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Der Glasgarten

von

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Geraubte Zeit

~ Geraubte Zeit ~
 


 

o~
 

Eingerollt war Aya, doch seine Gestalt war nicht entspannt…ganz im Gegenteil. Sein nicht mehr rationales Denken hatte die Minuten…oder waren es Stunden?, dazu genutzt, um ihm Dinge vorzugaukeln, die nicht gut waren. Selbstvorwürfe schwelten in ihm. Er hatte sie auf dem Gewissen, er hatte sich nicht genug um sie gekümmert, er war es gewesen, der sich lieber dem Ziel gewidmet hatte, Schuldig zu töten, als ihr beizustehen. Er hatte sich nach all den Jahren in Sicherheit gewiegt, hatte gedacht, dass sie es schaffen würde, hatte darauf vertraut.
 

Er hatte versagt.
 

Hatte sich von Schuldig ablenken lassen, in so vielerlei Hinsicht. Erst waren da die fünf Tage gewesen…die er fern von seiner Schwester verbracht hatte, dann der Kampf gegen den Telepathen. All das…all das hatte ihm Zeit mit seiner Schwester geraubt. Kostbare Zeit. Er hatte sich diese Zeit nehmen lassen und Schuldig hatte sie ihm geraubt. Er hatte sie ihm gestohlen…hatte ihn abgelenkt…

Der Falschheit dieses Gedankens war sich Aya in diesem Moment nicht mehr bewusst, schon lange nicht mehr. Dazu war die Spirale der nach außen projizierten Selbstvorwürfe zu tief geglitten, als dass er selbst noch ein Zurück fand. Er machte sich dafür verantwortlich…und Schuldig. Aus Verzweiflung und Trauer geborene Wut dominierte seine Gedanken, ließ ihn zitternd zurück. Vor allen Dingen, da er den Verursacher jetzt hier hatte. Schuldig war wieder da.
 

Vorsichtig stellte dieser die Tüten ab, begann sie auszuräumen, nachdem er sich seiner Schuhe und seines Mantels entledigt hatte. Und währenddessen bemerkte er, dass er noch nichts gegessen hatte und prompt fing sein Magen an, lautstark diese Beobachtung zu bestätigen.

Schuldig sah auf, sein Blick Aya suchend, der immer noch in der gleichen Haltung saß, sich kaum rührte. Seine Anspannung wurde deutlich, so wie er dort hockte.

Er beobachtete den Mann einige Augenblicke, bis ihm auffiel, dass er vergessen hatte, mit Kudou darüber zu sprechen, dass er Aya fragen sollte, wie es mit der Bestattung seiner Schwester aussah. Ob er das schon veranlasst hatte, oder nicht. Schuldig vermutete eher nicht. Aber Ran jetzt zu fragen?

Wenig überzeugt von seiner Idee ging er zu dem Mann. Wie sollte er das Thema jetzt ansprechen? Er war der Falsche dafür. Der Freund des Rotschopfes wäre der bessere Mann gewesen. Vielleicht sollte er ihn kontaktieren?

"Ran?", fragte er zaghaft.
 

Ran…fünf Tage…Ran…
 

Aya sah hoch, hoch in die blaugrünen Augen, die ihn so sanft ansahen. Die Augen, die ihm seine Schwester genommen hatten. Die letzten, wichtigen Tage mit seiner Schwester. Die roten Fäden des Zorns griffen nun auch nach den letzten Bahnen rationalen Denkens und zogen sie mit ins Verderben. Er sagte nichts…keinen Ton. Sah einfach in diese Augen. Hasste sich, hasste Schuldig, hasste jeden. Hasste Ayas Tod. Er war unfähig, diese Wut zu kompensieren und zu verarbeiten, völlig unfähig, mit ihr umzugehen. Er hatte nichts mehr, an dem er sie auslassen konnte.
 

Nein…falsch. Er hatte etwas. Seine Kiefer pressten sich eisern aufeinander.
 

Nichts hatte sich in diesem Blick verändert, als er Schuldig traf, wie dieser befand. Ausdruckslose violette Augen, die Mundwinkel nach unten gerichtet, die Haut fahl und am Kiefer noch immer die schillernden farblichen Überreste des Hämatoms zu sehen. "Ich ...habe ihn nach hause gebracht...und war noch einkaufen...", fing Schuldig deshalb zögernd an, war sich nicht sicher ob die Worte überhaupt ankamen.

Er seufzte ungehört fing noch einmal an.

"Gibt es noch etwas zu erledigen? Ich meine...wegen deiner Schwester...soll ...Kudou sich noch um etwas kümmern, ihre Bestattung?", wagte er es mit ruhigen Worten. Vielleicht war es ein schlechter Moment, aber vermutlich nicht schlechter als andere, die noch kommen mochten.
 

Dass es ein schlechter Moment war, sah Schuldig spätestens jetzt, als eine zur Faust geballte Hand in seinem Gesicht landete und seinen Kopf zurückwarf. Wie zornesdunkle Augen sich in die Seinen bohrten und Aya hochstob. Ihn zurückstieß. „Du WAGST es, SO über sie zu sprechen? DU WAGST es, mich so etwas zu fragen? Nachdem DU mir fünf Tage unserer Zeit gestohlen hast!“, schrie er völlig außer sich, sah in Schuldig einen Feind, den es nicht gab. „DU bist schuld…DU hast sie auf dem Gewissen!“ Völlig neben sich…jeder Logik entbehrend.
 

Der Schmerz schoss durch seine Nervenbahnen, explodierte in seinem Kopf. Er hatte die Faust zwar nicht kommen sehen und konnte sich aber dennoch abfangen, bevor er zu Boden ging. Wut wallte in ihm fast wie in einem Reflex auf, doch sie fand keinen Nährboden, die Worte die ihm entgegen gebracht wurden, waren derart mächtig in ihrer Wirkung auf ihn, dass er lediglich zu Ran aufblickte, mit Unverständnis, als sähe er einen Geist.

Er hatte sich mit der Hand auf dem Boden abfangen können, aber Ran sah nicht danach aus, als wäre er schon fertig mit seinen Vorwürfen. "Ich...", setzte er an, sich zu rechtfertigen.

Aber was hatte er vorzubringen? Nichts.

Alles was er sagen würde, wäre nichtig vor diesem Gericht, welches über ihm stand und auf ihn zornerfüllt nieder blickte.

Sein Kiefer pochte taub, als er aufstehen wollte, sich diesem Blick entziehen wollte. Schuldig hatte das dumpfe Gefühl, dass es hier zu einer Situation kommen konnte, die nicht mehr lenkbar werden würde, falls er sich selbst in seiner Kontrolle verlor.

Er musste die Kontrolle behalten. "Ran...", versuchte er es erneut sich Gehör zu verschaffen.
 

„Sei still“, zischte der rothaarige Weiß, das Gesicht blass, die Augen lodernd. „Halt verdammt noch mal deinen Mund…du hast sie auf dem Gewissen…hast mich davon abgehalten, für sie zu sorgen, nur weil du deine EGOISTISCHEN Spiele durchsetzen wolltest…du hast nicht weiter gedacht, als es deine verdammte Naivität zuließ. Dir war scheiß egal, was aus ihr wird…Hauptsache, du hast deinen Spaß! Wegen DIR haben die Ärzte sie sterben lassen! Weil kein Geld da war für die Versorgung! Mistkerl…das wolltest du! Das hast du von ANFANG AN geplant!“
 

Aya war nicht mehr er selbst. Hass wucherte in eiskalten und doch verbrennend heißen Strängen aus ihm und ließ ihn hässlich werden. Dinge hervor speien, die er ernst meinte…bitterernst. Ließ ihn bedrohlich auf den anderen Mann zugehen…
 

Es hatte keinen Zweck, fiel Schuldig wieder ein, als er bewusst einen Schritt zurück trat. Er musste Abstand gewinnen. Die Worte schmerzten und auch wenn es von ihm kaum bemerkt wurde, da er zu sehr auf die Worte achtete, in ihm begann es zu brodeln. Ein Beben, das ein Zittern hervorrief, welches wie ein Tsunami Wellen auslöste, die in ihm hoch aufbrandeten und etwas in seinem Inneren zerstörten.

"Du weißt, dass es nicht stimmt...nicht so wie du es sagst! Ich verstehe, dass du wütend bist, aber sie starb nicht wegen mir." Er schüttelte den Kopf, das Gesicht Ran zugewandt. Er hob leicht die Hände, als wolle er zeigen, dass er nicht schuld war.

