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Der Glasgarten

von

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machtlos

machtlos
 


 


 


 

Als Schuldig die Tür zur Terrasse schloss und die Rollläden herunterfuhr war es kurz nach Mitternacht.

Er löschte das Licht im Poolhaus und ging durch den Flur in Richtung Küche. Ran war wohl schon nach oben gegangen, vermutete er.

Er verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln. Sein Bedürfnis nach der Nähe des anderen war wie immer groß und ließ ihn stets dessen Aufenthaltsort suchen. Visuell oder telepathisch machte da keinen wirklich großen Unterschied. Es beruhigte ihn zu wissen wo Ran war.

Auf seinem Weg in das obere Stockwerk kontrollierte er die Signaturen der Anwesenden auf ihren Aufenthaltsort. Ran zu lokalisieren gelang ihm nicht.

In ihrem Zimmer war es dunkel, Ran war nicht hier wie ihm nach einem kurzen Moment der Irritation bewusst wurde. Wo zum Teufel war er?
 

Für ihn war es nicht schwer gewesen zu erkennen, dass die neuen Informationen Ran stark zusetzten. Die letzten Tage war er zunehmend stiller geworden, das war nichts Ungewöhnliches wenn man sein Verhalten in Anwesenheit der anderen kannte. Dennoch machte er sich Sorgen da Ran selbst in Schuldigs Gegenwart in sich gekehrt wirkte.

Sein kritischer Blick suchte das Zimmer ab und fand Rans Katana auf der Kommode liegen. Er verließ das Schlafzimmer und machte sich nach unten auf.

Es war still in der Dunkelheit um ihn herum. Etwas Licht spendeten die Displays an einigen Stellen im Haus.

Im Erdgeschoss bog er in den kurzen Korridor ab der in den Keller führte und ging die Stufen hinunter.

Der Korridor war unbeleuchtet, jedoch drang Licht durch einen schmalen Spalt unter der Tür die zum Trainingsraum führte hindurch.

Schuldig atmete frustriert aus und ging darauf zu. Wann war er so dermaßen abhängig von diesem Mann geworden?

Er öffnete die Tür leise und lehnte sich mit verschränkten Armen am Türrahmen an. Erst jetzt durchflutete ihn Erleichterung und erst jetzt erkannte er wie angespannt er offenbar war wenn er nicht wusste wo Ran sich herumtrieb. Das lag nicht unbedingt an seiner dominanten Seite oder daran, dass die Besitzgier in ihm überhand nahm, es lag schlicht daran, dass es unruhige Zeiten waren und er Angst um diesen sturen, stillen Mann hatte.

Für Schuldig war es immer wieder erschreckend festzustellen welche Wirkung Ran auf ihn hatte. Es gab Momente, da musste er sich zusammenreißen um Ran nicht sofort gegen die nächste Wand zu pinnen und ihn ficken zu wollen. Das hier war so ein Moment. Gut, vielleicht hatte sich doch ein wenig Besitzgier eingeschlichen...
 

Schuldig verließ seinen Beobachtungsposten lautlos, ging über den Flur in den Raum in dem ihr Waffenarsenal gelagert wurde, kramte ein wenig in einem der Koffer herum und ging mit einem Paar Fesselbändern aus Kunststoff zurück.
 

Ran hatte eine Trainingshose an, ein Unterhemd und seine Haare klebten ihn am verschwitzten Rücken.

Das Unterhemd war nass geschwitzt, die Muskeln, die nicht so ausgeprägt wie bei Brad oder Schuldig waren zeugten von Kraft und Geschmeidigkeit, arbeiteten die Katas ab. Ran stand mit dem Rücken zu ihm und schien ihn noch nicht bemerkt zu haben, zumindest zeigte Ran es nicht. Sicher sein konnte er sich bei ihm nicht.
 

Gerade jetzt konnte Schuldig sehen, wie sehr es in Ran arbeitete, er war nicht ganz bei der Sache. Seine Konzentration litt, die Bewegungen wurden perfekt ausgeführt, dennoch nicht wie sonst mit einer Leichtigkeit anzusehen, sie schienen Schuldig hölzern und erzwungen.

Ran drehte sich leicht seitlich und Schuldig geriet wohl in seinen Fokus als er sich vollends zu ihm umdrehte. Er atmete schwerer als sonst.

Ein Schweißtropfen lief Ran die Schläfe herunter und wurde von einer Haarsträhne aufgenommen. Die violetten Augen blitzten in altbekannter Wut. Sie wirkten wie geschliffenes Glas, facettenreich in unterschiedlicher Intensität als gäbe es verschiedene Varianten von Violett, die es zu zeigen gab.

Es wurde Zeit Ran eine Möglichkeit zu geben um sich abzureagieren. Besser jetzt, als später wenn er wieder in einen der beiden möglichen Zustände verfiel, die es Schuldig unmöglich machen würde an ihn heranzukommen. Schuldig wollte keinen handlungsunfähigen Ran der entweder fast katatonisch war oder so voller blindem Hass dass er alles angriff was in sein Umfeld geriet.
 

Schuldig lächelte und fast sofort veränderte sich das Violett zu etwas Gefährlichem. „Ich brauche noch ein paar Augenblicke. Schlafen die anderen?“

Schuldig ignorierte die Frage. „Für was?“

Damit brachte er Ran aus dem Konzept, vor allem weil Schuldig seine Frage nicht erklärte oder vielleicht auch weil sich sein Tonfall verändert hatte. Ran spannte die Schultern an, seine Haltung änderte sich kaum merklich.

Er ließ das Übungsschwert langsam sinken und sah ihn an.

„Ist das nicht zu sehen?“

Unsicherheit lag unter den herausfordernden Worten. Sie war subtil, doch Schuldig erkannte es in dem schnellen Seitenblick, den Ran ihm zuwarf.

Schuldig sah ihn noch immer milde lächelnd an, löste sich jedoch von dem Rahmen und schloss die Tür ohne Ran aus den Augen zu lassen.

„Nein, das ist es nicht.“

Schuldig konnte sehen wie es in Ran arbeitete als er versuchte herauszufinden in was für einer Stimmungslage sich Schuldig befand und wie er selbst damit – in seiner eigenen Gemütslage – umgehen konnte oder sollte.
 

Ran hatte sich wohl entschieden ruhig zu bleiben – so wie die letzten Stunden auch – obwohl er vermutlich eher ausrasten und jemanden den Kopf abreißen wollte.

Er wandte sich ab und ging zu dem Rack auf der Seite und legte das Übungsschwert in die Halterung. „Was meinst du?“, fragte er verhalten aber deutlich verstimmt wie Schuldig an der Tonlage erkennen konnte. Rans Stimme war distanziert und kühl, ein eindeutiges Anzeichen dafür wie sehr er versuchte seine Wut im Zaum zu halten.

„Ich weiß nicht was du hier getrieben hast aber es war vollkommen sinnlos. Deine Bewegungen waren hölzern und erzwungen. Willst du unseren Feinden so das Fürchten leeren?“, fragte Schuldig und legte dabei eine gehörige Portion Spott in seine Stimme.

Ran drehte sich überrascht halb zu ihm um. „Leck mich, Schuldig“, knurrte er und ging an ihm vorbei. Schuldigs spöttisches Lächeln weitete sich zu einem waschechten Grinsen aus und er griff nach Rans Oberarm, zerrte ihn herum und schubste ihn in die Mitte des Raums. Rans Augen weiteten sich erstaunt ob dieser groben Behandlung, er fing sich ab und blieb nach wie vor passiv im Raum stehen. „Was soll das? Stiftet der Alkohol noch mehr Chaos in deinem ohnehin schon verdrehten Gehirn?“, blaffte Ran ungewöhnlich aggressiv.

„Autsch“, erwiderte Schuldig mit einem lasziven Lächeln, das Ran an vergangene Zeiten erinnern sollte. An einen Schuldig, der Angriffe von Ran stets mit Spott erwidert hatte.

Die Dunkelheit griff nach Ran. Das konnte Schuldig nur zu deutlich erkennen. Es war die gleiche Macht, die Schuldig in sich trug und vor der sich Ran fürchtete. Verzweiflung war ihr Name und Ran hatte ihr nicht viel entgegenzusetzen.

Schuldig ging ihm nach und blieb auf Abstand stehen.

„Das erklär du besser mir.“

Ran machte die Schotten dich, um sich immer noch nicht ernsthaft auf Schuldig einlassen zu müssen. Schuldig konnte die Unsicherheit immer noch in seinen Augen flackern sehen. Ran hatte Angst vor Schuldig. Nicht vor ihm selbst, sondern vor dem was er ansprechen könnte. Und Ran wusste, dass hier und jetzt etwas aus Schuldigs Mund purzeln könnte, das er nicht hören wollte. Ran hatte nur zwei Möglichkeiten dem zu entkommen: Gegenwehr oder Flucht.

„Keine Ahnung was du meinst“, er schüttelte den Kopf einmal. Eine abgehakte Bewegung, die Endgültigkeit unter dieses Thema setzen sollte. Jeden anderen hätte Rans Gesichtsausdruck, der überwiegend von diesem speziellen unerbittlichen Blick dominiert wurde abgeschreckt. Schuldig war immun dagegen. Ran wusste, dass Schuldig nicht aufgeben würde. Darauf konnte sich Ran verlassen.
 

