Zum Inhalt der Seite

Die Mutter meiner besten Freundin

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

1

Das erste Kapitel ist recht kurz. Wollte mal sehen, wie ihr die neue Geschichte so findet. :-) Viel Spaß beim Lesen.

_____________
 

„Solange du die Füße unter meinem Tisch hast, hast du auf deine Mutter und mich zu hören. Verstanden?“ Ich seufzte, lenkte aber mit einem Nicken ein. Wieso tat ich mir das eigentlich jeden Tag auf's Neue an? Richtig..., weil ich in meinem Job nicht genug verdiente, um mir eine eigene Wohnung leisten zu können. Ich schob den Stuhl geräuschvoll nach hinten und wollte die Küche verlassen, doch mein Stiefvater war schneller. Mit festem Griff umfasste er mein Handgelenk, starrte mich mit einer Mischung aus Wut und Aggression nieder. Ja, ich hatte wahnsinnige Angst vor ihm. Besonders dann, wenn meine Mutter arbeiten und ich mit ihm alleine war. Ich versuchte mich zu befreien, wusste aber, dass ich keine Chance gegen ihn hatte und die Situation nur verschlimmerte. Er packte noch etwas fester zu. Ich unterdrückte ein Wimmern, indem ich die Lippen fest aufeinander presste. „Hast du das verstanden, Grace?“ Ich nickte und antworte gleichzeitig mit einem zitternden 'Ja'. Gedanklich warf ich ihm allerlei Beleidigungen an den Kopf. Ich hasste den Kerl. Wie konnte meine Mutter nur so blind sein? Er ließ mich los und setzte sich wieder an den Tisch. Als wäre nichts gewesen, biss er von seinem Brötchen ab. Mir war der Appetit vergangen. Ich musste hier einfach raus. „Ich gehe rüber zu Marie, ist das okay?“ Ohne mich eines Blickes zu würdigen, wedelte er mit der Hand. „Mach nur. Dann habe ich wenigstens meine Ruhe.“ Ich drehte mich um und verließ die Küche. In Gedanken führte ich die Liste meiner Schimpfwörter fort.
 

Marie wohnte nur zwei Straßen von uns entfernt. Aus diesem Grund ließ ich meinen gelben Toyota in unserer Einfahrt stehen. Je näher ich der Wohnung kam, in der meine beste Freundin wohnte, desto aufgeregter wurde ich. Nicht etwa, weil ich sie heute zum ersten Mal besuchte. Wir kannten uns seit mehr als fünf Jahren und waren unzertrennlich. Fast täglich verbrachte ich meine wenige Freizeit bei ihr. Der Grund war ein anderer und hieß Andrea. Seit knapp vier Jahren verbarg ich meine Gefühle für sie. Nicht das sie jemals erwidert werden würden. Sie war nicht nur dreizehn Jahre älter als ich, sondern auch noch die Mutter meiner besten Freundin. Bis zu jenem Tag, als ich sie das erste Mal gesehen habe, hätte ich niemals für möglich gehalten, dass eine Person mich derart aus der Bahn werfen könnte. Solche starken Gefühle hatte ich nicht einmal für meinen damaligen Freund empfunden. Von ihm hatte ich mich nach einjähriger Beziehung getrennt, als ich mich in sie verliebt hatte. Er war natürlich alles andere als begeistert. Mich hatte es damals weniger mitgenommen als ihn. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir auch klar, dass ich ihn nicht so liebte, wie es eigentlich hätte sein sollen.
 

Ganz in Gedanken versunken, bemerkte ich erst jetzt, dass ich vor der Tür meiner Freundin stand. Ich hob meine Hand und betätigte die Klingel. Mein Herz schlug viel zu schnell. Es fühlte sich beinahe so an, als würde es aus meinem Brustkorb springen. Zudem zitterten meine Beine unaufhörlich. Ich hoffte sehr, dass es niemand bemerken würde. Es war vielleicht doch keine so gute Idee, herzukommen. Aber was sollte ich Marie erzählen? Die Wahrheit auf jeden Fall nicht. Niemals. Nach einigen Sekunden öffnete sich die Tür. Andreas wunderschöne Gestalt kam zum Vorschein. Ich unterdrückte ein seufzen, als ich sie von oben bis unten musterte. Sie raubte mir wahrlich den Atem. Die roten Locken fielen sanft über ihre Schultern. Intensive grüne Augen waren auf mich gerichtet. Das weiße Shirt und die schwarze Jeans schmiegten sich an ihren kurvigen Körper, der meiner Meinung nach genau richtig war. Es war die reinste Folter, sie zu sehen. Trotz allem wünschte ich mir nichts sehnlicher, als sie ein paar Minuten länger betrachten zu können.
 

Andrea räusperte sich und schenkte mir ein umwerfendes Lächeln. Idiot! Geht es nicht noch auffälliger? Eilig schloss ich meinen Mund und erwiderte es. „Hi, ich wollte zu Marie. Ist sie zuhause?“ Ihr grinsen vertiefte sich. Kleine Grübchen zeichneten sich ab. Ich schluckte und zwang mich dazu, in ihre Augen zu sehen. „Hallo Grace, ja, sie ist in ihrem Zimmer. Komm doch rein.“ Ich setzte mich in Bewegung und trat in den kleinen, aber gemütlichen Flur. Ohne mich noch einmal umzudrehen, ging ich die Treppe zu Maries Zimmer hinauf. Ihre Blicke, die mit nach oben folgten, waren mir nur allzu bewusst. Ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich an ihre Tür klopfte. Keine zwei Sekunden später stand ich vor meiner Freundin. Sie grinste und umarmte mich stürmisch. „Hi Süße. Du bist heute aber früh. Wir haben noch gar nicht gefrühstückt.“ Ich erwiderte ihre Umarmung. „Hi, ich auch nicht. Hatte wieder Stress mit Stefan.“ Sie löste sich von mir und musterte mich besorgt. „Scheiße. Hat er dir wehgetan?“ - „Nicht wirklich.“ Ich rieb über mein Handgelenk, spürte noch immer deutlich seinen Griff. Marie folgte meiner Bewegung und strich sanft über die gerötete Stelle. „Was für ein Arsch. Es tut mir leid, Grace.“ - „Das muss es nicht. Du kannst ja nichts dafür.“
 

Wenn ich ehrlich war, konnte ich Stefan sehr gut leiden, als Mama ihn mir vor einem Jahr vorgestellt hatte. Er war nett und schien sie glücklich zu machen. Es dauerte nicht lange, da sind die beiden zusammengezogen. Ich freute mich sehr für sie. Seit ungefähr einem Monat benahm er sich allerdings sehr seltsam. Dies hängt wohl mit seiner Kündigung zusammen, die er genau zu dieser Zeit bekam. Seitdem sitzt er nur zu Hause und gönnte sich öfters mal ein paar Bier. Wenn meine Mutter zuhause war, verhielt er sich wie sonst. Irgendwas störte ihn anscheinend an mir. Fragen würde ich ihn aber ganz sicher auch nicht. Wer weiß schon, wie er darauf reagieren würde?! Marie legte eine Hand auf meinen Arm und riss mich mit dieser Geste aus meinen Gedanken. „Mama und ich wollen später noch Billard bei Harris spielen. Möchtest du uns begleiten? Du kannst auch gerne über Nacht hierbleiben.“

2

„Ich... würde gerne mitkommen und über Nacht bleiben. Danke, dass du für mich da bist.“ Noch immer lag ihre Hand auf meinem Arm. Ich kann mir nicht erklären wieso, aber irgendwie berührte sie mich heute öfters als sonst. Sollte ich mir etwas darauf einbilden? Ich schüttelte den Kopf und warf den Gedanken beiseite. Wohl eher nicht. Es hatte ganz sicher nichts zu bedeuten. „Ich bin immer für dich da. Das weißt du doch.“ Sie schenkte mir ein aufrichtiges Lächeln, welches ich augenblicklich erwiderte. „Ja, dass weiß ich. Trotzdem wollte ich danke sagen. Nicht nur für heute. Du bist echt toll.“ Eine leichte Röte zierte ihr Wangen, als ich meine Hand auf ihre legte. Sie zog ihre eilig unter meiner hervor und erhob sich vom Bett. „Ähm, wollen wir dann frühstücken? Ich bekomme langsam Hunger.“ Ich nickte verwundert mit dem Kopf und erhob mich ebenfalls. Was war das denn jetzt wieder? War ich die letzten fünf Jahre wirklich so blind gewesen? Klar, ich hatte mit meinen eigenen Gefühlen zu kämpfen gehabt, habe es immer noch, aber man merkt doch, wenn die beste Freundin mehr für einen empfindet, oder? Ich unterdrückte ein Seufzen und folgte Marie in die Küche.
 