Aber war er es wirklich nicht?

Er war doch Schuldig, nicht wahr? Hatte er Recht? Mit allem? Was sollte er tun? Er hatte keinen Zugang zu Rans Geist. Er konnte sich nicht damit behelfen, wie konnte er ihn mit Worten beruhigen? Er hatte so etwas noch nie gemacht…

Schuldig fühlte sich hilflos, er stand dem Mann gegenüber, für den er etwas fühlte und der zerriss ihn innerlich entzwei mit seinem Hass.
 

Aya gab nichts auf die friedfertig erhobenen Hände…nichts auf die beruhigende, verletzte Stimme des Telepathen. Wut war wie ein Springteufel in ihm hochgestiegen, entfachte seinen inneren Zorn wie einen Vulkan, der nun aufbrach. Auf die Trauer folgte Unverständnis…und darauf Wut. Bahnbrechende Wut auf jeden, der Schuld war. Ein Teufelskreis, der nun ein weiteres Mal seinen Zenit erreicht hatte.
 

„Du hast sie mir gestohlen...die fünf Tage“, zischte er dunkel und packte Schuldig am Kragen. Ließ alles gehen, was sich in den letzten Wochen aufgestaut hatte. Jedes Gefühl, einschließlich überwältigender Hilflosigkeit verschaffte sich nun Gehör…und das nicht alleine durch seine zornigen Augen. „Mit ABSICHT!“
 

War Ran deshalb hier geblieben? War er deshalb nicht mit dem Blonden mitgegangen?

Um ihm diese Dinge vorzuwerfen? Um ihm vorzuwerfen, dass er ihm die Zeit mit seiner Schwester gestohlen hatte?

Schuldig konnte seine Beobachtungen mit dem, was er von dem Mann wusste und bereits kannte überein bringen und kam auf kein schönes Ergebnis.

Oder machte er das, weil er wollte, dass Schuldig sich provozieren ließ und seinem Wunsch nach Tötung nachkam? Sollte er gehen? Ihn allein lassen, damit er sich beruhigte?

Aber würde er sich damit nur noch mehr hineinsteigern? Die unerbittlichen Hände hatten seine Kleidung gepackt und er war unfähig Gewalt gegen den aufgebrachten Mann anzuwenden. Wo war sein anderes Ich, wenn er es brauchte?
 

Schuldig musste versuchen, das anders zu machen, ihn zu beruhigen, denn das, was in den violetten Augen leuchtete war Irrationalität, der Gegenwart fern.

Die Trauer hatte Ran fest im Griff, ließ sie mit Wut um sich schlagen.

Schuldig ergriff nun seinerseits die Schultern des Anderen.

"Hör auf damit!", sagte er fest. "Ran! Das ist völlig irrational."

In gewisser Weise hatte er Recht, doch Schuldig konnte ihm jetzt nicht auf eine sachliche Ebene ziehen, Ran war viel zu weit von der Realität entfernt, war auf einer Gefühlsebene, auf die Schuldig nicht konnte. Er konnte nicht um seine Schwester trauern, er konnte dieses Gefühl nicht nachempfinden.
 

„Es ist die Wahrheit“, hielt eben dieser dagegen und zischte erbost. Verkrampfte seine Hände in dem Pullover des größeren Mannes. „Erst…arbeitest du für Takatori…dann nimmst du sie mir weg und schließlich…“ Aya stockte, wusste nicht, wie er die unzähligen Vorwürfe in seinem Kopf am Besten veräußern sollte. Er wollte…Gewalt. Wollte Schuldig schlagen, wieder und wieder. Dem Telepathen zusetzen dafür, dass er sie…

„Du hast sie vernachlässigt!“, brach es aus ihm heraus. „Dich nicht genug um sie gekümmert! Nicht genug Geld herbei geschafft!“ Vorwürfe um Vorwürfe verließen seine Lippen, sprudelten frei heraus.
 

Schuldig wurde durch diese Worte klar, dass Ran nicht ihn meinte, sondern sich selbst. Als hätte er einen dumpfen Schlag in seine Magengrube bekommen wurde ihm das bewusst und er schüttelte verneinend den Kopf.

"Nein, Ran hör auf damit. Hör auf dich selbst zu verletzen, verdammt!", schrie nun Schuldig unbeherrscht dazwischen. Er war aufgewühlt durch seine Erkenntnis, durch die Worte. Diese Gefühle brachen sich in seinen Augen bahn, waren gut ablesbar, so offen lagen sie dort, so verbissen hielten die Hände die Schultern des Mannes vor sich fest.
 

Er war so sehr darauf konzentriert und bemerkte den Schatten in seinem Augenwinkel erst sehr spät und riss den Kopf hektisch herum.

Crawford stand vor ihm und blickte ihn mit Eiseskälte und einer unnahbaren Aura an, dass Schuldig das Gefühl hatte der Amerikaner wäre ihm komplett fremd. Doch Crawford kam nun näher, pflückte sich Rans Hand mit hartem Griff von seinem Kragen und Schuldig trat automatisch einen Schritt zurück. Warum er das tat darüber dachte er nicht nach, es war als müsse er Crawford Raum geben, obwohl dieser Ran von ihm entfernte.
 

"Genug! Wenn du es nicht ertragen kannst, dann heul wo anders herum", sagte Brad und ließ seine Hand sprechen, als sie auf die Wange niedersauste um Ran wieder zur Vernunft zu bringen. Er hatte es satt, ständig hinter den beiden aufräumen zu müssen.

Er war wütend gewesen als er die Vision gesehen hatte, dass Aya noch immer bei Schuldig weilte. Seine gestrige Vision hatte ihm gezeigt, dass der große Blonde des Kritiker Teams vorbeikommen würde und er war davon ausgegangen, dass Aya mit zurückgehen würde. Aber nein, scheinbar war dem nicht so.

Stattdessen machte er Schuldig noch ganz verrückt, so wie er in dessen blaugrünen Augen ablesen konnte, die ihn aufgewühlt und hilflos anblickten.

Er hasste es, wenn das passierte. Wenn jemand kam und Schuldig schwächte.
 

Crawford ließ es dabei bewenden, gab Ran einen verächtlichen Stoß mit als er ihn losließ und auf die Couch setzen ließ.

Er richtete sein Augenmerk auf Schuldig. "Es muss endlich Schluss damit sein, Schuldig. Wie lange willst du diese Farce noch weiter gedeihen lassen? Willst du es soweit treiben, bis dir Kritiker im Nacken hängt? Willst du das? Ich will es nicht!" herrschte er Schuldig an, sich nicht näher dazu äußernd, ob er nicht wollte, dass das Team durch Kritiker gefährdet wäre, oder Schuldig im Speziellen.
 

Schuldig war wie vor den Kopf gestoßen. War er denn unfähig seine ‚Sachen’ selbst zu regeln? Mit hängenden Armen stand er da und befand, dass es tatsächlich so ausgesehen haben mochte.
 

Die sich unter Aya befindende Couch tat ihm keinen Abbruch für den Schmerz in seiner Wange. Für den Schmerz in seinem Inneren, dem er ausgesetzt war. Schuldig war…er. Nur er. Crawfords Ohrfeige, die plötzliche Gewalt hatte ihm das klar gemacht. Schuld war er selbst. Er hatte sich nicht um sie gekümmert, hatte sie alleine gelassen…hatte sich von ihr trennen lassen.

Nur er, sonst niemand. Ihm galt seine Wut, auf Schuldig hatte er sie projiziert.

Doch genau diese Wut wandelte sich nun wieder in Verzweiflung, in Hass auf sich selbst. Hass, der ihm die Tränen in die Augen schießen ließ.
 

Er schluckte sie herunter, starrte vor sich auf die Couch. Sein Blick war den anderen beiden Männern abgewandt, wie auch seine Gestalt. Er konnte ihnen nicht in die Augen sehen…speziell Schuldig nicht.

Was hatte…Crawford gesagt? Wenn er es nicht ertragen konnte? Wie…konnte man den Tod des einzig geliebten Mensches ertragen? Wie konnte man ertragen, plötzlich alleine zu sein? Aya verstand es nicht, sah sich nicht in der Lage dazu…Also konnte er gehen. Er war zu schwach. Ja…das sah er jetzt…sah er in den Worten des Amerikaners. Was hatte er für ein Recht, hier zu bleiben und Schuldig auszunutzen? Ihm vielleicht noch Kritiker zu schicken? Er war hier unerwünscht…was nicht anders zu erwarten war als Feind.
 