Ran ging wieder an Schuldig vorbei. Auf gleicher Höhe schnappte sich Schuldig erneut Ran am Arm drehte diesen auf Rans Rücken und packte ihn an seiner Kehle. Er musste sich bereits gegen die Muskeln des Japaners anstrengen als er ihn mit der Front gegen die Wand schleuderte. Ran stöhnte als er unsanft damit in Kontakt kam.

„Die verspeisen dich zum Frühstück, Honey“, wisperte Schuldig sanft in Rans Ohr und er spürte wie Ran sich anspannte und er sich endlich zu wehren begann. „Schwach, einfach zu besiegen, leicht zu ficken, simpel zu töten. Du bist naiv. Du hast keine Ahnung was dich erwartet.“

Ran knurrte als der Druck auf seinem Arm zunahm. Das Knurren wurde lauter und mündete schließlich in einen heiseren Schrei, der voller Zorn der Anfang einer Explosion war die Schuldig so dringend für Ran wollte. Dieser warf sich überraschend hart nach hinten, traf mit seinem Hinterkopf Schuldig Nase woraufhin Schuldig seinen Griff lockerte. Ran nutzte diesen kurzen Augenblick aus um sich zu befreien. Er verpasste Schuldig einen Schlag auf sein Brustbein was Schuldig kurz zum Taumeln brachte. Er stabilisierte seinen Stand und grinste Ran herausfordernd an, während er sich aufreizend die lädierte Nase rieb. Dabei vergrößerte er den Abstand zu ihm und behielt ihn im Auge.

Ran ließ ihm keine Zeit um sich zu erholen, mit einem heiseren dunklen Schrei ging er auf Schuldig los.

Dieser blockte den nächsten Schlag ab und begann sich selbst zu wehren und auszuteilen.

Sie schenkten sich nichts während der nächsten Minuten, auch wenn Ran schmaler gebaut war, sein Körper jedoch war hart wie eine Stahlsehne, Schuldig dagegen war etwas größer und im Nahkampf geübter als Ran. Dessen unterdrückte Wut brachte Schuldig jedoch oft in die Defensive. Schuldig stabilisierte seinen Stand als Ran erneut angriff. Er hob sein Bein um zu einem Frontkick anzusetzen, verstärkte diesen als sein Fuß auftraf indem er seine Hüfte weiter nach vorne brachte. Mit dieser schnellen und harten Antwort hatte Ran nicht gerechnet. Er prallte gegen die Matten an der Wand und landete auf dem Boden.

Schuldig befühlte seine Nase, die zwar nicht gebrochen war dennoch fühlte sich alles taub an. Er hatte sich bei Rans brachialem Manöver auf die Lippe gebissen, das Blut ableckend wartete er darauf, dass Ran sich wieder erhob.

Was dann auch geschah, denn Ran prügelte auf Schuldig mit einer Vehemenz ein, dass Schuldig ahnte, dass das Problem mit dem er sich innerlich auseinandersetzte weit tiefer ging als Schuldig geglaubt hatte. Seine Hände wurden zwar durch die dünnen fingerlosen Handschuhe etwas geschützt, doch Schuldig bezweifelte, dass sie alles abfangen konnten. Er selbst trug keine Handschuhe und seine Haut trug ein paar Blessuren an den Knöcheln davon.

Schuldig Rippen schmerzten vom letzten Schlag den er zwar mildern aber nicht ganz abwehren konnte. Er brach halb auf ein Knie nachdem er Ran an der Schläfe traf und ihn zu Boden geschickt hatte. Erneut. Er ahnte, dass Ran so weiter machen würde bis die Erschöpfung ihn erledigte.

Ran wollte sich mühsam wieder erheben. Er sah auf Schuldigs nackte Füße, seine Lippen bildeten einen trotzigen Strich, während seine Nasenflügel bebten. „Bleib liegen oder ich schick dich wieder runter“, sagte Schuldig sich langsam erholend. Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu auch wenn sie leise war.

Er sah wie Rans Arme zitterten.

„Einen Dreck wirst du“, grimmte Ran. Schuldig fühlte sich selbst wie durch die Mangel gedreht und konnte gerade noch verhindert dass er genervt stöhnte. Auf diese Weise gerieten sie in Gefahr einander ernsthaft wehzutun. Und das konnten sie sich im Augenblick nicht leisten.
 

Ran lag seitlich und hatte sich auf die Ellbogen gestemmt, Schuldigs Blick glitt über seinen Körper. „Du bist geil, Honey. Magst du es wenn ich dich schlage?“, sagte Schuldig in provozierendem Tonfall, was Ran noch mehr aufbrachte, als er aufschrie und sich auf ihn warf.

Sie rangelten noch eine Zeitlang und Schuldig hatte gut zu tun um Ran keine Treffer mehr zu gönnen. Nicht nur Ran schien die Lust auf dieses Spielchen auszugehen, er selbst war müde.

Hier auf dem Boden war er leicht im Vorteil. Ran wurde das selbst in seinem von heller Wut umnebelten Gehirn klar, als er seine Taktik änderte und sich plötzlich befreien wollte um auf die Beine zu kommen.

Schuldig ließ ihn nicht, hielt ihn mit seinem Gewicht weiter unten und presste Ran die Luft aus den Lungen. Wieder bog er Ran einen Arm auf den Rücken, doch Ran wollte nicht nachgeben, er schrie erneut bockig und zornig auf. „Gib nach!“, knurrte Schuldig ihm nun seinerseits wütend über Rans Trotz ins Ohr. Er keuchte ob der gespannten Bogensehen die unter ihm lag. „Nein“, keuchte Ran. „Niemals...“

„Das werden wir sehen.“

„Wir werden überhaupt nichts sehen. Was bin ich?“, brachte er gepresst hervor. „Ihr lügt mich an! Alle haben mich belogen. Bin ich es nicht wert die Wahrheit zu erfahren?“ Ran versuchte frei zu kommen und Schuldig machte sich auf einen Ausbruch gefasst, der auch sofort kam.

Schuldig brachte trotz der Kraftanstrengung das Fesselband um eines der Handgelenke an, kniete sich in Rans Kreuz, was diesen wütend aufstöhnen ließ und presste Rans anderen Arm mit einem gemeinen Schmerzdruckpunkt in die gewünschte Haltung. Er zog den Arm nach hinten und spürte wie Rans Körper stärker zu zittern begann. Schnell fesselte er Rans Handgelenk mit dem anderen zusammen und atmete auf. Er zog Rans Kopf an seinen Haaren in den Nacken, kauerte über ihm. „Du machst es mir wirklich nie leicht, was?“

„Fick mich“, knurrte Ran drängend.

Schuldig hielt inne. Das würde er ganz bestimmt nicht tun. Sie wussten beide, dass Ran mit diesem Sex nur seine Wut kanalisieren wollte und darauf hatte Schuldig jetzt gerade keine gesteigerte Lust. Ran wie ein wildes Tier zu sehen, gefangen in seinen düsteren Gedanken und widerstreitenden Gefühlen ließ jeden Sinn für Sex in ihm ersterben. Ohne Ran in seinem Leben, in diesem früheren Leben wäre er darauf eingegangen. Aber heute war er auf einem anderen Weg. Er wollte nicht auf diesen anderen Weg zurück. Nur zu gut konnte er sich an eine ähnliche Situation erinnern. Sie hatten beide nichts gegen diese Art Druckabbau, nur war dies der falsche Zeitpunkt in Schuldigs Augen. Der falsche Grund.

„Nein, Ran.“

Ran renkte sich halb die Schulter aus als er komplett ausrastete und sich vor Wut brüllend aufbäumte. „NEIN!“ Schuldig versuchte ihm auf die Knie zu helfen, wurde von Ran in seiner Raserei halb umgeworfen.

Schuldig ließ ihn sich austoben, ihn schreien und ihn verfluchen. Bis er schließlich langsam in sich zusammensank, das Kinn auf die Brust gesenkt und heftig atmend. Erst als sich Rans Atmung beruhigt hatte wischte Schuldig mit Rans Unterhemd über das Gesicht, nahm Tränen und Speichel der Wut mit sich. Dann hielt er Ran fest an sich gedrückt, wiegte sie beide in der Stille, die zwischen ihnen entstanden war.

„Ich weiß, dass du nicht gegen mich kämpfst“, sagte er. Er rutschte herum, nahm Ran zwischen seine gespreizten Schenkel und bettete ihn seitlich an sich, zog den willenlosen Kopf an seine Schulter und streichelte sanft über Rans Kopf.

„Geht’s besser?“, fragte Schuldig leise.

Ran zuckte mit den Schultern. Er suchte mit seinen Lippen die Nähe von Schuldigs Haut und ließ sie dort ruhen. Noch immer ging seine Atmung schnell wovon die hastigen Atemzüge an seinem Hals kündeten.