„Hallo Mama, wie ich sehe, ist das Frühstück schon fertig. Das sieht wirklich sehr lecker aus.“ Marie gab ihr einen Kuss auf die Wange und setzte sich dann an den reichlich gedeckten Tisch. Mein Blick blieb an Andrea hängen. Der unbändige Wunsch, sie ebenfalls zu küssen, loderte in mir auf. Wie gerne würde ich dem nachkommen. Aber es ging nun mal nicht. Ich senkte den Kopf und schloss für einen Moment die Augen. „Grace? Ist alles okay mit dir?“ Ich hob meinen Kopf wieder an und blickte in zwei besorgte Augenpaare, die mich vom Tisch aus musterten „J-ja, es ist alles okay.“ Ich setzte mich auf den noch freien Stuhl, direkt neben Andrea und sah auf den gedeckten Tisch. „Marie hat Recht. Das sieht wirklich sehr lecker aus. Danke, dass ich mitessen darf.“ Andrea grinste mich an und bedeckte meine Hand mit ihrer. „Kein Problem. Du gehörst doch zur Familie.“ Ihre Worte, ebenso wie die warme Berührung lösten ein Kribbeln in meinem Bauch aus. Oh Gott. Diese Frau war mein Untergang. Wie sollte ich mich da bitteschön zurückhalten können?
 

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, zog sie die Hand zurück und nahm sich ein Brötchen aus dem Korb. Wir taten es ihr gleich, wobei Marie schon das zweite nahm. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie das erste bereits aufgegessen hatte. Bei der gutaussehenden Ablenkung neben mir war das auch kein Wunder. Ich blendete alles um mich herum aus, wenn ich sie nur ansah. Ich lächelte und widmete mich dann dem Essen zu. Eine Weile blieb es ruhig, ehe Marie sich an ihre Mutter wandte. „Grace kommt später mit nach Harris und schläft dann hier. Das ist doch in Ordnung, oder?“ Bei der Erwähnung meines Namens sah ich auf. „Natürlich ist das in Ordnung. Ich habe meine zwei Süßen gerne um mich.“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich zu Andrea. Sie zwinkerte mir zu und nahm die Kaffeetasse zur Hand. Hier war doch irgendwas faul, oder? Zumindest kam es mir so vor. Aber wie so oft, bildete ich mir das alles bestimmt nur ein. Ich seufzte und schob das Brett von mir weg. „Danke, Mama... Wir sehen uns dann später.“ Marie trat leicht gegen mein Bein und schielte mit den Augen zur Tür. Es brauchte keine Worte. Ich verstand auch so, was sie von mir wollte. Wir erhoben uns gleichzeitig und brachten das dreckige Geschirr zur Spüle. Ich räumte noch ein paar andere Dinge ab und verstaute sie ordnungsgemäß in den Kühlschrank. „Dankeschön Grace. Meine Tochter sollte sich mal ein Beispiel an dir nehmen.“ Marie warf mir einen bösen Blick zu, während ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
 

Oben angekommen schloss sie die Zimmertür hinter sich und dirigierte mich zum Bett. Als wir uns beide darauf niederließen, blickte sie mich ziemlich seltsam an. „Was war denn das gerade? Man könnte meinen, ihr habt miteinander geflirtet. Das ist total strange. Sie ist meine Mutter, falls dir das entgangen sein sollte.“ Nein, dass war mir definitiv nicht entgangen. Das machte die Sache ja so kompliziert. Es wäre einfacher mit dem Versteckspiel aufzuhören, aber das konnte ich Marie einfach nicht antun. „Ich weiß nicht, was du meinst. Das ist totaler Unsinn. Warum sollte ich das denn tun?“ Marie stand auf und ging schweigend durch den Raum. Ich betete innerlich, dass sie meinen Worten glauben schenkte. Sie würde sonst ganz sicher nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Seufzend kam sie auf mich zu und kniete sich vor mir auf den Boden. Ihre Hände legten sich auf meine Knie. „Sei bitte ehrlich zu mir... läuft da wirklich nichts zwischen euch?“ Vorsichtig schüttelte ich den Kopf. Mein Magen krampfte sich dabei schmerzhaft zusammen. Es war zwar nicht wirklich eine Lüge, trotzdem empfand ich es als solche. „Nein, zwischen uns läuft nichts. Das versichere ich dir.“
 

Ihr Gesicht erhellte sich binnen Sekunden und zeigte mir ihr typisches Grinsen, welches ich so sehr an ihr mochte. „Das freut mich sehr. Ich wüsste nicht, was ich getan hätte, wenn es wirklich so wäre. Ich meine..., ich will deinem Glück nicht im Wege stehen, aber...“ Ich bedeckte meine Hand mit ihrer und brachte sie somit zum Schweigen. „Alles okay. Ich verstehe schon, was du mir damit sagen willst. Du musst dir keine Gedanken darüber machen.“ Sie schloss mich in eine feste Umarmung. Ich blinzelte ein paar Mal, als verräterische Tränen in meine Augen schossen. Wie gerne würde ich mich jetzt in mein Bett verkriechen und den ganzen Tag lang heulen. Ich schob sie vorsichtig von mir und zwang mich zu einem Lächeln. „Bin gleich wieder da. Muss mal eben ins Bad. Wir können ja gleich etwas spielen, wenn du Lust hast.“ Lautlos schlich ich am Wohnzimmer vorbei und erhaschte einen Blick auf Andrea. Einen Moment blieb ich stehen. Sie lag auf der Couch und sah sich einen Film im Fernsehen an. Ich ging weiter und öffnete die benachbarte Tür zum Badezimmer. Erst jetzt erlaubte ich mir ein tiefes seufzen. Augenblicklich sammelten sich die erfolgreich verdrängten Tränen in meinen Augen und liefen meine Wangen hinab. Meine Beine zitterten unaufhörlich, als ich an der Tür hinabrutschte und mit den Augen durch den Raum wanderte...
 

„Grace? Stimmt was nicht? Du bist schon so lange im Bad.“ Ich hielt die Luft an, als Andreas Stimme begleitet von einem energischen Klopfen in meine Ohren drang. Was machte sie hier? Ausgerechnet sie. „A-Alles o-okay.“ Ich hievte mich aus meiner sitzenden Position und taumelte zum Waschbecken. Das eiskalte Wasser fühlte sich unbeschreiblich gut auf meinem erhitzten Gesicht an. Mit geschlossenen Augen tastete ich nach dem Handtuch, spürte stattdessen etwas warmes unter meinen Fingern. Ich hob ruckartig den Kopf und stand einer besorgten Andrea gegenüber. „Entschuldige, dass ich einfach reingekommen bin. Es war nicht abgeschlossen.“ Mit einem Lächeln hielt sie mir das Handtuch hin, welches ich dankbar entgegennahm. Ich ließ mir Zeit beim Abtrocknen, wusste aber, dass ich es nicht ewig hinauszögern konnte. Ich hängte es schließlich an den Haken und blickte in die grünen Augen vor mir. Sie kam noch ein Stück näher. Die warme Hand, die sich nun auf meine Schulter legte, war tröstend und beängstigend zugleich. „Ich habe dich weinen gehört. Hast du dich mit Marie gestritten?“
 

„Nein, habe ich nicht. Es ging um etwas anderes. Etwas, worüber ich nicht sprechen möchte.“ Vor allem nicht mit ihr. Ich biss mir auf die Unterlippe und trat einen Schritt zurück. „Ich sollte wieder nach oben gehen. Marie wartet bestimmt schon auf mich.“ Ich ging eilig an ihr vorbei und hielt inne, als sie meinen Namen sagte. „Wenn du mal reden möchtest, kannst du gerne zu mir kommen, ja?“ Ich drehte mich ein letztes Mal um und musterte sie eingehend. „Dankeschön, dass ist sehr lieb. Aber ich kann wirklich nicht.“ - „Das muss ich wohl so hinnehmen. Wir sehen uns dann später.“ Ihr enttäuschter Gesichtsausdruck entging mir nicht. Er änderte trotzdem nichts an meiner Entscheidung.
 

„Da bist du ja endlich. Wo warst du denn so lange?“ Ich betrat das Zimmer und setzte mich neben Marie an den Couchtisch. Auf diesem hatte sie bereits die Karten ausgeteilt. „Entschuldige, hat etwas gedauert. Jetzt bin ich ja wieder da. Willst du wirklich Phase 10 spielen? Du weißt doch, dass ich immer gewinne.“ Ich nahm die Karten zur Hand und grinste sie an. „Heute aber nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass ich heute mal gewinne. Du wirst schon sehen.“ Glück gehabt. Nun würde sie mir wenigstens keine Fragen mehr stellen. Ich hatte ohnehin keine Antworten darauf. Meine Gedanken schweiften ab und drehten sich wie so oft in den letzten Jahren um Andrea. Ihre roten, leicht gelockten Haare erschienen vor meinem inneren Auge. Grüne Augen musterten mich. Sie stand dicht vor mir und fuhr mit einer Hand durch mein braunes, schulterlanges Haar. Heißer Atem kitzelte mein Gesicht, als sie mir quälend langsam entgegenkam. Wie in Trance schloss ich die Augen und hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Nur noch ein paar Zentimeter, dann.. „Grace? Hallo?“ Ich drehte erschrocken den Kopf, als eine Hand vor meinem Gesicht wedelte. „Süß, du wirst ja ganz rot. An wen hast du denn gedacht?“ - „Äh, an niemanden. Bin ich schon dran?“
 

