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Lieben und geliebt werden

von

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Sie wird kommen

André stand am vergitterten Fenster des Gefängnisses, wenn man das überhaupt als Fenster bezeichnen konnte, und sah lustlos auf das sichtbare Stück Himmel. Heute war der Hinrichtungstag. „Sie wird kommen...“, wiederholte er immer wieder die Worte wie eine Losung und versuchte die Ruhe zu bewahren, denn sie saßen hier angespannt schon seit fünf Tagen und die Henkersmahlzeit war ihnen auch schon heute früh gebracht worden... Wie eigenartig, dass einem das Leben in einem Lauf im Kopf durchgeht, wenn man sich bewusst wird, wie wenig noch zum Leben zur Verfügung übrig blieb... „Sie wird kommen...“

 

Vor fünf Tagen hatte André nicht einmal in Erwägung gezogen, dass es so enden würde... Man hatte ihnen zuerst befohlen, die Parlamentarier nicht in das Gebäude rein zulassen – die Volksvertreter sollten nach getrennten Ständen weiter diskutieren, war die Erklärung gewesen. Welch ein bitterer Schlag für das Volk – die Obersten und der König missachteten damit die Rechte der Menschen und traten sie mit Füßen. Alain, mit Hass auf die ungerechte und unwürdige Behandlung von den oberen Mächten, befahl seinen Kameraden die Türen zu öffnen. Diese ließen sich das nicht zwei Mal sagen und befolgten mit Freude dessen Befehl. André hatte sich dabei überlegt, ob Oscar auch so handeln würde und kam zu Erkenntnis: Ja, das würde sie!

 

Nicht lange und der Oberst Dagous befahl ihnen, die Parlamentarier mit Waffengewalt aus dem Gebäude zu verjagen, aber keiner der Söldner hatte sich vom Fleck gerührt. „Wir werden nicht weichen, bis Oscar hier eintrifft!“, hatte André mit Inbrunst verlautet und Alain stimmte ihm zu. „Genau! Nur unser Kommandant hat das Recht, uns Befehle zu erteilen!“

 

Elf weitere Kameraden schlossen sich ihnen an und kurz darauf wurden sie verhaftet. Nun harrten eben diese Männer still aus und verabschiedeten sich bestimmt in Gedanken von ihrem Leben. Alain stand auf und kam zu André. „Das ist natürlich ein tröstender Gedanke, Kumpel, dass deine Oscar kommt... Aber wie soll sie denn kommen, wenn sie nicht einmal weiß, was hier geschehen ist?“

 

„Ehrlich gesagt, keine Ahnung, Alain...“ André seufzte schwer. „Aber sie wird kommen, das spüre ich...“

 

„Männer, seid leise!“, unterbrach sie einer der Söldner. „Hört ihr das?“

 

André und Alain horchten auf. Draußen geschah etwas, was sie nicht sehen konnten. Zu hoch waren die Gitter angebracht. Aber sie hören es immer deutlicher: Es klang nach einem Aufstand von vielen Menschen, die allerdings ruhig zu verlaufen schien. Nur ihre lauten und fordernden Stimmen erreichten sie. Und kurz darauf öffnete sich plötzlich die Eisentür des Gefängnisses. „Ihr alle seid frei.“, sagte der Wachmann – nicht gerade begeistert und mit verzogenem Gesicht.

 

Die Männer starten ihn ungläubig an, versuchten zu verstehen, aber dann marschierten sie erhobenen Hauptes aus der Zelle. Draußen neigte sich der Tag dem Nachmittag zu und viele tausende Menschen vor dem Gefängnis bejubelten deren Freilassung. „Oscar!“ André rannte beinahe los, als er seine Frau an der Spitze der anderen Söldner im Sattel sitzend sah. „Ich wusste, dass du kommst!“

 

„Es war aber knapp.“ Oscar lächelte zufrieden und sah gleich Alain an. „Diesen Erfolg habt ihr nicht Bernards, sondern meinem Einfluss zu verdanken. Es war die Macht des Volkes.“

 

Alain bestaunte sie kurz, dann reichte er ihr die Hand. „Wisst Ihr was, Kommandant? Allmählich fange ich an zu verstehen, worauf es im Leben wirklich ankommt.“

 

Oscar drückte ihm die Hand fachmännisch und besiegelte somit die Freundschaft zwischen ihnen. „Ihr habt während meiner Abwesenheit sehr gut durchgehalten, wofür ich euch allen danke. Und jetzt geht nach Hause, erholt euch und morgen tretet ihr wieder euren Dienst an.“

 

„Unter Eurer Führung sehr gerne, Oberst.“ Alain grinste schief.

 

„Wie ihr seht, bin ich bereits ab heute wieder im Dienst.“ Oscar blieb undurchschaubar und kühl.

 

„Umso besser für uns alle.“ Alain entzog ihr seine Hand und drehte sich zu seinen Männern um. „Lasst uns in einen Gasthof gehen und auf unseren Oberst anstoßen!“

 

Die Männer johlten und marschierten los. Alle, bis auf André. Er bekam von einem seiner berittenen Kameraden ein Pferd und ritt mit Oscar zum Anwesen. Auf dem Weg durch den Wald erzählte sie ihm die Ereignisse. André erfuhr nun alles und dass es die Königin war, die den König zu der Freilassung bewog – um wegen 12 Männer das schöne Paris nicht in Schutt und Asche zu legen...