„Ich löse die Fesseln...“, setzte Schuldig an, doch das raue „Nein, nicht“, ließ ihn innehalten. Ran hasste Fesseln, akzeptierte sie in gewissen Situationen, in dieser jedoch hätte Schuldig nicht damit gerechnet. Es war also noch nicht ausgestanden? Schuldig seufzte ungehört. Sie schwiegen. Dabei bemerkte Schuldig eine Signatur, die sich ihnen näherte.

‚Hey Blondie, so spät noch unterwegs?’

‚Was ist los bei euch? Ich hatte Durst und höre Ran schreien.’

‚Bleib draußen. Kein guter Zeitpunkt.’

‚Hattet ihr Streit?’

‚Gewissermaßen.’

‚Was heißt das? Weihe mich in deine bösen Absichten ein, Schurke!’, verlangte Kudou, der vor der Tür stehen geblieben war. Schuldig erkannte den altbekannten Humor, dahinter steckte jedoch ernste Sorge.

‚Ich habe mich dazu genötigt gefühlt ihn zu provozieren. Er war zu ruhig in den letzten Tagen.’

‚Wegen der Sache mit Chiyo?’

‚Auch. Aber vor allem weil er sich wohl nutzlos fühlt.’

‚Das sind Altlasten. Er schleppt sie immer noch mit sich herum.’

‚Ja. Ich dachte wir hätten sie zumindest ein Stück weit aufgearbeitet. Sie kommen immer wieder hoch, als würde er sie irgendwo horten.’

‚Wie meinst du das?’

‚Keine Ahnung, aber manchmal ist es wie eine Endlosschleife. Ich bringe sie nach außen...’

‚Du meinst, du brichst sie aus ihm heraus.’

‚Von mir aus. Aber dann wenn ich glaube er hat seinen Frieden damit gemacht, ist es die gleiche Intensität, die gleichen verhassten Gefühle. Er ist wie ein Tier. Du solltest ihn sehen. Sein ganzer Körper kämpft dagegen an. In diesem einen Augenblick wenn er mich dann ansieht habe ich das Gefühl er sieht Takatori vor sich.’

‚Greift er dich ernsthaft an?’

‚Nein, er zügelt sich. Dennoch spüre ich selbst in dieser Beherrschung, dass er eher etwas anderes will.’

‚Er will jemanden töten?’

‚Ja. Dummerweise stehe ich vor ihm. Das macht ihn noch wütender.’

‚Kann ich dir helfen?’

‚Vielleicht wäre ein nächtlicher Ausflug in die Bars der Stadt eine geeignete Maßnahme. Nur ihr Zwei. Du könntest ihm auf den Zahn fühlen.’

‚Du erlaubst mir ihn dir zu entführen?’

‚Träum weiter, Kudou. Ich folge euch selbstverständlich. Aber bleibe außer Sichtweite. Irgendetwas schürt diese brachiale Wut immer wieder. Sie... schmeckt wie damals. Als wäre er wieder dort – Takatori gegenüber stehend.’

‚Du meinst er erlebt es wieder?’

‚Nein, nur die Gefühle. Sie blenden auf sobald ich ihn reize.’

‚Vielleicht ist er einfach so?’

‚Nein. Ich kann es dir nicht erklären, nicht gut genug, jedenfalls. Ich verstehe es selbst nicht.’

‚Interpretierst du zu viel hinein?’

‚Kann sein. Ich mache mir Sorgen.’

‚Sorgen?’

‚Ich habe Angst, dass er sich in diesen Gefühlen erneut verliert oder wieder in einen Zustand gerät wo er nicht mehr ansprechbar für... uns sein wird.’

‚Kann das wieder passieren?’

‚Weiß ich nicht. Ich weiß nicht was dann mit ihm los ist. Warum sein Bewusstsein so weit weg driftet.’

‚Kommst du klar?’

‚Ja.’

‚Ruf mich wenn es schlimmer wird.’

‚Mach ich.’

Kudou ging und Schuldig sah auf das Bündel Verzweiflung in seinen Armen. Warum wollte Ran die Fesseln an Ort und Stelle lassen? Er hasste sie.

„Warum?“ Schuldig hatte das Gefühl sich auf dünnem Eis zu bewegen, ein Fehltritt und sie würden beide einbrechen.

„Ich...“, Rans Stimme brach.

„...ich... muss etwas tun. Alle erwarten das. Ich kann nichts tun. Aber ich muss. Ich muss das alles aufhalten. Wenn... wenn...“, er brach erneut ab und verkrampfte sich, kroch halb in Schuldig hinein.

„Schon gut. Ich verstehe... ganz ruhig, Ran.“ Er zog die Arme fester um Ran.

„Die Fesseln geben dir die Möglichkeit von dieser Bürde eine Auszeit zu nehmen.“

Ran nickte schwach.

„Keiner erwartet von dir die Rettung der Welt, Ran. Nur du selbst tust das.“

„Wir haben sie schon mal gerettet“, brummte Ran trotzig und Schuldig musste schmunzeln.

„Mag sein. Aber du warst es nicht allein. Da war ganz Kritiker am Werk. Alle von Kritiker, die Informationen sammelten, die eine gewisse Vorarbeit leisteten damit ihr an die Arbeit gehen konntet. Unsere Manipulation nicht zu vergessen damit ihr in die richtige Richtung gelangen konntet. Viele Dinge spielten euch in die Hände. Du warst es nicht allein, Ran“, wiederholte Schuldig in der Hoffnung, dass es dann besser in diesen Dickschädel hineingehen würde. „Trag nicht die ganze Last der Welt auf deinen Schultern.“

Schuldig schwieg für einen Augenblick.

„Ich fühle mich machtlos.“

Schuldig nickte. Das Gefühl der Machtlosigkeit kannte er nur zu gut. Und es hatte in ihm etwas hervorgebracht, das für Menschen in seiner Umgebung gefährlich war. Erst seit Ran in sein Leben getreten war hatte er dies erkannt.

„Es macht mich wütend Ran zu sehen wie du dich aufreibst. Es... verleitet mich dazu mir zu wünschen ich könnte dich wegsperren, dich vor dieser Welt verstecken, dich ihr zu entziehen und dir nicht die Möglichkeit zu geben auch nur daran zu denken, dass du sie retten könntest. Kein Einzelner kann das schaffen, Generationen von Vielen sind dazu nötig.“

Ran regte sich und neigte den Kopf in den Nacken um ihn anzusehen. Ihr Blick verschränkte sich und Rans Mundwinkel zuckten. Das müde Lächeln war kaum zu erahnen. „Urlaub?“, krächzte er.

Schuldig sah Ran mit einem Gefühl der Trauer an. „Ja, Urlaub“, sagte er mit rauer Stimme. „Meinst du nicht, dass ich von diesem ganzen Mist weg will? Es gibt Tage an denen ich weg von mir selbst will. Ich kann nicht aus meiner Haut, Ran.

Ich bin wie ich bin. Keiner der mir zeigt wie ich sein sollte, wie ich die Dinge in mir regeln könnte. Wir bauchen jemanden der uns führt, der uns... mir zeigt wie wir weniger zu einer Belastung für uns und andere werden können. Kettenhunde die sich von ihrer Kette losgebissen haben, ihren Besitzer totgebissen und seither durchs Land streifen auf der Suche nach einer neuen Kette.“

Ran runzelte leicht die Stirn.

„Blöder Vergleich?“, fragte Schuldig schmunzelnd. Er musste dabei an Brad, an Jei und allen voran an Nagi denken.

Ran nickte.

„Wir wissen nicht wohin mit uns selbst. Zu was sind wir gut? Elementare Fragen, die selbst Brad sich nicht beantworten kann. Gerade er nicht. Es gibt keinen Platz in dieser Welt für solche wie uns.“

Rans Gesicht verzog sich und er wandte es von ihm ab, keuchte an seine Halsbeuge.

Sie schwiegen Minuten. Bis Schuldig Nässe auf seiner Haut fühlte.

„Du hast Angst vor dieser Möglichkeit so zu sein wie ich es bin?“

Rans Körper erzitterte und er öffnete den Mund, er schluchzte auf und ein Heulkrampf erschütterte ihn.

Schuldig schwieg betroffen und wiegte Ran eine Weile in seinen Armen, strich ihm sanft die Haarsträhnen aus dem glühenden Gesicht.

„So schlimm ist das nicht“, sagte er tröstend. „Es sind nicht alle wie wir, Ran. Du kennst nur uns. Es gibt ganz nette, harmlose PSI. Es sind nicht alle mordende Monster.“

„Red keinen Unsinn“, flüsterte es rau an seine Haut.

„Ich brauche deine Stärke Ran, deinen kühlen Kopf. Du bist nicht mehr allein, du bist nicht mehr der Anführer eines Teams, du trägst nicht mehr die Verantwortung für das Leben deiner Schwester. Du bist Teil eines Teams und du hast Fähigkeiten wie jeder andere von uns die ihren Teil dazu beitragen. Es geht darum uns zu schützen, nicht mehr darum das Böse in der Welt zu bekriegen. Es geht um dich selbst. Kämpfe um dich selbst. Wenn du willst: um deine Freunde. Du bist wie du bist – und wenn es stimmt was wir bisher nur vermuten können, dann warst du schon immer ein PSI. Aber davon kann momentan noch nicht sicher ausgegangen werden, stimmst du mir da zu?“

„Ja“, kam leise.