Marie lachte, ehe sie mir leicht in die Seite knuffte. „Schon ist gut. Ich rede seit zehn Minuten mit dir. Und du hast nichts besseres zu tun, als verliebt vor dich hinzustarren. Du kannst es leugnen, soviel du willst. Ich bekomme schon noch raus, wer der oder die Glückliche ist.“ Ich rollte mit den Augen und studierte die Karten, die ich noch immer in der Hand hielt. „Es gibt niemanden in meinem Leben. Können wir jetzt endlich weiterspielen?“ - „Natürlich gibt es da niemanden. Darum hast du gerade auch so geguckt. Das kannst du jemand anderen erzählen, aber nicht mir.“ Ich knallte meine Karten auf den Tisch und funkelte meine Freundin böse an. „Es reicht. Entweder spielen wir jetzt, oder ich gehe. Ich will nicht darüber reden. Kapier das doch endlich.“ Ihr erschrockener Blick wich schnell einem Traurigen. Das schlechte Gewissen machte sich in mir breit. Ich seufzte und berührte ihr Knie. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht anschreien.“ - „Schon okay. Ich hätte dich nicht drängen sollen. Du wirst schon auf mich zukommen, wenn es etwas zu erzählen gibt.“ Ich drückte noch einmal ihr Knie, ehe ich meine Karten wieder aufnahm. „Das werde ich. Du bist meine beste Freundin.“ Sie lächelte und widmete sich wieder dem Spiel zu. Die nächste Stunde wich sie meinen Blicken aus. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es sie doch mehr mitnahm, als sie zugeben wollte...

3

Gegen 20 Uhr machten wir uns auf den Weg zu Harris. Neben einer Disco war die Kneipe der einzige Ort, zu dem man Abends hingehen konnte. Da ich nicht gerne feierte und eine Discothek noch nie von innen gesehen hatte, blieb uns nur diese eine Möglichkeit. Wir waren fast jedes Wochenende im Harris. Neben dem Billard - und Dartraum gab es hier auch noch zwei Kinosääle. Öfters schauten wir uns hier einen Film an. Je nachdem, welche gerade so im Kino liefen. Andrea begleitete uns meistens. Für einige mag es komisch sein, mit der Mutter loszuziehen, aber nicht für Marie. Mich störte es auch kein bisschen. Anfangs war es ein wenig ungewohnt. Mama würde niemals mit uns in die Kneipe zum Billard spielen gehen, aber das erwarteten wir auch gar nicht. Ohnehin hatte ich nicht so ein gutes Verhältnis zu ihr. Wir stritten bei jeder Gelegenheit und oft kommt es mir so vor, als würde sie Stefan vorziehen. Zudem war sie um einiges älter als Andrea. Marie hatte mir einmal erzählt, dass Ihre Mutter es nie leicht hatte. Mit sechzehn Schwanger, von den Eltern rausgeworfen und obendrein vom Vater des Kindes sitzen gelassen. Ich frage mich oft, wie sie das damals alles geschafft hatte. Sie ist wirklich eine tolle Frau.
 

Ich seufzte und schielte unauffällig zu Andrea, die neben mir herging. „Grace?“ Marie sah mich ebenso fragend an, wie ich sie. „Was ist? Hab ich was im Gesicht?“ - „Nein, hast du nicht. Es ist nur so... Du bist heute so dermaßen in Gedanken versunken und gar nicht bei der Sache. Ich mache mir Sorgen, Grace.“ Das war leider nicht zu leugnen. Ich benahm mich wirklich seltsamer als sonst. Normalerweise hatte ich meine Gefühle sehr gut im Griff. Heute war es allerdings anders. „Ich weiß. Es tut mir leid. Es ist einfach nicht mein Tag.“ Erneut sah ich zu Andrea. Verständnis spiegelte sich in dem intensiven Grün wieder. „Wir können auch zurückgehen, wenn es dir lieber ist.“ - „Nein, schon gut. Vielleicht lenkt mich der Abend ja etwas ab.“
 

Wir erreichten die Kneipe und blieben vor der Tür stehen, als wir lautes Gelächter vernahmen. Marie seufzte und drehte sich zu uns um. „Na super, die Dartmannschaft ist wieder da. Hoffentlich überlassen die uns einen Tisch.“ - „Die kommen doch immer Samstags. So langsam solltest du das aber wissen.“ Ich grinste Marie an und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Stimmt. Lasst uns reingehen.“ Nacheinander betraten wir den Raum und steuerten den ersten und einzigen freien Tisch an. Es war ziemlich voll hier. Die Männer der Dartmannschaft saßen in vereinzelten Gruppen an den Tischen jeder ein Bier oder etwas anderes alkoholisches vor sich. Ein paar von ihnen hatten sich vor die Dartscheiben aufgestellt und warfen abwechselnd ihre Pfeile. Marie stellte ihre Tasche auf den Stuhl und ging zum Billardtisch. „Wollen wir zuerst spielen, Grace?“ Ich sah zu Andrea, die im selben Moment nickte. „Fangt ruhig schon mal an. Ich hole uns derweil etwas zu trinken. Wie immer ein Alster?“ Ich lächelte sie an und nickte. „Ja, dass wäre lieb. Danke.“ Sie erwiderte das Lächeln und fuhr sanft über meine Schulter. Sofort breitete sich ein angenehmes Kribbeln in meinem Körper aus. „Gerne doch. Bis gleich.“
 

Noch immer stand ich wie angewurzelt da, obwohl sie den Raum bereits vor einiger Zeit verlassen hatte. Das Kribbeln war noch immer präsent und brachte mich um den Verstand. Wenn ich jemals mehr als eine kurze Berührung bekommen sollte, würde ich wahrscheinlich in Ohnmacht fallen. „Erde an Grace. Bist du da?“ Ich blinzelte ein paar Mal und sah Marie vor mir, die ungeduldig mit dem Queue vor meiner Nase wedelte. „Äh, ja... Tut mir leid. War gerade woanders.“ - „Wo denn? Bei dem Typen, der dich schon die ganze Zeit anstarrt?“ Ich sah an meiner Freundin vorbei, um mir selbst ein Bild davon zu machen. Tatsächlich, er lächelte mich schüchtern an und hob die Hand zum Gruß. Ich musste zugeben, dass er gar nicht mal so schlecht aussah. Ganz im Gegenteil. Trotzdem wollte ich nur Andrea. Eilig wandte ich den Kopf ab. Die Hitze stieg mir in die Wangen, als ich sie verärgert anstarrte. „Nein. Ganz sicher nicht. Lass uns einfach spielen, okay?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm ich den Queue zur Hand und ging auf den Billardtisch zu. Ich hatte wirklich keine Lust mit dem zu reden.
 

Wir spielten schon seit einer Weile, doch von Andrea war weit und breit nichts zu sehen. Wie lange dauerte es denn, drei Alster zu holen? Vielleicht sollte ich mal nach ihr sehen. Man wusste schließlich nie, wer sich hier so rumtrieb. Marie versenkte soeben die dritte Kugel in Folge, während bei mir noch alle auf dem Tisch lagen. Sie war wirklich ziemlich gut und gewann, bis auf wenige Ausnahmen jedes Spiel. Ich stellte den Queue in den Ständer neben dem Tisch und sah zu Marie. „Könntest du kurz warten? Ich wollte eben schauen, wo deine Ma bleibt.“ Marie sah auf und blickte zu unserem Tisch. „Jetzt wo du es sagst... Eigentlich kann das ja nicht so lange dauern. Geh mal, ich pass auf unsere Sachen auf.“ Ich durchquerte den Raum und sah in die andere Richtung, als ich an dem Tisch der Männer vorbeiging. Ein Gespräch mit dem Sunnyboy war wirklich das Letzte, was ich jetzt wollte. Ich ging durch die Pendeltür, die zu den Toiletten und dem Thekenbereich führte. „Hey, warte mal kurz.“ Ich drehte mich um und erblickte den Typen, der mich die ganze Zeit beobachtet hatte. Musste das jetzt sein? Verstand er nicht, dass ich kein Interesse hatte? Er kam auf mich zu und blieb vor mir stehen. „ Hi, ich bin Jason. Ich würde dich gerne näher kennenlernen. Hast du vielleicht mal Lust mit mir essen zu gehen?“ Er lächelte und entblößte eine Reihe strahlend weißer Zähne. Von näherem betrachtet sah er sogar noch besser aus. Blonde kurze Haare, blaue Augen, einen durchtrainierten Körper und ein süßes Lächeln. Ein Traummann, wie er im Buche stand. Doch bei mir regte sich absolut nichts. „Tut mir leid. Du scheinst sehr nett zu sein, aber ich bin nicht interessiert.“
 

