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Lieben und geliebt werden

von

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Entscheidung des Generals

Der General wartete auf seine Tochter in seinem Arbeitszimmer. Es waren schon Tage nach dem Gespräch mit seiner Frau und dem Grafen de Girodel vergangen, ohne dass er eine Entscheidung getroffen hatte. Girodel hatte seinen Antrag zurückgezogen und empfahl, dass Oscar den Mann ehelichen sollte, von dem sie das Kind erwartete. Reynier wollte davon nichts hören. André gehörte nicht dem Adel an und das war der Grund seiner Unentschlossenheit. Gegen André selbst hatte er nichts. Im Gegenteil. Er mochte den jungen Mann und war froh, ihn an der Seite seiner Tochter zu wissen. Nun vielleicht war das aber auch ein Fehler, denn André und Oscar waren schon längst erwachsen und man hätte daher sich eigentlich denken können, dass so etwas wie eine Affäre passieren würde. Allerdings hätte der General von den beiden so etwas nie im Leben erwartet. Vor allem nicht von Oscar und dass sie sich darauf einlassen würde! Das waren aber alles nur Spekulationen. Reynier musste seine Tochter sehen und mit ihr reden, um Schlüsse zu ziehen und danach eine Entscheidung zu treffen. Er sah grübelnd aus dem Fenster hinaus und seine Augenbrauen schoben sich immer mehr zusammen.

 

Oscar ritt gerade in den Hof ein und stieg von ihrem Pferd. Sophie empfing sie. „Ist Vater da?“, fragte sie Sophie.

 

„Ja, er wartet auf Euch in seinem Arbeitszimmer“, meinte die alte Haushälterin und Oscar ging einfach weiter. Nervös nestelte Sophie an ihrer Schürze und sah zu den oberen Fenstern des Hauses hinauf. Der General wandte sich ab und Sophie bangte noch mehr um ihren Schützling. Sie hätte damals auf das Gespräch bestehen sollen und Oscar wenigstens damit in Kenntnis gesetzt! Denn vermutlich wusste sie nicht einmal selbst über ihren Zustand oder wenn doch, dann heckte sie bestimmt etwas aus und ließ sich nichts anmerken. Sophie setzte ihre zittrigen Füße in Bewegung. Zwar war es ihr erneut unangenehm lauschen zu müssen, aber nur so würde sie dann beruhigt sein. Denn weder Oscar, noch der General würden jemals ihr die Fragen beantworten, auf die sie gerne Antworten gehabt hätte – es ging sie ja im Grunde genommen nichts an. Nur diesmal irrten sich beiden Sturköpfe gewaltig, es ging diesmal nicht nur um Oscar, sondern in einer gewissen Weise auch um André...

 

 

 

- - -

 

 

 

Wenige Augenblicke später betrat Oscar das Arbeitszimmer ihres Vaters und begann gleich mit dem Reden: „Vater, ich muss etwas mit Euch besprechen!“

 

„Ja, ich auch mein Kind. Bitte setz dich.“ Reynier versuchte sie nicht anzusehen. Er saß selbstherrlich in seinem gepolsterten Stuhl und rauchte eine Pfeife. Von außen her sah er wie die Ruhe selbst aus, aber in ihm tobte bereits der Zorn. Es würde sich zeigen, was Oscar ihm zu sagen hatte und dann würde er dementsprechend reagieren!

 

„Ich flehe Euch an, den Heiratsantrag von Graf de Girodel zurückzuweisen!“ Oscar dachte nicht daran sich hinzusetzen. „Ich möchte niemanden heiraten, unter gar keinen Umständen!“

 

Reynier warf auf sie doch noch einen Blick und mühte sich seine Beherrschung zu bewahren. „Bitte reg dich nicht auf, Kind. Setz dich lieber hin. Lass uns in Ruhe über alles sprechen.“, sagte er so gut wie möglich neutral und begutachtete sie von oben bis unten. Eine junge und hübsche Frau war sie geworden. Kein Wunder, dass André ihr verfallen war. Sein Blick heftete sich auf ihren gewölbten Bauch und er versuchte krampfhaft seine immer mehr hochsteigende Verärgerung nicht preiszugeben.

