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Alice in Magicland

Die Geheimnisse von Taleswood
von

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Der verrückte Doktor

Es hatte funktioniert! Fasziniert und beinahe schon ehrfürchtig, starrte ich auf die kleine Flamme in meiner Hand, die ich seit etwa einer Stunde zu erschaffen versuchte. Im Takt meines aufgeregten Herzens tanzte sie herum, wuchs und schrumpfte, wie ich es ihr befahl und wanderte auf meiner Hand herum, bis zu meinen Fingerspitzen und wieder zurück. Und auch wenn das hier gerade mal an der Oberfläche dessen kratzte, was Magie ausmachte, war ich dennoch stolz darauf.
 

„Sehr gut, du hast verstanden, worauf es ankommt“, lobte Jack ruhig, während er sich an der Flamme eine Zigarette ansteckte. Eigentlich hatte ich etwas mehr Erstaunen von ihm erwartet. Immerhin meinte er, dass in meinem Alter erst mit Magie anzufangen unter Umständen sehr schwierig sein kann. Ob er so ein Ergebnis bereits vorhergesehen hatte? Eigentlich konnte es mir egal sein, denn ich war gut und gern für uns beide beeindruckt. Und zu meinem Gunsten betrat auch Fleur im richtigen Moment das Arbeitszimmer mit einem Teeservice.

„Du meine Güte, so schnell haben Sie das hinbekommen?“, rief sie begeistert, als ich ihr meine brennende Hand zeigte. Vielleicht hätte ich warten sollen, bis sie das Tablett abgestellt hatte, denn sie stolperte kurzerhand über den Teppich und konnte nur gerade so von Jack mitsamt des Tees aufgefangen werden. Aber stand er nicht gerade noch hinter mir?

„Was war denn das?“

„Magie. Was denn sonst?“, sagte er mit einer Geste, die man schon fast als angeberisch bezeichnen könnte. Leider fruchtete das auch bei mir und ich fühlte einen leichten Neid. Ungefähr so, wie ein Sprachschüler, der gerade seinen ersten Satz gebildet hatte, nur um dann von seinem Lehrer zu hören, dass dieser gerade Shakespeare las.

Doch noch mehr steigerte das meine Neugier zu allem, was man noch lernen könnte. Verrückt genug, denn ich war nie eine fleißige Schülerin und noch dazu zeigten meine ersten Theoriestunden am Morgen, dass Magie viel komplizierter war, als alles, was ich bis dahin gelernt hatte.

Sie verband beinahe jede moderne Wissenschaft mit dem alten Wissen der Alchemie sowie des Schamanismus und Okkultismus. Gefühlt jedes fünfte Wort, das am Morgen fiel, musste mir Jack mehrmals erklären. Doch er rügte mich nicht für mein Unwissen, oder machte gar abfällige Bemerkungen, sondern wiederholte die Lektion in aller Ruhe und fragte mich auch immer wieder, ob ich denn alles verstanden hatte. Er zollte mir eine spürbare Menge Respekt, ja behandelte mich beinahe ebenbürtig. Für mich Grund genug, das Gleiche zu tun.

„Gutes Timing mit dem Tee, Fleur. Es wird auch Zeit, für heute Schluss zu machen“, sprach er und pustete meine Flamme aus. Die Wanduhr zeigte doch gerade einmal halb 2. War es nicht noch etwas zu früh, aufzuhören? Wahrscheinlich war ich ihm doch eine Belastung. Fleur schenkte uns etwas Milch in den Tee ein und hatte auch ein paar Sandwiches zubereitet. Jack übergab sie einen mitgebrachten Zettel, wahrscheinlich eine Auftragsliste.

„Tut mir leid. Ich sehe, dass dich das Thema interessiert, aber es wartet noch ein wenig Arbeit auf mich.“

Lächerlich. Es gab keinen Grund, sich bei mir zu entschuldigen. Immerhin war ich es doch, die seine Zeit beanspruchte.