Es war nun doch eine einzelne, suizidale Träne, die sich seine Wange hinunter stahl, als sich so etwas wie Pflichtgefühl in ihn schlich. Kritiker sollten nicht hierhin kommen…das hatte ihm sein Stolz verboten. Also sollte er dieses Versprechen auch einlösen…ganz gleich, ob er sich verstoßen fühlte.

Aya stand leise auf, schenkte weder Schuldig noch Crawford Beachtung. Er nutzte nur aus…war sich nicht bewusst gewesen, was das für Konsequenzen hatte…

Er wandte sich Richtung Kleiderschrank. Schuldig würde sicherlich nichts dagegen haben, wenn er sich etwas borgte…wenn er dann nur von hier verschwand. Ihm Kritiker nicht auf den Hals hetzte. Wie ein Mantra wiederholte er diese Worte und ergriff stumm die großen Flügel des Möbelstücks, griff blind vor in seinen Augen tanzenden Tränen nach irgendetwas…
 

Schuldig verfolgte das übereilte Aufstehen und unsichere, aber zielstrebige Flüchten von Aya zu seinem Schrank mit zunehmender Angst. Angewidert verzog er die Lippen und in die blaugrünen Augen legte sich ein warnendes Blitzen. Diese Augen richteten sich langsam wieder auf Crawford, maßen den Mann mit anderen Augen.

"Solltest du noch einmal, ein einziges Mal deine Hand gegen meinen Besitz erheben, zermalme ich dich wie ein Körnchen Staub unter meinem Schuh. Er…", Schuldig deutete mit dem Kinn fast beiläufig zu Aya hin, der sich aus seinem Schrank eine Jacke zog. „...gehört mir, alles an ihm. Dir gehört nichts", zischte Schuldig und sah wie die Kälte in Crawfords Augen zu seinem bösartigen Blick in Reaktion trat.

Schuldig wandte sich ab, ging zu Aya klappte den Schrank zu und zog den Mann an sich, umarmte ihn fest. "Lauf nicht davon", sagte er rau. "Du bist hier willkommen, das weißt du."

Schuldig versuchte sich zu beruhigen, doch solange die Gefahr in Form von Crawford im Raum war, konnte er sich nicht entspannen, konnte er diese lauernde Unruhe nicht verdrängen.
 

Besitz?

Alleine dieses Wort geisterte in Ayas verstörten Gedankengängen. Besitz. Er war Schuldigs Besitz. Erbittert wehrte er sich gegen die Hände, die ihn festhielten, die Arme, die ihn gefangen hielten. Es war Ruhe, die er empfand, dass Schuldig ihn nicht verstieß. Es war Unverständnis, das in ihm wütete ob der Degradierung, die ihm der Deutsche hatte zukommen lassen. Er gehörte niemandem…Er war kein Stück, das man auf einem Basar erstand…Aya schluchzte leise, hatte sich nicht unter Kontrolle, als ihn das an kaum vergangene Tage erinnerte.

Er stemmte seine Hände gegen den Körper des größeren Mannes, stieß ihn mit geschwächter Kraft von sich. „Aber nicht als dein BESITZ! Ich GEHÖRE dir nicht!“, schrie er in die Stille. Lieber…sich verloren fühlen…als sich selbst aufzugeben zugunsten eines anderen.
 

Schuldigs Blick flackerte, wankte zwischen zwei Empfindungen hin und her, wollte den anderen Mann bestätigen, wollte dessen Worte jedoch auch widerlegen.

Er kniff die Augen kurz zusammen, versuchte sich zu konzentrieren doch die Kälte und das, was in ihm lauerte, hielt ihn fest im Griff. "In seinen Augen musst du mir gehören", wich er aus, hoffte, dass sich Ran beruhigte, nicht ging, doch er konnte sich kaum beherrschen, dunkel war seine Stimme, irrlichternd der Blick, der auf Aya lag.
 

„Nein…“, fuhr Aya hoch, nicht in der Lage, rational zu Denken oder gar zu handeln. Es war zuviel gewesen, alles zuviel. „Dann soll er mich töten, aber ich gehöre dir nicht.“ Leise, ungläubige Worte drangen von Ayas Lippen, als er einen weiteren Schritt zurücktrat und sein Blick zu Crawford flackerte. Das hatten sie schon einmal gehabt. Er wollte es nicht noch einmal. Nicht noch einmal…

Erinnerungen konkurrierten in ihm. Worte, die Schuldig gesagt hatte. Seine Taten. Er hatte ihn gehen lassen, obwohl es ihm nicht leicht gefallen war. War das denn gar nichts gewesen?

Oder sollte er die Worte des anderen Mannes wörtlich nehmen? Welche Seite des Telepathen sprach zu ihm? War das nicht auch egal? Würde die eine nicht Kontrolle über die andere übernehmen? Schuldigs Worte schmerzten, projizierten den Schmerz schon beinahe auf seinen Körper.
 

Dieser machte einen Schritt auf Aya zu, engte diesen vermutlich noch mehr ein, doch er suchte die Nähe des Anderen, beobachtete die furchtsame Gestalt, das Wechselspiel der Emotionen in diesem Blick, der ihn so faszinierte. Etwas in ihm ließ sich von diesem Anblick erweichen, aber nicht verdrängen.

Vorsichtig, als würde er ein scheues Tier berühren wollen, hob er die Hand. "Bitte, trete in meinen Schutz, weiter will ich nichts", sagte er und runzelte gleichzeitig die Stirn. Was redete er da?

"Ran, bitte, vertrau mir."

Verwirrt blickte er den Rothaarigen, der ihm wie zur Flucht bereit gegenüberstand, Crawford im Rücken fast vergessen.
 

Aya zuckte vor eben dieser Hand zurück, ließ seine Augen unruhig über die vor ihm stehende Gestalt gleiten. Vertrauen? Schutz?

Seine Gedanken konnten und wollten ihm nicht gehorchen, als er sich wiederum auf die Worte des Telepathen konzentrierte, die doch so sehr im Gegensatz zu dem Vorherigen standen. In dessen Schutz? Wozu brauchte er Schutz, wenn das, was er ebenso wie das Leben akzeptierte, der Tod war? Wenn ihm außer völliger Selbstaufgabe jedes Ende dieser Trauer recht war?
 

Dennoch…wollte er nicht einfach so aufgeben. Nicht jetzt. Er würde es noch versuchen, würde noch einmal versuchen zu leben. Wenn er scheiterte…dann akzeptierte er das.

Dazu gehörte auch, dass er wirklich versuchte, Schuldig…zu glauben.

In mühevoller Arbeit entspannte er sich schließlich, sah davon ab, noch einen Schritt zurückzutreten. Fixierte ausschließlich den Telepathen, wie er vor ihm stand.
 

Schuldig ließ die Hand wieder sinken und als wäre Etwas in ihm durch Rans Akzeptanz befriedigt worden, wurde sein Blick ruhiger, weniger unstet, doch noch immer lauerte etwas Dunkles dahinter. Er schloss für einen Moment die Augen, die minimale Veränderung in Ran erkennend und diese positiv bewertend drehte er sich um zu Crawford.

"Er wird hier bleiben, Crawford, daran kannst du nichts ändern. Das hat nichts mit Kritiker zu tun... wie du sicher weißt...", lächelte er spöttisch. ‚Danke für deine Hilfe, Brad, geh besser. Ich weiß nicht, warum du dich einmischst, ich kann meine Dinge selbst regeln, oder hast du immer noch ständig Angst, dass ich Mist baue?'

Er beruhigte sich, als er mit dem Anderen in Gedanken kommunizierte, wollte diesen nicht noch einmal verletzen, dazu schätzte er ihn zu sehr, doch er ließ es nicht zu, dass Brad Ran von ihm weg trieb. Jetzt, wo er so nah bei ihm war.

‚Du solltest dich ausruhen, Schuldig. Du schwankst in deinen Stimmungen', war das Einzige, was Brad antwortete, bevor er schweigend die Wohnung verließ.
 

Als wäre eine Last von ihm abgefallen atmete Schuldig aus und entfernte sich von Ran, ging ins Badezimmer und drehte das kalte Wasser auf.
 

Wortlos blieb Aya als Einziger zurück, wusste ein paar lange Momente nicht, was er mit der überwältigenden Stille anfangen sollte, die ihn umgab. Crawford…nach langen Momenten wieder verschwunden. Schuldig ebenso. Nur er stand noch hier, hielt sich die brennende Wange. Was hatte er getan? Was hatte er gedacht? Wie hatte er so dermaßen überreagieren können? Wie hatte er dem Mann, der ihn gestern hier aufgenommen hatte, so rücksichtslos seine eigenen Fehler auf den Leib schneidern können?

