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Sklave der Wüste

von

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Gespräche

Hallo zusammen,

 

es tut mir leid, ich habe ganz vergessen, das neue Kapitel hochzuladen.

Aber jetzt kommt es noch und ich wünsche euch viel Spass damit.

 

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Gespräche

 

 

 

Voller Sorge liegt Yugi hellwach neben seinem Liebsten im Bett. Es ist mitten in der Nacht, er ist todmüde und doch kann er nicht schlafen. Bis vor etwa einer Stunde, hatte er ihn im Arm gehalten, hatte ihn getröstet und ihm beruhigende Worte zugeraunt, bis er eingeschlafen ist. Im Schlaf hat sich Atemu irgendwann umgedreht und jetzt liegt er auf dem Rücken. Sein Schlaf ist unruhig, aber Yugi zögert, ihn zu berühren und aus dem so dringend benötigten Schlaf zu reissen.

 

Es ist dunkel um ihn herum und doch wird die Dunkelheit immer wieder durch Blitze erhellt. Suchend dreht sich Atemu um seine eigene Achse. »Sharik! Grossvater! Wo seid ihr?« Immer wieder ruft er laut nach ihnen, aber sie zeigen sich ihm nicht. Auf einmal glaubt er einen Schemen zu erkennen, als wieder ein Blitz die Dunkelheit kurz erhellt. »Sharik? Grossvater?« Die Hand ausstreckend, geht er, sich Schritt für Schritt vortastend, in die Richtung der nur knapp zu erahnenden Person.

Wieder erhellt ein Blitz die Dunkelheit und er prallt zurück, als er die Gestalt erkennt. »Vater … ihr? Was hat das zu bedeuten?« Unwillkürlich weicht er immer weiter zurück, während ihm der verstorbene Pharao folgt. »Du bist schwach! Eine Schande für unser Geschlecht! Läufst vor deinem Schicksal davon!« Wie ein Donner hallen die Worte in seinen Ohren wider, die sich Atemu mit beiden Händen zuhält. »Hör auf!«, schreit er auf. Schlagartig findet er sich in seinem Bett sitzend vor. Er zittert und erst langsam realisiert er die Arme, die ihn sanft festhalten.

»Liebster, alles ist gut. Ich bin ja da. Es war nur ein Traum. Es ist alles gut.« Sanft streichelt Yugi über den Rücken seines Liebsten, der sich jetzt endlich an ihn lehnt und ihm den Kopf auf die Schulter legt. »Das schon, aber Seto und Shimon waren kein Traum«, murmelt Atemu bedrückt und mit einer kaum hörbaren Verzweiflung in der Stimme. »Ja, sie waren kein Traum. Aber das muss nichts zu bedeuten haben, dass sie hier gewesen sind. Vielleicht wollten sie dich nur besuchen, weil Hopkins ihnen von dir erzählt hat.« Yugi weiss selbst, dass das so nicht stimmt, aber er will es einfach glauben, dass es so ist. Doch nun löst sich sein Liebster leicht aus seinen Armen und sieht ihn ernst an. »Yugi, hast du überhaupt eine Ahnung, wer die beiden sind?«, fragt er ihn mit einem unglaublich ernsten Blick.

Auf einmal unsicher, schüttelt Yugi den Kopf. »Menschen, die dich kennen und lieben?« Schlägt er hilflos vor, was Atemu laut aufseufzen lässt. »Shimon Marukosu ist Hohepriester und er war der erste Berater meines Vaters und auch von mir. Seto Nesut ist mein Cousin und sein Vater ist der amtierende Pharao. Er ist der Kronprinz des ägyptischen Grossreiches. Glaubst du wirklich, dass zwei der mächtigsten Männer am Hof einfach so zu Besuch kommen?« Ernst sieht er seinen Sharik an, der den Blick ungläubig erwidert. »Du machst Scherze. Du willst mir nicht ernsthaft weissmachen, dass die beiden keine Scherze …« Nicht wissend, wie er weiter sprechen soll, bricht er ab. So langsam wird ihm bewusst, was das Auftauchen der beiden Männer wirklich bedeutet. »Du meinst, dass sie dich wieder mit ins ägyptische Grossreich nehmen wollen?« Obwohl er die Antwort nicht hören will, kann er es nicht verhindern, dass er die Worte ausspricht.

Hilflos zuckt Atemu mit den Schultern. »Ich weiss es nicht, aber es muss einen triftigen Grund geben, dass Seto sich dazu herablässt, sich mit dem einfachen Volk abzugeben.« Einem inneren Bedürfnis folgend, zieht er die Beine an und legt die Arme um seine Knie. »Wir hatten nie viel Kontakt zueinander. Nur bei den Mahlzeiten haben wir uns gesehen. Gesprochen haben wir bis zu meiner Thronbesteigung kaum miteinander«, erzählt er mit leiser Stimme. »Als ich dann den Thron bestiegen hatte, habe ich ihn zu meinem zweiten Berater gemacht, da ich neben den älteren Hohepriestern noch einen jungen Berater haben wollte, der nicht so in der Vergangenheit verhaftet ist und neue Ideen und Sichtweisen in die Diskussionen mit reinbringt.«

Den Blick auf die Bettdecke senkend hört Yugi zu. »Das war eine gute Idee. Erfahrung ist wichtig, aber manchmal behindert sie auch, wenn etwas geändert werden muss. Es braucht immer einen guten Mix der Generationen, aber auch der Volksschichten, um sich ein möglichst gutes Bild machen zu können.«

Trotz allem muss Atemu schmunzeln. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt glauben, dass du eine Ausbildung in der Richtung absolviert hast.« Leicht legt er den Arm um die Schultern seines Shariks. »Es tut mir leid, dass ich gestern so zusammengebrochen bin. Ich hätte stärker sein müssen.«

Sofort sieht Yugi zu ihm und legt ihm die Hand auf die Wange. »Nein, du hast nichts falsch gemacht. Es ist doch ganz normal, dass du zusammenbrichst, wenn du plötzlich mit sowas konfrontiert wirst. Also mach dir keine Vorwürfe, wegen einer vollkommen normalen Reaktion.«

»Trotzdem hätte ich stärker sein müssen. Ich bin so erzogen worden, keine Schwäche zu zeigen.« Widerspricht Atemu und blickt zum Fenster. »Es ist mir eingetrichtert worden.«

Yugi will ihm widersprechen, aber er weiss, dass es nichts bringen würde, so folgt er nur dem Blick seines Liebsten. »Es ist noch mitten in der Nacht. Lass uns noch einmal versuchen zu schlafen.« Leicht legt er ihm die Hände auf die Schultern und drückt ihn zurück aufs Bett. Als sie liegen, zieht er ihn an sich, bis Atemu den Kopf auf seine Schulter legt. »Ich habe Angst«, gibt er leise zu und vergräbt das Gesicht in Yugis Schlafanzug. Gleichzeitig ballt er die Hand auf dem Brustkorb seines Shariks zur Faust. Er spürt, wie er im Nacken gekrault wird und irgendwie ist diese kleine Zärtlichkeit so beruhigend. Müde schliesst er die Augen und entspannt sich langsam in der sicheren Umarmung. Ohne es zu merken, schläft er wieder ein.

Auch als sein Liebster schon eingeschlafen ist, krault Yugi ihn weiter sanft im Nacken. Es ist nicht nur weil es den Schlafenden beruhigt. Auch für ihn ist es irgendwie beruhigend. Langsam fallen ihm die Augen zu und endlich kann er schlafen.

 

Die Sonne ist gerade dabei aufzugehen, als Nino die frisch gebackenen Brötchen aus dem Ofen holt. Er weiss, dass er nicht so früh aufstehen müsste, das hat ihm Sugoroku schon mehrmals gesagt, aber er hält es einfach nicht länger als bis um kurz nach vier Uhr im Bett aus. Stolz sieht er auf die schön gleichmässig gebräunten Brötchen, die ihren köstlichen Duft in der Küche verbreiten. Er will sich beherrschen, aber dann gibt er dem Drang nach und nimmt sich eines. Obwohl er sich beinahe die Finger verbrennt, bricht er es entzwei und schnuppert daran. Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen und so beisst er vorsichtig hinein. »Heiss … heiss … heiss«, keucht er auf und schluckt schnell runter. Doch dann wird es die Speiseröhre runter heiss. So schnell er kann rennt er zur Spüle und lässt das Wasser laufen. Hastig trinkt er ein paar Schlucke und atmet dann auf, als das Brennen aufhört.