Ran seufzte. Er wischte sich die Nase an Schuldigs Hals, schniefte und schluckte. „Es passt... so gut zusammen.“

„Ja, das tut es.“ Schuldig schmunzelte gerührt über Rans Vertrautheit und er war ein bisschen stolz auf sich, dass er diesen Mann für sich gewonnen hatte. Diese vertraute Nähe war ihm vor Ran gänzlich unbekannt gewesen. Jetzt jedoch fühlte er sich als hielte er den größten Schatz der Welt in seinen Armen. Die Tatsache, dass er wusste, dass Ran ihn liebte, dass er sich ihm anvertraute und sich in seinen Schutz begab ließ ihn sich weniger böse, ihn weniger verrückt fühlen. Er hatte kaum mehr Interesse daran Menschen auszuspionieren oder sie zu seinem persönlichen Vergnügen zu manipulieren.

Schuldig löste die Fesseln an Rans Handgelenken und Ran nahm seine Arme langsam nach vorne. Er lehnte sich etwas zurück, legte seine Hände an Schuldigs Brust um sich abzustützen und sah ihn an.

„Alles Lug und Trug? Mein ganzes Leben?“

„Es macht keinen Unterschied. Es kann auch nicht verändert werden.“

„Aber...“ Ran wirkte leicht verzweifelt. Er strich sich mit beiden Händen ungelenk die Haare hinter die Ohren und ließ sie dann in einer resignierenden Geste fallen. „Es würde alles verändern. Meine Sicht auf die Dinge, meine...“

Schuldig sah Ran für Augenblicke nur an, er wartete darauf, dass noch mehr von Ran kam, doch dieser führte seinen Satz nicht weiter.

„Für mich nicht, Ran. Für mich würde sich nichts ändern. Du weißt wer du bist. Und selbst wenn es deine Sicht auf die Dinge verändern würde, wäre diese Sicht denn schlecht? Klar ist es wichtig die Erinnerung in Einklang mit der Wahrheit zu bringen, aber spielt es eine Rolle an dem Punkt an dem wir stehen? Deine Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern, die Zukunft ist noch nicht geschrieben. Es gibt Lücken in unserer Vergangenheit, die wir nun schließen können. Trotzdem wissen wir wer wir sind. Wir werden damit umgehen können.“

Ran machte sich von ihm los und setzte sich seitlich. „Du verstehst nicht was ich meine...“, sagte Ran mit einem unglücklichen Unterton.

„Alles wird sich verändern“, sagte er nach einer Weile düster.

„Ich will nicht, dass sich etwas verändert“, gab Schuldig missmutig zu.

„Hat es je eine Rolle gespielt was wir wollten?“, hielt Ran dagegen.

„Wenn wir es zulassen, dass andere über uns bestimmen und für uns entscheiden wohl nicht.“ Schuldig veränderte seine Haltung.

„Das haben wir schon oft durchgekaut“, brummte Ran.

„Ja, haben wir. Unsere Gesellschaft wird geprägt von strengen Regeln und Fesseln, die uns unsere Fähigkeiten diktieren. Das führt dazu, dass sich manche von uns davon freimachen wollen. Sie wollen diese Ketten sprengen um nur einmal frei durchatmen zu können. Dabei ist es ihnen egal, dass ein solcher Atemzug die Auslöschung Vieler bedeuten könnte.“

„Denkst du an Nagi?“

„Ja, der Kleine muss sich stets beherrschen. Dabei strebt er nach Aufmerksamkeit, nach Beachtung. Seine Telekinese strebt nach Freiheit. Du hast gesehen was passiert wenn er sich dem Wunsch nach Freiheit ergibt.“

Ran schwieg. Sie hingen beide ihren Gedanken nach.

„Und wer sagt, dass eine Veränderung schlecht sein muss?“, sagte Schuldig nach einer Weile. „Dein Leben wurde vor ein paar Monaten gehörig auf den Kopf gestellt. War diese Veränderung schlecht?“

Ran sah ihn an.

„Sag jetzt nichts Falsches“, sagte Schuldig ironisch und hob eine Augenbraue.

Ran berührte seine Schläfe und neigte sich für einen zarten Kuss zu ihm. „Nein, diese Veränderung war gut, auch wenn sie schmerzhaft war“, sagte er leise.
 

Sie blieben noch eine Weile so sitzen bis sie sich voneinander lösten und aufstanden.

In einvernehmlichem Schweigen wandten sie sich der Tür zu, löschten das Licht und gingen nach oben. Sie duschten schweigend, hielten sich im Arm und hingen ihren Gedanken nach. Erst als sie beide eng aneinander lagen und Schuldig die Augen schloss sagte Ran etwas. Offenbar ließ ihn das Thema noch nicht los, für Schuldig war das ein gutes Zeichen.

„Es würde nur mit einem Druckmittel funktionieren“, sagte Ran nachdenklich.

„Oder wenn sie uns in eine Lage versetzen, in der wir keinen anderen Ausweg sehen – auch eine Art der Lenkung.“

Schuldig drehte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. „Denkst du darüber nach wie sie an unsere hübschen Ärsche kommen könnten?“

„Du hast keinen hübschen Arsch“, sagte Ran mit indigniertem Spott.

„Hab ich wohl!“, hielt Schuldig dagegen und schnaubte. Er kam auf die Ellbogen hoch und schaute Ran im Halbdunkel vorwurfsvoll an.

„Wenn sie schlauer sind als wir...“, grübelte Schuldig dann und ließ sich wieder in die Kissen fallen.

Ran antwortete nur mit einem Brummen.

„Schwer nicht schlauer zu sein, wenn der andere nur zehn Prozent der ganzen Geschichte weiß – und selbst die gelogen waren“, sagte Ran mit Bitterkeit in der Stimme.

„Das weißt du nicht, Ran.“

„Ich hab ein beschissenes Gefühl.“

Schuldig verzog das Gesicht unglücklich. Er drehte sich zu Ran und schob seinen Arm unter diesem vorbei um ihn an sich zu ziehen. Rans Herzschlag war langsam und Schuldig lächelte beruhigt.

„Wir fahren heute zu Chiyo.“

„Ich will nicht dorthin fahren.“

„Schon klar. Du hast ja mich“, sagte Schuldig zuversichtlich und grinste plötzlich unternehmungslustig. „Dabei fällt mir ein... wir könnten...“

„Nein“, sagte Ran rigoros. Das war der Ran den er brauchte.

„Wie nein? Du weißt überhaupt nicht was ich mir gerade ausgedacht habe?“

„Egal, es ist bestimmt etwas Dämliches“, behauptete Ran gelassen.

„Stimmt doch überhaupt nicht, mir werden hier schon wieder furchtbare Dinge unterstellt...“, entrüstete sich Schuldig halbherzig und zog einen Flunsch. Dann zwickte er Ran in eine der Brustwaren, woraufhin er von Ran an den Handgelenken gepackt und auf den Rücken geworfen wurde.

Ran thronte über ihm, das Gesicht im Schatten seiner Haare verborgen. „Also gut, dann erzähl mal von den tollen Dingen.“

Schuldig sah ihn kritisch an. „Ähm, naja, wir könnten Guter Cop – Böser Cop spielen.“

Ran sagte erst nichts, dann hörte Schuldig ein leises Lachen. „Ich wusste doch, dass es etwas Blödes sein würde.“

Ran setzte sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wie soll das deiner Meinung nach aussehen?“

„Du bist der Böse ich bin der Gute!“

„Verkehrte Welt?“

„So in etwa.“

„Und du meinst du bist dem gewachsen?“

„Logisch.“ Schuldig lächelte treuherzig. Was Ran wieder zum Lachen brachte. Er beugte sich über Schuldig und küsste ihn zart auf die Lippen und die lädierte Nase. Ran war es offensichtlich nicht entgangen, dass er ihm zielsicher eins auf die Nase gegeben hatte.

„Was hältst du davon wenn wir die Rollen je nach Anforderung wechseln? Wenn wir beide sauer werden – Pech gehabt. Dann gibt’s nur zwei Böse Cops.“

„Auch recht.“
 


 


 


 


 


 


 

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Finn schlich wieder zurück ins Schlafzimmer. Unschlüssig stand er da und betrachtete den Mann im Sessel. Brads saß aufrecht im Sessel, die Arme lagen entspannt auf den Seitenlehnen, die Augen wurden nur zur Hälfte von den Lidern beschattet. Er regte sich nicht.

Finn fröstelte etwas und rieb sich über die Arme, als er den venösen Zugang in seiner Ellenbeuge spürte. Der dünne kurze Schlauch, der vielleicht drei Zentimeter in seiner Vene steckte nervte trotz seiner minimalistischen Zweckmäßigkeit ungemein. Er pulte an dem Pflaster herum...

