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Der Glasgarten

von

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Ein Sturm zieht auf

Ein Sturm zieht auf
 


 

Tokyo
 


 

Das Erwachen war wie stets abrupt und unangenehm. Seine Handlungsfähigkeit während dieser speziellen Art von Vision unbeschränkt, so lange wie er sie nicht löste zumindest. Die längste Zeitabfolge, die er in einer Vision je zustande gebracht hatte waren vier durchlebte Tage gewesen in der er versucht hatte den Ausgang einer bestimmten Handlung herauszufinden.

Er war flexibel, denn Zeit spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Er hatte viel Zeit in einer Vision. Unendlich viel Zeit. Wie immer wenn er diese spezielle Vision bekam versuchte er seine Handlungen zu ändern um einen anderen Ausgang der Situation herbeizuführen und... scheiterte dieses Mal aufs Neue.

Brad setzte sich auf, nahm seine Brille vom Nachttisch und befühlte nachdenklich die Bügel. Was konnte er ändern?

Er drehte die Frage hin und her und doch wollte keine der möglichen Antworten sich als die Richtige herausstellen.

Vielleicht war alles falsch? Er ging immer von der jetzigen Konstellation mit den jetzigen Akteuren aus. Wäre es möglich, dass weniger Akteure... weniger Variablen...

Brad begann zu rechnen, während er sich langsam erhob und sich die Brille aufsetzte. Es war weniger als dreißig Minuten vergangen und doch hatte er während der Vision zwei Tage einer möglichen Zukunft erlebt, die so nie eintreten durfte.

Er ging ins Badezimmer um sich das Gesicht frisch zu machen. Währenddessen schob er Wahrscheinlichkeiten in seinen Gedanken hin und her und plötzlich... ganz plötzlich... gab es eine Möglichkeit...
 


 

o
 


 

Es war früher Nachmittag als Finn aus dem Badezimmer im Erdgeschoss frisch geduscht hinunter in den Keller ging. Seine Verbände hatte er sorgsam erneuert, nachdem Schuldig ihm demonstrativ einen Verbandskoffer in den Keller gebracht hatte. Die Stunde Schlaf hatte ihm gut getan, danach hatte er geduscht und die Verbände artig erneuert. Die Wunden sahen zwar gut aus, dennoch trat aus einigen der Nahtstellen klare, leicht blutige Flüssigkeit aus, woraufhin er sich für frische Verbände entschieden hatte – obwohl er generell etwas gegen diese ziepende klebrige Wundabdeckung hatte.

Zu seinem Leidwesen fühlte er sich immer noch kraftlos und ausgezehrt. Hinzu kam ein unwohles Gefühl, dessen Ursprung er nicht ganz ergründen konnte, gelegentlich zitterte und schwitzte er bei jeder noch so kleinen Anstrengung.

Er trug erneut die Kleidung wie zuvor, da er sich noch nicht auf die Suche nach seinen Taschen gemacht hatte. Vor seiner Tür stand nun eine davon. Er nahm sie auf und betrat den Raum im Keller der ihm von Brad zugedacht worden war und legte die Tasche auf dem Bett ab.

Er zog die frisch verpackten schwarzen Hemden hervor, und seinen Anzug, den er nur zu besonderen Einsätzen gebraucht hatte. Seine Chucks waren ebenfalls darin, sowohl sie als auch der Anzug waren gereinigt worden.

Er freute sich darüber und zog sich an, denn er musste heute zu seinem Vater um ihm von Kiguchis Tod zu berichten.
 

Umgezogen beschloss er den Keller genau unter die Lupe zu nehmen. Seine ihm zugedachte Räumlichkeit lag am Ende eines Ganges. Er schätzte, dass er unter dem großen Wohnbereich lag. Er trat aus seinem Raum und fand links davon eine Stahltür, die einen Spalt offen stand. Er öffnete sie, suchte den Lichtschalter in dem dunklen Raum und staunte nicht schlecht als er einen komplett eingerichteten Trainingsraum vorfand. Er war mit Tatamis ausgelegt und an den Wänden hingen unterschiedliche Übungswaffen. Es gab keine Fenster. Zu seiner Rechten war eine Doppeltür aus Holz, eine Verbindung in einen anderen Raum, wie es schien.

Die Türen öffnend kam er in einen Raum dessen Wände mit knallroten Schaumstoffmatten schallgeschützt ausgekleidet waren. Er würde eine Wette darauf abschließen, dass Schuldig hier die Auswahl der Farbe getroffen hatte. In einiger Entfernung waren Ziele aufgestellt worden. Auf einem Tisch lagen Handfeuerwaffen und auf der linken Seite sah es aus wie eine Wandvertäfelung, die sich über die ganze Seite erstreckte. Er vermutete ein ganzes Arsenal an kleineren und größeren Feuerwaffen dahinter.

Rechts von ihm gab es eine Tür, die allem Anschein nach in den Gang zurückführte.

Er trat den Rückzug an, schloss die Doppeltür und verließ den mit Matten ausgelegten Raum. Wieder im Gang angekommen richtete er sein Augenmerk wieder nach vorne und schlenderte ein wenig herum als wäre er in einer Ausstellung. Dabei ließ er seinen Blick über die Wandvertäfelung gleiten, bemerkte das Fehlen von Kameras und empfand die Ausstattung der Böden und Decken als sehr hochwertig für einen simplen Keller. Rechts vor sich tat sich die Treppe nach oben auf, weiter vorne zwei weitere Türen.

Eine der Räume beinhaltete den Technikraum. Den würde er sich bei Gelegenheit noch einmal genauer ansehen. Er öffnete den letzten Raum und knipste das Licht an. Ein Vorratslager wie es schien, hohe Wandregale, in denen nicht viel stand, ein paar Kisten mit Verbandsmaterialen, Nahtmaterial und Haushaltswaren. In der Ecke standen Wasserkanister. Die Vorräte sollten aufgefüllt werden, grübelte Finn und machte sich in Gedanken eine Notiz Brad darauf anzusprechen.

Halb versteckt von der Kellertreppe gab es noch eine Tür, die aber abgesperrt war. Naja, um dieses lächerliche Schloss würde er sich später kümmern müssen. So machte er sich auf den Weg ins obere Stockwerk und ignorierte dabei geflissentlich die Geräusche aus der Küche. Er verspürte schon wieder nagenden Hunger, dieses elende Gefühl war verschmerzbar, wusste er doch, dass es Wichtigeres gab.
 

Als er auf der Suche nach dem Rest seiner Habseligkeiten das Schlafzimmer vom Objekt seiner unerwiderten Begierde passierte hörte er Jenes im Bad hantieren. Ob er dem Drang nachgeben sollte und einen kleinen voyeuristischen Blick riskieren sollte? Er blieb stehen, lehnte sich an die Wand und versuchte der Versuchung zu widerstehen. Noch immer war es als könne er Brads Lippen auf seinen spüren, als könne er die Hände auf seiner Haut fühlen.

Leise seufzend entschied er sich Brad in Ruhe zu lassen und ging den Korridor weiter bis er auf eine offene Tür stieß. Ein großer Raum, ein langer Tisch, mehrere Rechner und noch mehr Bildschirme offenbarten sich ihm als eine Art Planungsraum. Auf dem Tisch fand er seine Taschen. Er lugte zurück in den Flur, keiner war zu sehen, so betrat er den Raum und ging zu seinen mageren Arsenal an Habseligkeiten und zog das Notebook hervor, das er sein eigen nennen durfte.
 

Er nahm es an sich und ging nach unten, den Geräuschen nach in die Küche. Dort begegnete er Fujimiya Ran, dem mysteriösen Etwas, dass er nicht durchschauen konnte. Die violetten Augen verfolgten wie er sich an den ausladenden Tisch setzte und das Notebook ablegte.

Ran war erneut dabei Schusswaffen zu zerlegen und sie zu reinigen. Dieses Mal waren es drei Sonderanfertigungen wie Finn nach einem Blick auffiel. Metallgriff, Gravur, längerer Lauf. Auf der Anrichte warteten Lebensmittel darauf für das Abendessen vorbereitet zu werden.

„Wem gehören sie?“, fragte Finn und wartete bis sein Rechner zum Leben erwachte.

„Schuldig.“

Das musste wirklich Liebe sein, wenn Schuldig Ran gestattete seine Waffen zu reinigen... Finn schmunzelte innerlich.

Ran besah sich den Mann, der hier in einem passgenauen Anzug Platz nahm. Nun sah er tatsächlich so aus, wie einer aus dem Clan. Asugawa strich sich die glatten Haarsträhnen hinter ein Ohr.