Sein Lächeln wich einem wütenden und zugleich verletzten Gesichtsausdruck. Jason sah so aus, als würde er niemals einen Korb bekommen. „Warum nicht? Wenn wir uns etwas besser kennenlernen, könnte sich das doch ändern, oder?“ Er machte einen weiteren Schritt auf mich zu, während ich einen zurücktrat. Warum akzeptierte er es nicht einfach? „Sie hat nein gesagt. Was gibt es daran nicht zu verstehen?“ Andrea kam auf uns zu und legte ihren Arm um meine Schulter, ihr Blick starr auf ihn gerichtet. „Man bedrängt eine Frau nicht. Merk dir das.“ Jason öffnete den Mund, sagte aber nichts. Mit schnellen Schritten ging er an uns vorbei und verschwand durch den Hinterausgang. Ich atmete hörbar aus und drückte Andrea fest an mich. Ein Kribbeln machte sich bemerkbar, als ich ihren Körper an meinem spürte. „Danke, dass du da bist. Du bist meine Rettung.“ - „Gern geschehen, Süße. Es sah so aus, als könntest du Hilfe gebrauchen.“ Ich schloss für einen Moment die Augen und nahm ihren süßlichen Duft in mich auf. Ehe ich es zurückhalten konnte, verließ ein leises seufzen meine Lippen. „Grace? Wir sollten nachher mal reden, okay?“ Ich löste mich von ihr. Die Anspannung, die von uns beiden ausging war greifbar. Es war zu spät. Ich hatte mich tatsächlich verraten. Nach all den Jahren. „N-Nein. Ich möchte nicht reden. Es war nichts... hatte nichts zu bedeuten.“ - „Das klären wir später. Gehen wir wieder rein?“
 

Die nächste Stunde war die reinste Folter. Ich konnte mich nicht auf das Spiel vor mir konzentrieren und lochte zum zweiten Mal die schwarze Kugel ein, bevor die anderen versenkt waren. Marie trat neben mich und musterte mich besorgt. Unzählige Male hatte sie das heute schon getan. Allmählich ging es mir auf die Nerven. „So viel zum Thema Abwechslung. Es tut mir leid, was Jason getan hat. Er sah so nett aus, ich hätte wirklich gedacht, dass mit euch könnte sich entwickeln. Du verdienst es, glücklich zu sein.“ Genau so schnell wie meine Wut gekommen war, verschwand sie auch wieder. Ich sollte meine Wut nicht an ihr auslassen. Sie meint es wirklich nur gut mit mir. Ich drückte ihre Hand und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ist schon okay. Du kannst ja nichts dafür. Können wir vielleicht gehen? Ich möchte gerne nach Hause.“ Marie nickte und ging an den Tisch. Sie beugte sich zu ihrer Mutter, flüsterte ihr etwas ins Ohr und kam mit ihrer Tasche zurück. „Mama bezahlt eben und kommt dann nach. Wir sollen schon mal vorgehen.“ Ich hakte mich bei meiner Freundin ein und verließ mit ihr die Kneipe.
 

Zuhause angekommen gingen wir ohne Umschweife die Treppe nach oben. Andrea hielt mich jedoch im letzten Moment zurück. „Kommst du zu mir, wenn Marie schläft?“ Ich senkte den Kopf und schaute auf unsere ineinander verschlungenen Hände. Die Geste fühlte sich unbeschreiblich gut an. Ich erlaubte mir, dieses Gefühl noch etwas länger zu genießen. Fragte mich aber gleichzeitig, was das zu bedeuten hatte. Empfand sie vielleicht auch etwas für mich? „Andrea... Ich...“ - „Ich werde auf dich warten, Grace.“
 

Die roten Zahlen auf dem Wecker zeigten gerade Mitternacht an. Marie schlief bereits tief und fest auf dem ausgezogenen Sofa. Jedes Mal, wenn ich bei ihr übernachtete, bestand sie darauf, auf der Couch zu schlafen, obwohl ihr Bett groß genug für zwei Personen war. Sie erwähnte mal, dass sie sich zu oft hin- und herdrehe und es deshalb vorzog, alleine zu schlafen. Ob es stimmt, konnte ich nicht genau sagen. Auf jeden Fall wusste ich, dass ich mit diesen Gedanken dem bevorstehenden Gespräch aus dem Weg gehen wollte. Marie schlief schon seit einer halben Stunde und ich traute mich einfach nicht, nach unten zu gehen. Ich seufzte und stand schließlich doch auf. Es wäre Andrea gegenüber nicht fair, wenn ich jetzt einen Rückzieher machte. Entweder bekam ich eine Abfuhr oder durfte mit dieser wunderbaren Frau zusammen sein...

4

Nach einer weiteren viertel Stunde, in der ich unschlüssig im Flur stand, betrat ich leise und unter laut klopfendem Herzen das Wohnzimmer. Ich kam mir in diesem Moment nicht wie eine fünfundzwanzigjährige Erwachsene, sondern viel mehr wie ein ängstliches Mädchen vor. In meiner letzten Beziehung war ich sogar diejenige gewesen, die den ersten Schritt gemacht hatte. Aber nun lagen meine Nerven vollkommen blank. So eine verdammte Scheiße! Warum musste ich mich auch verraten?! Ich atmete tief durch, ging auf die große Wohnlandschaft zu und blieb vor dieser stehen. Andrea blickte auf und musterte mich eingehend. In diesem Moment verfluchte ich Marie für ihre knapp 1,65m. Ich zupfte das kurze Nachthemd ein Stück nach unten und wünschte, ich hätte mich vorher noch umgezogen. Andrea setzte sich auf und lächelte mich an. „Da bist du ja. Komm ruhig näher. Ich beiße nicht.“ Ein Stück ihres nackten Beines kam zum Vorschein, als sie die Decke etwas anhob. Ernsthaft? Wie sollte ich mich denn so auf das Gespräch konzentrieren?
 

Ich schluckte den Kloß hinunter und zwang mich, den angebotenen Platz einzunehmen und meine wirren Gedanken zu ignorieren. „Wenn ich ehrlich sein soll, schläft Marie schon eine Weile. Ich hatte Angst herzukommen.“ Ich blickte auf meine Hände und versuchte das Kribbeln im Bein nicht zu sehr an mich ranzulassen. Sie saß viel zu dicht neben mir. „Wovor hast du Angst, Grace? Denkst du, ich schmeiße dich aus meiner Wohnung, weil du etwas für mich empfindest?“ Ich hob ruckartig den Kopf und starrte sie überrascht an. „Woher weißt du davon?“ Was für eine unnötige Frage. Du hast dich doch vorhin selbst verraten, Idiot. „Ich hatte schon lange die Vermutung. Heute hat sie sich bestätigt. Du warst wirklich neben der Spur.“ - „Ich weiß. Es tut mir sehr leid. Glaub mir, ich wollte das nicht. Du solltest eigentlich nie davon erfahren.“ Ich blickte erneut auf meine Hände. Irgendwie fühlte ich mich gerade ziemlich unwohl. „Du musst dich nicht entschuldigen, Grace. Es ist wirklich okay. Wie lange geht das schon?“
 

„Eigentlich seit Anfang an. Erst habe ich mich dagegen gewehrt. Ich war gerade in einer Beziehung und wollte es nicht wahrhaben. Ich hatte gehofft, es wäre nur eine Schwärmerei, die von ganz allein verschwindet. Aber das war nicht der Fall. Nach einem Jahr habe ich mich dann von ihm getrennt. Er weinte, hat mich angefleht, uns noch eine Chance zu geben. Aber das ging nicht. Ich musste immerzu an dich denken. Es wäre ihm gegenüber einfach nicht fair gewesen... Das ist nun vier Jahre her. Keine einfache Zeit, aber irgendwie habe ich es überstanden. Auch wenn wir keine gemeinsame Zukunft haben, bin ich froh, dass du es jetzt weißt.“ Andrea drehte meinen Kopf in ihre Richtung und verweilte mit ihren schlanken Fingern an meinem Kinn. Sie sagte nichts, sah mich einfach nur an. Unter ihrem Blick fühlte ich mich unendlich hilflos. Warum sagte sie nichts? Ehe ich es verhindern konnte, rollten die ersten Tränen über meine Wangen. Mein leises Schluchzen zerriss die unangenehme Stille, die seit einigen Sekunden herrschte. „Andrea, ich...“ - „Alles ist gut, Süße. Komm mal her.“ Sie zog mich in eine feste Umarmung und strich sanft über meinen Rücken. Mein Körper zitterte, als all die unterdrücken Gefühle aus mir heraussprudelten. Noch nie hatte ich einem Menschen meine verletzliche Seite gezeigt. Zu meiner Verwunderung schämte ich mich nicht dafür. Ehrlich gesagt, war es ein schönes Gefühl, von Andrea gehalten zu werden.
 

