicht gemerkt, dass in meinem Schutzanzug eigentlich kein Mädchen steckt.

Zusammen betreten wir das erste Zimmer und zu meinem Schrecken sind nur Kinder darin. Kinder, die so blass und krank aussehen, dass man sie schon fast als Leichen bezeichnen könnte. Mitten auf dem Boden sitzen sie und starren mit leeren Augen ins Nichts. Die tiefschwarzen Augenringe lassen auf gewaltigen Schlafmangel schließen.

Fast muss ich würgen, als mir der extreme Geruch von Erbrochenem und Verwesung entgegen strömt.
 

Freddy beugt sich zu dem ersten Kind hinab, welches das nicht einmal zu realisieren scheint. Seine Taschen legt der Arzt ab und öffnet die, von der ich nicht wirklich weiß, was drinnen ist. Umso erstaunter bin ich, als alle möglichen Tücher und Decken heraus quillen. Freddy gibt mir mit einem Handwink zu verstehen, dass ich mit dem großen Tablet näher kommen soll. Ich folge seiner Anweisung und gebe ihm auch gleich eine Flasche Wasser. Zu meiner Verwunderung gibt er sie nicht dem Kind weiter, sondern befeuchtet damit eines der Tücher. Anschließend beginnt er den Jungen vorsichtig abzutupfen. Das Hemd wurde diesem dazu ausgezogen. Kurz überprüft der Doktor den schmächtigen Jungen nochmal und legt abschließend einen frischen Pfirsich neben ihn.

Ohne irgendwelche Worte zu verlieren, wiederholen wir diese Prozedur bei den restlichen Kindern. Ein letzter prüfender Blick von Freddy und wir verlassen den Raum. Sobald die Tür von meinem ‚Freund‘ zugemacht worden ist, entfährt mir ein tiefer Seufzer. „Schrecklich“, flüstere ich in Richtung des verschlossenen Raumes, ohne eine Reaktion von dem Arzt zu erwarten. Diese kommt jedoch unerwartet. „Ich weiß. Seit dieses Monstervieh hier aufgetaucht ist, können wir keine Nacht mehr ruhig schlafen. Es schnappt sich die Leute, wie eine Kröte die Fliegen, ohne Rücksicht auf Kinder und Alte zu nehmen.“

Trotz der Sicherheitskleidung kann ich den jungen Mann problemlos verstehen, was ein Glück ist. So kann ich, hoffentlich unbemerkt, noch ein bisschen weiter bohren. „Wie überträgt sich die Krankheit eigentlich von der Teufelsschlange auf uns Menschen? Darüber habe ich bis jetzt noch nie richtig nachgedacht.“ Reumütig senke ich den Kopf und hoffe, dass Freddy mir diese Geste abnimmt. „Dass du das immer noch nicht weißt, … Aber egal, die Schlange schießt mit fingergroßen Stacheln nach allem, was sich bewegt. Wenn einer von denen dich trifft, bist du verloren. Immer noch fehlt uns ein Heilmittel und die betroffenen Menschen werden erst zu leeren Hüllen, wie die Kinder vorhin, bis sie irgendwann einfach Nichts mehr zu sich nehmen und wehrlos verdursten oder verhungern. Wasser gibt es hier in Hülle und Fülle, doch wenn die Kranken es nicht mehr trinken, können auch wir nichts mehr für sie tun.“

„Ich verstehe“, meine ich betroffen und bin insgeheim froh, über die zusätzlichen Informationen.
 

Jetzt versuche ich es lieber mit einer Aussage, als mir einer Frage, um an Infos zu gelangen. Ansonsten würde meine Fragerei mich auffliegen lassen. „Wenn dieses grauenhafte Vieh doch nur einen Schwachpunkt hätte!“, zische ich erbost und hoffe gleichzeitig, dass Freddy mir in irgendeiner Weise widerspricht. Leider kommt jedoch nur ein zustimmendes Nicken und ich verstehe, dass auch er in dieser Beziehung nicht mehr weiß, als ich selbst.

Während ich schon meinen nächsten, gut durchdachten, Satz äußern will, ertönt Sams Stimme plötzlich extrem laut an meinem Ohr. „TAK !! Du musst dich sofort zurückziehen! Die richtige Lux ist uns blöderweise entwischt. Sie müsste in knapp fünf Minuten bei euch sein! Beeil dich, wir versuchen sie so gut aufzuhalten, wie es geht!“
 

Mein Gesicht wird kreidebleich, was sogar einen Vorteil hat. So kann ich Freddy besser vortäuschen, dass mir schlecht geworden ist. Mit hochgezogener Augenbraue und prüfendem Blick lässt er mich schlussendlich einige Minuten lang an die frische Luft gehen. Das nutze ich sofort aus und renne, sobald ich die Tür erreicht habe, schnell weg. Das Tablet mit den Früchten und Wasserflaschen habe ich oben, bei ihm, gelassen. Es würde mich nur behindern. Dabei fällt mir in diesem unpassenden Moment ein, dass ich eigentlich weder hungrig, noch müde bin, in dieser Welt. Hat das mit meiner Tätigkeit als Weltenspringer zu tun? Bei Gelegenheit muss ich Em, oder Einen der Anderen danach fragen.

Jetzt jedoch zählt ganz allein die Flucht. Da ich noch nie gut in Sport war, komme ich nur langsam in der flussähnlichen Straße voran. Viel zu früh kommt daher die wütende Stimme aus einem der Hochhäuser: „Dort unten ist sie! Sie hat sich für mich ausgegeben um an Informationen zu kommen. Schnappt sie euch!“

Da es jetzt eh keinen Sinn mehr macht, reiße ich mir das Kopftuch vom Leib. Ebenso lasse ich die viel zu enge Mädchenjacke von meinen Schultern gleiten. Zum Glück hat die echte Lux extrem wenig Oberweite. Ansonsten hätte ich meine Kleidung auch noch ausstopfen müssen. Bei dem Gedanken werde ich leicht rot. Argh! Wieso muss ich nur immer in den unpassendsten Momenten an so einen Quatsch denken!