„Zieh ihn bitte nicht heraus, es könnte sein, dass du noch eine Infusion benötigst.“

Finn hörte abrupt auf damit sich des Dings entledigen zu wollen und sah auf. Brad hatte seine Haltung nicht verändert, nur den Kopf minimal in seine Richtung gedreht. Es wirkte etwas gespenstisch, da Finn aber ahnte, dass Brad Visionen empfing und abgelenkt war konnte er mit diesem Anblick leben. Finn beugte sich über das Bett um an seinen Pullover zu kommen. Er zog ihn umständlich über, dann streifte er sich die Haare hinter die Ohren. Was sollte er jetzt tun?

Er war zwar noch müde, aber irgendwie fühlte er sich jetzt nicht mehr danach weiterschlafen zu können.

„Ich... ich geh wieder runter.“

„Nimm den Verbandskoffer mit“, wies Brad ihn mit schleppender Stimme an.

Finn nickte und hob ihn am Griff auf. Er verließ das Schlafzimmer schweren Herzens, aber es gab auch keinen Grund um zu bleiben.
 

Brad hatte das laute Magenknurren deutlich vernommen, jedoch nichts gesagt. Asugawa musste sich selbst um sein Wohl kümmern.

Er blieb noch eine Weile dort sitzen, nur um dann mit einem knurrenden Laut aufzustehen. Er sah aus Gewohnheit auf seine Uhr. Kurz nach halb Zwei.

Seine Konzentration hatte nachgelassen. Er streckte die verspannten Glieder und begab sich ins Badezimmer. Nebenan war es endlich ruhig geworden und die beiden Rotschöpfe waren hoffentlich eingeschlafen.
 

Nachdem er sich frisch gemacht hatte ging Brad hinunter und machte sich einen Kaffee. Er setzte Wasser für Tee auf und stellte die Suppe auf den Herd. Mit seinem Kaffee ging er in den Keller. Er suchte Asugawa in seinem Raum, der war jedoch verwaist. Er fand ihn schließlich im Trainingsraum auf dem Boden liegend vor. Brad lehnte sich an den Türrahmen an und ließ seinen Blick über die liegende Gestalt streifen. Finn regte sich nach einigen Momenten und setzte sich vorsichtig auf.

„Was sollte das werden?“, fragte Brad spöttisch.

„Ich dachte ich könnte ein paar leichtere Übungen machen.“

„Dachtest du.“

Finn nickte zur Bekräftigung mit ernster aber schuldbewusster Miene. Brad musste ein amüsiertes Lächeln verbergen in dem er einen Schluck aus seiner Tasse nahm.

„Komm hoch in die Küche.“
 

Finn witterte erneut eine Chance auf Annäherung woraufhin er sich etwas zu schnell erhob und Schwindel ihn für einen unangenehmen Augenblick taumeln ließ. Er sah schnell hoch und war froh, dass Brad ihn nicht dabei gesehen hatte.

Seine Stiefel waren noch oben wie ihm gerade auffiel, so ging er barfuß die Treppe nach oben und enterte die Küche. Brad stand am Herd und trug diese tief sitzende schwarze Schlafanzughose. Ein blütenweißes, offen gelassenes Hemd offenbarte die ausgeprägten Brust- und Bauchmuskeln. Finn verzog einen Mundwinkel bedauernd als er den Mann sah.

„Du torpedierst meine Bemühungen was die Widerherstellung deines Kreislaufes betrifft. Von den Verbänden möchte ich gar nicht erst anfangen. Steht eine bestimmte Absicht dahinter, die sich mir nicht wirklich erschließen will?“ Finn schlich schuldbewusst näher und lugte in den Topf. Brad sah ihn nicht an, sondern holte die Nudeln hervor um sie aufzuwärmen. Dann deckte er den Tisch für Zwei.

Finn zog sich auf die Anrichte hinauf und ließ die Beine baumeln. Er verbat sich bei dieser Aktion jeden Laut, denn die Nähte zogen herrisch an seiner Bauchdecke und wollten ihn dafür rügen warum er gerade jetzt eine Streckung selbiger vornehmen musste.

„Dein Vater wird mir bald eine Nachricht schicken in der steht, dass du eine leichte Entzündungsreaktion auf deine Verletzungen zeigst. Du solltest die Antibiose weiternehmen. Tsukiyono bringt dir Tabletten mit wenn er heute zurückkommt. Eine Gabe werde ich dir jedoch noch intravenös verabreichen müssen. Wenn du weiter so nachlässig mit deiner Gesundheit umgehst zwingst du mich dazu härtere Maßnahmen zu ergreifen.“

Finn nickte ergeben. Er war kein PSI. Er war normal und seine Wunden heilten eben aus diesem Grund in normaler Geschwindigkeit. „Und die wären?“

Brad kam näher, stellte sich dicht an ihn heran und sah ihn drohend an. Finn schmolz fast dahin, er hielt die Luft an und ließ sich in den Bann dieser wunderbaren Augen ziehen. „Ich hetze Fujimiya auf dich und überlasse ihm den Rest.“

Finn schluckte und ließ die Mundwinkel noch tiefer sinken.
 

Brad konnte das finstere Gesicht nur kurz aufrecht erhalten als er den Mann vor sich sah, der wie ein Welpe der etwas verbrochen hatte den Kopf sinken ließ. Er fragte sich ob das nur eine schauspielerische Glanzleistung war oder der andere tatsächlich so fühlte, wie es den Anschein hatte. Brad lachte leise, hob Finns Kinn an und berührte die traurigen Lippen mit seinen. Es war egal, es funktionierte.

Finn machte Crawford Platz um sich zwischen seine Beine zu begeben. Finns Hände lagen noch in seinem Schoß stahlen sich aber nun an Brads Flanken und blieben dort geduldig liegen. Sie zitterten vor Aufregung. Brad unterbrach die Berührung nach kurzem Kontakt und sah ihm in die Augen. Dieser Moment war einzigartig in Finns Leben. Er spürte Brads Atem auf seiner Haut, seine Wärme, die von ihm abstrahlte, dieser wissende Blick, der alles von ihm forderte. Er spürte den inneren Ansturm wie er sich näherte, diese Nähe kaum aushaltend. Brad hielt den Blickkontakt küsste ihn wieder und brachte Finn halb um den Verstand mit dieser erotischen Langsamkeit.

Er musste sich anstrengen um dem Gefühlsansturm in seinem Inneren Herr zu werden. Er begann zu schwitzen und ihm wurde unangenehm heiß.

Brad küsste ihn! So sanft, dass er nicht wusste ob er weinen oder es einfach genießen sollte. Er hieß Brad willkommen und obwohl er es nicht wollte tropfte eine Träne von seinen geschlossenen Lidern. Der Kuss war sanft und zärtlich, was er kaum aushielt. Zu viel tobte in ihm und wollte heraus.
 

Brad löste sich von seinen Lippen und küsste seine Wange, Finn schmuste sich an sein Gesicht. Er legte seinen Kopf für einen Moment auf die Schulter des Mannes der seine Erfüllung sein könnte, wenn dieser es denn zulassen würde.

„Du bist ein Narr, Kaito“, sagte Brad leise.

Finn zuckte gleichgültig mit den Schultern, sagte aber nichts.

„Wie kannst du dich auf mich einlassen wollen?“

„Diese Entscheidung habe ich vor langer Zeit getroffen. Ich war...“, Finn stockte. Wollte er Brad das erzählen?
 

Brad strich ihm über den Nacken, fühlte aber nur ein Stück Mull unter seinen Händen. Die Verbände störten ihn. Aber er schwieg, denn vielleicht würde er endlich mehr über diesen Mann erfahren. Was wusste er schon über ihn?

Er hatte ihn nicht in sein Herz lassen wollen und nicht bemerkt, dass er darin schon lange war. Jetzt war es zu spät. Dann wollte er wenigstens ihm ein Geschenk machen uns sich so verhalten wie er es sich von ihm wünschte.

„Du warst...?“
 

„Jung und verletzt. Vielleicht kann man es so am Besten beschreiben.“

Finn nuschelte in seine Haare hinein und hoffte Brad würde nur die Hälfte verstehen.

„Nach dem Ganzen... Herumgeschubse...“, eine milde Version von Misshandlung. „...sollte ich dich observieren und dich dann ausschalten sobald ich erfahren hatte welcher Profession du genau angehörst. Es sollte eine Belohnung sein. Yoshyo hat mich SIN entzogen weil sie es zu bunt mit mir getrieben hatten also schickte er mich auf diese Eliteschule um dem Gerücht, dort gäbe es einen jungen gefährlichen PSI nachzugehen. Ich durfte mir Zeit lassen hieß es. Also verbrachte ich ein paar Monate dort und fühlte mich zum ersten Mal fast normal. Ich schmeckte so etwas wie Freiheit. Anfangs fiel es mir schwer mit Gleichaltrigen auszukommen, ich war wohl zu still, aber nach und nach passte ich mich an. Vor allem weil ich diese Zeit als Mädchen dort verbringen musste. Es sollte es mir einfacher machen an dich heran zu kommen. Ich beobachtete dich ein Jahr lang und erkannte nicht wirklich welche Fähigkeiten du hattest. Das Einzige was ich sah war wie beliebt du bei anderen warst. Deine charismatische Ausstrahlung, deine höfliche zurückhaltende Art nahmen viele für dich ein. Eine Rolle dabei spielte wohl auch, dass du geradezu phantastisch aussahst. Das hat bis heute nicht nachgelassen, wenn ich das so bemerken darf.“ Finn musste breit lächeln.