 

 

 

- - -

 

 

 

„André, mein Junge!“ Sophie warf sich ihrem Enkel um den Hals, kaum dass dieser das Anwesen betrat. Sogleich aber machte sie sich von ihm los und rümpfte mit der Nase. „Du riechst, als hättest du monatelang kein Wasser gesehen!“

 

„Ich war fast eine Woche im Gefängnis, Großmutter...“, André wich etwas beschämend zurück und rieb sich verlegen den Nacken.

 

„Du wirst sofort ein Bad nehmen!“ Sophie, kaum dass sie das sagte, marschierte schon energisch los.

 

„Lass aber bitte den Zuber in meinem Zimmer bereiten, Sophie.“, hielt sie Oscar kurz auf.

 

Die alte Haushälterin blieb stehen. „Wir haben dafür aber Baderäume! Und Ihr wollt doch nicht zusammen mit ihm in einem Zuber baden?“

 

„Was ist dabei? Wir sind doch verheiratet.“ Oscar hätte am liebsten aufgelacht, aber sie wollte Sophie nicht beleidigen.

 

„Ist schon recht, Lady Oscar.“ Sophie ging weiter.

 

Oscar sah zu ihrem Mann und dieser lächelte sie liebevoll an, aber nicht für lange – ein junger Mann betrat vorsichtig den Raum. „Lady Oscar?“

 

„Was ist, Gilbert?“ Der liebreizende Glanz erlisch sich gleich bei Oscar.

 

Gilbert kaute nervös auf der Lippe, bevor er leicht stotternd mit dem Reden anfing: „Es ist gerade nicht passend... und ich will Euch nicht weiter aufhalten... aber darf ich Euch trotzdem etwas fragen?“

 

„Um was geht es?“ Oscar zog schon streng ihre Augenbrauen zusammen. Es könnte ja eine schlechte Kunde sein und sie bereitete sich schon darauf vor.

 

„Nun... es geht um Diane... ich... sie...“ Gilbert traten bereits Schweißperlen auf die Stirn und er verfluchte sich innerlich für seine Aufregung.

 

„Komm zur Sache.“, drängte André. Obwohl er ahnte, was Gilbert zu sagen beabsichtigte, wollte er ja ebenso so schnell wie möglich mit seiner Oscar alleine sein.

 

Oscars Stirn glättete sich, ihr leuchtete alles ein und sie atmete erleichtert auf – es war nichts zu befürchten und das war gut. „Er ist verliebt und will bestimmt um ihre Hand bitten“, half sie ihrem Mann auf die Sprünge.

 

„Ähm... ja... das stimmt...“ Gilbert schluckte mehrmals.

 

„Na siehst du, war das so schwer?“ Oscar schmunzelte. „Aber leider kann ich dir keine Zustimmung darauf geben. Da musst du schon ihren Bruder fragen.“

 

„Und er schlägt jeden grün und blau, wer nur ein Auge auf Diane wirft, ich weiß... Davon hatte ich schon zu genüge gehört...“, schniefte Gilbert aussichtslos. „Deswegen dachte ich, lieber Euch fragen, da Ihr Euch um sie kümmert und sie Eure Kinder großzieht...“

 

„Nun...“ Oscar war für einen Augenblick sprachlos, aber dann schüttelte sie bedauernd den Kopf. „Tut mir leid, ich kann nicht für Alain entscheiden.“

 

Gilbert senkte trüb den Kopf und André kam ein Einfall. „Hast du eigentlich Diane gefragt, ob sie deine Frau werden will?“

 

„Nein, noch nicht... aber sie liebt mich, das weiß ich.“

 

Oscar tat der junge Mann beinahe leid. Also legte sie ihm aufmunternd die Hand auf Oberarm. „Dann schlage ich vor, dass du zu ihr reitest und sie fragst. Wenn sie einverstanden ist, dann wird auch Alain nichts dagegen haben.“

 

„Bist du dir sicher, Oscar?“ André zweifelte irgendwie daran, dass Alain so leicht einverstanden sein würde. „Ich meine, wir kennen doch Alain besser und nach dem was mit seiner Schwester passiert ist, würde er bestimmt...“

 

„Das ist ungewiss, was er machen wird.“, unterbrach ihn Oscar. „Aber ich denke, dass Diane die Einzige ist, die ihren Bruder überzeugen kann und weil er sie so sehr liebt, wird er schon klein beigeben.“ Sie schaute wieder zu dem jungen Mann. „Also morgen kannst du aufbrechen. Und zusätzlich kannst du meiner werten Mutter erzählen, dass es alles gut gegangen ist und dass es uns gut geht.“

 

„Ja, das werde ich!“ Gilbert erstrahlte. „Ich danke Euch, Madame Oscar!“

 

„Danke nicht mir, denn ich habe nichts getan. Also viel Glück dir.“ Oscar wandte sich zum Gehen ab. „André, ich gehe schon mal vor.“

 

„In Ordnung, ich komme gleich nach.“ André schaute ihr sehnsuchtsvoll nach, bis sie aus seiner Sicht entschwand.

 

Gilbert bemerkte diesen Blick sehr wohl. „Du liebst sie sehr, nicht wahr, André?“

 

„Ja, das tue ich...“

 

„Wie ist es eigentlich, so eine Frau zu lieben?“ Das hätte Gilbert schon mal gerne gewusst.

 

„Das verrate ich dir doch nicht!“

 

„Verstehe...“ Gilbert sah darüber hinweg. „Ihr gebt aber trotzdem ein gutes Paar ab. Also dann, gute Nacht, André.“

 

„Gute Nacht, Gilbert!“, verabschiedete ihn André und ging geradewegs in Oscars Zimmer, welches er seit der Heirat auch bewohnte.



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