Das Zittern nahm ab und auch meine Tränen versiegten langsam. Als ich meinen Kopf von ihrer Schulter nahm, bemerkte ich den Fleck auf ihrem Shirt. Langsam fuhr ich mit den Fingerspitzen über die nasse Stelle. „Tut mir leid, dass wollte ich nicht.“ Sie schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf meine gerötete Wange. „Ich wünschte, du hättest mir eher von deinen Gefühlen erzählt. All die Jahre hast du leiden müssen und vermutlich mit niemandem darüber gesprochen... Ich hätte dich niemals weggestoßen, Grace.“ Sie blickte mich lange und intensiv an. Ich drohte in dem wunderschönen Grün zu versinken. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass auch etwas für mich empfand. Ich legte meine Hände in ihren Nacken, beugte mich langsam nach vorne und hielt kurz vor ihrem Gesicht inne. Der Duft ihres Parfüms benebelte meine Sinne, machte es mir unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie roch so unglaublich verführerisch. Mein Herz klopfte wild gegen mein Brustkorb, als sie ihren Mund ein wenig öffnete. Sie überwand die letzten Millimeter und drückte ihre Lippen sanft auf meine. Ein Feuerwerk der Gefühle erschütterte meinen Körper. Ich wünschte, der Kuss würde niemals enden. Ich ließ meine Hände über ihren Rücken gleiten und drückte sie noch etwas fester an mich. Vorsichtig fuhr ich mit der Zunge über ihre Unterlippe. Bereitwillig öffnete sie ihren Mund und strich zärtlich über meine Zunge. Ich genoss für einen Moment die neckenden Gesten, ehe ich mich schwer atmend von ihr löste. Andrea lehnte sich an das Sofakissen, legte ihre Beine hoch und sah mich erneut mit diesem intensiven Blick an. Ihre Wangen waren gerötet und ließen sie noch viel attraktiver aussehen. „Was machst du nur mit mir, Grace? Ich hatte schon einige Beziehungen, wenn man das so nennen kann. Auch mit Frauen. Aber das, was du in mir auslöst, ist ganz neu für mich.“
 

„Für mich ist es auch neu. Aber es fühlt sich schön und richtig an. Ich habe mich schon so lange nach dir gesehnt.“ Ich setzte mich neben Andrea und streichelte über ihren nackten Oberschenkel. Sie ließ die intime Berührung zu und seufzte auf, während ich mich unbewusst ihrer Mitte näherte. Erst als ich die Bewegungen einstellte, öffnete sie die Augen. „Willst du, dass ich gleich hier über dich herfalle? Du machst es mir nicht leicht, es langsam anzugehen.“ - „E-Entschuldige, dass war keine Absicht. Es langsam anzugehen ist eine gute Idee. Wir sollten nichts überstürzen... Ich möchte dich etwas fragen, ist das okay?“ - „Natürlich. Du darfst mich alles fragen.“ Sie verschränkte meine Finger, die noch immer auf ihrer weichen Haut ruhten, mit ihren. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und brachte ihre Grübchen deutlich hervor. „Du bist wunderschön, Andrea.“ Ein Lachen erfüllte daraufhin den Raum und wärmte mich von innen. Noch nie habe ich sie so Lachen gehört. „Das war aber keine Frage, Süße.“ - „Ich weiß. Ich hatte gerade das dringende Bedürfnis, dir das zu sagen...“ Ich machte eine kurze Pause und blickte auf unsere Hände hinab. Es kam mir surreal vor, hier mit ihr zu sitzen. Jahrelang habe ich mich vor diesem Moment gefürchtet, ganz umsonst wie sich herausstellte. Ich atmete einmal tief durch und blickte erneut in ihre Augen. „Erzählst du mir von deinen Beziehungen?“
 

Ihr zufriedener Gesichtsausdruck wich einem ernsten, traurigen. Ich spürte ganz deutlich ihre Anspannung, als ein kräftiger Druck durch meine Hand fuhr. Das schlechte Gewissen nagte an mir. „Vergiss meine Frage. Du musst nicht darauf antworten. Es geht mich ja auch gar nichts an.“ - „Nein. Das geht schon in Ordnung. Ich... habe bisher nur mit Claire darüber gesprochen.“ Ich mochte Claire. Sie und Andrea sind seit dem Kindergarten eng befreundet. Gingen oft gemeinsam aus oder besuchten mit uns den Freizeitpark. In den letzten Monaten ist es aber weniger geworden. Claire erwartet ihr erstes Kind und hat vor kurzem ihren langjährigen Freund Nick geheiratet. Ich wusste das Andrea unter der Sache litt, auch wenn sie sich nach außen hin nichts anmerken ließ. Die beiden waren so unzertrennlich gewesen, wie Marie und ich. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich das wohl nicht so einfach wegstecken können. Ich streichelte mit dem Daumen über ihren Handrücken, um ihr etwas Trost zu spenden. Sie rieb sich mit der anderen Hand über die Augen und lächelte mich an. „Alles gut. Ich musste gerade an unsere schöne Zeit zurückdenken. Sie fehlt mir so sehr.“ - „Ich weiß. Tut mir leid, dass ich mit dem Thema angefangen habe.“
 

„Das muss es nicht. Ich werde sie nächste Woche mal besuchen. Es ist schon viel zu lange her... Du möchtest also etwas über meine früheren Beziehungen erfahren? Ich werde dir davon erzählen. Zuerst hole ich mir aber einen Joghurt. Magst du auch einen?“ Ich nickte und rückte von ihr ab. „Danke, dass ist lieb von dir. Ich nehme einen mit Kirsche, wenn du hast.“ Sie erhob sich von der Couch und strich im vorbeigehen über meine Schulter. „Haben wir. Ich weiß, dass die schöne Frau auf meiner Couch verrückt nach Kirschjoghurts ist.“ Ich folgte mit meinem Blick jede ihrer Bewegungen. Der anmutige Hüftschwung ließ meinen Puls in die Höhe schnellen. Mein Mund war wie ausgetrocknet. Oh Gott..., die Frau war wirklich verdammt sexy. Als hätte sie meinen Blick bemerkt, drehte sie sich an der Tür zu mir um und grinste. Ihre roten Haare ließen sie in diesem Moment gleich noch frecher erscheinen...
 

Nachdem wir unseren Joghurt aufgegessen und die leeren Becher auf den Tisch gestellt hatten, lehnte sich Andrea an eines der Kissen und zog mich zwischen ihre Beine. Ich legte meinen Kopf an ihre Oberkörper und malte kleine Muster auf ihren Unterarm. Die letzten Minuten war sie seltsam ruhig gewesen. Ich gab ihr die Zeit, um sich auf das Gespräch vorzubereiten. Natürlich würde ich es auch verstehen, wenn sie nicht darüber sprechen wollte. Schließlich wusste ich, dass Ihre Vergangenheit nicht einfach gewesen war. Mit dem was sie mir nun erzählte, hätte ich allerdings nicht gerechnet...

5

„Ich war damals erst fünfzehn, als ich erfahren hatte, dass ich schwanger bin. An diesem Tag ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich war gerade erst mit der Schule fertig und wusste noch nicht einmal, was ich überhaupt werden wollte. Mit dem Vater des Kindes, war ich auch erst einen Monat zusammen. Es war unser erstes Mal gewesen. Natürlich haben wir an Verhütung gedacht, aber keiner von uns hatte auf das Verfallsdatum geachtet. Nach ein paar Wochen blieb meine Periode dann aus. Ich hatte große Angst und habe mich schließlich Claire anvertraut. Sie hat mir einen Test in der Apotheke gekauft und mich mit zu sich nach Hause genommen. Meine Eltern waren schon immer sehr streng gewesen. Die beiden haben mir selten etwas erlaubt und fanden, dass Claire kein guter Umgang für mich war. Der Test war natürlich positiv gewesen. Ich konnte es nicht glauben und habe nach ein paar Tagen einen weiteren gemacht. Ebenfalls positiv. Als ich Sebastian schließlich erzählt habe, dass ich schwanger bin, hat er sich sofort von mir getrennt und jeglichen Kontakt abgebrochen. Ich habe ihn seitdem nie wieder gesehen. Er ist wohl mit seinen Eltern umgezogen. Claire und ihre Eltern waren mir damals eine große Stütze gewesen. Irgendwann hatte ich es dann meinem Eltern erzählt. Ich habe so lange gewartet, bis ich meinen Bauch nicht mehr verstecken konnte. Ich ahnte schon, wie sie reagieren würden und genau so war es dann auch. Meine Mutter ist in Tränen ausgebrochen. So hatte ich sie wirklich noch nie erlebt. Mein Vater hat mich auf's schärfste verurteilt und mir schmerzhafte Worte an den Kopf geworfen. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie er in mein Zimmer gerannt ist, die Tasche von meinem Kleiderschrank gerissen hat und all meine Sachen einpackte. Er hat mich einfach vor die Tür gesetzt. Meine Mutter saß die ganze Zeit auf dem Stuhl in der Küche und hat absolut nichts unternommen. Es war wie ein Albtraum. Nur das es eben kein Traum, sondern die beschissene Realität war. Ich bin völlig aufgelöst zu Claire geflüchtet. Wo sollte ich auch sonst hin? Ich hatte niemamden außer sie. Ihre Eltern waren sehr verständnisvoll und haben mich bei sich wohnen lassen. Auch als Marie dann auf die Welt kam, haben sich die beiden um mich gekümmert.
 