„Du meinst ich habe mich gut gehalten?“

Finn grinste wieder als er sich etwas von Brad löste und ihm dabei in die Augen sah.

„Besser, viel besser“, sagte Finn ernst.

Brad lächelte spöttisch über so viel Ernst. Wie viel von dem was Asugawa sagte meinte er auch so?

„Mein Aussehen ist mir nicht wichtig, auch wenn es den Anschein hat. Ich halte ein gewisses Bild von mir aufrecht, das von mir erwartet wird und an das sich alle halten können, das ist alles.“

Brad löste sich von Finn und nahm die Suppe vom Herd.

Er füllte die Schalen und stellte sie auf den Tisch. Finn ließ sich von der Anrichte gleiten und setze sich links neben Brad, der sich an die Stirnseite gesetzt hatte. Er saß mit dem Rücken zum Flur.
 

Brad drängte es nach Antworten auf viele Fragen, aber er ließ Finn essen und beobachtete ihn dabei.

Und Finn wähnte sich wieder im Fokus des Hellsehers und seufzte innerlich. Es machte ihn ganz wuschig wenn der Mann ihn ständig beäugte.
 

Als Brad fertig war besah er sich die Nudeln und teilte den Rest zwischen ihnen auf, wobei er Finn die größere Portion gab. Er lächelte in Gedanken daran wie Kaito gestern nach ihnen geschmachtet hatte.

Er stellte ihm die Portion hin. „Danke“, sagte Finn und verleibte sich die Nudeln ein, etwas gesitteter als beabsichtigt, denn er wollte sich vor Brad nicht blamieren.
 

„Wie ging es weiter?“
 

Finn sah auf. „Du hast mich nicht beachtet, so oft ich auch näher an dich ran wollte, kam mir entweder jemand zuvor, oder ich wurde als kleines Mädchen von deinen Freunden weggeschickt. Ich war ein Kurs unter dir.“

Finn zuckte mit den Schultern. „Der Clan wollte nun doch langsam Ergebnisse meiner Nachforschungen und so kam ich in Zugzwang. Ich beschloss bei dir zuhause etwas herumzuschnüffeln.“
 

„Du bist zuvor schon eingebrochen?“
 

„Ja, zwei Mal. Ziemlich gut bewacht, aber nicht gut genug für einen Winzling in schwarz. Ich fand nichts Ausschlaggebendes, nur säuberlich aufgereihte Notizbücher im Regal.“
 

Brad stöhnte und schüttelte den Kopf. Er erhob sich ungehalten und räumte sein benutztes Geschirr in die Spülmaschine. „Du hast sie gelesen?“

Finn bemerkte die Stimmungsänderung sofort und hörte auf zu Essen.

„Ja. Somit wusste ich, dass du so etwas wie die Zukunft sehen konntest und ich wusste, dass ich dir aufgefallen bin.“ Finn feixte und sah auf als Brad neben ihn trat. „Daran kann ich mich nicht mehr erinnern“, sagte dieser ausweichend.

Er stellte Finn eine Tasse Tee hin die herrlich nach Gewürzen duftete. Finn runzelte die Stirn.

„Du sagst es in ein paar Minuten.“

„Dass ich Tee möchte?“

„Ja.“

„Ah.“

„Und wenn ich doch etwas anderes möchte? So spontan meine ich?“

„Dann holst du es dir besser selbst“, erwiderte Brad gelassen.

„Die Zukunft existiert nicht wirklich. Ein Konstrukt das wir uns ausgedacht haben. Tatsächlich existierte sie parallel. Wenn du dich im letzten Augenblick anders entschieden hättest hätte ich dieses Ergebnis gesehen. Da sich das Ergebnis nicht anders dargestellt hat willst du Tee. Entscheidest du dich eine Sekunde später für etwas anderes hätte ich eine Sekunde später dieses gesehen. Entscheidungen und die Folgen daraus befinden sich auf einer Ebene. Das Vergehen von Zeit ist nur eine menschliche Wahrnehmung. Ich bin dieser Wahrnehmung ebenfalls unterlegen und benötige daher auch einen zeitlichen Maßstab.“

Er setzte sich wieder mit einer frischen Tasse Kaffee.

Finn aß den Rest seiner Nudeln langsam auf und stand dann auf um die Spülmaschine mit seinem Geschirr zu bestücken und sie zu schließen, dann setzte er sich wieder zu Brad an den Tisch und zog seinen Tee an sich.

„Du blätterst also einen Katalog durch in dem Entscheidungen und ihre Ergebnisse aufgelistet sind? Ohne die Zeit zu berücksichtigen?“

„Nein, diese Dimension sollte ich auf jeden Fall berücksichtigen, aber sie ist nicht linear angeordnet. Eine Änderung in der Zukunft bedeutet eine Änderung in der Vergangenheit, eben weil sie nicht linear ‚fort schreitet’.

Finn runzelte die Stirn. Er verstand nicht einmal die Hälfte.

„Erzähl weiter“, forderte Brad ihn auf.

„Ich habe natürlich Bericht erstattet und war in gewisser Weise stolz auf mich endlich etwas vorweisen zu können. Und ich war auch neidisch auf dich und dein Leben. Auch auf das der anderen Kinder und Jugendlichen. Sie hatten all das was ich nie haben konnte.“

„Hast du es mir und den anderen missgönnt?“

Finn sah auf. „Nein. Ich wollte dieses Leben auch für mich leben dürfen.“

„Dann war es kein Neid. Wir benutzen dieses Wort viel zu schnell. Bist du deshalb zu Invidia geworden?“

„Ja. Sie sagten es würde perfekt passen.“

„Das tut es nicht“, sagte Brad ruhig.
 

Finn sah ihn lange an bevor er sich wieder auf sein Essen konzentrierte. Brad ließ ihn bis er fertig war.

„Während meines ersten Aufenthaltes bei euch las ich ein paar Bücher, dann als ich wieder kam, die Nächsten. Ich begriff, dass es nicht so einfach war mit dieser Gabe umzugehen und wie du dich zeitweise gequält hast. Ich las über die Anschläge, über deine Sorgen bezüglich deiner Schwester und dass du glaubtest nie enge Bindungen eingehen zu können. Ich... ich glaube ich verliebte mich dann in dich als ich die Bücher las“, gab Finn kleinlaut zu.
 

„Ich würde sagen, dass Tagebücher lesen definitiv als Betrug gewertet werden kann. Und genau deshalb...“, begann Brad und wurde von Finn unterbrochen.

„Ich weiß... ich weiß“, sagte Finn und schüttelte den Kopf. „Ich bin dir voraus... ich weiß, dass dich das wütend macht.“

Brad sah ihn an und sah auch die Bekümmertheit in den dunklen Augen.

„Es macht mich sogar sehr wütend. Ich kann es nicht mehr aufholen, Kaito. Ich werde dir deine Taten immer schuldig bleiben.“

Finn kämpfte also gegen verletzten Stolz an. Diesen Kampf würde er wohl nicht gewinnen können.

„Aber warum verstehst du denn nicht, dass du es warst, der mich gerettet und irgendwie auch befreit hast, ich habe dir nur zurückgegeben was du für mich getan hast, auch wenn es unwissentlich war – spielt das doch keine Rolle.“
 

„Vor was habe ich dich gerettet?“
 

Finn starrte ihn an. Die Falle war aufgestellt worden und er dümmlich hineingetappt und jetzt war sie zugeschnappt. Mist.

„Ich...hat Schuldig dir nichts erzählt?“, versuchte er einen letzten Rettungsversuch dieser Frage und ihrer zahlreichen Antworten auszuweichen.

„Teilweise. Ich will es von dir hören.“

„Was soll ich dir erzählen?“

„Details. Ich will alles wissen. Wenn du dich daran erinnern kannst dann an jeden verdammten Atemzug den du je in deinem Leben getätigt hast.“ Brad sah ihn ernst an und Finn konnte zwar Wut aber auch etwas anderes dahinter sehen. Er konnte es nur nicht recht deuten.

Finn atmete tief ein. Verstehen zu wollen wie dieser Mann tickte war schwieriger als er gedacht hatte. „Es ist vorbei, ich habe diese Zeit so gut es ging verdrängt.“

„Du erlaubst dir meine Tagebücher zu lesen, indem intime Dinge standen und mir willst einen ähnlichen Einblick in deine Gedanken verwehren?“

Finn schluckte. Naja, das war ein Argument, das nicht von der Hand zu weisen war.

„Ich kann mich nur an... manches erinnern.“ Er schwieg einen Moment.

