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Die Seele der Zeit

Yu-Gi-Oh! Part 6
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
"Hinter der Maske" oder auch: "Das Taisan-Kapitel" und somit wohl das bislang einzige (fast) reine OC-Kapitel dieser FF. Musste aber sein. Tut es euch bitte trotzdem an, am Ende werdet ihr sehen, wieso. Komplett anzeigen

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Hinter der Maske

Hinter der Maske
 

Taisans Blick ruhte auf der Frau, die bei seinem Eintreten rasch auf die Beine gekommen war. Sie stand nun am anderen Ende des karg eingerichteten Raumes, ihm direkt gegenüber, und musterte ihn. Was genau es war, das sich in ihren Augen spiegelte, konnte er nicht sagen. Alles, was er erkennen konnte, war, dass es sich dabei nicht um Furcht handelte.

Er war es schließlich, der die angespannte Stille durchbrach. „Ich grüße dich, mein Kind“, begann er. „Ich weiß, dass mein Ägyptisch nicht das Beste ist. Doch ich hoffe, du bist in der Lage, mich zu verstehen.“

Kisara war zugegebenermaßen überrascht. Sie hatte ihre Gegenüber bei ihrem bislang einzigen Zusammentreffen nur seine Muttersprache sprechen hören, derer sie nicht mächtig war. Noch dazu war sein Ägyptisch vielleicht nicht akzentfrei, aber doch sehr gut. Es fiel ihr leicht, die Worte zu verstehen, die er an sie gerichtet hatte.

„Das bin ich“, bestätigte sie schließlich, zögernd. „Was wollt ihr von mir?“

„Ich möchte Antworten.“

Antworten? Worauf? Sie wusste ja selbst nicht einmal, was genau in dieser Sphäre vor sich ging. Ehe sie jedoch nachhaken konnte, fuhr er bereits fort. „Mein Name, Mädchen mit den weißen Haaren, ist Taisan. Ich bin Statthalter Men-nefers während der Abwesenheit meines Bruders Caesian. Ich möchte betonen, dass ich nicht hierhergekommen bin, um dir in irgendeiner Weise zu schaden, Tochter Ägyptens. Alles, was ich möchte, ist, mich mit dir zu unterhalten, um Antworten auf meine Fragen zu finden.“

Caesians Bruder? Augenblicklich zog sich in Kisara alles zusammen und sie wich unterbewusst einen Schritt zurück. Wie sollte sie sich jetzt verhalten? Sie befand sich in einem Raum mit dem Blut des größten Monsters, das sie jemals getroffen hatte. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, doch eines war ihr vollkommen klar: Sie würde ihm nichts, rein gar nichts verraten.

„Ich fürchte, dann seid Ihr umsonst gekommen. Von mir werdet ihr nichts erfahren, dass Euch Eure Tyrannei erleichtern wird. Eher sterbe ich.“

Die Reaktion ihres Gegenübers zu deuten, fiel ihr ob der Maske, die wie schon bei ihrer ersten Begegnung fest auf seinem Gesicht saß, schwer. Alles, was sie erkennen konnte, war, dass er den Kopf ob ihrer Worte kaum merklich schief gelegt hatte.

„Was bringt dich zu der Annahme, dass es solche Antworten sind, nach denen ich suche?“

Was für ein Spiel spielte er mit ihr?

„Weswegen sonst solltet Ihr zu mir kommen? Ihr seid hier, um Dinge zu erfahren – über den Pharao und über seinen engsten Kreis, damit Ihr sie gegen ihn verwenden könnt. Das ist alles, wofür mich Euer Bruder in diese Sphäre zurückgezerrt hat – und um im Fall der Fälle etwas in der Hinterhand zu haben, mit dem er ihn erpressen kann. Doch das werde ich nicht zulassen. Caesian macht mir keine Angst – und Ihr ebenso wenig, auch wenn Ihr Euer Gesicht hinter einer Maske verbergt.“