Wäre ich ins Heim gekommen, hätten sie mir mein Kind wahrscheinlich weggenommen. Ich konnte ja nicht einmal für mich selbst Sorgen. Wie sollte ich es dann mit einem Kind schaffen? Als ich sie dann das erste Mal in meinem Armen hielt, wusste ich, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Ich habe sie von Anfang an geliebt und mir geschworen, dass sie es einmal besser haben wird als ich. Meine Eltern haben öfters versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen. Aber ich wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben und habe jegliche Anrufe ignoriert. Irgendwann haben sie es dann aufgegeben. Ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Ich weiß nicht einmal, wo oder ob sie überhaupt noch Leben.“
 

Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Ihre anfängliche Wut wich schnell der Trauer. Sie weinte teilweise so schlimm, dass ich Probleme hatte, sie zu verstehen. Ich fühlte mich ziemlich überfordert und hilflos. Wollte ich doch mehr tun, als sie zu trösten. Aber ich wusste einfach nicht wie. Andrea schien sich langsam wieder zu beruhigen. Sie drehte meine Kopf sanft in ihre Richtung und blickte mich an. „Kann ich dir irgendwie helfen? Du musst nichts mehr sagen, wenn es zu schwer ist. Ich meine, es ist wirklich schlimm, was dir passiert ist.“ Andrea lächelte mich an und drückte ihre weichen Lippen auf meine. Es war nur ein Augenblick, brachte aber trotzdem alles in mir zum Kribbeln. Es fühlte sich ebenso schön an, wie vorhin. War aber nicht mit dem ersten, viel leidenschaftlicheren zu vergleichen. „Du bist hier und hörst mir zu. Das bedeutet mir wirklich sehr viel. Wenn es okay für dich ist, erzähle ich weiter.“ Ich nickte zur Antwort und legte mich wieder in die alte Position. Ihre langen Finger glitten durch mein Haar, als sie schließlich weiter redete.
 

„Eines Tages kam Claires Mutter in mein Zimmer und setzte sich zu mir auf die Couch. Marie spielte nebenan mit Claire. Ich genoss die Zeit in der sie schlief oder jemand anderem ihre Aufmerksamkeit schenkte. Auch wenn ich meine Kleine über alles Liebe, sie konnte wirklich anstrengend sein. Es gab Tage, da stand ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Die gibt es übrigens heute noch.“ Unter mir vibrierte es, als Andrea anfing zu lachen. Ich grinste und dachte an die Tage zurück, an denen Marie mich mit ihrer Fragerei in den Wahnsinn trieb. „Das kann ich unterschreiben. Ich liebe sie trotzdem sehr.“ - „Ich weiß, Süße. Ich bin froh, dass du in unser Leben getreten bist. Ihr zwei seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben.“ Ich setzte mich auf und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Ihre Worte berührten mich so sehr, dass ich sie einfach nicht zurückhalten konnte. Ich spürte ihren Körper an meinem Rücken, während ihre Arme sich um meinen Bauch schlangen. „Du bist ein wundervoller Mensch. Ich liebe dich, Grace.“ - „Ich liebe dich auch.“ Sie küsste meinen Nacken und zog mich auf die Couch zurück. „Claires Mutter hat mich gefragt, ob ich nicht wieder zur Schule gehen wollte und mir ihre Hilfe angeboten. Ich hatte mir schon viele Gedanken darüber gemacht. Für mich war klar, dass ich meinen Realschulabschluss nachholen wollte, sobald Marie etwas älter war. Ich wollte Bürokauffrau werden und brauchte einen besseren Abschluss. Jetzt, da sie in den Kindergarten kam, war dies möglich. Ich meldete mich also für das kommende Schuljahr an und bekam nach einigen Wochen die Bestätigung. Wir einigten uns darauf, dass ich Marie morgens zum Kindergarten brachte und Claire oder ihre Mutter sie abholen würden. Ein Jahr zuvor hatte ich meinen Führerschein gemacht und war somit nicht auf den Bus angewiesen. An meinem ersten Tag an der Berufsschule war ich unheimlich aufgeregt. Ich hatte die zweijährige Wirtschaftsschule gewählt und wusste absolut nicht, was auf mich zukommen würde. Schließlich hatte ich vor vier Jahren zuletzt die Schulbank gedrückt.
 

Der erste Tag war toll gewesen. Meine Mitschüler und auch die Lehrer waren super. Mit Jill hatte ich auch die erste Freundin an der Schule. Wir verstanden uns auf Anhieb und verbrachten die ganzen Schultage zusammen. Mit der Zeit kamen wir uns näher und wurden ein Paar. Claire musste mir jedoch zuerst in den Arsch treten. Ich war der Überzeugung niemanden an meiner Seite haben zu dürfen. Wegen meiner Tochter. Aber sie hat die Zweifel schnell zerstreut. Im nachhinein wurde mir bewusst, wie sehr ich mich nach jemandem sehnte. Für mich spielte es nie eine Rolle, ob Mann oder Frau. Nachdem ich mit Jill eine wunderbare Nacht verbrachte, war ich mir ziemlich sicher, lesbisch zu sein. Die Beziehung hielt leider nur ein paar Wochen. Wir waren zu verschieden. Sie wollte jedes Wochenende auf Partys gehen und hatte kein Verständnis dafür, dass ich es nicht wollte. Ich hatte keine Lust zu feiern und mich zu betrinken. Mein Kind war mir wichtiger als alles andere und das gefiel ihr nicht. Traurig war ich schon, da sie mir etwas bedeutete, aber es war nicht zu ändern. Von da an, konzentrierte ich mich voll und ganz auf die Schule und kümmerte mich um Marie. Natürlich gab es immer wieder Tage, in denen ich mich nach Berührungen sehnte, aber ich hatte kein Interesse an einer Beziehung. Es gab da noch die ein oder andere Frau, die mich interessierte. Aber mit keiner wollte ich mein Leben teilen.
 

Erst mit einunddreißig war ich in einer längeren Beziehung. Lauren war meine Arbeitskollegin. Sie hat sich wirklich wunderbar um Marie gekümmert. Nach einem Jahr sind wir dann zu ihr gezogen. Marie war zu der Zeit sechzehn und gerade mit der Schule fertig. Sie hatte absolut kein Problem mit meiner sexuellen Orientierung und mochte Lauren ebenso sehr. Eines Tages habe ich früher Feierabend gemacht, weil mich schon den ganzen Tag Kopfschmerzen plagten. Marie war bei einer Freundin und dafür war ich wirklich dankbar. Ich habe Lauren mit einer anderen in unserem Bett erwischt. Ich dachte wirklich, sie wäre die Richtige. Aber wie so oft in meinem Leben wurde ich enttäuscht. Für meine Tochter versuchte ich stark zu sein. Ich wollte nicht, dass sie mich so gebrochen zu Gesicht bekam. Wir haben uns sofort eine neue Wohnung gesucht. Ich habe meinen Job gekündigt, weil ich es nicht länger ertragen habe, Lauren über den Weg zu laufen. Seitdem leben wir hier und sind sehr glücklich.“...
 

Noch lange saß ich mit Andrea im Wohnzimmer und lauschte ihren Worten. Es war fast 4 Uhr in der früh, als ich mich von ihr verabschiedet hatte. Eigentlich wollte ich nicht gehen. Ich hätte alles dafür gegeben, die Nacht bei ihr zu bleiben. Neben ihr einzuschlafen und morgens wieder aufzuwachen. Aber wir wollten beide nicht riskieren, von Marie überrascht zu werden. Es wäre nicht zu leugnen gewesen, wenn sie uns in ihrem Bett erwischt hätte. Was dann geschehen wäre, wollte ich mir gar nicht erst ausmalen. Ich drehte mich auf den Rücken und seufzte. Die Müdigkeit überkam mich. Kein Wunder. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zu getan. Die Worte von Andrea hallten in meinem Kopf wider und machten es mir unmöglich einzuschlafen. Auf der Couch raschelte es. Marie setzte sich auf und rieb gähnend über ihre Augen. Als ihr Blick auf das Bett fiel, hob sie überrascht eine Augenbraue. „Guten Morgen, Grace. Du bist schon wach? Es ist erst acht. Normalerweise schläfst du Sonntags doch so lange.“ Ich richtete mich auf und blickte zu Marie. „Morgen. Ich habe noch gar nicht geschlafen. Irgendwie wollte die Müdigkeit nicht kommen.“ Ich zuckte mit der Schulter und blickte auf meine Hände hinab. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Kurz darauf setzte sich meine Freundin neben mich aufs Bett und legte den Arm um meine Schulter. „Du warst in der Nacht bei Mama, oder? Ich bin wach geworden und habe das Bett verlassen vorgefunden.“ - „Ja, ich war bei ihr. Ich wollte eigentlich nur auf die Toilette. Im Wohnzimmer brannte noch Licht. Wir haben noch Fern gesehen. Tut mir leid.“ Eigentlich war es nicht nötig, sich dafür zu entschuldigen. Eigentlich. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ich hasste es, Marie zu belügen. Sie drückte meine Schulter und schüttelte schließlich den Kopf. „Du musst dich nicht dafür entschuldigen. Ich weiß doch, dass ihr euch gut versteht. Meine Mutter ist eben eine tolle Frau.“ Zu mehr als einem Nicken war ich nicht imstande. Wie Recht Marie doch mit ihrer Aussage hatte.

