Zum Inhalt der Seite

Der Glasgarten

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Sinister fate

Sinister fate
 


 

„Jei ist ein Empath, für ihn ist es ein Leichtes alle ANDEREN in Berserker – in einen Zustand des Blutrausches zu versetzen“, kürzte Schuldig das Gestammel ab. Deshalb haben ihm SZ diesen Namen gegeben.“
 

„Wie oft hat er das getan?“, fragte Aya ging hinüber zu Brad und reichte ihm die Miso, der sie mit einem direkten Blick in seine Augen entgegennahm.
 

„Ein, vielleicht zwei Mal“, meinte Schuldig.
 

„Nein. Es waren zwei Mal“, korrigierte Brad und setzte die Schale mit der Miso an die Lippen, um einen Schluck zu nehmen.

„Als Nagi in Gefahr war und einmal bei Schuldig.“
 

„Was spielt das für eine Rolle?“ fragte Omi, als Aya ihm die Suppe reichte.
 

„Warte Omi“, meinte Aya dazu, wies Nagi mittels der Miso, die er an seinen Platz stellte, an sich zu setzen. Er bemerkte wie nervös der Junge war.
 

Schuldig zog sich selbst und Aya einen Barhocker heran.
 

„Bei diesem Problem muss ich eines voraus schicken: Wir wissen nicht genau, warum er das tut. Wir haben bisher vermutet, dass es eine seiner stärksten Fähigkeiten ist. Die letzte Möglichkeit.“
 

„Klarer Fall: Wenn die Familie bedroht ist“, zuckte Omi mit den Schultern. „Was ist also passiert als er es bei euch einsetzte?“
 

Schuldig nahm seine Essstäbchen und fischte Gemüse aus der Suppe, die so herrlich duftend vor ihm stand.

Er brauchte lange für die Antwort. Dummerweise half ihm niemand dabei. Erst als Ran sich neben ihn setzte und ihm als einzigen ein kleines Tablett zuschob, dass liebevoll mit acht Sushi bestückt war, die nur aus seinen Lieblingen bestanden, fand er Worte zur Umschreibung der Situation von...
 

„Damals… als ich wieder zu mir kam hatte ich keine Ahnung wer, oder wo ich war, noch was ich getan hatte. Aber es lebte keiner mehr, der die Situation zuvor ausgelöst hatte…“
 

Brad sah der öffentlichen Geiselung zu und beschloss dem ein Ende zu setzen. „Wir brauchten zwei Wochen um das Chaos zu beseitigen. Bei Nagis Berserkerzustand konnten wir nicht mehr viel machen, wir bauschten es als Erdrutsch auf, legten ein paar Brände… es war schwierig.“
 

„Ich verstehe“, sagte Aya. „Mir leuchtet aber nicht ein warum du Jei dann mit Yohji zu diesem Arzt gebracht hast, wenn du davon ausgehst, dass er Yohji möglicherweise damit einen Schutz bietet. Er hätte diesen zweifelhaften Schutz überhaupt nicht nötig, wenn du ihn nicht dort runter gebracht hättest.“
 

„Ich konnte Jei nicht in irgendeine Klinik bringen, er brauchte eine Operation. Das war die schnellste Möglichkeit und ich wollte ihn nicht alleine dort lassen. Wir brauchten einen Kontakt dort unten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre es eine Katastrophe ihn in ein anderes Krankenhaus zu bringen.“
 

„Der Doc mag keine Kommunikation nach außen. Sie sind von der Außenwelt abgeschnitten, wenn ihr so wollt. Kudou ist meine Verbindung“, fügte Schuldig hinzu.
 

„Ich habe nicht vor zuzulassen, dass Yohji ein Massaker begeht. Das würde er nicht verkraften“, sagte Aya. Ihm war nicht egal was Yohji mit diesen Männern vielleicht tun würde. Er hatte keinen Einfluss darauf, was Jei mit seiner Umgebung anrichtete, aber er hatte die Befürchtung, dass Yohji sich Vorwürfe machen würde.
 

„Oh bitte, Ran“, murmelte Schuldig seufzend. „Bevor du Partei für diese Ratten ergreifst will ich dir sagen, dass deren Vorstrafenregister so lang wie meine Psychopharmakaschublade voll ist.“
 

Aya hob eine Augenbraue. Er rutschte vom Hocker und nahm seine Kaffeetasse an sich um sich nachzuschenken. Benannte Schublade war einmal sehr voll gewesen, wie er sich erinnerte. Das war noch in Schuldigs alter Wohnung gewesen.
 

„Ich weiß nicht was passieren wird. Ich sehe nichts über die beiden“, sagte Crawford und tat es Ran gleich, um sich von ihm Kaffee einschenken zu lassen.
 

„Und das ist mit Sicherheit kein gutes Zeichen“, seufzte Aya.
 

„Nicht unbedingt. Es gibt nur Wichtigeres, das ist alles“, erwiderte Brad und ging zu seinem Platz zurück.
 

Aya kam zurück zum Tisch und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Also gut. Machen wir weiter.“
 

„Weiter?“ fragte Omi fassungslos und verharrte darin sich sein Sushi zum Mund zu führen. „Du willst Yohji einfach dort lassen?“
 

Aya runzelte minimal die Stirn, sein Blick glitt durch verirrte Haarsträhnen zu Omi hinüber. Das Violett war scharf und dunkel in seiner Intensität als es auf Omis unbedarftes Blau traf.

„Ja, einfach so.“ Allein durch die Betonung der Worte drückte er aus, wie wenig einfach er das alles fand.

„Es ist keine Situation die ich mir wünsche Omi, aber sie haben Yohji zum zweiten Mal aufgelauert. Ich will ihn aus der Schusslinie haben. Und wenn er selbst entschieden hat bei Jei zu bleiben, dann ist es jetzt so. Wir bräuchten jetzt beide.“
 

„Das Problem ist auch, dass wir nicht wissen wie Jei reagiert wenn er aufwacht. Das wird sich zeigen, aber auch wenn Kudou verdammt blond ist, ich trau ihm zu, dass er die Situation in den Griff bekommt“, brummte Schuldig als Zugeständnis an Kudous Restgehirnzellen.
 

„Ich werde ihm ausrichten, dass du große Stücke auf ihn hältst“, meinte Omi säuerlich dazu und schob sich das Sushi in den Mund. Auf der großen Platte vor ihnen lagen noch viele Teile die es zu verschlingen galt. Ein Blick hinüber zu Nagis Teller zeigte ihm gähnende Leere. Nagi musste etwas essen.
 

„Wenn es stimmt was ihr erzählt habt… dann betrachtet Jei Kudou vielleicht als Familie…“, begann Nagi und wurde prompt von Schuldig unterbrochen.
 

„Nein…schlimmer, Kleiner. Er betrachtet ihn als Eigentum.“ Er hob die Hand in Richtung Ran, da dieser schon anheben wollte um Einspruch zu erheben.
 

„Lassen Sie mich diesen Punkt näher ausführen, Euer Ehren.“
 

„Iss lieber dein Frühstück“, sagte Aya düster und stöhnte innerlich. Er fing einen grinsenden Blick von Omi auf, der sich offenbar darüber freute, dass Aya einen bösen, nervigen Freund hatte.
 

„Was soll das denn jetzt heißen?“, fühlte sich Schuldig ungerecht behandelt.
 

„Dass du den Mund halten sollst“, knurrte Aya.
 

Schuldig hob dazu an, etwas zu sagen und schob sich stattdessen ein Sushi in den Mund. Dann eben nicht.
 

Nagi sah zu Aya. Er fand, dass der Ältere mit Schuldig wirklich ein schweres Los gezogen hatte. Er konnte nur hoffen, dass Fujimiya von ihnen beiden nicht so dachte. Nagi sah zu Omi, der seinen Blick aufmunternd erwiderte, obwohl er darin Sorge las.

„Jei hat keinen Besitz“, sagte Nagi zu Aya.
 

Dieser hob fragend eine Braue.
 

„Och Mensch, Nagi, was soll das?“, meckerte Schuldig.
 

Doch Nagi warf Schuldig nur einen abschätzigen Blick zu, bevor er wieder zu Ran sah.

„Er betrachtet Eigentum nicht so wie wir es verstehen, oder Schuldig dies vielleicht tut.“ Nagi lächelte ein feines aber hinterhältiges Lächeln in Richtung Schuldig.

Schuldig schnaubte, hielt sich aber zurück.

„Jei besitzt nicht einmal ein T-Shirt, oder einen Wagen, oder ein Konto. Nicht in seiner Vorstellung. Im Grunde genommen kann er sich alles nehmen, denn es kümmert ihn nicht ob ihm etwas gehört oder nicht“, sagte er nur etwas lahm.
 

„Das kann auch bedeuten, dass er sich einfach alles nimmt weil er davon ausgeht, dass es ihm ohnehin schon gehört“, wandte Omi ein.
 

„Nein“, Nagi schüttelte einmal den Kopf. „Dazu ist er zu passiv.“
 

Schuldig grinste in sich hinein. Ja, sicher … passiv. Am Arsch. So passiv, dass ihm schon zwei Rennmaschinen fehlten, die Jei dummerweise irgendwo hingestellt aber leider, leider vergessen hatte wo genau. Zu dumm.