Taisans Augen ruhten eine ganze Weile auf ihr, während sich Stille in der kleinen Kammer ausbreitete. Dann setzte er sich plötzlich in Bewegung und ließ sich auf einem Sessel nieder, der unweit des Fensters stand. Währenddessen ließ er sie nicht einen Wimpernschlag lang aus den Augen. „Wie mir scheint“, sagte er schließlich, „sind da noch mehr Fragen, die nach Antworten verlangen, als nur jene, mit denen ich zu dir kam.“

Kisara legte die Stirn in Falten. „Was meint Ihr?“

„Nun, beispielsweise ist mir nicht klar, von welcher Sphäre du so eben gesprochen hast. Gibt es denn noch eine andere als jene, in der wir uns hier befinden?“

Die Weißhaarige war verwirrt. Was ging hier vor sich? Was für einen Plan verfolgte dieser Mann? Was erhoffte er sich von diesem Besuch?

„Ihr wisst genau, wovon ich spreche“, entgegnete sie schließlich. „Wahrscheinlich ward Ihr sogar zugegen, als man meine Seele aus dem Totenreich riss. Im Tausch für …“ Sie brach ab, brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln. „Ihr sollt wissen, dass ich Euch für all das verachte, was ihr diesem unschuldigen Kind und ganz Ägypten angetan habt! Ich weiß noch immer nicht, was alles geschehen ist, seitdem ich in das Jenseits eingegangen war, aber wenn Atemu gestürzt wurde, dann kann das nichts Gutes bedeuten.“ Kisara spürte plötzlich etwas, das sie bislang nur selten gefühlt hatte. Wut. Unbändige Wut. „Was gab Euch und Eurem Bruder das Recht, in dieses Land, in dieses friedliche Land zu kommen und uns all dessen zu berauben, was wir uns aufgebaut hatten?“

Sie konnte es hinter der versilberten Maske nicht sehen, doch nun war es an Taisan, die Stirn in leichte Falten zu legen. Zum einen, weil er nicht schlau aus diesem Mädchen wurde – wovon sprach sie? Und zum anderen: Wer war nur dem Irrglauben erlegen, dass es sich bei diesem Frauenzimmer um eine Hexe handeln sollte? Ja, ihr Äußeres war ungewöhnlich anzusehen in diesen Landen, doch weder ging irgendeine Form magischer Schwingungen von ihr aus, noch mutete sie wie eine Kennerin dunkler Zauberkünste an – das verriet ihm seine Menschenkenntnis, auf die er sich schon immer hatte verlassen können. Er hatte also Recht gehabt, wie er mit zugegebenem Bedauern feststellte: Irgendetwas stimmte hier nicht.

„Ich fürchte, ich weiß noch immer nicht, wovon du redest, Mädchen. Ich bin verwundert ob deiner Worte. War es nicht erst mein Bruder, der diesem Land den Frieden brachte, indem er die Könige Atemu und Sethos von einem Thron stieß, den sie nicht verdient hatten?“

Kisara glaubte, der Schlag treffe sie. „Das ist nicht wahr“, sagte sie schließlich, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. „Ich kannte beide Pharaonen und ein jeder von ihnen würde dieses Land ausschließlich gerecht und weise regieren. Es gäbe weder einen Grund für Unzufriedenheit im Volk, noch für einen Umsturz. Nein, mit Sicherheit nicht! Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen! König Atemu und Seto würden nie etwas tun, das den Ihren schadet! Im Gegenteil: Sie wären jederzeit bereit, ihr Leben für das der Menschen, die ihnen von den Göttern anvertraut wurden, zu geben! Und nach dem Bisschen, das ich aufgeschnappt habe, sind sie das auch jetzt noch! Nein, es kann nicht anders sein! Hätte sich ein solcher Wandel in Ägypten vollzogen, hätte sich dieser bis in die tiefsten Winkel aller Sphären, auch die des Totenreiches bemerkbar gemacht! Was auch immer Caesian hier will, er will uns ganz bestimmt nicht den Frieden bringen. Was für ein König ist er, dass er versucht, dies zu erreichen, indem er Kinder opfert, Seelen ihrer letzten Ruhe entreißt und Götter schlachtet? Sagt mir, sind das Eigenschaften, die einen weisen, zuverlässigen, gütigen Herrscher ausmachen?“

Taisans Blick ruhte weiterhin unnachgiebig auf ihr. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.