„Kann ich Ihnen dabei nicht helfen?“

„Nicht im magischen Bereich, dafür ist es noch etwas zu früh. Aber du könntest etwas für mich zum Doc bringen.“

„Zum Doc?“

„Doktor Greta Engels. Sie arbeitet primär als Ärztin in Taleswood, kombiniert diesen Beruf aber mit ihrem Wissen über Magie. Wir waren früher Mitschüler und sind auch nach wie vor recht gut befreundet.“

„Von wem wurden Sie damals in der Magie eigentlich unterrichtet?“

„Er hieß Alexander Mycraft. Ein brillanter Magier und Wissenschaftler, aber sehr exzentrisch, um nicht zu sagen verrückt. Allerdings ist er schon vor 17 Jahren verstorben.“

Jack stieß eine langgezogene Rauchwolke aus. Danach schien er etwas zu nuscheln, das ich aber nicht verstand. Doch auf meine Nachfrage winkte er nur lächelnd ab:

„Die Geschichte ist etwas zu kompliziert, als dass ich sie dir jetzt erzählen könnte. Lerne erst einmal Gretchen kennen. Ich bin sicher, ihr werdet euch gut verstehen.“

„Sie ist keine gebürtige Engländerin, oder?“

„Nein, geboren ist sie in Deutschland, aber lebt schon in Taleswood, seit sie 6 Jahre alt ist, spricht also auch fließendes und akzentfreies Englisch. Sie ist manchmal etwas zerstreut, aber ansonsten die gute Seele in Person.“

„Mit Verlaub, Sir“, warf Fleur ein. „Doktor Engels ist mehr als nur zerstreut. Man sagt ihr nach, sie habe Stimmen im Kopf, nehme Opium und...“

„So ein Unsinn“, gab Jack energisch zurück. „Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Lass dich davon nicht einschüchtern, Alice. Immerhin lassen sich diese Schwätzer von ihr trotzdem untersuchen. Ja, Greta hat einen geistigen Knacks, aber sie ist und bleibt eine gute Freundin. Nicht nur von mir, auch deine Eltern mochten sie sehr.“

Mir war es relativ egal, wessen Freundin der Doc war und ob sie einen Sprung in der Schüssel hatte. Kaputte Menschen habe ich schon zuhauf gesehen und außerdem ging es doch nur um einen Botengang. Auch wenn ich ihm lieber etwas direkter im Beruf geholfen hätte und ansonsten sicherlich einfach Fleur statt meiner gegangen wäre, war ich froh, etwas beizutragen.

Das Paket bestand aus einer Reihe abgefüllter Mischungen, die Jack hergestellt hatte. Der Weg war unkompliziert: einfach die komplette Hauptstraße entlang, bis ich auf der rechten Seite ein passendes Eingangsschild fand. Fleur bot an mitzukommen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich den Weg auch noch allein finden würde. Und um diese Uhrzeit konnte man bestimmt auch jemanden in der Stadt finden, der den Weg kannte.
 

Der Himmel war grau und es fielen auch ein paar vereinzelte Schneeflocken, als ich das Haus verließ. Durch die neue Jacke wurde mir gar nicht bewusst, wie kalt es eigentlich war. Für Ende Januar erschien es mir sogar sehr angenehm. Doch am Madcap River machte ich eine sonderbare Entdeckung: Das Wasser dampfte. War es wirklich so warm, im Vergleich zur Lufttemperatur? Tatsächlich konnte mein Eindruck sich nur bestätigen, als ich eine Hand hinein hielt. Ganz gleich, ob die Sache mit der Flussrichtung nun stimmte oder nicht, seinem Namen wurde dieses Gewässer in jedem Fall gerecht.