Schon höre ich Schüsse und ducke mich automatisch. Es klingt, als würden hunderte Waffen auf einmal feuern und ich frage mich, warum um Himmels Willen erwischt mich nicht eine Kugel? Nicht, dass ich nicht froh darüber gewesen wäre. Als ich meinen Körper wieder komplett aufgerichtet habe, sehe ich, dass vor mir eine bläulich schimmernde Wand aufgebaut ist. Sie sieht fast aus, wie ein Hologramm, nur dass dieses Trugbild echt ist. Anscheinend kommt es von Chris, der über mir, auf einem Dach an seinem Computer herum tippt.

Super, zuerst reise ich jede Nacht in eine Fantasywelt und jetzt taucht auch noch ein Science Fiction Psycho auf. Nichts gegen Chris, aber dieser ganze ‚unmögliche‘ Kram, der hier so passiert, fängt an, mich zu nerven. Kann nicht eine einzige Sache normal ablaufen?
 

Diese Frage scheint sich selbst zu beantworten, als plötzlich die gesamte Einheit dieser Wassermenschen zu schreien beginnt. Mit einer schlimmen Vorahnung drehe ich mich daraufhin um und kann, oh wer hätte sich das nur gedacht, die riesige Teufelsschlange auf mich zu kriechen sehen. Was für ein Klischee, wenn das hier ein Film wäre.

Natürlich laufe ich weg, ist doch klar. Leider habe ich dabei aber die Holowand vergessen, an die ich erst schmerzhaft erinnert werde, als ich dagegen laufe. Echt jetzt? Leicht torkle ich ein Stück zurück und danke meinem unendlichen Glück wieder einmal.

Sofort vergeht mir der Sarkasmus, als ich sehe, dass dieses Schlangenvieh nur noch wenige Meter von mir entfernt ist. Ich reiße die Augen auf und schließe schon mit meinem Leben ab, als ich plötzlich von hinten umklammert werde und mit einem Ruck schmerzhaft auf dem nächstgelegenen Dach lande. Erleichtert möchte ich Sam schon danken, dass er mich heraufgezogen hat, als mir der Atem plötzlich stockt. Es war nicht Sams Enterhaken, der mich gerettet hat. Jemand, von dem ich dachte, ihn nie wieder sehen zu müssen, hat mir geholfen. Ungläubig blicke ich direkt in die graugrünen Augen von Freddy.

Da man mir meine Verwirrung anscheinend deutlich ansieht, beantwortet der Arzt mir meine ungestellte Frage. „Wenn uns schon jemand ausspionieren konnte, dann sind es immer noch wir, die ihn erledigen.“

Ob ich diese Antwort nun gut finde, oder nicht, kann ich nicht genau sagen. Doch das schmale Lächeln des Doktors lässt mich darauf schließen, dass ich VORERST in Sicherheit bin. Jedenfalls solange die Schlange da ist.
 

Diese ist übrigens genauso, wie ich mitten in die Scheibe geknallt. Jetzt scheint das kopflose Vieh wütend zu sein und plötzlich bilden sich rote, glänzende Stacheln auf ihrem Körper. Irgendeiner der Männer weiter hinten schreit noch: „Vorsicht!“, da lässt die Teufelsschlange auch schon die Giftpfeile fliegen. Knapp vor mir trifft einer in den Boden und ich muss hart schlucken. Dabei hoffe ich auch, dass es meinen Freunden gut geht. Zur Zeit kann ich nur Chris und etwas weiter entfernt Sam wahrnehmen. Wo die Anderen sind, kann ich nicht genau sagen. Im Moment bin ich einfach nur froh darüber, dass ich mich rechtzeitig vor diesen roten Stacheln schützen konnte.
 

Da sich ein Großteil der Menschen, die hier leben mittlerweile schon zurückgezogen haben, ist es recht still, als die Riesenschlange mit einem ohrenbetäubenden Schrei die Mauer durchbricht. Woher dieser Schrei kam, wenn das Tier doch keinen Mund hat, kann ich nicht sagen. Um genau zu sein, erscheint mir zur Zeit vieles hier recht merkwürdig.

Das Vieh verschwindet plötzlich, ohne nochmals von uns Notiz zu nehmen und ich frage mich schon wieso, dabei sollte ich doch lieber nur froh darüber sein.

Endlich außer Gefahr atme ich erleichtert auf und winke Sam zu, der in einem Affentempo zu mir herüber sprintet. Wieso rennt er nur so? Dabei fällt mein Blick nach hinten und mir wird bewusst, dass Freddy noch immer dort steht. Sein Blick zeugt nicht gerade von Wohlwollen, als Sam sich schlussendlich mit gezückter Waffe vor mich stellt. Ich, der noch immer sitze, schaue leicht verwirrt vom Einem zum Anderen.

„Wieso hast du ihn gerettet?“, fragt der Blonde auch gleich in harschem Tonfall nach.

Die Frage beantwortet der junge Mann nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit scheint auf den Verbänden von Sam zu liegen, durch die schön langsam das Blut durchsickert. Natürlich hat er sich wieder zu viel bewegt und das hat seinen Verletzungen überhaupt nicht gut getan.
 

Endlich kommen auch die Anderen auf unserem Dach an. Während Emily mich erleichtert umarmt, schenkt Luna mir nur ein glückliches Lächeln, welches mein Herz zum Schmelzen bringt. Chris drückt wieder einmal irgendwelche Tasten auf seinem Notebook und Jo stellt sich schützend vor Sam hin. Er überragt den durchaus groß gewachsenen Arzt nur um wenige Zentimeter.

Als Jo einen Blick zur Seite wirft, da er den Augen des Doktors folgt, sieht auch er das Blut. Leicht grummelnd gibt er Sam erneut eine Kopfnuss, wie schon früher am Tag.

„Autsch!“

„Sagte ich nicht, du sollst dich nicht mehr als nötig bewegen?“

Schief lächelt der Kleinere, während er gequält antwortet: „Aber es war doch notwendig! Ich würde dich doch niemals verärgern wollen.“

So freundlich wie das auch geklungen hat, trotzdem zuckt eine Augenbraue von Jo gefährlich und hätte Sam sich nicht noch schnell geduckt, hätte er gleich noch eine Kopfnuss abgekriegt.

Luna verdreht nur die Augen über seine Sturheit und Em seufzt leise.