„Je mehr Worte du verlierst, desto mehr Fragen tun sich vor mir auf – welche, auf die ich selbst niemals gekommen wäre und von denen ich befürchte, dass mir die Antwort auf sie nicht behagen wird. Und dennoch kann und darf ich nicht davor zurückschrecken, sie zu suchen, doch es wird in kleinen Schritten geschehen müssen. Darum beantworte mir, Kind, zunächst die Folgende: Nicht zum ersten Mal vernehme ich aus deinem Mund Worte über eine andere Sphäre und über das Reich der Toten. Es klingt, als seist du dort gewesen, doch du stehst vor mir. Wie kann das sein?“

„Ihr wisst genau, was …“

„Das tue ich nicht.“

Kisara stand kurz vor der absoluten Verwirrung. Was, bei den Göttern, wollte er von ihr hören? Er musste doch wissen, was passiert war, er war Caesians Bruder und Statthalter! Und dennoch … irgendetwas in seinem Blick, in seinen Worten, ließ sie daran zweifeln.

„Ich war tot. Ich bin in einem Krieg gestorben, den ein Dämon namens Zorc über uns brachte. Doch Atemu konnte ihn in die Knie zwingen. Er hat dieses Land und sein Volk vor einem Leben in Dunkelheit bewahrt“, erklärte sie schließlich knapp.

Taisan schien kurz über die Worte nachzugrübeln. Er hatte davon gehört, das Ägypten vor einiger Zeit von einem großen Übel heimgesucht worden war, das der Regent hatte abwenden können. War dies womöglich, wovon sie sprach?

„Du sagst, du seist verstorben und bist doch hier. Wie?“

„Euer Bruder hat mich des Totenreiches entrissen“, erwiderte Kisara ohne zu Zögern.

„Caesian ist der Magie nicht kundig. Zu so etwas wäre er nicht fähig. Du musst dich irren.“

„Das tue ich nicht“, widersprach sie. „Ich weiß selbst nicht, wie genau er es vollbracht hat, aber er hat es getan. Ich war tot, das weiß ich. Kurz nach meiner Auferstehung ist er hierhergekommen. Er sagte, dass für das Ritual ein Kind …“ Sie stockte, musste hart schlucken. Dieses Wissen belastete sie noch immer. Als sie sich gefasst hatte, fuhr sie fort: „Er sagte, dass er für das Ritual ein Kind geopfert und einen Gott vom Firmament gerissen hätte. Und er erwähnte einen Gegenstand … ein Relikt.“

Taisan musterte sie noch eindringlicher, als zuvor. „Ein Relikt?“, wiederholte er.

„Ja … ich glaube, er sagte, es sei göttlich. Ich weiß nicht, wovon er genau gesprochen hat, aber ich bin sicher, dass dieses Ding etwas damit zu tun hat, dass ich jetzt wieder hier bin.“

Ihr Gegenüber starrte sie noch einen Moment länger an, dann schüttelte er leicht den Kopf. „Mein armes Kind. Ich befürchte, du weißt selbst nicht, wovon du sprichst.“

Er stemmte sich aus dem Sessel hoch, in dem er zuvor Platz genommen hatte, und wandte sich der Tür zu. Kisara wurde augenblicklich klar, dass sie ihn nicht einfach so gehen lassen durfte, dass sie ihn von dem überzeugen musste, was mit ihr passiert war – allmählich hatte sie den Verdacht, dass er tatsächlich keine Ahnung von Caesians wahrem Gesicht hatte.