Ein leises Lachen lässt ihn sich zur Tür umdrehen. Dort steht Sugoroku auf seinen Stock gestützt. Noch immer hat er Rückenschmerzen, was ihn nicht erstaunt, so schlimm wie es ihn vorgestern erwischt hat. »Konntest du dich nicht beherrschen und hast zu früh genascht?«, fragt er ihn immer noch sanft lächelnd, als er langsam in die Küche kommt. Mit einem erleichterten Seufzen lässt er sich auf seinen Stuhl sinken. »Ich wollte mich noch für gestern bedanken. Du hast das so toll gemacht, wie du dich in dieser Krise verhalten hast. Du warst eine wahre Stütze für mich und Yugi.«

Verlegen wendet sich Nino um und nimmt den Topf von Haken neben dem Herd. »Ich habe nur gemacht, was nötig war.« Mit fahrigen Bewegungen lässt er das Wasser in den Topf laufen und stellt ihn dann auf den Herd.

»Du hast viel mehr getan.« Tief atmet Sugoroku durch. »Nino, du bist gestern über dich hinaus gewachsen. Du hast selbstständig die Versorgung der Pferde übernommen und gleichzeitig hier den Haushalt geschmissen und dann auch noch weiter Stoffe zugeschnitten.«

Noch immer verlegen zuckt Nino mit den Schultern, während er das Wasser im Topf beobachtet. »Wie gesagt, ich habe nur gemacht, was nötig war. Das ist ja schliesslich meine Aufgabe.« Nino blickt zu Sugoroku und jetzt ist auch zu sehen, dass er einen knallroten Kopf hat. »Ich wusste, dass Atemu Stoffe am Zuschneiden gewesen ist und habe dann einfach nachgesehen und bemerkt, dass er nicht ganz mit allen bereitgelegten Ballen fertig geworden ist und da ich gerade Zeit hatte ...« Vielsagend hebt er die Hände mit den Handflächen nach oben ein wenig an, statt weiter zu reden.

»Wie du meinst.« Gibt Sugoroku nach. Er würde den Kleinen gern noch etwas mehr necken, aber er lässt es schweren Herzens bleiben. »Heute Nachmittag kommen sie wieder vorbei. Kannst du mir helfen, dafür ein paar Kekse zu backen? Ich dachte da an Haferkekse. Dafür sollten wir noch alles da haben.«

Sofort nickt Nino und schüttelt dann den Kopf. »Ich backe und du sagst, was ich zu tun habe.« Fest sieht er Sugoroku an, auch wenn es ihn seinen ganzen Mut kostet, sich so zu verhalten. »Bleibt denn der Laden heute zu?« Wagt er es noch zu fragen, als nicht sofort eine Ohrfeige als Strafe für seine Frechheit folgt.

»Du verbringst eindeutig zu viel Zeit mit Yugi und Atemu. So wie du mich umsorgst. Aber gut, ich gebe die Anweisungen und du backst.« Theatralisch seufzt Sugoroku auf, wird dann aber gleich ernst. »Ich nehme es mal an, dass Yugi den Laden heute geschlossen lässt. Es würde mich auch nicht erstaunen, wenn er diese Woche den Laden gar nicht mehr öffnet, wenn es nicht unbedingt nötig ist.« Bedrückt sieht er auf die Tischplatte. »Ich wusste, dass Hopkins Leute aus dem ägyptischen Grossreich mitbringen wird, aber ich wusste nicht, wer das sein wird. Ich wünschte, ich hätte die Jungs vorgewarnt.«

Nino beisst sich unsicher auf die Lippen. Er zögert, aber dann legt er die Arme um Sugoroku und drückt ihn leicht an sich. »Du bist nicht schuld. Du hast es nicht wissen können und wer weiss, ob es etwas geändert hätte. Ich wäre wohl auch davongerannt, wenn da plötzlich jemand dagestanden hätte, der mein ganzes Leben verändern könnte.«

Mit geschlossenen Augen lehnt sich Sugoroku an Nino an. Es ist ungewohnt, dass er mal gehalten wird. Sonst ist immer er derjenige, der Trost spendet. »Danke«, murmelt er undeutlich und richtet sich dann wieder auf. »Du bist ein guter Junge. Ich bin froh, dass du den Weg zu uns gefunden hast.« Leicht legt er die Hand auf Ninos Wange, zieht sie dann aber gleich wieder zurück, als dieser leicht zusammenzuckt. »Das Wasser kocht.« Mit einem leichten Lächeln deutet er zum Herd, wo das Wasser im Topf brodelt.

»Danke, Sugoroku.« Sofort dreht sich Nino um und geht zum Herd. Erst jetzt fällt ihm auf, dass er den Teekrug noch gar nicht vorbereitet hat. Schnell stellt er den Krug hin und holt das Teeei aus der Schublade und stopft ein paar Blätter hinein, die er aus der Dose nimmt, die er schon früher am Morgen neben den Herd gestellt hatte. Nachdem er das Teeei in den Krug gehängt hat, giesst er vorsichtig das kochende Wasser hinein. »Du musst dich nicht bei mir bedanken. Ich bin ein Sklave und wir sind auch dafür da, dass es unseren Besitzern gut geht.« Sogar in seinen Ohren hören sich die Worte falsch an. Es stimmt zwar, was er sagt, aber dennoch war es gerade etwas anderes. Er hatte Sugoroku trösten wollen und nicht auf einen Befehl reagiert.

Als er sich umdreht, bemerkt er, dass er von dem alten Mann verletzt angesehen wird. »Es tut mir leid. So war es nicht gemeint. Ich … verdammt … Ich hab dich umarmt, weil ich es wollte und nicht, weil ich das Gefühl hatte, dass ich es muss.« Nino geht zu ihm und kauert sich hin. »Es ist seltsam, aber hier fühle ich mich hier nicht als Sklave. Es ist so fremd, ich weiss nicht, wie ich das Gefühl beschreiben soll.« Hilflos sieht er Sugoroku an, der ihm mit einem nachsichtigen Lächeln die Hand auf die Schulter legt. »Ich kann es mir denken, wie du dich fühlst. So ging es Atemu am Anfang auch. Er war überfordert, weil er nicht wusste, wie er sich verhalten soll. Er hatte Angst, dass wir ihm eine Falle stellen, damit wir ihn dann bestrafen können, weil er unwissentlich einen Fehler gemacht hat.« Leicht drückt er die Schulter und zieht dann die Hand zurück. »Bringst du mir schon mal einen Tee, bitte?«

Sofort springt Nino auf. »Natürlich.« Eifrig giesst er den frisch aufgebrühten Tee in eine Tasse und stellt sie dann vor Sugoroku hin. »Ich gehe dann mal in den Stall und schaue nach den Pferden oder helfe Atemu, wenn er draussen sein sollte.«

»Ja, tu das. Er ist sicher froh, wenn du ihm etwas unter die Arme greifst, aber sei auch nicht enttäuscht, wenn er dich wieder rein schickt. Wenn er so labil ist, sucht er auch gern mal die Nähe der Pferde und will dann auch niemanden sonst um sich haben.« Kaum hat er zu ende gesprochen, rennt Nino auch schon aus der Küche.« Kopfschüttelnd sieht er ihm nach und greift dann nach der Teetasse. »Du bist einfach unglaublich«, murmelt er vor sich hin und trinkt dann vorsichtig einen Schluck. »Und dein Tee wird auch immer besser.«

 

Im Stall trifft Nino auf Atemu, der an Rockys Boxentür lehnt und den Pferden beim Fressen zusieht. »Du bist ja wach. Ich dachte, dass du noch bei Yugi bist und …« »Nein, ich bin wach. Die Pferde und du sollen nicht ausbaden müssen, dass mein Leben gerade nicht so einfach ist.« Erst jetzt sieht er zu Nino, der fröstelnd dasteht. »Komm her, hier ist es ein wenig wärmer. Du hattest Glück, dass die Pferde in der Nacht nicht spazieren gegangen sind. Rocky kann Türen öffnen, darum musst du die Box hier immer besonders gut verschliessen und wenn er dann draussen ist, lässt er eben auch Blacky raus und in der Regel findet man sie dann im Heulager wieder.«

Erschrocken sieht Nino zu den beiden Pferden. »Das wusste ich nicht. Sonst hätte ich den Riegel sicher zwei Mal kontrolliert. Das schwöre ich dir.« Um Verzeihung bittend sieht er Atemu an, der ihm aber nur die Hand auf die Schulter legt und leicht den Kopf schüttelt. »Keine Angst. Ich weiss, dass du es nicht wissen konntest, was übrigens meine Schuld ist. Ich habe es dir nie gesagt, also warum solltest du auch dran denken, den Riegel extra zu sichern? Normalerweise reicht es ja vollkommen aus, ihn einfach nur zu schliessen.« Leicht lächelt er Nino an, aber dann wird sein Blick bedrückt und er wendet sich ab. »Wer weiss, vielleicht bist du ja bald für die beiden verantwortlich.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, geht er ins Heulager, wo er sich eins der leeren Netze schnappt. Als er merkt, dass Nino ihm gefolgt ist, bleibt er mit dem Rücken zu ihm stehen. Er dreht nur den gesenkten Kopf etwas in seine Richtung. »Lass mich bitte allein. Ich brauche das jetzt.«

 

Nino schluckt leer. Er hatte ihn doch trösten wollen. »Na gut. Wenn du meinst.« Zögernd macht er einen Schritt zurück und dreht sich dann langsam um. »Wenn du reden willst. Ich kann gut zuhören.« Als keine Reaktion kommt, verlässt er mit hängenden Schultern das Heulager und geht zu den Boxen. Sanft krault er Blacky, der ihm neugierig den Kopf entgegen streckt. »Du bist ein ganz lieber. Weisst du das?« Spontan gibt er ihm einen Kuss auf die Nüstern. »Passt mir gut auf ihn auf.« Noch einmal sieht er zum Heulager, in dem eine gespenstische Stille herrscht. Es widerstrebt ihm, aber er dreht sich um und geht zurück ins Haus, wo er sich gründlich die Hände wäscht und wieder in die Hausschuhe schlüpft.

