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Die Seele der Zeit

Yu-Gi-Oh! Part 6
von

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Schmerz

Schmerz
 

„Lass dir eines gesagt sein, Caesian! Du wirst fallen. Und dann werden seine Kinder um deine Leiche tanzen! Du bist verblendet, Menschenkind. Ebenso, wie es der Gott einst war, dessen Zepter du in Händen hältst! Doch ihm wurden die Augen geöffnet. Und so wird es auch bei dir sein! Denn ich bringe dir die Erleuchtung ...“
 

Sie liefen. Liefen als wäre Seth persönlich hinter ihnen her. Woher sie die Kräfte dazu nahmen, wussten sie selbst nicht. Doch das Bewusstsein darüber, was geschehen würde, wenn sie Men-nefer nicht rechtzeitig verließen, verlieh ihnen Flügel. Dennoch kam es ihnen vor wie eine Ewigkeit, bis sie endlich den Palast erreichten. Ohne zu zögern eilten sie durch die Gänge, sprangen Treppen hinunter, bis die Dunkelheit der unterirdischen Tunnel sie verschluckte. Nur vereinzelt erhellten Fackeln ihren Weg – und dennoch hielten sie nicht inne. Sie hatten keine Zeit. Was auch immer Resham plante, es konnte sich nur noch um Augenblicke handeln, bis es eintrat. Bald erfüllten keuchende Laute die Gänge. Die dünne, stickige Luft machte ihnen das Atmen schwer. Zugleich war der Boden schlüpfrig und hielt hier und dort die eine oder andere Falle bereit.

„Licht ... Da vorne ist Licht!“, stieß Tea plötzlich hervor, die voraus eilte. Die Kondition, die sie durch das Tanzen gewonnen hatte, kam ihr in diesem Moment zu Gute. So war es zunächst sie, die vom grellen Schein geblendet wurde. Die Anderen folgten ihr auf den Fuß. Sie standen auf einem Hügel nahe des Nils, der üppig bewachsen war. Am Horizont erhob sich Men-nefer aus dem Wüstensand.

„Majestät! Majestät, bei den Göttern, Euch geht es gut!“

Nur langsam gewöhnten sich Atemus Augen an die Helligkeit, sodass er zunächst nicht genau wusste, wer da vor ihm stand. Dann jedoch gewahrte er einen seiner Feldherren, der erleichtert herbei geeilt war.

„Ja, es ist alles noch einmal gut gegangen“, erwiderte der Pharao. „Doch sagt, konntet ihr die Menschen retten? Wie geht es ihnen?“

„Ja, mein Herr. Alle, die unsere Hilfe angenommen haben, konnten wir in Sicherheit bringen“, entgegnete der Mann, während er mit seinem Schwert auf einen Punkt in der Ferne deutete, wo sich zahlreiche Menschen scharrten.

Joey, der ebenfalls bei ihnen stand, seufzte ebenso erleichtert wie Atemu. „Ein Glück. Wenigstens etwas, über das wir froh sein kö...“

Weiter kam er nicht, da wurde er plötzlich zur Seite gestoßen, als sich Risha unsanft an ihm vorbei schob. Wie von der Tarantel gestochen rannte sie auf den Kamm des Hügels hinauf, um ungehindert gen Men-nefer blicken zu können. Ihr Gesichtsausdruck wirkte nervös, regelrecht panisch – was sich nicht besserte, als sie den höchsten Punkt der Erhebung erreichte. Ihre Miene gefror zu Eis. Ungläubig riss sie die Augen auf, während Riell ihr sofort folgte. Die Stadt hatte zu glühen begonnen. Irgendwo in ihren schier endlosen Reihen glomm etwas, so stark, dass es selbst hier noch zu sehen war. Ein Schauer durchfuhr Rishas Körper. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als habe man es mit Stacheldraht umwickelt. Ihrem Bruder erging es kein bisschen anders.

„Bitte nicht ...“, wisperte sie. Doch der Wind trug die Worte davon, sie blieben ungehört.

Plötzlich wurde das Glühen stärker, schwoll an zu einem gleißenden Lichtschein, der aus dem Schoß Men-nefers empor zu steigen schien. Ein gellender Schrei schallte über der Wüste dahin, während Simorgh, anmutiger denn je, dem Firmament entgegen strebte.

Bitte nicht ...

Goldener Glanz umgab jede einzelner seiner Federn wie Feenstaub. Seine Umrisse waren kaum noch zu erkennen, wurden glühend verschluckt. Dennoch konnten sie sehen, wie die gewaltigen, kräftigen Schwingen schlugen und ihn immer weiter hinauf trugen – zum letzten Mal ... Der Anblick wäre schön gewesen, wenn sein Hintergrund nicht so brutal und schmerzhaft gewesen wäre.

Bitte nicht!

Immer weiter strebte Simorgh dem nur ihm bekannten Scheitelpunkt entgegen. Vor den Augen der Schattentänzer spielte sich das Szenario wie in Zeitlupe ab. Doch schließlich kam der Moment von dem sie gehofft hatten, er bliebe fern. Der riesige Vogel erreichte seinen höchsten Punkt, wandte sich der Erde zu. Einem Blitz gleich stach er dem Boden entgegen, einen letzten, donnernden Schrei ausstoßend.

Bei den Göttern ... bitte, bitte nicht!

Schließlich versank die Wüste in einem gleißenden Glühen. Es mutete an, als sei die Sonne selbst auf die Erde hernieder gefallen. Rauschend stob das Licht über das Land und hinterließ nichts als Helligkeit. Geblendet schlugen sich Riell und seine Schwester die Arme vor das Gesicht.

Dann war es vorbei.

Das Rauschen verebbte. Das Leuchten schwand. Es wurde totenstill. Kein Geräusch durchbrach dieses Schweigen. Nicht einmal der Wind wisperte. Nur langsam ließen die beiden Schattentänzer die Arme sinken. Als wollten sie es nicht sehen, es nicht wahrhaben. Doch schließlich blieb ihnen nichts anderes übrig. Langsam, als seien sie verängstigt, richteten sie den Blick gen Men-nefer. Ein sanfter Glanz lag über der Stadt und hatte sich mit dem Dunst vermischt, der empor gestiegen war, als Simorghs Angriff seinen Gegner getroffen hatte. Ein weiterer Teil der Mauer, die die gigantische Siedlung umgab, war in sich zusammengebrochen. Doch ansonsten erinnerte schon jetzt nichts mehr daran, dass ein Mann soeben sein Leben dem Wohle Ägyptens geopfert hatte.

Die Zeit im Leben mehrerer Personen stand still.

