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Die Motus

Magister Magicae 5
von

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Verfolgung

Es klopfte harsch an der laveden Brettertür. Dann rüttelte jemand von außen daran, aber sie war versperrt. Ein vernehmliches Fluchen. Adelina ignorierte es. Sie wusste, wer das war, und gedachte nicht zu öffnen. Es klopfte wieder, noch herrischer diesmal.

„Aua ...“, jappste Victor. Die Schnitte taten schon lange nicht mehr so weh wie am Anfang, als das Siegel noch mit voller Kraft gewirkt hatte, aber trotzdem wurde das scharfe Ziehen auf seinem Rücken langsam wieder unerträglich.

„Warte, nur noch eins, wir sind gleich fertig.“, kündigte Adelina stoisch an und tupfte mit einem Zellophan die blutigen Striemen auf seinem Rücken ab.

„Aufmachen! Wir wissen, daß ihr da drin seid!“, brüllte es von draußen. Wieder der Versuch, die Tür aus den Angeln zu reißen.

Adelina ignorierte es auch weiterhin. „Halt still.“, trug sie Victor lediglich auf. Obwohl sie unmittelbar vor dem Finale stand und unverkennbar unter Druck arbeitete, ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Wieder setzte sie das Messer auf dem vermaledeiten Bannsiegel an und unterbrach die letzte Linie, die er ihr auf der Skizze vorgezeichnet hatte. „Oh!?“, machte sie dann plötzlich.

„Was ist?“, wollte Victor matt wissen und schielte über die Schulter zu ihr nach hinten. Er hatte plötzlich das Gefühl, noch nie bei klarerem Verstand gewesen zu sein als jetzt. Irgendwas hatte ihn spürbar losgelassen und freigegeben.

„Das Siegel verblasst ... jetzt ist es ganz weg.“

„Super, dann ist der Zauber gebrochen.“

Die Schläger der Motus traten die Tür in diesem Moment ein. Holzsplitter regneten in die kleine Hütte hinein. Sowohl Victor als auch Adelina fuhren hektisch zu ihnen herum. Sie saßen in der Falle. Die Hütte hatte nur die eine Tür. „Akomowarov.“, meinte einer. Es klang wie eine Feststellung. „Du lebst ja wirklich noch. Ich hab den Boss für bescheuert gehalten, als er uns losgeschickt hat.“

„Aber nicht mehr lange. Wir machen dich kalt. Du wirst dir wünschen, du wärst nicht mit deinem dreckigen Leben davongekommen, Verräter.“, fügte der andere, sein Genius Intimus, mordlüstern an und kam hereingestapft.

„Ich habe euch nicht hereingebeten! Raus aus meinem Haus!“, zeterte Adelina und ließ ihre menschliche Tarngestalt fallen. Ihre braunen Haare wurden grau und verworren wie Unkraut. Ihre hübsche Nase wurde zu einem unbeschreiblichen Zinken. Ihre schlanke Statur zerfloss zu einer untersetzten, fetten Kugel, buckelig verkrümmt und mehr breit als hoch. „Hexenhaus, auf die Beine!“, befahl sie. Der Boden begann zu schwanken und zu ächzen und durch die immer noch offenstehende Tür sah man, wie der Rest des Dorfes nach unten wegsackte, als hätte sich die gesamte Hütte in die Lüfte erhoben.

„Bei allen guten Geistern!“, krächzte Victor schockiert und versuchte sich irgendwo festzuhalten. „Eure lebenden Hütten auf Hühnerbeinen, wie es die Legenden erzählen, gibt es wirklich?“

„Shit, die Alte ist eine Baba!“, keuchte der Motus-Schläger überfordert.