Als er sich der Küche nähert, hört er die aufgeregte Stimme von Yugi. »Verdammt, Grossvater, warum hast du uns nichts gesagt? Dann hätten wir uns seelisch darauf vorbereiten können!« Den Tränen nahe, sieht Yugi Sugoroku an, der den Blick ernst erwidert. »Aus zwei Gründen. Er hat mich darum gebeten, dass ich nichts sage und weil ich nicht wusste und es auch immer noch nicht weiss, ob die Situation wirklich so schlimm ist, wie er es angedeutet hat.« Bemüht ruhig redet er mit seinem Enkel, der aufgeregt auf und ab geht. »Was sollte schon so schlimm sein, um sein Leben, unser Leben, zu zerstören? Verdammt! Wir waren bis gestern Nachmittag glücklich und jetzt geht es ihm schlechter als damals, als er zu uns gekommen ist! Er hat Albträume und ist verzweifelt. Wir haben die halbe Nacht nicht geschlafen und ich habe Angst, dass wenn ich mich umdrehe, er weg ist.« Mit jedem Wort ist Yugi lauter geworden und Sugoroku ist erstaunt, dass der Boden noch keine Laufspuren hat. »Yugi, lass uns den Nachmittag abwarten, dann werden wir es sehen, ob das, was sie uns zu sagen haben, so schlimm ist oder nicht und nun beruhige dich. Es bringt nichts, wenn du dich jetzt so aufregst.«

Da betritt Nino vorsichtig die Küche. »Er hat recht. Es bringt nichts, wenn du dich jetzt so aufregst. Im Gegenteil, du machst es euch nur schwerer.«

Erstaunt sieht Yugi Nino an. »Wie meinst du das?« Will er überrascht, dass sich Nino einmischt, wissen.

Dieser scheint nun plötzlich kleiner zu werden. »Na ja … ähm … Was bringt es, wenn du dich jetzt über etwas aufregst, das du nicht ändern kannst. Es ist nun mal so und du brauchst deine Kraft doch eher, um Atemu zu helfen. Es geht ihm nicht gut. Auch wenn er es zu verstecken versucht.«

Tief atmet Yugi durch. »Du hast ja recht. Es macht mich nur wahnsinnig, ihn so zu sehen und ich weiss, dass es ihm nicht gut geht. Aber er muss selbst auf uns zu kommen. So wie er jetzt drauf ist, würde er auch von mir alles abblocken.« Bedrückt senkt Yugi den Blick und reibt sich den Nacken. »Wir helfen ihm jetzt am besten, wenn wir ihn so wie immer behandeln.«

Bestätigend nickt Sugoroku. »Yami war anders. Er hat sich zurückgezogen, auch wenn er uns gebraucht hätte. Da mussten wir auf ihn zu gehen und ihm zeigen, dass wir für ihn da sind, wenn er uns braucht.«

Nun sieht Nino den alten Mann erstaunt an. »Ich dachte, Yami und Atemu sind die gleichen? Ich meine, was ist denn der Unterschied?«

Nachdenklich reibt sich Sugoroku das Kinn. »Wie soll ich es dir erklären?«, beginnt er und sieht die Stirn runzelnd zur Küchentür. »Yami hatte keine Vergangenheit. Er kannte nur die 5 Jahre Sklaverei, die er erlebt hatte. Seit er sich daran erinnert, wer er wirklich ist, hat er auch eine Vergangenheit. Sein unterdrückter, wahrer Charakter ist wieder hervorgekommen. Darum verhält er sich anders und braucht auch eine andere Behandlung von uns und das macht es so schwer. Jetzt, da er langsam ein gewisses inneres Gleichgewicht gefunden hat, wird er wieder vollkommen aus der Bahn geworfen und nicht nur er, uns geht es da nicht besser, wenn ich ehrlich bin.« Tief seufzt er auf. Da fällt sein Blick auf Yugi der mit gesenktem Blick da steht. »Was hast du denn?« Möchte er mit sanfter Stimme wissen. Doch sein Enkel schüttelt nur den Kopf. »Es ist nichts. Es tut mir nur leid, wie ich vorhin mit dir geredet habe. Mir war nicht bewusst, dass es dir auch so schlecht geht, wie mir oder Atemu.« Deutlich ist das schlechte Gewissen in Yugis Stimme zu hören, woraufhin Sugoroku mit einem verständnisvollen Lächeln den Kopf schüttelt. »Es muss dir nicht leidtun. Ich kann dich ja verstehen. Du trägst die meiste Last und das auch schon, bevor Atemu zu uns gekommen ist. Irgendwann ist das Fass voll und dann kann man einfach nicht mehr klar denken oder sich in andere rein versetzen. Also mach dir keine Vorwürfe. Hilf Nino lieber den Tisch zu decken und das Frühstück fertig vorzubereiten.«

Erleichtert, dass ihm sein Grossvater nicht böse ist, nickt Yugi und erst jetzt fällt ihm auf, dass Nino schon fleissig dabei ist, alles auf den Tisch zu stellen. »Ich verteile alles, was du holst«, sagt er zu Nino und beginnt die Teller auf ihre Plätze zu stellen.

Als der Tisch dann fertig gedeckt ist, kommt auch Atemu rein und setzt sich mit unergründlicher Miene hin. Er ignoriert alles um sich herum, als er nach einem Brötchen greift und es auseinander bricht.

Vielsagend sehen sich Yugi und Sugoroku an. So extrem war der Rückzug noch nie gewesen, wenn es Atemu nicht gut gegangen ist. »Sag mal, Yugi. Öffnest du heute den Laden?« Will Nino plötzlich wissen, was ihm von zwei Seiten erstaunte Blick einbringt. Unsicher zieht er den Kopf ein und will schon etwas sagen, als Yugi den Kopf schüttelt. »Nein, ich lasse den Laden heute geschlossen. Warum willst du das wissen?«

»Na ja, ich könnte dann vorne noch mehr von dem Leder zuschneiden und oder gründlich durchputzen. Die Leute tragen so viel Schmutz rein, dass man jetzt schon kaum glauben kann, dass ich am Sonntag den Boden geputzt habe.« Empört sieht Nino zum Fenster. »Und daran ist nur dieses doofe Wetter schuld.«

Da kann sich Sugoroku ein Lachen nicht mehr verkneifen. »Nur indirekt, mein Junge. Ja, die Strassen sind ziemlich schmutzig, aber wir haben in der letzten Zeit auch viel mehr Kunden. Yugi muss ja schon tagsüber die Zahlen von Schiefertafel in sein Geschäftsbuch übertragen, weil sie voll ist und er nicht bis zum Abend warten kann.«

»Dann muss ich halt am Abend jetzt immer schnell durchwischen. Das geht doch so nicht, dass der Boden dreckig ist.« Nickt Nino, um seine Aussage noch zu verstärken.

 

Auch wenn viel geredet wird, nimmt Atemu das alles nur am Rande wahr. Er hat sich in sich selbst zurückgezogen. Genau das macht Yugi Sorgen, als von seinem Liebsten so überhaupt keine Reaktionen kommen. Nicht einmal ein Schmunzeln, als sich Nino so über das Wetter aufregt und dann auch kein Kommentar dazu, dass er den Laden geschlossen lässt. »Liebster?« Keine Reaktion. Er beugt sich vor und legt ihm die Hand auf den Unterarm. Erst jetzt wird er angesehen. «Was ist?«, fragt Atemu verwirrt.