Riell war der Erste, der sich wieder bewegte. Mit weit aufgerissenen Augen setzte er einen Fuß vor den anderen. Doch bald blieb er wieder stehen. Sein Atem ging nur noch stoßweise. Langsam, sich stetig dagegen sträubend, begriff er, was geschehen war. Sein Vater, das Oberhaupt und der Begründer der Schattentänzer, war nicht mehr am Leben. Tot. Er würde ihn nie wiedersehen. Ebenso wie er seine Mutter vor acht Sommern zum letzten Mal gesehen hatte. Er würde nie wieder mit ihm sprechen, sie würden nie mehr schweigend die Sterne betrachten, keine Späße mehr austauschen. Die Gewissheit brach über Riell herein wie eine Sintflut. Sie peitschte gegen sein Herz, das sich augenblicklich zusammenkrampfte und machte seinen ganzen Körper taub, schwemmte die Frage mit sich, auf die der junge Mann niemals eine Antwort finden würde:

Warum ?

Er fühlte sich kaum noch fähig, zu stehen. Die Welt um ihn herum nahm er nicht mehr war. Sie war weit fort, während er in Erinnerungen versank, die ihm das Atmen schwer machten und den Kloß in seinem Hals kräftigten.

So merkte er nicht, wie Samira neben ihn trat. Das junge Clanmitglied blickte ebenso ungläubig drein wie sein Oberhaupt. Am ganzen Körper zitternd starrte sie gen Men-nefer. Ihre Lippen bebten. Die zierlichen Hände hatte sie in ihr Haar gekrallt. Es konnte nicht sein. Nein. Es war unmöglich. Meister Resham konnte, Meister Resham durfte nicht tot sein! Er war alles, was den Clan ausgemacht hatte. Er hatte ihn gegründet, ihn geleitet. Er konnte doch nicht einfach weg sein! Er konnte sie nicht alleine zurücklassen, nicht in so einer Situation! Sie brauchten ihn!

„Was ... was soll denn nur aus uns werden?“, wimmerte sie. „Wie sollen wir ...?“

Die Stimme versagte ihr, ehe sie plötzlich zusammensackte, einen Schrei der Verzweiflung ausstoßend. „Meister Resham ... nein!“

Schluchzend kauerte sie am Boden, das Gesicht in den Händen vergraben. Tränen rannen ihre Wangen hinab, strömten wie Bäche ihr Gesicht hinunter. Ihre Brust schmerzte unter den Krämpfen, die sie beim Weinen schüttelten. Sie rang nach Luft und nutzte doch jede Möglichkeit, die ihr ihre Lungen ließen, um sich den Schmerz von der Seele zu schreien. Absolute Verzweiflung umklammerte ihr Herz. Es gab keinen Weg mehr. Es konnte keinen Weg mehr geben. Nicht ohne ihn. Er hatte sie alle beschützt. Ohne ihn gab es keine Zuflucht mehr.

Vollkommen in Pein versunken, spürte sie kaum Kipinos Berührungen. Der ältere Schattentänzer hatte sie in seine Arme gezogen und hielt sie fest. Auch seine Wangen waren von Tränen gezeichnet. Er presste die Lippen aufeinander. Am liebsten hätte auch er seinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Doch für Samira, eine ihrer Jüngsten, musste er stark sein. Denn den einzigen Personen, die sie sonst hätten trösten können, war es augenblicklich nicht zu zumuten, sich um jemand anderen zu kümmern. Sein von Tränen verschleierter Blick wanderte zu Risha.

Wie angewachsen stand sie noch immer auf derselben Stelle und starrte gen Men-nefer. Ihre Augen zierte dieselbe Ungläubigkeit, wie es bei ihrem Bruder der Fall war. Die Welt war weit entfernt. Es gab nur noch diesen Augenblick. Diesen einen, da Simorgh auf die Erde gestürzt war, ehe er endgültig verschwand – als sich sein Schicksal ebenso erfüllt hatte, wie das seines Trägers. Eine der stärksten Ka-Bestien, die Risha kannte, war fort – und mit ihr Resham. Er war über die Schwelle getreten – und er würde niemals zurückkehren.

Sie sank auf die Knie, grub die Hände in den Sand. Ihr Gesicht war unter den langen, blonden Haaren verborgen, während sie die Kiefer aufeinander presste. Er hatte sie gerettet. Wieder einmal. Doch diesmal hatte er es mit seinem eigenen Leben bezahlt. Risha fragte sich nicht, warum er nicht mehr da war. Es war Schicksal gewesen. Nein, sie stellte sich eine andere Frage:

Warum war es sein Schicksal? Sechmet, warum? Was hat er verbrochen? Was hat er getan, dass er bereits jetzt und auf diese Weise sterben musste?

Sie erwartete keine Antwort. Sie wusste, dass es keine gab. Bald würde die Welt über diesen Verlust hinweg gesehen haben. Sie würde weiter ihrem Trott folgen, als habe es Resham niemals gegeben. Sie würde die Tage, die sich in Rishas Erinnerungen eingebrannt hatten, in weite Ferne rücken lassen. Wie er damals in mitten der Wüste vor ihr gestanden hatte. Wie er ihr die Hand gereicht hatte, um aufzustehen. Wie er sie damals offiziell vor dem ganzen Clan als sein Kind adoptiert hatte. Wie er immer und immer wieder, mit der Geduld eines Gottes, versucht hatte, ihr den Schmerz zu nehmen, gleich wie oft er scheiterte. Er hatte sie wie seine leibliche Tochter aufgezogen, obgleich sie ihm nichts hätte bedeuten müssen. Und doch hatte er sie freiwillig in sein Herz gelassen, gleich wie viel Kummer sie ihm mit ihrer Art bereiten mochte.

Es war nicht gerecht. Es mochte Schicksal sein, doch es war nicht gerecht. Jemand anderes hätte an seiner Stelle sterben müssen. Und sie wusste genau, wer.

Mit einem Mal war Risha auf den Beinen. Bestimmten Schrittes lief zu einem der Pferde hinüber, die unweit der Düne standen. Die Rufe ihres Bruders nahm sie wahr, als kämen sie auf weiter Ferne, als seien sie kaum vorhanden. Sie wurden erst zur Realität, als sie jemand an den Armen packte und herum drehte. Plötzlich blickte sie direkt in Riells Gesicht.

„Was hast du vor?“, brüllte er mehr, als das er sprach. Noch immer lagen die Tränen auf seinen Wangen.

„Ich werde ihn töten“, erwiderte Risha dennoch vollkommen sachlich. Sie entwand sich seinem Griff und wollte weitergehen, da wurde sie erneut herum gerissen.