Aya hasste das, was die Trauer aus ihm machte, wie ungerecht sie ihn werden ließ. Er bedauerte, was er Schuldig gesagt hatte.

Er seufzte stumm und stieg müde die paar Stufen zum Bett empor. Er setzte sich langsam, fast wie ein alter Mann.

Aya ließ sich zurückfallen, zog die Beine zu sich hoch. Hatte das Bedürfnis, sich einzurollen und unter der dicken Daunendecke zu verschwinden. Ganz einfach weil er nichts mehr von der Welt wollte.

Und er tat genau das.
 


 

Schuldig blickte sich im Spiegel an, das Wasser perlte von seinem Gesicht ab.

"Du bist verrückt", sagte er ernst zu seinem Spiegelbild und kurz flackerte Verzweiflung in seinem Gesicht auf. Vielleicht wäre ein Aufenthalt in der Psychiatrie doch nicht zu verhehlen. "Oh Gott", fuhr er leise auf schloss die Augen und wandte sich ab.

Was tat er hier?, wiederholte er die Frage, die er in der letzten Zeit nur allzu oft gestellt hatte.

Crawford hatte mit all dem, was er sagte, Recht. So verdammt Recht. Schuldig war zu labil um jemanden wie Aya um sich zu haben, der ständig Nährboden für Reibereien bot. Er wollte ihn nicht verletzen und selbst kam er nicht zur Ruhe. Es war verrückt, die ganze Situation war verrückt. Und seine Person machte das nicht besser. Schuldig, du kriegst einfach nichts auf die Reihe, gar nichts...

Rasch trocknete er sich das Gesicht ab um danach wieder in den Wohnraum zu gehen.
 

Es war für Schuldig nicht verwunderlich, dass Ran sich in den Schutz des Bettes und der Decken zurückgezogen hatte. Verständlich, wie Schuldig müde lächelnd befand.

Er fuhr sich kurz die störenden Haare hinter das linke Ohr und überlegte sich, was er eigentlich machen wollte, bevor es zu diesem Ausbruch von Ran gekommen war.

Ach ja...er wollte etwas kochen. Sein Hunger war wieder da, und Aya hatte mit Sicherheit noch nicht gegessen, vermutlich noch nicht einmal etwas getrunken, seit er aufgestanden war.

Zeit, dies zu ändern.

Ein wenig Angst hatte er schon, dass Ran jetzt wieder in den Hungerstreik treten würde und er ihn überreden musste.

Ein Grinsen schlich sich auf die Lippen als er damit begann, das zu kochen, was ihm für den Moment am Besten erschien. "Mit Speck fängt man Mäuse ...und mit Honig ...Bienen", flüsterte er vor sich hin, als er die Zutaten heraussuchte...
 

o~
 

Geräusche drangen nach einiger Zeit durch den dicken Wall an Daunen um ihn herum. Geräusche fern vom Bett…Geräusche, die ihn beruhigten. Ganz gleich, was Schuldig gesagt hatte, ganz gleich, wie viele Worte Crawfords sich in sein Innerstes gebohrt hatten, er hatte einfach nicht mehr die Kraft dazu, von hier fort zu gehen. Er wollte es nicht. Wie ein weidwundes Tier, das sich zum Sterben einen ruhigen Platz gesucht hatte…so lag er hier nun und wartete. Auf nichts. Es gab nichts mehr, auf das er warten und das er erwarten konnte. Das IHN erwarten würde, wenn er von seiner Arbeit nach Hause kam.
 

Die Routine, die seine letzten Jahre bestimmt hatte, war durchbrochen. Zerstört. Da würde es kein Krankenhaus mehr geben, in das er gehen würde. Keine schlafenden, sanften Gesichtszüge, auf denen all seine Hoffnung lag. Damals…ja. Da hatte er sich eine Illusion erschaffen und geglaubt, dass sie leben könnte. Doch diese Illusion war nun zerplatzt. Schmerzte und quälte ihn. Legte eiserne Ketten um seinen Brustkorb, die ihn zu ersticken drohten.
 

Aya presste seine Stirn in das Kissen. Seine Zähne aufeinander. Er würde es versuchen…würde wirklich versuchen, damit zu leben. Er würde jetzt noch nicht aufgeben…das wollte er nicht. Auch wenn alles in ihm danach schrie, seiner Schwester zu folgen.

Doch…da waren Menschen, die ihn brauchten, die ER traurig machen würde, wenn er ginge. Menschen, die er nie wieder sehen würde. Und Aya war sich nicht sicher, ob er das wirklich wollte.
 

Er atmete tief ein und tauchte langsam unter der Decke hervor. Noch ein Atemzug, dann richtete er sich leise auf und sah, wie Schuldig in der Küche stand…irgendetwas zubereitete. Was brachte es ihm, noch weiter hier zu liegen und sich mit seinen Gedanken zu quälen? Zuzusehen, wie sie ihn auffraßen? Wäre da ein wenig Ablenkung nicht genau das Richtige?
 

Er erhob sich aus dem Bett und näherte sich vorsichtig der Küche. Das weidwunde Tier, das noch lebte…Seine Augen kamen auf der Pfanne zu ruhen und sahen, was seine Nase vorher schon unbewusst gerochen hatte. Süße, goldbraune Telepathenbällchen. Er hob den Blick, hin zu Schuldigs Gesicht.
 

Dieser bemerkte Ran und hob den Blick von seiner Speise, die er zubereitet hatte. Er zauberte ein kleines Lächeln auf sein Gesicht, welches fast zu einem spitzbübischen Grinsen auswuchs, als ihm die Bedeutung der Bällchen in den Sinn kam. Sie hatten da eine nette Unterhaltung gehabt, als er sie Ran gefüttert hatte.

"Ist gleich fertig...willst du mir die Schälchen herausgeben? Sie stehen im Schrank neben den Süßigkeiten."

Er leckte sich den Daumen ab, der etwas vom Honig abbekommen hatte und sah so Ran an, der immer noch vor ihm stand, etwas schüchtern in gemessenem Abstand.
 

Ayas Augen folgten den Lippen, die sich um die emsigen Finger schlossen. Saugten ihn auf, den Akt der Unbekümmertheit, bevor er sich auf die Worte seines Gegenübers besann. Neben dem Süßigkeitenschrank. Er drehte sich langsam um und wunderte sich, dass er genau wusste, wo eben dieser sich befand. Warum hatte sein Gehirn das als so wichtig eingestuft, dass er nun wie selbstverständlich danach griff und die geforderten Schälchen herauszog und sie vor sich auf die Anrichte stellte?
 

Er wusste es nicht…wie so vieles.
 

Ein nachdenklicher Ausdruck huschte über Ayas Gesicht, bevor er schließlich zu sprechen begann. „Youji…hat sie Telepathenbällchen genannt.“ Ein vorsichtiges, leises Schnauben. „Aber gegessen…hat er sie. Und die Anderen auch.“
 

Die Teigbällchen hatten die gewünschte Farbe, als Schuldig sie von dem Kochfeld zog und den Abzug ausschaltete. Er drehte sich um und kramte in einer Schublade nach einem geeigneten Besteck als er die Worte hörte. Sein Kopf ruckte zu Ran hinüber, hörte das Schnauben, welches ihn angesichts der Worte fast schon als Verteidigung seiner selbst vorkamen und musste plötzlich lauthals lachen.
 

"Telepathen...WAS?"
 

Er stützte sich auf der Arbeitsplatte ab, wusste nicht, sollte er Ran ansehen, die...Telepathen...Bällchen...oder sich einfach hinsetzen...weil es zu "…absurd...das ist einfach bescheuert!", lachte er.
 

"Mein Gott, der Typ hat Humor! Das gibt's nicht", griente er noch immer Ran anstarrend. "Oh man, wie soll ich die Dinger jetzt essen...kann doch meine eigenen Bällchen nicht aufessen!"
 

Schon wieder entfuhr ihm eine kleine Lachsalve als er an Ran herantrat, die Schälchen nahm und sie zu der Pfanne brachte um die ...Bällchen zu verteilen.
 

Erst jetzt…nachdem er Schuldig für ein paar lange Momente betrachtet hatte, ging Aya die Bedeutung der Telepathenbällchen auf. Auch er musste lächeln, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Es tat gut zu sehen, dass der andere Mann lachte und ihm nicht zürnte. Es beruhigte Aya, ließ ihn selbst etwas positiver denken.