Sogar von Chris kommt ein: „Unverbesserlich.“

Ob damit nun Sam, Jo, oder gar Beide gemeint sind, kann man anhand der Aussage nicht bestimmen.
 

Derweil hat Freddy sich keinen Millimeter bewegt und starrt weiterhin unentwegt auf die Verletzungen an Schulter und Bein. Als ich mir schon denke, er ist eingefroren, erscheint plötzlich ein fast sanftes Lächeln auf seinem Gesicht.

„Wie wärs, wenn wir einen Deal machen. Da ich nicht so engstirnig bin, wie so manche meiner Freunde, würde ich gerne mehr über euch Besucher erfahren. Im Gegenzug verarzte ich euren Freund richtig und auch ihr könnt mir Fragen stellen. Wie ich schon bemerkt habe, seid ihr an der Teufelsschlange interessiert.“

Der wissende Blick in meine Richtung lässt darauf schließen, dass Freddy meine ‚unauffälligen‘ Fragen, doch aufgefallen sind. Beleidigt wende ich meinen Blick ab, eigentlich nur um die verräterische Röte in meinem Gesicht zu verbergen.

Den Mädchen entfährt ein Kichern und auch Sam schmunzelt, wie immer. Was würde der nur tun, würde er irgendeine Muskelkrankheit haben, so dass er nicht mehr Grinsen könnte?
 

„Na schön“, entscheidet Jo nach kurzem Überlegen. „Aber nur, wenn wir dafür an einen Ort gehen, wo deine ‚netten‘ Freunde uns nicht finden“, fügt Chris leicht genervt hinzu. „Einverstanden“, meint Freddy und fügt gleich noch etwas hinzu. „Ich fange jetzt einfach nochmal von Vorne an. Hallo, ich bin Freddy, meines Zeichens Arzt. Wenn ihr möchtet, zeige ich euch gerne ein Versteck, wo euch nicht einmal der Klügste unter uns finden würde.“

Lächelnd, wer hätte das gedacht, stimmt auch Sam sofort mit ein. „Ich bin Sam, freut mich dich kennen zu lernen und da der Herr neben mir sich sicher nicht von alleine vorstellen wird, das hier ist Jo.“

Eben genannter ignoriert diese Aussage und beobachtet nur weiter den Doktor.

„Ich bin Emily, aber nenn mich ruhig Em! Freut mich.“

„Luna mein Name.“

Misstrauisch wird Freddy von der Silberhaarigen beäugt, bis sie beschließt, sich scheinbar gelangweilt abzuwenden. Die kurzen, neugierigen Blicke, die sie ihm trotzdem immer wieder zuwirft, scheint außer mit keiner zu bemerken.

„Chris.“

Eine sehr aussagekräftige Vorstellungsrunde, aber mir soll es recht sein.

„Und du ‚Lux‘?“, fragt der Arzt mich grinsend.

Leicht verlegen antworte ich: „Takeshi, aber alle hier nennen mich nur Tak.“ Es ist mir immer noch unangenehm, dass dieser Mann mich in Mädchenklamotten gesehen und mit mir in diesem Aufzug geredet hat.

„Na gut Tak. Dann lasst uns mal zu meinem Versteck gehen“, meint er, immer noch schmunzelnd.
 

To be continued…

10. Teufelsschlange

10. Teufelsschlange
 

Nach etlichen Straßenkreuzungen kommen wir endlich an einem kleinen Haus an, in das uns Freddy direkt hineinführt. Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl bei der ganzen Sache. Als wir uns gemeinsam in ein recht altes Zimmer gesetzt haben, öffnet Freddy seine dicke Jacke, die er schon, seit er mich verfolgt hat, trägt. In den Innentaschen finden sich verschiedene Medikamente, Bandagen, Desinfektionsspray und vieles mehr, was man zum Verarzten benötigt.

Ich staune nicht schlecht, doch er grinst nur und erklärt uns, dass dies sein tragbares „Erste-Hilfe-Set“ ist. Jedes Mal, wenn er sich außerhalb der bewohnten Gebäude bewegt, trägt er diese Jacke.

Während Chris meinen Körper endlich von dem ganzen Technikkram entfernt, was er mit gewissen Misstrauen tut, fängt Freddy an, die alten, durchgebluteten Verbände von Sam zu entfernen. Emily springt erschrocken aus ihrer Position auf, als sie die offenen Wunden sieht.

„Ach Sam, wie konntest du dich nur so überanstrengen, dass die Blutung so stark geworden ist?“, fragt sie in vorwerfendem Ton.

Ein kurzes, nervöses Lachen kommt von dem Blonden und er fährt sich mit der unverletzten Hand durch die Haare. Es folgt ein Augenverdrehen aller Anwesenden.

Während Freddy seine Wunden nun säubert und neu bandagiert, erzählt er uns alles, was er noch über die Teufelsschlange weiß. Viel Brauchbares hat er nicht mehr für uns, nur allgemeine Informationen, die die Bewohner dieser Welt über die Zeit hin gesammelt haben.

Dieses gruselige Vieh schläft weder, noch frisst es. Naja, wie auch, ohne Mund? Ansonsten haben wir noch erfahren, dass die Giftstacheln, die mit der seelenraubenden Krankheit ausgestattet sind, nur am oberen Ende giftig sind. Das heißt, man kann sie problemlos aus einer Wunde herausziehen, solange man sie nicht oben berührt.

Irgendwann höre ich auf, den teilweise unwichtigen Erzählungen zuzuhören. Luna hingegen hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle wichtigen Fragen systematisch an Freddy zu richten. Jedenfalls das, was er uns noch nicht erzählt hat. Im Gegenzug erklärt Emily ihm danach, wer wir sind und was wir hier tun. Gedanklich bin ich schon abwesend und schaue mich erstmal genauer im Raum um. Allesamt sitzen wir auf dem Boden, des großen Zimmers. Die Wände sind durch das Alter schon fast zur Gänze grau geworden. Früher waren sie sicher schön weiß. Vielleicht war es einmal eine Art Wohnzimmer, oder so. Aber genau kann ich das nicht bestimmen, dazu ist der Raum schon zu alt.