Jei war ein Dieb. Aber wer war ER, dass er das an die große Glocke hing?

Jei wusste sehr wohl was Eigentum anderer war und was nicht. Nagi hatte da eine etwas verklärte Sichtweise, fürchtete Schuldig. Das lag wohl daran, dass Jei und der Telekinet eine engere Beziehung hatten. Nagi hatte sich in der Vergangenheit sehr viel um Jei gekümmert, wenn dieser das nicht getan hatte.

Ganz durchschaut hatte Schuldig Jei immer noch nicht, auch wenn er fest davon überzeugt war, dass der Empath nicht so entrückt und unselbstständig war wie er es ihnen präsentierte. Sehr oft, jedoch nicht immer.
 

„Du erwähntest, dass diese Ratte, die der in China verdammt ähnelt, sagte dass wir einer Freundin helfen sollten. Wie war der genaue Wortlaut?“, fragte Brad.
 

„Ich möchte dass Sie einer Freundin helfen“, gab Schuldig das wider was er bei Kudou gelesen hatte.
 

„Er sagte nicht ‚meiner Freundin‘, sondern ‚einer Freundin‘“, sagte Brad nachdenklich.
 

„Inwiefern spielt das eine Rolle? Wir wissen ohnehin noch nicht, um wen es sich handelt“, gab Aya zu Bedenken. „Mich würde es aber nicht wundern wenn wir sie kennen würden.“ Er starrte Brad an, der seinen Blick nach einem Schluck aus der Tasse ebenso intensiv erwiderte.
 

„Manx?“ riet Omi.
 

„Nein. Es könnte Eve sein. Aber wenn es tatsächlich sie ist, die hinter dieser Botschaft steckt, dann hat sie etwas mit diesem Typen von Sin zu tun.“
 

„Gut, nehmen wir das einmal an. Das hieße dann, dass unsere Jungs aus Langley mit Sin und der Sakurakawa Gruppe etwas am Laufen halten und wir sollen mitmischen. Denn der Typ meinte zu Yohji, dass wir gefälligst unseren Job machen sollen. Wie auch immer der auszusehen hat. Ich frage mich immer noch warum der Kerl mich aus China zurückgeholt hat“, zuckte Schuldig mit den Schultern.
 

„Er hat dir übrigens ein kleines Souvenir zur Erinnerung an diese Sache mitgeschickt. Es ist zumindest anzunehmen, dass es daran erinnern soll“, sagte Brad.
 

„Was ist es?“ Aya konnte sich diese Frage nicht verbieten, auch wenn er davor zurückschreckte benanntes Souvenir sehen zu wollen.
 

„Der Leichensack , in den sie Schuldig steckten als sie die gefakten Fotos machten. Der Spaßvogel hat sogar die Identifikationsnummer mit reingeworfen und auf die Rückseite hat er in großen roten Lettern: made in china geschrieben.“
 

„Damit auch der letzte Vollidiot das versteht, schon klar. Das könnte eine Mahnung sein: Ich habe dir damals den Arsch gerettet, jetzt tu etwas für mich“, sinnierte Schuldig.
 

Schuldig suchte nach dem Namen in seinem Gedächtnis. „Der Typ hat sich mir als Kawamori vorgestellt. Kawamori Satoshi. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Name echt ist, aber er kommt vom Clan. Das war eindeutig in Asamis Gedanken zu lesen und das hat er uns auch erzählt.“
 

„Er sagte aber auch, dass dieser Kawamori nicht wollte, dass beim Sakurakawa Clan bekannt werden sollte dass er Schuldig aus China herausgeholt hat“, wandte Nagi ein. Denn er hatte sich damals schuldig gefühlt, als der Auftrag schief gelaufen war und er fühlte die gleiche Schuld in sich wenn er daran dachte, dass Jei jetzt in einer ähnlichen Lage war.

Dieser Gedanke nistete sich in ihm ein.
 

Das fiel auch Schuldig auf. ‚Hör auf damit, Kleiner. Das ist ungerechtfertigt‘, mahnte er Nagi an.

Der nickte ihm nur stumm zu und schob sich gesäuerten Reis mit Fisch obenauf in den Mund.
 

„Vielleicht spielt er ein doppeltes Spiel und arbeitet für die Amerikaner“, sagte Ran, und Schuldig fand die Idee gar nicht mal so schlecht.
 

„Egal was er ist, ob Spion, Agent, Yakuza oder nur ein einfaches, dummes Arschloch. Falls er mir in die Hände fällt spiele ich ein Spiel mit ihm und das wird sein letztes sein“, sagte Schuldig gut gelaunt.
 

„Dumm ist er nicht“, wandte Brad nachdenklich ein.
 

„Doch ist er. Er hat sich mit uns angelegt. Die Frage ist, in wessen Namen er das tut und warum.“
 

„Was vermuten wir, was alles auf sein Konto geht?“, fragte Omi und holte sich noch mehr der leckeren Reis-Fisch-Kombinationen auf seinen Teller. Er liebte es wenn Ran Sushi machte. Sie waren immer zu faul dazu gewesen. Nur Ran war die Arbeit nicht zu viel.
 

„Er muss überall seine Finger drin haben, sonst wüsste er nicht was läuft. Die Frage ist nur ob er tatsächlich zum harten Kern von Sin gehört. Solange wir nicht wissen welche Funktion er genau hat, ist es sinnlos zu spekulieren. Außerdem wissen wir nicht, ob er alleine arbeitet oder ob er nur eines der ausführenden Organe der Organisation ist. In China konnte ich durch die Droge, die ich von Fei Long bekommen habe, niemanden lesen. Ob er damals für mich schon unsichtbar war oder nicht, kann ich nicht sagen. Ebenso wenig jetzt. Jei ist für uns nicht zugänglich. Wenn er aufwacht, wäre es interessant zu erfahren ob er diesen Typen einschätzen kann.“
 

„Die Option steht uns momentan nicht zur Verfügung“, sagte Brad. „Ich kann, was ihn angeht, keine Berechnungen anstellen, er entzieht sich komplett meiner Wahrnehmung.“
 

„Gut, also wo ist Manx?“, fragte Aya Omi. „Youji erzählte, dass sie Ken auf eine One-Man-Show geschickt hat. Warum? War nicht der Plan bald zu verschwinden? Und jetzt das?“
 

Omi schüttelte nur den Kopf. „Ich habe keine Ahnung. Wir sollten die Abreise vorbereiten, unsere Papiere hätte sie bereits. Am Ende der Woche sollten wir los.“
 

So bald schon?

Nagi vermied den Blick an seine Seite, um nicht zu zeigen wie sehr ihn dieser Gedanke traf. Natürlich war er nicht neu, er war nicht mehr fremd, aber er schmerzte trotz allem.
 

„Der Typ – Kawamori will also, dass wir einer Freundin helfen und er will dass wir unseren Job machen, wie auch immer er sich diesen vorstellt. Wo wir doch eigentlich in zwei gegensätzlichen Lagern arbeiten“, fasste Schuldig zusammen.
 

Nagi erhob sich, nachdem er so viel gegessen hatte wie Fujimiya ihm hingestellt hatte. Er hatte keinen Hunger mehr auch wenn es viel zu wenig war. Bekümmert sah er auf seinen leeren Teller. Er brauchte Energie, aber ihm war der Appetit vergangen.

„Ich werde mir das Lesegerät holen. Wir treffen uns drüben“, empfahl er sich und entfernte sich aus der Küche, mit einem lächelnden Blick zu Omi, der noch mit Genuss aß.
 

Omi hatte gesehen wie wenig der Jüngere gegessen hatte und er wusste um dessen Mangel an ausreichender Ernährung. Aber er wollte das Thema jetzt nicht ansprechen, er würde ihm später etwas bringen.
 

„Gute Idee“, sagte Schuldig und Omi fühlte sich einem aufmunternden, wissenden Blick ausgesetzt und war sich fast sicher, dass das nicht auf das Lesegerät bezogen war.
 

„Außerdem sollten wir uns vor dieser Droge in Acht nehmen. Ich weiß nicht wie viele Injektionen nötig sind, um mir die Fähigkeiten zu nehmen“, sagte Schuldig.
 

Brad erhob sich. „Ich muss einige Telefonate führen“, verabschiedete er sich und folgte Nagi. Er brauchte einige dieser Spezialanzüge aus künstlicher Spinnenseide. Dafür brauchte er viel Geld, ein paar Leute und zwei Tage Zeit.
 

„Du hast noch fast nichts gegessen“, bemerkte Aya als sein Augenmerk auf Schuldigs Teller fiel. Der Deutsche schien in Gedanken zu sein, aber so genau war das bei Schuldig ohnehin nicht von außen fest zu stellen. Aya war besser darin geworden zu erkennen wann Schuldig telepathisch aktiv war und wann er ‚es‘ nur laufen ließ, die Hintergrundberieselung wie ein angestelltes Radio ausblendete. Momentan allerdings steuerte Schuldig auf den Status eines übermüdeten Kindes zu: schwer zu händeln.
 