„Oh nein, das wirst du nicht!“, schrie Riell sie an. „Du wirst hier bleiben, hast du verstanden?“

„Wieso sollte ich? Dort“, entgegnete sie im gleichen Tonfall, während sie gen Men-nefer deutete, „sitzt der Mann, der unseren Vater auf dem Gewissen hat! Und ich werde nicht zulassen, dass er weiter atmet, während Resham zu den Göttern übergehen musste!“

„Du bleibst hier, verdammt! Vater hat sich für uns geopfert! Ich werde nicht mit ansehen, wie du diese Tat mit Füßen trittst, indem du dich freiwillig in diese Stadt begibst, wo außer dem Tod nichts, aber auch gar nichts auf dich wartet!“

„Resham wird mir vergeben! Und solange ich Caesian nur mit mir nehme, nehme ich auch in Kauf, zu sterben!“

„Weder kannst du ihn besiegen, noch kannst du ihn mit dir nehmen! Niemand kann das! Er nennt die göttlichen Relikte sein eigen! Du bist machtlos!“

„Das werden wir sehen ...“

„Nein, das werden wir nicht!“, donnerte Riell. „Denn ich werde nicht zulassen, dass das Einzige, was mir von meiner Familie noch geblieben ist, ebenfalls stirbt!“

Schweigen folgte auf diese Worte hin. Es wurde erst unterbrochen, als Risha mit einem kurzen, zischenden Laut den Kopf abwandte. Sie sah erst wieder in die Augen ihres Bruders, als er seine Hand auf ihre Schulter legte.

„Er wird sterben. Eines Tages. Auf die grausamste und schmerzvollste Weise, die wir finden können. Das schwöre ich, bei den Göttern, die unserem Vater heilig waren.“
 

Keiro war erschöpft an einem Baum zu Boden gesunken. Sein Kopf fühlte sich an, als wolle er zerspringen, und der ganze Körper tat ihm weh. Dennoch huschte ein kurzes Lächeln über seine Züge. Vorsichtig ließ er den Blick zu den Schattentänzern hinüber schweifen. Ihr Oberhaupt war tot. Sie alle heulten Rotz und Wasser. Ihre beiden künftigen Anführer vor kurzem verschwunden, versorgten wahrscheinlich ihre Wunden.

Reshams Tod war taktisch gesehen ein herber Verlust. Doch für Keiros persönliche Pläne hätte es nicht besser laufen können. Der alte Mann war fort und würde ihm niemals wieder in die Quere kommen. Er hatte endlich freie Bahn. Nach all den Jahren ...

Seit einer gefühlten Ewigkeit träumte er davon, Risha loszuwerden. Doch bislang war er erfolglos gewesen. Die wenigen Male, da er die Gelegenheit gehabt hätte, hatte er sich zurück halten müssen. Denn wenn es einen Menschen gegeben hatte, den Keiro fürchtete, dann war es Resham gewesen – auch wenn der Alte nicht gerade Angst einflößend aussah. Doch der junge Mann kannte die andere Seite des Clanführers genau. Es gab eine Sache bei der er keinen Spaß verstanden hatte: Und das waren seine Kinder. Wäre Risha etwas zugestoßen und wäre Keiro der Grund dafür gewesen, Resham hätte ihn bis ans Ende der Welt verfolgt, wenn es hätte sein müssen. Was fand er bloß an diesem Miststück? Er erinnerte sich noch an die Worte, die vor langer Zeit in einer Unterhaltung gefallen waren:

Risha ist nicht das Monster, für das du sie hältst, Keiro!

Ach nein?

Zu einem gewissen Teil mochte er richtig liegen. Die Schattentänzer hatten einen großen Einfluss auf sie ausgeübt. Dennoch war sie inzwischen alt genug, um sich davon zu befreien. Doch sie tat es nicht. Sie tötete ohne Rücksicht auf Verluste. Sie wollte stets mit ihrem Kopf durch die Wand, gleich, wie hoch der Preis dafür war.

Doch es war nicht nur ihre Art, die Keiro rasend machte. Nein. Seit sie aufgetaucht war, hatte er kaum mehr ein ruhiges Wort mit Bakura wechseln können. Und das war einzig und allein ihre Schuld. Und dafür, so schwor er sich, würde sie teuer bezahlen.
 

„Ist denn wirklich sicher, dass er nicht mehr am Leben ist?“

Teas Stimme klang betroffen. Sie hatte keinen Kontakt zu dem Oberhaupt der Schattentänzer gehabt, doch Atemus Bericht von ihrem Aufeinandertreffen genügte ihr, um zu wissen, dass Resham ein guter Mann gewesen sein musste.

Der Pharao schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, was er getan hat. Doch seine Worte und die Reaktion des Clans lassen keinen Zweifel zu. Resham ist nicht mehr.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich etwas Derartiges jemals sagen müsste, doch ich komme nicht darum herum: Wir verdanken diesem Mann unser Leben“, pflichtete Seto bei. „Und dennoch haben wir im Augenblick keine Zeit, zurück zu blicken. Wir haben Men-nefer verloren und stehen hier in mitten der Wüste, zusammen mit aberhunderten Zivilisten – und das vollkommen schutzlos.“

„Er hat recht“, stimmte Mana zu. „Wir haben zwar Späher aufgestellt und es sieht so aus, als würde Caesian die Stadt zunächst sichern und gänzlich unter seine Kontrolle bringen wollen – aber bei ihm weiß man nie.“

„Richtig“, mischte sich auch Yugi ein. „Aber sagt mal, bin ich der Einzige, der die Möglichkeit in Betracht zieht, dass Caesian den Angriff nicht überlebt haben könnte?“

„So Leid es mir tut, aber da muss ich dich enttäuschen ...“ Die Anwesenden fuhren herum, nur um in das gemarterte, blasse und unendlich müde Gesicht Riells zu sehen. „Er nennt die göttlichen Relikte sein Eigentum. Wenn er sie benutzt hat, um den Angriff abzuwehren, dann ist er nicht tot. Gewiss wird ihn der Schlag einige Kraft gekostet haben und ich bin vollkommen sicher, dass er uns die nächsten beiden Sonnenläufe nicht behelligen wird, aber gewonnen haben wir deshalb noch lange nicht. Das, was uns durch die Tat meines Vaters gegeben wurde, ist Zeit – Zeit um unsere Wunden zu versorgen und ein wenig zu ruhen. Mehr jedoch nicht, gleich wie groß sein Opfer war“, fügte er hinzu und man sah ihm an, dass er darüber traurig war. Resham hatte sein Leben gegeben – und ihnen dennoch nicht mehr als eine kurze Weile verschaffen können, um das Geschehene zu verkraften.

