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Sklave der Wüste

von

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Geheime Pfade

Hallo zusammen und ein frohes neues Jahr

 

wir haben das Jahr 2022 erreicht und in diesem Jahr wird diese kleine Geschichte ihr Ende finden. Aber noch haben wir ein paar Kapitel vor uns.

 

Genau deswegen habe ich das nächste Kapitel für euch und wünsche euch viel Spass.

 

 
 

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Geheime Pfade

 

»Prinzessin?« Leicht berührt Jasmin die schlafende Kisara an der Schulter, woraufhin diese sich murrend die Decke über den Kopf zieht.

»Prinzessin, Ihr müsst aufstehen. Es ist Zeit«, spricht Jasmin ungerührt weiter und schlägt die Decke zurück. Als dabei der kleine rote Drache zum Vorschein kommt, kann sie sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn es sie traurig macht, dass ihr Schützling sich nachts immer wieder an diesem einen Erinnerungsstück festhalten muss.

 

Die kühle Morgenluft lässt Kisara frösteln, woraufhin sie die Augen aufschlägt und zu ihrer Dienerin blickt. »Hast du wieder das Fenster aufgemacht?«, murmelt sie verschlafen und lässt Osis unauffällig unter dem Kopfkissen verschwinden. Niemand soll wissen, dass sie mit über sechzehn Jahren noch immer mit einem Stofftier im Arm schläft.

 

»Guten Morgen, Hoheit. Ja, ich habe das Fenster schon geöffnet. Die Luft ist herrlich erfrischend.« Gekonnt ignoriert Jasmin, dass Kisara den Drachen unter dem Kissen versteckt. »Euer Bad habe ich auch schon eingelassen.« Respektvoll tritt Jasmin zurück, als die Prinzessin aus dem Bett steigt.

»Na dann sollte ich wohl ins Bad gehen.« Seufzend zieht sich Kisara das Nachthemd aus und lässt es auf dem Bett liegen. Nackt geht sie barfuss rüber in das Badezimmer. Es ist der einzige Raum, bei dem der Boden mit schwarzem Schiefer ausgelegt ist, der sich unter ihren nackten Füssen angenehm warm anfühlt.

Mit einer Haarspange bindet sie sich den Zopf selbst hoch, ehe sie in die grosse Wanne steigt und sich mit geschlossenen Augen in das nach Rosen duftenden Wasser sinken lässt. Am liebsten würde sie die Zeit anhalten, aber viel zu schnell kommt Jasmin rein und stellt sich hinter ihr an die Wanne. Geschickt löst sie ihr den Zopf und lässt die langen Haare über den Rand hängen. »Bald werdet Ihr sie abschneiden müssen.« Das Bedauern ist trotz des Flüsterns zu hören, woraufhin Kisara die Augen öffnet und so von unten herauf ihre Dienerin beobachtet, wie diese die weissblonden Strähnen nass macht. »Ich weiss.«

Leise seufzt sie auf, als Jasmin nun das nach Honig duftende Shampoo in ihren Haaren verteilt und dabei leicht ihre Kopfhaut massiert. »Kann ich das Frühstück mit dem Pharao nicht ausfallen lassen?« Sie weiss genau, wie die Antwort lautet, aber sie muss es einfach fragen.

 

Bedauernd schüttelt Jasmin den Kopf. »Ich wünschte das wäre möglich.« Vorsichtig lässt sie das warme Wasser über die Haare und Kisaras Kopf fliessen, um das Shampoo aus den schimmernden Strähnen zu spülen.

Als auch die letzte Strähne von dem Schaum befreit ist, dreht sie das Wasser ab und greift nach dem weichen Frotteetuch. Mit massierenden Bewegungen trocknet sie die Haare so weit es geht und wickelt sie dann in ein zweites Handtuch ein, das sie wie einen Turban um Kisaras Kopf schlingt. »So, nun ab aus der Wanne mit Euch. Wir haben nicht mehr viel Zeit.« Auffordernd breitet sie ein riesiges, flauschiges Frotteetuch vor Kisara aus, woraufhin diese tief einatmend aus dem warmen Wasser steigt und die Wanne verlässt. Sofort schlingt Jasmin das Tuch um ihren nassen Körper und trocknet sie sanft ab.

 

Noch immer in das Frotteetuch gewickelt, setzt sich Kisara schliesslich im Ankleidezimmer vor den Schminktisch. Sie betrachtet sich im Spiegel, während Jasmin ihre Haare aus dem Frotteeturban befreit und es vorsichtig durchbürstet. »Was haltet Ihr von einer Hochsteckfrisur?«

Leicht nickt Kisara auf die Frage, um wortlos ihre Zustimmung zu geben, woraufhin ihre Haare in Rekordzeit in einer eleganten Frisur festgesteckt werden.

Sie hasst es, solche Frisuren zu tragen, doch das Hofprotokoll verlangt es so, wenn man mit dem Pharao speist. Kaum sitzt die Frisur, wird sie von Jasmin geschminkt Jasmin. Ihre blauen Augen und die vollen Lippen werden gekonnt unauffällig betont. Aus irgendeinem Grund ist ihre Haut von Natur aus sehr hell, sodass ihr der aufhellende Puder erspart bleibt, den die meisten Frauen am Hofe nutzen, um edler zu wirken.

Im Spiegel beobachtet sie nun, wie Jasmin die bereitgelegten Kleider holt und steht auf. Allein zieht sie sich ihre Unterwäsche an, ehe sie mit der Hilfe ihrer Dienerin sie in das seidene Unterkleid schlüpft, über dem sie zum Schluss das karmesinrote Kleid mit goldenen Aufschlägen an den Ärmeln anzieht. Der Schnitt betont ihre Figur und der Ausschnitt ermöglicht den Blick auf ihr Dekolleté, das nun jedoch zum grössten Teil von einer traditionellen Halskette bedeckt wird.

Nachdem sie auch noch in ihre Sandalen geschlüpft ist, dreht sich Kisara zu einem mannshohen Spiegel um und mustert sich. »Die perfekte Prinzessin«, murmelt sie vor sich hin, als sie die Schultern strafft. Die Halskette liegt schwer auf ihren Schultern und Nacken. Erinnert sie wie eine Fessel daran, was ihr Schicksal ist.

 

»Ihr seht wunderschön aus.« Lächelnd sieht Jasmin ihre Herrin an. »Ich begleite Euch zum Frühstück mit dem Pharao. Kann aber nicht dabei bleiben.«

 

Tief durchatmend wendet sich Kisara um. »Das ist mir bewusst. Mach dir keine Sorgen um mich. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich die Ehre habe, mit dem Pharao ein Mahl einzunehmen.« Bitter lächelt sie ihre alte Dienerin an, als sie an ihr vorbeigeht und das Ankleidezimmer verlässt.

Sofort eilt Jasmin ihr nach. Da sich in den Gemächern auf Wunsch der Prinzessin kein Sklave aufhält, öffnet sie ihr die Tür.

Leicht nickt Kisara ihr zu, als sie ihre Räume verlässt und hinaus in den Gang tritt, der jetzt vom frühen Tageslicht erhellt wird.

Wie es ihrem Stand entspricht, ignoriert sie den Sklaven, der immer noch neben der Tür steht und sich tief verneigt, als sie an ihm vorbeigeht. Hoch erhobenen Hauptes schreitet sie hoheitlich durch den Gang. Nicht einmal blickt sie einen der Sklaven oder Diener an, die geschäftig arbeiten, sich jedoch auf den Boden werfen, wenn sie an ihnen vorbeigeht. Auch Jasmin folgt ihr wieder mit dem vorgeschriebenen Abstand und obwohl sie von Leuten umgeben ist, fühlt Kisara sich unglaublich einsam, als sie die mit hohen Säulen abgestützte grosse Halle betritt, durch die sie gehen muss, um den grossen Speisesaal zu erreichen, wo der Pharao vermutlich schon auf sie wartet.

Zwischen den Säulen stehen abwechselnd grosse Pflanzen und die Statuen des Horus, den der Pharao für seine Herrschaft als Hauptgott auserkoren hat.

Je mehr sie sich der grossen, doppelflügeligen Tür nähert, desto grösser wird ihr Wunsch, sich umzudrehen und den Palast zu verlassen.

Vor der geschlossenen Tür bleibt sie stehen, bis die beiden Wachen diese öffnen. Noch einmal strafft sie sich, bevor sie den hell erleuchteten Speisesaal betritt. Das Licht der Morgensonne fällt durch die deckenhohen Fenster herein, dennoch tauchen auch unzählige Lampen den Saal in ein kühles Licht. Es gibt kaum einen sichtbaren Schatten, in dem sich jemand verbergen könnte. Dazu die Wachen, die in ihren weissen Uniformen in regelmässigen Abständen an den Wänden stehen und sie regungslos beobachten, wie sie auf die mit Speisen überladene Tafel zugeht. Vor dem Tisch bleibt sie stehen und verneigt sich tief. »Ich wünsche Euch einen von den Göttern gesegneten guten Morgen, Pharao Nesut-anch-Horus. Ich danke Euch für die Ehre, mit Euch zu speisen.« So gebeugt bleibt sie stehen und wartet darauf, dass er ihr erlaubt, sich zu erheben.

 

Der Pharao mustert sie genau und greift nach seinem Weinglas. Den Moment geniessend, seine Nichte in dieser demütigen Haltung zu sehen, trinkt er genüsslich einen Schluck, von dem tiefroten Wein. »Erhebt Euch, Prinzessin. Setzt Euch neben mich«, befiehlt er mit kaltem Blick, in dem aber auch ein lüsterner Schimmer liegt.

 

Kisara beisst sich kurz auf die Lippen, ehe sie sich endlich wieder aufrichtet. »Sehr gütig von Euch, mein Pharao«, murmelt sie und setzt sich neben ihrem Onkel hin.

»So bin ich nun mal, Prinzessin.« Besitzergreifend tätschelt er mit seiner vom Alter gezeichneten Hand ihren Oberschenkel. Mehr nimmt er sich zu Kisaras Erleichterung nicht heraus, sondern klatscht nun in die Hände, woraufhin gleich vier Sklaven auf sie zueilen. Ohne einen Befehl abzuwarten, halten sie ihnen die mit Speisen überladenen Platten entgegen. »Bedient Euch, Prinzessin.« Verlangt Akunadin, während er nur auf einzelne Speisen deutet, die ihm dann auf den Teller gelegt werden.

 

Kisara senkt kurz den Blick, ehe sie sich selbst Brot, Fleisch und Früchte nimmt. »Ich nehme einen Tee«, informiert sie den Sklaven zu ihrer Rechten und schon taucht vor ihr eine Tasse mit duftendem Früchtetee auf.

Nachdem sie einen Schluck getrunken hat, beginnt sie ohne grossen Appetit zu essen.

 

»Ich habe gehört, dass Ihr gestern Nacht im Ra-Tempel gewesen seid. Meint Ihr nicht, dass es ein falsches Bild vermittelt, wenn Ihr zu Ra betet und nicht zu Horus?« Akunadins Stimme ist so kalt, dass Kisara unwillkürlich ein unangenehmer Schauer über den Rücken läuft. Mit ausdrucksloser Miene blickt sie in das Gesicht ihres inzwischen einundsechzig jährigen Onkels. »Mein Pharao, ich bete zu jedem Gott im Tempel. Als Prinzessin und zukünftige Königin ist es schliesslich meine Aufgabe, allen Göttern zu huldigen.«

 

Leicht verengt Akunadin die Augen. Grob packt er ihr Kinn und zieht ihr Gesicht näher zu dem Seinen. »Vielleicht, aber ich will nicht, dass Ihr zu nächtlicher Stunde zu Ra betet.«

 

Unwillkürlich schluckt Kisara. Ihr Herz schlägt vor Angst unwillkürlich schneller, dennoch sieht sie fest in die Augen des grauhaarigen Pharaos. »Ich bete zu Ra, wann ich es für richtig halte. Gestern erschien es mir richtig, ihn als letzten Gott aufzusuchen, bevor ich mich zur Nachtruhe begebe.«

Ihr Kinn wird so ruckartig losgelassen, dass es sich beinahe wie ein Schlag anfühlt. Innerlich zittert sie, als sie sich mit leerem Blick wieder ihrem Frühstück zuwendet.

Sie will ihm den Triumph, sie eingeschüchtert zu haben, nicht gönnen und zwingt sich dazu, sich so zu verhalten, als wäre nichts passiert.

 

»Prinzessin Helena wird heute im Laufe des Nachmittags mit ihren beiden Sklaven und ihrem Leibwächter eintreffen. Ihr werdet sie mit mir zusammen willkommen heissen und ihr dann ihre Gemächer zeigen.« Akunadins Stimme zerschneidet die eisige Stille, die zwischen ihnen immer herrscht, wenn er ihr nicht gerade etwas befiehlt.

 

»Ich habe verstanden, mein Pharao. Ich werde da sein, wenn sie ankommt«, erwidert sie mit ausdrucksloser Stimme. Sie hat keinen Hunger und ihre Kehle ist wie zugeschnürt, dennoch zwingt sie sich, zumindest ihren Teller zu leeren und den Tee zu trinken. Endlich ist auch die letzte Dattel runtergewürgt. »Mein Pharao, bitte erlaubt mir zu gehen. Es gibt vor der Ankunft der Prinzessin noch viel zu erledigen und ich will sicher sein, dass ihre Gemächer perfekt hergerichtet sind.«

 

Missbilligend runzelt Akunadin die Stirn. »Ich habe das Gefühl, dass Ihr mir aus dem Weg geht, Prinzessin!« Er mustert sie lange. Wie sie so neben ihm sitzt und den Inbegriff der Perfektion darstellt, juckt es ihn in den Fingern, genau diese Perfektion ins Wanken zu bringen. Doch für den Moment beherrscht er sich. »Dann geht und kommt Euren Pflichten nach!« Ruckartig hebt er die Hand und deutet in Richtung Doppeltür.

 

Nur mit Mühe kann Kisara sich beherrschen, als sie erleichtert aufsteht und sich tief vor dem Pharao verneigt. »Vielen Dank für Eure Grosszügigkeit.« Sie hasst es jeden Tag mehr, sich so vor ihm zu erniedrigen. Es dauert wieder eine Ewigkeit, bis er ihr endlich bedeutet, dass sie sich aufrichten und den Saal verlassen kann.

Mit ruhigen Schritten, so wie es von ihr erwartet wird, verlässt sie den Saal und wäre Jasmin am liebsten um den Hals gefallen, als diese im Gang auf sie zutritt und sich mit einem warmen Lächeln vor ihr verneigt.

»Jasmin, komm. Wir haben viel zu tun, bis Prinzessin Helena eintrifft.« Sie weiss genau, dass ihre Dienerin ihr folgt, weshalb sie sich nicht nach ihr umsieht, als sie nun mit weit ausgreifenden Schritten an den Säulen entlang geht. »Sie soll die die Gemächer neben den meinen bekommen.«

 

Mit gesenktem Blick eilt Jasmin ihrer Herrin nach. »Natürlich. Gibt es etwas, was wir speziell beachten müssen?« Ruckartig bleibt sie stehen, als die Prinzessin vor ihr anhält. »Sie hat zwei Sklaven dabei und ihren Leibwächter. Er soll die Räume neben ihr beziehen. Ich weiss nicht, ob ihre Sklaven männlich oder weiblich sind. Lasse also zur Sicherheit beide Nebenzimmer in ihren Räumen herrichten.« Mit steifen Schritten geht sie weiter. Die Sonne steht inzwischen hoch genug, dass die Säulen in dem offenen Gang, der zu ihren Gemächern führt, Schatten auf den Boden und gegen die Wand werfen. Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen, als sie daran denkt, wie sie als Kind hier mit ihrem Bruder gespielt hat. Wie sie sich vorgestellt hat, dass sie nicht auf die Schatten treten darf und er … Sofort zwingt sie ihr Gedanken wieder ins Hier und Jetzt.

 

Kaum hat sie ihre Gemächer betreten, geht sie auf den Balkon, der den Blick auf einen grossen, von Mauern umgebenen Park freigibt, der wie der Tempel zum Palastbereich gehört. Darauf vertrauend, dass Jasmin ihre Anweisungen ausführt, erlaubt sie es sich, jetzt, mitten am Tag, schwach zu sein. Wie früher setzt sie sich auf das Geländer des Balkons und zieht die Beine an. Mit beiden Armen umschlingt sie die Knie und legt den Kopf auf ihnen ab. »Seto, wo seid Ihr nur? Ich weiss nicht mehr weiter«, murmelt sie erstickt. Sie vergräbt das Gesicht in den Armen, dreht dann aber den Kopf zur Seite, blickt in den Park hinaus, der Jenseits der Schatten des Palastes im Licht der Sonne zu erstrahlen scheint.

 

Jenseits eben dieser Parkmauern, stehen drei Männer in den Schatten eines Gebäudes und blicken an ihnen hoch. »Wie sollen wir da rein kommen? Die Wachen sind mehr als nur verdoppelt worden!«, zischt Seto Atemu und dem Leutnant zu. »Soll ich vielleicht einfach rein spazieren? Mein Vater wäre sicher erfreut, mich zu sehen.«

 

Die Augen verdrehend schüttelt Atemu den Kopf. »Das könnt Ihr ja gern probieren. Nur sollten wir darauf warten, dass die Prinzessin und die anderen ankommen. Bis dahin können wir uns ja weiter umsehen und der Leutnant kann sich unauffällig umhören. Ich wüsste schon gern, was uns erwartet, bevor wir uns offenbaren.« Nachdenklich mustert er die Mauern und da kommt ihm eine Idee. »Es gibt vielleicht einen Eingang, der nicht bewacht wird.«

Ruckartig dreht er sich um und tritt weiter in die Schatten zurück, als ein paar Wachen auf den Zinnen auftauchen und sich umsehen.

Schweigend warten sie ab, bis die Soldaten weiter gegangen sind. Gereizt reibt sich Seto die Nasenwurzel. »Ich bin der Prinz und verhalte mich wie ein Dieb, der sich in den Schatten versteckt. Das ist so unwürdig! Wir sollten zusammen mit der Prinzessin in den Palast gehen und meinen Vater vom Thron stossen!« Mit blitzenden Augen ballt er die Hände zu Fäusten. »Ich bin schon viel zu lange weg!«

 

Karim, der bis jetzt geschwiegen hat, seufzt laut auf. »Das könnt Ihr gern machen, mein Prinz. Jedoch ist da die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Ihr sofort festgenommen und eingesperrt werdet.« Ernst blickt er auf sein vibrierendes Handy. »Mein Kontakt hat mir gerade geschrieben, dass der Hohepriester freigelassen worden ist, jedoch noch streng überwacht wird. Ausserdem darf er den Tempelbezirk nicht verlassen.«

 

Erleichtert lässt sich Seto für einen Moment gegen die Wand sinken. »Den Göttern sei Dank. Wenigstens eine gute Nachricht«, murmelt er und strafft sich wieder. »Also, Hoheit, wo ist dieser Eingang, von dem Ihr gesprochen habt?« Fragend und zugleich auffordernd sieht er Atemu an, der auch erleichtert lächelt, nun jedoch wieder ernst wird. »Folgt mir.« Fordert er die beiden auf und zieht sich weiter in die Schatten zurück. Penibel achtet er darauf, dass sie vom Palast aus nicht gesehen werden können, als er durch die schmalen Gassen eilt. Immer wieder bleibt er stehen und wartet darauf, dass die anderen beiden zu ihm aufschliessen.

»Wo wollt Ihr hin?«, raunt Seto ihm bei einem dieser Stopps zu. Entfernen sie sich doch immer mehr vom Palast und der Tempelanlage.

 

Grinsend deutet Atemu auf einen Felsen beim Nilufer. »Da müssen wir hin.« Er sieht sich aufmerksam um, da sie ab jetzt keinen Schutz mehr zwischen den Häusern finden können. Anders, als in Alexandria leben in Theben auf dieser Nilseite nur Mitglieder der Oberschicht und des Tempels. Die Häuser sind nicht nur in einem guten Zustand, sondern auch gepflegt.

Als sie sich jedoch weiter dem Nil nähern, können sie auf der anderen Seite des Ufers sehen, dass auch hier die Häuser des einfachen Volkes in einem schlechten Zustand sind. Nicht so schlecht, wie in Alexandria, aber doch deutlich baufälliger, als Atemu sie in Erinnerung hat.

»In der Nacht war gar nicht zu erkennen, wie schlimm es auch hier aussieht«, murmelt er wütend über den deutlich sichtbaren Zerfall. »Wir werden viel zu tun haben, wenn wir den amtierenden Pharao vom Thron gestossen haben.«

Karim blickt zu den Häusern rüber. »Ich hoffe, dass Ihr es schaffen werdet.« Er spricht nur im Flüsterton und sieht sich immer wieder aufmerksam um, während sie über den freien Platz gehen. Es sind keine hundert Meter, die sie überwinden müssen, aber die Strecke kommt ihm vor, als wäre sie kilometerlang.

Endlich erreichen sie den Schatten der Felsen, zu denen Atemu wollte. Er sieht sich aufmerksam um und geht dann um sie herum, bis sie auf die Überreste eines alten Gebäudes stossen, das wohl einst eine Art Bootshaus oder etwas anderes in der Art gewesen ist. Die Wellen des Nils schlagen um ihre Knöchel, als sie in das Wasser steigen und in die Ruine vordringen.

 

Genervt, weil er schon wieder nasse Füsse bekommt, verdreht Seto die Augen. »Was soll das? Hier ist nichts! Schon gar kein Zugang zum Palast!« Unwillig stapft er durch das Wasser und registriert vor lauter Frust gar nicht, als das leise Plätschern aufhört und sie auf relativ trockenem Grund weitergehen.

 

Leise lacht Atemu auf. »Genau auf diesen Trugschluss hoffe ich. Ich habe diesen Zugang zum Palast als Kind entdeckt und habe ihn immer benutzt, wenn ich mal für ein paar Stunden einfach nur ich selbst sein und mich unters Volk mischen wollte.« Immer weiter führt er seine Begleiter in die Dunkelheit, bis sie an eine alte verwitterte Holztür kommen. Mit Mühe zieht er sie auf. »Die Scharniere müssten mal wieder geölt werden«, murrt er vor sich hin, als er den ganzen Rost bemerkt. Endlich ist sie offen und Karim leuchtet mit seiner Handytaschenlampe in den Gang. Ein paar Stufen führen etwas nach oben, bis zu einer Öffnung. »Wir müssten da durchkriechen.« Stellt er zweifelnd fest, woraufhin Atemu ernst nickt. »Ja, das müssen wir, aber nicht allzu weit, dann können wir mehr oder weniger aufrecht gehen. Das ist ein alter Fluchtweg, der im grossen Park des Palastes im Geräteschuppen endet.« Vorsichtig steigt er die nassen Stufen nach oben und kriecht durch die Öffnung. Es dauert nicht lange, bis er wieder zurück kommt. »Wir brauchen Taschenlampen. Die Lampen, die ich damals hier gelassen habe, funktionieren nicht mehr.«

 

Karim kann es kaum glauben, dass so ein Zugang zum Palastbereich so unbewacht und vergessen existiert. »Ähm … kein Problem. Bis heute Abend habe ich welche besorgt.« Nervös blickt er sich um, als er aus der Ferne Stimmen hört, die sich nähern.

Angespannt stehen sie nun in dem dämmrigen Licht und lauschen auf die Stimmen, die sich nach ein paar Minuten wieder entfernen.

Erleichtert atmet Atemu auf. »Ich würde sagen, dass es besser wäre, wenn Prinz Seto und ich hier bleiben. So minimieren wir das Risiko, dass wir entdeckt werden.«

 

Geschockt starrt Seto Atemu an. »Das ist jetzt nicht Euer Ernst! Wir sollen hier im Dunkeln stundenlang ausharren und nasse Füsse bekommen? Das unzumutbar!« Trotzig verschränkt er die Arme vor der Brust und fixiert seinen Cousin der leise seufzt.

»Wenn wir uns auf die Stufen setzen, bekommen wir keine nassen Füsse. Ja, es ist dunkel, aber je mehr wir beide draussen rumlaufen, desto grösser ist die Gefahr, dass wir entdeckt werden. Leutnant Razik kann draussen auf die Ankunft Helenas warten und er wird uns sicher auch Essen und Trinken bringen. Wobei das Nilwasser hier noch so sauber ist, dass wir es ohne Probleme trinken könnten.«

 

»Die Stufen sind nass, falls Ihr das noch nicht bemerkt habt!« Vielsagend deutet Seto auf die nass glänzenden Stufen.

 

Genervt verdreht Atemu die Augen. »Setzen wir uns halt schon mal in den Gang. Da ist es trocken, allerdings aber auch dunkler. Es gibt wirklich schlimmeres, als eine Weile hier auszuharren.« Demonstrativ setzt er sich auf die oberste Stufe, die etwas weniger nass ist, als die anderen beiden Stufen. Dennoch dringt die Feuchtigkeit durch den Stoff seiner Hose. »Leutnant, ich vertraue darauf, dass Ihr es schafft, uns Taschenlampen und Nahrung zu besorgen.«

 

Sofort verneigt sich Karim vor ihm. »Natürlich vertraut darauf, dass ich in spätestens einer Stunde mit allem wieder hier bin.« Er verneigt sich auch kurz vor Seto, ehe er sich umwendet und davongeht. Schon nach ein paar Sekunden hören sie, wie er durch das Wasser watet und sehen ihn dann als Schemen beim Eingang, ehe er aus ihrem Sichtfeld verschwindet.

 
 

***
 

 
 

Es ist später Nachmittag, als Kisara den Thronsaal betritt und sich neben dem Pharao auf ihren Platz setzt. Sie hat sich umgezogen und trägt nun ein Kleid aus weisser Seide. An den Ärmeln, um den Ausschnitt herum und an Saum wird das schlichte Design durch Borten aus ägyptisch blauer Seide veredelt. Dazu trägt sie ein goldenes Diadem, das mit Diamanten besetzt ist und stilistisch zu der Kette passt, die sie extra für die Ankunft der Prinzessin angelegt hat.

 

Gespannt sitzt sie da und blickt über anwesenden Minister und Priester hinweg. Hofft, dass sie Hohepriester Shimon entdeckt, aber er ist nicht anwesend. »Wo ist Hohepriester Shimon? Sollte er als höchster Priester nicht anwesend sein?«, fragt sie den Pharao leise, der gefährlich die Augen verengt. »Er ist zwar nicht mehr in unserem Kerker, aber er ist auf den Tempelbereich beschränkt, bis ich mir wirklich sicher bin, dass er nur zum Wohl meines Reiches gehandelt hat, als er illegal ins römische Grossreich gereist ist.« Seine Stimme ist leise, aber so kalt, dass es ihr eisig den Rücken hinab läuft. »Verstehe«, murmelt Kisara und blickt nach vorn als nun die Prinzessin und ihr Leibwächter angekündigt werden.

 

Helena will nicht. Sie will da nicht rein. Dennoch strafft sie sich und macht einen Schritt nach dem anderen. In den Augenwinkeln sieht sie Minister und Priester stehen, die sie beobachten. Nur auf einen Fehler zu warten scheinen.

Nur die Gewissheit, dass Mario drei Schritte hinter ihr ist, beruhigt ihre Nerven, gibt ihr die Sicherheit, sich weiter dem alten Mann auf dem Thron zu nähern, der sie mit seinen Blicken zu durchbohren scheint.

Schliesslich steht sie vor dem Thron und verneigt sich tief vor ihm. »Pharao Nesut-anch-Horus, ich grüsse Euch mit grösstem Respekt.

 

Akunadin mustert die Prinzessin mit einem lüsternen Blick. «Erhebt Euch, Prinzessin Helena des römischen Grossreiches. Es ist mir eine Freude, Euch als meine zukünftige zweite Gemahlin hier an meinem Hof begrüssen zu dürfen.«

 

Innerlich zuckt Helena zusammen, als sie die Worte hört. Mit versteinerter Miene richtet sie sich auf und sieht wieder zu den beiden Personen vor ihr. »Ich fühle mich geehrt und freue mich darauf, Euch meine Hand zu versprechen.«

Erst jetzt sieht sie zu der blonden Schönheit neben dem alten Pharao. Zum ersten Mal sieht sie Prinzessin Kisara und ist schockiert, wie alt ihr Blick wirkt, obwohl sie doch beide im selben Alter sind.

 

»Wie ich sehe, habt Ihr meine Nichte bemerkt. Sie wird mir mit Euch zusammen die Hand versprechen und meine erste Gemahlin und Königin werden.« Mit einem zufriedenen Grinsen deutet er auf Kisara. »Sie wird Euch auch in unseren Gebräuchen und Regeln unterweisen. Sie wird Euch die Zeremonie erklären und Euch unseren Glauben beibringen. Sodass Ihr in acht Wochen bereit sein werdet.«

 

Leicht neigt Kisara nun den Kopf. »Es wird mir eine Freude und Ehre sein, Euch zu unterweisen, Prinzessin Helena.« Schüchtern lächelt sie Helena nun an. »Ihr seid sicher von der langen Reise erschöpft. Wenn Ihr möchtet, zeige ich Euch die Gemächer, die wir für Euch vorbereitet haben.«

 

Noch bevor Helena antworten kann, räuspert sich Akunadin. »Das hört sich nach einem guten Vorschlag an. Ruht Euch aus. Ich erwarte Euch dann morgen nach dem traditionellen Morgengebet mit meiner Nichte zusammen beim Frühstück.«

 

Erleichtert, dass sie die Nähe ihres Onkels nicht weiter ertragen muss, steht Kisara auf und geht auf Helena zu. »Folgt mir, bitte.« Freundlich lächelnd deutet sie zur Tür, durch die Helena gerade erst gekommen ist.

»Sehr gern. Ich bin wirklich erschöpft.« Froh, dass sie sich dem Pharao nicht länger stellen muss, nickt Helena Kisara kaum merklich zu und folgt ihr dann an den Ministern vorbei wieder aus dem Thronsaal. Vor der Tür warten Kimi und Anna mit Toshi und dem Gepäck auf sie, woraufhin Kisara erstaunt die Augenbrauen hebt. »Ich wusste nicht, dass noch ein Kleinkind mit Euch reist.«

Ertappt nickt Helena. »Ja, sie ist Annas Tochter. Sie bleibt auch bei ihr.«

Kisara tritt näher an die Sklaven ran und mustert sie genauer. »Kann ich verstehen. Sie ist in einem guten Zustand, da würde ich sie auch bei ihrer Mutter lassen. Ich werde noch eine Wiege in das Zimmer der Sklavin stellen lassen.«

 

Anna, die kein Wort versteht, sieht unsicher zwischen den beiden Frauen hin und her. Auch Kimi, der bis jetzt immer geglaubt hatte, dass er alles verstehen kann, steht nur ratlos da und sieht hilfesuchend zu Mario der nun zu den beiden tritt und ihnen erklärt, was die beiden Prinzessinnen gesagt haben und wer Kisara ist.

Sofort werden die beiden blass und werfen sich vor Kisara auf den Boden. »Bitte, verzeiht uns unsere Respektlosigkeit«, keucht Kimi und wagt es nicht, Kisara anzusehen.

 

Überrascht sieht Kisara die beiden Sklaven an, die nun ängstlich vor ihr auf dem Boden kauern. »Ihr habt mich nicht verstanden«, stellt sie fest und legt ihnen die Hände auf die Schultern. »Steht auf. Euch droht keine Strafe«, befiehlt sie den beiden mit sanfter Stimme in der allgemeinen Sprache, die jeder mehr oder weniger beherrscht.

 

Zögernd stehen Anna und Kimi wieder auf, vermeiden es jetzt aber, die Prinzessin anzusehen. Angespannt warten sie nun darauf, was als nächstes passieren wird, woraufhin Kisara leise seufzt. »Prinzessin, wollen wir zu Euren Gemächern gehen?« Möchte sie mit leiser Stimme wissen, woraufhin Helena nickt. »Sehr gern. Ich war noch nie hier und würde mich vermutlich verlaufen.«

 

»Da wärt Ihr nicht die Erste«, schmunzelt Kisara und geht los. Schweigend führt sie Kisara zu der hellen Tür, die zu ihren Gemächern gehört. »Die dunkle Tür da drüben gehört zu den Räumen Eures Leibwächters.« Sie deutet auf die entsprechende Tür und nickt dann dem Sklaven zu, der nun hektisch die Tür für sie öffnet. »Bitte tretet ein«, fordert sie Helena auf, die daraufhin ihre Gemächer betritt und sich umsieht. »Es ist sehr schön«, sagt sie, während ihr Blick über die helle Einrichtung gleitet. »Wo sind die Räume für meine Sklaven?«

Kisara, die Helena genau beobachtet hat geht nun zu dem hinteren Teil der Gemächer und öffnet selbst eine der beiden Türen. »Hier drüben. Wir haben sicherheitshalber beide Räume vorbereitet, als wir erfahren haben, dass Ihr mit zwei Sklaven anreist.«

 

Helena bedeutet Kimi und Anna, dass sie sich zurückziehen können. Kaum sind die beiden in ihren Zimmern verschwunden, lässt sich Helena auf eine der Chaiselongues sinken und atmet tief durch. »Prinzessin, ich weiss, es hört sich seltsam an, aber wisst Ihr, was aus Hohepriester Shimon Shimon geworden ist? Geht es ihm gut?« Mit grossen Augen sieht sie Kisara an, die sich neben ihr auf das weise Polster sinken lässt. »Nenne mich bitte Kisara. Wir sind doch schliesslich vom gleichen Stand und teilen das gleiche Schicksal«, bittet sie mit leiser Stimme. »Dem Hohepriester geht es soweit gut. Er ist im Tempelbereich, darf ihn aber nicht verlassen. Darum war er bei deinem Eintreffen nicht da.«

 

Erleichtert schliesst Helena die Augen. »Gott sei dank, geht es ihm gut.« Leicht lächelt sie Kisara an. »Dann musst du mich aber auch Helena nennen. Mein Leibwächter heisst Mario di Modena.« Ihr Blick wird nachdenklich. »Darf ich dir etwas sagen? Ich will den Pharao nicht heiraten. Der Gedanke widert mich an.«

Ein leises Lachen lässt sie zu Kisara blicken. »Was ist daran so lustig?«

Sofort wird Kisara wieder ernst. »Es ist nicht lustig. Nur mir geht es genauso. Ich will ihn auch nicht heiraten. Darum bete ich jeden Abend zu Ra, dass er ein Wunder geschehen lässt und mich von dieser Bürde befreit.« Sie senkt den Blick auf ihre im Schoss verschränkten Hände.

Vorsichtig, da sie nicht weiss, ob sie zu weit geht, legt Helena ihre Hand auf Kisaras. »Ich weiss zwar nicht, warum du zu Ra betest und nicht zu Horus, wie es nach meinem Wissensstand eigentlich üblich ist, aber ich weiss eins. Deine Gebete werden erhört werden. Du und ich müssen nur noch ein wenig durchhalten.« Lange sieht Kisara auf ihre Hände. »Mein Bruder hat Ra als seinen Throngott bestimmt. Darum bete ich zu Ra. Weil ich hoffe, dass ich dann auch ihn erreiche, obwohl er schon lange tot ist.«

 

Helena beisst sich auf die Lippen. Sie will Kisara sagen, dass ihr Bruder noch lebt und auf den Weg hierher ist, aber wie soll sie das machen? Sie kennen einander doch gar nicht wirklich. »Ich bin sicher, dass du ihn wiedersehen wirst«, sagt sie schliesslich leise.

 

Nachsichtig lächelt Kisara und sieht Helena wieder an. »Daran glaube ich auch.« Tief durchatmend steht sie auf. »Ich lasse dich jetzt allein. Wenn etwas ist, meine Gemächer sind direkt neben deinen.«

 
 

***
 

 
 

Die Sonne geht schon unter, als Karim zum dritten Mal an diesem Tag die Ruine betritt und mit der Taschenlampe in die Dunkelheit leuchtet. Langsam watet er durchs Wasser und atmet auf, als er den relativ trockenen Boden erreicht. Leise quietschen seine nassen Schuhe, als er weitergeht, bis er die nur angelehnte Tür erreicht. Tief durchatmend öffnet er sie und zieht sie dann hinter sich wieder zu. Vorsichtig steigt er die nassen Stufen nach oben und zwängt sich dann durch die Öffnung. Er muss etwa zehn Meter weit kriechen, bis er den Lichtkegel erblickt, der zweimal kurz hintereinander aufleuchtet. Als Antwort lässt er seine Taschenlampe dreimal aufleuchten, bevor er weiterkriecht. Schliesslich kann er sich aufrichten und steht den beiden Hoheiten gegenüber. »Die Prinzessin aus dem römischen Grossreich hat vor drei Stunden mit ihrem Gefolge den Palast betreten und auch schon ihre Gemächer bezogen.«

 

Knapp nickt Atemu zu den Worten. »Wie wir es erwartet haben. Dann lasst uns jetzt in den Palast gehen und schauen, was uns da erwartet.« Kurz umfasst er seinen Anhänger und denkt an seinen Sharik und Grossvater, ehe er sich umwendet und den Weg mit der Taschenlampe ausleuchtet. »Passt auf, hier liegen überall Steine rum«, warnt er Seto und Karim, als sie langsam dem niedrigen Gang in Richtung Palast folgen. Immer wieder müssen sie den Kopf einziehen, wenn die Decke besonders niedrig wird. An einigen Stellen können sie noch die Reste von alten Zeichnungen erkennen, doch meistens ist der Putz abgeplatzt und nur der nackte Fels ist zu sehen.

»Was das wohl mal für ein Gang gewesen ist?« Fragt sich Seto laut, als den Lichtstrahl seiner Taschenlampe über eine halbwegs unversehrte Wandmalerei gleiten lässt, die den Gott Seth darstellt.

 

»Ich weiss es nicht. Ich habe in den Unterlagen nichts über diesen Geheimgang gefunden, als ich mal in den Archiven die alten Baupläne des Palastes angesehen habe. Allerdings sind die Pläne auch nicht komplett. Vor allem aus der Zeit des ersten Palastes ist nur wenig erhalten.«

Nachdenklich mustert Seto die Wandmalerei. »Sollte ich mal Pharao werden, auch wenn das mehr als unwahrscheinlich ist, dann wähle ich Seth als meinen Gott aus«, murmelt er undeutlich vor sich hin, ehe er sich abwendet und weitergeht.

Als der Tunnel nur ein paar Meter weiter eine scharfe Biegung nach rechts macht, bleibt er stehen. »Wie weit ist es noch?«, fragend dreht er sich zu Atemu um, der neben ihn tritt und in den Gang leuchtet. »Vielleicht fünfzig Meter. Wir sollten ab jetzt zur Sicherheit nichts mehr reden. Wer weiss, wie tief wir unter der Erde sind«, flüstert er seinen beiden Begleitern zu und geht dann weiter. Immer wieder leuchtet er die Wände ab und richtet den Strahl der Taschenlampe immer wieder nach oben. »Hier ist es«, ruft er leise und winkt die anderen beiden zu sich. In der Wand sind grob geschlagene Stufen zu erkennen und über sich sehen sie die Holzbalken einer Klappe. »Hoffen wir, dass nichts draufsteht«, murmelt Atemu und steigt die Stufen nach oben. Er drückt gegen die Klappe und mit einigem Kraftaufwand gelingt es ihm, sie zu öffnen. Es rumpelt etwas, als irgendwas von der Klappe rutscht und sie halten gespannt den Atem an. Als sich aber keine Schritte nähern und es auch sonst ruhig bleibt, öffnet Atemu die Klappe ganz und steigt vorsichtig durch die Luke. In der Hocke rutscht er zur Seite und hilft dann Seto und Karim nach oben. Sie sind in einer Art altem Stall, in dem vielleicht früher mal Ziegen gehalten worden waren. Angespannt lauschen sie in die Stille und schliessen die Luke erst, als es weiter ruhig bleibt.

Vorsichtig schleichen sie dann zur Tür des Schuppens und öffnen sie einen Spalt breit. Die Nacht ist hereingebrochen und der Park liegt im Dunkeln. Der Mond ist nur noch eine schmale Sichel und spendet kaum noch Licht, was ihnen zugute kommt, als sie aus dem Schuppen schlüpfen und geduckt zur Mauer rennen. Dort sind die Schatten noch dunkler und sie atmen auf, als mit diesen verschmelzen können.

Lange sehen sie sich an und verständigen sich stumm, dass sie sich weiter im Schatten der Mauer halten werden. Langsam schleichen sie in den Schatten weiter in Richtung Palast. Immer wieder müssen sie stehenbleiben, wenn die Wachen über ihnen auf der Mauer entlang gehen.

Langsam nähern sie sich so den Mauern des Palastgebäudes.

»Wie weiter?«, flüstert Seto, als sie vor einer einfachen Tür stehen bleiben. »Das ist der Sklaveneingang. Den nutzen wir«, raunt Atemu zurück und öffnet vorsichtig die Tür. Ein schwach erleuchteter Gang erstreckt sich vor ihnen. Sie warten angespannt, bis die Wachen über ihnen wieder weg sind und schlüpfen dann hinein. So leise wie möglich schliesst Atemu die Tür wieder und atmet auf. »Hier sind wir relativ sicher. Die Wachen und Bediensteten kommen so gut wie nie in diesen Bereich des Palastes. Hier sind nur Sklaven unterwegs.«

Dennoch sieht er sich aufmerksam um, als sie weitergehen und da stossen sie auf den ersten Sklaven. Der bleibt erschrocken stehen und starrt sie an. Es dauert einen Moment, aber dann sinkt er vor ihnen auf die Knie und legt die Stirn auf die Fliesen. »Pharao Nesut-anch-Ra. Ihr lebt! Die Götter haben Erbarmen gezeigt.« Leise und doch eilig geht Atemu zu dem Sklaven und zieht ihn auf die Beine. »Alex, du weisst doch, dass du nicht so auf dem Boden knien sollst. Das tut deinen Gelenken nicht gut.« Sanft lächelt er den alten Sklaven an, der heftig den Kopf schüttelt. »Mein Pharao, Ihr seid von den Toten auferstanden. Da ist es nur das Mindeste, dass ich mich vor Euch auf den Boden werfe.« Seine Stimme ist heiser und er hat Tränen in den Augen.

Leicht schüttelt Atemu den Kopf. »Ich bin nicht auferstanden. Ich war in einem fernen Reich und konnte nicht früher zurückkommen. Noch darf niemand wissen, dass Prinz Seto und ich wieder hier sind. Bitte sorge dafür, dass es ein Geheimnis bleibt.«

 

Eifrig nickt Alex. »Natürlich, Hoheit. Keiner von uns hat je Eure Güte vergessen. Selbst die Sklaven, die erst nach dem tragischen Unglück zu uns gestossen sind, wissen durch uns davon, wie gütig Ihr immer zu uns Sklaven gewesen seid. Also macht Euch keine Sorgen, wir werden schweigen. Hier seid Ihr vor Entdeckung sicher.«

»Danke, Alex. Kannst du mir sagen, wo die Gemächer meiner Schwester und von Prinzessin Helena sind? Und wo mein Onkel seine Räume hat?«

Heftig nickt Alex. »Ja, das kann ich. Die Prinzessin hat Eure Gemächer bezogen, nachdem Ihr verstorben seid und Prinzessin Helena hat mit ihren Sklaven die Gemächer neben den ihren bezogen. Ihr Leibwächter ist in den Räumen daneben untergebracht. Euer Onkel hingegen hat die alten Gemächer Eures Vaters bezogen und sie aufwendig renoviert.«

Als Atemu das hört, verengt er leicht die Augen. »Er lebt in den … « Er bricht ab und atmet tief durch, als er das ängstliche Gesicht von Alex bemerkt. »Keine Sorge. Es ist alles in Ordnung.« Er tritt zurück und sieht Seto ernst an. »Wir müssen mit Kisara und Helena reden. Am besten auch mit Mario, Anna und Kimi.« Nun blickte er zu Leutnant Razik. »Könnt Ihr herausfinden, welche Wachen auf unserer Seite stehen würden? Ich will meinen Onkel nach Möglichkeit ohne Blutvergiessen vom Thron stossen.«

Karim nickte ernst. »Kein Problem. Ich werde zu meinem Kontakt gehen und mit ihm reden.«

»Gut, dann geht.« Kaum hat Atemu das gesagt, eilt der Leutnant davon.

»Und wir nutzen jetzt die nächsten Geheimgänge, um zu Kisara zu kommen.« Er grinst breit, als er das ungläubige Gesicht Setos sieht. »Folge mir einfach.« Mit bemüht ruhigen Schritten geht er in eine andere Richtung als Karim und führt Seto zu einer Wand am Ende des Ganges.

»Eine Frage, warum hast du den Sklaven nach den Gemächern Kisaras und des amtierenden Pharaos gefragt? Das hätte ich dir auch sagen können.«

Leicht senkt Atemu den Blick. »Ich weiss, aber es ist wichtig, dass wir die Sklaven mit einbeziehen. Denn auch wenn wir einen Teil der Palastwachen und Priester auf unserer Seite haben, so brauchen wir doch auch die Unterstützung der niedersten Stände hier im Palast.«

Seto schüttelt den Kopf. »Man merkt, dass du nicht nur als Kind immer bei den Sklaven gewesen bist, sondern eine Weile lang auch selbst einer von ihnen warst.«

 

Leicht zuckt Atemu mit den Schultern und beginnt nun die Wand abzutasten. »Kann gut sein. Es hat mir jedenfalls nicht geschadet. Es ist wichtig, dass auch der Pharao weiss, wie es den Sklaven geht. Sie haben ihre Augen und Ohren überall. Ich kann das nicht oft genug wiederholen.«

 

»Ich habe es schon beim ersten Mal kapiert. Sag mal, was suchst du? Die Wand ist … « Ihm klappt der Kiefer runter, als die Wand zur Seite schwenkt.

 

»Ja? Sag bloss, du hast auch das nicht gewusst.« Zwinkert Atemu ihm zu und tritt in den dunklen Gang. Er schaltet die Taschenlampe ein und leuchtet in die Dunkelheit. »Kommst du?« Fragend sieht er über die Schulter zu Seto, der ergeben seufzt und nun auch durch die Geheimtür geht. «Wie machen wir sie zu?« Will er spöttisch wissen, als sie sich auch schon wieder schliesst. »Warum frage ich auch«, murrt er und leuchtet mit seiner Taschenlampe nun auch in die Dunkelheit. »Geht dieser Geheimgang durch den ganzen Palast?«

 

Ratlos zuckt Atemu mit den Schultern, während er gleichzeitig losläuft. »Das weiss ich nicht. Ich habe es nie geschafft, diese Geheimgänge komplett zu erforschen. »Ich weiss aber, dass dieser Gang mehr oder weniger direkt zu meinen alten Gemächern führt oder besser gesagt an ihnen vorbei. Ich vermute, dass früher die Bediensteten durch diese Gänge zu ihren Dienstherren gelangt sind.«

»Und da wir schon seit Jahrzehnten die Bediensteten durch die Hauptgänge gehen lassen, wurden diese Gänge nicht mehr benötigt und sind somit vergessen worden«, spricht Seto die unausgesprochene Erklärung aus, während sie durch die Dunkelheit gehen.

 

Atemu verzichtet darauf, zu antworten. Schweigend geht er weiter, bis er vor einer Art steinernen Tür stehen bleibt. Nervös streckt er die Hand aus und drückt dagegen.

 

 
 

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So, das war es auch schon wieder. Atemus und Kisaras Wiedersehen steht kurz davor. Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen.

 

Eure mrs_ianto



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