Über mir befindet sich ein schmales Fenster, an dem ein kleiner Rinnsal Wasser entlang fließt. Fast wie in Trance beobachte ich die feinen Tropfen, die an dem Fensterrahmen ab und an abperlen. Doch plötzlich kommt mir etwas komisch vor. Das ganze Wasser scheint leicht zu vibrieren. Nein,… das ganze Fenster vibriert. Ich brauche insgesamt zehn Sekunden, bis mir die Situation bewusst wird, doch da ist es schon zu spät.
 

Gerade als Freddy den letzten Handgriff an Sams Verbänden getan hat, fängt der auch Boden an zu erbeben. Die Außenwand des Hauses stürzt ein und wir stürmen alle wie verrückt zur Tür. Ein Schrei ertönt, er kommt von Lu. Mitten im Lauf drehe ich mich um und lasse meinen Blick über den einstürzenden Raum schweifen. Nach unendlich scheinenden Sekunden finde ich sie endlich. Ihr Fuß ist zwischen den alten Mauerteilen schmerzhaft eingeklemmt worden und sie versucht alleine den schweren Brocken herunter zu bewegen.

Ohne zu überlegen renne ich zurück und versuche selbst die Steine zu anzuheben. Da ich noch nie sonderlich sportlich war, nützt mein sinnloser Versuch natürlich gar nichts. Luna blickt erschrocken zu mir auf und zerrt an meinem Ärmel. In der Zeit, in der Sams Wunden verbunden wurden, hatte ich glücklicherweise auch Zeit, mich umzuziehen. Ständig in Mädchenklamotten herumzurennen wäre ja auch ziemlich peinlich. Außerdem, wem würde das bitte gefallen. Na gut, wenn ich darüber nachdenke, mein Freund Suki wollte mich schon einmal in ein Kleid stecken. Das ist aber eine andere Geschichte. Wieso denke ich eigentlich in so einer Situation an solch banale Dinge?

Noch einmal hebe ich die Steine an, bis ich keuchend damit aufhören muss. Das hat doch keinen Sinn! Immer wieder treffen mich kleine Stücke von dem wackelnden Raum. Langsam werden meine Bewegungen immer hektischer. Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun kann. Ein weiteres Erschüttern des Gebäudes und ich falle auf den Boden. Luna schreit inzwischen sicher schon zum zehnten Mal, dass ich endlich abhauen soll. Sie nennt mich alle möglichen Schimpfwörter, nur um mich zu vergraulen, aber ich gebe sicherlich nicht so schnell auf!

Nach einem letzten, kraftlosen Versuch lande ich wieder auf dem Untergrund, der schon beachtliche Risse hat. Innerlich frage ich mich, wieso uns keiner zu Hilfe kommt.

Während ich mich wieder aufrichte, suche ich den Boden nach irgendetwas ab, was uns helfen könnte. Nach kurzer Zeit entdecke ich einen Teil der alten Wasserleitung, der bei der letzten Erschütterung herausgebrochen ist. Das Rohr ist nur etwa einen Meter lang und in mir keimt eine Idee auf. In Filmen klappt das doch auch immer, wieso also nicht auch im echten Leben?
 

Schnell schnappe ich mir das Teil und stemme damit den schweren Mauerteil auf Lunas Fuß hoch. Nach zwei Versuchen klappt es endlich und sie kann ihn schließlich herausziehen. Knapp danach rutscht das Rohr aus dem Spalt und ich knalle schmerzhaft mit dem Gesicht auf den Boden. Kurz schreie ich dabei, aber ich rapple mich sofort wieder auf. Jetzt darf ich keine Zeit mehr verlieren. So schnappe ich mir die schwer atmende Lu und lege ihren Arm über meine Schulter. Mit ihr zusammen verlasse ich das Haus so gut es geht und lande keuchend auf der, mit Wasser gefüllten, Straße. Hier geht es mir bin zu den Kniekehlen und wenn ich sitze bis zur Brust.

Durch ein erschrockenes Japsen werde ich wieder auf meine Partnerin aufmerksam und blicke seitlich in ihr erschrockenes Gesicht. Mit einer bösen Vorahnung folge ich ihrem Blick und meine schlimmsten Befürchtungen werden wahr.

Direkt vor uns kämpfen unsere Freunde gegen die Teufelsschlange, deren Vorderteil immer wieder gegen das Haus schlägt, in dem wir zuvor waren. Daher kamen auch die Erschütterungen und keiner konnte uns zu Hilfe eilen, weil sie alle mit dem Monstervieh zu kämpfen haben.
 

Ein Blick genügt und zusammen huschen wir Beide hinter die nächstbeste Hausecke, um nach einer Leiter, oder ähnlichem, zu suchen. Hier am Boden ist es viel zu gefährlich und wir können überhaupt nichts ausrichten. Zum Glück befindet sich eine Art Feuertreppe in der Nähe, an der wir langsam hinaufklettern. Ich versuche Luna so gut es geht zu stützen und ihr mit ihrem verletzten Fuß zu helfen.

Es dauert lange, doch als wir endlich auf dem Dach ankommen, ist kaum einer der Anderen noch auf den Beinen. Chris und sogar Jo schnaufen schwer und können sich kaum mehr aufrecht halten. Emily sitzt schon erschöpft und mit einigen Kratzern auf dem nächsten Dach und Freddy wischt sich gerade mit seinem blutigen Ärmel über die Stirn. Anscheinend ist er bei einem Ausweichmanöver blöd gefallen und blutet jetzt. Nur Sam scheint noch recht lebhaft, wenn man jedoch genau hinschaut, sieht man, dass er sich auch nur sehr mühsam bewegt und kaum mehr genug Kraft hat, sich richtig von Dach zu Dach zu schwingen. Aber wenigstens ist noch niemand von den Giftstacheln getroffen worden. Mindestens einmal hat die Teufelsschlange schon ihre Pfeile abgeschossen. Diese stecken nämlich überall. Langsam mache ich mir richtig Sorgen. Was sollen wir nur tun?

Ohne dass wir bemerkt werden, schleichen Lu und ich uns zu den Anderen. Alle außer Sam sind nun beisammen und beratschlagen schnell, was sie tun können. Wir kommen zu ihnen und bemerken gleich die besorgten Blicke.