„Das stimmt nicht, Riell“, entgegnete Atemu schließlich. „Ohne Euren Vater wären wir alle tot. Er hat uns nicht nur Zeit, sondern auch unsere Leben geschenkt.“

„Bin bis jetzt wirklich nur ich auf die Idee gekommen, die Gunst der Stunde zu nutzen?“, mischte sich plötzlich Marlic ein. „Hallo? Der Kerl ist verletzt. Wenn wir Glück haben sogar schwer. Warum marschieren wir jetzt nicht einfach zurück und erledigen ihn ein für alle Mal?“

„Und du allen voran oder wie?“, erkundigte sich Marik. „Du vergisst unsere eigenen Probleme. Caesian musste einiges einstecken, als ihn der Angriff traf, aber uns geht es kein bisschen besser. Außerdem hat er nach wie vor die Relikte. Selbst wenn er halb krepiert wäre, wäre er wahrscheinlich immer noch besser dran als wir, so negativ das auch klingen mag.“

„Des Weiteren sollten wir, ehe wir über uns sprechen, zunächst überlegen, was mit dem Volk geschieht“, gab Mana zu bedenken. „Die Leute sind verängstigt und haben ihr zu Hause verloren. Und wir können sie unmöglich in dieser Gegend verweilen lassen. Es wäre viel zu gefährlich.“ Sie wandte sich an Atemu. „Pharao, die Städte im Süden sind noch nicht geräumt worden. Der Krieg hat sie bislang ja nicht direkt betroffen. Wärt ihr einverstanden, die Zivilisten nach Theben bringen zu lassen?“

„Theben liegt mehrere Tagesmärsche entfernt. Vor allem wird man bei dieser Menge von Personen noch langsamer voran kommen“, warf Seto ein.

„Habt Ihr eine bessere Idee? Also ich gebe ganz offen und ehrlich zu: Ich nicht“, entgegnete die Hofmagierin.

„Ich ebenso wenig“, pflichtete seine Majestät bei. „Theben ist die nächste, größere Ansiedlung. Sie ist die einzige Möglichkeit, die wir momentan haben.“

„Nun gut“, meinte Seto nickend. „Ich werde alles veranlassen, damit die Leute so bald wie möglich aufbrechen.“

Nachdem er verschwunden war, räusperte sich Ryou. „Wenn das jetzt geklärt ist: Wie sieht denn unser weiterer Plan aus?“

Atemus Blick wanderte sogleich in Richtung Men-nefer. Schließlich seufzte er und ließ die Schultern hängen. „Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung.“

„Das ist wieder typisch für seine Hochwohlgeborenheit. Kaum läuft etwas nicht ganz nach Plan steht er da und hat keinen Schimmer, wie es weitergehen soll.“

Mana fuhr trotz ihrer gebrochenen Rippen herum, als habe sie eine Schlange gebissen. „Ach ja? Hast du etwa eine Idee, Bakura?“

Der Grabräuber, der die Gruppe soeben hatte passieren wollen, blieb sogleich stehen. „Gewiss“, entgegnete er mit breitem Grinsen. Dennoch wirkte die Miene lange nicht so selbst sicher, wie sonst.

Um der Unterhaltung die Schärfe zu nehmen, mischte sich Riell eilig ein. Er war von den Umstehenden wohl derjenige, der noch das beste Verhältnis – sprich: eigentlich gar kein Verhältnis und dadurch wiederum keine Angriffsfläche – zu Bakura hatte. „Und wie sieht diese aus?“

„Denk doch mal nach“, stöhnte sein Gegenüber und verdrehte die Augen. „Caesian will den Pharao töten. Und uns ebenfalls, weil wir ihn auch scheiße finden. Das Ziel hat er nicht erreicht, dafür hat er jedoch Men-nefer bekommen. Dadurch haben sich seine Prioritäten mit großer Wahrscheinlichkeit geändert.“

Riell nickte plötzlich. „Ich glaube ich weiß, worauf du hinaus willst. Caesian wird als erste Amtshandlung nicht alles daran setzen, uns zu bekommen. Er wird zunächst nach weiteren Relikten suchen.“

„So würde zumindest ich es machen. Wobei natürlich nicht auszuschließen ist, dass einer von euch Schattentänzern nicht doch auf seiner Prioritätenliste steht. Immerhin eilt euch der Ruf voraus, Wissen um die göttlichen Gegenstände zu besitzen.“

„Das heißt unsere Aufgabe besteht vorerst darin, ihm zuvor zu kommen. Wir müssen die Relikte finden, ehe er es tut“, führte Riell den Gedanken schließlich zu Ende. „Und wir sollten uns dabei tunlichst nicht erwischen lassen.“

„Dafür bräuchten aber auch wir eine Möglichkeit, hier in der Gegend zu bleiben“, merkte Yugi an. „Wir können ja schlecht in mitten der Wüste kampieren.“

„Und in die Dörfer können wir auch nicht gehen“, fügte Ryou hinzu. „Caesian wird sie eventuell durchsuchen lassen.“

„Was das betrifft, könnte ich vielleicht helfen“, überlegte Riell. „Unser Clan hat nicht immer unter der Erde gelebt. Wir hatten einst einen Unterschlupf in süd-westlicher Richtung. Dort gibt es mehrere große Felsformationen. In ihnen wohnten wir einst. Allerdings ist mir der Zustand der Höhlen und Tunnel klar. Und es ist auf keinen Fall genügend Platz, um uns, den Clan und die ägyptischen Soldaten zu beherbergen.“

„Aber es wäre doch einen Versuch wert“, versicherte Yugi. „Was meinst du, Atemu?“

Der Pharao schien eine ganze Weile nachzudenken. „Was den Platz betrifft, sorge ich mich nicht. Ich hatte so oder so nicht vor, dass Heer weiterhin hier weilen zu lassen.“

Mana riss überrascht die Augen auf. „Wie ... ?“

„Es sind bereits genügend Menschen in diesem Krieg gestorben. Ich werde nicht weiter zusehen, wie Kinder ihre Väter und Frauen ihre Männer verlieren. Nein. Sie werden mit der Bevölkerung nach Theben ziehen.“

„Was beim kommenden Vorhaben gar nicht dumm ist“, stimmte selbst Marlic zu. „Je weniger Menschen, desto unauffälliger. Die Wahrscheinlichkeit, dass Caesian uns zufällig entdecken würde, sinkt damit drastisch.“

„Stimmt. Des Weiteren brauchen wir dann keine Abstriche am Clan zu machen. Ich werde gewiss allen freistellen, mit gen Süden zu ziehen. Doch ich bin mir sicher, dass die meisten bleiben und Rache nehmen wollen“, ergänzte Riell mit bitterem Unterton in der Stimme. „Risha auf jeden Fall.“

„Wobei es doch gerade bei ihr und dir gut wäre, wenn ihr abhauen würdet“, gab Joey zu bedenken. „Der Kerl wollte euch doch, weil er denkt, ihr wisst, wo die anderen Relikte zu finden sind.“

„Dein Einwurf ist begründet, doch du kannst weder von mir, noch von meiner Schwester verlangen, dass wir gehen“, erwiderte das Clanoberhaupt. „Vor allem bei ihr wirst du mit diesem Vorschlag auf Granit beißen. Nein. Wir beide gehen lieber in den Tod, als davon zu laufen. Caesian hat unseren Vater auf dem Gewissen und dafür wird er bezahlen.“

Atemu war zunächst verwundert über Riells wenig rationale Antwort. Er hätte erwartet, dass er es durchaus in Betracht zog, unterzutauchen. Was den Wunsch ihres Feindes anbelangte, wäre es das Geschickteste gewesen, beide verschwinden zu lassen. Doch er konnte sein Gegenüber verstehen. Caesian hatte ihm den Vater genommen. Und dafür musste er büßen, gleich wie hoch der Preis war. Selbst wenn dies vielleicht nicht in Reshams Sinn gewesen war – denn seine Kinder konnten nicht ihr ganzes Leben nach seinem Willen ausrichten. Irgendwann mussten auch sie ihrem eigenen Herzen folgen. Und dieses sinnte in beiden Fällen auf blutige Rache.

