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Lieben und geliebt werden

von

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Junge oder Mädchen?

Vier Monate...

 

Um genauer zu sein, knapp vier Monate war Oscar dazu gezwungen, ihr Dasein bis zur Geburt ihres ersten Kindes in der Normandie zu verbringen und das ohne André. Ihr Vater behielt ihn unter persönlicher Aufsicht auf seinem Anwesen – so wie er das verlautet hatte. Oscar hatte sich zu Beginn gegen seine Anordnung gesträubt: „Entweder gehen wir beide in die Normandie oder gar keiner von uns!“, hatte sie ihrem Vater mehrmals klar gemacht, aber dieser sagte nur ganz grimmig: „Wenn du das machst, Oscar, dann sei gewiss, dass ich dich wegen des Verrats an der eigener Familie und des Treuebruchs gegenüber des Königshauses anklagen werde! Und deinen André werde ich als ersten dafür verantwortlich machen und hinrichten lassen!“

 

Dann gehen wir beide fort und nehmen unser Leben selbst in die Hand!“ Oscar war für all ihr Vorhaben entschlossen und fand immer ein Gegenspruch für ihren Vater.

 

Das hatte dennoch nichts genützt. Reynier hatte nur eine spöttische Handbewegung in Richtung Tür gezeigt und zynisch gegrinst. „Nur zu, wenn es dich danach strebt... Aber vergiss nicht, dass ohne dein Rang und Titel, die dir ganz sicher aberkannt werden, du ein Nichts und Niemand bist – du bist machtlos und nicht einmal meine Erziehung wird dich da draußen schützen können...“

 

Doch!“, hätte Oscar am liebsten ihm ins Gesicht geschleudert, die Sachen gepackt und auf der Stelle das Anwesen verlassen. Doch das konnte sie mit einem Mal nicht, denn im geistigen Augen entstanden Bilder von den armen Bauern in Arras – vor allem Gilbert und seine Geschwister gingen ihr durch den Kopf. Wenn sie ihre Macht, Rang und Titel verliert, dann würde sie nichts mehr für sie tun können, weil sie genauso mittellos und arm dran sein würde... Und was würde dann aus André und ihrem gemeinsamen Kind? Der General hatte mit seiner Bedingung ihr gerade unbewusst die Augen geöffnet und ihren empfindsamen Kern getroffen. „Nun gut...“, gab sie mühsam nach und würgte ihre ganze Wut herunter. „Ich werde das tun, was Ihr verlangt, Vater... Aber wehe, wenn Ihr meinem André nur ein Haar krümmt!“

 

Wenn er keine Anstalten macht zu fliehen, dann kannst du ihn quicklebendig nach deiner Niederkunft zurückhaben.“ Der General grinste immer mehr und triumphierte innerlich über die Niederlage seiner Tochter. Oscar machte den Mund auf und wollte etwas sagen, aber Reynier fügte noch schnell hinzu: „Und damit er nicht flieht, bleibt Sophie auch hier...“ Den Satz ließ er unvollendet im Raum hängen. Aber Oscar hatte ihn auch so verstanden. Ihr Vater brauchte ein Druckmittel gegen jeden, den er in seiner Hand haben wollte: André, damit Oscar auf keine ihrer Ideen kam und Sophie, damit André keinen Fluchtversuch zu Oscar unternehmen konnte...

 

An das alles dachte Oscar, als sie im August 1788 ihr erstes Kind in der Normandie zur Welt brachte. „Du hast es bald geschafft, mein Liebling“, hörte Oscar die vertraute Stimme ihrer Mutter und musste erneut pressen. Emilie nahm ein Taschentuch und tupfte den heraustretenden Schweiß von der Stirn ihrer Tochter. „...nur noch etwas Geduld, du hast es bald geschafft...“

 

„...Ihr müsstet ja es am besten wissen, Mutter...“, zischte Oscar zwischen zusammengepressten Zähnen und versuchte den heftigen Schmerz, der ihr durch den ganzen Unterleib jagte, mit den Gedanken an die letzten drei Monate ohne André in der Normandie zu ertränken.