Schuldig drehte sich zu Ran und betrachtete ihn sich. Besah sich das herrlich dunkelrote Haar in dem fantastisch unordentlichen Zopf und die helle, samtige Haut. Ran hätte ein Mädchen werden sollen, grinste Schuldig innerlich. Die dunkle, kehlige Stimme, der gar nicht mädchenhafte Körper, das alles war die Verpackung für einen Mann, dem er wohl verfallen war. Schuldig seufzte. Er hatte gedacht er könne ihn aus allem herausholen. Ihm ein neues Leben ermöglichen, aber natürlich war das nicht drin. Er war gescheitert.

„Ich musste hier den Alleinunterhalter spielen. Da war nicht an Essen zu denken!“, spielte er den unverstandenen Künstler.
 

„Das schwere, leidende Seufzen passt nicht ganz zum Alleinunterhalter“, sagte Aya und sah Schuldig gelangweilt an, während er weiter aß, den Alleinunterhalter aber nicht aus dem Blick ließ. „An was hast du gedacht? Oder bist du nur müde?“
 

„Nein… nicht nur“, sagte Schuldig und schob sich Sushi in den Mund damit er nicht sofort reden musste. Aya hatte diesen gnadenlosen Blick drauf, der ihm sagte, dass er ihm gefälligst zu gehorchen hatte wenn ihm sein Leben und sein Seelenheil lieb waren.
 

Schuldig sah zur offenen Küchentür und starrte vor sich hin, während er darüber nachsann welches Sushi er als nächstes töten würde.

„Die Einschläge kommen näher. Ich hab kein gutes Gefühl bei dieser Sache. Und ich kann nichts machen um zu verhindern, dass du mit rein gezogen wirst“, sprach er schließlich laut aus was ihn beschäftigte.
 

Aya hatte tatsächlich die Gedanken gehabt, ja sogar die Hoffnung besessen dass er etwas anderes tun könnte. Dass er nichts mehr mit Manx zu tun haben müsste, dass er einen normalen Job haben würde. Es hätte klappen können… ja… vielleicht… in einer anderen Realität. Aber nicht in seiner. Sie haben beide versucht etwas zu basteln, eine Verkleidung die er tragen konnte, und vielleicht wäre er langsam in sie hinein gewachsen. Nur funktionierte dieser Betrug offensichtlich nicht.

„Nein, das kannst du nicht. Das liegt aber nicht daran, dass ich in Gefahr bin. Es ist die alleinige Tatsache, dass ich dich nicht alleine gehen lasse. Nie wieder. Ich bleibe nicht hier sitzen und warte darauf, dass du von irgendwoher zurückkommst.“ Er hatte die letzten Jahre in vielen verschiedenen Teams gearbeitet, zuletzt und am konstantesten mit Weiß zusammen, seiner Basis, seiner... Familie. Vielleicht konnte er den Job nicht einfach so hinschmeißen, auch wenn er es einst für seine Schwester Aya getan hatte, diese Ausrede konnte er jetzt nicht mehr anführen. Und wie hatte Schuldig einmal so schön gesagt: Tu dir einen Gefallen und denk darüber nach ob du für deine Schwester mordest oder für deine eigene Rache.
 

„Das… war jetzt ne klare Ansage“, meinte Schuldig wenig begeistert. Er hegte den nicht unbegründeten Verdacht, dass es momentan keine Rolle spielte ob er begeistert war oder nicht. Ran war das egal. Er würde sich anziehen, seine Klinge nehmen und er würde ihm keinen Meter von der Seite weichen. Schuldig steckte sich Fisch und Reis in den Mund, bevor er noch mehr sagte.

Vielleicht war es besser wenn Ran in seiner Nähe war. Er hätte ohnehin keine Ruhe ohne ihn bei sich zu wissen. Vom Punkt abgesehen, dass es den Faktor Sicherheit um einiges erhöhte wenn Abyssinian mitmischte.
 

„Naja… vielleicht bist du ja ganz nützlich. Ich meine… du könntest unterwegs Kaffee kochen, meine Waffen putzen, mich massieren und so n Zeug…“, bot Schuldig sinnierend mit ganz und gar unschuldiger Miene an und sah fragend zu Ran, der gerade langsam zu ihm blickte.
 

Ein geradezu unheimliches Lächeln bildete sich auf den attraktiven Gesichtszügen aus. Aya glaubte sich verhört zu haben. Kaffee kochen und so Zeug?
 

„Oder auch nicht“, zog Schuldig zurück und sah das böse, dunkle Lächeln auf den Lippen seines Blumenkindes. Von wegen… eher eine fleischfressende Pflanze, die ihn ganz oben auf der Speisekarte hatte.
 

„Nützlich?“, fragte Aya lauernd.
 

Schuldigs Augen huschten von dem missgelaunten Violett zu dem leichten Aufblitzen der weißen Zähne in dem … unternehmungslustigen Lächeln seiner … fleischfressenden Pflanze. Ähm…

„Hatte ich nützlich gesagt?“, rutschte Schuldigs Stimme etwas höher als beabsichtigt. Das lag wohl an der aufkommenden Angst vor dem Raubtier vor sich.

„Ich glaube ich habe nicht nützlich gesagt…“, sinnierte er.
 

„Mir war so als hätte ich …nützlich gehört“, sagte Aya mit nachdenklicher Skepsis, in die sich eine falsche Freundlichkeit gemischt hatte.

Aya beugte sich zu Schuldig, die Augenbrauen kritisch zusammengezogen, ein feines Lächeln auf den Lippen.

Noch bevor Aya dazu ansetzen konnte eine Drohung zu verbalisieren, drehte sich Schuldig um und hatte den Ausgang der Küche zum Ziel.
 

Ayas Hand schnellte vor und pflückte sich die im Zopf zusammengefassten Haare, mit einem kurzen schmerzhaften Ruck in entgegengesetzter Richtung zur Küche.

Ein gequältes Autsch war der Lohn.

„Hiergeblieben. Ich weiß wer sich hier und jetzt schon nützlich machen kann“, lächelte Aya rachsüchtig.
 

Schuldig verzog den Mund unleidig und rieb sich die schmerzende Kopfhaut. „Ja? Wer? Nagi?“, erdreistete er sich, gab jedoch mit dem mürrisch, zynischen Tonfall die Niederlage offiziell bekannt.
 

Er machte sich daran die Küche wieder in Schuss zu bringen, unter den Argusaugen des rothaarigen, rachsüchtigen Kochs.

Es gab natürlich den einen oder anderen Anhalt dafür, dass er selbst schuld an seiner Misere war aber wer konnte das schon beweisen?
 

Der rachsüchtige Koch aß in Ruhe zu Ende, dabei beobachtete er den unwilligen, aber in vielen Bereichen sehr nützlichen Küchensklaven. Ab und an traf ihn ein mitleiderregender Blick, den er jedoch mitleidlos erwiderte. Nach dem Essen nahm er sich eine frische Tasse Kaffee und verließ mit einem zufriedenen Lächeln und einem kräftigen Klapps auf den frechen Hintern des Küchensklaven den Arbeitsbereich desselbigen.

Er ging in den Besprechungsraum. Während der Telekinet die gesammelten Daten sortierte und auf die sechs Bildschirme verteilte war Omi dabei den Datenkristall in das Lesegerät zu installieren.
 

„Wir sind gleich fertig“, sagte Omi in Richtung Ran, als er diesen im Türrahmen bemerkte.

„ Schuldig?“, fragte Brad, ebenso wie Ran untätig, aber im Sessel sitzend an seiner Tasse nippend.
 

„Wollte unbedingt noch die Küche aufräumen“, erwiderte Ran mit einem angedeuteten Schulterzucken als könne er dieses Vorhaben überhaupt nicht nachvollziehen.
 

Brad nahm erneut einen Schluck Kaffee. Seine Gedanken kreisten um Eve. Er hatte ein drängendes, dumpfes Gefühl in seinem Kopf. Hinzu kam die Unruhe vor dem was noch kommen würde, die Angst vor der Vision einer möglichen Zukunft für sie beide. Etwas Katastrophales bahnte sich an. Noch kam keine Voraussicht darauf. Aber wenn Eve es war, die hier eine Rolle spielte, dann war das nicht gut. Niemand durfte erfahren was früher geschehen war. Was damals war. Niemand.

Nur... wie konnte er das verhindern?
 

„Fangen wir an“, verkündete Nagi.
 

„Abschließend lässt sich aufgrund der vorliegenden Datenlage sagen, dass die Sakurakawas eindeutig als die Verursacher der Angriffe angesehen werden können.“

Nagi erhob sich und ging zu den Bildschirmen, die von der Decke fuhren.
 