 

„Gut.“ Diesmal setzte sich Oscar hin.

 

Das war ein gutes Zeichen. Wenigstens hier protestierte sie nicht. „Ich habe von den Schwierigkeiten mit der Söldnertruppe gehört.“ Er wählte mit Absicht dieses Thema, um die Wahrheit auf Umwegen herauszufinden. Denn mit einer direkten Frage würde er sicherlich aus Oscar nichts herausbekommen und das würde nur einen Streit vom Zaun brechen - das wollte Reynier zu Beginn vermeiden.

 

„Schwierigkeiten?“ Oscar wehrte das mit einem Schulterzucken ab. Das schien sie nicht im Geringsten zu rühren und das verdeutlichte sie in ihrer weiteren Rede: „Ich sehe das nicht so. Im Gegenteil. Ich finde es ganz normal, dass es verschiedene Probleme gibt, wenn man eine neue Truppe übernimmt. Bestimmte Vorurteile die man erst einmal überwinden muss. Aber gerade der Widerstand übt auf mich einen gewissen Reiz aus.“

 

Das saß bei dem General. Was hatte er nur getan? Im Charakter und Bildung war sie durch und durch ein Soldat – so wie er sie erzogen hatte. Aber seine Frau hatte recht: Oscar blieb im Grunde doch noch eine Frau. Beherrscht legte Reynier seine Pfeife beiseite und bedeckte sein Gesicht. „Es tut mir leid, Oscar... vergib deinem Vater, dass meine jämmerliche Erziehung versagt hat! Ich hätte dich nie wie einen Knaben erziehen dürfen! Ich habe wider der Natur gehandelt und nun muss dieses Vergehen furchtbar sühnen!“ Er schloss seine Hand zur Faust und kniff seine Augen angestrengt zusammen. Der Moment war gekommen, aus dem er erhoffte auf diese Weise die Wahrheit von ihr zu Hören zu bekommen.

 

„Nein, Vater.“ Oscar nahm eine weiße Rose aus der Vase, die auf der Mitte des Tisches zwischen ihr und ihrem Vater stand, an sich. „Eure Vorwürfe macht Ihr Euch ganz unnötig, denn in meinem tiefsten Inneren habe ich mich immer nur wie eine Frau gefühlt. Und sogar eine leidenschaftliche Liebe zu einem Mann habe ich schon kennengelernt.“

 

Der General sah schlagartig zu ihr. Also doch! Die Wahrheit war nun ans Licht gekommen! Es fehlte nur noch der Name dieses Mannes, aber das würde er noch herausbekommen! Er spielte weiterhin mit der List und mühte sich krampfhaft um äußerliche Ruhe. Seine Tochter sollte nichts von der herrschenden Weißglut in ihm bemerken.

 

Oscar begann die weißen Blütenblätter in ihrer Handfläche zu zupfen. „Nicht den Schatten des Vorwurfs trage ich Euch gegenüber in mir. Sondern ganz im Gegenteil: Nur innige Dankbarkeit und Liebe für Eure wundervolle Erziehung, die mich stark und mutig gemacht hat.“

 

Was redete sie da? Sie war ihm sogar dankbar? Reynier war etwas überrascht, aber nicht angetan. Er wagte der Sache noch mehr auf den Grund zu gehen – in einem milderen Tonfall und wie ein verzweifelnder Vater. „Nein, Oscar. Du willst mich mit diesen Worten nur beruhigen, du willst mich nur trösten. Sag, dass alles nicht wahr ist. Aber ich habe einen großen Fehler gemacht. Du bist eine wunderschöne, junge Frau geworden, in der Blüte deines Lebens.“ Er senkte seinen Kopf. „Ich will dass du glücklich wirst. Ich werde alles dafür tun, was in meiner Macht steht. Wenn du Graf de Girodel nicht heiraten willst, dann werden wir dir einen anderen Gemahl auswählen, es geschieht alles nach deinem Wunsch...“

 

„Ich möchte niemanden heiraten, Vater...“ Oscar holte tief Luft und pustete die weichen Blätter von ihrer Handfläche. Niemandem außer Andre... Das blieb jedoch ungesagt.