Sein Blick schweifte auf die Pfanne, zu den Bällchen. Auf Schuldigs Augen zurück. Augen, nicht Bällchen. Auch wenn das durch Schuldig eben heraufbeschworene Bild vor seinem inneren Kino aufflimmerte und ihm noch ein weiteres kleines, beinahe unsichtbares Lächeln abrang.

„Na wenn sie so aussehen….“, er bewunderte unwillkürlich die goldbraune Farbe derselbigen, „…würde ich mir Gedanken machen. Nicht, dass sie so gerne genascht werden, wie die hier.“ Er deutete leicht auf die Pfanne. Erinnerte sich an den Geschmack. Weihnachten und Karibik. Ach ja…es war ja Weihnachten…
 

Bleib stehen, befahl sich Schuldig sofort, nachdem Ran das gesagt hatte.

Er hätte ihn nämlich am Liebsten an sich gerissen und umarmt, ihn aus dieser Tranceähnlichen Haltung, reißen wollen. Dieses Lächeln welches er schenkte, ohne zu ahnen was es in Schuldig anrichtete. Und dann dieser Satz, der alles andere als ein harmloses Witzchen war, so wie Ran ihn anblickte, dann in die Pfanne sah. Er sagte es ohne Anspielung, als wäre es nur darum gegangen das Kochrezept zu erfahren.

Etwas ratlos fuhrwerkte Schuldig in seinen Haaren herum und verzog die Lippen unwillig. "Naschen? …das heißt doch gleich wieder ...beißen, oder? Kommt wirklich darauf an, wie dieses ‚Naschen’ definiert wird...dann könnte ich mich damit anfreunden...aber...ich zweifle noch daran...außerdem…", fing er an eine Schnute zu ziehen und entfernte sich mit den Schalen um sie auf den Tisch zu stellen. "Jeden lasse ich nicht da dran", sagte er harmlos dahin, Schulter zuckend.

"Magst du Früchte dazu? Was zu trinken? Tee? Kaffee?"
 

Ayas Zug um seine Lippen blieb. „Wäre ja auch schlimm, wenn…“, gab er zurück und bewegte sich ebenso zum Tisch, dort, wo ihn die einladenden Bällchen erwarteten. Er ließ sich auf einen der Barhocker nieder, zog leicht an den etwas großen Ärmeln des Schlafanzuges. Er konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt, auf Schuldig und dessen Frage. Auf das Gespräch, das sie führten.

„Tee wäre nicht schlecht“, erwiderte er schließlich und stellte seine nackten Füße übereinander, die wie immer nicht genug Wärme bekamen. Aber das war seine eigene Schuld, hätte er doch gut und gerne an warme Socken denken können…gleich. Nach einer heißen Dusche.
 

Er ließ seinen Blick nach draußen schweifen, verlor sich in den unzähligen Schneeflocken, die vor dem großen Fenster über der Stadt tanzten. Wie kurzlebig sie doch waren…kaum lagen sie und erreichten ihr Lebensziel, schon verglühten sie auf dem schmutzigen Asphalt und waren vergessen. Wie unzählige ihrer Art auch. Achtlos wurden sie niedergetrampelt, zur Seite gefegt, nicht gewürdigt. Er seufzte innerlich schwer. Nichts in dieser Welt war von Dauer. Rein gar nichts.
 

Schuldig kam dem Wunsch nach, richtete alles an und setzte sich schließlich Ran gegenüber. So weit so gut, alles verlief augenscheinlich normal. Nun insoweit man von Normalität in dieser ganzen vertrackten Sache sprechen konnte. Aber es war momentan kontrollierbar, lenkbar und damit war er schon zufrieden.

"Wie kam der Schnüffler eigentlich auf ...diesen Ausdruck? War er nicht sauer? Ich meine, wie hat er das in Kombination gebracht?", fragte Schuldig neugierig, Ran sein Schälchen zuschiebend, damit er sich eines der Bällchen herausfischte. "Hmm...Eis wäre dazu sicher auch nicht übel gewesen", sinnierte er mit zusammengezogenen Brauen auf Rans Antwort wartend.

Er genoss die Ruhe zwischen ihnen und doch spürte Schuldig untrüglich, dass etwas da war, was er nicht greifen oder benennen konnte. Eine Anziehung, der er sich nicht entziehen konnte...oder ...wollte.

Ein Lächeln begleitete seine Worte.
 

Ein ruhiger Blick traf eben dieses Lächeln, als Aya seine Aufmerksamkeit erneut auf den Telepathen richtete. Sich mit Gewalt an dessen Worte festklammerte. Schnüffler? Youji also. Was für eine betreffende Bezeichnung. Hatten Schwarz für sie alle solch liebevolle Kosenamen? Blumenkind…Rotfuchs…Schnüffler…

Aya ließ seine Erinnerungen zurückstreifen. „Ich hatte sie gemacht…und hatte ihm erzählt, woher sie stammen. Er hatte gewissermaßen Angst, dass ihn das Telepathenbällchen anfällt. Aber sauer war er nicht…er hat gelacht“, gab er das wieder, was er noch wusste und nahm sich eines der Bällchen, hielt es einen Moment unter intensiver Betrachtung gegen das Licht. „Nur Ken und Omi haben sich gewundert…“…ebenso wie sie misstrauisch geworden waren, ergänzte er in Gedanken.
 

Sich dieses gemeinsame Essen vorstellend, grinste Schuldig etwas schräg.

"Sie wissen auch nicht so viel wie ...wie heißt er noch gleich... Yohji nennt ihr ihn, oder? Uns sind lediglich die Codenamen vertraut, und naja was ich so aufschnappe, eben ...auch", entschuldigte er sich gleich für seine Unhöflichkeit. Schließlich wollte er das Gespräch in sicheren Bahnen wissen und nicht in gefährliches Fahrwasser lenken.

"Ist der Kleine...Omi...", fing er an, verstummte augenblicklich, nur um nochmals wieder anzusetzen.

"...ist er sehr geknickt?"
 

Aya schnaubte wiederum leise, entschuldigte die Frechheit des Telepathen mit dieser simplen Geste. Wenn sich jemand entschuldigen musste, dann er. Und doch drangen die so einfachen Worte nicht über seine Lippen. Doch wollte er lieber Taten als Worte sprechen lassen.

„Youji heißt er…ja. Er war nicht sehr erfreut, dass du ihn dazu benutzt hast, um mit mir zu sprechen. Er traut dir nicht.“ Er zuckte mit den Schultern…musste einen Moment über die nächste Frage des anderen Mannes nachdenken. Omi…geknickt. Ein Thema, das ihn mehr als schmerzte, fühlte er sich für ihren Jüngsten doch mehr als verantwortlich.

Aya legte das angefangene Bällchen zurück in die Schüssel und starrte auf die Tischplatte. „Er ist enttäuscht, dass ich ihm nicht vertraut habe. Ich hatte eben Angst, ihm…davon zu erzählen. Hatte Angst, dass ich meine…Schwester dadurch gefährden könnte…“ Seine Stimme war leiser geworden. Hieß das, er konnte Omi jetzt alles erzählen? Nun, da sie tot war…und er durch sie nicht mehr erpressbar.
 

Schuldig verkniff es sich, zu antworten, dass Ran jetzt Omi alles erzählen konnte. Darauf würde der Mann wohl auch selbst kommen und viele Dinge wurden schmerzhafter, wenn man sie aussprach.

Er beobachtete wie Ran sein Bällchen, welches er zuvor noch scheinbar mit Appetit angesehen hatte, ablegte und schluckte sein eigenes hinunter.

"Es...wird sich sicher alles wieder einrenken, er versteht doch sicher, dass ..." Wieder verstummte er. Das war wirklich nicht leicht, solche Sachen zu besprechen. Solche Sachen, die unter die Sparte ‚zwischenmenschliche Probleme’ fielen. In den Gedanken der Anderen zu wühlen war einfacher als ihren Blick zu ertragen, ihre Trauer zu fühlen. Vor allem, wenn diese Gefühle sich auf einen selbst übertrugen, durch Nähe. Oder lag es vielmehr an der Tatsache, dass ihm an dem Mann etwas lag? Dass er ihn für sich gewinnen wollte?

"Du kannst es ihm erzählen, wenn du dazu bereit bist."
 

