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Lieben und geliebt werden

von

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Die Steuereintreiber

Oscar stand mit André vor ihrem zerstörten Haus und konnte es immer noch nicht glauben, was sie da sah. Die Türen waren aufgerissen und hingen quer in den Angel. Die Fenster waren zerstört und überall wuchs Unkraut. Das zweistöckige Gebäude mit dem kleinen Türmchen sah zwar noch stabil aus, aber war auch sehr angeschlagen. Das düstere und graue Herbstwetter verlieh ihm zusätzlich eine unheimliche Note, als würden dort Gespenster hausen.

 

Gilbert stand mit seinem Bruder in ihrer Nähe und wirkte mit ihm selbst erschüttert. Keiner sagte etwas, als wären die Worte überflüssig oder die Sprache abhanden gekommen.

 

„Das tut mir leid, Oscar...“, flüsterte André und Oscar konnte nicht anders, als ihre Hände zu Fäusten zu ballen. „Das soll dir nicht leid tun, André...“, berichtigte sie ihn leise und ihren Zorn herunterschluckend. „Das Haus kann man wiederaufbauen... oder dort aufräumen und dann ist es wieder bewohnbar... Komm, wir schauen lieber nach, was noch sonst darin übrig geblieben ist...“ Schleppend langsam setzte sie ihre Füße in Bewegung und mühte sich die Beherrschung beizubehalten. Die Menschen, die das getan hatten, konnten bestimmt nichts dafür. Es waren bestimmt die Verzweiflung, Hungersnot und Elend, die sie dazu getrieben hatten...

 

„Gilbert! Avel!“ Eine Bäuerin kam auf das Haus zugerannt und bewog Oscar stehen zu bleiben. Sie schaute sich achtsam um, denn die Bäuerin klang sehr besorgt und äußerst aufgebracht. „Hier steckt ihr also!“, schnaufte sie pausenlos und die Worte sprudelten wie ein Schwall Wasser aus ihr. „Gilbert, die Steuereintreiber sind wieder bei euch!“, teilte die Frau schnell mit, ohne Oscar und André vorerst zu beachten, die nur wenige Schritte von ihr und Gilbert mit dessen Bruder standen.

 

„Marguerite, unsere Schwester...“, murmelte Gilbert erzürnt und rannte so schnell wie er konnte los.

 

Oscar verstand den verborgenen Hintergrund nur zu gut. Auch sie zögerte keine Sekunde länger. Zusammen mit André hastete sie zu dem Wirtshaus zurück, stieg unverzüglich auf ihr Pferd und ritt im gestreckten Galopp zu Gilberts Bauernkate.

 

 

 

- - -

 

 

 

Die genannte Schwester war in den zwölf Jahren, seit Oscars letztem Besuch, zu einer jungen Frau herangereift und war Anfang zwanzig. Jedoch war sie unverheiratet, weil dafür die Mittel fehlten und lebte mit ihren beiden Brüdern, nach dem Ableben ihrer Eltern, weiterhin in diesem untergekommenen, kleinen Haus – aber die Hauptsache war, dass sie überhaupt noch einen Dach über den Kopf hatte, im Gegensatz zu manch anderen ihresgleichen.

 

Es war nicht das erste Mal, dass die Steuereintreiber sie aufsuchten - in den letzten Monaten häuften sich ihre Besuche immer mehr. Bisher beließen sie es nur bei den Drohungen und abfälligen Bemerkungen. Aber vielleicht nur, weil ihre Brüder, oder wenigstens einer von ihnen, immer bei ihr waren. Heute jedoch nicht. Heute war sie alleine mit ihnen. Und heute beließen sie es nicht nur bei den leeren Worten. „Wir gehen nicht, bist du die Schulden beglichen hast!“

 

„Aber Monsieur Vicedo... Wir haben nichts...“, wisperte die junge Frau ängstlich. Es war ihr anzusehen, dass sie sich von dem Steuereintreiber und dessen zwei Gehilfen fürchtete.

 

„Halt deinen Mund! Das hast uns auch letztes Mal gesagt!“ Die Männer kamen bedrohlich immer näher auf sie zu und die beiden Gehilfen umkreisten sie von beiden Seiten wie Wölfe ein schutzloses Lämmchen.

 

Marguerite wich mit kleinen Schritten zurück, bis sie die Wand im Rücken stoppen ließ und sie damit in die Enge getrieben wurde. „Aber es ist die Wahrheit...“ Sie schluckte bangen Herzens und bettete stumm, die Männer mögen sie in Ruhe lassen und ihr nichts Schlimmes antun.

 

„Nun... Es gibt auch andere Zahlungsmittel...“ Vicedo grinste anzüglich und seine beiden Gehilfen bleckten begierig ihre Zähne. Das hieß nichts Gutes! Alle drei kamen zu nahe an sie heran und zwei Gehilfen packten sie schon bei den Armen, damit sie sich weder wehren, noch weglaufen konnte. „Wenn du nett zu uns bist, dann können wir eure Pacht als die Hälfte abbezahlt gelten lassen...“

 

„Nein!“ Die junge Frau zitterte. Sie ahnte, was ihr bevorstand. „Bitte nicht...“

 

„Oh, doch Schätzchen!“ Vicedo umfasste grob ihr Gesicht mit seiner Pranke, seine Gehilfen zerrten ihre Arme ihr über den Kopf und drückten ihre dürren Gelenke gegen die Wand. Deren Anführer in der Mitte ließ eine Hand schon an ihrer Oberweite herabgleiten, krallte seine Finger in ihren Ausschnitt und mit der anderen Hand raffte er ihr die Röcke hoch. „Wir haben dich gewarnt...“