„Gehört zu diesem Outfit nicht eine Maske?“
 

Finn sah auf. „Nicht zwangsläufig“, sagte er beiläufig und nicht ganz bei der Sache scheinend. Ran erwiderte nichts darauf, davon ausgehend, dass sein vermeintlicher Gesprächspartner an einem Gespräch nicht sonderlich interessiert schien.
 

„Wo ist sie denn?“, fragte Finn, während er die komplizierte Verriegelung der Kassette einleitete.
 

„Sichergestellt in Crawfords Asservatenkammer“, bot Ran eine zugegebenermaßen haarsträubende Möglichkeit an. Da niemand ihn für den humorigen Typ Mensch hielt konnte Ran fast alles mit ernster Mine vortragen und es wurde selten angezweifelt wie es... den Anschein hatte. Was ihn persönlich sehr amüsierte. Innerlich verstand sich...
 

„Hat er so etwas?“, fragte Finn erstaunt und sah nun zum ersten Mal seit er sich mit seinem Rechner beschäftigt hatte auf.
 

Ran hatte den anderen nicht aus den Augen gelassen und fragte sich gerade ob Finn das tatsächlich für bare Münze nahm. Er wollte etwas sagen, schwieg aber dann. Besser, diesen Mann und sein Verhalten noch ein wenig länger zu beobachten. Dann jedoch...

„Hat er. Er bewahrt dort seltene und wertvolle Objekte auf, die ihm irgendwann noch nützlich sein können.“

„Und wo ist diese Kammer?“ Der Raum der im Keller abgesperrt war? Finns Neugierde wuchs gerade um ein Vielfaches an.

„Weshalb dieses Interesse?“

„Nur so...“

„Hast du die Befürchtung dort zu landen?“

„Nein, ich bin nicht selten oder gar wertvoll genug, fürchte ich…“, murmelte Finn.

Ran bezweifelte dies, sagte aber ein Weilchen nichts mehr.

Währenddessen vertuschte Finn seine Spuren im Netz. Er wartete gerade auf ein Signal als er aufsah und Ran dabei zusah wie er den Lauf einer Browning HP reinigte.

„Bedeutet sie dir etwas?“, fragte Ran und Finn zuckte mit den Schultern.

„Die Maske?“, hakte Finn nach, nicht sicher ob sie noch beim gleichen Thema waren.

„Sie bot Schutz.“
 

„Nicht vor einer Kugel.“
 

„Nein... das nun nicht.“ Finn dachte an die Male, in denen sie PSI gejagt hatten und sie mit ihrer Maskerade eingeschüchtert hatten. Es waren normale Menschen gewesen, die normale Jobs gehabt hatten, mit Familie, mit einem… Leben.

Finn ballte eine Hand zur Faust.

Normale Menschen mit nicht normalen Talenten, die deshalb sterben mussten weil sie anders waren. So wie er. Warum lebte er noch? Weil er auf der anderen Seite des Laufs gestanden hatte, gab er sich selbst die Antwort.

Wussten Schwarz, dass sie die einzigen Überlebenden in Japan waren? Dass der Rest der PSI Gesellschaft geflohen oder ermordet worden war?

Hatte Schuldig es in seinen Gedanken gelesen?

Würden sie wütend werden? Endlich wütend werden und etwas unternehmen? Und wollte er das noch? Hatte er noch eine Chance auf Brad wenn sie in diesen Krieg hineingezogen würden? In den er sie alle hineinziehen wollte? Wenn er sich hier so umsah wusste er nicht mehr ob er das alles noch wollte.

Hatte er nur Kontakt aufnehmen wollen weil es sonst keine Gelegenheit gegeben hätte ihnen näher zu kommen? Brad näher zu kommen?
 

Finn loggte sich ein um nachzusehen um sich seinen Kontostand anzeigen zu lassen. Sie hatten mehrere Konten – er und Kiguchi, etwas an Bargeld in zwei Verstecken, aber...

Er runzelte die Stirn. Es war nichts mehr da. Das konnte doch nicht sein. Er kontrollierte erneut.

Er kaute auf seiner Unterlippe herum und versuchte nachzuvollziehen wohin das Geld gegangen war. Laut dem Protokoll hatte Kiguchi vor ein paar Tagen die Konten leer geräumt.

Freiwillig oder unfreiwillig? Und wenn so oder so wo war das Geld jetzt? Sie hatten nie viel besessen, aber es war ein gutes Polster gewesen für den Fall dass sie den Clan verließen. Irgendwie hatte er seine Nebentätigkeiten ja finanzieren müssen.
 

„Probleme?“, fragte Fujimiya, Finn sah auf und beobachtete ihn wie er ein Magazin mit Munition bestückte.
 

„Ich...“, fing Finn an. Er war mittellos. Das Einzige was er jetzt noch besaß war in den Taschen. Ein paar Verstecke gab es vielleicht noch... Vielleicht sollte er die „Spinne“ wieder beleben. Der eine oder andere Auftrag neben zu würde ihm wieder Geld in die Taschen spülen. Aber sie... er hatte gerade wesentlich größere Probleme zu bewältigen. Da war der Clan, Chiyo, Gabe noch verschollen... Er totgeweiht... und dann war da noch Bradley Crawford.
 

„Er... ist... pleite“, hörte er Schuldig hinter sich und sein Kopf ruckte herum. Er streifte mit seinen Lippen die Wange des anderen, da dieser so nahe an ihm klebte. Erschrocken rutschte er samt Stuhl zur Seite und sein Blick fuhr zu Fujimiya herum. Gott, konnte das als Kuss gewertet werden?

Fujimiyas Augen wurden eine Spur dunkler als er die Waffe fertig zusammensetzte. Er lächelte schmal, die andersartigen... Augen erreichte dieses Lächeln nicht.

„Lass das nicht zur Gewohnheit werden.“

Finn runzelte die Stirn. Er starrte den Mann vor sich an. Blinzelte. Wie hatte er das übersehen können? Finn wagte es noch nicht den Gedanken deutlicher zu fassen, er hatte einen Verdacht...
 

„Wer will schon aus Gewohnheit pleite sein?“, fragte Schuldig gänzlich am Thema vorbei noch immer auf den Bildschirm konzentriert.

Finn starrte diesen Ausbund an Nachdenklichkeit und gleichzeitiger Naivität an und Ran legte die Waffe auf den Tisch, dass Geräusch des Carbonstahls wie es auf den Tisch aufkam war nicht laut aber er verstand eine Drohung auch wenn sie auf leisen Sohlen daher kam.
 

Finn sah wieder zu Ran und erhaschte einen milden Gesichtsausdruck, liebevoll auf Schuldig gerichtet, als dieser aufsah war er vorbei. Finn fühlte aufgrund dieses kleinen Einblicks in Fujimiyas und Schuldigs Verbindung was er vermisste. Es war das Gefühl der Annahme, des Verstehens.

Er rief sich sogleich zur Ordnung. Du hast etwas gewonnen, freu dich darüber und hör auf heulen.
 

„Das ist kein Problem.“ Er sah auf und der leidenschaftslose Blick des langhaarigen Japaners, sagte bereits alles. Er trug seine Haare nur nachlässig in einem Zopf, daher fielen ihm teilweise ein paar der Haarsträhnen ins Gesicht, was den Blick der dahinter hervorlugte nur umso aussagekräftiger für Finn machte.

Fujimiya zweifelte seine Worte an. Nicht nur das, Finn senkte rasch seinen Blick auf den Bildschirm, denn er hatte soeben erkannt, dass Fujimiya Ran eine ganz besonders süße dunkle Frucht war. Köstlich aber giftig und daher tödlich. Ein bisschen wie er selbst.

„Ich habe mich nur gewundert, das ist alles.“
 

Ran sagte nichts und Schuldig hatte die Arme verschränkt. Er löste diese Haltung und ging hinüber zur Anrichte. Den Kühlschrank öffnend sammelte er die restlichen Zutaten für das Abendessen zusammen. Offenbar war er es gewesen, der sich zuvor schon um die Lebensmittel auf der Anrichte gekümmert hatte.

„Hast du nichts in Reserve?“, hörte er als Finn den Rechner herunterfuhr um ihn auszuschalten.
 