„Nun gut“, überlegte Atemu schließlich laut. „Das bedeutet, dass die Schattentänzer bleiben, dass ich bleibe ...“

„Und ich!“

„Ebenso!“

„Dito!“

„Als ob ich mir die Gelegenheit entgehen lasse, dem Kerl in den Arsch zu treten ...“

„Auf mich kannst du auch zählen!“

Sie ging es noch eine ganze Weile reihum. Der Pharao war nicht wirklich verwundert. Nein, er hatte damit gerechnet. Zum einen freute er sich, zum anderen machte ihm genau das das Herz schwer. Doch er wusste, dass diskutieren absolut sinnlos war – vor allem in seinem jetzigen Zustand.

„Nun gut. Ich werde Seto anweisen, die Soldaten mit den Zivilisten nach Theben zu schicken. Und dann werden wir sehen, ob der von Euch, Riell, genannte Platz uns Unterschlupf bieten kann.“
 

Die Sonne hatte der Welt den Rücken gekehrt. Lediglich ein letzter roter Schimmer lag noch über der Wüste. Doch auch er würde bald verblassen. In seinem Licht zogen aberhunderte von Menschen gen Süden. Frauen, Kinder, Alte, Kranke, Soldaten. Nur eine vergleichsweise winzige Truppe blieb auf einer nahen Düne zurück. Sie blickten dem Tross hinterher, während der Wüstenwind an ihnen vorüber zog und an ihrer Kleidung zerrte.

„Sollen wir gehen?“, erkundigte sich Yugi schließlich nach einer kleinen Ewigkeit bei seinem Ebenbild.

Atemu nickte. „Ja. Wir sollten aufbrechen, ehe sich die Nacht gänzlich über das Land senkt. Je länger wir warten, desto kälter wird es.“

„Aber eine Frage bleibt doch noch“, meldete sich plötzlich Ryou zu Wort. „Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist der Ort, zu dem wir gehen wollen, schon seit langer Zeit verlassen. Das heißt, dass wir dort wohl kaum Lebensmittel und Wasser finden werden, oder?“

Riell stimmte zu. „Ja, so sieht es aus.“

„Zugegebener Maßen ein Problem“, überlegte Seto. „Ohne Nahrung und Wasser werden wir nicht lange aushalten. Letzteres dürfte das geringere Problem darstellen, der Nil ist nicht fern. Aber Ersteres ...“

„Ich weiß nicht wo das von dir angesprochene Problem sein soll“, mischte sich Bakura ein, der den Blick in die Wüste hinaus gerichtet hatte. „Dank Caesian sollte es nun genügend verlassene Dörfer geben. Da wird sich gewiss das eine oder andere finden lassen.“

„Warum war mir nur klar, dass ein solcher Vorschlag ausgerechnet von dir kommen würde?“, entgegnete der Hohepriester sogleich schnippisch.

Die Antwort darauf war ein amüsiertes Glucksen. „Du bist doch nur neidisch, dass dir dieser Einfall nicht gekommen ist.“

„Ich soll neidisch darauf sein, dass du Erfahrung darin hast, dein Leben mit Stehlen zu unterhalten, anstatt dir dein Brot anständig zu verdienen? Mit Sicherheit nicht.“

„Ich unterbreche euch nur ungern, aber sollten wir nicht erst einmal unseren Unterschlupf aufsuchen, ehe wir uns die Zeit zum Streiten nehmen? Meinetwegen könnt ihr auch gerne auf dem Weg dorthin diskutieren, Hauptsache wir kommen von hier weg“, warf schließlich Tea ein. Sie fühlte sich nicht nur maßlos erschöpft, auch eine gewisse Angst saß ihr im Nacken. Sie befanden sich noch immer in der Nähe von Men-nefer und dort war Caesian. Je schneller sie von hier weg kamen, desto besser.

„Sie hat nicht ganz unrecht, Leute“, meldete sich nun auch Joey zu Wort. „Ich würde sagen: Alle Mann zu den Pferden!“

„Gut, ich kläre nur noch schnell die Nahrungsbeschaffung. Risha?“, rief Riell schließlich.

Die Angesprochene, die soeben dabei gewesen war, auf ihr Pferd zu steigen, hielt inne. „Ja?“

„Wir brauchen noch Vorräte.“

„Und wo willst du die hernehmen?“

„Aus den verlassenen Dörfern in der Gegend.“

Seine Schwester schien einen Moment nachzudenken. „Ist gut. Ich kümmere mich darum.“

„Das musst du nicht ... Ruh' dich lieber aus!“

„Das könnte ich so zurückgeben“, entgegnete die Schattentänzerin und schwang sich bereits auf ihr Reittier. „Lass' uns die Diskussion einfach beenden, indem wir sagen, dass ich gehe“, schlug sie schließlich vor.

Riell seufzte. „Du kannst so dickköpfig sein, wenn du willst.“

„Ich weiß. Sonst noch etwas?“

„Ja. Wenn ihr nur den leisesten Verdacht habt, dass sich Krieger Caesians in der Nähe befinden, verschwindet augenblicklich!“

„Keine Sorge“, entgegnete Risha kopfschüttelnd. „Wir kommen zurecht.“

Sie sah sich um, rief ein paar Schattentänzer zu sich, die nicht allzu schwer verletzt waren. Kurz darauf preschte sie in die Wüste hinaus, gefolgt vom einem kleinen Trupp von rund einem Dutzend Clanmitgliedern. Riell sah ihr besorgt hinterher. Er wusste, dass die Wahrscheinlichkeit gering war, dass sie nach einer derartig anstrengenden Schlacht noch auf Gegner treffen würden. Und dennoch beunruhigt ihn Rishas Abwesenheit. Denn er wusste: Wenn ihr etwas zustieß, er wäre nicht schnell genug bei ihr, um ihr zu helfen. Seufzend schüttelte er den Kopf, um die tristen Gedanken zu vertreiben, ehe auch er sich zu seinem Pferd begab. Langsam setzte sich der Zug aus den Letzten, die noch den Willen hatten, Widerstand zu leisten, in Bewegung.
 