„Das weiß ich sehr wohl! Dass ich wieder in dieser Sphäre bin, ist nicht das einzig Ungewöhnliche, das hier vor sich geht! Noch vor wenigen Tagen haben ägyptische Sklaven die Mauer repariert, die von diesem Fenster aus zu sehen ist! Dann waren sie plötzlich verschwunden! Genauso wie all die verunstalteten Männer, die Verletzungen trugen, bei denen ich mir sicher bin, dass sie eigentlich gar nicht mehr am Leben sein dürften! Hier ist Magie im Spiel, dessen bin ich mir sicher!“

Taisan hielt abrupt inne. Lebendige Männer mit Verletzungen, die sie hätten töten sollen? Eine Erinnerung schoss ihm durch den Kopf. Eine Erinnerung, die nur zu gut zu dem passte, was diese Frau soeben gesagt hatte. Eine Erinnerung, die nun dazu führte, dass sich sein Magen unangenehm zusammenzog.

„Wann soll das gewesen sein?“, fragte er knapp.

„Es ist nicht lange her. Der Vollmond war gerade vorüber. Bitte, Ihr müsst mir glauben! Atemu und Seto sind nicht diejenigen, die dieses Land in Angst stürzen, es ist Caesian!“

Taisan verharrte noch einen Moment lang, wo er war, dann setzte er sich in Bewegung und verließ das Zimmer. „Ich werde wiederkommen“, ließ er sie noch wissen, dann fiel die Tür krachend hinter ihm ins Schloss.
 

Taisan stand an einem der großen Fenster im Thronsaal und blickte auf das Land hinaus, das allmählich im Rot der untergehenden Sonne versank. Der Wind war zum Abend hin stärker geworden und trieb kleine Sandschwaden vor sich her. Von den Palastgärten her wehte der Gesang der Vögel herüber. So ein schönes Tagesende … und ein vollkommener Kontrast zu dem, was er im Begriff war, zu erfahren – dessen war er sich sicher.
 

Taisan wandelte durch die Gänge des alten Palastes seiner Heimatstadt. Die dunklen, von der Zeit gefärbten Wände wurden nur vereinzelt von kleinen Öllampen erhellt. Doch er brauchte ihr Licht nicht. Er kannte dieses Gebäude, kannte es seit er ein kleiner Junge gewesen war. Hier war er aufgewachsen, hatte gespielt, gelernt – und endloses Leid erlebt.

Als er sein Ziel erreichte, stand die Tür zu dem dahinterliegenden Raum offen. Schon von Gang aus konnte er deshalb seinen Bruder erspähen, der bei dem Schein einer einsamen Kerze in der kleinen Kammer saß und in ein Schriftstück vertieft schien. Taisan klopfte daher leicht an den Türrahmen, um ihn nicht zu erschrecken. Caesian sah daraufhin auf, mit einem ungehaltenen Ausdruck auf den Zügen, der sich jedoch sogleich veränderte, als er sah, wer gekommen war.

„Sei gegrüßt. Was führt dich zu so später Stunde zu mir?“, erkundigte er sich auch sogleich und legte die Papyrusrolle, die er studiert hatte, beiseite.

„Nichts bestimmtes“, erwiderte Taisan und trat näher. Er ließ sich in einem Stuhl zur Linken seines Blutes nieder. „Worin liest du?“

„Ach, das ist nichts Besonderes, es ist gar gänzlich unwichtig. Ich hatte diese Schrift hier nur mit einer anderen verwechselt, doch als ich meinen Irrtum bemerkte, hatte mich diese kleine Geschichte hier bereits gefesselt.“

„Eine Geschichte? Ich dachte, derlei seien für dich nichts anderes als eine Verschwendung von Lebenszeit.“

„Glaube mir, ich bin selbst überrascht, dass ich mich dazu habe hinreißen lassen, meine Zeit mit Legenden zu vergeuden.“

Taisan, der schon immer eine gewisse Neugier in sich trug, langte nach dem Papyrus und studierte ihn kurz. „Ägyptischen Legenden noch dazu. Ich muss zugeben, die Kultur dieses Landes ist für mich faszinierend, dass sie dir jedoch gefallen könnte … wie ist das hier überhaupt auf deinen Schreibtisch gekommen?“ Noch während er fragte, flogen seine Augen bereits über die Zeilen.