„Habe ich“, sagte Finn sorgloser als er sich fühlte. Kiguchi sein Bruder, sein Halt war gegangen, er hatte keine finanziellen Mittel mehr und sein Handlungsspielraum war begrenzt. Sie hatten ihn festgesetzt in dem sie ihm alles genommen hatten. Wenn er Kiguchi doch wenigstens einer angemessenen Beerdigungen zuführen hätte können. So hatte er gar nichts tun können. Er musste seinem Halbbruder Hisoka und seinem Vater noch von seinem Tod unterrichten.

Betäubung setzte in seinen Verstand ein. Zudem war er abhängig von einem Koffer mit blauen Phiolen und einem Mann der ihn nicht wollte. Doch er wollte ihn schon, korrigierte Finn gedanklich, nur nicht wie Finn es gerne gehabt hätte.

Aber würde das einen Unterschied machen wenn er starb?
 

Während er über diesen Umstand nachgrübelte und zu dem Ergebnis kam, dass es tatsächlich einen Unterschied machen würde bekam er nicht mit wie Schuldig und Ran lautlos kommunizierten. Es waren Blicke die das Paar tauschte und die nur sie verstanden.
 

Der Unterschied lag darin, dass es nur umso schlimmer schmerzen würde, wenn Brad etwas für ihn empfinden würde wenn er in den letzten Atemzügen lag. Für die Romeo und Julia Nummer war er doch etwas zu… desillusioniert.

Ohnehin musste er sich für diesen letzten Gang einen Platz suchen an dem er in Ruhe abtreten konnte. Er würde es nicht ertragen können wenn einer von ihnen es mitbekommen würde, oder Brad. Das wäre das Sahnehäubchen in seinem Leben in der Scheiße.

Obwohl, so ein bisschen Held spielen zum Schluss hätte schon etwas für sich. Er würde dann zumindest in guter Erinnerung bleiben. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass er für Theatralik und Schauspiel ein Faible hatte.

Aber wie bemerkte er wenn er starb? Schließlich fühlte er sich im Augenblick gar nicht so schlecht. Er hatte nur momentan nahe am Wasser gebaut und fühlte sich in manchen Augenblicken etwas… zerbrechlich. Was gänzlich neu für ihn war – sich ständig um irgendetwas zu Sorgen. Er war es der Pläne machte, der Ränke schmiedete… nicht einer, der sich sorgte was werden würde.
 

„Kannst du kochen?“, hörte er eine Frage, war aber zu beschäftigt damit einen Ausweg aus seinem Dilemma zu finden.

„Nein“, antwortete er deshalb abwesend. „Nie gelernt.“ So gesehen war er noch nie auf sich allein gestellt gewesen. Er hatte noch nie alleine gelebt, oder war für einen anderen Menschen verantwortlich gewesen. Nicht in dem Umfang in dem es normale Menschen taten. Er musste arbeiten für seinen Lebensunterhalt, nur war diese Arbeit vorausgesetzt gewesen, er hatte zu Essen und Kleidung bekommen, ihm war gesagt worden was er wo und wann zu tun hatte. Erforderlich war nur ein positives Endergebnis gewesen.

Jetzt schien es anders zu sein. Er hatte kein Ziel mehr. Zuvor musste er sich Zeit erschleichen, oder erlügen um Schwarz zu observieren. Es war unterhaltsam gewesen auf beiden Hochzeiten tanzen zu können. Jetzt... wusste er nicht wohin mit sich.
 

„Hmm“, brummte Schuldig und zuckte in Rans Richtung mit den Schultern. Dieser winkte unauffällig ab.

„Gibt es etwas dass du gut kannst?“

Finn furchte die Stirn. Vielleicht sollte er das Portal mit den offenen Aufträgen noch einmal einsehen.

„Verführen, ficken, töten“, sagte er etwas genervt über dieses Gespräch und schob das schmale Notebook wieder in seine Kassette ein.

„Na ist doch prima! Du wirst unsere Hausnutte!“, begeisterte sich Schuldig, aber der zynische, scharfe Tonfall und das Messer das sich gerade fast schon brutal in das Schneidebrett rammte weckte seine Aufmerksamkeit. Finn sah mit großen Augen auf und fand sich mit Schuldig, einem zornigen Blick und verschränkten Armen konfrontiert. „Jeder darf mal ran, so oft er will und damit ist die Kost und Logis bezahlt.“
 

Finn sah von einem zum anderen und war sich nicht sicher was das zu bedeuten hatte.
 

Ran fühlte Ärger in sich aufkommen. „Schu der Witz geht gerade nach hinten los“, sagte er bedächtig.
 

„Ja...“, sagte Schuldig ebenso langsam. „Scheint mir so.“

Ein Witz? Oh, das war gut. Er hatte schon kurz die Sorge besessen es werde wie im Clan mit ihm verfahren.

Schuldig wollte gerade etwas sagen als Brad zu ihnen stieß und Finn fast in sich zusammenfiel vor weichender Anspannung. Sowohl Ran als auch Schuldig bemerkten diese Reaktion und Schuldig hob fragend die Augenbrauen während Ran einen Mundwinkel zu einem milden Lächeln hob.
 

Brad trug einen Anzug und Finn erhob sich sofort.

„Wir fahren los und reden mit Naoe. So wie es aussieht wird er noch dort bleiben. Bist du soweit?“, richtete er an Finn und dieser wähnte sich im Fokus der ungewöhnlichen Augen. Eine Braue hob sich ob des unpassenden Schuhwerks – seiner knallroten Converse – kommentierte es jedoch nicht.
 

„Wir essen wenn ihr hier seid“, sagte Ran und Finn erhob sich, dankbar dafür diesem Gespräch das vor Brads Erscheinen stattgefunden hatte entkommen zu können.
 

„Ich treffe dich am Wagen“, sagte Brad zu ihm und verschwand nach draußen. Finn nickte und blieb unschlüssig in der Küche stehen. „Kann ich... kann ich noch eine Birne haben?“ Er hatte einen Mordshunger.
 

Schuldig nahm eine aus der Schüssel, die er fürs Abendessen bereits gewaschen hatte und warf sie ihm zu. „Bis später.“

Ran sah ihnen nach.

„In Brads Gegenwart…“ Ran verstummte.

„Hmm… ja… er entspannt sich sichtlich. Als wäre ihm die Last dieser Unterhaltung genommen worden.“

„Er hat das Gefühl sich beweisen zu müssen?“

„Unser persönlicher Stalker muss sich beweisen. Das Gefühl hat er offenbar bei Brad nicht.“
 

Finn ging nach draußen, stieg in den Jaguar und setzte sich auf den Beifahrersitz. Das Grundstück war hoch mit Mauern eingefasst. Bäume standen zudem gut verteilt auf dem Grundstück was vor Blicken zusätzlich schützte. Ein zweischneidiges Schwert, mit einem Telepathen und einem Empathen im Haus jedoch verschmerzbar. Er sah die Bewegungsmelder und die Kameras.
 

„Bist du bewaffnet?“
 

„Ja, der Situation angepasst“, erwiderte Finn und betrachtete sich die Gegend. Gut ausgewählt, fand er damals schon.
 

Finn machte gerade Anstalten aus...

„Im Wagen wird nicht gegessen“, wurde er angewiesen, just in dem Moment als seine Finger, die von ihm erbeutete Frucht hervorziehen wollten.

Er hatte noch nichts gegessen und da heute im Haus so viel Betrieb war und er offensichtlich das Mittagessen verschlafen hatte musste er darben bis sie wieder zurück waren. Er hoffte, dass er dann etwas zu Essen bekam. Vielleicht konnte er Brad überreden irgendwo anzuhalten...

Sein Plan den Mitgliedern beider Teams möglichst nicht auf die Zehen zu treten, einen Kontakt wenn es ging zu umgehen um das Konfliktpotential zu verringern konnte er bisher gut in die Tat umsetzen.

„Nein, je schneller wir das hinter uns bringen, desto schneller kannst du etwas Vernünftiges essen.“
 

Finn blickte missmutig aus dem Fenster. So war das also mit einem Hellseher.
 

„Dann...“, er wartete einen Moment, schließlich wusste Brad schon was er sagen wollte, oder?
 

„Ja?“
 

„Dann weißt du schon was ich sagen will?“
 

„Nicht immer.“
 

„Wann?“
 

„Zufallsprinzip“, erwiderte Brad und hielt an einer Ampel. Das stimmte nicht ganz, aber er war nicht bereit alles preiszugeben, nur weil neben ihm ein neugieriger Mensch saß. Und irgendwie ganz weit hinten in seinem Herzen machte es ihm Spaß ihren Spion zu ärgern.
 