Emily klärt uns über die gefährliche Lage auf. „Sams Verbände zeichnen schon wieder Blutflecken ab, aber er will sich keine Pause gönnen. Wenn das so weiter geht, stirbt er uns noch weg.“

Die kleinen Tränchen in den Augen von Em unterstreichen ihre Aussage. Sie macht sich wirklich große Sorgen, wie wir alle hier. Nutzlose Ideen werden ausgesprochen, nur um gleich wieder verworfen zu werden. Keiner hat einen halbwegs sinnvollen Vorschlag. Langsam kommen auch mir die Tränen. Die Situation scheint komplett aussichtslos.
 

Da springt auf einmal Sam auf uns zu. Er sieht noch viel fertiger aus, als der Rest von uns. Seine gesamte Kleidung ist durchgeschwitzt, von den Haaren will ich gar nicht anfangen und auch die Verbände sehen schrecklich mitgenommen aus.

Keuchend fällt er vor uns auf die Knie und obwohl ich eigentlich ein verzweifeltes, vielleicht sogar hoffnungsloses Gesicht erwarte, strahlen mich vollkommen überzeugte Augen und ein siegessicheres Grinsen an, als er seinen Kopf hebt.

„Leute, ich habe einen Plan“, sagt er grinsend. Die Worte klingen wie Musik in meinen Ohren und nicht nur ich möchte jetzt unbedingt wissen, was sich der Blonde ausgedacht hat.

Dieser nimmt seine Pistole samt Enterhaken heraus und lässt ihn so weit, wie es nur geht ausfahren. Danach erklärt er, aufgrund unserer verdutzten Gesichtsausdrücke: „Jo und Chris, ihr lenkt die Teufelsschlange irgendwie ab. Wir anderen schnappen uns die giftigen Pfeile, die sie davor nach uns geschossen hat. Dann binden wir sie an dem Seil fest. Immer mit ein wenig Abstand zum Nächsten. Den Rest erledige ich.“

Da Sam auf diese Welt reagiert hat, befolgen alle brav seine Anweisungen. Auch Freddy hilft uns, ohne Widerworte.

Während die zwei Jungs mit der Schlange beschäftigt sind, binden wir vorsichtig die Spitzen fest und passen dabei besonders auf das giftige Ende auf. Es dauert nicht lange, bis der blonde Junge die zwei großen Jungs mit einem Pfiff zurückruft und den Enterhaken in die Hand nimmt. Jo und Chris landen vor uns und beobachten, genau wie ich, was um Himmels Willen Sam jetzt vor hat.

Das eine Ende der Schnur macht er, mit der Hilfe des Enterhakens, am Dach fest. Das Andere bindet er sich zu meinem Entsetzen um den Bauch. Zum Glück hat er dafür noch genügend Platz gelassen, sodass ihn keine der giftigen Spitzen berührt.

Plötzlich schreit er: „Hier bin ich du hässliches Vieh!“ Die Teufelsschlange wird, obwohl sie keine Ohren hat, sofort auf Sam aufmerksam und reckt ihren Vorderteil in seine Richtung. Ruckartig dreht sie sich anschließend um und versucht ihn mit ihrem Kopfteil gegen die Mauer zu rammen, da er auf einem relativ niedrigen Dach steht.

Genau darauf hat der Junge gewartet. Denn nun tut er etwas Unglaubliches. Er nimmt Anlauf und springt quer über die Teufelsschlange rüber. Dabei verhaken sich die Pfeilspitzen in ihrem Körper und das Tier brüllt fürchterlich laut auf. Keine Ahnung, woher der Ton kommt, denn das Ding hat ja auch keinen Mund.

Durch die Haken wird Sams Sprung abgestoppt und er schwingt sich absichtlich unter den erhobenen Körper des Tiers. Es bohren sich immer mehr Stacheln in die schleimige, nasse Haut und je mehr sie sich bewegt, desto schlimmer wird es. Vor Schmerz windet die Schlange sich und schlägt mit ihrem hinteren Teil hin und her.

Sam schneidet das überschüssige Seil um seinen Bauch, mithilfe seines Dolches, ab und versucht unbeschadet wieder zu uns zu kommen. Dabei wird er jedoch von der schlagenden Rückseite der Teufelsschlange erwischt und gegen eine Mauer geschleudert.

Ein erschrockener Schrei kommt von Emily und auch wir anderen schlucken hart. Da sich das Vieh unter den Häusern immer schlimmer windet und schreit, können wir nicht zu Sam und uns bleibt nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass es ihm gut geht.
 

Der nächste Laut von dem Schlangenwesen ist so schrill, dass ich mir die Ohren zuhalten muss. Ich habe das Gefühl, als würde mein Trommelfell platzen. Danach ist es plötzlich still und als ich einen Blick nach unten wage, ist das Monstertier plötzlich verschwunden. Das Einzige, was ich noch sehen kann, sind hunderte weiß-leuchtender Blasen, die langsam schwingend in den Himmel steigen.

Kurz bin ich geblendet von dem schönen Anblick, bis ich wieder zu mir komme und schnell die Feuertreppe hinuntersause, um zu Sam zu kommen. Jo ist schon da und richtet gerade seinen Körper auf, während Emily ihn gleich umarmt. Dabei weint sie leise Freudentränen. Luna kommt auch, mit der Hilfe von Chris, herunter und sie ist ebenfalls überglücklich, da Sam noch unter den Lebenden weilt. Seine Augen sind leicht geöffnet. Natürlich blutet er noch und ich bin mir sicher, dass er sich durch diese Aktion einige Knochen gebrochen hat, aber er lebt und spätestens zurück in der ‚realen‘ Welt sind diese Verletzungen sowieso wieder weg.
 

Erleichtert atme ich aus, als ich gehetzte Schreie hinter mir höre. „Das sind meine Leute“, sagt Freddy, der etwas abseits steht, alarmierend.

„Dann müssen wir schnell zurück! Danke für Alles“, meint Emily noch an den jungen Arzt gewandt, während Chris schon auf seinem Notebook herumtippt. Gleich darauf fassen wir uns wieder an den Händen und ich kann die erneute Schwerelosigkeit spüren. Doch dieses Mal halte ich die Hände meiner Freunde plötzlich nicht mehr, als ich aufwache und ich wache auch nicht mehr in der Weltenspringer-Zentrale auf.
 