„Der Erste Auftrag, den wir erhielten und der bereits in deren Wirkungskreis zählen dürfte, war die Liquidation eines chinesischen Großindustriellen, den Brad und Schuldig ausführen sollten. Im Laufe des Auftrags stellten sich gewisse Ungereimtheiten heraus, die dazu führten, dass das angegebene Ziel falsch, die für den Auftrag erforderlichen Daten fehlerhaft und somit zum Scheitern des Auftrags führten. Fei Long, der Boss der Triade Hongkong war das Ziel, die Bewachung höher als zuvor ermittelt.“
 

Nagi hielt inne als Schuldig samt Abtrockentuch über der Schulter neben Ran im Türrahmen ankam. „Ich hab die verdammte Hütte zuvor gecheckt. Alles wie es unser Auftraggeber – wer auch immer das damals gewesen war – es angegeben hatte, doch dann hatten die plötzlich diese Droge. Es war also kein Zufall, dass wir dort waren und das alles schief ging. Vielleicht eingefädelt von diesem Kawamori.“
 

„Der Auftraggeber war nach eingehender Überprüfung seriös. Wir hatten bereits mehrfach für ihn gearbeitet. Allerdings stellte sich nach einer späteren Überprüfung heraus, dass er diesen Auftrag nie an uns erteilt hatte. Er hatte zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Kontakt zu Schwarz unterhalten, da die politische Situation es ihm nicht erlaubte.

Und das heißt, dass wir bereits zum Zeitpunkt der Planung einen Mr. X als Kontakt hatten der sich für unseren bekannten Auftraggeber ausgegeben hat. Das tat er mit einem hohem Maß an Hintergrundwissen sodass ich keinen Verdacht schöpfte.“

Was im Nachhinein erschwerend hinzu kam war die Tatsache, dass - soweit er sich erinnerte - auch keine Voraussicht einer möglichen katastrophalen Entwicklung geschehen war.
 

Nagi blendete ein Gesicht, ein Phantombild aus dem Gedächtnis von Schuldig auf dem Bildschirm ein. Es war das typische, japanische Allerweltsgesicht, keine Kanten, keine Ecken, keine Merkmale, die ihm in Erinnerung geblieben waren.
 

„Der Angriff auf Fujimiya an dem Tag als wir aus Shanghai wieder zurückgekommen sind und nach China kam der Angriff auf Kudou, der den Zweck einer Botschaftsübermittlung trug. Eine Warnung, dass sie uns auf der Spur waren. Jei erschoss dabei eine Frau. Elisabeth Sakurakawa, wie wir später herausfanden. Sie trug eine weiße Kabukimaske, die Jei zerstörte.“
 

„Nicht ganz. Das Ding ist wieder aufgetaucht. Auf dem Gesicht eines Typen der Kudou gestern Jei in einem Plastiksack überreichte.“

Schuldig fixierte das Gesicht der Frau, die ihm völlig unbekannt aber wohl eine Verwandte von ihm war. Seine Tante vielleicht... sie hatte zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter existiert, sie konnte oder wollte aber nicht die Vormundschaft für ihn übernehmen, also wanderte er ins Heim.

Kein Zufall also, dass seine Verwandte hier auftauchte.
 

„Die Frau...“, er räusperte sich. „Nagi mach dir nen Vermerk, dass sie vermutlich meine Tante ist. Zumindest eine sehr nahe Verwandte. Vom Alter her könnte es die Schwester meiner Mutter sein.“
 

„Woher weißt du das?“ Omi sah auf und war ebenso wie Nagi geschockt.
 

„Manx. Sie hat uns einen kleinen Besuch in Osaka abgestattet.“
 

„Wie sicher ist diese Information?“, hakte Nagi bei Omi nach.
 

„Manx würde diese Art Bombe nicht einfach so loslassen wenn sie nicht sicher wäre“, mischte sich Aya ein.
 

„Gut. Aber was fangen wir damit an? Hat deine Verwandte denn diese Art Fähigkeiten besessen? Gedanken lesen oder Telekinese?“
 

Schuldig verzog die Lippen zweifelnd. „Keine Ahnung Kleiner. Ich kann ja noch nicht einmal sagen ob meine Mutter frei davon war. Die Umstände meiner Vergangenheit sagen mir, dass sie allerdings entweder frei davon war oder es einfach nicht wusste. Ich weiß noch nicht einmal wie der Name meiner Tante war. Du könntest dich in der Datenbank des Deutschen Nachrichtendienstes umsehen. Vielleicht findest du etwas“, wandte sich Schuldig an Nagi. Der machte einen Vermerk.
 

Aya musste daran denken wie Schuldig ihm erzählte, dass seine Mutter sich in der Psychiatrie erhängt hatte, nachdem sie in ihrem Kind den Teufel gesehen hatte. Er wusste noch genau wie Schuldig vor ihm gesessen hatte, auf dieser Couch in seiner alten Wohnung, die psychopathensicher gebaut war. Ausbruchssichere Fenster, eine Schublade voller Tabletten, einen Stilleraum für durchdrehende Psychopathen. Und jetzt? Was brauchte Schuldig davon noch?

Nichts mehr, außer einer Moralpredigt, seiner strengen Hand und ein wenig... naja die paar Streicheleinheiten zwischendurch durften nicht fehlen. Aya sah mit unbewegter Miene zu Schuldig, der leicht hinter ihm stand und nippte an seinem Kaffee, um das zärtliche Lächeln zu verbergen das sich auf sein Gesicht stahl.
 

„Falls es sich jedoch so verhält, dass deine Verwandte eine PSI ist, dann hätten wir hier eine völlig neue Betrachtungsweise der Lage. Denn dann hat Sin oder der Clan mit PSI Befähigten zu tun. Was vielleicht erklärt wie diese Sin dazu kommen gegen uns resistent zu sein. Sie müssen etwas - eine Fähigkeit oder eine Droge – entwickelt haben, welche es ihnen ermöglicht für uns nicht sichtbar zu sein“, sagte Brad.
 

„Aber über diesen Punkt können wir uns noch nicht völlig klar sein, also sollten wir ihn zunächst als unsicher einstufen“, sagte Nagi und färbte die Datei blau ein.
 

„Die Kabukimaske taucht also erneut auf. Alle Mitglieder dieser Gruppierung tragen eine. Sie wollten also nicht erkannt werden weil sie im Alltag Posten bekleiden, mit denen sie dann leicht in Verbindung gebracht werden können. Das heißt also, dass Sin vielleicht offizielle Familienmitglieder sind und bis auf ihre Aktivitäten als Sin normaler Arbeit im Clan nachgehen.“
 

„Ein Detail fiel mir beim Lesen der Gedanken von Kudou auf. Die Maske war beim ersten Kontakt durch einen Riss und dann beim zweiten Kontakt durch ein Einschussloch stark beschädigt worden. Beim ersten Mal als Kudou angegriffen wurde die Maske von Elisabeth Sakurakawa getragen, die die Truppe anführte. Gestern wurde sie erneut von demjenigen geführt der die Redegewalt hatte. Also einen Anführerstatus innehielt. Dieser sagte gestern, dass wir unseren Job nicht machen würden und er uns auffordere einer Freundin zu helfen.“
 

Nagi zog mit einer Handbewegung und der Verdichtung der Moleküle in der Luft unmittelbar vor dem Touchscreen das Bild der Maske in die Mitte des Gedankenmodells.

„Wenn wir ihn oder sie in die Finger kriegen wissen wir mit Sicherheit mehr.“
 

„Wie passt Eve da rein?“, fragte Schuldig und Nagi holte das Bild der CIA Agentin auf den Monitor.

Omi pfiff leise durch die Zähne. Yohji hätte sich mit Sicherheit sofort an die Frau rangemacht. Sie war heiß. Braune wellige Haare, verdammt hübsches Gesicht und diese hellbraunen Augen, die Brad Crawfords Blick unangenehm machten. Bei ihr schien es nicht so derart irritierend zu sein. Vielleicht weil es nur ein Bild war.
 

‚Sie trägt Linsen’, mischte sich Schuldig in Omis Gedanken.
 

‚Musst du immer meine Gedanken lesen, verdammt?’, begehrte dieser auf und presste die Lippen wütend zusammen.
 

‚Ja, stell dir vor, muss ich. Das ist nämlich das Blöde an der Sache. Also denk gefälligst intelligente und weniger pubertierende Sachen. Du denkst hier von Brads Schwester Schweinkram. Wer kann da wegehören?’
 

‚Schon klar, dass DU da nicht weghören kannst. Was heißt hier schweinische Sachen? Sie ist einfach nur wow!’
 

‚Das ist ER auch und denk ich den ganzen Tag so n Kram?’
 

‚Jede Wette, JA!’ Omis Haarschopf wandte sich ihm zu und das Gesicht zeigte ihm eine herausgestreckte, rosa Zunge, die auf ihn zeigte.
 

‚Du... Kind!’, schimpfte Schuldig in Ermangelung an eine schlimmere Beleidigung, denn er wusste wie wenig Takatori junior es mochte noch als Kind durchzugehen. In Aufträgen war das praktisch, aber im Alltag nicht für voll genommen zu werden war für den Kleinen hart.
 

Nagi bewegte sanft die Luft der Haarsträhnen an Omis Ohr, kitzelte aus der Ferne die weiche Haut, um ihn zu besänftigen. Wer wusste schon was Schuldig wieder von ihm wollte. Er wollte den Telepathen bereits zur Ordnung rufen als das von anderer Seite schon erledigt wurde. Fujimiya hatte alles im Griff. Wie immer. Nagi fand das mehr als gut und lächelte still in sich hinein.
 