Doch damit war es mit verrückten Vorfällen für heute anscheinend noch nicht vorbei. Als ich aufsah, bemerkte ich, wie sich ein dicker, undurchdringbarer Nebel um mich herum gebildet hatte. Wie war das denn möglich? Es war doch gerade noch klar, oder etwa nicht? So lange konnte ich doch gar nicht aufs Wasser geschaut haben.

Doch ich machte mir nichts draus, zündete eine Flamme an und ging über die Brücke in Richtung Taleswood. Vielleicht hätte ich meinen Instinkten vertrauen sollen. Etwas in mir befahl umzukehren, zurückzugehen, zu warten bis es wieder sicher war.
 

Die Straßen von Taleswood waren verlassen und auch aus den Häusern kam kein Ton. Es war so still, dass meine Schritte selbst auf der breiten Hauptstraße widerhallten. Die Wände schienen sich schon fast zu biegen und eine Art Tunnel zu bilden, der in eine unendliche Leere führte. Zusammen mit diesem kalten, feuchten Nebel, der sich wie ein Schleier um mein Gesicht legte und das Atmen erschwerte, bildete sich eine fast schon albtraumhafte Atmosphäre. Hinzu kam die unheimliche Gewissheit, dass irgendjemand – oder irgendetwas – mich verfolgte.

Ich dachte an meine Flucht aus dem Kinderheim. Damals verängstigte mich jedes noch so kleine Geräusch und ich hatte mir gewünscht, am besten nichts zu hören. Doch heute suchten meine Ohren verzweifelt nach einem anderen Geräusch als meine Stiefel; das Fiepsen einer Ratte, Menschen in der Ferne, ein leichtes Husten oder zumindest eine zuschlagende Tür, einfach irgendwas, das mir zeigte, dass ich nicht allein war. Nichts.

Mein Atem und meine Schritte wurden schneller und ehe ich mich versah, rannte ich immer weiter durch diesen Tunnel, bloß weg von dem, was auch immer hinter mir war. Doch es fühlte sich an, als säße ich in einem Laufrad. Immer und immer und immer wieder kam ich an den gleichen Gebäuden vorbei, wie eine Endlosschleife. Ich suchte nach einer Seitengasse, einer offenen Tür, einfach irgendetwas, das mich aus dieser Monotonie befreien könnte, doch die Häuser standen dicht beieinander und... es fiel mir erst gar nicht auf, doch sie besaßen nicht einmal Türen. Ich war gefangen. Und während ich so rannte und rannte wurde der Tunnel immer enger und enger.

Erst kaum merklich, doch dann immer stärker, bis ich gezwungen war, erst gebückt zu laufen, dann zu krabbeln und zuletzt zu kriechen, mit nicht einmal einem Fuß Platz zwischen mir und den Wänden.

„Du wirst hier noch zerquetscht, wenn du weitergehst“, schoss es mir durch den Kopf. Doch ich weigerte mich, umzukehren und mich dem zu stellen, das hinter mir war. Als langsam aber sicher in mir eine ausgewachsene Platzangst aufkeimte, sah ich endlich eine rettende Tür vor mir, oder besser gesagt: eine Luke.
 

Ich klopfte energisch und bat, ja flehte schon fast um Einlass. Langsam öffnete sie sich von selbst und offenbarte einen Raum, so gleißend hell, dass ich nichts erkennen konnte. Doch alles war besser als in diesem Loch zu bleiben. Ich schlüpfte hindurch und fiel einige Fuß hinunter, bis ich auf einem harten Holzboden landete. Es war ein Wunder, dass ich mir nichts gebrochen hatte.

Der Raum war nicht besonderes groß und komplett leer, bis auf ein Bett, mit zwei schattenartigen Wesen. Eines, an der Bettkante sitzend, hielt scheinbar ein Kind in seinem Arm, das andere lag ausgestreckt da und schaute die beiden an. Als ich ihnen näher kam, schien ich ein leichtes Flüstern zu vernehmen, doch es ergab keinen wirklichen Sinn, so als würden sie rückwärts sprechen. Auf dem Bett lag eine Spieluhr, die ein langsames aber melodisches Lied spielte, das mir seltsam vertraut vorkam.

