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Die Motus

Magister Magicae 5
von

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Adelina

Die junge Frau mit den dunkelbraunen Haaren blieb kurz stehen, um ihren Einkaufskorb zurecht zu rücken, der ihr, obwohl er nur halbvoll war, unangenehm in die Seite drückte. Sie musste das schwere Ding kurz absetzen. Und sie wollte ihre Jacke fester zuziehen, weil es kalt war. Hier in den ländlichen Gegenden von Sibirien war es immer schweinekalt. Der Winter war die Jahreszeit, die gut dreiviertel des Jahres dominierte. Dabei blieb ihr Blick an einem Gitterwagen hängen, der wohl am Wegesrand liegengeblieben war. Der Besitzer versuchte gerade einen platten Reifen zu wechseln. Adelina kannte diese Käfige auf Rädern. Das war ein Sklaventransport. Das waren eindeutig Häscher der Motus. Nur die Motus betrieb Sklavenmärkte. Illegal, verstand sich. Wer es nicht wusste, konnte diese Dinger nicht von Polizeiwagen unterscheiden. Aber Adelina wusste es. Sie war das, was die Menschen eine 'Baba' nannten. Zwar keine Baba Jaga, was die mit Abstand bekannteste Sorte der Babas war, aber dennoch war sie eine Baba. Übersetzt hieß das soviel wie 'altes Weib', darum bevorzugte Adelina eigentlich andere Bezeichnungen für ihre Spezies. Aber wie auch immer, sie und ihresgleichen standen auf der 'schwarzen Liste' der Motus. Die Motus hatte schon ihren Mann, einen Chlop, auf dem Gewissen. Chlops waren die männlichen Vertreter ihrer Art. Chlops und Babas hatten zwar von natur aus schon ein menschliches Erscheinungsbild, wenn auch kein sehr schmeichelhaftes, aber dennoch war es ihnen möglich, eine etwas wohlgefälligere Tarngestalt anzunehmen, um nicht mehr wie alte Kräuterhexen auszusehen. Seit sie ihren Mann durch die Motus verloren hatte und sich deshalb bestens mit diesen Verbrechern auskannte, hatte sie keinen Tag mehr verbracht, ohne ihre Tarngestalt einer jungen Frau mit dunkelbraunen Haaren aufrecht zu erhalten. Es kursierten aktuell wilde Gerüchte, daß die Motus aufgeflogen war. Der stellvertretende Boss von diesem Haufen hatte das gesamte Kartell an die Staatlichen verraten. Es herrschte gerade Kampf und Chaos. Die Polizei hob Tag für Tag neue Nester dieser Organisation aus und überall rollten Köpfe. Landesweit, nein sogar international, hieß es. Adelina fand das gut.

Obwohl alles in ihr danach schrie, ihren Korb zu schnappen und schleunigst das Weite zu suchen, schaute sie sich den Mann im Gitterwagen genauer an. Seiner Körperhaltung sah man an, daß auch er erbärmlichst fror. Er trug eine dreckige, schwarze Jeans, ein zerwetztes, schwarzes T-Shirt, hatte verwilderte, schwarze Haare, den typischen, leeren Blick, den alle Sklaven hatten, und eindeutig blutig geschlagene Stellen im Gesicht und auf den Armen. Gut behandelt worden war der nicht. Dabei gingen die Sklavenhändler sonst nicht unnötig grob mit ihrer Ware um. Um so weniger Geld brachten die Sklaven ihnen schließlich ein. Aber trotz des geschwollenen Gesichts kam er ihr irgendwie bekannt vor. Wenn sie nur wüsste, woher.

„He, du da!“, blaffte jemand von der Seite.

Adelinas Herz setzte einen Schlag lang aus. Sie war entdeckt worden. Hatte der Motus-Häscher sie trotz ihrer Tarngestalt als das erkannt, was sie war? War sie jetzt selbst dran? Mit schreckgeweiteten Augen drehte sie sich um.

„Interessierst du dich für den?“, wollte ein zweiter wissen, der unvermittelt dazugekommen war. Der Genius Intimus des Sklavenhändlers, welcher inzwischen mit dem Wechsel seines Reifens zum Ende kam. Der Genius war gerade hinter dem Wagen hervorgekommen und hatte Adelina so gebannt in den Käfig starrend bemerkt.