 

Also doch! Der Verdacht bestätigte sich dem General mehr und mehr. Er musste handeln, er musste etwas unternehmen! Er konnte das nicht auf sich beruhen! „Wir werden sehen...“, sagte er bestimmend und das war das Ende des Gespräches. Oscar ging und er wartete noch eine kurze Weile. Dann donnerte er wütend mit der Faust gegen den Tisch. Die Vase erzitterte und klimperte, die Pfeife fiel vom Tisch auf den Boden und die Asche verschüttete sich über die weißen Rosenblätter, die Oscar zuvor gezupft hatte. Der General sah bitterböse darauf hin, wobei ihm das Bild eigentlich gleichgültig war und keine Bedeutung beimaß. In ihm keimte ein Plan auf. Darüber musste er aber mit dem König reden, denn nur seine Majestät konnte darauf ihm die Einwilligung geben. Und es musste schon bald geschehen, denn der Bauch von Oscar war nicht mehr zu übersehen...

 

 

 

 

 

Sophie duckte sich in der Dunkelheit des langen Korridors, als Lady Oscar das Arbeitszimmer ihres Vaters verließ. Sie atmete innerlich auf. Das Gespräch zwischen Vater und Tochter war diesmal gut gegangen. Trotzdem wollte eine gewisse Besorgnis sie nicht verlassen. Die Aussagen von Oscar hatten immer mehr die Vermutung bestätigt. Aber wieso blieb dann der General dabei so ruhig? Oder war seine Gelassenheit die sogenannte Ruhe vor dem Sturm? Ihm wäre dies durchaus zuzutrauen. Sophie musste unbedingt mit ihrem Enkel reden! Wenn schon ihr Schützling nichts verraten wollte, dann würde sie aus André sicherlich mehr herausbekommen! Sophie konnte allerdings erst am nächsten Tag ihren Enkel in der Kaserne besuchen.

 

André putzte gerade sein Gewehr, als ein Kamerad in das Quartier reinkam. „Hey, André!“

 

„Ja, was ist?“

 

„Jemand will dich sprechen!“

 

„Mich? Wer denn?“

 

„Eine alte Frau.“

 

André ließ sein Gewehr liegen und ging nach draußen. „Großmutter!“ Was für eine Überraschung!

 

„Ich bringe dir frische Wäsche.“ Sophie reichte ihm unerwartet ein mitgebrachten Stoffbeutel.

 

„Danke, das ist sehr lieb von Euch.“ André kratzte sich etwas wunderlich am Kopf, aber nahm die Wäsche trotzdem an sich.

 

„Eigentlich müsste ich dir böse sein, weil du der Söldnertruppe beigetreten bist. Aber Schwamm drüber. Wann hast du Urlaub? Wenn du Urlaub hast, kommst du bestimmt nach Hause?“ Auch Sophie übernahm vorerst die Taktik des Generals, indem sie nicht gleich direkt, sondern auf Umwegen die konkreten Details der Wahrheit herausfand.

 

„Ja, natürlich. Ich kann es kaum erwarten, dass es soweit ist. Ich habe furchtbare Sehnsucht nach Euren Kochkünsten. Das Essen hier schmeckt abscheulich.“ André lachte auf.

 

Sophie konnte seinen seligen Gesichtsausdruck nicht mehr ansehen und senkte auf einmal ihren Kopf. Der Arme! Entweder war er ahnungslos oder war ein genauso guter Schauspieler wie Lady Oscar. „Das kann ich mir vorstellen“, flüsterte sie.