„Versuch es.“
 

„Sie trieben Späße mit mir, wie sie stets sagten. Alles war nur ein großer Spaß. Unterhaltung für sie – nicht für mich - immer dann wenn der Hausherr auf einer Auslandsreise war. Chiyo begleitete ihn anfangs oft, sodass ich alleine mit dem irren Haufen war. Kiguchi war mit seiner Ausbildung beschäftigt und unterwegs oder hatte Unterricht. Ich war in einer anderen Gruppe eingeteilt, deshalb sahen wir uns zwar aber nicht lange und auch nicht oft.

Einmal haben sie mich aus dem Bett gezerrt, es war mitten in der Nacht und mich auf den Boden gefesselt, dann strich Bozz, Teile meines Körpers mit irgendetwas ein. Sie ließen zwei Katzen auf mich los die meinen Intimbereich und mein Gesicht ableckten. Sie saßen um mich herum und fanden es sehr komisch wie ich schrie und weinte. Hin und wieder holten sie die Katzen zurück wenn diese es zu bunt trieben. Es waren zahnlose Viecher, dennoch schmerzte diese Demütigung. Sie sagten sie würden erst aufhören wenn ich heute Nacht Bozz ein wenig ‚zur Hand’ gehen würde. Natürlich sagte ich zu, ich hatte zu viel Angst. Ich wurde losgemacht und bin mit Bozz mitgegangen. Von da ab lernte ich jede Nacht was einen guten Blowjob alles ausmachte. Er sagte ab da nur noch Kätzchen zu mir. Wie du dir denken kannst blieb es nicht dabei. Aber ich lernte schnell wenn ich tat was sie wollten, dann würden diese gemeinen Spiele vielleicht aufhören und ich könnte mich ins Bett legen ohne permanent Angst haben zu müssen herausgezerrt zu werden. So war es mein Job den einen oder anderen mich benutzen zu lassen bevor die Nachtruhe einkehrte und ich dann nach Mitternacht auch gehen konnte. Manchmal klappte das nicht wirklich weil ich gefesselt war oder zwei mich in Bearbeitung hatten.

Ich kam mit diesem Arrangement gut durch diese Zeit. Ich sah die Gefahr kommen. Wenn ich tat was sie wollten glaubte ich mich sicher. Alles drehte sich bei mir um meine Sicherheit. Um die Einschätzung bestimmter Situationen. Wann war ich sicher und wie lange.“

Brad nahm einen Schluck seines Kaffees und bemerkte wie kurz die Sätze geworden waren, wie die Stimme fest wurde, die Finger aber rasch den Tee an sich nahmen, sodass er fast über die Tasse schwappte. Er stellte seine eigene ab. Das Geräusch klang hart in die eingetretene Stille hinein. Finn sah auf die Tasse und blinzelte für einen Moment. Er hielt den Blick darauf fixiert.

„In dem Jahr als ich auf dich angesetzt wurde war es wieder soweit, dass sie etwas verrückter wurden und sie ließen sich während des Sexes perverse Spielchen einfallen.

Als meine Not größer wurde traute ich mich Chiyo endlich zu sagen was passierte und sie unterband diese Sache. Die Folge war, dass ich den Unmut der Gruppe zunehmend auf mich zog, eine Befürchtung die mich zuvor davon abgehalten hatte sie zu denunzieren.“

Er verstummte wieder. Brad konnte keine einzige Gefühlsregung in dem Gesicht erkennen.

„Eines Abends holten sie mich für einen Test aus meinem Bett. Sie hatten mich betäubt denn ich habe nicht bemerkt, wie sie mich aus dem Bett geholt und mich in den Keller getragen haben. Ich wachte auf, gefesselt an eine Leiche, in einem Haufen von Leichen. Überall waren Fliegen um mich herum. Es stank. Ich konnte kaum atmen.“
 

Brad kam der Gedanke wie er wohl mit dieser Geschichte umgegangen wäre wenn er sie damals gehört hätte. Wäre er stark genug gewesen um diesem Jungen seinen Schutz anzubieten? Wäre er überhaupt auf diese Idee gekommen? Hätte sie sein damaliges heiles Weltbild erschüttert? Was wäre gewesen, wenn er Asugawa damals kennen gelernt hätte? Wie wäre es weitergegangen? Brad riss sich aus diesen Möglichkeiten einer Zeit die für ihn nicht mehr erreichbar war los.

„Ich sah mich um und erkannte, dass sie mich eingemauert hatten. Nur ein Lüftungsschacht war zu erkennen. Ich beschloss dort hinauf zu gelangen um raus zu kommen.

Also stapelte ich ein paar verwesende Körper aufeinander, kletterte hinauf und kroch durch den Schacht nach draußen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Sie schleppten mich in eine der Duschen, schrubbten mich wütend mit einer harten Bürste ab und übergossen mich dann mit Desinfektionsmittel. Daraufhin hatte ich einen kleinen Blackout.“
 

Brad nahm einen Schluck seines Kaffees. Das Gefühl der Machtlosigkeit, das ihn sein ganzes Leben begleitete drängte wieder mehr in den Vordergrund. Es schmeckte Bitter und brannte in ihm wie eine noch immer glimmende Glut. Es brauchte nicht viel um diese Glut erneut zu entfachen.
 

„Dann wurde ich zu Yoshyo gerufen und der sagte er müsse mich Chiyo entziehen und schickte mich dir hinterher. Ich weiß noch wie ich im Zug saß, meine Hose war voll von Creme um meine Hoden und meinen Schwanz, weil die Haut komplett offen war und am liebsten hätte ich geheult. Ich war allein und auf mich gestellt. Ständig beschlich mich der Gedanke, dass jeder wusste was sie mit mir gemacht hatten. Es dauerte lange bis ich begriff, dass man es mir nicht ansah und schon gar keinen interessierte.

Ich betrat das Wohnheim und richtete mich dort ein. Am Nachmittag ging ich hinunter und erkundete den Komplex als ich eine Traube von Menschen sah die einem Spiel der Basketballmannschaft zusah. Ich stellte mich dazu und verfolgte das Spiel. Ein Mädchen neben mir unterhielt sich tuschelnd mit ihrer Nachbarin über dich. Sie schwärmten für dich und ich suchte mit den Augen nach diesem tollen Jungen. Durch ihre Spielbeschreibung fand ich dich schließlich und befand dass sie Recht hatten. Und dort stand ich also, die Hosen voller Wundcreme, mein Schwanz unbequem eingeklemmt, in ein Mädchenoutfit gezwungen. Und das nach einer Nacht voller verwesender Leichen und Maden. Alle schienen gute Laune zu haben, hin und wieder war gelöstes Lachen zu hören. Die Sonne schien so hell. Es kam mir beinahe unwirklich vor. Und ich kam mir dreckig und falsch am Platz vor. Ich wusste nicht dass du ein PSI warst, das war mir egal, du warst der Erste den ich dort wirklich beachtet habe.“
 

„Was hattest du an?“
 

Finn sah von seinem Tee auf. DAS wollte Brad jetzt wissen? Er runzelte die Stirn und sah wieder in seinen Tee.

„Keine Ahnung, ähm... ich glaube eine enge Hose, Chucks und ein kurzes Shirt, meine Haare waren damals länger, Chiyo sagte mir, dass ich sie die meiste Zeit offen tragen sollte. Es war meine bevorzugte Kleidung zu dieser Zeit. Genau weiß ich es nicht mehr.“
 

Brad fühlte beginnende Abscheu und grellen Zorn in sich, dass es ihn die Kehle abschnürte.

Er wollte Kaito dort stehen sehen. Und wenn es nur für einen flüchtigen Augenblick sein würde. Doch was machte das alles noch für einen Sinn?
 

„Lebt noch einer von ihnen?“
 

„Nein. Sie wurden bereits ersetzt, durch die jetzige Truppe, die nun ja auch fast ausgelöscht ist. Bis auf Gula.“

Er schwieg einen Moment. Brad ließ ihn und drängte ihn nicht zu sprechen.

„Ich hatte Angst so zu werden wie sie“, gab er schließlich zu.
 

„Trotzdem hast du das Serum genommen.“
 

„Ich... wollte nicht entdeckt werden. Ich wollte nicht sterben, nur weil ich mich mit allem was ich hatte an dich klammerte.“
 

„An einen Helden den es nicht gab.“
 

„Das war mir egal. Ich träumte so viel Unsinn zusammen, den ich mit dir erlebt hatte, das bot mir Trost. Es war als würde ich dich kennen und ich verschrieb mich der Aufgabe dich vor dem Bösen zu schützen. Es war eine gute Aufgabe.“

Sie schwiegen eine Weile und Finn fühlte diesen sezierenden Blick auf sich gerichtet. Dann kam Bewegung in den anderen und Finn sah auf als Brad sich erhob.

„Ich gehe nach unten.“
 

„Kann ich mit?“ Finn spürte wie es in dem Mann arbeitete. Die Muskeln unter dem Hemd waren angespannt.

„Kann ich dich davon abhalten?“, fragte Brad wie nebenbei und Finn zuckte mit den Schultern. Eher nicht, erwiderte er für sich selbst.

Brad nahm ihre Tassen und räumte sie in die Spülmaschine. Dann ging er in den Keller hinunter um zu trainieren. Finn folgte ihm.
 


 


 

o
 


 


 


 

‚Schuldig?’