To be continued…

11. Wie das Leben so spielt (Teil 1)

11. Wie das Leben so spielt (Teil 1)
 

Verwirrt schaue ich mich um. Das hier ist nicht die Zentrale der Weltenspringer, aber wo bin ich denn ansonsten gelandet? Ich sitze in einem riesigen Gebäude mit hohem Dach und um mich herum laufen überall Kinder herum. Fest entschlossen, herauszufinden, wo ich bin, beuge ich mich zu einem kleinen Jungen herab, der gerade auf einem Haufen Holzblöcken sitzt. „Hallo Kleiner, kannst du mir vielleicht helfen?“ Es kommt keine Antwort und der Junge tut so, als ob ich gar nicht da wäre. Verwirrt davon möchte ich meine Hand auf seine Schulter legen, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Erschrocken ziehe ich sie aber sofort wieder zurück. Sie ist durch das Kind hindurchgegangen. Erst jetzt wird mir klar, dass mich der Kleine höchst wahrscheinlich weder sehen, noch hören kann.

Aber wie finde ich nun heraus, wo ich bin und was ich als Nächstes tun soll? Um nicht sofort in Panik zu geraten, sehe ich mich erst einmal etwas genauer um. Die jüngeren Kinder spielen Fangen, oder bauen Türme aus Bauklötzen. Eine Gruppe von Jugendlichen tratscht in einer Ecke über alles mögliche und der Rest sitzt im Raum verteilt auf irgendwelchen Gegenständen. Seien es Stahlrohre oder Holzscheite, hier findet man so gut wie jeden Müll. Wahrscheinlich war das hier einmal etwas ähnliches, wie eine Lagerhalle. Insgesamt befinden sich hier sicherlich über 100 Minderjährige, oder noch mehr. Plötzlich wird die Tür aufgerissen und ein kleines Mädchen von gerade mal acht Jahren stürmt in den großen Raum.

„Sie sind wieder da! Sie sind endlich wieder da!“, schreit sie und alle Anwesenden stürmen augenblicklich zur Tür. Wer herein kommt, kann ich nicht genau sehen. Zu viele Leute belagern die Gekommenen.

Ich möchte schon aufgeben, als ich plötzlich eine mittlerweile nur allzu bekannte, lachende Stimme vernehmen kann. Sofort schrecke ich hoch und versuche erneut durch die Traube an Menschen zu sehen und tatsächlich. Auf einmal hüpft Sam, mit dem Mädchen von eben auf den Schultern, in meine Richtung. Der Großteil der Kinder verfolgt ihn, während die Jugend eher stehen bleibt.

Lachend läuft der Blonde weg und lässt sich, nach einer kurzen Jagd, ergeben fangen. Die Kleinen sind vollkommen begeistert davon und hüpfen fröhlich lachend um ihn herum, bis eine Stimme die Menge zum Schweigen bringt.
 

„Sam, du Idiot. Jetzt komm endlich her und hilf uns hier!“ Nun, da kaum mehr Leute um den Eingang stehen, kann ich auch noch zwei weitere, schon etwas ältere Jugendliche erkennen, die anscheinend mit Sam zusammen angekommen sind. Der genervte Ausruf gerade kam von einem Mädchen mit schwarzem Haar, welches sie zu zwei Zöpfen gebunden hat. Wütend funkeln ihre grünen Augen in Richtung Sam, welcher nur lacht und sitzen bleibt.

Die Kinder, welche scheinbar ein wenig Angst vor dem Mädchen haben, treten einige Schritte von dem Blonden weg. Die Älteren unter ihnen verdrehen nur die Augen, als die Schwarzhaarige wütend auf Sam zugeht und ich ahne bereits, dass sich diese Szene hier nicht zum ersten Mal abspielt. Das Mädchen bleibt knapp vor ihm stehen und holt mit ihrer Hand weit aus, doch bevor sie das Gesicht des 17jährigen erreichen kann, ist dieser schon längst hinter ihr. Blitzschnell ist Sam aufgestanden und hat sich mit einem Sprung aus der Gefahrenzone gerettet, nur um anschließend hinter das fremde Mädchen zu laufen und ihr ein Bein zu stellen.

Sie verliert das Gleichgewicht, doch bevor ihr Gesicht auf dem Boden ankommt, wird sie ruckartig festgehalten und umgedreht. Leicht rot um die Nase liegt sie jetzt in Sams Armen, der sie sofort aufgefangen hat. Das freche Grinsen auf seinen Lippen trotzt nur so von Überlegenheit.

Erneut schlägt das Mädchen in seine Richtung, doch ihr Arm wird dieses Mal einfach von Sams freier Hand aufgehalten

„Ich hab dich auch lieb Mandy“, meint er darauf hin sarkastisch und streckt ihr die Zunge heraus.
 

„Habt ihr Beide es dann langsam?“, kommt es auf einmal gelangweilt von der Tür. Der Letzte, der nach Sam und Mandy in den Raum gekommen ist, ein braunhaariger junger Mann von etwa 22 Jahren, lehnt sich emotionslos an die Wand und beobachtet die beiden Streithähne. Neben ihm stehen fünf große Taschen. Was darin ist, würde ich nur zu gerne wissen, aber mittlerweile habe ich gemerkt, dass ich weder etwas anfassen kann, noch mit irgendwem reden kann. Hier bin ich wie ein Geist, unsichtbar, also kann ich leider nicht neugierig sein und nachsehen.

Sam lacht nur und stellt Mandy wieder auf ihre Füße, die sich beleidigt wegdreht. Laut seinen Erzählungen müsste das Mädchen jetzt 16 Jahre alt sein, ein Jahr jünger, als Sam selbst. Nachdem der Blonde nochmals gekichert hat, geht er gemütlich zu dem jungen Mann an der Tür und nimmt zwei der, so wie es aussieht, sehr schweren Taschen.

Auch Mandy trottet beleidigt zu den Beiden und nimmt sich eine der Taschen, während der junge Mann die restlichen zwei aufhebt.