 

André machte ihre Haltung sofort stutzig. „Was habt Ihr? Was ist?“

 

„Naja, mein Junge...“ Sophie wirkte unschlüssig. Aber vielleicht würde ihr Enkel ihr doch noch alles verraten und ehrlich mit ihr sein. Sie rückte ihre Brille zurecht, ohne den Blick zu heben. „...ich weiß nicht, ob ich dich damit belasten sollte...“

 

„Nun, erzählt schon!“ André fühlte sich plötzlich unbehaglich.

 

„Also gut, dann sollst du es erfahren...“ Sophie sah ihn doch noch prüfend an. „Es sieht danach aus, als ob unsere Lady Oscar bald heiraten wird...“

 

Das traf André hart, das sah sie ihm sofort an. „Was... was sagt Ihr?“ brachte er stockend und entsetzt von sich und erklärte seiner Großmutter damit alles. Ihr Schützling und ihr Enkel waren nicht mehr nur Freunde aus Kindertagen – sie waren ein Liebespaar und nicht nur das...

 

„André, mein Junge...“ Sophie wollte ihn noch mehr ausfragen, aber irgendwie konnte sie das nicht. Vielleicht ein anderes Mal... Immerhin musste er vorerst die Neuigkeit verkraften. Obwohl sie ihn oft zurecht wies und ihn gerne über jede Kleinigkeit tadelte, aber jetzt tat er ihr im tiefsten Winkel ihres Herzens schon leid. Und wie auch bei ihrem Schützling erwähnte sie daher nichts über den Verdacht. Sie verabschiedete sich von ihm sogleich und ging heimwärts.

 

André glaubte, ihm schwand der Boden unter den Füßen, so elend fühlte er sich. Immer und immer wieder kreisten die Worte seiner Großmutter in ihm, als sie bereits fortging: „...unsere Lady Oscar wird bald heiraten. Ihr Vater war überaus erfreut und hat bereits zugestimmt.“ Nein! Das konnte doch nicht wahr sein! André wartete, bis seine Großmutter außer Sicht war, dann wandte er sich ab und eilte in die Baracke zurück. Er wollte mit Oscar reden, sich vergewissern, dass ihre angebliche Heirat nur ein Irrtum, ein Missverständnis war!

 

Kaum dass er das Offiziersgebäude erreichte, ritt eine königliche Truppe in den Hof ein. André hörte das Hufklappern mehrerer Pferde hinter sich und eine tiefe Stimme, die ihm sehr bekannt war. „Halt! Bleib stehen, wenn du dich schon hier draußen aufhältst!“ Er blieb stehen, so wie auch die Truppe hinter ihm und drehte sich um. Er hatte sich nicht getäuscht. Das war der General höchstpersönlich. André salutierte. „Ihr wollt sicherlich zu Eurer Tochter...“, vermutete er.

 

„Nein, nicht jetzt...“ Ein zynisches Lächeln umspielte Reyniers Mundwinkel. „Du kommst mit uns!“, befahl er eisig und schnippte seinen Soldaten ein Zeichen mit den Fingern.

 

„Aber wieso...“ André war baff. Etwas stimmte hier nicht.

 

Zwei der Soldaten stiegen ab und umstellten ihn von beiden Seiten. Jedoch packten sie ihn nicht an, sondern warteten auf weitere Befehle des Generals. Dieser hatte ihnen schon zuvor die Anordnung gegeben, den Gefangenen nicht zu fesseln und gut zu behandeln, um den äußerlichen Schein zu wahren. Reynier erdolchte André fast schon mit seinem eisigen Blick und fasste die Zügel seines Pferdes noch fester. „Frag nicht, sondern steig auf dein Pferd. Das ist ein Befehl!“

 

André fügte sich, wohl oder übel. Ihm blieb ja keine andere Wahl.



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