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Lieben und geliebt werden

von

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Rückkehr

„Bist du denn verrückt geworden?!“, empörte sich André, als Alain ihn besuchte und ihm ganz vergnügt über seine Tat berichtete.

 

„Nun, etwas musste ich mir doch einfallen lassen, wenn du das schon nicht machst“, erwiderte er achselzuckend und grinste immer breiter. Die Begegnung mit Oscar hatte er nicht erwartet, aber dennoch konnte er sich ein Bild von ihr machen und das meiste, was er schon über sie durch kursierende Gerüchte in Paris gehört hatte, traf auf sie auch zu: Eine stolze Erscheinung brachte sie in der Tat hervor und ließ sich auch vor niemanden etwas sagen – wie halt jede Adlige, die nur auf ihr eigenes Wohl bedacht war. Alain hatte diesem selbstgerechten Mannsweib ein Schnippchen geschlagen und ihre Reaktion amüsierte ihn noch immer.

 

„Aber doch nicht, dass ich angeblich vorhabe, deine Schwester zu heiraten! Ich kenne sie nicht einmal!“ André hätte ihm liebend gern das Grinsen aus dem Gesicht geschlagen. Allerdings gehörte er nicht zu dieser Sorte von Menschen und focht lieber vorerst mit Worten, anstelle mit Fäusten.

 

„Beruhige dich doch! Das hat sie nicht einmal gerührt und sie ist einfach gegangen. Ich schließe daraus, dass sie deine Gefühle nicht teilt.“ Alain lehnte sich ganz entspannt an die Wand, verschränkte seine Arme vor der Brust und überkreuzte seine Fußknöchel. Sein Freund tat ihm beinahe leid, wie er sich da wegen dieser Frau in Männerkleidern aufführte. Die meisten Adligen waren doch bekanntlich im Herzen verkommen!

 

„Das glaube ich nicht! Ich kenne Oscar besser als jeder andere – sogar besser als ihre eigenen Eltern! So ist sie nicht! Oscar ist der gütigste Mensch, den ich kenne!“ André war äußerst aufgebracht. Das war ein Fehler, sich auf solch einen Plan einzulassen! Das musste er wieder gut machen! André wusste nicht, wie viel er ausgeplaudert hatte, aber dank dem Bier offensichtlich mehr als es ihm lieb war. Daran konnte er aber nichts mehr ändern. Er musste die Sache gerade biegen – der Plan war nun schiefgelaufen und er durfte sich daher nicht mehr verstecken! Den Ratschlag von Alain am ersten Abend vor einer Woche hatte er angenommen, um nur aus Neugier zu sehen, ob etwas passieren würde. Alain hatte ihm an dem Abend vorgeschlagen, ein paar Tage vom Anwesen fernzubleiben, um Oscars Gefühle zu prüfen und ob er ihr etwas bedeutete.

André hatte lange überlegt, bis er schließlich zugestimmt hatte und noch in derselben Nacht wie ein Dieb auf das Anwesen zurückgekehrt war, ein paar Sachen genommen hatte und genauso lautlos wieder verschwunden war. Er hatte in dem Gasthaus, wo er mit Alain Bekanntschaft geschlossen hatte, ein Zimmer gemietet und es aus seinen mitgenommenen Ersparnissen bezahlt. Und heute sollte Alain nur seiner Großmutter übermitteln, dass es ihm gut ging, mehr nicht. Von einer angeblichen Heirat war nie die Rede gewesen!

 

„...das weißt du besser.“, hörte er Alain unbeeindruckt sagen: „Aber so eine Frau ist bestimmt schwierig zu lieben.“

 

„Ich muss zu ihr!“ André zögerte keine einzige Sekunde mehr und Alain staunte nicht schlecht, als André in Windeseile seine Sachen packte. „Ich danke dir für alles, Alain.“ Zugegeben, André konnte auf Alain nicht böse sein, denn im Grunde genommen hatte er alles sich selbst zuzuschreiben.

 

„Keine Ursache.“ Alain hielt ihn nicht auf. Wozu denn auch? Das war ja auch nicht seine Angelegenheit. Er hatte getan was er konnte und der Rest lag an André selbst. „Aber wenn du etwas brauchst, kannst immer zu mir kommen. Du weißt wann und wo du mich finden kannst.“ Nun gut, so gleichgültig war ihm André doch auch nicht und wenn er es sich genauer überlegte, dann würde er ihm jederzeit gerne zur Seite stehen und ihm helfen – immerhin war André genauso ein Bürgerlicher wie er.