Schuldig bekam nämlich von seinem persönlichen Oberlehrer einen spitzen Ellbogen in die Rippen als dieser seine kurze Unaufmerksamkeit beim Unterricht bemerkte und seine Unterhaltung mit einem ebenso unaufmerksamen Mitschüler sofort ahndete. Also zurück zum Ernst der Lage...
 

„Wir trafen Eve auf der Benefizveranstaltung, deren Einladung Elisabeth Sakurakawa in der Tasche hatte. Die Sakurakawas waren vertreten“, sagte Brad.
 

„Hübscher Zufall“, sagte Aya düster.
 

„Die Frage ist, ob sie den Kontakt zum Clan oder zu mir gesucht hat“, erwiderte Brad.
 

„Sie wollte deine Hilfe. Aber es ist ihr misslungen die richtigen Worte zu treffen, wie ihr später auffiel“, sagte Schuldig und verzog bedauernd das Gesicht.

Sie war wirklich hübsch.
 

„Meine Hilfe? Sie hat eine merkwürdige Art danach zu fragen.“
 

Das musste Aya bestätigen. Von Hilfe war in keiner Silbe die Rede gewesen. Sie hatte ihre Waffe gezogen.

Wie Menschen sich nach außen hin gaben, und ihre Intention dahinter eine völlig gegensätzliche war, verkettet in ihren Gefühlen und Gedanken.

Schuldig hatte die Fähigkeit die Masken zu durchdringen.
 

„Die Morde in Tokyo, Osaka und Nagoya waren nur kurze Zwischengeplänkel, die uns herausfordern sollten. Bei einem davon hat Schuldig einen von Sin erledigt.“
 

„Es kann auch sein, dass sie die Polizei auf uns lenken wollten. Denn ein Ermittler in Osaka weiß mehr von Kritiker als uns lieb sein könnte. Wir sollten ihn im Auge behalten.“
 

„Aber was wollen sie?“ stellte Omi die alles entscheidende Frage auf die es wohl noch keine endgültige befriedigende Antwort gab.
 

„Sie jagen PSI. Wir waren bisher wohl immer durch die Maschen geschlüpft, durch SZ geschützt, danach zu mächtig, was weiß ich...“, brummte Schuldig.
 

Brad kannte sich damit aus verfolgt zu werden. Dennoch gab es Dinge, die er nicht offenbaren wollte und konnte.

„Tsukiyono, wie sieht es mit dem Datenkristall aus?“
 

„Dauert noch. Die Daten sind gesichert. Zwar nicht außergewöhnlich hoch aber dennoch wird es eine Stunde dauern bis wir einen kleinen Teil davon entschlüsselt haben.“
 

„Haben wir sonst noch etwas?“, fragte Aya.
 

„Momentan nicht. Nur was ich über die Sakurakawas herausgefunden habe. Ihre Geschichte reicht weit zurück bis in die Zeit der Shogune. Ein alter Clan, mit viel Einfluss und Macht in Politik und Wirtschaft, und das nicht nur hier in Japan.“
 

Crawford warf einen Blick zu Schuldig, der diesen Blick einen Augenblick zu lange erwiderte, als dass er flüchtig und nichtssagend gewesen war, wie Aya bemerkte.

„Raus mit der Sprache. An was denkt ihr?“
 

Schuldig seufzte. „Keine Ahnung ob es in irgendeiner Weise mit dem hier eine Rolle spielt, aber Nagi was ist die über die Geschichte der PSI bekannt?“
 

„Du meinst diese Geschichte über die Legende Strigo Orloff?“ Schuldig nickte und Nagi wandte sich an Aya und Omi. „Strigo Orloff gründete eine Akademie für Hochbegabte Schüler, im Grunde genommen war es nichts anderes als ein Auffanglager für PSI. Er schulte jedoch nicht ihre Fähigkeiten sondern ließ die Dinge laufen wie sie liefen. Für ihn war das Zusammenleben mit den PSI und den Nichtaktiven wichtiger als die Ausbildung der PSI.

Eine Gruppe spaltete sich ab und ging nach Deutschland, wo sie mehr auf die Schulung der Fähigkeiten Wert legte und die Kontrolle dieser. Daraus entstand dann SZ.“
 

„Klingt doch erst einmal harmlos“, meinte Omi.
 

„SZ reichte es nicht, Kinder auf normalem Wege anzuwerben. Sie begannen, um ihr Erbgut zu verfeinern, Kinder zu entführen und unterzogen sie einer Gehirnwäsche. Es gab bei SZ Unterricht in Eugenik speziell im Fall der psychosensorischen Bereiche. Eine ähnliche Gruppierung gibt es immer noch – die Rosenkreuzer. Wobei ich von ihnen lange nichts mehr gehört habe.“
 

„SIN?“, sagte Aya.
 

„Kann sein. Nicht alle von ihnen waren radikal, vor allem als SZ den Bach runter ging. Wir haben uns kurz überlegt vorrübergehend das Angebot anzunehmen und zu ihnen zu wechseln, haben es aber aufgrund unserer Freiheitsliebe und anderer Unvereinbarkeiten gelassen.“
 

„Was geschah mit der Strigo Akademie?“
 

„Zerstört.“
 

„Die Kinder?“
 

„Getötet.“
 

„Wann war das?“, fragte Aya.
 

„Lange vor unserer Zeit, Ran. Vor über hundert Jahren.“
 

„Aber wer hat diese Akademie ... die Kinder getötet? Damals schon SZ? Und warum?“
 

„Angeblich eine Art Machtübernahme, ein Streit um Gelder und Aufträge. Wer weiß das heute schon noch. Es gibt so weit uns bekannt ist keine Aufzeichnungen über die Schule. Niemandem war daran gelegen etwas an die Öffentlichkeit durchsickern zu lassen.“
 

„Aber es muss doch irgendetwas geben...“, murmelte Omi.
 

„Ich habe mein halbes Leben damit verbracht, danach zu suchen“, sagte Nagi und ihre Blicke trafen sich. Nagis unleserlich, Omis voller Unverständnis. Er selbst konnte nachfühlen wie Nagi sich fühlte. Nichts über seine Herkunft zu wissen war furchtbar. Es klaffte eine schrecklich fahles Loch in einem, dass nichts füllen konnte. Eine Suche die ins Nirgendwo führte.
 

Alle schwiegen für Minuten.
 

„Das hilft uns alles nichts weiter. Mit Sicherheit ist was dran an der Story um Strigo, aber warum die Sakurakawas heute Jagd auf uns machen bekommen wir damit nicht heraus. Und vor allem wissen wir nicht warum der Mann in der Maske - Kawamori -will, dass wir uns einmischen“, sagte Brad und starrte das Bild seiner Schwester an.
 

Schuldig seufzte. „Keinen Plan, ehrlich. Bis auf die Tatsache, dass es eine Falle ist. Davon müssen wir ausgehen.“
 

„Das heißt wir machen gar nichts?“, begehrte Omi auf und drehte sich von seiner Arbeit weg wieder zu ihnen hin.
 

Aya sah von ihm zu Brad, der immer noch wie hypnotisiert von dem Bild schien. Er glaubte nicht, dass Brad nichts unternehmen würde, nur ob es ihnen gefallen würde und sie es nachvollziehen konnten bezweifelte Aya. Sein Gespür für ungesagte Dinge sagte ihm, dass Brad etwas verbarg und Aya war gespannt wann und wie er die Katze aus dem Sack lassen würde. Apropos Katze... fiel Aya bei diesem gedanklichen Vergleich ein. Sie mussten heute unbedingt nach Hause und sich etwas für Banshees Zukunft überlegen.
 

„Das haben wir nicht gesagt, Kleiner“, sagte Schuldig nachdenklich.

„Wessen bescheuerte Idee es auch immer war Ken allein auf Mission zu schicken, und ich schwöre euch ... ich verwette meinen Arsch darauf, dass Eve mit drin hängt.“
 

Aya musste innerlich spöttisch lächeln. Schuldig tat sich leicht damit Körperteile von sich zu verwetten, die längst nicht mehr ihm allein gehörten. Als hätte Schuldig das gespürt wandte sich der Deutsche zu ihm und sah ihn fragend an. Doch Ayas Miene war wie stets verschlossen und ernst.
 

Schuldig hatte dasselbe Phänomen befallen wie er in Osaka bei Brad gehabt hatte, er hatte Emotionen, die nicht seine waren gefühlt. Dieses Mal von Ran. Es war Amüsement mit einem dunklen Stich. Schuldig versuchte nachzuvollziehen was das ausgelöst haben konnte und fand es wie immer faszinierend wie verschlossen Rans Gesichtsausdruck wirkte und wie amüsiert er innerlich war. Über was... ah über seinen Hintern...
 

„Wir haben also drei vermisste Agenten“, sagte Omi.
 

„Inkorrekt“, sagte Nagi sofort. „Wir wissen nicht ob Eve Crawford vermisst wird. Momentan können wir nur davon ausgehen, dass Manx und Ken sich nicht zur vereinbarten Zeit gemeldet haben.“
 

Brad spürte eine dumpfe Ahnung, die sich zunehmend verstärkte. Er stand abrupt auf, versuchte seine Sicht zu klären.