Gemeinsam gehen die drei quer durch den Raum, bis zu einer weiteren Tür, die mir bis jetzt noch gar nicht aufgefallen ist. Eines der älteren Kinder öffnet sie und lässt die Großen hindurch. Kurzum beschließe ich mich ihnen anzuschließen und folge schnell, solange die Tür noch offen steht.

Ich komme in einen dunklen Raum, was daran liegt, dass die Jalousien allesamt heruntergelassen wurden.

Endlich lüftet sich auch das Geheimnis der fünf Taschen, da der junge Mann von vorhin seine zwei öffnet. Glitzernder Gold und Silberschmuck, gespickt mit hunderten Edelsteinen scheint mir entgegen und ich muss hart schlucken. Plötzlich kommen von hinten noch ein Mädchen und ein Junge durch die Tür, die anerkennend pfeifen, als sie den Inhalt der Taschen sehen. Das blonde Mädchen meint erstaunt: „Wow, so eine große Beute hatten wir sein Monaten nicht mehr.“

„Wie cool! Mit dem Geld kommen wir sicher ein paar Wochen aus. Wie habt ihr es geschafft, mit so vielen Taschen unbemerkt da wieder rauszukommen?“, fragt der blonde Junge, der dem Mädchen recht ähnlich sieht gleich darauf und fischt sich eine Perlenhalskette aus einer der Taschen um sie genau zu begutachten.

„Unser Topteam hat doch noch nie versagt, wenn es brenzlich mit unserem Budget wurde, oder?“, meint Mandy stolz.

Die beiden Blonden lachen laut los und auch Sam stimmt mit ein, während das Mädchen beleidigt die Backen aufbläst. „Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?“, fragt sie und schmollt.

„Ach Mandy, du bist nur so niedlich, wenn du dich aufregst! Außerdem war der Plan heute von Olivia, wir haben ihn nur ausgeführt“, meint Sam grinsend.

„Wobei du fast geschnappt worden bist, möchte ich anmerken“, fügt der junge Mann von vorhin noch hinzu, während er anfängt den Schmuck zu sortieren. „Du hast es einzig und allein uns Zweien zu verdanken, dass du da wieder heraus gekommen bist.“

„Na und? Ich habe mich doch schon bei euch bedankt! Jetzt mal etwas Wichtigeres, was machen wir mit der Beute? So viel können wir doch nicht auf einmal an Jojo verkaufen?“, versucht die Schwarzhaarige gekonnt abzulenken.

Sam geht auf das Spiel mit ein und antwortet: „Gleich morgen in der Früh schnappe ich mir zwei von den Jungs und bringe die erste Tasche zu ihm, der Rest bleibt erstmal bei uns, bis sich die Stadt wieder ein wenig beruhigt hat.“

Das Gespräch geht noch etwas weiter, während ich alles hier beobachte. So lebt Sam also. Heruntergekommen, aber doch irgendwie schön. Es ist toll, dass sich hier alle um das Wohl der Anderen sorgen und den Kinder helfen.
 

Gerade entbrennt wieder ein Streit zwischen dem Blonden und Mandy, als meine Umgebung verschwimmt und ich plötzlich in einem Lokal sitze. Wo bin ich denn jetzt schon wieder?

Durch ein Fenster kann ich draußen einen breiten Fluss erkennen und eine gut gepflegte Straße, also bin ich ganz sicher nicht mehr in der Nähe der Lagerhalle vorhin.

In diesem fragwürdigem Café ist es zwar sehr gemütlich eingerichtet, aber wie ich gerade sehe, sind die Kellnerinnen nur aufs Nötigste bekleidet. Sie alle tragen blaue Miniröcke, die nur knapp über den Po gehen und bauchfreie Tops, die zusätzlich einen unglaublich tiefen Ausschnitt haben.

Wie nicht anders zu erwarten, bestehen die Kunden fast gänzlich aus älteren Männern, die den Mädchen gierig hinterher glotzen.

Wie kann man nur in so ein Café gehen, oder darin arbeiten? Wobei mich die leise Vermutung beschleicht, dass keine der Kellnerinnen das gern tut. Viele haben wahrscheinlich keine andere Wahl, um an Geld zu kommen. So läuft das jedenfalls Meistens in solchen Lokalen.

Auf einmal werde ich auf die Küchentür aufmerksam, aus der ein weiteres Mädchen mit der gleichen Bekleidung schreitet. Fast hätte ich sie mit den zusammengebundenen Haaren nicht erkannt. Mir stockt der Atem und ich werde sofort wütend. Knapp vor mir steht Luna, gedemütigt von dieser Kleidung und serviert einem Gast gerade seinen Kaffee, der sie fast sabbernd ansieht. Doch was mich erst richtig sauer macht, sind die ganzen blauen Flecken auf ihrem gesamten Körper. In der Zentrale habe ich das nie bemerkt, aber vielleicht verschwinden die Verletzungen dort genauso, wie die, die man während einem Kampf abbekommt, sobald man wieder zuhause ist.
 

Vollkommen geschockt möchte ich sie schon darauf ansprechen, wer das getan hat, als mir bewusst wird, dass mich erneut keiner sehen kann. Da wir hier bei Luna sind, muss das bedeuten, ich bin in Italien. Aber wieso verstehe ich dann jedes ekelerregende Wort dieser Männer? Darüber kann ich jedoch nicht länger nachdenken. Ein recht stämmiger Mann öffnet die Tür, die zur Küche führt von Innen und brüllt: „Luna! Hierher sofort.“ Dann ist er auch schon wieder verschwunden.

Lu atmet einmal tief durch und hastet danach in die Küche. Schnell folge ich ihr und kann sehen, wie sie zwanghaft versucht ihr Zittern zu unterdrücken. Da wird mir erst der Ernst der Lage klar.

So wie ich sie kennen gelernt habe, würde Luna niemals einfach so zittern und Angst haben, sondern müsste schon einen triftigen Grund dafür haben.

Da kommen mir ihre Verletzungen wieder in den Sinn. Also ich verwette meine Kleidung darauf, dass es dieser Mann war, der sie geschlagen hat und das scheint nicht einmal den Gästen des Cafés etwas auszumachen. Diese Schweine! Sehen wie ein Mädchen hier geschlagen wird und gucken ihr, anstatt zu helfen, lieber auf die Brüste.
 