 

„Sie hat aber nein gesagt!“, donnerte es urplötzlich durch die gesamte Bauernkate grollend. „Lasst sie auf der Stelle los, sonst bekommt ihr es mit mir zu tun!“

 

Alle drei drehten überrascht ihre Köpfe, aber ließen nicht die junge Frau los. Sie sahen einen jungen, blondgelockten Adligen den Raum betreten. Hinter ihm folgte ein dunkelhaariger Mann, dessen linke Gesichtshälfte mit seinem Haar fast vollständig verdeckt war. Und alle beide hatten schon ihre Degen gezogen. „Wer seid Ihr denn überhaupt?“, höhnte der Steuereintreiber und seine Nasenflügel blähten sich auf.

 

„Mein Name ist Oscar Francios de Jarjayes und ihr, werte Messieurs, befindet euch auf meinem Familienbesitz! Das heißt, ihr habt hier nichts zu suchen!“ Oscar wurde immer grimmiger, als die Männer keine Anstalten machten, die junge Bäuerin loszulassen.

 

„Und wir sind die Steuereintreiber. Ihr solltet froh sein, dass wir hier sind, sonst würde dieses fauler Pack nämlich Euch nichts mehr zahlen wollen...“ Vicedo spuckte abfällig zur Seite und wandte sich gänzlich Oscar zu.

 

„Das heißt aber nicht, dass ihr die Bauern drangsalieren und über arme Frauen herfallen sollt!“ Oscar schnaufte schon angriffslustig. „Verschwindet!“, ordnete sie an. „Da ich jetzt hier bin, übernehme ich die Führung und sorge für Ordnung!“

 

„Wie Ihr meint.“ Vicedo passte diese Aufforderung ganz und gar nicht, aber da er unteren Ranges war, musste er sich beugen. Er nickte seinen Gehilfen zu und diese ließen die junge Frau los. „Wir gehen.“

 

Die junge Frau stand zittrig und mit butterweichen Knien an der modrigen Wand gelehnt. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete sie Oscar und ihren Begleiter. „Ihr... Ihr seid wieder zurück...“

 

„Der Spuk ist vorbei.“ Oscar bewegte sich mit langsamen Schritten auf sie zu. „Haben sie dir etwas angetan?“

 

Marguerite schüttelte verneinend den Kopf. „Ihr... Ihr seid noch rechtzeitig gekommen, Lady Oscar... Ich danke Euch vielmals...“

 

„Schon gut.“ Oscar musste unwillkürlich schmunzeln. Im Gegensatz zu ihren Brüdern hatte sie sie erkannt. Und als hätte man die zwei gerufen, stürmten sie eilends in das Haus. „Schwester!“ Schützend und umsorgt gaben sie ihr den nötigen Halt.

 

„Es ist wieder alles in Ordnung“, sagte die junge Frau beruhigend zu ihren Brüdern. „Lady Oscar ist doch wieder da. Es wird also alles wieder gut sein.“

 

Gilbert atmete hörbar auf. Diesmal war die Sache mit den Steuereintreibern wieder einmal gut gegangen. Er sah sogleich zu Oscar. „Wir stehen tief in Eurer Schuld und würden alles Mögliche tun, um sie zu begleichen.“

 

„Das braucht ihr nicht.“ Oscar ließ ihn nicht zu Ende sprechen. „Ich bin froh, noch rechtzeitig gekommen zu sein. Ich wusste gar nicht, dass es hier noch schlimmer geworden ist, als es schon bei meinem letzten Aufenthalt gewesen war... Deshalb bleibe ich für eine Weile hier und sorge für Ordnung.“ Oscar wandte sich von den Geschwistern ab. „André, komm, lass uns gehen. Ich möchte noch nachsehen, wie gut mein Haus noch bewohnbar ist.“

 

„In Ordnung, Oscar.“

 

„Lady Oscar!“ Gilbert ließ seine Schwester los und stand schon vor Oscar. „Ich weiß, Ihr wollt von uns nichts, aber bitte, lasst uns Euch beim Wiederaufbau des Hauses helfen.“

 

„Nun...“ Oscar war sich nicht sicher. Sie wollte deren Leistung nicht in Anspruch nehmen, da sie kaum was hatten.

 

„Bitte, Lady Oscar!“ Seine Schwester war auch schon bei ihnen. „Lasst uns Euch auf diese Weise für Eure Güte etwas zurückgeben... Es wird uns eine Ehre sein, Euch helfen zu können...“

 

„Und ich kann auch in der Nachbarschaft ein paar helfende Hände mehr anfragen.“ Der jüngere Avel schloss sich auch mit an.

 

„Also gut...“, gab Oscar widerstrebend nach. So gesehen, hatte sie diese helfende Hände gut gebraucht. „Und ich werde euch natürlich dafür gut entlohnen.“

 

Avel stürmte bereits aus dem Haus, kaum dass Oscar ihr Einverständnis gegeben hatte. Nicht lange und es versammelten sich schon bald einige Bauern um das zerstörte Haus von Oscar, als sie dorthin zurückgekehrt war. Einige von den Menschen waren auch die Diebe und brachten das kleine Diebesgut zurück, beziehungsweise was davon übrig geblieben war oder sie noch nicht verscherbeln konnten. Oscar zog sie nicht zu Rechenschaft – die armen Menschen hatten ja schon genug zu leiden.



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