Im nächsten Augenblick war alles in diesem Raum verschwunden. Ich drehte mich um und sah eine Silhouette, verschwommen, aber eindeutig einer jungen Frau gehörend und diesmal nicht schwarz wie die Schatten, sondern strahlend weiß, wie Licht. Sie war nicht viel größer als ich und stand zwischen mir und einer neuen Tür.

„...will.. Seele...“, flüsterte die Gestalt in einer sanften, warmen Stimme, die im Kontrast zu all dem stand, was vorhin passierte.

„Tür... frei... beschütz....“. Ich verstand kaum was, so als würde immer wieder ihre Stimme von etwas erstickt werden. Doch scheinbar wollte mir die Silhouette sagen, dass ich durch die Tür gehen sollte. Was blieb mir schon anders übrig? Langsam, mit dem größtmöglichen Abstand zu dieser Gestalt, begab ich mich zur Tür. Ein letzter Satz kam an mein Ohr als ich davor stand. Es war die gleiche Stimme, diesmal aber klar und deutlich: „Ich liebe dich, mein Kind...“
 

Erschrocken wirbelte ich herum und sah, dass ich wieder zurück in Taleswood war. Dem Taleswood, wie ich es kannte. Kein Nebel, keine Tunnel und vor allen Dingen endlich wieder belebt. Ich kniff mich und stellte beruhigt fest, dass ich definitiv nicht mehr träumte. Und in meiner Hand hielt ich noch immer das Paket. Doch es war bereits dunkel und in den meisten Geschäften brannte kein Licht mehr. Wie lange war ich denn weg gewesen?

Ein Blick auf das Schild, vor dessen Tür ich stand, verriet mir, dass ich endlich an meinem Ziel angekommen war: Doctor Greta Engels, Magic Medicine. Ich wollte gerade den Löwenkopf-Türklopfer nutzen, da knurrte mich dieser an:

„Die Sprechstunde ist vorbei, Mädchen. Wir haben Feierabend!“

„Ich bin auch nicht zur Untersuchung hier. Ich habe ein Paket von Jacob Salem für den Doc.“

„Dein Pech, dann musst du halt früher kommen! Was bildest du dir überhaupt ein, um diese Uhrzeit noch... Autsch!“

Wütend trat ich gegen die Tür. Ich diskutiere doch nicht mit einem Klopfer! Nach dem, was vorgefallen war, würde ich ganz sicher nicht einfach nur kleinlaut nach Hause trotten und morgen wiederkommen.

„Verdammt, du blöde Kuh! Du reißt mich noch aus den Angeln!“

„Lass mich rein, dann müssen wir es nicht so weit kommen lassen.“

Zähneknirschend schwang er auf und ließ mich in die dunkle Praxis eintreten.

„Der Doc ist oben. Und wenn du gehst, mach mich gefälligst leise zu.“

„Klar, wenn mir danach ist“, gab ich schnippisch zurück, als ich die Treppen hinaufstieg. Ohne Licht wäre ich sicherlich das ein oder andere Mal gestürzt, weswegen ich wieder eine Flamme in meiner Hand entzündete. Es war faszinierend, wie schnell man eine magische Fähigkeit beherrschte, wenn man diese einmal erfolgreich gemeistert hatte. Ein wenig, wie Fahrrad fahren.

Die Wände des Treppenhauses waren mit allerlei faszinierenden Bildern bestückt, viele rund um den menschlichen Körper, aber auch einige über verschiedenste Tierarten.
 

Im Obergeschoss war lediglich das letzte Zimmer beleuchtet, aus dem man auch eine Frauenstimme vernahm. Ich begab mich langsam dorthin und lauschte der Frau, die scheinbar mit jemandem sprach, der aber nicht antwortete.