„Wir...“ weiter kam er nicht, denn er sah seine Schwester vor seinen Augen, zerschlagen, die Lippen aufgeplatzt, gequält und zerstört auf einem Stuhl sitzen, gefesselt, die Hände... ihre Hände waren blutig... ihre Finger waren blutig... Gott... bitte, ihre Hände... nein... das...
 

Schuldig reagierte sofort, als Brad ruckartig aufstand und fixierte seinen Blick auf den Amerikaner. Er war sofort in seinen Gedanken und wusste in diesem Moment eines mit Sicherheit, dass es eine Vision war die er weder sehen wollte noch sollte."
 

Er zog sich telepathisch zurück und noch bevor Brad nach unten sackte, hatte Nagi den Fall abgebremst. Schuldig konnte Brad vorsichtig auf die Knie gleiten lassen, auf die er gekracht wäre wenn Nagi nicht so umsichtig reagiert hätte. Es war totenstill als Brad keuchte und einen markerschütternden Schrei ausstieß, der selbst Schuldig ängstigte, so unmittelbar nahe er ihm jetzt war.

Minuten vergingen in denen niemand sprach und alle dort blieben wo sie waren. Schuldig nahm ihm vorsichtig die Brille ab und reichte sie Ran weiter, der die Hand danach ausstreckte. Aya sah wie hell die Augen des Hellseher waren, unnatürlich hell.
 

Brad wurde sich seiner Umgebung wieder bewusst, die Spitzen seiner Finger hatten sich in Schuldigs Schulter verkrallt als er den Kopf hob und in die blaugrünen Augen sah. Er sah zur Seite zu dem jungen Takatori. „Seht zu das ihr euch mit dem Datenkristall beeilt. Es ist sicher, dass sie Eve haben.“ Er schmeckte den galligen Geschmack von Magensäure im Rachen.
 

Schuldig sah das Glitzern von Feuchtigkeit auf Brads Stirn. Das passierte nicht sehr oft wenn Brad Visionen einer möglichen Zukunft hatte. Es sei denn er war selbst stark in diese involviert. „Hast du ihren Tod gesehen?“
 

Brad verengte die Augen für einen Moment und wandte den Blick wieder zu Schuldig zurück. Er wurde sich gewahr wie haltlos er sich im Moment verhielt – und das aufgrund der Tatsache, dass er sich genauso fühlte – ließ Schuldig los und setzte sich auf die Fersen zurück. „Nein. Ihren nicht“, sagte er bedeutungsschwer. Momentan musste er zugestehen, dass er der Wahrscheinlichkeit seines eigenen Ablebens sehr nahe kam. Zweimal hatte er jetzt schon eine Ahnung davon bekommen. Offenbar wurde der Grat immer schmaler auf dem er hier wandelte.
 

Omi sah zu Nagi, der seinen Blick unverwandt auf Crawford gerichtet hielt, die Haltung des jungen Telekineten war sehr angespannt, wie er jetzt erkannte. Das war untrüglich ein Zeichen seiner inneren Aufgewühltheit. „Sprechen wir hier von einer möglichen Zukunft oder dem Eintreten deines Todes mit hoher Wahrscheinlichkeit?“

Brachte es der Telekinet auf den Punkt, die Stimme fest und jegliches Fehlen von Emotionen. Doch Omi erkannte die trügerische Gefasstheit. Jetzt... da er ihn etwas kannte wusste er wie er diese Art der Sensibilität erkannte.
 

Als Brad nichts antwortete, denn er streckte die Hand nach seiner Brille aus, die ihm Aya aushändigte, schüttelte Schuldig den Kopf.

„Quatsch. Red keinen Scheiß, Naoe. Brad?“
 

Dieser atmete tief ein, mied den Blick in die aufgewühlten, blaugrünen Augen und stand auf. Sein Hemd fühlte sich feucht an. Er brauchte eine Dusche. Und neue Kleidung.
 

Der immer noch halb kniende Schuldig sah stirnrunzelnd nach oben. „Du gehst hier nicht weg ohne uns eine Antwort zu geben“, sagte er ruhig.
 

Brad hörte eine Drohung aus den Worten, geboren aus Angst. Er sah mit der üblichen zurückgekehrten Arroganz auf den Telepathen hinunter. „Was willst du dagegen unternehmen?“. Sein Blick brannte sich in den Mann mit den orangeroten Haaren, die so malerisch das blasse Gesicht umgaben und die rebellischen Augen hervorstechen ließen. Er versuchte sich gegen diesen Blick zu wehren, bot alle Schutzmechanismen auf, die er hatte und würde im Moment auch vor körperlicher Gewalt nicht zurückschrecken.
 

Aya musste eingreifen. Die Spannung zwischen den beiden Schwarz war fast schon sichtbar. Er sah auch die Wand an die Schuldig Crawford gedrängt hatte.

„Ich fahre in die Wohnung um unsere Waffen zu holen. Ich bin in einer bis zwei Stunden zurück, das dürfte für die Daten reichen“, sagte er mit der üblichen kühlen, dunklen Stimme, drehte sich um und wollte den Raum verlassen.

Er wollte doch mal sehen ob er Schuldig nicht wieder auf Kurs brachte.
 

„Du kannst nicht alleine gehen!“, fand Schuldig zu seinen Prioritäten zurück und sprang auf. Hatten jetzt alle einen Knall?
 

„Was willst du dagegen unternehmen?“, fragte Ran im gleichen Wortlaut, nur etwas gelangweilter zurück, drehte sich aber nicht um sondern trat auf den Flur hinaus um nach oben zu gehen und sich Socken zu holen, ein Holster und eine Waffe.
 

Schuldig starrte Ran nach und biss sich auf die Unterlippe. „Wir sind noch nicht fertig“, knurrte er Brad an und verließ den Raum.
 

Omi grinste nur in sich hinein. Aya hatte die Raubtiere getrennt und das mit Sicherheit mit vollster Absicht.
 

Eines der Raubtiere eilte Ran nach um sich etwas zivilisierter zu kleiden. Oben angekommen saß Ran auf dem Bett und zog sich Socken an. „Biest“, knurrte Schuldig, knallte die Tür zu und starrte das sogenannte Ungeheuer ungeheuerlich böse an.

„Jetzt ist er uns davon gekommen! Meinst du er erzählt uns jetzt noch etwas davon was er gesehen hat?“
 

„Zieh dich um, wenn du mitwillst und schrei mich nicht an. Was soll er dir schon sagen? Wie er seinen Tod gesehen hat? Willst du das wirklich wissen?“ Aya stand auf und öffnete den Schrank, um eines der Schulterholster herauszuholen und es sich anzulegen.
 

„Ja, verdammt! Nur so können wir es verhindern.“ Außerdem konnte Brad seinen eigenen Tod nicht sehen, aber bestimmte Umstände ließen eine hohe Wahrscheinlichkeit des eigenen Ablebens zu.
 

„Das glaubst du doch selbst nicht“, erwiderte Aya und prüfte die Waffe um sie ins Holster zu schieben. „Der einzige, der es verhindern kann – wenn überhaupt – ist er selbst. Ach und du meinst ihm auf die Eier zu gehen ist ein guter Weg um ihn das gerade Gesehene verarbeiten zu lassen?“
 

„Seit wann bist du hier pro-Crawford?“
 

„Bin ich nicht. Aber etwas stimmt hier nicht und er wird sich nicht selbst in Gefahr bringen wenn er es verhindern kann, soweit ich ihn kenne ist Crawford ein Opportunist. Was also soll die Aufregung?“ Aya sah zu Schuldig hin, der immer noch wie ein bockiges Kind im Zimmer stand. Untätig und mit gefurchter Stirn.
 

„Wenn du dich nicht bald umziehst dann fahre ich tatsächlich alleine. Oder willst du das ich alleine losziehe?“ Er erlaubte sich ein teuflisches, kleines angedeutetes Lächeln.
 

Was Schuldig nur zum Schnauben brachte und in hektischen Aktionismus verfallen ließ.
 

Später im Wagen sprachen sie nichts bis sie an den Rand von Kawasaki kamen. „Ich frage mich ohnehin wie du einem Schrank von Crawford körperlich etwas entgegen setzen willst. Jedes Mal wieder legst du es darauf an, spürst du nicht wenn du zu weit gehst?“
 

Schuldig hatte seinen Kopf ans Fenster gelehnt und hing mit geschlossenen Augen seinen Gedanken nach. Er hatte auf dem Weg Kontakt zu Nagi aufgenommen um zu fragen ob Brad noch im Haus war und dieser hatte ihm versichert, dass sie alle auf Hochdruck am Kristall arbeiten würden und Brad seine Kontakte angerufen hatte um einiges zu organisieren.
 

„Das ist mir in diesem Moment egal. Ich hasse diese Geheimniskrämerei. Um herauszufinden was in seinem Schädel vorgeht, stecke ich gerne ein paar Schläge ein“, brummte Schuldig
 

„Deine bisherigen Versuche sind fehlgeschlagen. Vielleicht solltest du einfach warten bis er dir etwas erzählt.“ Aya erinnerte sich da an diesen missglückten Kontakt während einer Traumvision in Osaka.
 