 

„Danke, das weiß ich zu schätzen.“ André verließ mit ihm das Zimmer, bezahlte seine Zeche beim Wirt in der Gaststube im ersten Stockwerk und verabschiedete sich dann draußen von seinem neuen Freund mit einem kräftigen Handdruck.

 

 

 

- - -

 

 

 

Je näher André sich dem Anwesen der de Jarjayes auf seinem Braunen nährte, desto unbehaglicher wurde es ihm. André war nur eine knappe Woche fort gewesen, aber ihm kam es so vor, als hätte er sich jahrelang hier nicht mehr blicken lassen. Er musste den Sprung ins kalte Wasser wagen und seinen Mann stehen – egal welche Folgen es auf sich ziehen mag. Vor allem von Oscar. Denn nun betrachtete er sein Vergehen mit nüchternem Auge – nicht sturzbetrunken wie noch vor einigen Tagen, als er seinen Liebeskummer mit Bier zu ertränken versucht und daher sich auf die Ratschläge von Alain eingelassen hatte.

 

André zügelte sein Pferd vor dem großen Eisentor, holte tief Luft und ritt wieder an. Vor dem Stall stieg er aus dem Sattel, führte seinen Braunen in die Box, sattelte ihn ab und versorgte ihn schnell, bevor er in das Haus ging.

 

Auf dem Weg durch den Hof und beim Betreten des Anwesens musste er sich öfters zur Ordnung rufen und jeden weiteren Schritt, der ihn durch die Empfangshalle des ersten Hauptgebäudes brachte, mehrmals überwinden. Dabei mied er all die erstaunten und fragenden Blicke der Bediensteten, die ihn regelrecht zu durchlöchern schienen. Zugegeben war ihm das halb so wichtig. André wappnete sich innerlich auf das Wiedersehen mit Oscar – wenn sie ihn überhaupt noch sehen wollte!

 

In der Küche, gleich in dem unteren Stockwerk, traf er gewohnheitsgemäß auf seine Großmutter. Auch Rosalie war mit dabei. „Seid gegrüßt, ich bin wieder zurück“, meldete sich André von der Türschwelle – kleinlaut und schuldbewusst.

 

Beide Frauen hielten in ihrer Tätigkeit erschrocken inne, als hätten sie gerade einen Geist gesehen. „André!“ Sophie ließ alles stehen und liegen und warf sich in die Arme ihres Enkels. Eigentlich wollte sie ihn tadeln, aber in diesem Augenblick kam es ihr nicht mehr in den Sinn. „Gott sei Dank, du bist wieder da! Wo warst du?! Wie konntest du uns das antun?!“

 

„Entschuldigt meine Abwesenheit, aber ich hatte meine Gründe...“, versuchte André seine Großmutter zu beruhigen und legte vorsichtig seine Arme um ihren rundlichen Körper.

 

Diese entriss sich aus seiner Umarmung und strafte ihn mit einem bitterbösen Blick. „Was für Gründe sollten es sein?!“

 

André wich ihrem Blick aus. „Es tut mir leid, aber ich kann es Euch nicht sagen...“

 

„Ach, dann stimmt es also!“ Sophie ließ sich nicht einfach so abwimmeln. Sie glaubte die Gründe zu kennen. „Du hast in der Tat vor zu heiraten und willst uns nicht verraten, wer das ist?!“

 

„Nein!“ André war zu tiefst erschrocken. „Alain hat sich das ausgedacht! Ich kenne seine Schwester nicht einmal!“, rechtfertigte er sich verdattert.

 

Sophie wollte ihm glauben, aber die Idee, dass ihr Enkel heiraten und eine Familie gründen würde, ließ das nicht zu. „Nun, viele Paare kennen sich vor der Hochzeit nicht...“

 

„Aber ich werde niemanden heiraten, den ich nicht kenne. Geschweige denn, den ich nicht liebe!“, platzte es aus André heraus und zu spät biss er sich auf die Zunge. Über die Liebe wollte er erst recht nicht mit seiner Großmutter diskutieren.

 

Diese beäugte ihn unschlüssig, dann rückte sie ihre runde Brille zurecht und ging zu der Kochstelle zurück. „Das nehme ich dir diesmal ab, mein Junge! Aber merk dir, in Zukunft tust du so etwas nie wieder!“

 

„Das schwöre ich Euch, Großmutter, hoch und heilig!“ André war innerlich etwas erleichtert. Seine Großmutter konnte er besänftigen, aber das Schwierigste stand ihm noch bevor: Das Wiedersehen mit Oscar. Er sah flüchtig zu Rosalie, die am Tisch den Brotteig knetete und nun mit weit geöffneten Augen auf ihn starrte. „Wo ist Oscar?“, fragte er so neutral wie möglich. „Ihr Schimmel war nicht im Stall. Ist sie wieder in Versailles?“

 

„Lady Oscar hat nach dir jeden Tag gesucht“, offenbarte ihm Sophie, ohne direkt auf seine Frage zu antworten. Sie widmete sich dem großen Ofen und schürte dort das Feuer für das Brot.

