Zum Inhalt der Seite

Die Motus

Magister Magicae 5
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Guess what, ihr Lieben, ich bügel euch jetzt noch ein Kapitel drüber, für heute. ^_^ Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Entfesselung

„... Ich hatte Glück, daß sein Genius Intimus mich nur 'beseitigt' hat, indem er mich dem Sklavenhändler vor die Füße geworfen hat, statt mich direkt umzubringen. Der Chef der Motus hatte mit seinem Befehl, mich los zu werden, sicher anderes im Sinn. Und bestimmt wird es auch nicht lange dauern, bis er merkt, daß ich noch lebe.“, schloss Victor seine Erzählungen.

Adelina seufzte schwer. Der Gedanke, daß die Motus-Häscher ihr ebenfalls an die Gurgel gingen, wenn sie Victor hier fanden, kam ihr durchaus. Sie gehörte selbst zu einer Spezies, die auf der Schwarzen Liste der Motus stand. „Ich würde dich wahnsinnig gern befreien. Aber ich werde dich wohl schwerlich zu einem Bannmagier schleppen können, und ihn bitten können, deine Bannmarke wieder zu lösen, damit du frei bist. Mit den blöden Fragen, die dabei aufkommen, werden wir nicht umgehen können. Kann man so eine Bannmarke auch mechanisch zerstören? Ohne Magie? Indem man das Muster unterbricht, oder sowas in der Art? Ich meine, wenn das Muster durch eine Verletzung beschädigt werden würde ... durch einen Messerschnitt beispielsweise ...“

„Kommt auf das Muster an. Es gibt ein paar, bei denen das möglich ist.“

„Hast du Ahnung davon?“

„Ja. Ich bin selbst Bannmagier.“

Adelina lächelte begeistert und wuselte los, um ihren Schrank zu durchwühlen. Sie holte nach einigem Suchen eine alte Sofortbild-Kamera hervor. „Zeig es mir mal.“

Einverstanden drehte Victor ihr seinen Rücken zu und zog seinen Pullover hoch.

„Die Bildrohlinge da drin sind uralt, ich hoffe sie funktionieren noch.“ Sie machte ein Foto von seinem Rücken und wartete, bis es fertig entwickelt war. Das dauerte immer 1 – 2 Minuten. Das Muster war erstaunlich gut zu erkennen. Leider sehr klein, natürlich. Aber man konnte jede Linie deutlich unterscheiden. „Hier.“, meinte sie, nachdem sie es eine ganze Weile ergebnislos studiert hatte, und hielt es ihm hin. Sie selber hatte ja keinen Schimmer davon. Für sie waren das böhmische Dörfer. Hätte auch ein Mandala von einem Künstler sein können.

Victor musterte das Foto nachdenklich. Im Gegensatz zu ihr konnte er in den Linien lesen wie ein Geograph in einer Landkarte. „Hm. Das wird aufwändig. Aber nicht unmöglich. Das ist eines dieser Siegel, die man per Hand brechen kann.“, urteilte er mit einer Emotionslosigkeit, die ihm selber Sorgen machte. Die Chance auf Freiheit, eine Komplizin die ihm zur Flucht verhelfen wollte, das hätte ihn eigentlich in helle Aufregung und Euphorie versetzen müssen. Aber er empfand recht wenig dabei. Ob das auch an diesem verfluchten Bannsiegel lag, das er auf dem Rücken hatte? „Wieviele Fotos hast du noch in der Kamera?“

„Nicht mehr viele. Zwei oder drei, vielleicht.“

„Das Muster wird sich verändern. Wenn du eine Linie mit einem Messerschnitt unterbrichst, wird sich ein Umweg oder eine Überbrückung aufbauen, um den Fortbestand des Zaubers zu gewährleisten. Du musst mir zeigen, wie die Bannmarke danach aussieht, damit ich dir die nächste Stelle zeigen kann, die unterbrochen werden muss.“

„Ist das so kompliziert? Ich hatte gehofft, einmal grob mit dem Messer quer drüber würde reichen. Ich hatte eigentlich nicht vor, dich recht viel und lange zu quälen.“

„Nein, das bringt keine Punkte. Wenn du nicht die richtigen Linien an der richtigen Stelle erwischst, bauen sich sofort Überbrückungen auf.“
 