DAS glaubte Finn nicht eine Sekunde lang. „Findest du dieses Leben nicht langweilig?“, rutschte ihm heraus. Er fand es immer besser sich das Serum zu verabreichen. Noch ein Punkt mehr auf seiner Pro-Liste.

Um für Brad interessant zu bleiben sollte er möglichst unvorhersehbar sein.
 

„Nein, ich mag es langweilig, übersichtlich, keine Überraschungen, schön geordnet. Was hat uns dieses Serum bisher gebracht? Unkalkulierbare Begebenheiten und daraus resultierende Katastrophen. Darauf kann ich verzichten.“
 

Nach dieser endgültig scheinenden Antwort schwieg sich Finn erneut aus. Er gehörte wohl auch zu diesen unkalkulierbaren Dingen, auf die Brad verzichten konnte. Finn würde nicht soweit gehen und sich selbst als Katastrophe bezeichnen, aber… nichtsdestotrotz musste er zugeben aus einem gewissen Blickwinkel könnte ein kritischer Betrachter geneigt sein ihn als solche zu bezeichnen.
 

Ihm graute vor dem Abend, wenn sie sich alle „unterhalten“ wollten. Seine einzige Hoffnung war, dass diese sogenannte Unterhaltung - oder noch geschönter: Besprechung - nach dem Abendessen stattfinden würde. In ihren Kreisen hieß das eher Befragung.

Er hatte nicht vor etwas zu verschweigen, diese Zeit wollte er hinter sich lassen. Kiguchi hatte gesagt, er müsse vertrauen haben. Wenn das nur so leicht für ihn wäre, hatte er doch sein Leben lang etwas anderes gelernt.

Finn schielte unauffällig zu Brad. Zu dem Mann neben sich hatte er allerdings Vertrauen. Warum war das nur so?

Er kannte ihn nur von seinen Beobachtungen, war ihm nur drei Mal in seinem Leben für einige Stunden näher gekommen – und jedes einzige Mal war es unter falschen Voraussetzungen und einer Lüge geschehen.

Das Schlimme daran war, dass sein Gehirn oft aussetzte wenn es Brad Crawford ansichtig wurde. Entweder benahm er sich total daneben, obwohl er ihn beeindrucken wollte oder er heulte und mutierte zu einem totalen Schwächling. Wenn er das Serum hätte, dann würde er wieder wie früher sein, mit allen Wassern gewaschen, cool, souverän, Brad würde ihm gehören.
 

„Bist du noch sauer?“, huschte die Frage plötzlich hervor und Finn machte große Augen. Wo war denn das bitte hergekommen? Weshalb plapperte er in der Gegenwart dieses Mannes derart unnützes Zeug?
 

Brad schloss in der Schlange auf und war ebenso verblüfft wie Finn über diese Frage. Tatsächlich hatte er sie nicht kommen sehen.

Er regelte die Lautstärke der Anlage etwas nach unten.

„Worüber?“ Fragte er ruhig.

Er war NIE sauer über irgendetwas, fühlte er sich bemüßigt, das in Gedanken klar zu stellen.

„Was bedeutet das eigentlich? Sauer? Ich bin höchstens über etwas wütend oder ungehalten.“

„Über Sophie. Ich musste gerade daran denken.“ Finn sah aus dem Fenster.
 

„Was hast du dir damals eigentlich dabei gedacht?“ fragte Brad etwas… ungehalten. „Die Begründung, dass du neugierig warst und… Zeit hattest… ist lächerlich.“
 

Finn schmunzelte. „Kiguchi hat das Gleiche gesagt. ‚Was denkst du dir dabei? Denkst du überhaupt? Oder denkst du nur mit deinem Schwanz?‘ Er war wirklich angepisst, das kannst du dir nicht vorstellen.“ Finn musste breit grinsen, was sich nach ein paar Momenten verlor.
 

Und wie Brad sich das vorstellen konnte. Er hatte den Riesen nicht kennen gelernt, aber wenn er wie Hisoka war dann fragte sich Brad wie Finn ihn so sehr im Griff gehabt hatte um für so eine Aktion Unterstützung zu finden.
 

„Wenn er dagegen war, warum hat er dich dann unterstützt?“
 

„Das hat er immer getan“, Finn blinzelte einmal und sagte dann nichts mehr. Er hing während der restlichen Fahrt seinen Gedanken nach und Brad ließ ihn.
 

Hisokas riesige Gestalt, die Kiguchi ähnlich an Masse und Größe war kam als Erste in ihr Sichtfeld als das Rolltor hochfuhr und sie den Wagen ein paar Meter weiter vor fuhren. Finn war diese Klinik nicht neu, aber er konnte sich nicht entsinnen sie je betreten zu haben. Der Doc genoss so etwas wie einen Status der Unantastbarkeit in der Unterwelt dieser Stadt.

Brad stieg aus dem Wagen, Finn sah zur Seite und Brad nach. Er zuckte fast schon zusammen als die Wagentür zufiel. Für einen Meuchelmörder war er heute aber wieder sehr schreckhaft, tadelte er sich ironisch selbst.

Er fürchtete sich davor seinem Vater und Hisoka mitzuteilen dass Sohn und Bruder ... sein geliebtes Kind und der Bruder tot waren. Und das nur wegen ihm. Kiguchi hatte ihn so oft davor gewarnt nicht zu kopflos zu sein. Dabei...

Erneut atmete er tief ein, schloss die Augen für einen Moment bevor er bemerkte, dass Hisoka ihm die Tür geöffnet hatte. Er öffnete seine Augen und ließ sich vom Sitz gleiten.

„Würdest du mich bitte zu Vater bringen?“, fragte er leise, er mied den Blick in die warmen Augen nicht und fühlte dem Schmerz nach der sich in seiner Brust ausbreitete. Er hatte dieses drückende, ziehende Gefühl das ihm die Luft abschnürte verdient.
 

„Natürlich“, erwiderte Hisoka freundlich und Finn nickte. Er sah sich nach Brad um, der auf sie beide wartete, damit Hisoka ihm öffnen konnte.

„Er macht gerade einen Hausbesuch, ich erwarte ihn aber bald zurück.“

Finn hörte dies nicht gerade gerne, er hätte seinem Vater lieber früher als später vom Tod seines Sohnes berichtet und er hätte es am Liebsten selbst getan.

Aber er wusste, dass Brad noch Großes mit ihm vorhatte und die Zeit reichte sicher nicht dafür, dass er auf seinen Vater wartete.

Hisoka begleitete sie bis zu einer Zimmertür, er klopfte an und nachdem die Tür sich geöffnet hatte und sie eingetreten waren wandte sich Brad dem Jungen zu, der noch immer Bettruhe hatte. Somit war der Blick auf Finn freigegeben und er fühlte sich unter dem Starren der beiden anderen Personen im Raum nicht so unwohl wie er vor dieser Begegnung befürchtet hatte denn eine davon war...
 

„Finni! Finni!“, hörte er die zarte Stimme, die sich gerade aus einem Stuhl kämpfte und zu ihm gerannt kam. „Lilli“, sagte er und die Freude darüber sie sehen zu dürfen wischte seine Sorgen für den Moment beiseite. Er ging auf die Knie und schloss sie in die Arme. Er zog sie fest an sich, ihre Füße streiften über seine Knie und sie fing an zu weinen.

„Waren sie gemein zu dir, Lilli?“, fragte er sanft und strich ihr über den Kopf.

Sie schüttelte ihn, nahm aber ihr Gesicht nicht von seiner Schulter.

„Nein? Hast du Heimweh?“

„Ja“, nuschelte sie verdrossen.

„Gefällt dir dein neues Zuhause nicht?“

„Ich mag nicht hier sein.“

„Wo willst du denn dann sein?“

„Bei Gabe!“

Finn erhob sich geschmeidig mit seiner Last und ging ein paar Schritte mit ihr um sich auf den Stuhl zu setzen. Sie richtete sich auf und sah ihn mit zitternden Lippen an. Er wischte ihr mit einem Lächeln die Tränen von den Wangen.

„Brad und ich fahren jetzt und dann versuche ich Gabe zu dir zu bringen, ja?“

Sie nickte, aber nicht ganz überzeugt. Sie sah zu Brad hinüber, der Finns Blick erwiderte, jedoch konnte Finn ihn nicht einschätzen.

Die blaugrauen Augen des jungen Mannes jedoch versprachen eindeutig eine Abreibung für Finn, falls der Telekinet wieder zu Kräften kam.

Finn wandte den Blick wieder zu Lilli.