„Ja klar... das mache ich zwischen den Fehlversuchen“, sagte Schuldig etwas lahm. Sie waren noch gute zwanzig Kilometer weit entfernt und Schuldig begann damit die Umgebung ihrer Wohnung zu scannen. Die Nachbarn hatten nichts ungewöhnliches bemerkt, die Leute die im Haus arbeiteten, Reinigung, Hausmeisterfirma, nichts war irgendwie ungewöhnlich während der letzten Tage gewesen. Von der Nachbarin ein Stockwerk weiter unten war ein Besucher registriert worden – ein junger Mann, Nagi – der Banshee beaufsichtigt hatte.
 

Die war wirklich Gold wert, diese Frau. Besser als jede Überwachungskamera. Kein Spürhund schlug schneller an, sobald die Tür im Eingang aufging. Sie verließ das Haus kaum, malte und zeichnete Bilder für einen Verlag.
 

„Nichts los, keiner hat was gesehen, falls die Wohnung enttarnt worden ist. Nagi hat die Satellitenüberwachung ausgewertet und keine auffälligen Personen ins Haus gehen sehen.“ Eine Weile blieben sie im Wagen sitzen, beobachteten die Umgebung, bis es Schuldig zu lange wurde und er Ran mit dem Finger in die Seite stach. Der trug sein Holster verborgen unter einer Lederjacke und war die Ruhe selbst. „Sollen wir?“, fragte Schuldig und Ran nickte, startete den Wagen.
 

Sie nahmen ihre Tasche mit hinauf.
 

Als sie die Tür öffneten, zogen sie ihre Waffen und Ran ging voraus um die rechte Seite der großen Wohnung zu kontrollieren. Schuldig ließ die Tür leise ins Schloss gleiten und übernahm die linke Seite.
 

Aya stieß im Schlafzimmer auf Banshee, die es sich in ihrem Bett gemütlich gemacht hatte. Sie machte sich sofort auf ihre Pfoten und kam ihm begeistert schnurrend entgegen.

Aya ging in die Hocke und nahm sie hoch. Er sprach nichts und ließ sie nach ein paar Streicheleinheiten wieder nach unten gleiten. Es dauerte seine Minuten bis sie die Wohnung durchsucht hatten, dann wollten sie die Gegenstände zusammenzutragen, die sie mitnehmen wollten. Doch zuvor mussten sie sehen ob die Wohnung nicht verwanzt war.

Nagi hatte ihnen ein Gerät mitgegeben das es ihnen ermöglichte sämtliche Räume und Geräte eines Hauses, die Signale übertrugen zu entlarven. Schuldig nahm den Koffer und stellte ihn ins Wohnzimmer während Aya dabei zusah, wie er die Parameter einstellte kraulte er Banshee. Sie war die ganze Zeit alleine gewesen.
 

Schuldig nahm das Pad in die Hand und stellte die Verbindung zu dem Gerät her. Während der Abtastung, die sieben Minuten dauerte blieb ihnen nicht viel zu tun außer abwarten.
 

Schuldig ging zu Ran, der sich mit Banshee zur Bar in die Küche zurückgezogen hatte. Die Rollladen waren immer noch unten und das würden sie die nächste Zeit wohl auch bleiben. Er fragte sich nur ob sie diese Wohnung ebenfalls aufgeben mussten.
 

Banshee mochte ihn immer noch nicht wirklich, seit seinem letzten Aussetzer, so wie sie ihn belauerte sobald er ihr und Ran näher kam. Schuldig betrachtete sich seine zwei ‚Biester’ wie sie einträglich aneinander hingen und sich beschmusten. Und ihn ausschlossen.

Er zog ein säuerliches Gesicht und fing sich einen gleichgültigen Blick ein, der ihn wohl abstrafen sollte. Was er nicht tat. Schuldig setzte sich auf einen Barhocker, nahm seine Waffe und legte sie neben sich auf die Bar, die die Küche zum offenen Wohnraum hin optisch abgrenzte.
 

Er dachte darüber nach ob Ran Gabrielle anrufen würde und darüber was er sagen wollte. So langsam konnte er diesen normalen Job tatsächlich an den Nagel hängen. Schuldig kaute auf der Innenseite seiner Lippe herum. Vielleicht konnte er Einfluss auf den Italiener nehmen auf irgendeine Art und Weise um Ran den Job zu sichern, damit er später leichter rein kam. Aber je mehr er das Ehepaar Gabrielle beeinflusste desto schwieriger würde es später werden. Er müsste eine permanente Beeinflussung zum Einsatz bringen und sie ständig nachprüfen. Nichts was er sich aufhalsen wollte. Während er darüber nachgrübelte wie dieses Problem zu lösen war, ging Ran zu dem Scanner und wartete die letzten Augenblicke am Gerät ab, bis dieses anzeigte, dass die Wohnung momentan frei von möglichen Übertragungen jedwelcher Art war.
 

„Wir lassen das Teil besser an“, sagte Aya und drehte sich zu Schuldig um der vertieft in Gedanken sich ihn betrachtete.

„Woran denkst du?“
 

Schuldig nahm die Waffe und steckte sie sich ins Holster. Er seufzte verhalten und zuckte mit den Schultern. „An deinen derzeitigen Arbeitgeber. Ich werde dich nicht hierlassen – selbst wenn du es wolltest – um zu arbeiten. Die Situation ist viel zu gefährlich, Ran.“
 

Aya hob eine Augenbraue und konnte sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. „Ich bin schon gespannt wie du mich daran hindern willst“, sagte er und beobachtete wie Schuldigs Augen etwas weiter wurden und er zum Protest anheben wollte.

„Ich habe doch bereits gesagt, dass ich mitkommen werde. Du wirst nicht alleine gehen. Und daran kannst du mich nicht hindern. Auch wenn du noch Stunden darüber nachdenkst wirst du zu keinem besseren Ergebnis kommen. Ich werde bei Gabrielle kündigen.“
 

Schuldig schmälerte die Lippen, presste sie zusammen. Sie sahen sich an. Und Schuldig sah, dass es eine unumstößliche Entscheidung war.
 

„Du wirst dich nicht einmischen, Schuldig. Falls das hier alles gut ausgeht, wird wieder Ruhe einkehren und ich suche mir etwas anderes. Oder nicht. Mal sehen. Ich finde schon etwas.“
 

Schuldig spürte wieder die alte Verzweiflung in sich. Er konnte diesen Mann nicht retten. War es so? Waren sie beide unrettbar? In diesem verrotten Sumpf ohne Boden, der aus Gewalt und Tod bestand gefangen?

Schuldig kämpfte mit sich, er drehte sich zur Seite damit er nicht in dieses ruhige Gesicht blicken musste, das seine Entscheidung offenbart hatte.
 

„Ich wollte dich rausbringen aus diesem ganzen Mist“, sagte Schuldig leise. „Ich krieg es nicht hin. Ganz im Gegenteil, ich hab dich in eine noch größere Scheiße hineingezogen.“
 

Aya sah wie Schuldig darunter litt, dass er sich ein Ziel gesetzt hatte das so nicht zu erfüllen war. Er machte einen Schritt näher, ließ Banshee zu Boden und zog Schuldig zu sich herum.

„Ja. Durch dich ist vieles für mich komplizierter geworden. Vor allem weil ich mich endlich mit mir selbst auseinandersetzen musste. Nichts ist einfach mit dir.“ Außer die Liebe zu Schuldig war es. Sie war schlicht und einfach, schnörkellos.
 

Schuldig hörte aus diesen Worten eine Menge heraus. Er sah in die violetten geheimnisvollen Augen und ließ diesen Blick nicht mehr los, erst als Ran sich an ihn lehnte und seine Lippen mit seinen berührte und ihn zart küsste. „Nur das... ist einfach“, wisperte Schuldig an die köstlichen Lippen.
 

„Ja...“, ebenso leise, rau drang die Stimme an seine Ohren. Während Banshee um seine Beine streifte und um Aufmerksamkeit heischte hatte Aya ganz anderes im Sinn. Er hatte viel mehr Lust sich ausgiebig Schuldig zu widmen, trotzdem löste er sich von ihm. „Ich sollte Banshee etwas zu fressen geben und dann sollten wir hier abhauen.“
 

Schweren Herzens musste Schuldig zustimmen. „Gut. Ich kümmere mich um die Koffer.“ Er küsste Ran noch einmal bevor er sich löste und hinauf zu ihren Waffen ging. Dort begann er damit die Waffen die sie vielleicht benötigen würden in die dafür vorgesehenen Koffer zu packen.
 

Aya kümmerte sich unterdessen um Banshee. Er stellte ihr Fressen in ihre Box, ließ sie aber noch offen und ging dann ins Schlafzimmer um zwei Reisetaschen hervorzuholen. In diese verstaute er Kleidung, die sie beide vorzugsweise trugen wenn sie vorhatten jemanden in den Hintern zu treten.
 

o
 

Während die beiden Roten aus dem Haus waren entspannte sich die Lage deutlich. Crawford verschwand in die oberen Etagen um zu duschen.