„Das ist falsch, Karl! Ich kann nicht... Natürlich, du weißt, dass ich dir vertraue, aber... Na, weil... weil...“

Ich erinnerte mich an Fleurs Bemerkung. Ihr imaginärer Gesprächspartner hieß also anscheinend Karl. Entweder das, oder sie telefonierte. Doch daran zweifelte ich. Ihre Sätze waren absolut zusammenhangslos und merklich zittrig ausgesprochen. Und sie klang wie eine Violine, an der eine Saite nicht gestimmt wurde.

Zaghaft klopfte ich an den Türrahmen und schaute hinein. Es war ein einziges großes Chaos. Der Boden war unter einem Meer von Dokumenten nur noch in Ansätzen zu erkennen. Statt mit Öllampen sorgte ein Haufen Kerzen für Licht, gemessen an der Menge Papier sicherlich keine gute Idee. Die Bilder waren stellenweise von den Wänden gerissen oder hingen schief, einem Skelett in der Ecke fehlte der Unterkiefer sowie ein Bein und auf dem Schreibtisch gegenüber der Tür, saß die Frau Doktor, den Gürtel um den Arm gebunden und die Spritze bereits angesetzt. Doch mein Anblick ließ sie innehalten.

„Was wollen Sie hier?“, fragte sie müde, fast schon teilnahmslos.

So viel zum Thema, der Drogenkonsum wäre nur aufgeblasenes Geschwätz. Ihre zerzausten, blonden Haare waren mehr schlecht als recht zu einem Zopf gebunden und mit einer Spange im Zaum gehalten. Ihre Brille war leicht verbogen und versuchte durch Spiegelungen die blutunterlaufenen, eingefallenen Augen etwas zu verstecken. Ihr Gesicht war blass und dünn. Wahrscheinlich gab sie sich jeden Abend einen Schuss.

„Ihnen ist schon bewusst, dass Drogen ihre Lage auch nicht bessern werden, oder Doc?“

„Was geht Sie das an? Und wer sind Sie überhaupt? Die Sprechstunde ist schon lange vorbei.“

„Stimmt, eigentlich kann es mir auch egal sein. Ich bin nur hier, um ein Paket von Mr. Salem abzugeben.“
 

„V-von Jack?!?“ Sofort erwachte sie zu neuem Leben. Ihre Haut gewann wieder etwas an Farbe, während sie vom Tisch aufsprang und in einem großen Spiegel anfing, Haare und Kleidung zu richten und sich etwas Wasser ins Gesicht zu schmeißen. Auch artikulierte sie sich schlagartig viel verständlicher.

„Sie... also... entschuldigen Sie, ich wusste nicht, dass Jack mittlerweile eine Assistentin hat. Wenn ich das geahnt hätte... können Sie mir einen Gefallen tun und ihm nichts davon erzählen? Ich will nicht, dass er sich Sorgen macht.“

Sie drehte sich zu mir um und sah mich bittend an. Ich nickte und hielt ihr wortlos das Paket hin.

„Vielen Dank, Miss...“

„Alice. Nur Alice.“

„Sagen Sie Alice, kennen wir uns nicht? Sie kommen mir so bekannt vor...“

Verdammt, wie ähnlich sah ich denn meiner Mutter? Ich hatte keine Lust von jedem in dieser Stadt nur über jemandem definiert zu werden, den ich nicht einmal kannte.

„Wir sind uns noch nicht begegnet, Doktor Engels. Ich stehe erst seit gestern in Jacks Diensten. Und ich bin primär seine Schülerin, nicht seine Assistentin.“

Sie schien diese Antwort zu akzeptieren, auch wenn sie mich genau musterte. Es war wahrscheinlich mein Glück, dass die Drogen ihrem Gedächtnis nicht gut taten.