„Hey, Kleines... aber das wird dauern, denn Gabe ist nicht mehr Zuhause, wie du auch nicht. Er hat ein neues Zuhause und ich muss dieses Zuhause erst finden. Verstehst du?“

Sie schüttelte den Kopf.

Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich weiß, dass du es verstehst, aber nicht magst. Schau mal, dass hier sind meine Freunde und sie passen sehr gut auf dich auf. Deshalb habe ich sie gebeten auf dich zu achten.“
 

Es war still im Raum und Finn fühlte einige Augenpaare auf sich gerichtet und fragte sich gerade was in deren Köpfen vorging. Und er fühlte sich ganz und gar nicht wie unter Freunden. Vom Punkt einmal abgesehen, dass er nie welche besessen hatte. In ihrer Branche pflegte man vielleicht ein Verhältnis zu einem Supporter, oder einem Kollegen, aber gewiss zu keinen Freunden. Sein einziger Freund war durch seine Schuld gestorben.

Sie sah ihn schmollend an, er behielt sein zuversichtliches Lächeln bei obwohl es gelogen war. Er fühlte keine Zuversicht in sich.

„Wie geht es dir?“

Sie zuckte ungelenk mit den Schultern, hob ihre Arme dabei leicht an. Er strich über sie, konnte die Narben gut spüren, diese kleinen Knubbel in ihrer Ellenbeuge, und ihren Handrücken wo die Venen derart verhärtet waren, dass sie in der Vergangenheit bereits Probleme bei Probenentnahmen gehabt hatten.

„Ehrlich“, wies er sie mit einem schelmischen Schmunzeln an und tippte ihr auf die Nase.

„Och Finni... es ist langweilig hier“, jammerte sie und warf sich ihm theatralisch an die Brust. Er lachte leise und schloss sie wieder in die Arme. „Och... das schaffst du schon...hmm?“ Er roch an ihrem Haar und schloss die Augen. „Sie beschützen dich, Kleines, das ist nun mal langweilig für dich. Die Familie war böse, Lilli. Ich wollte nicht, dass du bei ihnen bleibst, es ist meine Schuld.“

„Nein“, nuschelte sie und seufzte müde. Sie strich von seinem Hals zu seiner Wange hoch und streichelte sie. „Sie waren immer böse zu dir gewesen, hat Gabe gesagt.“

„Hat er das?“ Ihn durchfuhr es eiskalt. Hatte Gabe bei seinen heimlichen Streifzügen mehr gesehen als er hätte sollen? Gabe war schüchtern und viel zu zurückhaltend für ein Kind in seinem Alter, aber er war dummerweise dabei noch neugierig.

„Ja.“ Sie sagte nichts mehr und Finn hatte Angst zu fragen.

„Sollen wir einen kleinen Spaziergang machen, dann kann Onkel Brad mit Nagi sprechen und wir stören die beiden nicht, hmm? Was hältst du davon?“

„Du kannst ein Matcha Eis haben wenn du möchtest“, bot Hisoka ihr an und sie drehte sich alert um. Ein heftiges Nicken erfolgte und Finn wollte sie zu Boden gleiten lassen, was das Klammeräffchen jedoch mit einem quengelnden Laut zunichte machte.

„Na gut“, brummte er gespielt unwillig, freute sich aber, wer wusste schon wann und ob er sie jemals wieder im Arm halten würde.

Finn ersparte sich einen kleinen Witz auf das Eis und Brads frisch angezogener Hose, dazu war die Lage zu ernst, dennoch geisterte die Erinnerung in seinem Kopf herum als sie nach draußen gingen und die Tür leise ins Schloss zogen.
 

„Ist er das?“, fragte Omi, der auf dem anderen Stuhl saß in der Nähe der Tageslichtsimulation.

„Ja, er arbeitet jetzt für mich.“

Heißes Gerät, dachte sich Omi und legte den Kopf schief. Zu heiß. Verdammt heiß. Gefährlich heiß. Genau das richtige für das Orakel. Noch einer den er unter Kontrolle bringen musste. Irgendwie zog er derlei Individuen offensichtlich an.
 

„Lasst ihr das Kind hier?“, fragte Nagi.
 

„Wir sind hier um euch abzuholen.“
 

„Ich würde es vorziehen, wenn sie und ich noch hier bleiben könnten. Es wäre sicherer. Ich habe bemerkt, dass ihre Nähe meine Fähigkeiten insoweit blockiert, dass die Nährstoffe die ich zu mir nehme, sofort von meinem Körper aufgenommen werden.“
 

„Sie blockiert alles?“
 

„Ja.“
 

„Wie lange denkst du brauchst du noch?“
 

„Ein paar Tage.“
 

„Ich denke nicht, dass es für sie förderlich wäre noch weitere Tage hier unten zu verbringen.“ Sie hatten keine Tage mehr...
 

„Spielt das eine Rolle?“
 

„Durchaus“, erwiderte Brad mit der üblichen kühlen Note. „Du bist der Nutznießer ihrer Fähigkeiten. Dankbarkeit wäre angemessen.“

Zu Omi sagte er:

„Tsukiyono ich erwarte dich heute Abend.“
 

„Schön für dich“, erwiderte Omi. „Kannst du dir abschminken, Orakel.“
 

Brads überhebliches Lächeln brachte ihn schon wieder gegen den anderen auf.

„Würdest du uns bitte allein lassen?“, entgegnete Brad dem jugendlichen Trotz mit ausgesuchter Höflichkeit.

Was Omi nur noch mehr ärgerte, da der Ältere nicht auf seine Provokation ansprang.

Er drückte Nagis Hand und verließ dann den Raum, nicht ohne dem Orakel hinter dessen Rücken die Zunge herauszustrecken. Nagi brachte die Kraft auf um diese frevelhafte Tat mit einem Lächeln zu honorieren.
 

Brads Blick wurde weicher nachdem sie endlich alleine waren.

Er ging näher zu Nagi und setzte sich auf das Bett. Nagi war blass, die fedrigen braunen Haare lagen wie ein Halo um sein Gesicht, die graublauen Augen sahen ihn vertrauensvoll an. Ein Vertrauen, dass so tiefgreifend, so allumfassend war, dass es Brad zu Anfang ihrer Beziehung erschreckt hatte. Jetzt war es nur noch tröstlich zu wissen, dass es jemanden gab der stets auf das Vertraute was er tat im Wissen, dass es gut war. Und das war es bist jetzt immer gewesen. Bis jetzt. Sie standen am Scheideweg und er – derjenige der es wissen sollte, ja sogar wissen musste – wusste nicht wie es weitergehen sollte.

„Du hast bald Geburtstag“, sagte Brad.

Er sah auf seine Uhr. Nagi verfolgte seinen Blick. Er war wohl einer der wenigen Menschen, die diese Geste nicht als eine Aufforderung oder als schlechte Angewohnheit einstuften.

„Unabänderlich“, kam die Antwort, getragen durch eine müde, zarte Stimme, die Crawford an eine finstere Vergangenheit erinnerte.

„Nicht ganz“, erwiderte Crawford.

„Abänderlich wäre dieser Umstand nur durch mein Ableben“, sagte Nagi daraufhin und Brad sah ihm lange in die Augen.
 

„Ich sehe dich in meiner Zukunft nicht mehr.“
 

Nagi sah ihn still an und Brad konnte zusehen wie sich das sanfte Graublau mit Tränen füllte. Brads Hand kam dem Jungen entgegen als er sich ihm in die Arme warf.

Brad empfing ihn und bettete den braunen Schopf an seine Schulter. Er hielt ihn fest und strich ihm über den Rücken. Er wiegte den jungen Mann, der ihm wie ein eigenes Kind am Herzen lag dessen Seele stets fest mit seiner verbunden sein würde.

Irgendjemand öffnete die Tür, schloss sie jedoch ohne einzutreten wieder.

Sie saßen lange so da und Brad... sah nicht mehr auf seine Uhr.

„Was passiert mit den anderen?“, fragte Nagi nach einer Weile, Brad verstand ihn kaum, so tränenschwer war seine Stimme.

„Ich weiß es nicht“, gab Brad zu und seufzte. Er schwieg wieder. Seine Sicht war teilweise von massiver Dunkelheit verzerrt. So opak, dass er davor zurückschreckte und sich daraus hervorriss. Er wollte nicht weitersehen, wollte diese umfassende Dunkelheit nicht in sich kriechen spüren. Sie war erschreckend allumfassend und geprägt von einer elementaren Einsamkeit, die er selbst in der Gegenwart zu fühlen begann.