In der recht kleinen Küche angekommen steht Luna regungslos vor dem bulligen Mann der die Arme wütend in seinen Seiten gestemmt hat. „So Kleine, jetzt verrate mir mal, wieso mich gestern ein Gast darauf angesprochen hat, dass du ihn abgewimmelt hast?“

„Verzeih bitte, aber er hat mir nicht nur auf den Arsch gegriffen, er wollte auch, dass ich mit ihm nach hinten gehe, damit er…“ Weiter kommt sie nicht, da der Mann ihr mit der bloßen Hand eine gescheuert hat. „Und deswegen wirfst du ein schlechtes Bild auf mein Café? Du weißt genau, dass der Kunde hier König ist!“, brüllt er weiter.

„Aber, aber Vater…“ „Nichts da! Ich habe den Mann heute nochmals eingeladen und er wird von dir als Entschuldigung von vorne bis hinten bedient. Er darf mit dir anstellen, was er will, du unnütze Göre.“ Noch zweimal tritt der stämmige Mann nach dem wehrlosen Mädchen, bis er sich wieder an die Arbeit macht und Luna schnell nach draußen flüchtet, um ebenfalls weiter zu arbeiten.

Mir fällt es in der Zwischenzeit schwer, mich noch zu beherrschen. Der Typ gerade, dieses schmierige, ekelige Arschloch ist ihr Vater! Ihr Vater verdammt! Welcher halbwegs normal denkende Mensch macht so etwas mit seiner Tochter?

Obwohl es mich unglaublich reizt, ihn jetzt anzubrüllen, würde es ja doch nichts bringen, da ich sowieso unsichtbar für ihn bin. Aber ich verspreche, ich werde etwas dagegen tun, sobald ich wieder aufwache. Von mir aus werde ich auch mein gesamtes Erspartes für einen Flug nach Italien opfern! Aber dass jemand Luna dermaßen verletzt und erniedrigt, dabei schaue ich ganz sicher nicht zu.

Wenn es nötig ist, werde ich die Polizei dort mit meinen eigenen Händen reinzerren. So etwas darf man doch nicht ignorieren und es wundert mich sogar, dass die italienischen Polizisten noch nichts von diesem Lokal und den Arbeitsbedingungen wissen. Dieser Arsch von einem Geschäftsführer weiß, wie er Unerlaubtes vor dem Gesetz vertuscht, denn die Mädchen sind sicher allesamt Minderjährig und strippen hier vor alten Männern herum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das erlaubt ist.

Doch bevor ich noch weiter darüber nachdenken kann, verschwimmt meine Umgebung erneut und ich frage mich wirklich, bei wem ich als Nächstes landen werde.
 

To be continued…


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben,
ich bin mir noch nicht sicher, ob ich an dieser Geschichte weiterschreiben möchte. Das erste Kapitel wird so schnell wie möglich hochgeladen. Danach entscheide ich mich.
Außerdem werde ich mich bemühen die Kapitel nicht unter 2000 Wörter zu schreiben.
Sagt mir doch, was ihr davon haltet.
*Kekse hinstell*

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Nachwort zu diesem Kapitel:
So hier ist das erste Kapitel. Freue mich auf eure Meinung dazu. ^^*
*Kekse hinstell*

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Irgendwie hat es mich doch in den Fingern gejuckt ein bisschen weiterzuschreiben.
Schreibt mir doch, wie ihr die Story findet. *Kekse hinstell*
Übrigens können hier auch Leute kommentieren, die nicht auf Animexx angemeldet sind.
Danke fürs Lesen! ^^

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich konnts nicht lassen und habe weiter geschrieben.
Sagt mir eure Meinung dazu! *Kekse hinstell*
Hoffe es hat euch gefallen. Das nächste Kapi spielt wieder im richtigen Leben von Tak und ihr lernt endlich seinen Freund Suki besser kennen. ;)

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe mir überlegt jetzt jede Woche immer Mittwochs, oder Donnerstags (eher Donnerstags) ein Kapi hochzuladen. XD
Übrigens freue ich mich sehr über die Favos. Danke dafür. ^^
Freue mich auf eure Meinung. *Kekse hinstell*

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Es ist wieder so weit. Der Donnerstag ist da. ;)
Übrigens, wenn jemand Ideen zu neuen Welten hat, oder etwas gerne in die Story einbringen möchte, ich bin jederzeit für neue Ideen offen. ^^

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal gehts ein bisschen schneller. Das Kapi habe ich nämlich selber sehr gerne, dann fällt es mir auch leichter, es zu schreiben. ^^
Würde mich über eure Meinung, Wünsche und Anregungen freuen. ;)

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, dass ich dieses Mal so spät dran bin. Hab zur Zeit einiges zu tun ^^.
Hoffe euch hats gefallen. Würde mich über Reviews und eure Vorschläge für die Geschichte sehr freuen ;)

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich schäme mich in Grund und Boden. Nicht nur, dass ich es erst jetzt geschafft habe, dass Kapi online zu stellen, es hat auch unter 2000 Wörter. Aber zu meiner Verteidigung. Ich hatte bis jetzt kein Internet! ^^,

Ich hätte da noch eine Frage: Wollt ihr eher mehr von den verschiedenen Welten, oder mehr von Taks Leben in der realen Welt hören? O.ò

Sagt es mir bitte, dann kann ich in Zukunft mehr darauf eingehen und weniger von dem anderen Zeug bringen.

Hoffe es hat euch trotzdem gefallen. XD

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Nachwort zu diesem Kapitel:
So heute gehts wieder weiter. Ich hoffe, es hat euch gefallen und ich würde mich sehr über Lob/Kritik und Verbesserungshinweise freuen ;)

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier ist das neue Kapi. Ich hoffe es gefällt euch.
Ich würde mich sehr über Lob/Kritik und Verbesserungsvorschläge freuen.

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Nachwort zu diesem Kapitel:
So es geht wieder weiter :)
Ich würde mich echt freuen, wenn ich mal ein Kommi bekommen würde, um zu wissen, wie es euch gefällt.

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