„Ja…irgendwann kann ich das…“, erwiderte Aya langsam und griff erneut nach der Süßspeise, auch wenn er keinen wirklichen Hunger hatte. Doch er wollte diese Süße schmecken, dieses Knusprige…

Dass sein Magen dadurch mehr Arbeit hatte, war ihm egal. „Aber….Crawford hatte Recht, irgendwann WIRD Kritiker hier auftauchen…sie haben ihre Agenten überall. Ich will nicht, dass sie jemand anderen töten, wenn sie auf mich aus sind…“ Seine Stimme war mehr als ruhig geworden. Ja…er kannte die Gefahren seines Hierseins. Er wusste, dass er Kritiker auf Dauer nicht entkommen würde, wenn er versuchte, vor ihnen zu fliehen. Dazu waren sie zu mächtig.
 

Den Kopf leicht schief legend, blickte Schuldig auf die trübselige Gestalt vor sich, seine Hand schlich sich zu Ayas Rechter, die neben der Schale lag, strich mit einem zarten Hauch seines Daumens über die Oberfläche. Eine scheue Geste, einem plötzlichen Bedürfnis nach Nähe geschuldet.

"Glaubst du, jemand könnte sich mit einer derartigen Absicht diesem Wohnhaus nähern? Telepathie...kennt keine örtliche Begrenzung." Er offenbarte dies um Ran zu zeigen, dass er ihm vertraute, dass der Andere ihm vertrauen sollte. Es war sicher nicht leicht und er erwartete nichts.

Er zog seine Hand wieder etwas zurück, wollte damit nur Sicherheit, keine Verunsicherung erreichen.

"Crawford...hat fast immer Recht", seufzte Schuldig ob dieses Umstandes. "Aber eben nur ‚fast immer’, Ran.

Ich möchte dir gerne sagen, dass du hier in Sicherheit bist, dass sie dich nie hier finden werden, aber du weißt so gut wie ich, dass es nur eine sinnlose Lüge wäre um dich zu beruhigen. Wir sind keine Kinder, die das glauben... Aber du bist hier sicherer als irgendwo sonst. Und diese ..." Wie sollte er es am Besten sagen, damit es nicht voller Vorurteile klang, dachte er zynisch. "...diese ‚Leute von Kritiker' sie unterschätzen mich immer noch. Du bist stark, Ran, vergiss das nicht."
 

Aya starrte auf seine Hand. Auf die Haut, die prickelte nach Schuldigs Berührung. Eben weil nur wenig jemals gewagt hatten, dies zu tun. Youji…höchstens. Omi vielleicht auch noch, aber nur, wenn er mit hohem Fieber im Bett gelegen hatte. Doch nicht so offen und zwanglos, wie es Schuldig tat und Aya sich unwillkürlich fragen ließ, wie er selbst das ertragen konnte. War es ihm egal? Im Hinblick auf den Tod seiner Schwester einfach egal, ob Schuldig ihn anfasste? Er bestand nicht auf seinen sonstigen Passus. Doch vielleicht lag es auch ganz einfach an der Berührung. Vielleicht war diese Geste nichts, was Aya als gefährlich einstufte.

Er sah auf, fixierte sich wie schon so viele Male zuvor auf die ihm entgegen gebrachten, leicht akzentuierten Worte.

„Keine Grenzen?“, lächelte er schwach. „Das wissen Kritiker nicht…aufgrund ihrer bisherigen Forschung sind sie davon ausgegangen, dass es räumlich begrenzt ist.“ Was erst zu dieser ganzen, vertrackten Situation geführt hatte. Kritikers Fehler, den er hatte einbüßen müssen. Nicht, dass er es wirklich genossen hätte, Schuldig den Wissenschaftlern auszuliefern…im Nachhinein nicht. Doch da hatte er nur seine Pflicht getan…eine Pflicht, von der er nun entbunden war.
 

Er atmete tief ein, drängte die aufsteigenden Tränen zurück. Er war frei, aber er war alleine. Was momentan allerdings nicht so schien…hatte er doch ständige, mal mehr, mal weniger ruhige Gesellschaft. Die ihn stärkte? Er wusste es nicht.

Was wäre denn geschehen, wenn er nicht hier gelandet wäre? Wo wäre er dann gewesen? Aya hatte keine Antwort auf diese Fragen, wusste er doch nicht wirklich, wie er hierher gefunden hatte und was passiert war, bevor er in diesem warmen Bett zu sich gekommen war. Mit dem Teddybären in den Händen. Ein beruhigendes Gefühl, ebenso wie die Sicherheit, die Schuldig ihm nun versprochen hatte.
 

Die er auch brauchte, wenn er stark war?
 

„Ich muss irgendwann zu ihnen zurück….zu Weiß. Ich kann sie nicht alleine lassen…“
 

"Du musst zu deinen Freunden zurück...du musst nicht zu Weiß zurück. Solange sie Weiß sind, kannst du nicht zurück, Ran. Außer ...das mit Kritiker erledigt sich ...irgendwann."

Er schwieg, aß weiter. Erst mit dem Essen hatte sich sein Magen wirklich gemeldet.

Er leerte seine Kaffeetasse, überdachte das von ihm Gesagte noch einmal.

"Klar kannst du zu ihnen zurück, mit der Aussicht, weiterhin von Kritiker observiert und in Anspruch genommen zu werden", fügte er noch an. Auch wenn es bedrückend war, aber das waren die Möglichkeiten die sich Ran boten.

Er hatte bemerkt wie kalt Rans Haut war und wollte nicht, dass der Mann ständig über Kritiker nachdachte, wo doch so viel in dem Kopf herumschwirren musste, das Vorrang hatte.

"Ist dir nicht kalt?"
 

Wieso hatte der Telepath eigentlich mit allem Recht, was er sagte? Aya konnte dem nichts entgegensetzen, war es doch die reine, unwiederbringliche Wahrheit, die Schuldig gerade eben ausgesprochen hatte.

Er nickte abwesend, hob schließlich den Blick. Direkt zu Schuldigs Augen, die ihn so offen ansahen. Die nichts zu verbergen hatten, ganz im Gegensatz zu seinen. Die Wälle, die er um sich errichtet hatte, waren stärker als je zuvor, ließen nichts hindurch. Nicht nach innen, nicht nach außen. Die Trauer, Wut, Verzweiflung…all das war in seinem Inneren gefangen und vermischte sich zu einer brodelnden Masse quälender Lava. Mal beruhigte sie sich, mal brach sie mit solch einer Wucht aus, dass Aya es kaum auszuhalten glaubte.
 

Und auch wenn er so verzweifelt war…eines hatte er noch zu tun. Einen Kreuzgang musste er machen. Es würde die Hölle werden, sie noch einmal zu sehen, sich um die Formalitäten zu kümmern…um das Unpersönliche…aber er musste es. Entgegen aller Wut…aller Trauer…allem Unverständnis, das er aufbrachte.
 

„Ich…werde mich gleich anziehen, ich muss auch noch zurück ins Krankenhaus, die Formalitäten für…“, er stockte, sprach nicht weiter. Für die Einäscherung und Verbrennung zu regeln. Das musste er tun. Er hatte Angst davor...große Angst.
 

Schuldig kam nicht umhin sich selbst einzugestehen, wie erleichtert er war, dass Ran es von sich aus ansprach. Das Thema hatte vorhin keine gute Stimmung gebracht, dachte er zweifelnd.

Und er war nicht gerade der Fachmann für so etwas.

"Möchtest du, dass ich dich begleite?", fragte er ruhig. Er würde auch ohne das Einverständnis des labilen Mannes mitgehen, oder ihm nachgehen, aber er würde ihn nicht alleine gehen lassen.

Das war zwar nicht ganz astrein, erst zu fragen und dann doch gegen den Willen des Anderen handeln, aber er hielt sich kaum an Regeln, nur an die von ihm selbst aufgestellten und…einige von Crawford...
 

Aya nickte langsam, mehr von seinem Instinkt getrieben als alles andere. Seine erste Reaktion war, den anderen Mann bei sich zu haben…den letzten Weg nicht alleine zu gehen. Dass er natürlich nicht wirklich eine Wahl hatte, ahnte er nicht. Vielmehr war er dankbar für das Angebot des Telepathen, für die Stütze, die dieser ihm bot, auch wenn er pure Angst vor dem Moment hatte, an dem…

Er griff sich mit aller Gewalt in die Realität zurückziehend nach dem Bällchen und biss ein weiteres Mal davon ab. Aß es schließlich ganz auf.

„Allerdings muss ich noch ins Koneko…die Papiere holen…und Geld…“, merkte er schließlich an.
 