„Manchmal sterben sie, manchmal nicht, es sind zu viele Einflüsse, ständig ändern sich die Bilder vollständig, verkehren sich ins Gegenteil um. Das ist bisher noch nicht vorgekommen, Nagi.“ Es gab jedoch einen Fixpunkt, den er nicht verändern konnte. In keiner der Visionen, die er durchlebt hatte konnte er dieses Ereignis verändern.

Nagi schniefte leise.

„Du weißt es, es ist dir nur unangenehm.“

Brad lachte leise und strich durch die fedrigen Haare seines Schützlings. Wie gern hätte er noch mehr Zeit gehabt um diesen Jungen vor dem was kommen würde vorzubereiten. Aber ihre gemeinsame Zeit schien schneller abzulaufen als ihm bewusst gewesen war.

„Wie gut du mich kennst.“

Nagi klammerte sich an ihn und Brad ließ ihn so lange er wollte.

„Ich wünschte...“

Nagi verstummte.

„Nun sag schon.“

„Ich wünschte du wärst mein wirklicher... Vater...“, er schniefte erneut. Ein Geräusch, dass er von dem Junge bisher eher selten gehört hatte. Viel zu beherrscht war er schon als Kind gewesen. „Das klingt... merkwürdig“, schob Nagi nach.

„Ausgesprochen tut es das, in der Tat.“ Brad lächelte.
 

Wieder wurde es still zwischen ihnen.
 

Beide erinnerten sich an Vergangenes, an ausgesprochene Worte, an Zuneigungsbekundungen von beiden Seiten, an Vertrauensbeweise, an Situationen die sie beide zusammengeschweißt hatten.

In einem Beziehungsverhältnis das sie beide als Vater und Sohn auswies.

„Was wünscht du dir zum Geburtstag?“, fragte Brad leise.

„Sicherheit“, kam sehr schnell als Antwort.

„Und weiter?“

Nagi brauchte nun schon länger um zu überlegen.

„Wenn ich auf ein Wunder hoffen kann, dann wünsche ich mir, dass ich nie wieder diese Art der Energieentladung...“, begann Nagi ungehalten. Brad stoppte ihn und schob ihn an den Schultern ein wenig von sich um ihm ins Gesicht sehen zu können.

„Nagi, dies ist ein Teil von dir, ihn zu verleugnen bedeutet sich selbst zu verleugnen.“

„Dann ist das meine Destination“, erwiderte Nagi mit einer Niedergeschlagenheit, die Brad bis dato noch nicht von dem Jungen kannte. Wo war nur der überhebliche, weltfremde und zu schlaue Junge geblieben? Brad schätzte, dass der Kontakt zu dem jungen Tsukiyono der Grund für das Aufbrechen alter Verhaltensweisen war.

„Nein. Das ist nicht das endgültige Ziel, Nagi. Du bist zu so viel mehr fähig, als das zu negieren was du bist. Ich habe von dir stets viel verlangt. Kontrolle, Disziplin, Beherrschung. Das ist dir nicht immer gelungen. Du hast dich bemüht, dir alles abverlangt, es ist genug. Es ist Zeit einzusehen, dass es nicht Kontrolle ist was dir fehlt.“
 

Er zog Nagi wieder an sich.

„Wir sind alle noch sehr jung, Nagi. Viel zu stark, mit Gaben beschenkt, die wir nicht wollten und noch immer nicht gänzlich begreifen.“

„Vielleicht hätten wir bei ihnen bleiben sollen, bei Rosenkreuz meine ich.“

„Vielleicht“, erwiderte Brad. „Das war jedoch nicht die Zukunft die ich für dich und die anderen wollte. Erfüllt von Intrigen, Verrat und einer gierigen Machtpolitik in die wir alle direkt eingebunden gewesen wären. Ich wollte eine andere Zukunft für dich.“ Nagi war leicht zu manipulieren, denn er war ein gefährliches und williges Werkzeug - in schmutzigen Händen eine mächtige Waffe die manch einen unbesiegbar machen würde. Das waren sie alle, nur konnten sie sich gegen leere Versprechungen, falsche Ideale und verlogene Zuneigung wehren. Nagi sehnte sich so dringend nach einem Gefühl der Annahme, dass er Misstrauen schnell über Bord werfen würde. Und doch... hatte er versagt, denn er musste erkennen, dass Nagi einer dieser Fixpunkte war. Er musste ihn loslassen.

„Habe ich denn eine?“, fragte Nagi mit einem Hauch Vorwurf in der Stimme. Brad strich ihm über den Rücken.

„Ja, sie wird hart erkauft werden müssen.“

„Du sagtest... dass...“, fiel ihm Nagi ungeduldig ins Wort.

„Ja, ich sagte, dass ich dich in meiner Zukunft nicht mehr sehen kann. Aber ich sehe dich in einer anderen Zukunft. Ich sehe dich in einer Zukunft in der du stirbst. In vielen dieser Variablen sehe ich nur dieses Ende. Und dann sehe ich dich wieder in einer...“

„In welcher?“

„Nagi... diese Zukunft ist vielleicht das alles wert, was kommen wird. Dort wirst du Stärke, Annahme, Verständnis und Liebe finden. Dort wirst du deinen Platz finden. Aber ich weiß nicht ob du es von hier bis dorthin schaffen wirst. Es ist schwer sich das vorzustellen.“ Selbst dieses Gespräch war schwer.

Es fühlte sich fremd an diese Worte in Sätze zu verpacken, die Nagi das Gefühl geben sollten, dass Brad ihn liebte. Und er selbst fühlte sich wie ein Schauspieler in einem Stück. Konnte er mit Sicherheit sagen, dass er für den Jungen so fühlte? Er wusste, dass er es sollte. Und mit Sicherheit konnte er sagen, dass er sich verantwortlich fühlte und dies stets seine oberste Priorität gewesen war.

„Kannst du es mir nicht beschreiben?“

„Nein, das ändert vielleicht dein Verhalten. Nur so viel kann ich dir sagen, du musst an diesen Punkt kommen, vieles hängt davon ab. Ich wünsche mir, dass du dort hin gelangst.“

„Mit Omi?“

Brad schwieg einen Augenblick. „Omi?“, sagte er dann nachdenklich.

Hier war Fingerspitzengefühl gefordert und er bemüßigte einmal mehr den kryptischen Hellseher für diese Antwort.

„Dein Wesen braucht Schutz, Nagi, es braucht Annahme, es braucht seelische Stärke, Verständnis und vor allem was braucht es noch?“

„Das alles kann Omi mir geben“, behauptete Nagi.

„Sag mir was es noch braucht?“, fragte Brad geduldig.

„Omi liebt mich!“, sagte Nagi davon absolut überzeugt und Brad musste darüber nachsichtig lächeln. „Natürlich tut er das“, erwiderte er milde. Er strich Nagi durch die Haare. „Denk nach.“

„Reicht das nicht?“, fragte Nagi nach einigen Minuten des Schweigens.

„Es wäre schön, nicht wahr?“

Nagi nickte an seine Brust.

„Es reicht nicht...Nagi... für uns reicht es nicht“, sagte er leise. Es würde niemals reichen.

Omi war eine gute Übung gewesen, eine Zwischenstation für Nagi, das konnte er dem Jungen so jedoch nicht vermitteln. Selbst für den Takatori Jungen wäre diese Beziehung über kurz oder lang zur Qual geworden.

„Dein Wesen braucht Freiheit, Nagi. Eine Freiheit, die dir nicht jeder geben kann, denn sie wird zweischneidig sein. Einerseits brauchst du Halt und Sicherheit, eine Richtung, die dir jemand weist. Ich bin mir sicher, dass Tsukiyono sie dir geben kann, die Freiheit deine Fähigkeiten in dem Maß auszuleben, wie du es tun willst kann er nicht.“

„Das kann keiner“, murmelte Nagi bestimmt. „Ich muss mich besser kontrollieren, ich habe versagt.“

„Und warum hast du das?“

Nagi gab einen frustrierten Laut von sich und Brad strich ihm über den Haarschopf.

„Du hattest Angst vor diesem Einsatz weil du wusstest, dass du dich nicht beherrschen kannst. Das kann keiner von uns auf Dauer. Es zerstört uns. Das ist das was Rosenkreuz produzieren, sie mischen unsere Gene, stellen Absonderliches her und regulieren dann wie und wann sie es einsetzen. Sie beschneiden diese Freiheit die sie uns einst schenkten. Sie fesseln deine Seele in einem Maß, welches sie einem langsamen Tod zuführen wird.“ Brad musste an Jei denken, dessen Seele bereits ihre Reise an einen Ort angetreten hatte, den nur sie kannte. SZ hatten sie zerstört, so in ihren Grundfesten erschüttert, dass es kein zurück mehr gab. Jei war zu einem dauerhaften Verweilen in der Realität nicht mehr fähig. Den größten Teil seines Daseins verbrachte er damit sich seinen Fähigkeiten hinzugeben. Es wurde immer schwerer seine Aufmerksamkeit zu erregen.