Die Nacht hatte sich bereits über das Land gelegt und der Mond stand hoch am Himmel. Als sie endlich eine Felsformation am Horizont ausmachen konnten, vermochten sie nicht mehr einzuschätzen, wie lange sie schon unterwegs waren. Sie alle atmeten erleichtert auf. Rasch kamen sie näher und Atemu erkannte bald, weshalb der Clan die hohen Klippen einst als Unterschlupf genutzt hatte. Eine Kette von Gestein zog sich durch die Wüste, deren äußere Fassade unscheinbar wirkte. Zugleich schien es schier unmöglich, die hoch aufragenden Wände zu erklimmen. Der Anblick warf in ihm bald die Frage auf, wie sie zu den von Riell beschriebenen Höhlen gelangen sollten. Doch er wurde schnell beruhigt. Der Schattentänzer führte sie eine ganze Weile um die Formation herum, bis er schließlich inne hielt. Versteckt zwischen zwei gewaltigen Steinen befand sich ein Durchlass, der gerade groß genug war, um einem Pferd und seinem Reiter Platz zu bieten. Mit Hilfe von einem Fetzen Stoff, einem Stück Holz und zwei Feuersteinen, die ein Clanmitglied bei sich hatte, war rasch eine Fackel entzündet und Riell betrat den Durchgang. Die Luft darin war heiß und stickig, machte das Atmen schwer. So kam es ihnen wie eine kleine Ewigkeit vor, bis sie endlich wieder ins Freie traten – und ihren Augen nicht trauten.

Die Finsternis wich zurück und machte einem riesigen, freien Gelände Platz, das von den hoch aufragenden Felsklippen umschlossen wurde. In ihren Wänden befanden sich aberdutzende von Höhlen, zu denen in den Stein geschlagene Stufen und Pfade hinauf führten. Über all dem lag der Sternenhimmel. Sie legten die Köpfe in den Nacken, um das ganze Ausmaß ihres neuen Verstecks begreifen zu können.

„Willkommen, Pharao“, meinte Riell schließlich. „Willkommen im Reich der Schattentänzer.“ Auch er ließ den Blick andächtig in die Höhe gleiten. Ein Ausdruck von Wehmut lag auf seinem Gesicht.

„Das ist echt der Wahnsinn, Alter“, kommentierte Joey. „Habt ihr das alles selbst geschaffen?“

„Nicht ganz“, erklärte das Clanoberhaupt. „Wir haben uns an dem, was die Götter hier entstehen ließen, orientiert und es zu unseren Gunsten verbessert.“

Erschöpft saßen endlich alle von den Pferden ab. Doch Ruhe kehrte deshalb noch lange nicht ein. Kaum waren sie in der Himmelspforte, wie der Clan sein Versteck nannte, angekommen, war Riell bereits dabei, Befehle zu geben. Die Höhlen mussten ausgefegt und Ordnung in den Unterschlupf gebracht werden, um hier nächtigen zu können. Jedes Angebot von Atemu oder seinen Freunden, ihnen dabei zu helfen, lehnte das Oberhaupt eindringlich ab. So fanden sie sich bald am Fuße einer der steilen Klippen wieder, während sich eine der Heilerinnen der Schattentänzer um ihre Verletzungen kümmerte. Riell hatte sie als Assihra vorgestellt und die junge Frau, die etwa so alt sein musste, wie er, hatte bald alle Hände voll zu tun. Ihr langes, braunes Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden, damit es sie bei ihrem Tun nicht behinderte, während die blauen Augen hier und da kritisch drein blickten. Bald wurde das ganze Ausmaß ihrer Verletzungen klar.

Yugi hatte unzählige Schürf- und Schnittwunden erlitten. Zudem prangte eine Platzwunde an seinem Haaransatz, die genäht wurde.

Tea hatte auf den ersten Blick wenig abbekommen, dafür war jedoch ihr Handgelenk böse verstaucht. Assihra strich eine Salbe darauf, ehe sie einen festen Verband anlegte – alles andere, als eine angenehme Prozedur.

Joey sah aus wie in seinen besten Zeiten. Zahlreiche Kratzer übersäten ihn, während seine Lippe noch immer blutete. Zudem war die linke Seite seines Kiefers angeschwollen.

Ryous Befürchtungen hatten sich bestätigt. Die vielen Blutergüsse, die er hatte einstecken müssen, waren inzwischen deutlich zu sehen. Doch das war das geringste Problem, denn die Stellen schmerzten bei der kleinsten Bewegung oder Berührung höllisch.

Bei Marik hingegen hatte vor allem der Schlag, den er von Caesians Ka-Bestie hatte einstecken müssen, seine Spuren hinterlassen. Seine Kreatur war mitten in den Bauch getroffen worden. An derselben Stelle hatte sich bei ihrem Träger die Haut rot-bläulich verfärbt. Er bekam aufgrund der Tatsache, dass er auch Blut gespuckt hatte, ein seltsam riechendes Gebräu verabreicht. Es schmeckte widerlich, sollte jedoch laut Assihra eventuelle innerliche Blutungen verhindern.

Mit am schlimmsten dran war Mana: Die junge Magierin hatte, wie bereits von ihr selbst vermutet, drei gebrochene Rippen. Inzwischen waren die Schmerzen jedoch so schlimm, dass sie kaum mehr wagte, einzuatmen. Ihr wurde ein straffer Verband am Oberkörper angelegt, um das Verrutschen der Knochen zu verhindern, ehe die Heilerin sie zu absoluter Bettruhe verdonnerte.

Seto hatte eine tiefe Schnittwunde am Arm zurückbehalten, die ebenfalls versorgt werden musste. Hinzu kam, dass er die Gliedmaße von nun an so wenig wie möglich bewegen sollte. Die Verletzung zog sich über den Ellenbogen und jedes Mal, wenn er den Arm unbedacht bewegte, platzte das getrocknete Blut erneut auf und machte frischem Lebenssaft Platz. Auch hier musste das Verbandszeug heran. Es wurde straff von oben bis unten um den Arm gewickelt, um die Beweglichkeit einzuschränken, damit er sich erholen konnte.

Marlic erwies sich in seinem momentanen Zustand als recht umgänglich. Ohne Motzen und Klagen ließ er die Heilerin die beachtliche Platzwunde an seinem Hinterkopf behandeln.

Ganz im Gegensatz zu Bakura. Lediglich dem Umstand, dass der Grabräuber nach den Geschehnissen des Tages nicht mehr wirklich in der Lage war, sich zu wehren, war es zu verdanken, dass sie dennoch einen Blick auf die lang gezogene Schnittwunde über seiner Hüfte werfen konnte. Assihra durfte noch – gnädig wie ihr Patient war – die Verletzung säubern, beim Nähen endete seine Geduld jedoch. Schließlich überließ die Heilerin ihm Nadel und Faden, damit er diese Arbeit selbst übernehmen konnte.