 

Als sie in das elterliche Haus vor ebendiesen drei Monaten in der Normandie ankam, veranlasste ihre Mutter sofort, dass eine Hebamme zu jedem Zeitpunkt bereit gestellt wurde. Oscar wäre am liebsten der ganzen mütterlichen Fürsorge entkommen, aber andererseits war sie gewissermaßen schon froh, dass ihrer Mutter, natürlich auf Befehl der Königin und des Generals, mitgekommen war. Jemand musste es ja auf sie ein Auge haben. Oscar fühlte sich wie eine Gefangene und mit jedem Tag streifte sie durch das Haus und am Strand wie ein wildes Tier im Käfig. Bis es Emilie eines Tages nicht aushielt, sie bei der Hand fasste und sagte: „Ich kann verstehen, wie du dich fühlst, mein Kind, aber dein Zorn bringt niemandem etwas. Denk an deinen Zustand...“

 

Ich kann doch nicht hier monatelang tatenlos herumsitzen, Mutter!“, empörte sich Oscar und sogleich tat es ihr leid, ihre Mutter so schroff angefahren zu haben. „Bitte verzeiht...“

 

Schon gut.“ Emilie nahm sie sachte bei der Hand und lächelte. „Warum gehst du nicht in das Dorf und sorgst dafür, dass unsere Bauern die Arbeit auf den Feldern gut machen? Es heißt nicht gleich, dass du sie antreiben musst, aber das könnte dich von der langen Wartezeit ablenken.“

 

Oscar wollte vorerst wütend protestieren, zum Schutz der Bauern, aber da kam ihr wieder Arras in den Sinn und ihr Gesicht erhellte sich. „Das ist eine gute Idee Mutter!“ Ihr kam ein Einfall durch den Kopf geschossen, in der Normandie das gleiche zu tun und auf diese Weise den Bauern zu helfen, wie sie bereits in Arras erfolgreich vollbracht hatte. Und so vergingen die drei letzten Monate bis zu ihrer Niederkunft ziemlich schnell. Bis auf eine Unannehmlichkeit, dass sie schon bald in ihren Männerkleidern, besonders in ihren Hosen, nicht rein passte und daher Umstandskleider tragen musste. Aber was soll´s. Hauptsache sie hatte die langwierige Zeit überdauert, den armen Menschen in der Normandie so gut wie sie konnte geholfen und nun lag sie bereits seit gestern Abend in den Wehen. „Wie lange dauert es noch!“, wollte Oscar schnaufend wissen, als einer dieser Wehen nachließ.

 

„Bei mir hatte es zwölf Stunden gedauert.“, offenbarte ihr Emilie und beruhigte sie sogleich, als sie den erschrockenen Gesichtsausdruck von Oscar merkte: „Aber du vergisst sofort alle deine Qualen, wenn du das kleine Wesen in deinen Armen hältst.“

 

Das beruhigte Oscar nicht sonderlich. „Zwölf Stunden...“, murmelte sie und die nächste Wehe jagte wieder durch ihren Leib.

 

„Aber nur bei dir.“ Emilie griff gleich nach der Hand ihrer Tochter und hielt sie fest. „Deine Schwestern hatten weniger Zeit gebraucht, um auf die Welt zu kommen. Aber du schaffst es mein Liebling, halte durch!“

 

„Und wie lange liege ich hier?“, zischte Oscar mitten in der Wehe.

 

„Sechs Stunden...“

 

„Ihr habt es gleich geschafft, Madame!“, rief unerwartet die Hebamme irgendwo zwischen Oscars Schenkeln. „Ich sehe schon den Kopf!“ Ihre Gehilfinnen eilten zusammen mit den Dienstmädchen des Hauses durch das Zimmer, bereiteten geschäftig das Wasser, die Tücher und alles nötige für das neugeborene Wesen vor.