»Ich mache mir Sorgen um dich. Du wirkst so, als wärst du gar nicht hier.« Sanft lächelt Yugi seinen Liebsten an und es zerreisst ihm das Herz, als es halbherzig und kaum sichtbar erwidert wird. »Ich war nur in Gedanken. Es ist alles in Ordnung, ich frage mich nur, wann sie heute kommen werden.«

Ein Räuspern lässt ihn zu seinem Grossvater blicken. »Was hast du? Hast du wieder Rückenschmerzen? Ich werde mich gleich darum kümmern.«

Eigentlich wollte Sugoroku ja nur sagen, wann die Drei kommen würden, aber als er den Ausdruck in den rubinroten sieht, nickt er. »Ein wenig. Ich wäre wirklich froh, wenn du mich noch einmal behandeln könntest, bevor sie heute Nachmittag kommen.«

»Dann mache ich das, gleich nachdem ich die Boxen ausgemistet und geduscht habe.« Ernst nickt Atemu und erst jetzt greift er nach seiner Tasse und nimmt einen Schluck, nur um gleich darauf das Gesicht zu verziehen. Ohne ein Wort zu sagen, greift er nach dem Honig und süsst den Tee nach.

 

Mit offenem Mund sieht Nino zu, wie zwei Löffel Honig in der Tasse verschwinden und dann gleich darauf noch einmal drei. Sprachlos blickt er zu Sugoroku, der leicht den Kopf schüttelt. »Wir erklären es dir später.«

Es passt ihm nicht, dass er jetzt keine Antwort auf seine stumme Frage bekommt, was Yugi auffällt. »Je, grösser sein Stress, desto süsser wird alles, was er isst«, erklärt er knapp und deutet zu Atemus Tasse, in der jetzt noch mehr Honig verschwindet.

Unwillkürlich sieht Nino auch hin und ihm wird beinahe übel, als noch mehr Honig in der Tasse landet. »Warum isst du nicht gleich den Honig direkt aus dem Glas?«, rutscht es ihm angewidert raus.

»Weil ich Tee trinken und keinen Honig aus dem Glas essen will.« Trotz seiner Antwort schiebt sich Atemu nun noch einen Löffel Honig direkt in den Mund, ehe er das Honigglas verschliesst und sich mit der Tasse in der Hand zurücklehnt.

»Siehst du«, formt Yugi tonlos mit den Lippen, als Nino ihn wieder ansieht. »Wie gesagt, ich mache den Laden heute sicher nicht mehr auf. Vielleicht bleibt er die Woche auch ganz geschlossen. Genug Rücklagen haben wir ja, um das verkraften zu können.«

Schlagartig richtet sich Atemu senkrecht auf. Mit funkelnden Augen fixiert er Yugi. »Nein, du wirst den Laden morgen wieder öffnen, wenn es die Zeit zulässt. Es geht nicht, dass du ihn geschlossen hältst. Das ist jetzt die umsatzstärkste Zeit, die du in den letzten Monaten hattest. Die darfst du nicht ungenutzt verstreichen lassen!« Sein Tonfall lässt keine Widerworte zu und seine Haltung ist ganz anders als noch vor ein paar Sekunden. Unwillkürlich schluckt Yugi und nickt dann. »Gut, wenn du das verlangst, dann mache ich es so.«

»Ja, das tue ich«, bestätigt Atemu und trinkt seinen Tee aus, ehe er aufsteht. »Ich bin im Stall und miste die Boxen aus. Grossvater, du gehst ins Bett lässt dir von Nino heisse Tücher auf deinen Rücken legen, bis ich zu euch hoch komme.« Eindringlich sieht er Sugoroku an, bis dieser nickt. Erst dann verlässt er die Küche und gleich darauf hören sie die Hintertür.

»Ähm, was war das jetzt?«, verwirrt sieht Nino die beiden Mutos an, die unwillkürlich anfangen zu grinsen. »Das war eine Kostprobe des Pharaos, der er eigentlich ist. Wenn er das heute Nachmittag in der Art durchziehen kann, dann wird das eine sehr interessante Zeit werden.« Auch während er redet, kann sich Sugoroku das Grinsen nicht verkneifen. »Und Yugi, du hast es gehört, wenn nicht irgendwelche Termine anstehen, stehst du ab morgen wieder im Laden.«

Tief seufzt Yugi auf und muss dennoch immer noch grinsen. »Ja. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so froh bin, diese Seite von ihm zu sehen. Auch wenn es gerade nur Fassade gewesen ist, so ist sie wenigstens da.«

Nino versteht die Welt immer noch nicht und irgendwie kommt er sich immer dümmer vor, was ihn traurig den Blick senken lässt. Auf einmal spürt er eine Hand auf seiner Schulter. Als er hochsieht, blickt er direkt in Sugorokus Gesicht. »Yugi will damit sagen, dass Atemu zwar jetzt nur geschauspielert hat, aber auch diese dominante Art ist ein Teil von ihm und es beruhigt ihn, dass sie noch da ist. Denn so wird er sich heute Nachmittag sicher besser behaupten können als noch gestern, als er unvorbereitet gewesen ist. Es ist so kompliziert zu erklären. Du wirst es also dann später selbst sehen müssen.«

Nicht wirklich mit der Antwort zufrieden, nickt Nino und runzelt dann die Stirn. »Deinem Rücken geht es doch besser. Warum hast du dann gesagt, dass du Rückenschmerzen hast?«

Ertappt kratzt sich Sugoroku nun an der Nase. »Na ja, leichte Rückenschmerzen habe ich immer noch. Ausserdem braucht er etwas zu tun und in dem Zustand kann er nicht mit den Pferden arbeiten. Das hat er schon mal versucht. Das ging gründlich in die Hose. Sie haben ihm deutlich gezeigt, was sie davon halten, wie er drauf ist und sind ihm auf der Nase rumgetanzt.« So im Nachhinein findet es Sugoroku eigentlich ganz lustig, wie sich die Pferde damals verhalten haben, auch wenn es zu dem Zeitpunkt alles andere als komisch gewesen ist. Eher im Gegenteil …

Nino sieht ihn ungläubig an. Er hat doch die ganze Zeit über mitbekommen, dass die Pferde auf jedes Wort Atemus hören und auf jede Bewegung von ihm reagieren. »Dann muss es ihm wirklich schlecht gegangen sein«, murmelt er vor sich hin. Auf einmal strafft sich seine Gestalt. »Wie auch immer. Er hat genau gesagt, was du zu tun hast. Also solltest du wirklich ins Bett gehen und ich komme dann mit den Tüchern und dem heissen Wasser nach.« Seinen ganzen Mut zusammen nehmend, steht er auf und ergreift Sugorokus Arm. Mit sanftem Nachdruck führt er ihn bis zur Küchentür und dann sogar bis zur Treppe. »Den Rest solltest du allein schaffen.« Erst, als der alte Mann wirklich die Treppe hoch geht, dreht sich Nino um und geht zurück in die Küche, wo Yugi gerade dabei ist, den Tisch abzuräumen. »Ihr beide schafft es noch, dass sich Grossvater endlich wirklich schont. Das freut mich trotz allem.« Leicht lächelt Yugi ihn an.

»Wenn er seinen Rücken schon dazu benutzt, um Atemu abzulenken, dann muss er auch mit den Konsequenzen leben.« Zuckt Nino mit dem Schultern und geht in den Vorratsraum, um gleich darauf mit einer grossen Schüssel wieder heraus zu kommen, die er an der Spüle mit heissem Wasser füllt. »Er wollte, dass ich Haferkekse unter seiner Anleitung backe. Kennst du das Rezept?« Fragend sieht er über die Schulter, während das Wasser in die Schüssel läuft.

»Ja, ich kenne das Rezept. Es ist ganz einfach. Butter, Honig, Haferflocken und ein wenig Salz. Das wars.« Yugi muss doch tatsächlich die paar Zutaten an seinen Fingern abzählen. Zu selten steht er selbst in der Küche und backt.

»Gut.« Nino nickt zufrieden. »Dann können wir die Kekse ja gemeinsam backen. Aber ich dachte, dass Atemu Haferflocken nicht mag.«

Mit einem schiefen Grinsen nickt Yugi. »Er hasst sie, aber die Kekse mag er. Auch wenn er es nicht zugibt. Die Schüssel ist übrigens voll.«

Sofort dreht Nino den Wasserhahn zu. »Sie ist zu voll«, murrt er und giesst etwas von dem Wasser aus.

»Also, ich bin dann oben«, murmelt er und eilt mit der Schüssel aus der Küche. Nach einem Zwischenstopp im Bad, wo er zwei Handtücher holt, steigt er vorsichtig die Treppe nach oben.

 

Yugi ist inzwischen damit beschäftigt, das Geschirr zu spülen. Dabei wandern seine Gedanken immer wieder zur letzten Nacht. Es war nicht bei dem einen Albtraum geblieben. Immer wieder hatte er Atemu wieder beruhigen müssen, wenn dieser sich ein ums andere Mal unruhig von einer Seite auf die andere geworfen hatte. Eigentlich gleicht es einem Wunder, dass er ihn nicht hatte aufwecken müssen. Er fragt sich, was sein Liebster wohl geträumt hatte. Hin und wieder hatte dieser zwar etwas gemurmelt, aber das war entweder so undeutlich gewesen, dass er nichts verstehen konnte oder aber in Sprachen, die er nicht versteht. »Manchmal ist es schon blöd, einen Partner zu haben, der so viele Sprachen kann«, murmelt Yugi frustriert und nimmt sich vor, wenigstens Atemus Muttersprache zu lernen.

Als er alles abgewaschen hat und nach dem Geschirrtuch greift, hört er die Hintertür auf und wieder zu gehen. Kurz darauf wird eine weitere Tür geöffnet und wieder geschlossen. »Jetzt ist er also im Bad«, stellt Yugi leise fest und nimmt den ersten Teller, um ihn abzutrocknen.

Als auch das letzte Messer abgetrocknet an seinem Platz liegt, wischt er noch den Tisch ab und geht dann in den Laden. Noch immer liegt die vollgeschriebene Schiefertafel auf dem Verkaufstresen und mit einem Seufzen macht er sich daran, die Zahlen ins Buch zu übertragen. Es ist eine einfache, ja schon beinahe langweilige Arbeit, aber sie tut ihm gerade unglaublich gut. Als er alles eingetragen hat, holt er die Einnahmen vom gestrigen Tag aus der Kasse und tut sie in den entsprechenden Lederbeutel, den er gleich darauf wieder im Wandtresor verstaut. Dabei fällt sein Blick auf die Papiere seines Liebsten. Unwillkürlich zieht sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Den Kloss runterschluckend, der ihm den Atem abschnürt, schliesst er vehement die Tür des Tresors und hängt das Bild davor auf. Als er es ansieht, bildet sich eine unbändige Wut in ihm. Dabei kann dieses unschuldige Bild doch gar nichts dafür, dass sein Leben gerade den Bach runtergeht.

Auf sich selbst wütend, wischt er sich mit dem Ärmel seines Pullovers über die Augen, um die Tränen abzuwischen, die aus ihnen zu entkommen drohen. »Nein, wir werden das gemeinsam schaffen.« Schon beinahe trotzig streckt er dem Bild kindisch die Zunge raus. »Ich lasse mir von einem Land sicher nicht meine Beziehung zerstören. Hörst du das, du verdammtes ägyptisches Grossreich? Das lasse ich nicht zu!«

»Mit wem redest du, Sharik?«

Erschrocken wirbelt Yugi herum. »Du bist es. Musst du nicht Grossvater den Rücken massieren?« Stösst Yugi etwas zu laut hervor, nur um sich gleich darauf verlegen zu räuspern. Er spürt leider zu deutlich, wie seine Wangen heiss werden, was ihn verlegen den Blick senken lässt. Dass sein Liebster leise lacht, macht es auch nicht besser. »Ich war schon oben und habe mir seinen Rücken angesehen. Das schafft Nino auch allein. So schlimm ist es nicht und wenn er sich nicht selbst an den Herd stellt, dann kann er auch ohne Probleme gleich wieder aufstehen.« Schief grinsend sieht Atemu ihn an. »Ich bin ehrlich gesagt erstaunt, dass er überhaupt etwas gesagt hat. Sonst ist er nicht so schnell bereit zuzugeben, wenn er Schmerzen hat.«

Da sein Sharik ihn immer noch nicht ansieht geht er zu ihm und zieht ihn in eine lockere Umarmung. »Es wird alles gut werden. Das verspreche ich dir.« Sanft haucht er ihm einen Kuss auf die Lippen. »Ich kann dir nicht versprechen, dass es leicht wird, aber es wird alles gut werden«, raunt er an dessen Lippen und dann endlich wird der Kuss erwidert. Es ist eine gewisse Verzweiflung in dem Kuss zu spüren, die von ihnen beiden ausgeht. Auf einmal hören sie ein Klopfen an der Tür und fahren erschrocken auseinander. »Da steht doch geschlossen«, murrt Yugi und geht zur Tür, während Atemu sich hastig das Halsband anlegt. Er hat die Schnalle kaum geschlossen, als sein Sharik auch schon die Tür öffnet und scharf die Luft einzieht. »Hopkins! Ihr wolltet doch erst am Nachmittag kommen!« Zwischen Ärger und Erleichterung hin und her schwankend sieht er den alten Mann und seine Begleiter an. »Guten Morgen, Yugi. Ja, eigentlich wollten wir erst am Nachmittag kommen, aber es gibt so viel zu besprechen und meine Begleiter drängen zur Eile. Dafür haben wir Pasteten mitgebracht, die wir entweder kalt oder aufgewärmt essen können.« Freundlich, aber doch sehr ernst sieht Arthur seinen jungen Freund an, in dessen Gesicht deutlich der Widerwille zu erkennen ist. »Yugi, bitte lass uns rein. Was bringt es uns, wenn wir die ganze Angelegenheit künstlich in die Länge ziehen. Es macht die Sache nicht leichter. Für keinen von uns.« Eindringlich sieht er ihn an. Doch Yugi senkt den Blick und wirkt schon beinahe trotzig. Er rechnet schon damit, dass die Tür vor seiner Nase wieder geschlossen wird, als plötzlich Atemu auftaucht und Yugi die Hand auf die Schulter legt. »Sharik. Er hat recht. Es bringt nichts, sie jetzt wegzuschicken. Also lass sie eintreten.« Mit sanftem Druck gegen dessen Schulter, bringt er ihn dazu, zur Seite zu treten. Er weiss, was gerade im Kopf seines Shariks vorgeht. Ihm geht es nicht anders und als er Shimon und Seto sieht, würde er am liebsten davonrennen und sich im Stall verstecken oder wieder in ihrem Schlafzimmer. Mit unergründlicher Miene sieht er Hopkins an, als dieser eintritt. »Danke, Yami oder soll ich dich Atemu nennen? Oder Pharao?« Freundlich lächelnd sieht Arthur den jungen Mann an, der so stolz schräg hinter Yugi steht, dass er sich am liebsten verneigen würde.

»Ich bin kein Pharao, Sir Hopkins. Nennen Sie mich Atemu oder Yami. Was Ihnen lieber ist. Beides sind meine Namen«, erwidert Atemu mit kühlem Blick. Deutlich spürt er die neugierigen Blicke von Shimon und Seto auf sich ruhen, was ihn das Halsband an seiner Kehle noch deutlicher ins Bewusstsein ruft. »Geht doch schon mal hoch ins Wohnzimmer. Wir kommen gleich nach und bringen Tee und Gebäck mit.«

 

In Seto brodelt es, während er seinen Cousin mustert. »Hast du uns nur das zu sagen? Dass wir hoch in diese Zumutung von einem Wohnzimmer gehen sollen und warten?«, fährt er Atemu an und macht einen bedrohlichen Schritt auf Atemu und Yugi zu. Seine Hände sind zu Fäusten geballt und er ist tatsächlich bereit zuzuschlagen, als ihn dieser feurige und doch kalte Blick trifft, der ihn in der Bewegung erstarren lässt.

»Ja, hier an der offenen Tür habe ich euch nur das zu sagen. Erstens befinden wir uns in der Öffentlichkeit. Zweitens kommt kalte Luft herein und kühlt den Laden aus. Drittens seid ihr Gäste dieses Hauses. Es ist also sehr unfreundlich nicht den Wünschen des Gastgebers nachzukommen und ihn dazu noch zu beleidigen.« Jedes einzelne Wort sitzt in Betonung und Wirkung. Das kann er in den Augen seines Cousins sehen, ehe dieser sich ruckartig umdreht und zu Shimon blickt. »Gehen wir in diese Abstellkammer, die sie als Wohnzimmer bezeichnen. Je schneller wir hier fertig sind, desto besser!« Hoch erhobenen Hauptes rauscht er zur Tür, die in den privaten Bereich des Hauses führt. »Sehr gut, so schnell haben wir ihn noch nie ruhig gestellt«, murmelt Arthur in seinen Schnauzer und in seinen Augen ist ein amüsiertes Blitzen zu erkennen.

»Sir Hopkins, es wäre sehr freundlich, wenn Sie sich auch ins Wohnzimmer begeben würden. Es wird langsam wirklich kalt hier drin.« Es ist ein Hauch von Tadel in der Stimme Atemus zu hören, der wohl einem beiläufigen Zuhörer niemals auffallen würde, aber den beiden älteren Männern fällt er auf. »Natürlich, wir erwarten euch dort«, sagt Hopkins und kann sich tatsächlich nicht zurückhalten. Er verneigt sich leicht vor Atemu, ehe er sich abwendet und mit Shimon, der sich wohlweislich im Hintergrund hält, nun ebenfalls den Laden in Richtung Wohnbereich verlässt. Kaum sind sie weg, schliesst Yugi die Ladentür und dreht den Schlüssel wieder um. Erschrocken fährt er herum, als er einen lauten Schlag hört. Nur ein paar Schritte entfernt, schlägt Atemu noch einmal auf eins der Regale ein und sinkt dann zu Boden. Seine Schultern beben, sein ganzer Körper zittert, als er um Kontrolle ringt. »Liebster!«, ruft Yugi voller Sorge aus und geht neben ihm die Hocke. Als er jedoch den Arm um ihn legen will, wird er von ihm abgewehrt. »Liebster, was ist? Warum …?« Verwirrt und zugleich verletzt, lässt er den Arm wieder sinken.