 

Rosalie erwachte aus ihrer Starre und senkte etwas ihren Kopf. Nein, André hatte seine unerwiderte Liebe zu Lady Oscar nicht überwunden und das würde er nie tun können. Das hatte Rosalie gerade in seinen leicht verzweifelten Blicken herausgelesen und er tat ihr noch mehr leid. „Nachdem dein Freund hier war, ist sie zum See fortgeritten. Sie sagte, sie will allein sein und weiß nicht, wann sie zurückkommt“, offenbarte sie ihm leise.

 

André hatte sie dennoch verstanden. „Danke, Rosalie.“ Er wirbelte sogleich herum und hastete aus der Küche.

 

„Meine arme Lady Oscar, mit so einem Taugenichts von Freund bestraft zu werden...“, seufzte Sophie, aber korrigierte sich gleich. „Aber die Hauptsache ist, dass er wieder da ist und ihm nichts fehlt...“

 

Rosalie dachte bei sich dagegen etwas anderes: Armer André... Er liebt Lady Oscar so sehr, aber kann es ihr nicht sagen... Deshalb ist er wahrscheinlich weggelaufen, aber selbst er ist daran gescheitert... Jetzt ist er wieder da, aber ob es ihm dadurch besser gehen wird...

 

 

 

- - -

 

 

 

Oscar saß unter einem Baum – die Augen geschlossen, den Kopf in den Nacken gelegt und ein Bein an sich gezogen. Lichtstrahlen, die durch Äste des alten Baumes brachen, tanzten auf ihrem Gesicht. Sie sah entspannt aus, aber dem war nicht so. In ihr herrschte ein Chaos und sie versuchte es zu unterdrücken. Immer wieder geisterten die Worte von diesem Söldner in ihrem Kopf und wollten sie nicht loslassen. André! Wie konnte er nur?! War er etwa wirklich so liebestrunken und verzweifelt, dass er deshalb fortgegangen war? Und was sollte das die Sache mit der Heirat?! Das passte nicht zu dem, was er ihr schon zwei Mal offenbart hatte: Nämlich seine Liebe zu ihr!

 

Entfernte Hufschläge eines Pferdes rissen sie aus den hoffnungslosen Grübeleien. Schlagartig öffnete sie die Augen und horchte auf. Diesen Galopp kannte sie nur zu gut. Sie erhob sich auf alles bereit und sah bereits das braune Pferd, das auf sie zu ritt. Ihr Herz jubelte, ihr Verstand dagegen warnte sie vor der voreiligen Freude. Sie zog ihre Stirn kraus. Zuerst würde sie sehen, was er ihr zu sagen hatte und dann entscheiden, wie es mit ihnen weiter gehen würde – auch wenn sie sich innerlich freute, ihn wieder zu sehen. Anscheinend hatte dieser Alain nicht gelogen – André war in der Tat in guter Verfassung: Sein dunkelbraunes Haar, das mit einer Schleife zu einem Zopf gebunden war, wehte um die Wette mit der Mähne seines Pferdes. Keine verräterischen Anzeichen waren an seinem Körper zu sehen – nicht einmal die von der vergangenen Schlägerei wiesen darauf hin, dass es ihm schlecht ging. Nur etwas dünner wirkte er, obwohl er schon immer eine schlanke Statur besessen hatte.

 

 

 

Wenige Schritte vor ihr verlangsamte André sein Pferd und stieg ab. Langsam ging er auf Oscar zu und verbat sich jegliche Gefühlsregungen. Oscar durfte nichts davon merken, was gerade in ihm vorging. Dann blieb er direkt vor ihr stehen und sie sahen sich stumm an – bis es beiden unerträglich wurde. „Ich bin wieder da...“, brach André als erster das Schweigen.