 

„Hast du gehört, Oscar?“ Emilie achtete nicht auf den ganzen Aufwand im Zimmer und hatte nur Augen für ihre Tochter. „Dein Kind ist gleich da...“

 

 

 

- - -

 

 

 

„Es ist ein Mädchen.“, sagte die Hebamme und gab das Neugeboren an eine ihrer Gehilfen. Diese säuberte der Kleinen den Mund, die andere umwickelte sie in die Tücher und reichte es Emilie de Jarjaes. „Sie hat dunkles Haar... Wie André...“ Verzückt und liebevoll betrachtete sie ihre Enkelin. Und dennoch schlich sich eine traurige Note in ihrer Stimme.

 

Oscar fiel erschöpft in die Kissen zurück. „Es tut mir leid, André, mein Geliebter...“ Nichtsdestotrotz wollte sie ihr Kind in den Armen halten und sie ansehen – ihr mütterlicher Instinkt verlangte danach. „Bitte gibt sie mir, Mutter...“, hauchte sie mit geschwächter Stimme und streckte ihre Arme bereits aus.

 

„Natürlich.“ Emilie bewegte sich langsam in Richtung ihrer Tochter. „Da kannst du ihr gleich Muttermilch geben.“

 

Die Hebamme betastete derweilen den noch immer gerundeten Leib von Oscar und runzelte die Stirn. „Nein, wartet!“, hielt sie die Hausherrin gerade davon ab, das Kind in die Arme von Oscar zu geben.

 

„Was ist passiert?“ Emilie hielt besorgt mitten in Bewegung inne und das kleine Mädchen in ihren Armen stimmte in dem Moment ein lautes Gebrüll an.

 

„Gebt sie mir, Mutter!“, verlangte Oscar mit Nachdruck und musste selbst lauter werden.

 

„Ich sagte, wartet, noch nicht!“ Auch die Hebamme musste ihren Ton erhöhen. „Ihr müsst gleich noch einmal pressen!“

 

„Nicht bevor ich mein Kind...“ Aber was war das?! Eine erneute Druckwelle erfasste Oscars Unterleib und sie musste wieder pressen.

 

„Wie ich es mir schon gedacht habe!“, hörte sie die Hebamme durch das immer lauter werdende Gebrüll des Säuglings ausrufen. „Es kommt noch eines!“

 

„Was heißt das?“, verlangte Oscar mitten in den Wehen zu wissen.

 

„Sprecht nicht, sondern presst.“, war die einzige Antwort, die sie von der Hebamme bekam.

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

Reynier beobachtete wohlwollend den jungen Mann, der gerade sein Salon betrat, das silberne Tablett auf dem Tisch abstellte und für ihn den Wein in ein Glas einschenkte. Wie gut das doch tat, dass es wenigstens doch noch Menschen gab, die das machten was er sagte. Der junge Mann sah ihn kein einziges Mal an und verlor auch kein Wort an ihn – was auch in seiner Situation völlig verständlich war. Dennoch spürte Reynier die Anspannung in ihm. Er nahm sein Glas an sich. „Warte, André.“ befahl er, als der Angesprochener sich zum Gehen abwandte.

 

André zwang sich umzukehren, aber den Blick hielt er weiterhin gesenkt. Er vermochte nicht zu sagen, wie er die knappen vier Monate hier ohne Oscar ausgehalten hatte und wie lange er ohne sie noch aushalten musste. Er hatte sie seit seiner Verhaftung in Versailles nicht mehr zu Gesicht bekommen. Erst später, als Oscar schon in der Normandie war, erfuhr er alles von seiner Großmutter. Natürlich wollte er ihr unverzüglich folgen, aber der General ließ das nicht zu. „Du wirst jetzt in meiner Reichweite bleiben und wenn du zu Oscar fliehst, werde ich deine Großmutter dafür büßen lassen.“, hatte er zu ihm zynisch gesagt und seit dem war André gezwungen, dem General überallhin zu folgen.

 

Reynier ließ ihn nicht aus den Augen. Was hatte nur seine Tochter an ihm gefunden? Er besaß doch fast gar nichts – bis auf die wenigen Habseligkeiten und seinem Sold! „Sieh mich an, André.“ Einäugig war er auch noch. Aber offensichtlich hatte das Oscar nicht gestört, als sie sich auf eine Affäre mit ihm einließ.