»Sharik, fass mich jetzt nicht an. Das würde ich nicht ertragen und ich brauche meine ganze Selbstbeherrschung, um mich ihnen zu stellen«, presst Atemu mühsam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Bitte lass mich für einen Moment allein. Ich komme gleich nach.« Mühsam zwingt er sich zu einem Lächeln, als er Yugi ansieht, der ihn zweifelnd mustert. »Bitte. Ich bin den Umgang mit den beiden gewohnt, aber ich muss mich sammeln und meine Gefühle unter Kontrolle bringen, bevor ich mich ihnen noch einmal stelle.«

Zögernd steht Yugi wieder auf. Alles in ihm wehrt sich dagegen, seinen Liebsten jetzt allein zu lassen. Dennoch macht er einen Schritt nach dem anderen in Richtung Tür, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Im Türrahmen bleibt er noch einmal stehen. »Ich habe das Hausrecht. Ob Kronprinz oder nicht. Ich kann sie jederzeit rauswerfen, wenn du das möchtest.« Irgendwie hofft er, dass sein Liebster genau das jetzt von ihm verlangt.

Doch dieser schüttelt nur mit einem traurigen Lächeln den Kopf. »So gerne ich auch ja sagen würde. Es bringt nichts, davonzulaufen. Also geh zu ihnen und sei ein guter Gastgeber. Ich komme gleich nach. Versprochen.«

Erst als Yugi weg ist, schliesst Atemu erschöpft die Augen. Er fühlt sich jetzt schon kaum in der Lage sich auf den Beinen zu halten. Doch er muss es irgendwie schaffen. In Gedanken geht er all die Mantras durch, die er sich in der Zeit als Sklave angewöhnt hat aufzusagen, wenn er am Ende seiner Kräfte war, aber noch nicht zur Ruhe kommen durfte. Langsam spürt er, wie sich sein rasender Herzschlag wieder beruhigt und seine Atmung gleichmässiger und tiefer wird. Dennoch bleibt er noch länger auf dem Boden knien, bis sich auch seine wild im Kreis drehenden Gedanken wieder beruhigen. Erst jetzt öffnet er wieder die Augen und sieht auf das vom Alter dunkle Holz des Regals vor ihm. Noch ein paar Mal atmet er tief durch, ehe sich sein Körper strafft und er aufsteht und sich die Kleider glatt streicht. Nichts erinnert jetzt mehr an seinen Zusammenbruch. Sein Blick ist gefasst, seine Haltung aufrecht und königlich, als er sich in Bewegung setzt und den Laden verlässt.

Äusserlich vollkommen ruhig und mit wie betäubten Gefühlen geht er die Treppe nach oben. Jedoch zögert er vor dem Wohnzimmer. Noch kann er von den Personen in dem Raum nicht gesehen werden, dennoch herrscht ein Stille, als wäre niemand da. Es ist unheimlich, dass mindestens vier Personen so gar kein Geräusch machen können. Nur das leise Knistern des Kaminfeuers ist gerade noch so zu hören. Seine Selbstbeherrschung gerät ins Schwanken und er muss ein paar Mal tief durchatmen, ehe er sich in der Lage sieht, die letzten Schritte zu machen.

Mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck betritt er das Wohnzimmer. Mit einem Blick erfasst er die Situation. Auf dem Sofa sitzen ihre drei Gäste, während es sich Grossvater und Yugi auf den beiden Stühlen bequem gemacht haben, die sonst beim Schachtisch stehen, jetzt aber gegenüber des Sessels stehen, der noch frei ist. Mit einem angedeuteten Lächeln tritt er näher und neigt majestätisch den Kopf. »Hohepriester Shimon, Prinz Nesut. Verzeiht mir mein Versäumnis, euch gebührend zu begrüssen. Ich heisse euch herzlich im Hause Muto willkommen.« Bewusst verwendet er die förmlichen Anreden und Titel. »Sir Hopkins, ich heisse auch euch willkommen.« Seine Stimme ist nur eine Spur kühler, als bei den anderen beiden und nichts verrät, wie es in ihm aussieht, als er sich auf den freien Sessel setzt.

 

Shimon ist wie erstarrt, als Atemu sich so verhält, als wären sie … Er kann keine Worte dafür finden. Um sich irgendwie wieder zu fangen, räuspert er sich vernehmlich hinter vorgehaltener Hand. »Es gibt nichts zu verzeihen, mein Pharao. Eher müssen wir euch um Verzeihung bitten, für all die Jahre in denen wir …« Eine gebieterisch erhobene Hand lässt ihn mitten im Satz verstummen.

»Hohepriester. Es gibt nichts, was ich euch verzeihen müsste. Ausserdem bin ich nicht mehr der Pharao und es wäre respektlos, dem Sohn des Pharaos gegenüber, wenn Ihr mich weiterhin so nennt.« Hoheitsvoll sieht er Shimon an, der zögernd nickt. »Aber wie sollen wir euch sonst nennen? Ihr seid er gesalbte Pharao, der von den Toten wieder auferstanden ist. Ihr gehört rechtmässig auf den Thron.«

 

Yugi wird es beinahe schlecht, als er die so geschwollene Sprache hört und dann noch dieses, in seinen Augen scheinheilige Getue! Kein Wort hatten die beiden Fremden mit ihnen gewechselt, seit sie das Wohnzimmer betreten hatten und auch Hopkins hatte nach der Begrüssung nur schweigend dagesessen. »Können wir dem Ganzen nicht ein Ende setzen? Bitte, Grossvater. Du kannst doch auch sehen, dass es Atemu schlecht geht«, flüstert er Sugoroku so leise zu, dass nur dieser ihn hören kann.

»Leider nein. Wir können nichts tun, ausser zuzusehen und ihn dann wieder aufzufangen, wenn er zusammenbricht. Seit dem Moment, als sie unten die Schwelle überschritten haben, sind wir nur noch Zuschauer oder Statisten. So leid es mir tut, wir können und dürfen jetzt nicht eingreifen«, erwidert Sugoroku ebenso leise, während er fasziniert das Schauspiel beobachtet, das sich ihm gerade bietet.

 

Gerade schüttelt Atemu auf eine Art den Kopf, wie es wohl nur ein geborener Herrscher kann. »Hohepriester Shimon, ich bin kein Pharao mehr. Seht ihr nicht das Halsband, das ich trage? Ich bin ein einfacher Sklave, der seinen Herren dient.«

Nun hält es Seto nicht mehr aus. Jedem Protokoll zum Trotz springt er auf und sieht auf seinen Pharao hinab. »Ja, wir sehen das Halsband, das ihr tragt. Hinter dem ihr euch versteckt. Wo wart ihr all die Jahre? Habt ihr denn gar kein schlechtes Gewissen eurem Volk gegenüber oder zumindest gegenüber eurer Schwester? Verdammt, ich habe die Totenriten für euch abgehalten, weil sie noch zu klein war! Euer Volk hat um euch getrauert! Wir alle haben um euch getrauert!« Jedes einzelne Wort ist mit einer Intensität und gleichzeitigen Ruhe ausgesprochen, die noch schlimmer sind, als wenn Seto geschrien hätte. Mit feurigem Blick sieht er seinen Cousin an, der den Blick ruhig und mit diesem ihm so eigenen Lächeln erwidert, das nichts von seinen wahren Gefühlen erahnen lässt.

Augenscheinlich entspannt lehnt sich Atemu zurück. »Dass meine Schwester und mein Volk getrauert haben, das glaube ich euch sogar. Aber verzeiht mir, wenn ich euch nicht glaube, dass euer Vater um mich getrauert hat. Schliesslich ist mein Flugzeug von unseren eigenen Raketen abgeschossen worden.« Vollkommen ruhig spricht er diese Tatsache aus und doch schlagen die Worte ein, wie eine Bombe. Jeder im Raum ist erstarrt und nur die leisen Schritte Ninos durchbrechen die Stille, der Tee und einen Teller mit frisch gebackenen Keksen bringt und alles auf den Sofatisch stellt. Ganz der perfekte Diener füllt er die Tassen mit dem extra aufgebrühten Tee, ehe er sich mit gesenktem Blick wieder zurückzieht.