Er stand unter dem Rauschen des Wassers und hatte den Kopf, der hämmerte als hätte ein Presslufthammer ihn bearbeitet unter den warmen Strahl. Warum war das Schicksal nur so grausam zu ihnen? Wie oft hatte er sich das früher oft gefragt? Wie oft hatte er es sich von der Seele geschrien bis ihm die Stimme weggeblieben war? Er war gegangen um dem ein Ende zu setzen. Aber die Vergangenheit holte ihn immer ein. War es nicht das was seine Schwester verkörperte? Ein Mahnmal, ein Schatten dem er nicht entfliehen konnte. Er spürte wie seine Schilde langsam zu bröckeln anfingen, der Putz blätterte ab und die ersten Risse klafften im Mauerwerk...

Er beeilte sich um fertig zu werden, denn er musste noch einiges organisieren.
 

Omi stand vor dem großen Bildschirm und besah sich Nagis Arbeit, der am Rechner saß und die Datei die sie separiert hatten entschlüsselte.

„Sieht gut aus“, sagte Omi und lehnte sich an den Schreibtisch.

„Ich weiß nicht. Für mich sieht es so aus als sollten wir nur diese Datei öffnen. Der Rest ... eine derartige Verschlüsselung habe ich bisher nicht zu sehen bekommen. Das ist nur ein Bruchteil dessen was wir bekommen haben.“
 

„Ich frage mich auch was zum Teufel da drauf ist“, stimmte Omi nachdenklich zu.
 

Nagi besah sich die Datei genauer. „Eine Videodatei.“
 

„Das ist kein gutes Zeichen. Sollen wir warten?“
 

Nagi sah zu ihm auf. „Ich frage Brad.“ Er wählte Brads Nummer. „Wir haben ein Video separiert. Willst du warten bis Schuldig und Fujimiya wieder hier sind?“
 

Nagi nickte und legte auf. „Er will warten.“
 

War klar, sagte Omi zu sich selbst. Wahrscheinlich wusste Crawford schon was sie sehen würden. Er selbst war neugierig und angespannt genug um es jetzt gleich wissen zu wollen. Aber er wollte Ran nicht außen vor lassen. Was war nur mit Ken?
 


 

Tage zuvor...
 


 

Sie saßen seit zwei Stunden in diesem Besprechungsraum, der in einem Büro einer Versicherung lag. Es war eines von vielen in diesem Bürohauskomplex und lag im 44. Stockwerk. Ein überdimensionierter Schreibtisch bot Platz für 21 willige Bürodrohnen. Seitlich des Tisches die grandiose Aussicht über Tokyo und den Sonnenuntergang.
 

Manx hatte ihren Platz an der Kopfseite des Tisches gewählt und die Finger ihrer Rechten trommelten von Zeit zu Zeit auf die glatte Tischoberfläche. Sie hatte sich die Fingernägel kurz geschnitten, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie in nächster Zeit Dinge vorhatte bei denen lange Fingernägel hinderlich waren. Sie hasste es.

Sie saß immer noch in tadelloser Haltung am Tisch. Vor sich Dokumente und ein Datenpad. Bis auf das gelegentliche, dumpfe Trommeln war es totenstill im Raum. Selbst das stete Hintergrundgeräusch der Klimaanlage war verstummt.
 

Sie wandte ihren Blick von der Tür zu dem jungen Mann, der einsam an der Fensterfront lehnte. Sein Gesicht lag halb im Schatten der schwarzen Kapuze die unter seiner orangeroten Motorradjacke hervorkam. Die fedrigen, braunen Haarsträhnen berührten die Wange und verdeckten somit die einzige noch offene Möglichkeit einen Blick in die dunlen Augen zu erlangen. Doch der Mund zeigte ihr ein Lächeln als die Sonne hinter dem kalten metallenen Meer der Hochhäusern versank und es in warme Farbe tauchte.
 

Seine bevorzugten Waffen waren fast unsichtbar in den fingerlosen Handschuhen. Die Stahlklingen hatten ein Upgrade erfahren und waren auf einem modernen technischen Stand. Sie hatte sie ebenso spezialanfertigen lassen wie Kudous Draht. Unauffälligkeit war das Gebot der Stunde – teuer aber sicherer, und damit effektiver.

Trotzdem trug Ken eine Schusswaffe unter seiner Jacke im Holster. Die Zeiten erforderten nicht nur Schutz bei verdeckten Missionen, sondern leider zu jeder Sekunde.
 

Sie waren da in etwas sehr unangenehmes hineinmanövriert. Selbst sie, die alles im Griff hatte und anderen oft viele Schritte voraus war, hatte nicht mit dieser intriganten Tiefe und Komplexität der Machenschaften gerechnet. Sie hatte nicht mit einer derartigen weitreichenden Katastrophe gerechnet.

„Ich verstehe nicht warum Schwarz nicht eingreifen. Sie verhalten sich zu passiv“, grübelte sie laut für sich.
 

Ken hörte die Worte, sie waren nicht für ihn bestimmt also erwiderte er nichts. Das was er zu sagen hätte würde hier nichts zur Sache tun. Er fühlte sich im Stich gelassen und verraten. Vielleicht weil er ausgeschlossen wurde. Er war im Club der schwulen Attentäter nicht erwünscht.
 

Er schloss die Augen für einen Moment und rief sich zur Ordnung. Diese gemeinen Gedanken waren nicht er. Ken Hidaka dachte nicht so von seinen Freunden.
 

War er deshalb hier? Er war sich da nicht sicher. Er hatte sich früher schon im Grenzbereich zwischen Gut und Böse, Weiß und Schwarz, legal und illegal bewegt. Er mochte es nicht, denn war der Typ Mensch, der klare Ansagen brauchte, keine verschachtelten Manöver, keine Intrigen. Er war der Typ fürs Grobe. Töte diesen oder jenen. Gut, damit kam er klar. Irgendwie.

Bisher konnte er sich immer rechtfertigen, dass es um das große Ganze ging, die gute Sache.
 

Aber das wurde immer schwieriger.
 

Er hatte das Gefühl als hätte ihm jemand sein Lachen gestohlen. Er tat es immer seltener, irgendwann dann hatte er bemerkt, dass es weg war. Es fiel ihm so schwer etwas Schönes in seinem Leben zu finden. Die Dunkelheit verschluckte ihn nach und nach, zehrte ihn auf bis nichts mehr von ihm da war.
 

Das Telefon klingelte. Ken wurde aus seinen Gedanken gerissen, er wandte das im Halbschatten liegende, attraktiv gefällige Gesicht zu Manx.

„Das werden sie sein“, sagte sie und flippte ihr Mobiltelefon auf. Sie nahm ab.

„Ja. Behaltet sie im Auge.“
 

Manx steckte das flache Gerät in ihre Kostümjacke. „Das war ‚Maneater’. Sie sind auf dem Weg nach oben.“

Ken richtete seinen Blick wieder aus dem Fenster. Sie Sonne war weg und das trübe Dämmern hing wie eine drohende, blasse Dunstwolke über der Stadt. ‚Maneater’ war die Anführerin einer Gruppe von Assasinen unter Kritiker, die von Sin empfindlich dezimiert wurde. Es waren nur mehr drei Einheiten übrig. Weiß miteingerechnet. Maneater war im Augenblick, wo die Zeiten sehr schlecht waren, Manx persönliche Einheit, die sie überall hin begleitete.
 

Sie warteten.
 

Dann ein Klopfen und die Tür öffnete sich. Ken drehte sich nicht um, er hatte seinen Blick weiterhin auf die Stadt gerichtet.

Das Rascheln von Kleidung sagt ihm, dass sich Manx von ihrem Platz erhob. Sie sahen sich kurz an bevor Manx ihren Blick zu den Eintretenden richtete.
 

„Manx, es ist schön Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen?“

Eine Frauenstimme. Warm, Freundlich, Routiniert. Amerikanischer Akzent. „Ihr könnt gehen.“ Jemand verließ den Raum.

Die beiden Frauen tauschten die üblich gepflogenen Begrüßungsrituale aus.
 

„Darf ich ihnen ihren Kontakt und Begleiter für ihre Untersuchung vorstellen?“

Er rührte sich erst verspätet. Unhöflich. Egal.
 

Die Hände in den Taschen seiner Jacke wurde er mit einer brünetten großen Frau im Hosenanzug konfrontiert. Ihre Hände waren behandschuht. Sie hatte bemerkenswerte Haare von einem weichen Braun, das in wilden Wellen auf ihre Schultern fiel. Ihr Gesicht kam ihm vage bekannt vor. Ihre Augen waren in dem strengen aber attraktiven Gesicht das auffallendste: ein heller Braunton.
 

Er starrte sie völlig überrumpelt an und dachte daran, dass sie älter als er war und atemberaubend schön. Bis zu dem Punkt als Manx sprach.
 

„Eve Crawford, das ist Ken Hidaka. Er wird Sie bei der Lösung Ihres Problems unterstützen.“
 


 


 

Fortsetzung folgt…
 

Das Beta machte Beatrice, vielen Dank dafür! ^.^
 

Bis zum nächsten Mal!

Gadreel



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück