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Lieben und geliebt werden

von

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Falsche Schwärmerei

Eine Woche nach dem Attentat verstrich und kein Mensch wusste, wer Oscar in jener Nacht überfallen hatte. Sie trug ihren rechten Arm noch in der Schlinge, aber die Stichwunde an ihrem Schulterblatt war schon so gut wie verheilt. André beobachtete sie stets unterschwellig. Aber vielleicht war das auch nicht von Nöten, Oscar merkte davon ja ohnehin nichts. Ihr Blick schweifte immer wieder zu von Fersen, wenn er zu Besuch war und wieder weg von ihm. Sie glaubte, dass es niemandem auffallen würde, aber André sah alles – vor allem was sie betraf.

 

Heute, nachdem Oscar nach ihren Diensten in Versailles Zuhause war, zog sie sich mit einer Flasche Wein in ihr Zimmer zurück und wollte einfach allein sein. Sie schenkte sich selbst ein halbvolles Glas ein und während der Wein ihr süßlich durch die Kehle rann, musste sie immer an das vertrauliche Gespräch mit von Fersen denken: Er hatte der Königin offenbart, dass er bald heiraten würde und das hatte Marie Antoinette zutiefst verletzt. Auch Oscar traf es hart und deswegen hatte sie ihn wenig später zur Rede gestellt.

 

Was hätte ich ihr sagen sollen? Dass ich sie liebe?“, war seine aussichtslose und verzweifelte Aussage darauf: „...offenbar vergesst Ihr, dass sie die Frau des Königs von Frankreich ist!“

 

Leise knisterte das Feuer im Kamin und Oscar seufzte schwer. Graf von Fersen und Marie Antoinette taten ihr zutiefst leid. Sie hob wieder das Glas, aber verharrte für einen Augenblick und sah stattdessen gedankenverloren in die dunkelrote Flüssigkeit hinein. Es schien, als würde sie dort ein Bild sehen – ein Bild von Fersens mit Marie Antoinette, gemeinsam in einer tiefen Umarmung.

 

„..was könnten die beiden nur für ein wunderbares Paar abgeben... Wenn es nur ihnen erlaubt wäre, sich zu lieben...“ Oscar leerte das Glas in einem Zug und goss sich den Rest aus der Flasche ein. In ihrem Kopf rauschte es immer mehr und dumpfe Schläge pulsierten immer kräftiger in ihren Schläfen. Ihr Gemüt wurde dabei auch noch trübsinniger. „Was ist nur los mit mir...“, dachte sie währenddessen und trank den Wein in ihrem Glas leer. Ihre Gedanken tanzten bereits taktvoll zu den Schlägen in ihren Schläfen. Noch nie war sie von dem Wein so beschwipst gewesen wie heute. Eigentlich vertrug sie das gut, aber anscheinend nicht diesmal. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie noch nie eine ganze Flasche an einem Abend und beinahe in einem Zug ausgetrunken hatte. Oscar stellte schwer seufzend das Glas auf dem Tisch ab, stand vom Stuhl auf und warf sich rücklings auf ihr Bett. So viel trinken löschte deswegen nicht ihre weichen Gefühle aus... Oscar schloss ihre schweren Augenlider. Wenigstens betäubte der Wein den Schmerz in ihrem Schulterblatt... Nicht lange und sie war eingeschlafen – mit schwermütigen Gedanken und plagenden Gefühlen.

 

 

 

- - -

 

 

 

André sattelte die Pferde ab, versorgte sie mit frischem Heu und Wasser, und verließ dann den Stall. Das war eine gewöhnliche Arbeit für ihn seit er denken konnte. Vor fast zwanzig Jahren und nach dem Tod seiner Eltern hatte ihn seine Großmutter aus Paris geholt. So kam er als Waisenkind in das Adelshaus der de Jarjayes und lernte Oscar kennen. Auf Geheiß des Generals, Oscars Vater, sollte er ihr Gefechtpartner werden und auf sie Acht geben. Am Anfang war André davon nicht gerade begeistert gewesen, weil Oscar sich als Mädchen zu sehr und zu dreist als Knabe aufführte. Aber sie besaß auch ein gutes Herz, auch wenn sie das nicht zeigte, und hatte ihm oft aus Schwierigkeiten geholfen. Vielleicht war es genau das, was seine Sympathie zu ihr mit den Jahren wachsen ließ. Aus Sympathie wurde eine langjährige Freundschaft, auch wenn Oscar alles wie selbstverständlich annahm und er nur ein Diener, Stallbursche und ihr persönlicher Gardist war. Doch zugegeben, der Standesunterschied war weder ihm noch ihr von Bedeutung.

 

André betrat das Hauptgebäude des Anwesens und machte in der Küche Halt. Er bereitete sich eine Schüssel mit Wasser und wusch sich die Hände. Dabei beachtete er nicht, was seine Großmutter machte – zu sehr war er in Gedanken bei Oscar vertieft: Nach dem Gespräch mit dem Grafen von Fersen unter vier Augen war sie sehr niedergeschlagen und auch auf dem ganzen Heimweg war sie nicht gerade unterhaltsam gewesen.

 

André trocknete seine Hände ab, räumte alles weg und wollte nur noch auf sein Zimmer. Er wollte den heutigen Tag einfach vergessen – auch wenn er genau wusste, dass es unmöglich war.

 

„André, mein Junge, sei bitte so gut und räum den Wein aus Lady Oscars Zimmer, bevor du schlafen gehst.“, bat ihn Sophie unerwartet, als er die Küche verließ.

 

Dieser Bitte nachzugehen widerstrebte ihm sehr. „In Ordnung, Großmutter.“ Ihm blieb ja keine andere Wahl, wenn er seine Gefühle sich nicht anmerken lassen wollte. Und ganz besonderes nicht vor seiner Großmutter.

 

 

 

Zwei Mal klopfte André an der Tür, aber von Innen kam kein Geräusch, kein Ton. Vorsichtig lehnte er ein Ohr an das polierte Ebenholz, aber auch da hörte er nichts. So, als wären die Räume hinter der Tür leer. Nein. Oscar müsste sich dort drinnen befinden. Seine Hand drehte schon den Türknauf und zog sie daran langsam zu sich, bevor er selbst leise Oscars Gemächer betrat. „Oscar, ich bin es...“ Seine Stimme verlor sich in dem leeren Salon. Oscar war nicht da. Das Mobiliar, der Tisch mit Stühlen und das Klavier standen unberührt an Ort und Stelle. Von Oscar jedoch keine Spur. Aber sie müsste da sein, ihre Gegenwart spürte André nur zu deutlich – mit allen Sinnen seines Körpers.

 

Beinahe auf Zehenspitzen setzte er seine Füße in Bewegung, durchquerte den Salon und blieb an der Bogenöffnung ihres Schlafzimmers stehen. Seine feine Wahrnehmung hatte ihn nicht getäuscht: Oscar befand sich dort. Sie lag quer über ihrem Bett – ihr linker Arm lag ausgebreitet neben ihrem Kopf und der rechte in der Schlinge ruhte auf ihrer Mitte. Neben dem Bett stand der kleine Tisch und ein zur Seite geschobener Stuhl. Auf dem Tisch erblickte André die geleerte Weinflasche und das Glas. Er seufzte. Die Sache mit von Fersen musste sie sehr schwer getroffen haben, sodass sie Oscar dazu bewog, so viel auf einmal zu trinken, dachte er sich.

 

„Oscar?“ Auf leisen Sohlen ging André auf das Bett zu. „Oscar?“ Er bekam von ihr keine Antwort. Nur ein leises Schnaufen verriet ihm, dass sie schlief. Er trat näher und vorsichtig an sie heran. Ihre Wangen waren von der getrunkener Menge des Weines leicht gerötet, die blonden Locken umrahmten ihr Antlitz von den Schläfen bis zum spitzen Kinn und ihr zartgliedriger Körper schien entspannt zu sein.

 

André wagte nicht, sie zu wecken. Sie sah einfach zu schön und friedlich aus. Wie ein Engel. Oder wie ein heller Stern, den man niemals erreichen konnte, obwohl das Ziel sehr nahe zu sein schien... Oder auch wie die Morgensonne, die am östlichen Horizont empor stieg und mit ihren ersten Strahlen den dunkelblauen Nachthimmel in Purpurfarben umhüllte...

 

„Ach, Oscar...“ André seufzte kaum merklich in die bedrückende Stille. Von einem innerlichen Impuls angetrieben, kniete er vor ihr und zog ihr ganz vorsichtig die Stiefeln aus. Noch vorsichtiger streifte er mit seinen Finger an ihrem Bein hoch bis zu ihrer Kniekehle und eine gewisse Hitze breitete sich in seinem Inneren aus. Er fühlte den Stoff des Strumpfes und der Hose mit seinen Fingern und hörte dann gleich abrupt auf. Sein Blick schweifte über Oscar, bis zu ihrem Gesicht.

 

Oscar regte sich nicht. Durch ihren Rausch bekam sie seine Tat nicht einmal mit. André stand auf, schob behutsam seine Arme unter ihren Körper und legte sie gleich darauf sachte in die richtige Position auf das Bett zurück. Sie wog nicht viel und am liebsten hätte er sie gerne noch länger in seinen Armen gehalten...

 

Auch da wachte Oscar nicht auf und bewegte sich auch nicht. André deckte sie fürsorglich mit einer Decke zu und betrachtete sie eine Weile ganz still. Der Kragen ihres Hemdes war etwas verrutscht und entblößte ihr Schlüsselbein. Durch den schwachen Schein des Kaminfeuers wirkte ihre Haut nicht so hell wie bei Tageslicht. Und dennoch weckte dieser Anblick in ihm - eine Sehnsucht nach etwas, was Oscar jedoch niemals erwidern würde...

 

Warum musste sie sich unbedingt in von Fersen verlieben?! Dessen Herz würde sie doch niemals erreichen können, weil es der Königin gehörte! „Ach, Oscar...“, wiederholte André in Gedanken und beugte sich über seine tief und fest schlafende Freundin. Er spürte ihren regelmäßigen, leichten Atem auf seiner Haut und es kribbelte ihm etwas an seinen Wangen. Ein Wunschdenken vereinnahmte ihn und blendete alles um ihn herum aus. Wenn sie ihm schon niemals seine Liebe erwidern würde, dann wenigstens würde er... Nur ein einziges Mal... Oscar würde es ja ohnehin nicht bemerken... So wie sie nichts von seinen Gefühlen zu ihr bisher bemerkt hatte... Und ein Mal ist gleichzeitig auch kein Mal...

 

Hauchzart berührte er ihre Lippen mit den seinen. Sie schmeckten süß - wie der Wein, den sie getrunken hatte. So lieblich und betörend, so mild und verführerisch... Ihre Wangenknochen überzog einen rötlichen Teint und in ihrem Augenwinkel auf ihren weichen Wimpern glitzerte eine einsame, starre Träne. Auch seine Wangen glühten – aus Scham und unterdrückten Gefühlen. Er kam sich wie ein gemeiner Dieb vor und nahm sich das, was ihm eigentlich nicht zustand. Oscar wäre ihm in dem Falle wie eine ungeschützte Beute hilflos ausgeliefert und er konnte mit ihr anstellen, was er wollte – auch wenn sie aufwachen und sich zu verteidigen wissen würde. Aber nicht doch mit einem verletzten Arm und im betrunkenen Zustand. So wäre sie schwächer als er und würde schlussendlich nichts gegen seine wahre Manneskraft ausrichten können... Er würde ihr zeigen, was es bedeutete jahrelang, tagein tagaus und unerwidert zu lieben... Andrés Herz schlug ihm immer wilder bis zum Hals, sein Blut rauschte ihm immer heißer durch die Adern und sein Körper verlangte nach noch mehr...

 

Wenn er damit nicht gleich aufhörte, dann würde er sich davon hinreißen lassen und weiter gehen... Damit würde er ganz bestimmt Oscar wecken und sie würde ihm das niemals verzeihen... Sie würde ihn gar womöglich verstoßen und im schlimmsten Fall, würde sie die Freundschaft zwischen ihnen beenden! Und wer würde sie dann vor Gefahren beschützen können? Wer würde dann immer an ihrer Seite sein und sein eigenes Leben für sie riskieren? Niemand! Alle dachten doch nur an ihr eigenes Wohl und bauten viel zu sehr auf Oscar! Vor allem ihr Vater und die Königin!

 

André entfernte hastig, aber auch bedauernd, seine Lippen von den ihren und richtete sich auf. Nein, er würde niemals zulassen, dass ihr etwas zustoßen würde! Obwohl Oscar unerschrocken und so mutig war, dass sie selbst keine Gefahren fürchtete, doch er würde trotzdem immer an ihrer Seite sein! Auf Gedeih und Verderben würde er ihr überall beistehen, auch wenn es hieß, dass er deswegen auf ihre Liebe verzichten musste! Er ballte seine Hände zu Fäusten und presste seine Lippen aufeinander zu einem Strich. Es würde schon gehen! So wie es immer zwischen ihnen war, so würde es auch weiterhin so sein! Er würde Oscar nie im Leben verlassen! Das alles schwor er sich gerade.