»Das ist nicht wahr. Warum sollten unsere Leute euer Flugzeug angreifen! Das was ihr sagt ergibt keinen Sinn! Die Untersuchungen haben eindeutig ergeben, dass ein Triebwerksschaden zum Absturz geführt hat. Die verantwortlichen Mechaniker sind dafür natürlich auch zur Verantwortung gezogen worden!« mit beiden Händen stützt sich Seto auf den Armlehnen des Sessels ab, als er sich zu Atemus Gesicht runterbeugt. »Also wie zum Seth kommt ihr darauf, dass euer Flugzeug angegriffen worden ist.«

Ruhig sieht Atemu in die sonst so kalten Augen, in denen jetzt eine unterdrückte Wut, aber auch Unsicherheit brennt.

»Ganz einfach! Wir waren in unserem Luftraum. Ich konnte durch das Fenster den Sand der Wüste sehen, als die erste Rakete einschlug und kurz darauf eine zweite, die das Flugzeug dann abstürzen liess«, erwidert er mit gefährlich ruhiger Stimme und mit diesem Lächeln, das jeden um ihn herum immer verunsichert hatte. »Wisst ihr, was das für ein Gefühl ist, eingeklemmt zwischen Trümmern aufzuwachen und vor sich den vorderen Teil des Flugzeugs zu sehen? Die Schreie der Verletzten zu hören, die euren Namen rufen? Und dann zu sehen, wie genau der Teil vor euren Augen explodiert? Ich weiss nicht, wie ich in den hinteren Teil des Flugzeugs gekommen bin, aber seit ich mich wieder daran erinnern kann, wer ich einst gewesen bin, werde ich diesen Anblick, diese Schreie, niemals vergessen.«

Seto will ihn anschreien, dass es nicht sein kann, als ihm plötzlich bewusst wird, was ihm da gerade gesagt worden ist. Ruckartig richtet er sich auf. »Ihr hattet wirklich eine Amnesie?«, fragt er ungläubig nach. Hatte er doch diesem Hopkins kein Wort geglaubt, als er ihnen genau das erzählt hatte.

»Ja, ich konnte mich bis vor etwa einem halben Jahr nicht daran erinnern, was genau passiert war oder wer ich einst überhaupt gewesen bin. Das hat Sir Hopkins euch doch sicher erzählt. Wenn er euch schon erzählt hat, dass ich noch lebe und das wohl so überzeugend, dass ihr beide jetzt hier in diesem Haus seid und das zu dieser Jahreszeit. Die Überfahrt war sicher kein Vergnügen. Vor allem wenn ich bedenke, dass ihr sicher mit dem Postschiff fahren musstet, da Sir Hopkins nicht mit einem Flugzeug reisen darf.« Ein spöttischer Unterton hat sich in Atemus Stimme geschlichen, die Seto so sehr reizt, dass dieser sich wieder vorbeugt, ihn nun am Kragen seines Pullovers packt und ihn drohend zu sich heranzieht. «Na los! Führt zu Ende, was euer Vater begonnen hat. Es muss ja schon eine Belastung für euch sein, dass er nicht der gesalbte Pharao ist, sondern nur so lange auf dem Thron sitzt, bis meine Schwester grossjährig und verheiratet ist.» Herausfordernd sieht er in die Augen seines Cousins, in denen er einen kurzen Anflug von Schmerz erkennt. «Sagt bloss, sie ist schon verlobt. Wer ist denn der Glückliche? Etwa einer der Söhne von Kaiser Hadrian? Oder ein Handlanger eures Vaters?»

Vernehmlich räuspert sich nun Shimon. »Es ist der Pharao selbst, der sie an ihrem Tag der Grossjährigkeit zur Frau nehmen wird. Das hat er vor drei Monaten verkünden lassen.«

Als Atemu das hört, erstarrt er. Seine Maske mit dem leichten Lächeln verrutscht für den Bruchteil einer Sekunde, als sich in seinem Blick der Schock abzeichnet und auch eine Spur der Furcht, die er fühlt, seit Seto ihm so nahe ist und ihn gepackt hält. Ruckartig reisst er sich los und steht auf, sodass sein Cousin sich aufrichten und einen Schritt zurücktreten muss. »Das kann er nicht machen! Die Praxis der Tochter-, Schwester- oder Nichtenehe wird schon seit Generationen nicht mehr praktiziert! Seit bekannt ist, dass dadurch Erbkrankheiten unkontrolliert in der Familie verbreitet werden können!»

Seine Augen sprühen nun vor Wut. »Ich kann es nicht glauben, dass Kisara damit einverstanden ist, ihn zum Mann zu nehmen!«

Ernst sehen sich Shimon und Seto an, bis der alte Mann leicht nickt. Daraufhin räuspert sich Seto. »Sie ist nicht einverstanden. Aber er lässt ihr keine andere Wahl. Entweder sie heiratet ihn, besteigt den Thron und macht ihn zum gesalbten Pharao oder er lässt öffentlich werden, dass ihre Mutter fremd gegangen ist und sie nicht die Tochter eures Vaters ist.« Kühl sieht er Atemu an. Wartet darauf, dass dieser etwas dagegen sagt, doch er wird nur mit diesem spöttischen Lächeln angesehen. Die Maske sitzt wieder perfekt.

Äusserlich ruhig setzt sich Atemu wieder hin. »Damit erzählt ihr mir nichts Neues. Mir war schon vor meiner Thronbesteigung bekannt, dass Kisara und ich nicht den gleichen Vater haben. Allerdings war mir nicht bekannt, dass dies auch meinem Onkel bekannt ist.« Mit einem erhabenen Blick mustert er Seto, der sich langsam wieder aufs Sofa sinken lässt. »Wenn euch das bekannt ist, warum regt ihr euch dann so auf?«, will Seto tonlos wissen.

»Weil es dennoch nicht richtig ist. Der Pharao ist offiziell ihr Onkel und geht auf die sechzig Jahre zu. Wenn er den Thron schon nicht aufgeben will, wie es seine Pflicht wäre, dann soll er sie in den Tempel der Bastet schicken.« Wieder äusserlich ruhig lehnt sich Atemu majestätisch zurück. Doch in seinem Innern schreit er laut auf, wegen der Ungerechtigkeit, die seiner Schwester widerfährt.

 

Nun räuspert sich Shimon. »Hoheit, ihr habt den Verdacht durchscheinen lassen, dass der amtierende Pharao etwas mit dem Absturz eures Flugzeuges zu tun hat. Ich frage mich, woher ihr die Informationen habt, die in euch den Verdacht geweckt haben.« Fragend sieht er Atemu an, der den Blick spöttisch erwidert. »Hohepriester, wie viele Personen befinden sich im Raum?«, stellt er statt einer Antwort eine Gegenfrage, woraufhin der alte Mann die Stirn runzelt. »Wir sind sechs Personen. Ich verstehe nicht.«

»Wirklich? Hast du nicht eine Person vergessen?« Mit einem spöttischen Gesichtsausdruck legt Atemu die Fingerspitzen aneinander.

»Hier sind sieben Personen«, meldet sich nun das erste Mal Arthur zu Wort. Er deutet zur Tür, wo Nino steht und mit respektvoll gesenktem Blick darauf wartet, dass er gebraucht wird.

Jetzt sieht Shimon auch zu dem jungen Sklaven. »Ich verstehe nicht.«

Leicht tippt Atemu die Fingerspitzen aneinander. »Ach, wirklich nicht? Wir Sklaven sind immer da. Immer um euch herum und doch nehmt ihr uns nicht wahr, solange ihr uns nicht braucht. Aber wir sehen und hören alles, was um uns herum vorgeht.«

Bewusst sagt er nicht direkt, worauf er hinaus will. Die beiden Männer sollen entweder von allein auf die Antwort kommen oder weiter im Dunkeln tappen.

Als die Stille sich im Raum ausbreitet, räuspert sich Sugoroku. »Nino, bring bitte Teller und Besteck nach oben. Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die Pastete zu essen, die sie mitgebracht haben.« Als Nino nickt und sich zum Gehen umwendet, steht auch Atemu auf. »Ich bringe den Pferden schnell ihr Heu. Schliesslich sollen die beiden nicht darunter leiden, dass wir Besucher haben.« Noch bevor irgendjemand etwas sagen kann, geht er aus dem Wohnzimmer.