„Erinnerst du dich daran, dass es hieß, in Ägypten habe es vor kurzem Auseinandersetzungen gegeben? Ich habe mir Berichte darüber bringen lassen, ebenso wie einige Einführungen in kulturelle Eigenheiten des Landes, um bestimmte Bezeichnungen besser verstehen zu können. Du glaubst gar nicht, wie viele Götternamen und Synonyme dieser in einem einzigen Text aus ägyptischer Hand vorkommen können! Der, den du in Händen hältst, war ebenfalls dabei, auch wenn ich nicht weiß, welcher Tölpel ihn dazugelegt hat.“

Der Text war zwar in poetisch anmutender Sprache verfasst, jedoch nicht allzu lang, sodass Taisan ihn überflogen hatte, noch bevor sein Bruder seine Ausführungen beendet hatte. „Und, wie sieht es in Ägypten aus?“

„Beunruhigend“, erwiderte Caesian. „Scheinbar hat es eine Revolte gegen das Königshaus gegeben, die jedoch vom Pharao zurückgeschlagen werden konnte. Derzeit scheint es keine akuten Auseinandersetzungen zu geben, doch wir sollten die Sache im Auge behalten – immerhin ist es nur einen Mondlauf entfernt.“

„Das klingt vernünftig“, entgegnete Taisan und erhob sich. „Das bedeutet aber auch, dass es derzeit keine gute Entscheidung wäre, sie wegen einer Allianz aufzusuchen, habe ich Recht?“

„Leider ist dem so, ja.“

„Nun gut, ich möchte dich nicht weiter aufhalten. Wir sprechen uns morgen.“

„Das werden wir.“

Damit wandte sich der Jüngere zum Gehen, während ihm noch immer die Legende von der Versiegelung der göttlichen Mächte im Hinterkopf herumspukte …
 

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er hörte, wie sich die Flügeltüren zum Thronsaal öffneten und jemand den Raum betrat. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer hereingekommen war.

„Gladuis“, begrüßte er ihn, ohne den Anderen anzusehen. „Tretet näher.“

Er konnte hören, wie die Schritte näher kamen, dann das Rascheln von Gewändern und das Klirren einer Rüstung, als der Mann in seinem Rücken niederkniete. „Ich grüße Euch, Euer Hoheit.“

„Ich grüße Euch ebenfalls. Ich muss sagen, Eure Rückkunft hat mich überrascht. Ich dachte, Caesian hätte Euch mit sich genommen, um sich Eurer Unterstützung im Kampf gegen den Pharao sicher sein zu können?“

„Dem war so, mein Herr. Doch es gab Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff auf Men-nefer. Es besteht kein Grund zur Sorge, das versichere ich Euch, doch wie Ihr wisst, ist Euer Bruder stets auf alles bedacht. Zur Sicherheit hat er mich zurückgeschickt. Doch auch wenn mein Schwert an der Front fehlt, so wird es ein Leichtes für ihn sein, den Feind in die Knie zu zwingen.“

Der offizielle Statthalter schwieg einen Moment. „Ich verstehe. Es ist gut, dass Ihr hier seid, Gladius.“

„Ich danke Euch, Herr.“

„Jedoch nicht nur aus den von Euch genannten Gründen …“ Erst jetzt wandte sich Taisan um und fixierte sein Gegenüber.