6

„Mich wundert es, dass Mama noch nicht wach ist. Es ist schon 10 Uhr.“ Wir waren gerade dabei, den Tisch zu decken. Davor haben wir im Ort beim Bäcker frische Brötchen geholt. Ich stellte den Aufschnitt auf den Tisch und blickte in das fragende Gesicht meiner Freundin. „Wir waren noch bis 4 wach. Kein Wunder, dass sie noch schläft.“ Sie runzelte die Stirn und sah mich erstaunt an. „So lange?“ Mist. Mein Mund war wieder schneller als mein Verstand. Wie kam ich denn aus der Sache wieder raus? „Ähm...ja, warum? Ich habe dir doch erzählt, dass ich nicht schlafen konnte.“ Sie schnaubte und schüttelte schließlich den Kopf. „Und dann dachtest du, du hältst sie die halbe Nacht wach? Was habt ihr denn die ganze Zeit gemacht?“ In ihrer Stimme schwang Eifersucht mit. Was war denn mit ihr los? Sie war doch sonst nicht so. „Was soll das werden, Marie? Warum bist du so eifersüchtig? Wir saßen im Wohnzimmer, haben Fernsehen geschaut und ein wenig geredet. Ist das verboten, oder was?“ Sie knallte den Teller lauter als beabsichtigt auf den Tisch und zuckte leicht zusammen. „Was ist dein Problem, Marie?“ - „Du bist gerade mein Problem und eifersüchtig bin ich schon mal gar nicht. Ich will nur nicht, dass du mitten in der Nacht bei meiner Mutter abhängst.“
 

„Du spinnst. Sie hatte absolut nichts dagegen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du dich deswegen so aufregst.“ Sie stellte sich vor mir auf und starrte mich verärgert nieder. „Weißt du was? Geh einfach. Ich will dich nicht mehr sehen.“ Ich blieb wie angewurzelt stehen und brachte keinen Ton heraus. Wie konnte es nur so weit kommen? Wir stritten so gut wie nie und wenn, dann nur über Kleinigkeiten. Ich legte meine Hand auf ihren Arm und kämpfte mit den Tränen. „Tu das bitte nicht, Marie. Warum bist du so gemein zu mir?“ Sie schüttelte meine Hand ab und sah mich traurig an. Die ersten Tränen liefen bereits ihre Wangen hinab. „Weil du auf sie stehst und sie ganz offensichtlich auch an dir interessiert ist. Ich weiß nicht, ob ich damit umgehen kann. Du wärst praktisch meine Stiefmutter, obwohl du nur drei Jahre älter bist. Entschuldige, aber das ist krank.“ Selbst in meinen Ohren hörte sich das komisch an. Trotzdem tat es mir unheimlich weh, so etwas aus ihrem Mund zu hören. So sehr hatte mich wirklich noch niemand verletzt. Ich drehte mich von ihr weg, um ihr nicht zu zeigen, wie sehr es mich mitnahm. Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Wohnung und knallte die Haustür hinter mir zu. Ich ging die drei Treppenstufen nach unten und wäre beinahe über meine eigenen Füße gestolpert. Meine Sicht war verschwommen, ich konnte nur schwer den Weg vor mir erkennen. „Grace, bitte warte. Es tut mir leid.“ Ich beschleunigte mein Tempo, als ich ihre Stimme hinter mir vernahm. Obwohl ich schon fast rannte, holte sie mich ein. Sie hielt mich an der Schulter zurück und drehte mich vorsichtig zu sich um. „Es tut mir leid, Grace. Das alles ist nicht einfach für mich.“ - „Lass mich in Ruhe, Marie. Ich will alleine sein.“ Ich flüsterte ihr die Worte entgegen, hatte keine Kraft, meine Wut herauszulassen. Sie senkte ihre Hand und ließ den Kopf hängen. Ich zwang meine Beine zum weitergehen und drehte mich kein einziges Mal zu ihr um.
 

Ich schloss gerade die Haustür, als ein aufgebrachter Stefan auf mich zu stürmte. Er packte mich grob an den Handgelenken und drückte mich fest gegen das Holz. „Wo warst du solange? Weißt du, was deine Mutter sich für verdammte Sorgen gemacht hat?“ Meine Beine zitterten, als er mir die Worte ins Gesicht schrie. Meine Handgelenke schmerzten. Mit jedem Wort drückte er mich fester. „Du tust mir weh! Lass mich bitte los.“ Meine Tränen begannen erneut zu laufen, doch das interessierte ihn nicht. Er ließ mich los und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich keuchte auf und hielt mir die schmerzende Wange. „Du hast Hausarrest. Undankbare Göre. Geh auf dein Zimmer. Ich will dich heute nicht mehr sehen!“ Ich rannte an ihm vorbei, ging hinauf in mein Zimmer und knallte die Tür. Zu meiner eigenen Sicherheit drehte ich den Schlüssel herum, bevor ich mich auf das große Bett fallen ließ und weinte. Es war nicht das erste Mal, dass er mich schlug. In letzter Zeit kam es vermehrt zu solchen Ausbrüchen. Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen?
 

Das vibrieren meines Handys riss mich aus dem Schlaf. Ich fummelte es aus meiner viel zu engen Hosentasche und nahm ohne zu zögern ab, als ich ihren Namen auf dem Display las. „Hallo Süße, was ist passiert? Marie weint die ganze Zeit und sagt kein Wort. Habt ihr euch gestritten?“ Ich ignorierte die aufkommende Sorge über Marie und seufzte ins Telefon. Sie war Schuld an allem. Wieso nahm es mich so mit, dass es ihr schlecht ging? „Ja, ziemlich heftig sogar. Ich kann nicht am Telefon darüber reden. Kannst du herkommen? Ich habe Hausarrest.“ Für einen Moment war es still auf der anderen Seite. Lediglich ihr atmen war zu hören und signalisierte mir, dass sie noch dran war. „Ich bin sofort da. Bis gleich.“ Ich legte auf und spürte die Nervosität in mir. Hätte Marie doch nur schon mit ihr gesprochen. Nun musste ich das übernehmen, was mir so gar nicht gefiel.
 

Nach ein paar Minuten hörte ich die Klingel läuten. Ich richtete mich auf und hielt den Atem an, um besser verstehen zu können, was Stefan sagte. Er machte soeben die Tür auf und wechselte ein paar Worte mit Andrea, deren Stimme ich deutlich hörte. Nach weiteren Sekunden des Wartens klopfte es leise an meiner Tür. „Grace? Ich bin es.“ Blitzschnell erhob ich mich von meinem Bett und drehte den Schlüssel um. Als ihr vertrautes Gesicht vor meinen Augen erschien, schossen mir augenblicklich die Tränen in die Augen. Sie kam auf mich zu und schloss mich in eine liebevolle Umarmung. Ihre Hand strich auf eine sehr beruhigende Art über meinen Rücken. „Ist es so schlimm, Süße? Bitte beruhig dich. Es wird alles wieder gut.“ Ich drückte mich noch etwas fester an sie und vergrub mein Gesicht an ihre Halsbeuge. Der süße, blumige Duft, den ich so an ihr liebte, stieg in meine Nase. „Hmm, du riechst so gut...“ -„Schau mich bitte an, Grace.“ Ich hob vorsichtig meinen Kopf und sah in ihre grünen Augen. Ein besorgter Ausdruck war darin zu lesen, als sie den Blick auf meine Wange richtete. Ich neigte den Kopf zur Seite und unterbrach den Kontakt. Ich wollte nicht, dass sie es sah, aber dazu war es bereits zu spät. Sie strich über die gerötete Stelle und drehte meinen Kopf wieder zu sich.
 

„War er das, Grace?“ Ich blickte sie einen Moment an und nickte schließlich. Warum sollte ich es auch leugnen und mich in unnötige Lügen verstricken? Ich vertraute ihr. „Ja. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich über Nacht wegbleibe. Er... er hat mich geschlagen. Und das nicht zum ersten Mal. Seit einem Monat geht das schon so.“ Ich nahm meine Hände von ihrem Rücken und zeigte ihr die rötlichen Stellen an meinen Handgelenken. Sanft fuhr sie mit ihren Fingern über die Stellen. Genau so, wie Marie es gestern getan hatte. „Ich habe Angst vor ihm. Er soll mich einfach nur in Ruhe lassen.“ - „Oh Grace,... es tut mir so leid. Weiß deine Mutter bescheid?“ Ich entzog mich ihren Händen und bewegte mich langsam auf das Bett zu. Dort ließ ich mich in die weiche Matratze sinken und atmete tief durch. Andrea setzte sich dicht neben mich und legte ihre Hand auf mein Knie. „Nein. Ich habe ihr nichts erzählt. Wir streiten viel wegen ihm. Ich habe Angst, dass sie mir nicht glaubt.“ - „Das wird sie bestimmt. Es ist nicht zu übersehen, dass du misshandelt wirst. Wenn du willst, kann ich bei dem Gespräch dabei sein. Du musst da nicht alleine durch.“
 

„Das wäre schön. Mama hat morgen frei. Ich muss bis 17 Uhr arbeiten. Hast du danach vielleicht Zeit? Wir können uns dann zusammensetzen.“ - „Das passt. Ich rufe deine Mutter später mal an und lade sie zum Kaffee ein. Marie muss morgen länger arbeiten. Wir wären also alleine. Ist das okay?“ Ich setzte mich auf und nahm sie in die Arme. Eine große Last fiel von meinen Schultern. Ich wünschte, ich hätte mich schon viel eher an sie gewendet. „Danke. Ich bin sehr froh, dass du da bist.“ - „Natürlich, Süße. Ich will das es dir gut geht. Du verdienst das nicht. Niemand sollte so behandelt werden.“ Sie küsste mich auf den Scheitel und drückte mich noch etwas fester an sich. Einen Moment verharrte ich in dieser tröstenden Umarmung, ehe ich mich von ihr löste. Nun folgte der unangenehmere Teil. Ich hatte Angst. Sehr große sogar. Es könnte gut möglich sein, dass unsere Beziehung hier und jetzt zu Ende gehen würde. Wenn sie sich zwischen Marie und mir entscheiden müsste, wäre ich ganz klar der Verlierer.
 