 

Ein leises, unerwartetes Rascheln hinter ihm machte ihn aufmerksam und bewog ihn, sich umzudrehen. Eine junge Frau mit blondem Haar, das zu einem Zopf gebunden war und mit stauenden, blauen Augen stand an der Bogenöffnung zu Oscars Schlafzimmer. „Rosalie...“, hauchte André erschrocken. Das hatte noch gerade gefehlt, dass ihn jemand bei etwas Verbotenem ertappt hatte – auch wenn das eine einmalige Sache war.

 

Rosalie kam mit gefalteten Händen vor der Brust auf ihn zu. „André...“, formte ihr Mund, ohne einen richtigen Ton von sich zu geben.

 

„Sag nichts weiter“, war das einzige, was André dazu entfuhr. Innerlich hoffte er, dass Rosalie nichts von dem flüchtigen Kuss gesehen hatte.

 

„Das wusste ich nicht... wie sehr du sie liebst...“ Rosalie blieb direkt vor ihm stehen. Ihre Augen schimmerten feucht – wie immer, wenn es um Oscar ging. Seit Lady Oscar sie, ein aus ärmlichen Verhältnissen stammendes Mädchen, vor ein paar Jahren bei sich aufgenommen hatte und sich um sie kümmerte, war sie ihr für immer und ewig treu ergeben – aus Dankbarkeit für ihr gütiges Herz, welches bei den meisten Adligen eine Seltenheit war. „Ich werde nichts und niemanden über deine Liebe zu Lady Oscar erzählen... Kein Wort...“ Und damit verriet sie André alles: Dass sie ihn gesehen hatte und dass sie auf seiner Seite stand.

 

„Ich danke dir, Rosalie...“ André versuchte ein mattes Lächeln, aber das misslang ihm. Nichtsdestotrotz fühlte er sich etwas leichter. Rosalie war ein ehrliches Mädchen und man konnte ihr vertrauen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  MilchMaedchen
2017-03-27T08:27:17+00:00 27.03.2017 10:27
Entschuldige bitte, dass ich die letzten Kapitel nicht kommentiert habe, aber ich hatte einige private Probleme.

"André wagte nicht, sie zu wecken. Sie sah einfach zu schön und friedlich aus. Wie ein Engel. Oder wie ein heller Stern, den man niemals erreichen konnte, obwohl das Ziel sehr nahe zu sein schien... Oder auch wie die Morgensonne, die am östlichen Horizont empor stieg und mit ihren ersten Strahlen den dunkelblauen Nachthimmel in Purpurfarben umhüllte..." -> Was für ein wunderschöner Vergleich und so poetisch formuliert.

Aber auch sonst ein sehr schönes und auch wenn nicht viel geschehen ist, ein sehr bedeutendes und ereignisreiches Kapitel. Das Rosalie dazu gekommen ist und somit um Andrés Liebe weiß, finde ich sehr schön. Das ist im Manga übrigens auch so.
Antwort von:  Saph_ira
27.03.2017 19:05
Schon okay und es ist auch verständlich. ;-) Ich hoffe es ist alles wieder in Ordnung bei dir und dankeschön für deinen lieben Kommentar. :-)

Von:  YngvartheViking86
2017-03-13T19:58:38+00:00 13.03.2017 20:58
Der arme Andre. Der bringt sich noch in Teufels Küche :O
Zum Glück war es "nur" Rosalie, die ihn gesehen hatte.
Es bleibt spannend :)
LG Chris
Antwort von:  Saph_ira
15.03.2017 21:31
Da gebe ich dir recht, aber vielleicht würde es für ihn doch noch gut enden. ;-)
Dankeschön herzlich und liebe Grüße zurück. :-)
Von:  chrizzly
2017-03-13T19:54:03+00:00 13.03.2017 20:54
Sehr sehr schön. Du machst es mal wieder ziemlich spannend. André und solche Gedanken.... Ist ja was ganz anderes.... Nun er ist ja auch nur ein Mann. Freu mich schon auf die Fortsetzung 😍😍😍😘😘😘😘😘
Antwort von:  Saph_ira
15.03.2017 21:33
Das hast du gut erfasst, auch er ist nur ein Mann. ;-) Vielen lieben Dank für deinen Kommentar. :-*


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