„Schülerin also... noch in Ihrem Alter? Dann muss er ja sehr überzeugt von Ihnen sein. Aber andererseits... Wenn nicht Jack, wer sonst in Taleswood könnte das vollbringen?“

Sie hatte so einen verträumten Blick, wie ich ihn von Thomas kannte. Mir war sofort bewusst, was das hieß. Ich wunderte mich, ob ihre Situation weniger schlimm aussähe, wenn sie mit Jack zusammen wäre. Immerhin war klar, worüber man sich mit ihr unterhalten konnte.

„Er hatte mir erzählt, dass Sie auch eine Magierin sind und zusammen mit ihm gelernt hatten.“

„Ja, ich war die jüngste in unserem Kreis, zusammen mit Reverend Miller. Wir hatten beide nicht das Zeug dazu, vollwertige Magier zu werden, anders als Jack, Sam und Claire. Heißt nicht, dass ich sie kein Stück beherrsche. Ich kombiniere sie nur mit dem Wissen über Medizin. So haben das schon viele im Laufe der Jahrtausende gemacht. Ich bin eigentlich weder Magierin noch Ärztin, eher ein bisschen was von beidem.“

„Und ihr Doktor-Titel?“

Sie grinste verlegen.

„Um ehrlich zu sein, bin ich kein richtiger Doktor. Ich habe zwar eine medizinische Ausbildung gemacht, aber für einen Titel hatte das nicht gereicht. Das hat aber in dieser Stadt noch nie jemanden gestört.“

„Nicht so sehr wie ihr Konsum von... was ist das? Opium?“

Greta senkte beschämt ihren Kopf.

„Karl sagt immer, es würde mich retten...“

„Ah verstehe... Die 'Person' mit der Sie sich vorhin unterhielten.“

„Wissen Sie, er spricht nicht mit jedem und er ist auch nicht sichtbar. Aber er ist hier... und der Einzige, der mich versteht... mein Gott, warum erzähle ich Ihnen das alles? Er wird mich bestimmt ausschimpfen, ich darf doch nicht über ihn reden! Nein, Karl... bitte hör mir zu...“

Langsam verlor sie wieder ihren Verstand. Sie wandte sich, fing an zu stottern und atmete immer schneller. Was sollte ich nur tun?
 

Doch die Hilfe kam tatsächlich schon die Treppe hinauf gestürmt. Ich drehte mich um und sah, wie Jack in der Tür stand, nur einen kurzen Moment zögerte und mich dann stürmisch in seine Arme schloss. Es war mir etwas peinlich, doch fühlte sich gleichzeitig auch angenehm an. Ein Blick auf Greta verriet mir, dass sie mich beneidete, aber vor allem, dass sie wieder bei Sinnen war.

„Gott sei Dank, dir ist nichts passiert. Du bist doch okay, nicht wahr?“, flüsterte Jack, völlig außer Atem. Hatte er sich Sorgen gemacht, weil ich so lange brauchte, oder weil er wusste, das etwas passiert war? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und nickte stattdessen langsam.

„Dann ist alles in Ordnung... Fleur erzählte mir, sie hätte gesehen, wie du am Madcap River gehockt und dich nicht bewegt hättest. Du warst wie eine Statue, für fast 5 Stunden. Ich hatte alles versucht, aber ich konnte dich nicht aus der Starre befreien. Und auf einmal hast du dich in Rauch aufgelöst. Ich bin sofort her, in der Hoffnung, dass...“

Er bemerkte, wie unangenehm die Situation war und ließ mich los.

„Entschuldige... das war unhöflich von mir“, sagte er verlegen und wandte sich an den Doc.

„Lange nicht gesehen, Gretchen.“

„Kannst du diesen dummen Spitznamen nicht mal aufgeben? Ich bin doch kein kleines Mädchen mehr.“

Sie wurde rot und schaute lächelnd zur Seite. Es war mehr als offensichtlich, dass seine Anwesenheit ihr gut tat. Selbst einseitige Liebe konnte unheimlich viel bewirken. Jack war der Balsam für Gretas Seele. Ob ihm das bewusst war?