„Wie darf ich das verstehen, Euer Hoheit?“

„Ich habe Fragen. Und du wirst sie mir beantworten.“

Gladius fiel der Wechsel in der Form, mit der Gegenüber ihn ansprach, augenblicklich auf. Ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit, das von dem stechenden Blick, der unter der Maske hervor auf ihn eindrang, nur noch verstärkt wurde. „Ich … wovon sprecht Ihr, Herr?“

Taisan trat sich mit langsamen Schritten, die an jene eines lauernden Raubtieres erinnerten, vom Fenster weg und auf den Mann zu, der noch immer kniete. „Ich denke, das weißt du. Du bist meines Bruders rechte Hand, sein zweites Paar Augen, sein zweites Paar Ohren.“ Er hielt erst wieder inne, als er direkt vor Gladius stand. „Was“, sagte er langsam, „hat Caesian mit den Relikten der Götter Ägyptens zu schaffen?“

Dem Untergebenen war, als habe man ihn mit eiskaltem Wasser übergossen. Perplex starrte er zu dem Statthalter und Bruder seines Gebieters auf, unfähig auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Woher wusste er davon? Wie hatte das passieren können? Und wie, beim Schwerte seines Vaters, sollte er diese Entwicklung der Dinge aufhalten?

„Ich habe dich etwas gefragt“, fuhr Taisan fort, da war ihm noch längst nicht ein Wort eingefallen, das in dieser Situation irgendetwas ausrichten konnte. „Welcher Zusammenhang besteht zwischen meinem Bruder und den göttlichen Relikten? Was ist während meiner Abwesenheit hier geschehen?“

Er brauchte nicht laut zu werden, um Gladius einen Schauer über den Rücken zu jagen. Er kannte Taisan, seit dieser ein kleines Kind gewesen war – und wenn er und Caesian irgendetwas gemeinsam hatten, dann war es die Fähigkeit, einem Mann nackte Angst einzuflößen, ohne dafür die Stimme auch nur im mindesten erheben zu müssen.

„Euer Hoheit … Ihr müsst irren, es gibt keine …“

Lüg mich nicht an.“ Der Soldat zuckte merklich zusammen. „Was hat er mit Men-nefer gemacht? Was hat er diesem Mädchen angetan? Und was ist er im Begriff in Theben zu tun?“

Gladius brauchte einen Augenblick, bis er seine Stimme wiederfand. „Mein Herr, ich versichere Euch, all dies ist nur zu Eurem Besten geschehen!“

Was soll zu meinem Besten geschehen sein?“

Der enge Vertraute Caesians war der Verzweiflung nahe. Das hier konnte er nicht mehr retten. Wenn er jetzt nicht das sagte, was Taisan hören wollte, dann hatte er keine Gnade zu erwarten. So unscheinbar, so gebrechlich der Andere wirken mochte, Gladius kannte die Mächte, die in dem gezeichneten Mann schlummerten – und er fürchtete sie. Das Einzige, was ihm jetzt noch blieb, war sich selbst zu retten.

„Als wir nach Ägypten kamen, haben wir Men-nefer angegriffen und schließlich eingenommen – im Kampf gegen den Pharao und gegen den Willen des ägyptischen Volkes. Der Regent ist aus der Stadt geflohen und hatte sich eine Weile in der Wüste verschanzt, ehe er weiter nach Theben gezogen ist, wo Seine Majestät gedenkt, ihn ein für alle Mal unschädlich zu machen.“

Taisan hatte diese Worte kommen sehen und sie dennoch gefürchtet. Seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich in diesem Augenblick. Und doch hatte er noch nicht genug gehört.

„Es bestand also keine Unterdrückung in diesem Land, als mein Bruder hier eintraf?“

„Nein“, erwiderte Gladius. „Nein, das tat es nicht. Es herrschte Frieden.“

„Was habt ihr mit den Menschen getan?“

„Ein Teil ist geflohen, einige sind geblieben. Die, die noch am Leben waren, als wir Men-nefer einnahmen, wurden zunächst für den Wiederaufbau versklavt. Bis …“

„Bis was?“

„… bis Euer Eintreffen kurz bevorstand. Seine Majestät hielt es für sicherer, sie verschwinden zu lassen …“

„… kurz nach dem letzten Vollmond … die Zeit, als ich hier eintraf …“, wiederholte Taisan die Worte des weißhaarigen Mädchens. Mit jedem Moment, der verstrich, schien sein Blick stechender zu werden. „Um nicht zu riskieren, dass einer von ihnen irgendwann die Wahrheit spricht“, äußerte er das, was Gladius noch nicht gesagt hatte. Er fand keine Worte dafür, wie sehr ihn jede einzelne Information, die er bislang erhalten hatte, erschütterte. Zugleich hatte er es die ganze Zeit geahnt, hatte einen Verdacht gehegt, es jedoch nicht wahr haben wollen. Er war blind und taub gewesen, hätte die Zeichen früher deuten müssen, beispielsweise dann, als er nicht einen Ägypter in Men-nefer gesehen hatte, oder als man ihn davon hatte abhalten wollen, das Mädchen aufzusuchen. Deswegen hatte man sie so eilig wieder einfangen wollen – sie war tatsächlich eine Bedrohung für Caesian gewesen, jedoch in ganz anderem Sinne, als sein Bruder zunächst angenommen hatte. Und auch, wenn sein Herz blutete, war das, was er jetzt wusste, noch immer nicht genug.

„Vier Fragen, Gladius. Beantworte sie mir“, forderte er schließlich, ohne seinen Blick in der Zwischenzeit auch nur einmal von dem knienden Soldaten vor sich genommen zu haben. „Wie viele?“

Der Andere biss sich auf die Unterlippe. „Mehrere hundert …“, murmelte er schließlich.

Taisan schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Als Caesian danach verlangte, ihm den Rest des Heeres nachzusenden, war es dem Ägyptens noch immer bei Weitem unterlegen. Wie konnte mein Bruder das ändern?“

„Mit … mit Hilfe der Relikte, die einst die Gottheiten Ägyptens erschaffen haben.“

„Die Menschen die Fähigkeit zu sterben nahmen? Die Götter schlachteten? Und die ein unschuldiges Mädchen im Tausch für ein noch unschuldigeres Kind aus dem Totenreich rissen?“

„Ja …“

Die Maske verbarg die Gefühle, die in Taisans Innerem durcheinandertobten. Er hatte immer Befürchtungen gehegt, Befürchtungen, dass Caesian eines Tages den Weg einschlagen würde, den seine Vorgänger in ihrer Heimat gegangen waren – einen Pfad getränkt mit Blut, gepflastert mit Leichen und erfüllt von Machtgier. Doch er hatte es nicht früher sehen wollen, hatte nicht begreifen wollen. Nun stand er hier, Angesicht zu Angesicht mit der brutalen, kalten Wahrheit. Sie waren schon immer unterschiedlich gewesen. Der Eine der große Feldherr, der Aktive, derjenige, der zum Herrschen geboren schien, der Andere der Geheimnisvolle, der Wissbegierige, der Passive. Doch er hätte nie geglaubt, dass Caesian zu solchen Handlungen fähig war. Taisan wusste um Kriege und auch darum, dass sie manchmal nicht zu vermeiden waren. Manchmal musste ein Opfer zum Wohle des großen Ganzen gebracht werden. Doch das war hier nicht der Fall. Das hier war reine Willkür, sinnlose, rohe Gewalt.

Und auch, wenn sie noch so sinnlos war, blieb eine letzte Frage, die er stellen musste.