‚Ja.’

‚Bist du da?’

‚Könnte ich dir sonst antworten?’

‚Du siehst aus als würdest du schlafen. Ich wollte dich nicht wecken.’

‚Mein Körper... schläft.’

‚Hast du etwas gelesen?’

‚Nein.’

Ran strich Schuldig mit Zeige- und Mittelfinger über die Lippen. Er seufzte und bettete seinen Kopf wieder nah an Schuldig Brust. Er hatte seine Hand wieder vor sich gelegt und seine Finger spielten um Schuldigs Brustwarze, neckten sie zärtlich.

‚Soll ich aufwachen?’

‚Nein’, Ran stillte seine Finger und ließ sie liegen.

Es war noch dunkel, er hatte nicht lange geschlafen fühlte sich aber seit Tagen ruhiger und erholter. Vermutlich lag das an ihrem Schlagabtausch und ein bisschen schämte er sich dafür, dass es immer soweit kommen und Schuldig dafür herhalten musste. Er schloss die Augen wieder und trieb in diesem sagenhaft guten Gefühl umher, welches Schuldigs Anwesenheit in seiner Gedankenwelt ihm bescherte. Er seufzte leise.

Sein Kopf war angenehm leer, keine Gedanken die ungewollt umherirrten und ihn in eine Ecke treiben wollten.

‚Ich bin so wütend auf meine Mutter’, schickte Ran in seine Gedanken. ‚Es scheint als wäre ich über meine Familie belogen worden und ich bin wütend auf so Vieles.’

‚Glaubst du sie hat dich geliebt?’

Ran schwieg ein Weilchen.

‚Ich weiß worauf deine Frage abzielt, Mr. Psychologe.’

Ran schnippte sanft an Schuldigs Brust. ‚Ja, ich hab die Liebe meiner Eltern und meiner Schwester gefühlt. Sie war echt und ohne Lüge. Das weiß ich. Egal was meine Mutter vor mir verborgen hielt.’

Ran hatte den Eindruck Schuldig lachte ihn aus, es fühlte sich zumindest so an.

‚Blödmann’, gab Ran zurück.

‚Ich will diese Chiyo treffen und ich will endlich Antworten. Von ihr. Wenn sie eine PSI ist, liegt es nahe, dass ich vielleicht auch... aber was bin ich dann? Du hast nichts bemerkt bei mir oder?’

‚Bis auf deine außergewöhnlich guten Schilde’, antwortete Schuldig und Ran hatte schon gedacht Schuldig wäre auch in seinem Bewusstsein eingeschlafen. Was er nicht war.

‚Als ich auf dem Friedhof zusammengeklappt bin, da bist du in mein Bewusstsein eingedrungen und...’

‚Ich habe nichts Außergewöhnliches entdeckt.’

Ran schwieg wieder.

‚Sorg dich nicht, eine derartige genetische Disposition wird nicht immer weitervererbt. Deine Augen sind jedoch nicht unbedingt normal Ran. Und rothaarige Japaner gibt es auch nicht Zuhauf, zumindest kenne ich keinen außer dir. Hast du schon einmal daran gedacht?’

‚Früher war es mir immer peinlich gewesen. Wer hat schon violette Augen? Meine Mitschüler und die Lehrer hielten mich für exzentrisch. Sie glaubten, ich würde mir die Haare färben und Kontaktlinsen tragen. Ich hatte nicht viele Freunde. Die Mädchen liefen mir hinterher und auch ein paar Jungs. Allerdings bekam ich eher die Verrückten ab.’

Ran schmunzelte.

‚Ich fühle mich keineswegs angesprochen’, meinte Schuldig lapidar. ‚Meinst du das Mädchen mit dem du deine ersten Erfahrungen gemacht hast?’

‚Weiß nicht. Keiner hat herausgefunden, dass ich keine natürlichen violetten Augen habe. Nicht mal sie.’

‚Mit einem roten Einschlag, sehr dämonisch.’

‚Hmm. Ich dachte es ist eine Anomalie, wie meine Haare auch.’ Ran seufzte wieder. Er fühlte Schwermut in sich aufkommen.

‚Nun es ist eine.’

‚Aber was wenn doch?’

‚Was soll sich ändern?’

‚Ich weiß nicht’, meinte Ran verdrossen.

‚Hast du daran gedacht, dass es dich besser machen könnte? Eine Verbesserung bringen könnte?’

‚Eher nicht.’

‚Es spielt keine Rolle. Ständig ändert sich etwas in einem Leben... in unserem Leben. Ich werde deine Konstante sein. Du bist meine. Daran sollten wir uns orientieren.’

‚Das klingt zu leicht.’

‚Vielleicht hat deine Mutter gar nichts davon gewusst, oder nicht gewusst wie sie damit umgehen soll und dich deshalb von deiner Großmutter entfernt. Vielleicht – wenn es denn zutrifft – wäre es besser gewesen du wärst bei ihr geblieben.’

‚Wir müssen sie treffen.’

‚Ja.’

Ran küsste das Stückchen Haut an dem seine Lippen lagen und er spürte wie Leben in den Körper kam an dem er lag. Schuldig wurde wach und gab ein wohliges Geräusch von sich. Ran musste lächeln.

„Wie geht’s dir?“, kam auch sogleich die vom Schlaf raue Stimme.

„Nicht gut. Ich fühl mich verprügelt.“

Schuldig räusperte sich. Er hatte Durst, seine Kehle war trocken. Wie musste es da Ran gehen, der sich halb die Seele aus dem Leib geschrien hatte.

„Keine Rachegedanken?“

Ran spürte das Grinsen an seiner Schläfe, als Schuldig ihn dort küsste.

„Noch nicht, ich bin noch groggy.“

„Kommt also noch“, resümierte Schuldig.

„Mit Sicherheit.“

Ran würde wohl noch die nächsten Tage etwas von dieser Nacht haben...

„Geht’s dir jetzt etwas besser?“, noch bevor Schuldig seine Frage nach Rans Gemütsverfassung spezifizieren konnte bekam er eine Antwort.

‚Ja.’

‚Die letzten Tage warst du mir zu still gewesen, Ran. Wenn wir alleine waren hast du kaum persönliche Sorgen geäußert. Ich hab geahnt, dass es dazu kommen würde. Ich verstehe auch wie schwierig es ist unter einem Dach mit den anderen zu leben. Die ganze Situation ist für uns beide schwierig, vielleicht für jeden von uns.’

‚Ist dir aufgefallen, dass wir uns kaum auf die Nerven gehen obwohl wir ständig zusammen sind?’

‚Nein, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.’

Schuldig lachte leise.

Sie blieben noch ein Weilchen liegen und Schuldig überwachte Haus, Hof und Umgebung.

Brad und sein Kuschelhäschen waren bereits im Haus zugange. Sollten sie doch, Ran und er würden noch etwas ihre Zweisamkeit genießen.
 


 


 


 


 


 


 


 

Fortsetzung folgt...
 

Vielen Dank fürs Lesen!
 


 

Gadreel ^_^



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Jin-A
2016-08-22T07:39:00+00:00 22.08.2016 09:39
Endlivh ein neues Kapitel! Das hin und her zwischen ran und schuldig hat mir sehr gut gefallen. Die Gedanken von Ran evtl doch ein Psi zu sein, scheinen immer logischer... auch wenn ich mir überhaipt nicht vorstellen kann, was für Fähigkeiten er besitzen könnte ^^.

Die sache zwische brad und Finn scheint ja auch langsam eine nicht ganz so hasserfüllte Ebene seitens Brad anzunehmen. Ich bin gespannt wie es weiter gdht ^_^

Lg
Von:  KuroMikan
2016-07-29T20:06:00+00:00 29.07.2016 22:06
Hallö :)

wuhuuuuu kaptiel alarm!!! oh ich habe so verdammt lange auf diese ENS gewartet <3
yaaaaaay!! ^^

haha klingt es jetzt doof wenn ich sage dass ich ein wenig den anschluss verloren hatte?
ich bin allerdings beim lesen irgendwann wieder rein gekommen XD hat nur ein weilchen gedauert ^^°

ok. zuerst... endlich haben sie sich mal wieder geprügelt :D naja ein bisschen... ^^°
auch am ende... so cute! einfach mal gemeinsam im geist abhängen C:

Ich komme mit finns persönlichkeit manchmal nicht ganz klar, erst ist er fast aufdringlich, und in der nächsten sekunde gleicht er wieder einem geprügelten hund... naja whatever... aber ich freu mich insgeheim ein bisschen das brad ihm endlich zuhört... zumindest ein bisschen XDD

auf jeden fall eine hammer story die nie langweilig wird :) freu mich schon mega auf das nächste kapitel und was sich wohl noch alles enthüllt... zb ran etc XD
und action XDDD ja ... auf die warte ich wohl noch ein bisschen :\ aber was solls XD das jahr werde ich es wohl auch noch aushalten ^^° ich treudoofer leser... <3

okay.. ich weiß nicht, irgenwie fällt mir nichts mehr ein ^^°
in diesem sinne... ein hoffentlich baldiger wieder lesen!


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