Schuldig nickte. "Willst du, dass ich dich fahre? Oder soll ich besser...vor dem Krankenhaus warten? Oder mich im Hintergrund halten, ...dir die Jungs von Kritiker vom Leib halten?", fragte er bewusst danach. Ran sollte sich bewusst dafür entscheiden, dass Schuldig mitkam, auch wenn es vermutlich in der Situation nicht so einfach war. Sollte er Aya...fragen, ob er seine persönlichen Dinge mit hierher nehmen wollte? Wenn er schon im Koneko vorbeiging?

Besser nicht.

Er war unsicher und doch wieder nicht, es war, als würde er Ran nach draußen entlassen und Schuldig würde sich wappnen, diesen Ausgang so sicher wie möglich zu gestalten.

Langsam...wurde er paranoid. Zu Recht, wie er auch gleich grimmig befand.
 

Aya lächelte leicht. „Letzteres? Dann kann ich vielleicht...unbehelligt ins Koneko?“ Auch wenn der Anlass dafür mehr als traurig war. Doch er wusste, dass gewisse Sachen geregelt werden mussten. Die letzten Rechnungen, die…anderen Kosten, die noch auf ihn zukamen. All das wollte er heute regeln, damit er nicht wieder und wieder damit konfrontiert sein würde…außerdem musste er mit seinem Team sprechen, sich für seine Abwesenheit entschuldigen.
 

Schuldig fischte sich ein weiteres Teigbällchen aus der Schüssel und biss ab, plante innerlich schon die nötigen Schritte, wie er die Agenten ruhig hielt, damit Ran ohne Probleme seine Sachen regeln konnte und er genauso spurlos verschwinden konnte wie er auftauchen würde.

Er selbst musste sich auch in zwei Tagen bei Crawford blicken lassen oder früher, je nachdem wie viel Lust er darauf hatte. Es war alles schwierig geworden. Selbst der Umgang mit Crawford, der früher doch so einfach gewesen war. Einfach in ihren Verhältnissen gesehen. Doch jetzt war alles kompliziert, von Misstrauen und ständigen Vorwürfen durchsickert.

Ran aß nicht viel, bemerkte Schuldig, aber er sagte nichts. Der Mann würde sich schon wieder fangen, so hoffte Schuldig. Er wirkte in dem zu großen Schlafanzug wie ein Halbwüchsiger in den Klamotten seines Vaters.

...Eltern...Verwandte hatten sie beide keine...mehr.

Er hatte nie welche besessen und Ran...hatte seinen Letzten verloren.
 

Plötzlich schoss ein bitterböser Gedanke durch seinen Kopf und er sah Ran entsetzt an, doch nur für einen Moment. Dann war der Gedanke daran vorüber, dass er sich das vielleicht insgeheim gewünscht hatte, dass Ran niemanden mehr hatte, dass er sich dann an jemanden klammern konnte...an ihn klammern konnte.

Nein.

Nein, das wollte er nicht...

Ran war ihm in diesem Punkt egal gewesen, es war ihm egal gewesen, ob Ran Familie hatte oder nicht, es hatte ihn nicht wirklich interessiert, weshalb also sollte er sich gewünscht haben, dass Ran wie er alleine wäre?

Nein, das hatte er sich nicht gewünscht, sagte er sich.

Er war sich sicher, dass es ihm früher keinen Spaß gemacht hatte, dass sich die Verbalattacken, die er auf den Weiß während der Kämpfe abgefeuert hatte, nichts mit seiner Schwester, seinen toten Eltern zu tun gehabt hatten.

Wenn er sich recht erinnerte, war Rans Vater in Geschäfte mit Takatori verwickelt gewesen.
 

War Aya schon erstaunt darüber gewesen, dass der andere Mann ihm nicht antwortete, so gab dessen Mienenspiel ihm doch zu denken. Diese Regung hatte er so noch nicht an dem anderen Mann gesehen und das machte ihn unsicher.

„Was ist?“, fragte er schließlich nach und runzelte die Stirn, ahnte Gott sei Dank nichts von den Gedanken des Telepathen. Seine Hände spielten unruhig mit den Stäbchen.
 

Schuldig schluckte ob des intensiven Blicks aus den violetten Augen, runzelte die Stirn und senkte seinen Blick auf den Tisch und ihm fielen die unruhigen Hände auf.

Du verunsicherst ihn mit deinem Verhalten, rügte er sich und rang sich ein Lächeln ab.

"Nichts von Bedeutung. Alte ...Erinnerungen", fiel ihm kein anderer Begriff dafür ein.

"Komm iss doch noch etwas, die armen Telepathenbällchen müssen sonst hier im kalten herumliegen, Kühle tut ihnen zwar gut, aber in deinem Magen fühlen sie sich sicher auch ganz gut," setzte er ein spitzbübisches Lächeln auf, verdrängte die düsteren Gedanken rigoros.
 

Eine hochgezogene Augenbraue war für einen Augenblick das Einzige, was auf Schuldigs Worte reagierte. Kühle tat ihnen gut…na was das wohl wieder heißen mochte….

Aya wusste es nur zu genau und eben dieses Wissen ließ ihn wortlos aufstehen und zum Kühlschrank gehen. Darin suchen, was er begehrte und schließlich zu Schuldig zurückzukehren. Er warf dem anderen Mann mit einem kleinen Lächeln den Kühlakku zu. Er konnte ebenso spielen wie der Telepath…auch wenn er es nicht unbedingt zeigte.
 

„Zum Abkühlen…“ Aya nahm sich in aller Ruhe noch eines besagter lauwarmer Bällchen und biss energisch hinein.
 

Schuldig glaubte nicht, was er da sah. Geschickt fing er den Kühlakku auf und runzelte angestrengt die Stirn, schüttelte dann den Kopf und sah Ran ernst an.

Aya ging auf das Spiel ein ...nein er sabotierte ihn...seine Telepathenbällchen! Aber das hatte er sich so gedacht!

"Das ist nicht die richtige Kühlung! Ich zeig dir mal, wie das richtig geht, aber ich glaub, die sind heute besser in deinem Magen aufgehoben", sagte er gewichtig und schob Ran das Schüsselchen zu, in dem noch drei der Köstlichkeiten lagen.
 

„Zum Kühlen bin ich wohl der Falsche…“
 

Zufrieden, dass er den Telepathen wenigstens einmal hatte überraschen können, griff sich Aya zwei der Bällchen, platzierte Schuldig jedoch das letzte Anstandsbällchen in dessen Schüssel. Vernaschte sie schweigend, wenn auch langsam. Er wollte sich nicht anziehen…nicht fertig machen. Nicht rausgehen und sich dem stellen…er wollte es einfach nicht.
 

Ein unbewusstes genießerisches Lächeln erreichte die Augen und ein Feuer begann darin zu glimmen.

"Da hast du Recht, Ran...zum Kühlen bist du wahrlich der Falsche", sagte Schuldig, blieb einen Moment in der Betrachtung des Anderen versunken sitzen, bevor er sich erhob und hinüber zur Musikanlage ging, passende Musik auswählte. Er hatte Lust etwas zu hören, was ihn aufmunterte.

Jazz wäre da doch nichts Verkehrtes...
 

Sanfte, leichte Musik erfüllte den Raum, als der Telepath schließlich seine Auswahl traf. Klavier…von Saxophon und tiefen, melodischen Stimmen begleitet. Unter anderen Umständen hätte Aya das als sehr angenehm empfunden, als sehr entspannend, doch nun erinnerte ihn eben dieses Gefühl nur wieder daran, was noch vor ihm lag.

Seufzend stand er auf und räumte die Schälchen in die Spüle, wandte sich mit einem „Ich gehe duschen“, an den anderen Mann und verschwand im Bad. Schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Atmete tief durch. Er war noch nicht bereit…so überhaupt nicht bereit.
 

Die Küche war schnell aufgeräumt und Schuldig stand vor seinen beiden großen Schränken und überlegte sich was ihm nun am Besten stehen würde.

Die Kleidung, die er anziehen wollte, sollte nicht nur zweckmäßige Eigenschaften, wie die des Wärmens erfüllen. Nein, sie sollte dekadent, teuer und auch... ja vielleicht so etwas wie Macht ausstrahlen, falls das Kleidung tun konnte. Eine optische Aussage, die warnen sollte, Ran zu nahe zu kommen oder die zeigen sollte, dass er gut bei ihm aufgehoben war.

Er grinste.

Wenn er an Crawford und dessen Klamottenfimmel dachte, dann konnte sie Macht ausstrahlen. Wobei Schuldig weniger Konservatives bevorzugtes, eher experimentell war.
 