»Was? Das kann er doch nicht machen!«, ruft Seto ungläubig aus. »Wir sind hier noch lange nicht fertig!«

»Doch, das kann er machen! Er ist hier Zuhause und hat jedes Recht zu gehen, wenn er das möchte«, widerspricht Sugoroku. Auch als der tödliche Blick des Prinzen ihn trifft, sieht er ihn vollkommen ruhig und unbeeindruckt an. »Entweder seid Ihr naiv oder blind.« Kühl sieht er von Seto zu Shimon. »Oder ihr wollt nicht sehen, dass es ihm nicht gut geht. Er hat fünf Jahre schlimmste Sklaverei hinter sich. Er hat sich über fünf Jahre lang nicht daran erinnern können, wer er ist. Glaubt ihr wirklich, dass dies ohne Spuren zu hinterlassen, an ihm vorbei gegangen ist? Habt ihr vergessen, wie er gestern auf euch reagiert hat?«

 

Ernst nickt Arthur. »Sugoroku hat recht. Er ist ein unglaublich guter Schauspieler. Er kann seine wahren Gefühle beinahe perfekt unterdrücken oder sie zumindest verstecken, aber das zerrt an den Kräften. Wenn ich Sugorokus Worte richtig interpretiere, dann will er uns so mitteilen, dass Atemu lapidar gesagt eine Pause braucht.«

Zu seiner Überraschung schüttelt sein alter Freund den Kopf. »Keine Pause. Ihr solltet nach dem Essen gehen und erst morgen wiederkommen. Er ist am Ende seiner Kräfte. Sonst wäre er jetzt nicht in den Stall gegangen.«

Abschätzig schnaubt Seto, als er sich mit verschränkten Armen zurücklehnt. »Das soll er uns selbst sagen, wenn er zurück kommt.«

»Er wird nicht zurück kommen, solange ihr da seid«, sagt nun Yugi und steht auf. »Er wird erst wieder das Haus betreten, wenn ihr weg seid. In seinen Augen konnte ich deutlich sehen, dass er am Ende ist. An seiner Haltung war es auch eindeutig zu erkennen! Verdammt nochmal! Ihr beide habt ihn bis zu seiner Versklavung beinahe jeden Tag gesehen und doch kennt ihr ihn offensichtlich nicht!« Mit vor Wut blitzenden Augen fixiert er die beiden Männer. »Esst noch in Ruhe und dann verschwindet aus meinem Haus! Ich will euch bis morgen nicht mehr sehen. Am liebsten noch länger nicht!«

Da kommt Nino mit den Tellern rein. Er nimmt ihm einen ab und legt ein paar Pasteten darauf. »Ich bin im Stall!« Ohne sich noch einmal zu seinen Gästen umzudrehen, verlässt er das Wohnzimmer und zieht sich unten im Flur warm an, ehe er nach draussen geht. Tief zieht Yugi die kühle Luft ein, während er über den Hinterhof läuft. Zuerst sieht er ihm Heulager nach, aber da ist sein Liebster nicht. So geht er zu den Boxen und kann sich trotz allem ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er ihn in Rockys Box entdeckt.

 

Atemu kauert im Stroh und hat den Kopf auf die Knie gelegt. Auf einmal raschelt es neben ihm. Dennoch blickt er nicht auf. Doch er lehnt sich an seinen Sharik und schluchzt leise auf. »Ich kann nicht mehr! Es ist zu viel!«

Sanft legt Yugi die Arme um ihn zieht ihn fester an sich. »Es ist gut. Sie gehen. Du musst dich ihnen heute nicht mehr stellen. Aber sie kommen morgen wieder.« Einem inneren Drang folgend, haucht er ihm einen Kuss auf die Stirn. »Es tut mir leid, dass ich dich nicht vor ihnen beschützen kann.« Da löst sich Atemu wieder leicht von ihm. »Du gibst mir die Kraft, da oben im Wohnzimmer zu sitzen und mich mit ihnen zu unterhalten. Es muss sein. Ich muss wissen, was im ägyptischen Grossreich vor sich geht. Sonst komme ich nie zur Ruhe. Aber es ist so schwer. Sie sehen den Pharao in mir, der ich damals gewesen bin. Aber der bin ich nicht mehr. Ich war nie die Person, die sie in mir gesehen haben, aber das verstehen sie nicht. Das können sie nicht verstehen. Das haben sie nie. Nur Tante Amina hat damals mein wahres Ich gesehen und jetzt tut ihr das. Ihr seid meine Familie! Nicht sie! Aber dennoch will ich Kisara wiedersehen. Ich will sie in den Arm nehmen! Sie beschützen und ihr sagen, dass alles gut wird!«

Ruhig hört Yugi zu und streicht ihm die Tränen von den Wangen. »Das ist ganz normal. Sie ist deine Schwester und du liebst sie. Ich würde meine Schwester auch beschützen wollen, wenn ich an deiner Stelle wäre.« Er zieht ihn wieder an sich und hält ihn fest. »Wir schaffen das. Gemeinsam werden wir es schaffen.«

 

 

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So, das war es jetzt auch schon. Ja, was soll ich sagen, es wird sehr schwer für unsere geliebten Jungs werden. Denn, was ist das Richtige? Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen. Eure mrs_ianto



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Duchess
2020-10-01T02:49:52+00:00 01.10.2020 04:49
So damit ist das Zeitlimit gesetzt.
Jetzt ist Atemu gezwungen zu handeln, wenn er seiner Schwester helfen will.
Und so wie sich das anhört scheinen nicht einmal mehr die beiden engsten Berater etwas davon mitbekommen zu haben, dass es sich beim Absturz um einen Anschlag handelte.
Ich frage mich nur ob sie im Kreise der Mächtigen und Einflußreichen genug Unterstützung für eine Rückgewinnungsaktion finden werden.
Immerhin scheint sich Ägypten mit dem aktuellen Pharao vom Rest der Welt abzukapseln. (ich erinnere mich da an die Begleitung der Stoff Händler in Wladiwostok) Das macht sich außenpolitisch sicher nicht gut. Vielleicht hat ja sogar jemand wie Hadrian Interesse daran, dass auf dem Ägyptischen Thron jemand sitzt, der der Außenpolitik offener gegenüber tritt.
Hoffentlich fängt Atemu sich bald und der Beschützerinstinkt kommt hervor
Antwort von:  mrs_ianto
02.10.2020 00:14
Ja, jetzt ist ein Zeitlimit gesetzt, in dem Atemu handeln muss wenn er zumindest seine Schwester retten will.

Ich glaube, du bist die Erste, die nicht schimpft, weil die drei Herren Atemu und Yugi vermutlich ins Unglück stürzen werden, sondern an seine Schwester und so weiter denkt.
Es wird sich jetzt zeigen müssen, wie sich Atemu entscheiden wird und ob er sich wieder fängt und ob er aktiv werden wird.
Egal wie er sich entscheidet, es wird nicht leicht werden.
Von:  Black_Magic_Rose
2020-09-29T07:20:08+00:00 29.09.2020 09:20
Uff. Zwei Kapitel hintereinader gelesen. XD

Arthur hätte mehr Anstand haben können, so finde ich. Er kommt da mit einem Hohenpriester & Seto & alle drei denken, sie reden mit Atemu & er kommt direkt mit. Pfft.
Allerdings habe ich das Gefühl, dass sowohl Atemu als auch Yugi das Herz gebrochen wird.
Soweit ich es verstanden habe, hat man Sklaven für den Anschlag benutzt, was auch nicht so dumm wäre. Immerhin haben sie nicht die Wahl & müssen gehorchen. So oder so kann man sie loswerden, es gäbe kaum noch Spuren.

Ich bin gespannt.

Liebe Grüße
Black Magic Rose
Antwort von:  mrs_ianto
29.09.2020 22:17
Uff, das ist wirklich viel auf einmal.

Ja, die haben es sich etwas zu leicht gemacht. Sie haben wohl wirklich nicht damit gerechnet, dass Atemu so reagieren würde. Wobei, Hopkins hat es vielleicht vermutet, aber wissen konnte auch er es nicht.

Ich denke, nur der amtierende Pharao weiss, wie der Anschlag ausgeführt worden ist. Aber wir werden es irgendwann erfahren, da bin ich sicher.

LG mrs_ianto
Von:  Usaria
2020-09-27T23:18:55+00:00 28.09.2020 01:18
Hallo Jessy

Uhff, das Kapitel war anstrengend, nicht nur wegen den Emotionen sondern weil keine Absätze drin waren. Kann ja mal beim Hochladen passieren. Ja Atemu hat recht sie sehen nur den Pharao in ihm. So ein Mistkerl, die eigene Nichte, will er heiraten.
Da kommt noch gewaltig auf die beiden was zu. Aber jetzt kennen wir den Grund weshalb.... tütü!

Nun ich hoffe nächsten Sonntag geht´s weiter und ich schau mal auf deiner Hompage vorbei ob es das Buch schon in gedruckter Form gibt.
Antwort von:  mrs_ianto
28.09.2020 07:37
Hallo,

Das Kapitel sollte eigentlich normal dargestellt werden. Ich musste es aber 2 Mal hochladen, da Animexx etwas Probleme machte.

Ja, jetzt wissen wir, was los ist und ja, es wird so einiges auf die beiden zukommen.

Ich habe die Lieferung der Taschenbücher noch nicht erhalten. Das braucht leider immer eine Weile.


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