Keiro, dem lediglich die zahlreichen Schürfwunden und Blutergüsse von seiner Bekanntschaft mit Men-nefers Stadtmauer zu schaffen machten, bot an, ihm zu helfen, wurde jedoch unfreundlich abgewiesen. Als er es dennoch erneut versuchte, wurde ihm in aller Deutlichkeit erklärt, dass er sich verpissen solle und Bakura dies im übrigen schon mehr als ein Dutzend mal selbst gemacht hätte. Schließlich ging Keiro, auch wenn ihm zugegebenermaßen schleierhaft war, was es mit dem Wort 'verpissen' auf sich hatte.

Atemu war als Letzter an der Reihe, so, wie er es verlangt hatte. Auch er war gezeichnet mit Kratzern, Schürfwunden und blauen Flecken. Hinzu kamen zwei kleinere Platzwunden am Kopf und seine Schulter, die höllisch schmerzte. Schließlich lief es darauf hinaus, dass Assihra glaubte, Letztere sei ausgerenkt. Wie es das Schicksal wollte, musste sie zurück an den ihr angestammten Platz gebracht werden – dies jedoch nicht, ohne dass sich Atemu bei diesem Unterfangen beinahe die Zunge ab biss, als er einen Aufschrei unterdrückte. Danach musste er allerdings zugeben, dass es nun deutlich weniger schmerzhaft war, den Arm zu bewegen.

Kaum hatte Assihra ihre Arbeit an der Gruppe beendet, stieß schließlich der Besorgungstrupp zu ihnen. Riell unterbrach sein Tun und eilte zu seiner Schwester, die das Schlusslicht bildete.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich, ohne sich die Mühe einer Begrüßung zu machen.

Risha nickte. „Alles gut. Wir haben zwei Dörfer geplündert. Die Vorräte, die wir beschaffen konnten, sollten für die nächsten fünf bis zehn Sonnenläufe ausreichen. Trockenes Obst und Fleisch, Wasser, Getreide, Brot. Und zu guter Letzt ein wenig Bier“, fügte sie mit einem Schmunzeln hinzu.

Riell gab ein kurzes Lachen von sich. „Als ob das unbedingt nötig gewesen wäre.“

„Wir hatten noch Platz auf den Pferden ...“

„Wie dem auch sei. Hattet ihr irgendwelche Probleme?“

„Nein“, entgegnete Risha. „Wir werden zumindest die nächsten ein bis zwei Sonnenläufe auch keine bekommen, wie es aussieht.“

„Wie kommst du darauf?“, fragte ihr Bruder neugierig.

„Ich war nochmal in der Nähe von Men-nefer. Und bevor du jetzt wieder anfängst zu meckern“, warf sie schnell ein, ehe ihr Gegenüber auch nur einen Ton heraus bringen konnte, „ich stehe hier lebendig vor dir, es ist also nichts passiert. Caesian und seine Männer sind am Feiern und ihre Gesänge hört man im ganzen Umkreis der Stadt. Selbstsicheres, arrogantes Pack. Nicht mal Späher oder Wachen haben sie aufgestellt. Der Kerl muss wirklich eine Menge Vertrauen in seine Fähigkeiten haben“, überlegte sie laut, während sie sich daran machte, eines der Fässer von ihrem Reittier zu lösen.

„Dennoch war dein Verhalten verantwortungslos! Es hätte etwas passieren können!“, entgegnete Riell schließlich aufgebracht.

„Müsste, würde, könnte, sollte, hätte. Wo kämen wir hin, wenn wir uns andauernd um alle Eventualitäten sorgen würden?“, konterte seine Schwester.

„Und selbst, wenn dir nichts passiert ist, so könnten dich Späher verfolgen!“, fuhr ihr Gegenüber jedoch ungerührt fort.

Rishas Kopf schnellte herum. „Mich verfolgt niemand, ohne dass ich es merke. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich habe sowie so schon Kopfschmerzen.“

Erst jetzt fiel ihrem Bruder die Rötung auf, die sich um ihr linkes Auge gebildet hatte – jene Stelle, an der sie die Ohrfeige von einem Soldaten Caesians kassiert hatte. Zudem wirkte ihre Haltung unnatürlich, was sich durch einen Blick auf ihren rechten Fuß bestätigte. Schließlich seufzte er. „Nun gut. Dann lass mich aber dein Pferd abladen. Geh du lieber zu Assihra und lass dich anschauen.“

„Meinetwegen“, stöhnte Risha noch, dann verschwand sie am allgegenwärtigen Getümmel.
 

Die Nacht war bereits weit voran geschritten, als endlich Ruhe in der Himmelspforte einkehrte. Dennoch fand kaum jemand Schlaf. Weder die Schattentänzer, nicht die kleine Gruppe von Leuten aus dem 21. Jahrhundert und ihren ägyptischen Mitstreitern. Sie saßen um mehrere Feuerstellen verteilt unter dem Sternenhimmel. Hier und da wurde Essen zubereitet, um sich endlich zu stärken. Sie alle aßen langsam und mit Bedacht. Sie mussten sparsam mit der wenigen Nahrung umgehen und zwischen den einzelnen Bissen Zeit verstrichen lassen, um dennoch ein Sättigungsgefühl zu erzeugen. Vor allem Joey fiel dies nicht leicht. Das getrocknete Fleisch schmeckte ihm, sodass es nicht einfacher wurde, das Schlingen zu vermeiden.

„Wie sieht jetzt eigentlich der Plan aus?“, erkundigte er sich schließlich an Atemu gewandt. „Hast du schon eine Idee?“

Der Angesprochene griff nach einer Dattel und schien zu überlegen. „Als Erstes müssen wir wieder zu Kräften kommen. Das ist das Wichtigste. Solange wir uns nicht von der letzten Schlacht erholt haben, brauchen wir Caesian gar nicht gegenüber zu treten.“

„Danach müssen wir sehen, ob wir uns seiner Armee stellen wollen, oder ob wir uns zunächst um die Relikte kümmern, würde ich sagen“, schlug Yugi vor. „Wobei ich Letzteres für sinnvoller erachte. Ansonsten riskieren wir, dass seine Macht noch weiter wächst.“

„Des Weiteren geben uns die anderen Artefakte vielleicht irgendetwas an die Hand, das uns helfen könnte“, fügte Seto hinzu.

„Auch möglich, ja“, stimmte Marik zu. „Da bleibt nur das altbekannte Problem: Wo sollen wir nach ihnen suchen? Hinzu kommt, dass Caesian seinen Triumph nicht ewig feiern wird. Irgendwann wird auch er so etwas wie Ordnung anstreben und dann werden wieder Patrouillen eingesetzt, was es bestimmt nicht leichter macht.“

„Außerdem wir er irgendwann nach uns suchen. Immerhin befinden sich in unseren Reihen drei der Relikte“, gab Ryou zu Bedenken.

„Apropos Artefakte: Wo ist eigentlich der Rest?“, warf Tea plötzlich ein.

„Werden sich wohl ausruhen“, meinte Yugi. „Es war ja auch ein anstrengender Tag ... Ach was sage ich? Er war einfach schrecklich.“ Er legte seufzend den Kopf auf die Knie.