„Du meinst, ich brauche jemanden der mich frei sein lässt? Der daneben steht und zusieht wenn ich alles zerstöre? Hast du das gesehen?“

„Nein. Ich habe gesehen, dass du jemandem helfen wirst. Offenbar braucht jemand ganz dringend deine Hilfe. Du wirst frei sein, Nagi, dein gesamtes Sein wird frei sein.“

Brad wusste nicht, ob es tatsächlich diese Situation war die ausschlaggebend sein würde, denn die Vision hatte ihm nur vage gezeigt, dass Nagi in eine Lage gelangen würde da er eine Entscheidung treffen musste.
 

„Und wie wahrscheinlich ist es, dass ich diese Zukunft erlebe?“

Brad schätzte sie unter zehn Prozent. „Neunzig Prozent.“

„Du lügst.“ Nagi grinste, über seine Wangen liefen erneut Tränen.

Brad sagte nichts, er fasste Nagi fester. „Hör mir genau zu. Kämpfe wenn du glaubst einen Kampf gewinnen zu können. Gib nach wenn es aussichtslos scheint und warte auf eine neue Gelegenheit. Ertrage die Erniedrigung, auch wenn deine Fähigkeiten dir ein viel zu großes Ego beschert haben. Überlebe Nagi, du musst auf jeden Fall überleben. Scheu dich nicht dafür zu kämpfen, tu alles dafür. Such dir Menschen die dir dabei helfen. Die gibt es an Orten und an Positionen, die du zunächst nicht dafür gehalten hast. Bei all dem was wir taten habe ich dich immer gelehrt was richtig und falsch war. Nutze dieses Wissen.“
 

Nagi nickte wieder.

„Alles bricht auseinander“, sagte der Junge erstickt.

„Ja, das tut es. Nur manchmal ist es besser neue Wege zu gehen.“

„Ich will mit dir zusammen diese Wege gehen.“

„Ich weiß.“ Für Nagi war es besser einen eigenen Weg zu finden, er musste den Jungen loslassen. Nur wollte er ihn nicht dem Tod überlassen. Er wollte ihn in dieser Zukunft sehen, nur fragte er sich wie sie je zustande kommen würde.
 

„Er ist schuld“, sagte Nagi plötzlich in kaltem Zorn.

Brad strich ihm über den Rücken, der so zerbrechlich wirkte.

„Wen meinst du?“

„Ihn. Asugawa.“

Brad schloss die Augen. „Nein. Er hat keinen Einfluss auf die Dinge die kommen werden.“

„Trotzdem ist er schuld an so vielem.“

„Das sind wir alle, Naoe.“

Sie schwiegen eine Weile.
 

„Haben wir noch etwas Zeit?“, fragte Nagi.

„Ja. Aber genau kann ich es dir nicht sagen. Ich habe dir beigebracht nicht in Angst zu leben. Das ist mir manchmal besser, manchmal schlechter gelungen. Ihr hattet den Vorteil einen Hellseher in eurem Kreis zu haben, das sollte euch nie davor schützen jederzeit auf alles vorbereitet zu sein.“

„Ich weiß, du hast stets gesagt, dass du nicht willst, dass wir nachlässig werden nur weil du da bist. Deshalb teilst du nicht jede Information mit uns.“

„Und weil eure Handlungen Einfluss üben“, erinnerte er ihn.

Nagi nickte.
 

Sie unterhielten sich noch über ihre Sicherheitsanlage, über Dinge, die sonst Nagi übernahm.

Dies würde das letzte Gespräch mit Nagi Naoe sein, das er für unbestimmte Zeit führen würde. Es war ein Abschied.
 

Als Brad gegangen war, kam Omi wieder herein. Nagi suchte in dem offenen Gesicht, das was Brad gesagt hatte. Er weigerte sich an diese mögliche Zukunft zu glauben. Für ihn stand fest, dass er sterben würde. Brad hatte sich von ihm verabschiedet. Und Nagi war dankbar dafür, es zu wissen. Brad hatte ein Versprechen eingelöst, das er ihm einst abgerungen hatte. Wenn Brad je sehen würde, dass er sterben würde, dann wollte er es wissen.

Nagi lächelte als Omi zu ihm kam.
 

Omi fühlte schmale kühle Finger an seinen eigenen und ergriff sie. „Sie brauchen dich für die Daten wenn ich hierbleibe“, sagte Nagi.

Er hatte ein schlechtes Gewissen weil Omi hier bei ihm sitzen musste. Er freute sich natürlich darüber aber es war ihm auch unangenehm. Es gab viel zu tun und er konnte nicht helfen.
 

Omi brummte unzufrieden. „So ein Arsch. Kann er das nicht sagen?“
 

„Der Kristall ist noch nicht einmal annähernd entschlüsselt. Sicher will er von Asugawa auch erfahren was noch drauf ist. Du könntest weiter daran arbeiten.“ Nagi wollte ihm die Sache wohl schmackhaft machen, dachte Omi versöhnt. „Ich will dich trotzdem hier unten nicht alleine lassen.“
 

„Ich komme zurecht.“ Nagis Blick ging zur Tür. „Ich traue dieser Schlange Asugawa nicht. Sie nistet sich nahe an unserem Herzen ein und wird uns zerstören wenn wir es zulassen, das macht mir größere Sorgen. Ich denke er ist schuld daran, dass wir jetzt in dieser Lage sind.“
 

Omi folgte Nagis düsterem Blick und wollte nicht in Asugawas Haut stecken wenn der Telekinet wieder gesund war...
 


 

o
 


 

Finn hatte nach einiger Zeit Lilli wieder bei Naoe und dem Weiß Agenten abgeliefert und ihr versichert sie bald wieder zu besuchen, sobald er konnte. Sie hatten eine halbe Stunde Zeit miteinander verbracht bis Hisoka ihm mitteilte, dass ihr Vater von seinem Hausbesuch zurück war.

Nun stand Finn vor der Tür und klopfte, er wurde hereingebeten.
 

Hisoka war nicht da. Sein Vater saß an seinem Schreibtisch. Finn näherte sich und sein Vater wurde auf ihn aufmerksam. Finn blieb einige Schritte von ihm stehen und beugte ein Knie, er neigte den Kopf.

„Vater. Dein Sohn Kiguchi ist heute Nacht im Einsatz getötet worden. Er starb als er mich schützen wollte.“ Seine Stimme klang fest aber hohl in seinen Ohren.

„Er gab mir den Auftrag dir zu sagen: ‚Sag ihm dass ich Hisoka und Vater liebe. Sag ihm dass ich meinen Schwur bis zum heutigen Tage erfüllt habe.’“

Er versuchte alle Gefühle außen vor zu lassen und er hoffte, dass seine Stimme nichts von seinen Gefühlen preisgab. Er wollte sich vor seinem Vater nicht blamieren.

„Sein Tod erfüllt mich mit Schmerz, aber auch mit Stolz, mein Sohn. Er ist ehrenvoll gestorben und hat dem Haus Kawamori Ehre gemacht. Er wird in die Reihe der Ahnen eintreten die für ihre Aufgabe ihr Leben gegeben haben.“
 

Sein Vater kam zu ihm und bedeutete ihm aufzustehen. „Aufgabe? Ich verstehe nicht Vater.“

„Kiguchi war dein Guard, mein Sohn. Ich habe ihn dir an die Seite gestellt als ich nicht für dich da sein konnte, als er mir berichtete, welche große Aufgabe du dir auferlegt hattest. Auch wenn ich deine Fähigkeiten für überragend halte, so braucht ein Hellseher mehr als du ihm geben kannst. Du kannst ihn nicht allein schützen.“
 

„Wie... meinst du das?“ Finn fühlte sich hilflos. Er sah seinen Vater an. Ein derartiges persönliches Gespräch hatte er mit seinem Vater lange nicht gehabt, die daraus entstandene täuschende Nähe fühlte sich fremd an und brachte ihm keineswegs Trost vielmehr Unbehagen.
 