Das Haus begann schwankend herumzulaufen. Dabei fielen drei der brennenden Kerzen um. Die Tischdecke fing sofort Feuer. In der engen Hütte herrschte heilloses Chaos, teils aufgrund der vielen Leute auf zu wenig Raum, teils aufgrund des sofort dichter werdenden Rauchs. Victor hustete, als ihn der Qualm des brennenden Tisches im Hals kratzte. Das Feuer griff sofort auf andere Holzmöbel der kleinen Hütte über. Wenn nur wenigstens der Boden aufgehört hätte, zu schwanken wie ein Schiff bei Wellengang. Aber die Hütte auf Hühnerbeinen rannte – jetzt wo das Feuer sie erfasst hatte – erst recht hektisch und planlos in der Gegend herum. „Adelina, raus hier!“, brachte er irgendwie hervor, aber die war in eine wilde Prügelei mit dem Genius Intimus des Motus-Schlägers verwickelt und dachte gar nicht daran. Sie versuchte immer wieder mit dem Messer auf den ungebetenen Gast einzustechen, mit dem sie zuvor an Victors Bannsiegel gearbeitet hatte. Victor stürzte sich zur Tür hinaus, die sich gut drei Meter über dem Boden befand, und nahm noch im Fall die Gestalt eines Greifen an, um sich mithilfe der Flügel abfangen zu können. So wie er das Hexenhaus verlassen hatte, krachte dieses aufgescheucht und orientierungslos in ein weiteres Haus des Dorfes und verschwand mit selbigem in einer gewaltigen Explosion. Das musste eines der Häuser gewesen sein, die einen Benzinmotor als Stromgenerator hatten. Da war eine ganze Menge Benzin in die Luft geflogen, das roch man meterweit. Die Druckwelle der Explosion fegte Victor ein gutes Stück weit davon. Er hatte arge Probleme, sich bei dem ungewollten Überschlag noch irgendwie in der Luft zu halten und nicht abzustürzen. Schockiert um Atem ringend ließ er sich auf einem wahllosen Häuserdach nieder und schaute aus der Ferne das Spektakel an. Das Feuer schien augenblicklich auf die halbe Siedlung überzugreifen. Hier waren ja auch fast nur knochentrockene Holzhütten und etliche, strohgefüllte Scheunen. Kein Wunder. Fassungslos starrte er in die Flammen. Die Motus-Häscher hatten das ganz sicher nicht überlebt. Adelina allerdings auch nicht. Leute rannten schreiend herum und riefen nach Wasser und Eimern. Als unten auf der Straße jemand „Eh, da ist ein Greif, der kam aus der Hexenhütte!“ brüllte, zu Victor hinaufzeigte und damit die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, entschied er, schnellstens zu verschwinden. Er hob ab und flog los. Einfach nur blind in irgendeine Richtung, ohne Sinn oder Ziel. Nur weg von hier, immer noch völlig verwirrt und überrannt von den Ereignissen. Es war alles so schnell gegangen. Victor sah sich das Inferno noch einmal aus der Ferne aus der Luft an. Und überlegte, als er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, wo er hin sollte. Die Motus hatte gute Aufspürer. Die fanden einen, wenn sie wirklich wollten. Er würde nirgends sicher sein. Zumindest nicht sehr lange. Die Trauer um Adelina musste warten. Entschlossen zog er am Himmel einen Halbkreis und nahm einen gezielten Kurs. Er hatte einen weiten Weg vor sich. Aber zuerst musste er was zum anziehen finden. Er hatte sich bei der Verwandlung in einen Greifen sämtliche Klamotten zerrissen. Die waren nicht magiedurchwirkt gewesen und hatten die Verwandlung nicht mitgemacht. Solange dieses Problem nicht geklärt war, konnte er wohl kaum in seine menschliche Gestalt zurückkehren. Nebenbei wurde ihm bewusst, daß er sich nichtmal mehr bei Adelina für das Brechen des Bannsiegels und seine Befreiung hatte bedanken können.
 

Victor war noch keine halbe Stunde geflogen, als er schon wieder landen musste. Sein zerschnittener Rücken tat bei jedem Flügelschlag barbarisch weh. Nur weil er eine andere Gestalt angenommen hatte, waren seine Wunden nicht gleich verheilt und vergessen. Er hatte genug Tortur für einen Tag. Und es wurde ohnehin langsam dämmrig. Die Sonne war schon untergegangen. Bald würde er gar nicht mehr sehen, wohin er überhaupt flog. Erschöpft und mürbe von den Schmerzen ging er in der Nähe eines Rübenfeldes zu Boden. Die Bauern ließen nicht selten ihre Gerätschaften auf den Feldern, um sie nicht jeden abend heim und jeden früh wieder hinausschleppen zu müssen. Vielleicht hatte ja irgendein Bauer auch eine Jacke oder ähnliches hier vergessen, die er sich rotzdreist einverleiben könnte. Leider wurde er enttäuscht. Es war immerhin schon Winteranbruch, der Boden fror zunehmend ein und die Felder waren abgeernted und lagen brach. Nichtmal Ackerkraut wuchs hier, in dem man sich ein vor Blicken geschütztes Nachtlager hätte herrichten können. Hier hatte sich augenscheinlich schon länger kein Bauer mehr sehen lassen.