Er hatte sich für etwas Wärmeres entschieden, nachdem es jetzt schon auf den Abend zuging und es noch kälter wurde. Etwas Edleres sollte es sein, einen schwarzen Rollkragenpullover und seinem schwarzen eng anliegenden Gehrock, darüber legte er einen bodenlangen Ledermantel, aus echtem Zebra, mit Pelzkragen, der sich um seine feuerroten Haare im Nacken legte. Er liebte diesen Mantel. Der richtige Anlass für eine derartige Angelegenheit, wie sie Ran zu erledigen hatte. Schwarz und Weiß.

Er würde in den Augen der Passanten, der Menschen die ihnen begegnen würden, nicht länger als ein flüchtiger Augenblick in Erinnerung haften bleiben. Lediglich Ran und seine Partner würden ihn wirklich sehen und das auch nur, falls er Lust dazu hatte.

Den Mantel legte er auf die Couch, danach holte Schuldig eine seiner automatischen Waffen, lederne Handschuhe und warf sie darauf.

Er hatte nicht vor sie zu benutzen, aber er wusste nicht, was auf sie zukam. Er war nicht Crawford.
 

Schuldig war fertig als Ran sich die Haare föhnte.
 

o~
 

Einen letzten Blick in den Spiegel werfend verließ Aya das Bad, das er – geschickt wie er war – ohne frische Kleidung betreten hatte. Und seine eigene schmutzige Kleidung, die auf der Bank lag, wollte er nicht anziehen…also musste Schuldigs Garderobe wohl ein zweites Mal herhalten, bis er sich seine eigenen Sachen geholt hatte.

Er schlang das große Badehandtuch um seine Hüften und verließ das Bad, sah schließlich auf. Stockte mitten in seinen Bewegungen, als er den anderen Mann dort stehen sah. Schon fertig hergerichtet.
 

Sein Blick glitt für lange Momente nur schweigend über dessen wahrlich imposant schwarz gekleidete Gestalt, über den neben Schuldig liegenden Mantel. Brachiales, auffälliges Zebramuster. Aya war milde gesagt erstaunt, obwohl er wusste, dass er von dem exzentrischen Telepathen eigentlich nichts anderes hatte erwarten sollen. Wer schon giftgrün trug, machte hiervor natürlich nicht Halt.

Nicht, dass es seine Wirkung auf Aya verfehlte. Ganz im Gegenteil. Wo der schwarze Gehrock Seriosität ausstrahlte, wurde das gebrochen und ausgeglichen durch eben diesen Mantel. Ein Kontrast, der Aya innerlich ein wenig lächeln ließ. Schwarz und Weiß…das Zebra.
 

„Ich brauche noch etwas zum Anziehen“, brachte er schließlich hervor, wollte nicht einfach so an den Schrank des anderen Mannes gehen. Es schien ihm…nicht richtig.
 

Schuldig sah auf, als die Tür aufging.

Es kam ihm im ersten Moment nicht richtig vor, dass Ran hier nur mit einem Handtuch bekleidet in der Gegend herumstand, auch wenn es mehr ...oder gerade weil es fast verboten verführerisch aussah.

"Die Schränke stehen dir zur Verfügung, nimm dir heraus was du willst", lächelte Schuldig frech und ließ seinen Blick über den Körper des Mannes streifen.

"Trinkst du deinen Tee noch?", fragte er und ging in die Küche, die Kanne in die Hand nehmend, in der noch ein Rest Kaffee war. Rans Teetasse stand noch daneben.

Schuldig hatte sich seine Haare locker im Nacken mit einem Band zusammengebunden.
 

„Ja“, rief Aya zurück und brauchte einen Moment, um sich in dem großen, völlig ungeordneten Schrank zurecht zu finden. Besonders jetzt, da er sich die Kleidungsstücke bewusst zusammensuchte und nicht einfach nur herausgriff. Nach dem vierten Griff zu völlig unanziehbaren Dingen erwischte er einen schwarzen, simplen Rollkragenpullover im Cashmeerestil und seine – wie durch ein Wunder wieder genähte – Lederhose. Schlicht, aber warm, ebenso wie die dicken Socken. Es ging ihm nicht darum, etwas auszustrahlen…er wollte einfach bequeme Sachen tragen…würde er doch noch genug Unangenehmes erfahren heute…
 

Auf dem Weg zur Küche flocht er sich seine Haare zu einem ordentlichen Zopf und griff schließlich nach seinem Tee, trank ihn restlos leer.
 

"Ich hab sie ein paar Tage, nachdem du gegangen bist, nähen lassen", wies Schuldig mit einem Nicken auf die Lederhose.

Er löschte das Licht in der Küche, sodass nur noch die Wohnzimmerbeleuchtung sanft den näher kommenden Abend erhellte, der sich langsam in die Wohnung stahl.

Die Anlage schaltete er aus, als er sich zu Ran umwandte. Es war still im Halbdämmer, als sie sich anblickten.

"Wollen wir?"
 

Aya nickte und stieg in seine Stiefel, warf sich schließlich seinen eigenen Mantel über. Schlug den Kragen hoch und sah zu, wie sich Schuldig dieses Monstrum von Mantel überwarf und selbst zum zweibeinigen Zebra wurde. Auch wenn dies unwillkürlich bedrohend aussah mit den locker zurückgenommenen, roten Haaren. Als wollte Schuldig die Kritikeragenten alleine durch seine Kleidung in die Flucht schlagen…dabei konnte er vermutlich noch froh sein, wenn sie nicht die Betäubungsgewehre zückten und auf Großwildjagd gingen.
 

Er öffnete die Tür und ging in den Flur, der ebenso wie alles andere in diesem Gebäude Luxus ausstrahlte. Puren, verschwenderischen Luxus mit all seinen Gemälden, die an den Wänden hingen. Mit seinen dicken, dämpfenden Teppichen.
 

„Erst zum Koneko?“, wandte er sich schließlich an Schuldig und sah diesem fragend in die Augen.
 

Schuldig steckte die Waffe in die dafür vorgesehene Halterung im Futter des Mantels, welches er extra hatte anbringen lassen und öffnete seine Haare, zog die Tür ins Schloss.

"Wohin du willst. Klar", sagte er, nickte Ran zu und ging zum Aufzug, damit sie zum Wagen in den Garagen kamen.
 

Violette Augen ruhten für ein paar stumme Momente auf der Waffe, die Schuldig mitnahm, bevor sie sich entsannen, dass der Telepath vermutlich nie ohne das Haus verließ. Im Gegensatz zu ihm…der außer auf Missionen völlig unbewaffnet war. Ein Fehler? Naivität? Er wusste es nicht.

Aya folgte Schuldig, kannte er doch dessen Auto nicht…hatte es nie gesehen und war nun nicht wirklich überrascht, einen schwarzen Sportwagen vor sich zu sehen, der alles versprach außer Schneckentempo. Schnittige Form, große, blank polierte Felgen.

Unter anderen Umständen hätte Aya das zu schätzen gewusst. Doch nun schweiften seine Gedanken zu dem, was jetzt kommen würde…was ihn verstummen und aus dem Fenster schauen ließ.
 

Er wollte nicht…wollte sich dem nicht stellen, doch für Flucht war es jetzt zu spät.
 

Auch ohne dass er das Navigationssystem bemühte, wusste Schuldig den Weg und fädelte sich auf die Schnellstraße ein. Ran war angespannt und so schwieg Schuldig, ließ sich durch den Verkehr treiben.

Ein flüchtiger Seitenblick bestätigte ihm seine Vermutung. Ran wäre am Liebsten wieder umgedreht, schon noch in der Wohnung war er zögerlich gewesen, wollte Zeit schinden.

Je schneller er es hinter sich bringen würde, desto schneller war es vorbei.

Es hörte auf zu schneien und sie kamen besser voran.

Nach einer Dreiviertelstunde fuhr er in die Straße, in der der Blumenladen lag ein. Ein Kritikeragent war in der Nähe, saß in einem Wagen, doch nicht mehr lange und er fand den Manga, den er las, plötzlich sehr interessant. Sein ganzes Augenmerk war ab sofort auf die Bilder derselben Seite gerichtet, die er aufmerksam studierte.

Der schnurrende Motor wurde abgestellt und Schuldig öffnete die Tür.
 


 


 

Vielen Dank fürs Lesen!

Fortsetzung folgt…
 

Coco & Gadreel



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  silvermoonstini
2007-05-07T22:28:23+00:00 08.05.2007 00:28
Ich liebe eure Ausdrucksweise!


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