Adelina schaute im Kerzenlicht nochmal prüfend auf das Blatt Papier, auf dem Victor die Bannmarke in Übergröße abgezeichnet und die Bruchstellen markiert hatte. Elektrisches Licht hatte sich hier draußen, weit abseits der Zivilisation, noch nicht durchgesetzt. Ein paar der Familien hier hatten lediglich Benzinmotoren als Stromgeneratoren, aber so reich war Adelina nicht. Dann holte sie Luft und legte los. Setzte die Klinge auf seinem Rücken an. Aber sie zuckte erschrocken zurück, als sie mit dem Messer nur ganz leicht seine Haut anritzte und er sofort einen lauten, gequälten Aufschrei ausstieß.

Victor rang ein paar Sekunden um Atem, bis er sich wieder eingekriegt hatte, und verbarg das Gesicht in der Armbeuge. Er lag ja sowieso gerade vornübergebeugt auf der Tischplatte, damit Adelina gut an ihn herankam. „Woar! Alter! Aua!“, jammerte er dann theatralisch.

„Ist alles okay?“, wollte die junge Frau schockiert wissen. „So heftig wehtun wollte ich dir ja eigentlich nicht.“

„Nein, schon in Ordnung. Eine magische Bannmarke per Hand zu lösen, tut wirklich so weh. Das ist mehr als eine oberflächliche Hautverletzung. Da sind noch ganz andere Gewalten im Spiel. Darauf hätte ich gefasst sein sollen. Mein Fehler.“, gestand er und versuchte sich wieder zu entspannen. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Das kann ja heiter werden ...“, murmelte sie und versuchte sich zum Weitermachen zu zwingen, trotz der offensichtlichen Folter, die sie ihm damit zufügte. Sie redete sich ein, daß es ja nur zehn Schnitte waren. Auf jeder Seite des symmetrisch aufgebauten Musters fünf. Danach würde sie ohnehin ein neues Foto machen und ihm zeigen müssen, wie sich die Bannmarke inzwischen verändert hatte. Das schafften sie schon. Sie setzte den nächsten, kurzen Schnitt in das Muster – diesmal nahm er es etwas gefasster hin – und beobachtete irritiert, wie ein paar der blauen Linien auf seinem Rücken zu verrutschen begannen. Wie ein Tattoo, das lebte und sich bewegte. Echt gruselig. Sie wartete, bis das Bannsiegel wieder zur Ruhe gekommen war und nahm dann Maß für den nächsten Schnitt. Victor wand sich dermaßen qualvoll unter der Tortur, daß sie nach dem sechsten Schnitt aufgab. Er war kaum noch in der Lage, so still zu halten, daß sie überhaupt präzise genug an ihm hätte herumpfuschen können, selbst wenn sie gewollt hätte. „Okay, das reicht für heute. Du hast genug.“, entschied Adelina, pappte ein Taschentuch auf seine zerschnittene Bannmarke und klebte es mit Pflaster fest, damit der notdürftige Wundverband nicht wieder abfiel. Victor brach förmlich auf der Tischplatte zusammen, sofern man das so nennen konnte. Aber das schlagartige Entweichen sämtlicher Körperspannung hatte schon arg was von Zusammenbrechen. Nur ein leichtes Zittern blieb nach der krampfhaften Anspannung nun zurück.
 