„Er passt aber zu dir. Und es ist süß, wie du dich darüber aufregst. Damals wie heute.“

Sie schüttelte den Kopf und kicherte verlegen. Ich entschied mich, draußen zu warten und die beiden nicht zu stören.
 

Die Tür stand sperrangelweit offen. Eine Sekunde dachte ich grinsend darüber nach, dann schlug ich sie beim Verlassen „aus Versehen“ zu.

„Verdammt, du dumme Göre!“, brüllte der Löwenkopf: „Kannst du nicht jemand anderem auf den Keks gehen?!“

„Kann ich dich was fragen?“

„Wie? Erst arme, wehrlose Türen foltern und sie dann noch um Hilfe bitten?“

Ich ignorierte das Genörgel: „Waren Jack und Greta mal ein Paar gewesen?“

„Woher soll ich das wissen?“

„Du bist eine Tür. Dir kann unmöglich so etwas entgehen.“

„Ich wüsste wirklich nicht, warum ich dir überhaupt etwas sagen... Autsch!“

Wieder trat ich gegen sie mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte.

„Schon gut, ich rede ja. Ihre Beziehung... ist kompliziert. Sie treffen sich dann und wann mal, trinken etwas zusammen und landen auch zwischendurch gerne mal im Bett. Frag mich nicht woher ich das so genau weiß. Der Doc wünscht sich mehr, das ist jedem bekannt. Aber Jack... naja er kann sich einfach nicht losreißen.“

„Losreißen? Von wem?“

„Die Hellste bist du ja nicht gerade. Natürlich von Claire!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Phinxie
2016-04-12T15:44:11+00:00 12.04.2016 17:44
Die beste Zeit, deine Geschichte zu lesen, finde ich in der Schule:
Ja, ich habe in der Schule weitergelesen, ohne zu kommentieren, aber das hole ich jetzt fleißig nach (sonst wäre mein Akku zu schnell leer gewesen und ich bin jetzt erst zu Hause xD'' )

Ich muss sagen, nach dem vorherigen Kapitel gibt es keine Enttäuschung: Es geht so weiter wie bisher, spannend, witzig, einfach atemberaubend. Du wirkst in deiner Beschreibung auch nicht mehr 'gehetzt' - ich habe das Gefühl, du bisst endlich da angekommen, wo du mein Schrieben ankommen hattest wollen, nämlich in der wundersamen Welt von Taleswood. Die Szenen werden ein wenig ausgedehnter, aber nicht ZU ausgedehnt, sodass der Leser Spaß beim Lesen hat und dir weiterhin gut folgen kann.
Ebenfalls äußerst gut gelungen in diesem Kapitel finde ich den Humor, den du anwendest: Ich musste breit grinsen, als ich Alice's Gespräch mit dem unfreundlichen Türklopfer gelesen habe und fand die Idee einfach nur genial.
Und zudem schaffst du es auch, deine Leser an dich zu binden:
Du setzt dort Cuts, wo es am spannendsten wird, der Leser will unbedingt erfahren, was es mit dem Gesagten auf sich hat (Jack hat Claire geliebt? Eine interessante Wendung! Kümmert er sich deswegen vielleicht so sehr um Alice...?)

Persönlich finde ich es vielleicht ein bisschen... schnell, wie sehr sich Alice an die magische Welt gewöhnt (ich würde wohl an jeder Ecke stehen bleiben und jedes Wesen mit großen Augen und offen stehendem Mund ansehen, bis man mir sagen würde, wie unhöflich das sei xD), doch durch Alice' so oder so schon kecke Art stört das nicht, sondern passt hervorragend zu ihrem Charakterbild, was der Leser inzwischen von ihr hat.
Im Übrigen finde ich Alice mit jedem Kapitel sympathischer :3

Ich werde mit Freuden weiterlesen (und nicht nur in der Schule xD) :3


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