 

„Das sehe ich...“, erwiderte Oscar kühl – innerlich zitterte sie jedoch aufgebracht. „Schön, dass du dich blicken lässt...“

 

„Oscar, ich bin hier um mich zu entschuldigen...“, begann André und wurde prompt von Oscar unterbrochen: „Sprich nicht weiter! Denkst du, dass macht die Sache leichter? Erst überfällst du mich mit deiner Liebe, dann verschwindest du spurlos und jetzt heißt es, dass du bald heiratest?! Was soll das André?“ Das war nun raus! Sie konnte ihre aufgestaute Wut und Sorge nicht mehr zügeln. André sollte spüren, was er angerichtet hatte!

 

Und das tat er. Die Gewissensbisse wurden immer schlimmer und zerrissen ihn in kleinste Stücke. Wie ein Häufchen Elend stand er da und versuchte zu erklären: „Oscar, bitte glaube mir, ich heirate nicht! Alain hat es sich nur ausgedacht! Das war ein falsches Spiel und es tut mir aufrichtig leid, was ich getan habe! Ich schwöre dir, ich werde es nie wieder tun!“

 

„Nun...“ Oscar wollte ihm glauben, aber ein gewisser Zweifel ließ das nicht zu.

 

„Bitte, Oscar...“ Die Stimme von André klang immer flehender und seine Haltung sank beinahe niedergeschlagen in sich zusammen. „Die einzige Frau die ich...“

 

„Nein!“, schnitt Oscar ihm schroff das Wort ab. Genau das wollte sie jetzt nicht hören! Nicht von ihm! Sie verletzte ihn mit ihrer Zurückweisung mehr denn je, das spürte sie und das tat ihr gleichzeitig auch leid, aber es gab keinen anderen Weg wenn sie ihre Freundschaft behalten wollte wie es früher gewesen war. Ihre blauen Augen funkelten, zerrissen ihn in kleinste Stücke und zerbrachen die kleine Hoffnung, an die er wie an einem Strohhalm verzweifelt klammerte. Mehr und mehr sank seine Haltung zusammen, seine Schultern hingen mutlos, seine grünen Augen, die früher in seiner Kindheit so viel von Freude und Glückseligkeit gestrahlt hatten, wurden glasiger. André verachtete sich für seine Hilflosigkeit und dass er dies nicht vor ihr verbergen konnte. Abrupt wandte er sich ab und fuhr sich verächtlich mit dem Ärmel über die Augen. „Dann kann ich wieder gehen...“ Was hatte er hier noch zu suchen?! Oscar hatte ihm deutlich gezeigt, was sie von ihm und seinem Vergehen hielt! Ihre Worte und ganz besonders der eisige Blick glichen einer offenen Abfuhr! Nein, es war mehr ein Gnadenstoß, den sie ihm gerade erbarmungslos gegeben hatte! Wie konnte er jemals glauben oder gar hoffen, dass sie ihm verzeihen würde? Aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt... und nun starb er ebenso...

 

André schob seinen Fuß in den Steigbügel, als ihre Stimme hinter ihm ertönte und ihn inne halten ließ: „André, warte!“ Was wollte sie noch von ihm?

 

Oscar bekam plötzlich das Gefühl, dass er jetzt für immer fortreiten und sie alleine zurücklassen würde – diesen Ausgang wollte sie auf keinen Fall. Sie schluckte ihre Wut herunter und suchte nach passenden Worten: „André...“ Sie versuchte etwas versöhnlicher zu klingen: „Ich verzeihe dir deinen Schwindel und ich glaube dir, aber es ist einfach viel geschehen...“ Sie unterbrach sich kurz, atmete tief ein und fuhr schnell fort, bevor André noch etwas sagte oder sein Vorhaben in die Tat umsetzte. „...du bist nun wieder zurück und das ist Hauptsache... Lass uns nicht mehr darüber reden, denn sonst werden wir keine Freunde mehr sein können.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  chrizzly
2017-04-01T20:05:06+00:00 01.04.2017 22:05
Kinder? Prolog? Hab ich was nicht mitbekommen??? 😌😌😌😌
Antwort von:  Saph_ira
03.04.2017 19:05
Nun ja, im Prolog stande doch, dass sie zwei Kinder miteinander haben, bevor sie sich trennten. ;-) :-)
Von:  chrizzly
2017-03-27T19:25:36+00:00 27.03.2017 21:25
Toll toll toll. Du machst es diesmal ganz schön spannend. Ob Oscar doch nun irgendwann endlich mal ihre wahren Gefühle zulässt? ..... 😘😘😘😘😘
Antwort von:  Saph_ira
29.03.2017 17:19
Vielen lieben Dank. :-* Irgendwann, früher oder später, wird Oscar ihre Gefühle zulassen, sonst würden die zwei Kinder aus dem Prolog gar nicht existieren können. ;-)


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