„Du brauchst ebenso – wenn nicht sogar mehr – Unterstützung als der Seher selbst. In der Vergangenheit gab es Seher die mehrere Beschützer hatten. Der Guardian selbst hatte sie, um sich auf seine Aufgabe konzentrieren zu können. Er war derjenige der die Verantwortung, die Last dieses Unterfangens zu tragen hatte. Es alleine zu versuchen ist unmöglich. Du hast diese Last nur tragen können in dem du zu dem geworden bist was heute vor mir steht. Chiyo hat dich benutzt und zerstört.“

Finn schwieg und sein Vater kramte auf seinem Schreibtisch herum. Er fand einen Stift und einen Zettel. Rasch schrieb er etwas darauf.

„Wenn etwas schief geht und nach meiner Erfahrung wird es das früher oder später, dann wende dich an diese Adresse.“

Er riss das Papier vom Block und reichte ihn an Finn weiter.

„Wo ist das?“

„Im Norden. Es sind Kawamoris. Geh zu ihnen falls der Hellseher dich nicht mehr brauchen sollte. Du bist dort sicher.“

Finn wollte nicht sicher sein. Sein zweiter Vorname war unsicher, bemerkte er trotzig in Gedanken. Sah er so schwach aus?
 

Er stand mit dem Zettel in der Hand da und fühlte sich wie mit Eiswasser übergossen. Sein Vater hielt ihn für ETWAS, dass vor ihm stand und das zerstört war?

Aber er hatte es doch bis hierher geschafft und das war doch eine gute Leistung, oder nicht? Er hatte... nun bis auf einige Missgeschicke die Bande am Leben gehalten. War er in den Augen seines Vaters trotz seiner Mühen ein Versager? Hatte er versagt weil er Kiguchi verloren hatte? Hätte er besser auf ihn achten müssen?

Er beantwortete sich selbst die Frage und hörte wie aus weiter ferne, wie sein Vater nach Kiguchi frage.
 

Finn berichtete ihm die näheren Umstände und dass es ihm nicht gelungen war seinen Leichnam zu bergen. Sein Vater versicherte ihm, dass Hisoka sich darum kümmern würde. Finn spulte die Worte lediglich kurz und knapp herunter. Enttäuschung und ein alter Schmerz quälten ihn durch unwillkommene Gedanken, durch Schuld, alt wie neu. Nur zögerlich steckte er den Zettel ein.
 

Als sein Vater ihn entließ verließ er beinahe fluchtartig den Raum. In seinen Ohren dröhnte es als er in den nächsten Raum stolperte und die Tür hinter sich zuschlug. Finsternis umgab ihn und er atmete hektisch ein und aus. Er stützte sich mit einer Hand und ausgestrecktem Arm an der Wand ab, den Blick nach unten gerichtet versuchte er seinen Körper unter Kontrolle zu bringen. Er keuchte, schlug mit der Faust gegen die Wand. Er wusste, dass er die Verzweiflung die ihn haltlos werden ließ zurückhalten musste. Brennend heiß sammelten sich Tränen in seinen Augen.

Es gelang ihm irgendwann, die Gedanken an die Schuld, die er seinem Vater für all dies geben wollte zurückzudrängen.

„Bruder...“, wisperte er und holte tief Luft, er konzentrierte sich auf seine Atmung und verdrängte damit den schweren Stein in seiner Brust, löste die Schlinge um seine Kehle.

Kiguchi hatte ihm nicht immer helfen können aber oft genug und er war somit nie allein gewesen. Zumindest wusste er dass sein Halbbruder irgendwo mit ihm in dieser Misere gesteckt hatte. Zusammen waren sie bis an diesen Punkt gekommen. An dem Scheideweg an dem nur einer von ihnen weitergehen konnte.
 

Finn ordnete sich und verließ den Raum, er suchte nach Brad und fand ihn im Aufenthaltsraum.

Der Fernseher lief.
 

Brad wartete auf die Nachrichten.

Der Wetterbericht vorneweg ließ ihn Resignation verspürten. Ein schwerer Sturm war im Anmarsch. Ein Taifun.

In der Tür erschien Finn. Brad blickte unverwandt auf die Ausläufer die aus dem Süden kamen.
 

„Wie sieht’s aus?“, hörte er.
 

„Ein Sturm kommt“, sagte Brad nachdenklich. Es war nicht das erste Mal, dass er in visionären Bildern einen ähnlichen Sturm gesehen hatte. War es nun soweit? Unsicherheit und eine unangenehme Spannung machte sich in ihm breit. Brad wusste wie es laufen würde... alles... alle Ereignisse, alle Bewegungen, alle Vorhaben... würden auf einen Punkt, das Zentrum, den entscheidenden Augenblick hinauslaufen. Aber wann war er? Bald? Und dann musste er reagieren. Dann durfte er keinen Fehler machen. Er musste Vorbereitungen treffen um sie alle zu retten, bevor der Punkt Null kam und die Dunkelheit ihn vereinnahmte. Bisher waren alle Visionen gänzlich sichtbar gewesen nun jedoch mehrten sich jene, die abrupt ins Dunkel stürzten.
 

„Metaphorisch oder real?“, unterbrach das sanfte warme Timbre seine Gedanken.
 

Brad hob den Blick zu dem anderen und sie hielten sich beide daran fest.

„Was glaubst du?“

Asugawa wirkte blass, seine Augen, die sonst Brads suchten huschten überall hin nur nicht dorthin wo Brad sie gerne gehabt hätte um in ihnen lesen zu können.
 

„Was ich glaube ist nicht wichtig“, erwiderte Finn und wich diesem forschenden Blick aus. Was war noch wichtig? Außer dieser Mann vor ihm, der ihn nicht wollte und den Finn mit jeder Faser seines Seins ersehnte. Er hätte nur die Hand ausstrecken müssen um ihn berühren zu können... nur um abgewiesen zu werden. Dieser heiße brennende Schmerz, den er über eine Ablehnung empfinden würde wollte er sich jetzt nicht aussetzen. Er würde diese Erniedrigung nie ertragen können.
 

Brad schmälerte seinen Blick. Was hatte der Doc seinem Sohn gesagt, dass dieser so niedergeschlagen vor ihm stand? Sicher hatte das Gespräch keinen erheiternden Charakter besäßen und sicher lastete auf beiden eine tragische Vergangenheit, dennoch wirkte Asugawas Gestalt als wäre ihm all die übrige Energie genommen worden. Die tiefschwarzen glatten Strähnen hingen ihm halb ins Gesicht als wollte er es vor ihm verbergen. Die Lippen mit diesem perfekten Amorbogen waren zu blass und zusammengepresst. Über ihnen hatte sich ein dünner Film aus Schweiß gebildet.

„Hast du mit deinem Vater alles geklärt?“, fragte Brad und wandte sich betont beiläufig ab. Er ging zum Ausgang da er die Antwort ohnehin schon kannte. Eine rein der Konversation geschuldeten Frage. Er furchte die Stirn ob dieser Anwandlung. Seit wann versuchte er sinnlose Fragen zu stellen nur um in ein Gespräch zu kommen?

Er hörte das betont versichernde Ja, mit einem spöttischen Lächeln, dass Asugawa nicht sehen konnte.
 

Sie kamen am Wagen an und Brad bemerkte, dass sich Asugawa kurz am Heck des Wagens abstützte. Sie setzten sich und warteten bis der Wagen von der Plattform gedreht wurde. Das Tor ging auf und sie fuhren in das Parkhaus um es dann zu verlassen.

„Wir fahren eines deiner Verstecke an und du wirst eines davon auflösen. Danach werden wir dir Kleidung und das was du brauchst einkaufen.“

Finn fühlte sich bedrängt. Er wusste im Moment nicht ob es sinnvoll war eines der sicheren Häuser zu plündern aber er hatte nichts mehr...

Dennoch stimmte er zu. Er fühlte sich ganz und gar nicht mehr gut, die Unruhe die ihn erfasst hatte stammte wohl von dem feuchten Gefühl unter den Verbänden. Verstohlen wischte er sich den kalten Schweiß von der Stirn. Er fror, trotz der feucht-schwülen Temperaturen.

Es würde schon gehen. Er brauchte die Sachen schließlich.
 


 


 

Fortsetzung folgt...
 

Vielen Dank fürs Lesen! ^_^
 

Gadreel



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ivonne00
2015-09-01T16:29:26+00:00 01.09.2015 18:29
Wow es geht weiter 😍😍

Fieber immer auf neues Kapitel ✌😉
Und wie immer fantastisch geschrieben und freue mich auf das nächste Kapitel.
Und wie es weiter mit Brad und Finn geht.

Liebe grüße


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