Adelina bemühte sich, ihre Atmung wieder in den Griff zu kriegen, sich möglichst unverdächtig zu benehmen und wandte den Blick wieder auf den Gefangenen. „Schon möglich, ja.“, blöffte sie. Himmel, hatte sie überhaupt genug Geld für einen Sklaven, selbst wenn sie gewillt gewesen wäre, diesen armen Teufel aus Mitleid freizukaufen? Seit ihr Mann fort war und sie allein über die Runden kommen musste, sah es bei ihr immer ziemlich knapp aus. „Was genau ist er denn?“

Der Sklavenhändler gesellte sich, das Radkreuz noch in der Hand, dazu und schaute ebenfalls nachdenklich in den Käfig. „Mh, er ist ein Gestaltwandler, er wechselt immer mal zwischen Greif, Wolf und Faun. Kannst dir aussuchen, was davon seine wahre Gestalt ist. Ich kann´s dir nicht sagen.“

Sie nickte verstehend vor sich hin, ohne den Blick von dem schwarzhaarigen Kerlchen zu lassen, und überlegte. „Spricht er wenigstens Russisch?“

„Keine Ahnung. Ich hab ihn noch nicht sprechen hören. Befehle auf Russisch scheint er jedenfalls zu verstehen.“

Adelina sah ihn vielsagend an. Was war das denn bitte für ein Verkäufer?

„Ich hab ihn selber noch nicht lange, weißt du?“, verteidigte sich der Sklavenhändler. Er schien ziemlich genervt von seiner Ware.

„Was willst du denn für ihn haben, in diesem Zustand, in dem er ist?“

Der Händler brummte. „Mh, gib mir 12'000 Rubel* für den Mann, damit ich ihn los bin.“ [* = ca. 200 Euro, in Russland fast ein Monatseinkommen]

Adelina zog ein unschlüssiges Gesicht. Das war für einen Sklaven echt ein Spottpreis, aber für ihre knappe Haushaltskasse dennoch eine katastrophale Summe.

„Ist dir das etwa immer noch zu teuer?“, grummelte der Händler missgestimmt.

„Nein-nein, schon okay. Das ist ein guter Preis. Ich hab nur gerade nicht so viel bei mir. Ich komme zwar gerade vom Markt und habe gut verkauft, aber ich habe nur 10'000 Rubel eingenommen. Den Rest müsste ich erst holen ...“

„Pfeif drauf. Dann gib mir die 10'000 und nimm ihn mit.“

Adelina verengte skeptisch die Augen. Machten die Jungs gerade Ausverkauf und versuchten alles so schnell wie möglich abzustoßen, bevor die Polizei es fand? „Hat es einen Grund, daß du ihn so dringend loswerden willst?“

„Nein. Aber guck ihn dir doch mal an! Den will doch keiner. Selbst wenn er nicht so runtergekommen wäre, taugt der schmächtige laufende Meter nicht zur körperlichen Arbeit. Der hat keinen Mumm in den Knochen. Auf dem Sklavenmarkt wollten sie ihn nicht. Wenn du ihn jetzt nicht nimmst, werd ich ihn nie mehr los.“

Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. „Also sind wir im Geschäft.“, stellte sie fest, in dem vollen Bewusstsein, daß sie hier gerade illegal eine Verbrecherorganisation unterstützte. Eben jene, die ihren Mann auf dem Gewissen hatte. Sie ahnte schon, daß man den armen Tropf wohl umlegen würde, wenn sich nicht bald jemand fand, der ihn endlich kaufte. Oh man, auf was ließ sie sich hier gerade ein?

„Gut, dann komm her.“, trug der Sklavenhändler ihr auf und ging voraus, um den Gitterwagen aufzuschließen. Als er in den Käfig griff und den jungen Mann grob an einem Arm heraus zerrte, begann der unter Protestgeheule zu strampeln und sich zu wehren, auch wenn es etwas halbherzig und kraftlos wirkte. Sicher lag ein Bann auf ihm, der ihn gefügig machte. Alle Sklaven wurden mit mehr oder weniger starken Bannmarken unter Kontrolle gehalten, damit sie sich nicht gar zu sehr auflehnten. „Halt still, du Plage, wenn dir dein Leben lieb ist!“, zischte der Händler sauer und rang den Sklaven radikal zu Boden, wo er ihn bäuchlings fixierte und unter sich fest hielt. Er drehte dem Jungen auch noch einen Arm auf den Rücken, damit das Gezappel endlich aufhörte. Sein Genius Intimus kam hinzu und half ihm dabei.