 

André hob zögernd den Kopf und schaute den General an. Der eisenharte Blick des Generals jagte ihm schon seit einer Weile keinen kalten Schauer mehr über den Rücken. Die sorgenvollen Gedanken an Oscar, dem ungeborenen Kind und dass es ihnen gut ging, überdeckten all seine Wut auf die ungerechte Welt und dass er nicht bei ihnen sein durfte.

 

Es klopfte an der Tür und André atmete auf – das war wie eine Erlösung für ihn! Er würde jetzt gehen können und bräuchte den General nicht mehr weiter ansehen. „Herein!“, rief dieser und die Tür ging auf.

 

Sophie trat herein und ihr folgte ein Mann. „Ein Bote aus der Normandie...“, meldete sie mit nervöser Stimme und André horchte aufmerksam auf.

 

Reynier dagegen erhob sich gelassen aus seinem gepolsterten Stuhl und stellte das Weinglas auf dem Tisch ab. „Spricht und verheimlicht nichts.“

 

Der Bote verneigte sich zum Gruß und erstattete gleich danach sein Bericht – neutral und ohne jeglichen Emotionen: „General de Jarjayes! Eure Tochter hat letzte Woche entbunden!“

 

Sophie stöhnte auf, ob erleichtert oder aus Sorge konnte man nicht deuten – vielleicht von beidem etwas. Auch Andrés Herz schlug immer schneller und er schielte vorsichtig zum General. „Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“, fragte dieser ungerührt.

 

„Als erstes Kind Eurer Tochter kam ein Mädchen auf die Welt...“

 

„Ha! Das scheint ein Fluch zu sein, dass die Frauen aus der Familie der de Jarjayes nur Töchter gebären!“ Der General lachte auf. „Nun, wie schade es auch um den Vater des Kindes ist, werde ich mir etwas einfallen lassen...“

 

„Und als zweites Kind kam wenige Minuten später auch ein Junge...“

 

Sophies Augen weiteten sich, André fiel der Unterkiefer runter und der General horchte ungläubig auf. „Wie bitte? Was soll das heißen? Ist es nun ein Mädchen oder ein Junge?“

 

„Beides, Monsieur General.“

 

„Wie, beides?“

 

„Lady Oscar hat Zwillinge entbunden, erst ein Mädchen und dann ein Junge. Und allen beiden geht es hervorragend.“

 

„Danke, du kannst in die Normandie zurückreiten und meiner Frau ausrichten, dass ich in zwei Wochen nachkomme und meine Tochter verheirate.“, verabschiedete der General den Boten und da erwachte André aus seiner Starre. „Wartet bitte!“, hielt er den Boten auf, kaum dass sich dieser abwandte.

 

Der Bote schaute zuerst unsicher den General an und dann auf André. Dieser holte tief Luft. „Geht es Oscar gut?“ Das war das einzige, was er noch wissen wollte.

 

„Ja.“, meinte der Bote schlicht und eilte mit dem flüchtigen Blick auf den General hinaus.

 

„Hast du das gehört?“, hörte André den General hinter sich und wandte sich um. „Du bist zweifacher Vater geworden.“, sprach Reynier schon weiter und nach einem tiefen Schluck Wein. „Zwillinge... hmpf... Ich glaube, ich werde Oscar doch verheiraten müssen...“

 

„Ich muss zu ihr!“ War das einzige, was André derzeit beschäftigte.

 

„Du bleibst schön hier!“, befahl Reynier grollend und André platzte der letzte Geduldsfaden. „Aber wieso? Warum darf ich sie nicht sehen?! Wir haben doch schon alles gemacht, was Ihr wolltet!“

 

Der Faustschlag des Generals brachte ihn sofort zum Schweigen. „Halte deinen Mund! Ich brauche nicht noch einen Rebellen in meinem Haus! Du wirst mit mir in zwei Wochen in die Normandie fahren und nicht eher! Und zu dem noch darf eigentlich der Bräutigam seine Braut bis zur Hochzeit nicht sehen! Also halte du dich wenigstens an den Brauch und widerspreche mir nicht!“



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