Adelina zog ihn sanft von der Tischplatte hoch. „Komm, es ist schon spät, lass uns schlafen gehen.“, schlug sie vor und führte ihn an der Hand hinüber zum Bett. In ihrer kleinen, undichten Bretterhütte hatte sie nur das eine Bett und musste es sich jetzt zwangsläufig mit Victor teilen, wenn sie ihn nicht auf dem blanken Boden schlafen lassen wollte. Und das wollte sie nicht, auch wenn es verflucht eng war. Sie drückte ihn rücklings auf die Matratze und kletterte auf ihn. Mit einem überlegenen Lächeln beugte sie sich herunter und hauchte einen Kuss auf seine Halsseite, während sie mit rechts sein Handgelenk festhielt, um etwaige Gegenwehr zu unterbinden, und mit der linken verführerisch über seine Brust und seinen Bauch abwärts strich. Dann sah sie ihm aufmerksam ins Gesicht. Er wand sich zwar ein wenig unbehaglich, wehrte sich aber nicht. Er konnte es nicht. Nur ihrem Blick hielt er nicht mehr stand. Das war so ein interessantes Gefühl. Dieser Genius hier war mächtig. Victor Dragomir Raspochenko Akomowarov war ihr ein Begriff, schon vorher. Er besaß gewaltige Fähigkeiten. Er war nicht grundlos zur rechten Hand des Motus-Bosses geworden. Es hatte durchaus seinen Reiz, jemand so Mächtigen kontrollieren zu können. Aber sie verwarf den Gedanken mit einem Lächeln wieder. „Tut mir leid. Du wirst gerade mit einem starken Gehorsamszwang gefügig gemacht, das habe ich nicht bedacht. Ich will dir nicht zu nahe treten.“ Sie pustete mittels eines magischen Luftstoßes die Kerzen auf dem Tisch aus, legte sich neben ihm nieder und kuschelte sich an. Nicht ohne aberwitzig eine Hand unter seinen Pullover zu schieben und seine nackte Haut zu befingern. „Merkst du schon eine Veränderung? Lässt der Bann nach?“

„Ein wenig. Ich spüre Kräfte durchsickern, die ich nicht haben sollte, wenn der Bann richtig wirken würde. Aber frei bin ich noch lange nicht.“

„Das kriegen wir noch hin. Schlaf gut. ... Dragomir.“
 

Victor zog etwas widerwillig die Haustür auf, als es ein paar Tage später klopfte. Er hatte schon durch das Fenster gesehen, wer da gekommen war. „Hey, altes Mütterchen, was führt dich denn wieder hier her?“

„Ich will immer noch wissen, wo mein Sohn ist!“, brachte sie es gleich auf den Punkt, ohne umschweifende Begrüßung.

„Ach Großmutter, ich hab dir doch gesagt, daß ich dir nicht helfen kann.“, seufzte er.

„Ich habe mehr Geld dabei.“, meinte sie enthusiastisch. Sie war eine Bekannte von Adelina und hatte irgendwie spitz gekriegt, daß Victor ein bisschen was über die Motus wusste. Die Motus hatte ihren Sohn als Sklaven weggeschleppt – in diesem Gebiet hier waren die Verbrecher sehr fleißig gewesen – und sie hatte gehofft, Victor könnte ihr sagen, ob ihr Sohn noch lebte und wo er war. Mit ihr hatte er das besagte Haustürgeschäft gemacht, über das er Adelina neulich nichts näheres erzählen wollte. Geld gegen Informationen. Allerdings hatte er da auch noch nicht geahnt, daß Adelina über seine Motus-Vergangenheit bereits bestens im Bilde war. „Wenn ich dir mehr Geld gebe, kannst du es mir dann sagen?“, bat sie hoffnungsvoll.

„Bitte, behalt dein Geld. Darum geht es nicht. Ich weiß wirklich nicht mehr als das, was ich dir schon gesagt habe. Die Motus hat Ovinniks wie euch in der Regel nach Polen gebracht. Dort wird auch dein Sohn sein. Mehr weiß ich wirklich nicht. Der Sklavenhandel lag nicht in meinem Aufgabenbereich.“

„Aber du kennst doch bestimmt jemanden, der es weiß!“, bohrte die alte Frau weiter und hielt ihm, wie schon letztes Mal, das Foto ihres vermissten Kindes vor wie einen Durchsuchungsbefehl, um seiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen.

„Wenn dir dein Leben und deine Freiheit was wert sind, dann läufst du besser keinem von denen vor die Nase.“, entgegnete Victor mild und um Vernunft bittend. „Die Polizei ist gerade dabei, die Motus systematisch auszuheben. Gib ihnen noch etwas Zeit, sicher finden sie deinen Sohn sowieso bald, okay?“, versuchte er sie zu beruhigen.

Das alte Mütterchen zog ein trauriges Gesicht, gab sich aber geschlagen. „Nagut. Aber bitte denk nochmal darüber nach. Wenn dir noch irgendwas einfällt, dann sag es mir, ja? Versprich mir das!“

„Natürlich, versprochen.“, lächelte Victor versöhnlich.