Adelina sah sich erschrocken nach anderen Passanten um. Sie hatte nicht gedacht, daß die Sklavenhändler der Motus ihre grausamen Geschäfte mitten auf offener Straße vor Zeugen machten. Nun, sie waren gerade alleine. In dieser kleinen Nebenstraße war außer ihnen keiner. Aber trotzdem bestand das Risiko, daß jederzeit jemand hier auftauchte. Verließen die sich etwa so sehr darauf, daß ihre Gitterwagen den Polizeitransportern zum Verwechseln ähnlich sahen und dadurch keinen Verdacht auf Gesetzeswidrigkeiten erregten?

Der Sklavenhändler hatte derweile das T-Shirt seines Gefangenen nach oben gezogen, um den Rücken freizulegen. Zwischen seinen Schulterblättern kam wie erwartet eine Bannmarke zum Vorschein. Dieser Gehorsamszwang-Zauber, der dort verankert worden war, verhinderte eine unerlaubte Verwandlung, Flucht, Auflehnung gegen den Herrn und größer angelegte Befehlsverweigerungen. Der Händler, der offensichtlich ein Bannmagier war, machte sich an der Bannmarke zu schaffen und veränderte Teile davon. Das komplexe, verworrene Schlangenlinien-Muster auf dem Rücken des Jungen verschob sich teilweise. Es schien schmerzhaft zu sein, denn der Gefangene jaulte mehrfach leise auf und wand sind. „Komm her!“, trug er Adelina dann auf, als er fertig war. „Leg deine Hand hier drauf.“

„Wozu?“, wollte die junge Frau mit den dunkelbraunen Haaren nervös wissen und kam zögerlich näher. Sie hatte irgendwie Angst, ihre Hand auf die bannmarken-gezeichnete Haut des Jungen zu drücken.

„Ich hab die Marke so verändert, daß er dir gehorcht. Ist ja jetzt dein Sklave.“

Nickend und vorsichtig, beinahe beruhigend, legte sie also ihre Hand auf seinen Rücken. Sie kam nicht umhin, zu bemerken, daß auch sein Rumpf ziemlich malträtiert und grün und blau geschlagen aussah. Der Gefangene gab erneut einen gepressten Laut von sich, als hätte man ihm heißes Metall auf den Körper gedrückt, und lehnte sich schmerzlich gegen den rüden Haltegriff auf. Wenn auch erfolglos. Die Bannmarke glühte kurz in einem dumpfen Rot auf, dann nahm sie wieder ihre alte, tätowierungsartige Erscheinung an. Damit war´s dann wohl besiegelt. Adelina hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, auch wenn sie schon sehr konkrete Vorstellungen davon hatte, wie sie künftig mit ihrem 'Sklaven' umspringen würde. „Wie spreche ich ihn denn an?“, wollte sie wissen.

„Nikolai Grigorijewitsch Medwedew ist sein Name.“

Adelina nickte und wiederholte den Namen ein paar Mal in Gedanken, um ihn sich zu merken. An sich kein schwerer Name. Unbeholfen hielt sie dem Händler ihren Geldbeutel hin. Da drin war alles, was sie besaß. Jetzt war sie pleite und bettelarm. Aber sie war sich sicher, daß es sich noch lohnen würde. Sie fragte nicht nach irgendwelchen Papieren oder Registrierungen oder anderen Identifikationsnachweisen. Sie war sich ziemlich sicher, daß ihr neuer Hausdiener keine mehr besaß. Und sie bekam vom Händler auch keine ausgehändigt.

Der Motus-Ganove nahm das Geld dankend an, wünschte noch einen schönen Tag und sah dann zu, daß er ohne Eile seiner Wege ging. Sein Auto war ja repariert. Abgesehen davon hielten er und sein Genius sich nicht mehr lange mit Verabschiedungen oder Erklärungen auf. Er war nur froh, den nutzlosen Hämpfling los zu sein.

Adelina sah ihm nach. Sie blieb allein mit dem Jungen zurück, der sich langsam wieder in eine sitzende Haltung hochkämpfte.

„Nikolai?“, meinte sie ruhig. Sofort ruckte sein Blick zu ihr hoch. Nun gut, zumindest da hatte der Händler sie nicht angelogen. Der Name, den er ihr genannt hatte, stimmte. Kannte man den wahren Namen eines Genius, konnte man ihn mittels Magie unter Kontrolle halten – zum Beispiel mit diesen elenden Bannmarken – oder ihn sogar komplett ausschalten. Wäre das nicht sein echter Name gewesen, hätte er nicht so reagiert. „Komm, lass uns gehen.“, schlug sie freundlich vor und hielt ihm einladend eine Hand hin, um ihm hoch zu helfen.



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