„Warum?“

In Gladius keimte Hoffnung. „Mein Herr, ich versichere Euch, seine Majestät hat dies wahrhaftig nur für Euch getan! Er leidet unter dem Wissen, dass Ihr erkrankt seid und er konnte nicht ertragen, dass ihr verdammt schient, Eure Tage in einem Land zu fristen, das nach und nach zerfällt. Er hat immer wieder von Eurem Traum gesprochen, eine blühende, gerechte Welt zu errichten und genau das wollte er hier verwirklichen, indem er sie vom Übel reinigt, um sie dann umso schöner wiederaufbauen zu können – für Euch! Zudem hoffte er darauf, mit den Relikten der Götter einen Schlüssel zu Eurer Heilung zu finden! Ich bitte Euch, mein Herr, seht es ein: Caesian hat all dies einzig und alleine für Euch und Euer Wohl getan!“

Taisan schüttelte unterbewusst den Kopf. Ihm war schlecht. Welche kranke Logik steckte hinter diesem Denken? Wer war Caesian, dass er entschied, wer gut und wer böse war, wer leben durfte und wer sterben musste? Mit welchem Recht hatte er all diese Menschen getötet, selbst Gott gespielt? Glaubte er wahrlich, er könne seine Taten auf diese Weise rechtfertigen? Wie verblendet war er? Und wie blind war er selbst gewesen, all das nicht früher vorhergesehen zu haben? Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Taisan etwas, das Wut glich.

„Geh mir aus den Augen, Gladius. Verlasse dieses Land und wage es nie wieder, einen Fuß hierher zu setzen oder ich werde dich aufhängen lassen. Hinaus. Und nimm sämtliche Männer meines Bruders, die noch in dieser Stadt weilen, mit dir. Für sie gilt das Gleiche.“

Er brauchte es nicht zweimal zu sagen. Kaum, da er geendet hatte, sprang sein Gegenüber auf und eilte aus dem Thronsaal. Taisan blieb alleine in dem Raum zurück, der inzwischen ganz in das Rot der untergehenden Sonne getaucht wurde – ein Rot, das ihn an Blut erinnerte.

„Caesian … was hast du getan?“
 

Kisara schreckte aus ihrem leichten Schlaf hoch, als die Tür zu ihrem Gemacht geöffnet wurde. In der Finsternis – man hatte ihr nach dem Fluchtversuch die Kerze genommen – erkannte sie zunächst nicht, wer hereingekommen war, bis er kurz vor ihrem Bett stand. Eilig fuhr sie hoch, als sie den Mann erkannte, der heute schon einmal bei ihr gewesen war – Taisan.

„Steh auf und folge mir.“

Sie war zunächst zu verdutzt, um in irgendeiner Weise zu antworten oder zu widersprechen. Erst, als sie draußen auf dem Flur stand und sah, dass nicht eine einzige Wache anwesend war, fand sie ihre Stimme wieder. „Was geht hier vor sich? Wo bringt Ihr mich hin?“

„Ich bringe dich nirgendwo hin, Mädchen. Du bist es, die mich leiten wird.“

„Wohin?“

„Nach Theben.“

Kisara lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Wozu?“

Taisan sah sie nicht an, als er antwortete.

„Um Gerechtigkeit zu üben.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
... Taisan is not amused. Not at all.

Der nächste Upload erfolgt wahrscheinlich erst kommende Woche, weil ich über's Wochenende in die Heimat tuckere. Vielleicht hab' ich aber auch da Zeit zum Schreiben ... wir werden sehen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  fahnm
2016-05-04T13:33:22+00:00 04.05.2016 15:33
Ein Tolles Kapitel
Zum Lachen genau richtig.
Antwort von:  Sechmet
05.05.2016 12:26
Danke für Deinen Kommentar! Ich weiß zwar nicht, ob "zum Lachen" nun ironisch gemeint war oder nicht, aber es freut mich, wenn es Dir gefallen hat.
Von:  Seelendieb
2016-05-04T12:06:32+00:00 04.05.2016 14:06
:D

Wow!

JETZT wird es lustig! Genial

Ein ergreifendes Kapi!!! <3
Antwort von:  Sechmet
05.05.2016 12:25
Dankeschön! Freut mich, wenn es Dir gefallen hat. :)


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