Ich erhob mich vom Bett und ging unruhig auf und ab. „Marie und ich haben uns gestritten. Wir streiten fast nie und wenn, dauert es nicht lange und wir versöhnen uns wieder. Sie ist eifersüchtig, weil ich die halbe Nacht bei dir war. Ich wollte es eigentlich nicht sagen. Es ist mir rausgerutscht. Sie ahnt, dass wir Gefühle füreinander haben. Sie hat mich angeschrien und gemeint, dass das total krank ist. Ich...“ - „Grace? Ist alles okay da drin?“ Stefan klopfte mehrmals gegen die Tür. Allein seine Stimme reichte aus, dass ich mich unwohl fühlte. Ich versteifte mich und sagte kein Wort. Wenn Andrea wieder weg war, würde er garantiert in mein Zimmer stürmen und fragen, worüber wir geredet haben. „Grace?!“ Seine Stimme wurde ungeduldiger. Das war kein gutes Zeichen. „A-Alles in Ordnung, Stefan.“ - „Gut. Dein Besuch sollte gleich gehen. Essen steht auf dem Tisch.“ Er entfernte sich von der Tür und knallte irgendwo eine andere. Ich hockte mich auf den Boden und legte die Stirn auf meine angezogenen Knie. Zu viel ging gerade in mir vor. Ich war all dem nicht gewachsen. Es zerrte an meinen Nerven.
 

„Grace... Mir ist nicht wohl dabei, dich hier mit ihm alleine zu lassen.“ Sie kniete neben mir und strich beruhigend über meinen Rücken. „Ich schaffe das schon. Mama kommt auch bald nach Hause. Mach dir keine Sorgen um mich.“ - „Das tue ich aber. Du weißt nicht, wozu er fähig ist. Komm mit mir.“ Ich biss mir auf die Lippe und dachte einen Moment darüber nach. Es wäre vermutlich die beste Entscheidung, aber wie sie bereits erwähnte, weiß ich nicht, wozu er fähig ist. Ich wollte nicht, dass er jemand anderem weh tut. „Nein, dass geht nicht. Ich habe Hausarrest. Du siehst doch, wie aggressiv der ist. Es wird schon alles gut.“ Für ein paar Sekunden sah ich sie einfach nur an. Langsam kam ich ihrem Gesicht näher und drückte meine Lippen auf ihre. Anstatt den Kuss zu erwidern, schob sie mich sanft von sich. „Gib mir bitte etwas Zeit, Grace. Ich sollte erst mit Marie reden.“ Ich verbarg meine Enttäuschung und versuchte den Stich in meinem Herzen zu ignorieren. Sie hatte Recht. Es wäre wirklich das beste, wenn sie erst mit Marie sprechen würde. Trotzdem war es schwer, gleich zweimal an einem Tag enttäuscht zu werden. „Was ist, wenn sie es nicht versteht? Wirst du mich dann verlassen?“ - „Ich weiß es nicht. Wir sollten positiv denken, dann tut es nicht ganz so weh.“ Sie erhob sich, ging zur Tür und verharrte einen Moment davor. Als sie sich umdrehte, blickte sie mich mit Tränen in den Augen an. Ich wollte sie so gern in die Arme nehmen und fest an mich drücken, aber das würde es nur noch schwerer machen. Stattdessen blieb ich sitzen und kämpfte erfolglos gegen meine eigene Trauer an. „Ich melde mich bei dir, sobald wir gesprochen haben. Pass bitte auf dich auf, Süße.“ Sie schlüpfte durch die Tür, verabschiedete sich von Stefan und verließ die Wohnung.
 

Trotz meiner zitternden Beine schaffte ich es irgendwie ins angrenzende Badezimmer und stürzte aufs Waschbecken zu. Verquollene Augen blickten mir durch den Spiegel entgegen. Ich drehte den Hahn auf und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Ich dachte an gestern zurück, als ich in einer ähnlichen Situation war. Mit dem kleinen Unterschied, dass Andrea nicht neben mir stand. Es war unmöglich, nicht an sie zu denken. Seit Jahren geisterte sie in meinem Kopf umher. Daran würde sich wohl nie etwas ändern. Seufzend rieb ich mir mit dem Handtuch das Gesicht trocken und verließ mit einem letzten Blick in den Spiegel das Bad.
 

„Was wollte die heiße Schnitte denn von dir? Die würde ich gerne mal in mein Bett einladen.“ Ich war nicht überrascht ihn hier zu sehen. Ganz im Gegenteil zu seinen Worten. Erschrocken blickte ich ihn an und ballte die Hände zur Faust. Was dachte der sich eigentlich? Er war mit meiner Mutter verheiratet und verhielt sich wie ein Arsch. „Rede nicht so über sie. Das geht dich gar nichts an.“ Super. Wie war das noch gleich? Erst denken, dann sprechen, Grace. Sein süffisantes Grinsen wechselte augenblicklich zu einem wütenden. Er kam auf mich zu und blieb eine Armlänge vor mir stehen. Die Ader an seiner Stirn pochte gefährlich. „Was fällt dir ein, so mit mir zu reden?“ Die Wut, die in mir brodelte, ließ mich mutiger werden. Ich machte einen Schritt auf ihn zu und hielt seinem Blick stand. Wenn er mich schlagen wollte, okay. Aber so über Andrea zu reden, gefiel mir gar nicht. „Was fällt dir ein, so über SIE zu reden? Du bist mit Mama zusammen!“ Zum zweiten Mal an diesem Tag klatschte er mir die Hand ins Gesicht. Bevor ich den Schlag jedoch verdauen konnte, riss er meinen Kopf wieder zu sich und drückte mit zwei Fingern meinen Kiefer. „Ich warne dich, Kleines. Überspann den Bogen nicht. Ich bin noch zu ganz anderen Sachen fähig.“ Um seine Worte zu unterstreichen, fuhr er quälend langsam meine Seite hinunter und hielt an meiner Hüfte inne. Im selben Moment ging unten die Haustür auf und Mama rief nach Stefan. „Einen Moment, mein Schatz. Ich bin sofort bei dir.“ Er ließ von mir ab und funkelte mich wütend an. „Überleg dir gut, was du tust, Grace.“...



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  0391marrylu
2017-08-21T03:46:03+00:00 21.08.2017 05:46
Muss sagen, schon lange, hat mich nichts mehr so neugierig gemacht, wie es weiter gehen wird.
Tolle Story und mal was anderes ;).
Freue mich sehr, wenn es weiter geht :D
Von:  Spitzbube67
2017-07-18T19:26:18+00:00 18.07.2017 21:26
Moin,
Die arme Grace erst der scheiß Kerl von Stiefvater und nun verliert sie auch noch ihre beste Freundin!
Hoffentlich hat sie auch mal Glück
Tolle Story weiter so
Mfg
Spitzbube
Von:  Spitzbube67
2017-07-08T22:18:49+00:00 09.07.2017 00:18
Moin,
sorry habe erst jetzt die beiden letzten Kapitels gelesen. Echt super :) weiter so
Mfg
Spitzbubr67
Von:  Spitzbube67
2017-06-30T03:37:30+00:00 30.06.2017 05:37
Super 👍👍 weiter so bin gespannt wie es weitergeht
Mfg
Spitzbube67
Antwort von:  -NicoRobin-
01.07.2017 12:57
Vielen Dank. :-)
Von:  Spitzbube67
2017-06-29T14:50:48+00:00 29.06.2017 16:50
Moin,
Also wenn du nicht weiter schreibst werde ich böse. Die Story ist so genial.


Mfg
Spitzbube67
Antwort von:  -NicoRobin-
29.06.2017 19:26
Hi,

lach. Vielen Dank. Ich gebe mein Bestes. ;-)

MfG
Von:  xXxMephistoxXx
2017-06-25T18:59:01+00:00 25.06.2017 20:59
Mhh interessant also ich finde die Idee ganz gut. Mal sehen was du daraus machst :-) LG Mephi
Antwort von:  -NicoRobin-
25.06.2017 22:45
Dankeschön für dein Kommentar. :-)
LG


Zurück