Mit einem unschlüssigen Seufzen wandte sich der Greif der Vogelscheuche zu, die mitten auf dem Feld ihren unermüdlichen, tagtäglichen Dienst tat. Sollte er wirklich? Die Vogelscheuche hatte zwar einen Kapuzenmantel und eine Hose, aber beides war hoffnungslos verdreckt, zerschlissen und so verwittert, daß man nicht mal mehr die Originalfarbe des Stoffs erkannte. Wer weiß, wieviele Jahre diese Klamotten schon hier draußen Wetter und Jahreszeiten ausgesetzt gewesen waren. Er würde darin aussehen wie der letzte Bettler. Aber, so gesehen, eigentlich war er das ja auch. Was sollte es. Besser als nichts. Er konnte nicht in seiner Greifengestalt bleiben, die war zu groß und zu auffällig. Er musste wieder als Mensch rumlaufen, wie alle anderen auch, wenn er eine Chance haben wollte, den Jägern der Motus zu entgehen.

Nachdem Victor sich zurückverwandelt und sich die muffigen, löchrigen Lumpen der Vogelscheuche übergeworfen hatte, schaute er sich um. Inzwischen war es fast dunkel. Die schwarze Sillhouette des umliegenden Waldes hob sich kaum noch vom nachtblauen Himmel ab. In den Baumwipfeln klebte ein großer, fast voller Mond wie ein leuchtendes Auge, der Victors Blick sofort gefangen nahm und ihn in einen regelrechten Bann schlug. Fasziniert starrte er den Mond an und genoss die beruhigende Wirkung. Die Erinnerung an Adelina, die Angst vor seinen Verfolgern, der Plan was als nächstes zu tun war, alles verblasste einen Moment lang ...
 

Als Victor endlich wieder zu sich kam, musste es schon Stunden später sein. Er stand immer noch weithin sichtbar mitten auf dem Feld und der Mond war bereits über den halben Himmel gewandert. Eben gerade verschwand er hinter einer dicken Gewitterwolke und entzog sich damit Victors Blick, was auch der Grund dafür war, daß Victor endlich aus seiner Starre wieder aufwachte. „Oh, man.“, stöhnte er und griff sich an den Kopf. Er hatte total schwere Beine und einen steifen Nacken vom stundenlangen, reglosen Herumstehen. „Ich muss endlich irgendwas gegen meine Mondsucht tun. Die wird mich noch Kopf und Kragen kosten.“, murrte er leise zu sich selbst. In den endlosen Stunden, die er hier de facto ohnmächtig herumgestanden hatte und an die er keinerlei Erinnerung mehr hatte, hätte ihm sonstwas zustoßen können. Er hätte nichtmal mitbekommen, wenn er von ein paar Häschern der Motus gefunden und gefangen worden wäre. Das war echt eine üble Schwäche, die er da hatte.

Wie zur Strafe klatschte ihm auch schon der erste Regentropfen mitten auf den Kopf. Der Wind zerrte an seiner 'neuen' Kleidung. Das versprach eine stürmische Nacht zu werden. Er sollte sich schnellstens irgendwo einen Unterschlupf suchen, dachte er. Und obwohl alles in ihm vor Erschöpfung danach schrie, sich endlich zu setzen, spazierte er steifbeinig Richtung des kleinen Dorfes los, in dem wohl die Bauern lebten, denen diese Felder hier draußen gehörten. Er sollte sich auch dringend eine Mütze voll Schlaf gönnen und etwas gegen seinen knurrenden Magen tun, wenn seine Flucht weiterhin erfolgreich sein sollte. Schlimm genug, daß er fast die ganze Nacht auf dem Feld rumgestanden und den Mond angestarrt hatte, statt sich zu erholen. Allerdings wusste er jetzt schon, daß er sowieso nicht würde schlafen können. Er war viel zu paranoid, jeden Moment gefunden zu werden. Die Motus war definitiv hinter ihm her. Das die wussten, daß er noch lebte, und bereits die ganze Gegend nach ihm durchkämmten, wusste er ja schon seit dem Überfall auf Adelinas Haus. Es würde ihn auch sehr wundern, wenn die kein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hätten. Und die Bauern hier draußen in der sibirischen Pampa waren alle bettelarm, keiner von denen würde zögern, ihn gegen ein Kopfgeld zu verraten. Nicht mal vor denen war Victor also sicher.



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