„Wie ist das eigentlich ...“, erkundigte sich die Brünette weiter. „Wird es etwas wie ... eine Beerdigung für Resham geben?“

„Das bezweifle ich“, erwiderte Seto. „Wenn sein Körper noch vorhanden ist, so befindet er sich in Men-nefer.“

Schweigen breitete sich aus. Sie wussten, dass sie eigentlich so schnell wie möglich einen Weg finden mussten, Caesian zurück zu schlagen. Doch im Moment hatte keiner von ihnen die Kraft dazu. Weder körperlich, noch geistig. Zu sehr steckte ihnen noch der Rückschlag in den Knochen. Men-nefer eingebüßt zu haben, war ein bitterlicher Verlust. Trotzdem durften sie nicht verzagen. Atemu war bewusst, dass sie alle jetzt erst einmal Zeit brauchten, um sich wieder zu sammeln. Doch der Raum, den sie dafür in Anspruch nehmen konnten, war knapp. Marik und Ryou hatten recht. Momentan mochte ihnen eine Art Pause vergönnt sein. Doch für wie lange?

Atemu seufzte, schloss die Augen und fuhr sich durch die Haare. Seine Gedanken wollten sich einfach nicht beruhigen. Immerzu kreisten sie weiter, riefen ihm in Erinnerung, dass Men-nefer verloren war. Seine Heimat, der Ort seines Aufstiegs und seines Todes, dieses Fleckchen Erde, das sein zu Hause war.

Er wurde aus den Gedanken gerissen, als mehrere, leise Stimmen an sein Ohr drangen. Als er aufsah, erkannte er, dass es eine kleine Gruppe von Schattentänzern war, von der das Geräusch kam. Schließlich wurde ihm klar, dass sie sangen. Es dauerte nicht lange, dann fiel das auch anderen Clanmitgliedern auf. Nach und nach stimmten mehr Männer und Frauen in das Lied mit ein. Es klang schön, wie Atemu fand. Zugleich legte sich der Gesang jedoch auch wie ein Leichentuch über die Himmelspforte.
 

„Vor Anubis trete nun,

hinab ins weiße Land,

Deine Seele auszuruhn',

im heißen Wüstensand.

Ist Deine Seele rein,

ein Spiegel von Verzicht,

so schwind' die Pein,

und erstärk' das Licht.

Hinfort aus dieser Welt,

gebannt für alle Zeit,

Dein Tod uns quält,

bis in die Ewigkeit.

Hinweg aus Ägypten,

folgtest Deiner Pflicht,

Seele, die wir liebten,

siehst unsre' Tränen nicht.

Hinüber in die Dunkelheit,

des Todes Hand Dich zieht,

Dein Leben ist Vergangenheit,

gleich was nun geschieht.

Während man Deiner weint,

suche die Sonne der Nacht,

dort unten sie scheint,

mit all ihrer Pracht.

Trauer umfängt mein Herz,

mein einzig' Licht?

Quält mich auch der Schmerz,

vergessen wirst Du nicht.“
 

Viele der Schattentänzer weinten, während sie sangen. Die Töne glitten umher und vereinten sich mit dem allgegenwärtigen Wind zu einem gespenstischen Wispern.

„Was ist das für ein Gesang?“, flüsterte Tea nach einer Weile.

„Ein altes Totenlied.“

Sie fuhr herum und blickte in Samiras grüne, traurige Augen. „Wir singen es immer, wenn jemand stirbt.“ Sie verschwand genau so plötzlich wieder, wie sie gekommen war. Hastigen Schrittes zog sie sich zurück, um trauern zu können. Auch Riell saß in einer der Höhlen und lauschte den Klängen. Seine Wangen waren benetzt mit Tränen, während er die gegenüber liegende Wand fixierte. Ebenso hatte sich weit oben auf den Klippen ein Schatten verschanzt. Risha hatte den Blick an den Himmel geheftet. Leise sprach sie die letzten Zeilen des Gesanges mit.
 

Trauer umfängt mein Herz,

mein einzig' Licht?

Quält mich auch der Schmerz,

vergessen wirst du nicht.“
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2013-01-02T13:33:09+00:00 02.01.2013 14:33
So, jetzt habe ich endlich wieder etwas Ruhe vom Silvester und Neujahr feiern. Sorry, dass du etwas länger auf dein kommi warten musstest, aber meine Familie hat mich doch mehr in den Schwitzkasten genommen als letztes Jahr. Habe es nicht erwartet, aber wir sollten jetzt zum eigentlichen Thema kommen, oder? ^^

Keine Ahnung wieso, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass du dir bei diesem Kapitel viel mehr Mühe gegeben hattest. Ich glaube, der Grund ist das Lied. Es ist wirklich gut geschrieben und sehr emotional. Ich bekam schon wieder wegen von dir Tränen in den Augen und das schlimmste daran war, dass meine Mutter gerade in Zimmer kam und mich dann fragend ansah. War das peinlich xD Aber mir hat das Lied wirklich gefallen.

Kommen wir aber zum Inhaltlichen. Das Kapitel war diesmal viel trauriger als das letztes. Kein Wunder, da es sicher wurde, dass resham tot ist *heul* Auch kann man die Trauer der Schattentänzer richtig auf der Haut fühlen. Kann man auch verstehen, denn Resham war derjenige, der die Schattentänzer "erschaffen" hatte. Am meisten tun mir Risha und Riell Leid. Ist aber verständlich, da sie zu ihm ein sehr enges Verhältnis zueinander haben. Auch tut mir nätürlich Samira total Leid. Es ist schlimm, wenn man deine Charakter ins Herz geschlossen hat und sie dann leiden. Ich leide leider mit ihnen. Du hast die Situation und die Gefühle aller Charaktere gut beschrieben, also eigentlich wie immer. Ich konnte mich richtig in sie hineinversetzen. Alles in einem hast du ihre Trauer richtig gut rübergebracht. Nicht nur mit einem Text, sondern auch durch das Lied, welches bestimmt sehr harmonisch klang. Zumindest sagen das unsere Freunde. Sie waren in diesem Kapitel scheinbar nur dazu da,

Durch die Reaktionen unserer Freunde hast du sie genau das denken lassen, was ich in dieser Situation denken würde. Sie waren also einfach die, die zwar um Resham traurig werden und Mitleid bekommen, naja, abgesehen von Marlic, Bakura etwas und zu Keiro muss ich erst gar nichts sagen. War dieser eigentlich dabei?

Irgendwie fehlt mir nicht mehr viel ein, was ich noch dazu sagen kann. Mir fehlen einfach die Worte, was mit Resham passiert war. Ich bin jedenfalls gespannt, wie es mit den Schattentänzer weitergeht. Mir hat das Kapitel super gefallen, auch wenn ich dabei weinen musste, aber das beweist, dass du gute Arbeit geleistet hattest. Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel ^^

Grüße
3sakuraharuno3



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