Sie nickte und trabte dann mit einer knappen Verabschiedung und hängendem Kopf davon. Sie bot einen wirklich mitleiderregenden Anblick.

Victor schloss die Tür wieder und verfolgte vom Fenster aus, ob sie auch wirklich verschwand. Letztes Mal hatte sie sich noch fast eine halbe Stunde lang voller Verzweiflung vor Adelinas Haus herumgetrieben. Seine Augen weiteten sich entsetzt, als er einen Blick die Straße hinunter warf und draußen die beiden Schläger sah, die gerade Haus für Haus absuchten. Er erkannte sie auf der Stelle. Handlanger der Motus. Einer spähte gerade durch ein Fenster ins gegenüber liegende Haus hinein und schirmte links und rechts mit seinen Händen die Augen ab, um etwas zu erkennen. Erfolglos. Dann kamen sie herüber. Victor sah sich hektisch in der Hütte um. Eingeschossig. Nur ein Raum. Nur eine Tür nach draußen. Wo sollte er hin? Die würden ihn sofort finden, wenn sie auch nur durch´s Fenster sahen. Gedankenschnell hechtete er zur Tür und presste sich mit dem Rücken dagegen. Der einzige tote Winkel zu den beiden Fenstern links und rechts, sofern man Glück hatte und den Bauch einzog. Da bemerkte er auch schon den Schatten, als der erste der beiden Schläger sein Gesicht gegen die Fensterscheibe drückte. Blind angelte Victor nach dem Riegel neben seiner Hüfte und schob ihn vor, um die Tür zu verbarrikadieren. Keine Sekunde zu früh. In diesem Moment rüttelte der andere Motus-Schläger bereits prüfend an der Tür.

„Hier ist er nicht.“, hörte er die raue Stimme durch die Brettertür hindurch.

„Nein, da ist keiner drin.“

„Scheiße.“

Die beiden zogen hörbar weiter zum nächsten Haus.

Victor sackte beim erleichterten Durchatmen beinahe in sich zusammen. Das war knapp gewesen. Ein paar Augenblicke herrschte Ruhe. Dann ließ ihm ein erneutes Rucken an der Tür beinahe das Herz stillstehen. Dem vergeblichen Rütteln folgte ein Klopfen. „Hey, ich bin´s, mach mir auf.“

Victor erkannte Adelinas Stimme und öffnete ihr, noch immer hyperventilierend.

„Gott, bin ich froh, daß du okay bist. Die beiden Kerle suchen dich. Ich hab sie schon drüben von der anderen Straßenseite aus gesehen.“, begrüßte sie ihn und fiel ihm dabei fast um den Hals.

„Ja, ich weiß.“

„Die laufen mit einem Foto von dir durch die Gegend und fragen die Passanten, ob sie dich irgendwo gesehen haben.“

„Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie mich hier finden.“, bemerkte Victor nüchtern.

Adelina ließ an beiden Fenstern die schweren Vorhänge herunter. „Lass mich die Arbeit an deiner Bannmarke beenden, bevor sie zurückkommen.“, entschied sie, zündete ein paar Kerzen an, um wieder etwas zu sehen, und griff nach dem Messer und der abgezeichneten Vorlage des Bannsiegels mit den markierten Unterbrechungen. Es war bereits die dritte, nach erfolgten Änderungen neu abgezeichnete Skizze.

„Adelina, warum tust du das?“

„Was?“

„Mich befreien! Du bist des Todes, wenn die falschen Leute davon erfahren!“

„Ich weiß. Zieh den Pullover hoch, Dragomir.“, unterband sie weitere Diskussionen.

„Und warum nennst du mich neuerdings immer 'Dragomir'?“, hakte er nach, während er ihrer Aufforderung nachkam.

„Weil ich dein Freund bin. Ich will dich nicht 'Victor' nennen, so wie all deine Feinde es tun. Bitte pass auf dich, hörst du? Sieh zu, daß sie dich nicht wieder einfangen. Lass dich niemals unterkriegen, versprich mir das!“, bat sie und setzte den ersten Schnitt, um eine der Linien der Bannmarke zu unterbrechen.

Victor war zu beschäftigt damit, einen Schmerzschrei zu unterdrücken, um zu antworten.



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück